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2. Kapitel

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Nervös ging Conny auf und ab. Tausend Schmetterlinge schienen in ihrem Magen zu flattern. Dabei kitzelten sie die Spitzen der Flügel ununterbrochen.

»O je, wie bist du nur aufgedreht«, lachte Ulrike.

»Kein Wunder. Letzte Nacht habe ich davon geträumt, dass ein Typ mit Frankenstein-Maske mich verfolgt und mit mir tanzen will.«

»Mach dich nicht verrückt. Du sollst dich ja nicht in ihn verlieben. Wir beide suchen nur einen Tanzpartner und keinen Mann fürs Leben!« Dennoch verstand sie Conny nur zu gut. Fast eine Woche hatte sie auf dieses Treffen gewartet, und nun endlich sollten sie Andreas persönlich kennenlernen.

Vor dem Eingang des Cafés blieb Conny abrupt stehen und sah ihre Freundin mit einem verzweifelten Blick an.

»Sitzt meine Frisur richtig? Passt der Pullover wirklich zur Hose? Stell dir bloß vor, wie peinlich es wäre, wenn ich unvorteilhaft gekleidet bin.«

Natürlich tat Ulrike ihr den Gefallen und musterte sie aufmerksam von oben bis unten. Zufrieden mit dem Ergebnis nickte sie.

»Dank des Friseurs sitzt dein Haar perfekt und mit deinen Klamotten hast du ebenfalls eine gute Wahl getroffen. Die Sachen sitzen perfekt und betonen deine schlanke Figur hervorragend. So herausgeputzt übersieht dich kein männliches Wesen.«

»Wirklich?«

»Also, nun mach mal einen Punkt! Schlimmer als ich siehst du nicht aus.«

Erleichtert strich Conny ihren Pulli glatt und überprüfte dann das Erscheinungsbild ihrer Freundin. Ulrike hatte ihr langes Haar heute zu einem eleganten Zopf geflochten und sah, wie sie, ungewohnt festlich aus.

»Auf in den Kampf.« Betont forsch drückte Conny die schwere Tür auf und betrat das Café.

»Hier sind wir verkehrt. Ulrike, das ist eindeutig der falsche Film. Ich sehe nur ein paar alte Omas, die mit Behagen Schwarzwälder Kirschtorte verzehren.«

Schon wollte Conny sich umdrehen und gehen, aber Ulrike hielt sie zurück.

»Das macht doch nichts. Im Gegenteil, so ist es für uns viel einfacher, Andreas zu erkennen. Wir nehmen einen Platz am Fenster. Dann sehen wir weiter.«

Da Ulrike recht hatte, fügte sich Conny, und sie machten sich auf die Suche nach einem geeigneten Sitzplatz.

»Hier sind wir richtig. Wir können den Eingang beobachten und haben gleichzeitig einen tollen Blick auf den Marktplatz. Gib mir deine Jacke, ich hänge sie auf.«

Beladen mit den Jacken ging Ulrike zur Garderobe und versorgte sie. Auf dem Rückweg erblickte sie eine verstaubte Jukebox, die versteckt zwischen ein paar Grünpflanzen stand. Ulrike kramte in ihrer Hosentasche und fischte eine Münze heraus. Aufmerksam studierte sie die Titel. Zu ihrem Bedauern entdeckte sie keine flotten Tanzlieder. Sie warf das Geld ein und wählte von Udo Jürgens das Lied »Aber bitte mit Sahne«.

Begleitet von den ersten Takten begab sie sich zurück zum Tisch.

»Hast du dich nicht verwählt? Dieser Song ist doch uralt.«

»Ich weiß, aber etwas Besseres gab es nicht. Und ich finde, mit ein bisschen Musik geht es gleich ein wenig leichter.« Sie setzte sich neben Conny, sodass beide den Eingang beobachten konnten.

Eine ältere Dame mit grauem Dutt kam auf sie zu und reichte ihnen die Karte. Die gestärkte Schürze, die sie zum schwarzen Kleid trug, strahlte blendend weiß.

»Was darf's denn sein?«

»Zwei Cappuccino und ...«, sagte Ulrike, und gemeinsam mit ihrer Freundin beugte sie sich über die Karte. »... zwei Eisbecher Nuss.«

»Mit Sahne?«

»Ja, bitte.« Als die Bedienung gegangen war, grinsten sich die beiden Freundinnen übermütig an.

»Jetzt verstehe ich, warum du »Aber bitte mit Sahne«, gewählt hast. Wir sind mal wieder auf dem Gesundheitstrip«, sagte Conny und leckte sich in Gedanken an den Eisbecher die Lippen. »Immer nur Salat - das ist auch nichts.«

»Immerhin können wir froh sein, dass sie Cappuccino im Angebot haben. Meine Oma erzählt mir ständig, dass es früher nur Kaffee im Kännchen gab.«

»Stimmt, bei der altbackenden Ausstattung hätte uns das auch passieren können.«

Das Warten begann. Am Eingang tat sich nichts, und der Uhrzeiger rückte immer weiter von der Vier ab und näherte sich vier Uhr fünfzehn.

Kurz darauf servierte die ältere Dame ihnen die Cappuccino und die Eisbecher. Er war genau so, wie Conny ihn liebte, mit viel Sahne und üppigem Krokant bedeckt. Während sie von der Sahne naschte, kreisten Connys Gedanken einzig und allein um Andreas. Sicher wollte er sie, als »Frischlinge« auf der Uni, nur auf den Arm nehmen. Da Ulrike felsenfest der Meinung war, dass die Verabredung nicht platzte, hielt sie aber den Mund.

»Bei den Preisen sollten wir den Eisbecher genießen«, sagte sie nach einer Weile genießerisch, und lutschte mit geschlossenen Augen am Krokant.

So verpasste sie den Augenblick, in dem die schwere Tür aufging und neue Gäste das Restaurant betraten.

»Da, schau mal die beiden Typen.« Ulrike deutete zum Eingang, wo die zwei Boys standen und sich umblickten. »Sind die nicht süß? Der eine hat heute Morgen sicher vergessen, sich die Haare zu kämmen. Seine flachsblonden Locken stehen völlig wirr umher.«

Aufmerksam beobachteten sie die Jungs, die so völlig unterschiedlich waren. Unsanft stieß Conny mit ihrem Ellenbogen in die Rippen von Ulrike.

»Der andere sieht aus, als gehe er jeden zweiten Tag zum Friseur. Und diese Figur - durchtrainiert von Kopf bis Fuß. Da bleibt einem nur der blasse Neid.« Flüchtig dachte sie daran, dass ein regelmäßiger Besuch im Fitnessstudio vielleicht besser wäre als der Tanzclub.

»Ich möchte wetten, die haben sich verlaufen. Was sonst suchen zwei so sympathische Typen in diesem Café?«

Schneller, als Conny es lieb war, bekam sie die Antwort. Zielstrebig hielten die beiden auf ihren Tisch zu.

»Ulrike, was machen wir nur? Gleich bekommen wir Gesellschaft.« Nervös rutschte Conny auf ihrem Stuhl hin und her. Sie beugte sich tief über ihr Eis und versuchte die Neuankömmlinge zu ignorieren. Verstohlen wagte sie einen Blick hinüber zu ihrer Freundin. Entspannt saß diese da und trank gelassen ihren Kaffee. Von Unruhe oder Unsicherheit keine Spur.

»Hallo, Conny und Ulrike?« Diese warme, samtene Stimme, Conny erkannte sie sofort. Andreas! Mit allem hatte sie gerechnet, nicht aber, dass Andreas als leibhaftiger Adonis vor ihr stand. Verdattert sah Conny auf, in seine dunklen, braunen Augen, in denen sie das Gefühl hatte, zu versinken. Langsam rutschte ihr der Löffel aus den Fingern. Rasch legte sie ihn auf den Tisch, um ihr Erschrecken zu verbergen.

»Ja, das sind wir«, hauchte sie. Mühsam rang sie um ihre Fassung und setzte ein verlegenes Lächeln auf. »Andreas und ...?«

»Martin.« Andreas reichte erst Conny, dann Ulrike die Hand. Nachdem sich die Vier begrüßt hatten, nahmen die Jungs Platz. Sofort ergriff Andreas das Wort.

»Bitte entschuldigt unsere Verspätung, aber mein Stratocruiser wollte nicht ganz so wie ich. Da mussten wir auf den Bus umsteigen.« Aufmerksam musterte Andreas Conny, die vor ihm saß und vor lauter Verlegenheit nicht wusste, wohin mit den Händen. »Wie du siehst, habe ich noch einen Tanzpartner für deine Freundin gefunden. Martin und ich wohnen zusammen im Studentenwohnheim. Als ich erfuhr, dass er früher in der Schulformation getanzt hat, war es ein leichtes, ihn zum Mitkommen zu überreden.«

Langsam verflog Connys Aufregung. Als Andreas schwieg, nutzte Conny den Augenblick, um ihre Neugierde zu befriedigen.

»Seid ihr auch neu in der Stadt?«, fragte sie Andreas. Ohne auf eine Antwort zu warten, redete sie einfach weiter. »Ulrike und ich sind das erste Semester an der Uni. Sie studiert Zoologie. Frag mich nicht, was das für ein verrücktes Fach ist. Tiere beobachten ...«

Vergnügt schüttelte sie den Kopf. »Nein, das ist nichts für mich, ich habe beschlossen, später Lehrerin zu werden.«

Conny hielt inne und musterte Andreas, der mit schief gelegtem Kopf lauschte. Interessierte es ihn überhaupt, was sie da erzählte? Aber eigentlich war es ihr egal. Sie freute sich darüber, Andreas kennenzulernen. In diesem Moment konnte sie über ihre panischen Gedanken nur noch lachen.

»Das hört sich wirklich vielversprechend an. Martin und ich, wir sind ebenfalls das erste Semester hier. Während ich mich mit trockenen Gesetzestexten herumschlage, um Jurist zu werden, versucht Martin in die Geheimnisse der Physik einzudringen.«

Die freundliche Bedienung unterbrach das vorsichtige Beschnuppern. Andreas und Martin machten es sich leicht mit der Bestellung. Sie orderten Schwarzwaldbecher.

Ulrike blinzelte ihrer Freundin zu und signalisierte ihr so: Volltreffer.

»Da unser Treffen ja das Ziel hat, gemeinsam und erfolgreich zu tanzen, habe ich einen Prospekt mitgebracht«, sagte Andreas und holte aus seiner Hosentasche ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor.

»Es ist das Info-Blatt vom Tanzclub. Da sind die Kurse ebenso verzeichnet wie die Trainingszeiten.«

Er reichte Conny den Prospekt. Neugierig nahm sie das bunt bedruckte Etwas entgegen und stöberte darin herum. Ulrike lehnte sich hinüber und las mit.

»Danke.« Conny gab Andreas den Prospekt zurück. Viel Neues stand da nicht drin. »Ich habe mir in den letzten Tagen die Homepage angesehen.«

»Stimmt, die Homepage ist viel aussagekräftiger. Aber die Frage ist jetzt«, begann Andreas, »ob wir mit unseren Tanzkenntnissen zusammenpassen? Anfänger sind wir alle nicht, wenn ich das richtig sehe. Ich denke mal, der Kurs für Fortgeschrittene mit dem späteren Ziel der Turnierreife passt zu uns.«

Fragend sah Andreas die beiden Mädchen an. Conny konnte sich des Gefühls nicht verwehren, dass er vor einer Absage Angst hatte.

»Ja, dieser Kurs dürfte zu uns passen. Ulrike und ich haben unsere Grundkenntnisse im Internat durch mehrere Lehrgänge erweitert. Hin und wieder waren wir auch auf einem Turnier dabei.«

»Das ist prima und gibt Anlass zum Optimismus. Ich schlage vor, dass wir uns am Montag im Tanzclub treffen und uns anmelden.«

Aufmerksam sah Andreas sich im Café um. »Schade, hier gibt es keine Tanzfläche, sonst hätte ich glatt eine Runde mit dir gedreht, Conny.«

»Na ja, das holen wir demnächst nach«, sagte Ulrike mit einem feinen Lächeln, der das Tempo von Andreas nicht geheuer war. »Wenn es klappt, tanzen wir noch oft genug miteinander.«

*

Überdimensional groß und bedrohlich, sie aus seinen roten Augen anblinzelnd, stürzte sich der Drachen auf Conny. Kräftig flatterten die bunten, bauschigen Flügel und wirbelten die Luft auf. Erschrocken machte sie einen Satz zur Seite, voll auf die Füße von Andreas.

»Aua.« Mehr vor Überraschung als vor Schmerz schrie er auf. Er ruderte mit den Armen und bekam Conny zu fassen. Unmittelbar neben ihnen klatschte das Ungeheuer auf den Boden.

»Das war knapp. Eigentlich dachte ich, Feuer spuckende Drachen sind ausgestorben.« Erleichtert atmete Conny auf und musterte den gefallenen Drachen. Ungefährlich und ohne Leben lag er vor ihr.

»Das täuscht«, lachte Martin, und strich sich durch die gerade eben gekämmten Haare, so dass sie wieder strubbelig in alle Richtungen standen. »Die Ungeheuer gibt es heute noch. In jungen Jahren tarnen sie sich allerdings hervorragend.«

Und Andreas fügte spöttisch hinzu: »Vor so ein bisschen Pappe und Stoff Angst zu haben, dazu gehört einiges.« Erst jetzt bemerkte Conny, dass er sie noch immer umfangen hielt. Langsam und sehr zögerlich befreite sie sich aus der kräftigen Umarmung. An seinem Blick erkannte sie, wie sehr er es bedauerte, sie nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe zu fühlen.

»Wo sind wir denn hier gelandet?« Skeptisch sah Martin sich in dem Korridor um. »An der Tür stand doch ...«

»Wir haben uns nicht geirrt«, stellte Andreas fest und blickte sich noch einmal genauer um.

Die Mitarbeiter des Tanzclubs waren eifrig dabei, Figuren und Dekorationsstücke umzuräumen. Keiner beachtete die Vier, die inmitten des Chaos ein wenig verloren herumstanden.

»An wen müssen wir uns wenden?«, fragte Ulrike.

»Auf der Homepage stand ein Ansprechpartner.« Conny krauste die Stirn und überlegte fieberhaft. »Mir fällt der Name nicht mehr ein. Kommt einer von euch darauf?«

Einheitliches Kopfschütteln.

»Wir müssen uns durchfragen«, meinte Andreas und ging frohen Mutes auf eine Frau mittleren Alters zu, die sich bemühte, die Stoffbahnen des Drachens zu bändigen.

»Entschuldigen Sie ...«, begann er. »Ich suche den Tanzlehrer. Wir vier«, er deutete hinter sich, »haben den Aushang in der Uni gelesen.«

Ohne in ihrer Arbeit innezuhalten, nickte die Frau. »Da drinnen im Saal, bei den Ruinen finden Sie Herrn Koberer. Er ist zuständig.«

Andreas bedankte sich und wagte sich zwischen die Kulissenschieber. Behutsam schlüpften sie an den Dekorationen vorbei in den Saal, stiegen im Gänsemarsch über Holzleisten und bückten sich, als eine Leinwand auf sie zusegelte.

Die Ruinen erwiesen sich als Konstrukte aus Pappmaché und Sperrholz.

»Vorsicht, nicht anfassen«, warnte ein Mann in einer fleckigen Latzhose. »Was kann ich für Sie tun?«

»Wir möchten uns für den Fortgeschrittenenkurs im Paartanz anmelden«, sagte Conny und atmete tief durch. Der Geruch nach Farbe stach ihr in die Nase. »Sind Sie Herr Koberer?«

»Ja.« Er richtete sich auf. Sie schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er lächelte freundlich und wischte sich die Hände an der Hose ab. »Kommen Sie mit ins Büro. Ich werde nachsehen, ob ich noch Platz in dieser Gruppe habe.«

Sie folgten ihm hinaus in den Korridor bis an dessen hinteres Ende. In dem kleinen Zimmer zog er einen Ordner hervor und blätterte darin.

»Sie haben Glück. Sechs Plätze sind noch frei.«

»Dann sind es jetzt nur noch zwei«, sagte Andreas rasch. Erleichtert beobachtete Conny, wie Herr Koberer Anmeldebögen aus einer Schublade kramte und sie ihnen zuschob.

»Bitte ausfüllen und unterschreiben.«

Conny nahm den einzigen Kugelschreiber, der auf dem unordentlichen Schreibtisch lag, und machte den Anfang. Dann kamen Ulrike und Martin. Ganz zum Schluss füllte Andreas sein Formular aus. Verträumt beobachtete Conny ihn dabei. Seine schmalen Finger hielten den Schreiber in unnachahmlicher Eleganz. Jede seiner Bewegungen faszinierte sie. In Gedanken malte sie sich aus, wie es sein würde, wenn er sie liebevoll in den Arm nahm und sie das Spiel seiner Muskeln spürte.

»Danke schön.« Herr Koberer nickte. »Die Kursgebühr bezahlen Sie bitte bar oder per Überweisung. Der Unterricht fängt am Mittwochabend statt.«

Er begleitete die Studenten bis zum Ausgang und verabschiedete sich von ihnen. Schwungvoll öffnete Martin die Tür, und sie traten auf die Straße hinaus.

»Was machen wir nun?«, fragte Andreas. »Wir haben es geschafft. Habt ihr Lust, noch einen Schluck bei Ernies zu trinken?«

Ohne lange zu überlegen, nickte Conny. »Gern. Das muss gefeiert werden.«

»Also, auf zu Ernies!« Übermütig hakte sich Andreas bei Conny unter und zog sie sachte davon.

Conny schloss einen Augenblick die Augen. Sie glaubte, einen halben Meter über dem Boden zu schweben. Ihre Studienzeit schien unter einem guten Stern zu stehen.

Um die Nachmittagszeit war die Kneipe schlecht besucht. Ein wenig verloren saßen sie da und ließen sich etwas zu trinken bringen.

»Also Prost. Auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit.« Andreas hob sein Glas, und die anderen kamen diesem Beispiel nach.

»Ich freue mich schon auf die erste Tanzstunde. Das wird sicherlich lustig«, sagte Martin in die Runde. »Im Club wimmelt es immer von Zuschauern. Da hast du sofort das Gefühl, als würden deine Schuhe wie Leim am Boden kleben.«

»Leim, ja genau. Danke für das Stichwort, Martin.« Andreas stellte sein Glas mit Schwung ab. »Könnt ihr Mädels mit Leim umgehen?«

Die Frage irritierte Conny. Worauf wollte er hinaus?

»Wozu wird diese Fähigkeit benötigt? Denkst du ans Dekorieren des Saals?«

»Das kommt bestimmt irgendwann auf uns zu. Nein, ich dachte an etwas anderes. Es geht jetzt auch nicht um Leim, sondern um Kleister. Also, wie sieht es aus? Ja oder nein.«

»Natürlich können wir. Mein Appartement ist das beste Beispiel.«

»Ihr scheut auch nicht davor zurück, Tapeten von den Wänden zu reißen? Abgebrochene Fingernägel und Farbkleckse im Gesicht werden mit stoischer Ruhe hingenommen? Kein hysterisches Gejammer?«

»Dumme Frage, wir scheuen vor nichts zurück! Das Einzige, was uns schreckt, sind Besserwisser«, konterte Ulrike.

»Das ist fein. Dann habt ihr garantiert am nächsten Wochenende Zeit.«

»Ach neee. Sollen wir dir beim Renovieren helfen? Scheust du dich vor der vielen Arbeit? Entweder rückst du mit der Sprache raus, oder du kannst auf unsere Hilfe verzichten.«

»Schon gut, schon gut, wenn ihr euch nicht gedulden könnt ...« Andreas griff nach seinem Glas und nahm einen großen Schluck. Dabei war er sich der Aufmerksamkeit aller bewusst. Verschwörerisch blickte er in die Runde. »Ihr seht das völlig richtig. Ich plane eine Renovierungs-Party. Vormittags wird gearbeitet und nachmittags gefeiert. Habt ihr Lust?«

»Da fragst du noch?« Aus funkelnden Augen sah Conny ihn an. »Wieso sagst du das nicht gleich! Für solche Aktionen sind wir immer zu haben. Nicht wahr, Ulrike?«

»Ja, doch. Wann?«

»Samstag früh.«

*

»Mir ist schlecht. Wahrscheinlich habe ich mir heute Mittag den Magen verdorben«, jammerte Conny. »Unter solchen Voraussetzungen werde ich keinen einzigen, vernünftigen Schritt zustande bringen.«

»Ist ja gut. Garantiert hast du nichts Verkehrtes gegessen. Es ist nur die Aufregung, die dir auf den Magen schlägt. Wieso eigentlich? Andreas?«

»Er ist ein toller Typ. Ich blamiere mich mit Sicherheit bis auf die Knochen.«

Aufmerksam betrachtete Ulrike das perfekt geschminkte Gesicht ihrer Freundin. Die leichte Blässe darunter konnte sie nur erahnen. Sie schob Conny das noch halbvolle Cola-Glas über den Tisch.

»Trink davon. Zucker ist gut für die Nerven.«

Gehorsam nahm sie ein paar Schlucke, und langsam beruhigte sich ihr Magen. Neugierig sah sie sich im Saal um. Zumeist in Paaren trafen die Kursteilnehmer im Club ein und suchten sich Sitzplätze an den zum größten Teil schon belegten Tischchen.

Martin und Andreas trafen ein. Sofort spürte Conny, wie ihre Magennerven erneut anfingen zu flattern. Hastig kippte sie die restliche Cola hinunter. Vielleicht half es ja.

»Hallo, da sind wir.« Fröhlich grinsend kamen die beiden auf sie zu. Sie hatten sich in Schale geworfen. »Wie sieht es aus? Habt ihr Lust zu tanzen?«

»Ja, natürlich. Gleich geht es los«, sagte Ulrike, während Conny verzweifelt nach Worten rang, um ein Gespräch mit Andreas anzufangen. Es fiel ihr zu ihrem großen Entsetzen nichts ein. »Ah, gerade kommt unser Tanzlehrer!«

Ein elegant gekleideter Herr mit kecker Stirntolle trat ein. Er trug eine dunkle Kombination und hielt den Stapel mit den Anmeldeformularen in der einen, das Mikrofon in der anderen Hand.

»Wow«, sagte Conny überrascht. »Da ist ja Herr Koberer. Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt.«

Der Tanzlehrer trat auf das spiegelglatt polierte Parkett.

»Hallo und herzlich willkommen zur ersten Tanzstunde in unserem Kurs. Da mich alle inzwischen persönlich kennen, erspare ich mir eine Vorstellung. Darf ich Sie jetzt bitten, zu mir zu kommen?«

Lautes Stühlerücken, dann drängelten die Teilnehmer aufs Parkett. Conny sah sich nach Andreas um.

»Darf ich bitten?«, einladend hielt er ihr den Arm hin.

»Danke, gern.«

Gefolgt von Martin und Ulrike, begaben sie sich auf die Tanzfläche.

»Bitte bilden Sie Paare, sodass ich erkennen kann, wer zu wem gehört.« Verhaltenes Lachen, leises Raunen und das Tapsen von Schritten, die einzelnen Paare bildeten sich.

Vorsichtig zog Andreas sie dichter heran und drückte einmal kurz ihre Hand. Die Nervosität, die sie vorhin so gequält hatte, verschwand. Die Unruhe im Saal legte sich, und Herr Koberer ging mit prüfendem Blick durch die Reihen. Zufrieden nickte er und griff nach seinem Mikrofon.

»Als ersten Tanz habe ich für heute den Langsamen Walzer ausgesucht. Ich denke, dieser bietet sich an, damit Sie sich näher kennenzulernen. Aber auch für mich ist das die Gelegenheit, mich von Ihrem Können zu überzeugen.«

»Dann wollen wir mal«, sagte Andreas und wandte sich ihr zu. Schwach rieb ihre Kleidung aneinander. Dezent lag der Duft seines Rasierwassers in der Luft.

Wie trunken stand sie vor ihm und spürte jeden seiner Atemzüge.

Die ersten Takte des Walzers erklangen. Conny lauschte und versuchte, sich in die Musik hineinzufühlen. Vorsichtig legten die beiden ihre ersten Schritte auf dem Parkett hin. Geschickt, sehr selbstbewusst und sie nicht drängend, führte er sie. Rasch verschwanden die anfängliche Steifheit und die Unsicherheit. Gelassen bewegten sie sich im Rhythmus der Musik.

Immer wieder kreuzten sich ihre Blicke, und Conny hatte das Gefühl, wie Butter in der Sonne zu schmelzen. Seine Hand rutschte an ihrem Rücken ein Stück tiefer. Vertraulich blinzelte er ihr zu, oder bildete sie es sich nur ein? Ihre Gedanken schweiften ab. Andreas war mehr für sie als nur ein netter Tanzpartner. Das spürte sie deutlich. Und mit jedem Takt verstärkte sich dieses Gefühl.

Leise klang die Musik aus, viel zu schnell, wie Conny fand. Erwartungsvoll blieben die Paare stehen und wandten sich Herrn Koberer zu, der sie die ganze Zeit über beobachtet hatte.

»Das lief ja wie geschmiert. Deshalb machen wir gleich weiter mit dem Cha-Cha- Cha. Los geht es.«

Aufmunternd lächelte Andreas ihr zu und legte los. Der Rhythmus ging in ihr die Beine, so dass sie sich fast automatisch bewegten.

Wie Gespenster huschten sie über das Parkett, der Schwung und Elan von Andreas riss Conny mit. Immer mehr fühlte sie, wie sehr ihr das Tanzen in der vergangenen Zeit gefehlt hatte. Ihre Körper bewegten sich im Gleichtakt.

Die erste Dreiviertelstunde verging ziemlich rasch. Connys Atem ging schneller, und ihr Herz klopfte aufgeregt. Ob das nun am flotten Tanzen lag, wusste sie nicht so genau.

»Wirklich beeindruckend, was Sie mir heute zeigen. Bevor es allerdings weitergeht, legen wir eine kleine Pause ein.«

Herr Koberer wickelte das Mikrofonkabel auf und verließ den Rand der Tanzfläche.

Andreas führte Conny zum Tisch zurück. Dort warteten die beiden anderen schon auf sie. Begeistert sah Ulrike sie an, ihr war der Spaß an der Sache deutlich anzusehen.

»Wir holen etwas zu trinken. Darf es Mineralwasser sein?« Tief blickte Andreas in Connys blaue Augen und las die Antwort darin. Bei Ulrike begnügte er sich mit einem einfachen »Ja.«

Zusammen mit Martin verschwand er in Richtung Theke.

»Wie war's?« Begierig, die Erfahrungen ihrer Freundin zu hören, legte sich Ulrike fast auf den Tisch.

»Er tanzt wie ein junger Gott. Vom ersten Augenblick an habe ich mich bei ihm wohlgefühlt. Mit Schrecken denke ich an meine allererste Tanzstunde. Damals hatte ich das Gefühl, in einem Schraubstock zu stecken.«

Entspannt lehnte sich Conny in ihrem Sitz zurück und musterte ihre Freundin, die nach weiteren Informationen gierte.

»Und wie war es bei dir?«, erkundigte sich Conny. »Du kannst die Schritte doch um einiges besser als ich. Bei der Rumba hab ich zweimal einen Fehler gemacht. Du sicher keinen Einzigen.«

»Du hast mich durchschaut. Martin hat mir deswegen sogar ein Kompliment gemacht.«

Conny verdrehte die Augen und betrachtete ihre lackierten Fingernägel, deren Farbe perfekt auf ihren Rock abgestimmt war. »Ich denke, wir haben mit unseren Tanzpartnern den großen Fang gemacht - oder?«

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