Читать книгу Tennis oder Liebe - Lucy van Geldern - Страница 4

Kapitel

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Sandra wartete bereits ungeduldig im Foyer auf sie.

»Wie siehst denn du aus?«, rief sie ihr entgegen. »Ich habe dich ein paar Mal versucht zu erreichen, aber du bist nicht ans Handy gegangen.«

»Du hast ja recht. Es lag ausgeschaltet in der Küche.«

Unauffällig musterte Meike sich in der spiegelnden Eingangstür und zog eine Grimasse.

»Wieso fragst du? Ich sehe aus wie immer.«

»Von wegen, dein Gesicht spricht Bände. Du hast dich mit Michael gestritten. Deshalb ist er nicht mitgekommen.«

»Es ist etwas vorgefallen. Aber es hat nichts mit Michael zu tun.«

»Auch recht. Wo steckt er? Strengte ihn das Tennismatch so sehr an, dass er im Bett liegt und sich erholt?«

»Wenn es nach ihm ginge, wäre es vermutlich so. Falls ihn nicht vorher der Blitz erschlagen hätte.«

Meike erzählte ihrer besten Freundin von dem abgebrochenen Match und der Unterhaltung im Clubrestaurant.

»Ja, ja und als du ihn an diesen Termin erinnert hast, zog er eine Schnute. Richtig? Ich kenne doch Michael.«

»Und dann bat ihn der Erste Vorsitzende noch um ein Gespräch unter vier Augen.«

»Da war Michael aber erleichtert. Keine lästige Vernissage.« Sandra zog ihre Freundin mit sich und musterte sie verstohlen. »Er scheint der Meinung zu sein, dass du ihm für immer und ewig treu ergeben bist. Auch wenn er keine Zeit für dich hat.«

Entsetzt sah Meike Sandra an. »Natürlich bin ich treu. Was denkst denn du. Obwohl ich es jedes Mal schade finde, dass er mich bei kulturellen Veranstaltungen im Stich lässt.«

Mit einem Schulterzucken, das sowohl Resignation als auch Enttäuschung bedeutete, beendete Meike das leidige Thema und musterte ihre Freundin. Sandra trug, passend zu dem festlichen Anlass, ein elegantes Kleid. Die geschickte Anordnung der Rüschen kaschierte die Pölsterchen an den Hüften. Ihre lange krause Haarpracht bändigte sie mit einem Seidenband. Wie eine Diva stolzierte sie durch das Foyer in Richtung der Ausstellungsräume.

»Nun komm schon, lass den Kopf nicht hängen. Nutz die Gelegenheit, um dich ein bisschen zu vergnügen. Du bist so schlank und siehst umwerfend aus. Da drinnen stehen genügend Junggesellen herum, dankbar für jede Art der Aufmerksamkeit. Du brauchst nur zuzugreifen.«

Bei dem Stichwort zuzugreifen zuckte Meike zusammen. Der Zwischenfall mit Patrick stand wieder deutlich vor ihren Augen. Kurz überlegte sie, ob sie Sandra nicht davon erzählen sollte. Sie entschied sich dagegen.

Sandra zog sie am Arm. »Wir sollten uns das Buffet nicht durch die Lappen gehen lassen. Mein Chef hat wieder eine tolle Auswahl getroffen.«

»Es geht nicht um Michael«, betonte sie nochmals. »Aber du hast recht. Lassen wir uns nicht den Abend versauen. Hattest du mir nicht versprochen, mir den Künstler persönlich vorzustellen?«

»Ja, aber Ludwig Fabke ist noch nicht eingetroffen. Das Übliche, Verspätungen bei der Bahn.«

Sie bedienten sich am kalten Buffet. Sandra tat es wie immer sehr eingehend, und es entging ihr nicht, dass Meike fast keinen Bissen hinunterbrachte. Von da an fühlte sich Meike unablässig von ihr beobachtet.

Sie gingen an den Stellwänden entlang und betrachteten die Radierungen und Aquarelle. Sandra wusste zu jedem Bild Einzelheiten. Sie jobbte in den Semesterferien regelmäßig in dieser Galerie und schwärmte von Fabke. Besonders ein Werk hatte es ihr angetan. Es trug den Titel »Träume der Camargue«.

»Diese weißen, halbwilden Pferde faszinieren ihn über alles. Ganz früh am Morgen begab er sich auf die Pirsch, um sie zusammen mit den Flamingos zu zeichnen.«

Aufmerksam betrachtete Meike das Bild und lauschte den Worten ihrer Freundin. Der Künstler hatte mit einer Detailtreue gemalt, dass man das Bild mit einer Fotografie verwechseln konnte. Der Schwung des Schilfs, die Maserung des Gefieders, die Proportionen und der Ausdruck der Pferde, es stimmte einfach alles. Eine starke Ruhe ging von dem Bild aus. Urplötzlich verspürte sie Sehnsucht, dort einmal Urlaub zu machen. Vielleicht konnte sie ja Michael zu einem Campingurlaub in der Camargue überreden. Morgens würde er sie mit frischem Baguette überraschen, und den Nachmittag verbrachten sie gemeinsam an einem einsamen Strand.

»Die Bilder sind auf einer Rundreise durch Frankreich und Spanien entstanden.« Sandra zog sie zum nächsten Werk. Unermüdlich erzählte sie und übersah völlig, dass Meike mit ihren Gedanken längst woanders war.

»Du hast Glück. Herr Fabke ist eingetroffen.« Diese zwei Sätze, etwas lauter ausgesprochen, holten die Freundin aus ihrem Traum.

Sandra deutete auf zwei Männer, die von einer Gruppe Journalisten umlagert wurden. Den einen kannte Meike. Es war Sandras Chef. Seine Kleidung verströmte dieselbe Eleganz wie die Einrichtung der Galerie. Der andere war folglich der Künstler persönlich, aber er sah so gar nicht aus, wie Meike ihn sich vorgestellt hatte. Seine Zeichnungen und Aquarelle zeugten von einem ordentlichen und sauberen Stil. Dagegen schien der Künstler wenig wert auf sein Äußeres zu legen. Die Säume der Stoffhose waren unterschiedlich lang und die abgewetzte Strickjacke hatte schon bessere Tage erlebt. Seine schulterlangen, grau melierten Haare wurden von einem simplen, roten Gummi gebändigt.

Mit einem solchen Kontrast hatte sie nicht gerechnet. Zwar wusste sie, dass Künstler manchmal etwas extravagant waren, aber das?

Sandra steuerte zielstrebig auf die Gruppe zu und bahnte sich einen Weg zwischen die Journalisten durch.

»Hallo Herr Fabke, darf ich Ihnen meine Freundin Meike Sanders vorstellen?«

»Aber gern. Guten Tag.«

Blaue Augen blickten sie an, tief und unergründlich. Der Druck seiner schlanken Hand war kräftig, sein Lächeln ausgesprochen herzlich.

»Garantiert hat Ihnen Sandra schon viel erzählt«, meinte er. »Gefallen Ihnen meine Bilder?«

»Ja sehr. Besonders die »Träume der Camargue«.«

Ein Wort ergab das andere, und kurz darauf waren sie in ein ausführliches Gespräch vertieft. Begeistert blinzelte Sandra ihrer Freundin zu. Abgelenkt von den düsteren Gedanken, blühte Meike regelrecht auf. Die Damen und Herren von der Presse warteten ungeduldig.

»Es tut mir leid. Aber die Pflicht ruft«, sagte Ludwig Fabke nach einer Weile. Mit einer Geste des Bedauerns wandte er sich den Journalisten zu. »Die Zusammenstellung meiner Werke in dieser Ausstellung erfüllt einen bestimmten Zweck. Sie soll auf eine gefährdete Landschaft aufmerksam machen. In zwei Wochen reise ich erneut nach Südfrankreich, begleitet von einem Aufnahmeteam des Fernsehens.«

Sandra zupfte an ihrem Ärmel und dirigierte Meike zur nächsten Stellwand.

»Na, was habe ich gesagt? Er gehört zu den wirklich sympathischen Künstlern.«

»Ja, da hast du recht. Am Anfang war ich völlig perplex. Du hättest mich zumindest vorwarnen können.«

»Nee, ich wollte dein fassungsloses Gesicht sehen. Und diese Überraschung ist mir gelungen.«

»Das kannst du laut sagen.« Meike gähnte und sah verstohlen auf die Uhr. Halb zehn. Die Zeit verging wie im Flug. Und der lange Fußmarsch durch den Regen machte sich bemerkbar. Bleierne Müdigkeit breitete sich in ihren Gliedern aus.

»Ich muss früh raus«, murmelte sie entschuldigend. »Mein Job kommt nicht zu mir ins Haus. Ich mache mich unauffällig auf die Socken.«

»Wie du meinst. Ein Pech, dass die Vernissage diesmal ausgerechnet an einem Donnerstagabend stattfindet.«

»Genau. Niemand denkt an die arbeitende Bevölkerung. Samstag oder Sonntag wäre viel besser gewesen.«

»Wo du gerade den Sonntag erwähnst. Hast du am Sonntag Nachmittag Zeit? Wir haben schon seit Ewigkeiten nicht mehr zusammengesessen und geplaudert.«

»Natürlich habe ich Zeit. Michael ist garantiert auf dem Tennisplatz. Du kannst ja gegen drei Uhr bei mir eintrudeln.«

»Prima. Ich habe da etwas, was ich unbedingt mit dir besprechen muss.«

»Was denn«, erkundigte sich Meike, aber Sandra schüttelte nur den Kopf.

»Bis Sonntag dann.«

*

Verschlafen kuschelte Meike sich in ihre Decke. Ein vorwitziger Lichtstrahl stahl sich durch den Vorhang und malte bunte Kringel auf ihr Bett. Wie gut tat es, einmal etwas länger liegen bleiben zu dürfen. Diesen Samstagmorgen hatte sie frei, und niemand drängte sie, aufzustehen.

Wohlig schnaufend drehte sie sich auf die andere Seite und zog sich die Decke noch fester um das Kinn. Augenblicke später döste sie wieder ein. Doch der Wecker schien sich einen Spaß mit ihr zu machen. Er klingelte überraschend, und sie drehte sich demonstrativ auf die andere Seite. Das Klingeln aber blieb. Meike benötigte eine Weile, bis sie ganz wach war. Sie strich sich die verwuschelten Haare aus dem Gesicht und rieb sich die Augen.

Es war die Türglocke. Sie kannte nur einen, der um diese Tageszeit keine Hemmungen hatte.

Langsam wühlte sie sich aus ihrer Bettdecke, stand auf und schlüpfte auf dem Weg zur Tür in den Bademantel. Das Klingelkonzert begleitete sie. Ein prüfender Blick durch den Spion, es war, wie sie es nicht anders erwartet hatte - Michael. Mit freudig klopfendem Herzen drehte sie den Schlüssel um und öffnete die Tür.

»Guten Morgen, du Krachmacher.« Noch draußen auf dem Flur fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn.

»Ich habe uns frische Brötchen mitgebracht. Sie sind noch ganz warm.« Michael schob sie sanft in die Wohnung zurück. »Während du im Bad bist, decke ich schon einmal den Frühstückstisch.«

»Das ist eine tolle Idee. Bis gleich.« Nun völlig wach verschwand Meike ins Badezimmer und drehte die Dusche auf. Für ihre heutige Toilette benötigte sie nur die Hälfte der üblichen Zeit. Als sie erfrischt und wohlgelaunt den Flur betrat, roch es verführerisch nach Kaffee. Ein liebevoll gedeckter Tisch und ein zufriedener Michael erwarteten sie. Meike setzte sich, während ihr Freund den Kaffee einschenkte.

»Du wirst es kaum glauben«, sagte er aufgeregt und sah sie mit leuchtenden Augen an. »Herr Evers ist sehr beeindruckt von meinem Tennisspiel. Er hat irgendwas von Talent und förderungswürdig gesagt.«

Amüsiert beobachtete sie, wie er schwungvoll ein Brötchen aufschnitt. Die Krümel flogen in alle Richtungen und verteilten sich gleichmäßig auf Tisch und Küchenboden.

»Deshalb also wollte er dich sprechen. Und ich dachte, du hättest etwas verbrochen.«

»Wo denkst du hin. Ich soll mein Training forcieren und an ein paar Lehrgängen teilnehmen.«

Michaels Begeisterung wirkte richtig ansteckend, aber da schlich sich etwas anderes in Meikes Gedanken. Doch sie wollte sich nicht am frühen Morgen schon den Tag vermiesen lassen.

»Wie sieht es aus, gehen wir heute in den Zoo? Dort ist ein Elefantenbaby zur Welt gekommen. Das würde ich mir gern ansehen.«

Michael verzog das Gesicht. Übergangslos schien eine eisige Kälte in der Küche zu herrschen.

»Nein, auf was für Ideen du kommst - Elefantenbabys. Ich dachte eigentlich, wir fahren gleich in den Tennisclub. Heute Morgen ein bisschen Konditions- und Aufwärmtraining, und am Nachmittag gibt es eine Unterrichtseinheit.« Er belegte sein Brötchen üppig mit Wurst und blickte in die Ferne.

Meike war inzwischen der Spaß am gemeinsamen Frühstück vergangen. Von Anfang an hatte ihre Beziehung unter seiner Tennisbegeisterung gelitten, aber in letzter Zeit übertrieb er eindeutig. Ihr Mund fühlte sich staubtrocken an. Hastig griff sie nach der Kaffeetasse und spülte das unangenehme Gefühl hinunter. Mit beiden Händen hielt sie sich an der Tasse fest und legte sich ein paar schlagkräftige Argumente zurecht.

»Man wollte meinen, dass du mit dem Club verheiratet bist«, flüsterte sie. »Meinst du nicht, dass es ausreicht, wenn wir heute Nachmittag hinfahren? Ich hatte mich so sehr auf einen gemütlichen, kuscheligen Vormittag mit dir gefreut. Wir müssen ja nicht unbedingt in den Zoo.« Sie schwieg und blickte ihren Freund an. Bei jedem einzelnen Wort hatte sich sein Gesicht zusehends verdüstert. Das angebissene Brötchen lag achtlos auf dem Teller.

»Du verstehst das nicht. Es ist abgemacht, dass ich heute Morgen trainiere. Ein wenig Kondition würde auch dir nicht schaden. Du kannst aber gern zu Hause bleiben, falls dir das lieber ist.«

Enttäuscht sprang sie auf, und klatschte mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Wozu bist du dann gekommen? Ich bin davon ausgegangen, dass wir das Wochenende gemeinsam verbringen. Wieso verplanst du unsere Zeit so freizügig?« Langsam kam Meike in Fahrt. Ihre Hände verkrampften sich im Tischtuch. »Wer gibt dir das Recht dazu? Immer nur dieses eine Wort: Tennis. Hast du überhaupt noch Sinn für andere Dinge?«

»Ja, für meinen Beruf zum Beispiel. Versicherungskaufmann, der Job für die Zukunft.« Er schob seine Tasse so schwungvoll beiseite, dass der Kaffee überschwappte. »Die ganze Woche sitze ich am Schreitisch. Abends reicht es gerade eben noch für eine kurze Trainingseinheit. Da bin ich froh über jedes Wochenende.«

»Bitte, Michael. Seit einem halben Jahr waren wir nicht mehr im Kino. Und bei der Vernissage hast du mich einfach sitzen lassen.«

»Das stimmt nicht«, konterte er. »Ich konnte dich nur nicht begleiten, da eine andere, wichtige Sache dazwischen kam. Patrick war doch so nett und hat dich nach Hause gebracht. Und garantiert wäre er gern mitgegangen. Was willst du eigentlich?«

Meike schluckte heftig. Von dem Zwischenfall wusste bis jetzt noch keiner.

»Und du hast deinen Ruf als Spitzenspieler gepflegt. Echt schade, wie wenig Interesse du an unserer Beziehung hast. Das Wort »Gemeinsamkeit« scheint bei dir ein Fremdwort zu sein.«

Böse starrte er sie an.

»Ich fahre jetzt zum Tennisclub. Wenn du dich beeilst, kannst du mitkommen.« Er stand auf und räumte sein Geschirr in die Spüle.

»Nein, ich komme nicht mit.«

»Also gut.« Deutlich hörte Meike, wie seine Stimme vor Wut vibrierte, als er ihr antwortete. »Dann setze du doch deinen Dickkopf durch. Wenn du nichts von meiner Tenniskarriere wissen willst, bleib hier.«

Ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, ging er hinaus und knallte lautstark die Tür hinter sich zu.

*

»Er ist einfach gegangen?«, erkundigte sich Sandra. »Das darf ja nicht wahr sein.«

»Doch, leider.« Meike starrte den grauen Teppichboden an, suchte nach nicht vorhandenen Fusseln.

»Das ist unglaublich. Hat er sich wenigstens bei dir gemeldet und sich entschuldigt?«

»Nein, bis jetzt nicht. Ich warte schon den ganzen Tag auf eine SMS oder seinen Anruf.« Meike zog die Knie an den Körper und faltete die Arme darum. »Meinst du, dass ich richtig gehandelt habe? Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Zum einen bin ich froh, dass er noch nicht angerufen hat. Zum anderen vermisse ich ihn.«

»Unsinn. Natürlich hast du richtig gehandelt. Dein Michael übertreibt seine Sportmasche gewaltig. So ein rücksichtsloser Freund kann dir doch gestohlen bleiben.«

»Ich liebe ihn.« gequält seufzte Maike auf, und schnappte sich ihr Handy und prüfte die eingegangenen Nachrichten.

»Da wäre ich mir nicht ganz sicher.«

Sandra nahm ihr liebevoll aber entschlossen das Handy aus der Hand und streichelte ihrer Freundin sanft über den Rücken. Den gedeckten Wohnzimmertisch beachtete keine von beiden. Unbenutzt stand das Geschirr da, und der Kuchen vertrocknete.

»Ich habe mir in letzter Zeit Gedanken über deinen Michael gemacht. Es fällt doch jedem auf, dass du ständig allein auf Achse bist.«

Meike saß auf dem Sofa und starrte ihr Handy an. Die Sehnsucht nach Michael zerriss sie schier. Nicht nur seine liebevollen Umarmungen und die feurigen Küsse fehlten ihr. Warum nur ließ er sie immer wieder in stich?

»Hörst du mir noch zu?« Sandra knuffte sie in die Seite. »Aufwachen und die Ohren spitzen. Ich habe hier etwas für dich.« Sie wedelte mit zwei bunt bedruckten Seiten vor ihrer Nase herum. »Du musst das lesen, sofort und sehr aufmerksam.«

Ohne sonderliches Interesse nahm Meike die zwei Blätter, die ihre Freundin aus einer Illustrierten herausgerissen hatte, und studierte die Schlagzeile. »Ein Mann für gewisse Stunden« - was soll ich damit?«

»Erst lesen, dann fragen.«

Meike schwieg und vertiefte sich, ihrer Freundin zu liebe, in den Artikel. Nach wenigen Minuten blickte sie auf.

»Klingt ganz nett. Doch was hat Jemand, der sich als Callboy oder Escort-Mann anbietet, mit mir zu tun?« Sie faltete die Blätter zusammen und gab sie Sandra zurück.

»Viel. Warum mietest du dir nicht einen Mann? Das ist die Gelegenheit, Michael eifersüchtig zu machen.«

Völlig überrollt von diesem Vorschlag, schnappte Meike nach Luft. »Nie im Leben. Du hast 'ne Meise.«

»Wieso? Es ist doch nur die logische Konsequenz. Michael muss merken, dass du auch ohne ihn auskommst. Wenn er sieht, wie du dich mit einem anderen vergnügst, sollte ihm das zu denken geben. Ja, er soll auf ganzer Linie eifersüchtig werden. Dann kommt er garantiert nicht mehr auf die Idee, dich ständig im Stich zu lassen.«

Tröpfchenweise sickerten die Worte in Meikes Bewusstsein. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Zu abenteuerlich klang das, was ihr Sandra da vorschlug. Einen Freund auf Zeit. Sie schüttelte den Kopf.

»Nein?« Sandra klang wie der personifizierte Vorwurf. »Die Idee ist einmalig. Du musst den anderen nicht lieben. Er tut nur seinen Job.«

»Ich bin für so etwas nicht zu haben.« Demonstrativ starrte Meike auf ihre Fußspitzen. Sie konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, mit einem Fremden auf Tour zu gehen. Alles in ihr sträubte sich dagegen. Wie sollte das überhaupt laufen? Sie versuchte, ihre Gefühle zu sortieren und die Sache von der nüchternen Seite aus zu betrachten. Statt mit dem selbstverliebten Michael spontan mit einem Fremden in den Zoo. Warum eigentlich nicht? Langsam fand sie Gefallen an dieser Idee.

»Du bist eine verrückte Nudel, Sandra. Wie soll ich mir so einen Callboy für ein paar Wochen leisten? Der treibt mich in den Ruin. Mein Geld ist schon jetzt knapp.«

In gespielter Verzweiflung schüttelte Sandra mit dem Kopf. »Wo soll das nur mit dir enden? Du beschäftigst ihn doch nicht Tag und Nacht. Du verabredest dich mit ihm, wenn Michael dich versetzt. Dann besuchst du mit deinem Ersatzmann die Vernissage oder gehst mit ihm ins Kino. Am Ende bezahlst du ihn und verschwindest nach Hause. Du gehst dabei keinerlei Verpflichtungen ein. Michael hat doch keine Ahnung davon, dass du ihm nur etwas vorspielst. Er wird denken, dass du jetzt einen anderen Freund hast. Und schwupp steht er vor deiner Tür und wird dich auf Knien um Verzeihung bitten.«

Sandras Augen glühten, ihr Gesicht war gerötet. Sie hatte sich regelrecht in Begeisterung geredet. Und sie schien Recht zu haben. Andere Möglichkeiten, Michael endgültig für sich zu gewinnen, gab es nicht.

»Hast du eine Ahnung, wie teuer so ein Callboy ist?«, fragte Meike vorsichtig. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein besonders preiswertes Vergnügen ist.«

»Das ist kein Problem. Da die Idee von mir ist, beteilige ich mich an den Kosten. Das ist es mir wert. Sein Gesicht möchte ich sehen, wenn du mit einem anderen gehst. Stell dir mal vor, wie blöd er aus der Wäsche guckt, wenn er das mitbekommt.« Sandra lachte vergnügt auf.

»Also gut. Wie soll ich es anstellen?« Voller Energie und Elan sprang Meike auf, und aktivierte die Kaffeemaschine. Laut brummend lieferte der Automat in wenigen Augenblicken einen frisch gebrühten Kaffee.

Währenddessen holte Sandra eine Kleinanzeige aus ihrer Handtasche. »Das stand vergangene Woche im Käseblättchen. Am besten, du rufst sofort an. Ich hole mir inzwischen auch einen Kaffee.«

Mit vor Aufregung zitternden Fingern nahm Meike den Fetzen Papier. Neugierig las sie die Anzeige: »Einsam? Suchen Sie einen Begleiter für nette Stunden? Junger, kultivierter Mann, 25 Jahre, leistet Ihnen bei jeder Gelegenheit Gesellschaft.« Es folgte die Telefonnummer.

»Das passt«, meinte sie, und nippte am heißen Kaffee. Jetzt schmeckte ihr das Gebräu endlich wieder. »Er ist gerade mal drei Jahre älter als ich. Kultiviert. Was habe ich denn darunter zu verstehen? Einwandfreie Tischmanieren? Sicher legt er die Füße nicht auf den Tisch.«

»Halt. Schön auf dem Boden bleiben. Es ist völlig egal, wie er sich benimmt. Hauptsache, er begleitet dich, ohne zu murren.«

Auffordernd hielt sie ihrer Freundin das Handy vor die Nase.

»Los, Ruf an!«

Meike holte tief Luft und tippte die Rufnummer ein. Insgeheim wünschte sie sich, dass besetzt war. Aber sie hatte Pech. Nach dem fünften Freizeichen erklang eine freundliche Männerstimme.

»Guten Tag. Hier spricht Jan-Erik Mölders. Leider bin ich zurzeit im Urlaub und nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie nach dem Signalton eine Nachricht und Ihre Nummer. Ich rufe Sie zurück. Auf Wiederhören.«

Ein ungewohntes Gefühl, das aus einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung bestand, machte sich in Meike breit. Sie wartete auf das Signal, nannte ihren Namen und die Rufnummer und bat um baldigen Rückruf.

»Das ging ja wie geschmiert«, lobte Sandra und nahm ihr das Handy aus der Hand. »Was hat der Anrufbeantworter gesagt?«

»Wenig. Der Herr heißt Jan-Erik und ist zurzeit auf Urlaub. Er verspricht, sich zu melden.«

»Na ja, besser als nichts.« Sandra räumte das Telefon fort und hockte sich zu ihrer Freundin auf das Sofa. »Setzt dich doch nachher hin und google diesen Namen und jetzt lass uns endlich den Kuchen essen. Sonst bringe ich dir nie wieder etwas mit.«

Tennis oder Liebe

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