Читать книгу Die Majoratsherren - Ludwig Achim von Arnim - Страница 1

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Wir durchblätterten eben einen ältern Kalender, dessen Kupferstiche manche Torheiten seiner Zeit abspiegeln. Liegt sie doch jetzt schon wie eine Fabelwelt hinter uns! Wie reich erfüllt war damals die Welt, ehe die allgemeine Revolution, welche von Frankreich den Namen erhielt, alle Formen zusammenstürzte; wie gleichförmig arm ist sie geworden! Jahrhunderte scheinen seit jener Zeit vergangen, und nur mit Mühe erinnern wir uns, daß unsere früheren Jahre ihr zugehörten. Aus der Tiefe dieser Seltsamkeiten, die uns Chodowieckis Meisterhand bewahrt hat, läßt sich die damalige Höhe geistiger Klarheit erraten; diese ermißt sich sogar am leichtesten an den Schattenbildern derer, die ihr im Wege standen, und die sie riesenhaft über die Erde hingezeichnet hat. Welche Gliederung und Abstufung, die sich nicht bloß im Äußern der Gesellschaft zeigte! Jeder einzelne war wieder auch in seinem Ansehn, in seiner Kleidung eine eigene Welt, jeder richtete sich gleichsam für die Ewigkeit auf dieser Erde ein, und wie für alle gesorgt war, so befriedigten auch Geisterbeschwörer und Geisterseher, geheime Gesellschaften und geheimnisvolle Abenteurer, Wundärzte und prophetische Kranke die tiefgeheime Sehnsucht des Herzens, aus der verschlossenen Brusthöhle hinausblicken zu können. Beachten wir den Reichtum dieser Erscheinungen, so drängt sich die Vermutung auf, als ob jenes Menschengeschlecht sich zu voreilig einer höheren Welt genahet habe und, geblendet vom Glanze der halbentschleierten, zur dämmernden Zukunft in frevelnder Selbstvernichtung fortgedrängt, durch die Notdurft an die Gegenwart der Erde gebunden werden mußte, die aller Kraft bedarf und uns in ruhiger Folge jede Anstrengung belohnt.

Mit wie vielen Jahrhunderten war jene Zeit durch Stiftungen aller Art verbunden, die alle ernst und wichtig gegen jede Änderung geschützt wurden! So stand in der großen Stadt … das Majoratshaus der Herren von … obgleich seit dreißig Jahren unbewohnt, doch nach dem Inhalte der Stiftung mit Möbeln und Gerät so vollständig erhalten, zu niemands Gebrauch und zu jedermanns Anschauen, daß es, trotz seiner Altertümlichkeit, noch immer für eine besondere Merkwürdigkeit der Stadt gelten konnte. Da wurde jährlich, der Stiftung gemäß, eine bestimmte Summe zur Vermehrung des Silbergeschirrs, des Tischzeugs, der Gemälde, kurz zu allem dem verwendet, was in der Einrichtung eines Hauses auf Dauer Anspruch machen kann, und vor allem hatte sich ein Reichtum der kostbarsten, ältesten Weine in den Kellern gesammelt. Der Majoratsherr lebte mit seiner Mutter in der Fremde und brauchte bei dem übrigen Umfange seiner Einnahme nicht zu vermissen, was er in diesem Hause unbenutzt ließ. Der Haushofmeister zog der Stiftung gemäß alle Uhren auf und fütterte eine bestimmte Zahl von Katzen, welche die nagenden Mäuse wegfangen sollten, und teilte jeden Sonnabend eine gewisse Zahl von Pfennigen an die Armen im Hofe aus. Leicht hätten sich unter diesen Armen, wenn sie sich dessen nicht geschämt hätten, die Verwandten dieses Hauses einfinden können, dessen jüngere Linien bei der Bildung des großen Majorats völlig vergessen worden waren. Überhaupt schien das Majorat wenig Segen zu bringen, denn die reichen Besitzer waren selten ihres Reichtums froh geworden, während die Nichtbesitzer mit Neid zu ihnen aufblickten.

So ging täglich vor dem Majoratsgebäude zu bestimmter Stunde ein Vetter des jetzigen Besitzers, ihm durch dreißig Jahre überlegen, aber an Vermögen ihm sehr untergeordnet, mit ernsten Schritten vorbei und schüttelte den Kopf und nahm eine Prise Tabak. Niemand war vielleicht so bekannt bei alt und jung in der ganzen Stadt, wie dieser alte, rotnasige Herr, der gleich dem eisernen Ritter an der Rathausuhr durch sein Heraustreten, noch ehe die Glocke angeschlagen, den Knaben zur Erinnerung der Schulstunde diente, den älteren Bürgern aber als wandernde Probeuhr, um ihre hölzernen Kuckucksuhren darnach zu stellen. Er trug bei den verschiedenartigen Klassen von Leuten verschiedene Namen. Bei den Vornehmen hieß er der Vetter, weil seine Verwandtschaft mit den ersten Familien des Reiches unleugbar und er diese einzige, ihm übrig gebliebene Ehre auch gern mit dieser Anrede geltend machte. Unter den gemeinen Leuten hieß er nur der Leutnant, weil er diese Stelle in seinen jungen Jahren bekleidet hatte, sowie sie ihn noch jetzt bekleiden mußte. Es schien ihm nämlich völlig unbekannt, daß der Kleiderschnitt sich in den dreißig Jahren, die seitdem verflossen, gar sehr verändert hatte. Etwas stärker mochte das Tuch damals wohl noch gearbeitet werden, das zeigten jetzt die mächtigen, wohlgedrehten Fäden, nachdem die Wolle abgetragen war. Der rote Kragen war schon mehr verdorben und gleichsam lackiert; die Knöpfe aber hatten die Kupferröte seiner Nase angenommen. Gleiche Farbe zeigte auch der fuchsrote, dreieckige Militärhut mit der wollenen Feder. Das Bedenklichste des ganzen Anzuges war aber das Portepee, weil es nur mit einem Faden am Schwerte, wie das Schwert über dem Haupte des Tyrannen am Haare, hing. Das Schwert hatte leider das Unglück des armen Teufels gemacht und den Lebensfaden eines vom Hofe begünstigten Nebenbuhlers in den Bewerbungen bei einer Hofdame durchschnitten; und diese unglückliche Ehrensache, bei welcher ihm doch niemand mehr Schuld als seinem Gegner zumessen konnte, hatte seine militärische Laufbahn versperrt. Wie er sich seitdem durch die Welt fortgeholfen, war freilich seltsam, aber es war ihm doch gelungen. Er hatte eine höchst vollständige Wappensammlung mit unablässig dreistem Fordern und unermüdlichem Briefschreiben zusammengebracht, verstand diese in verschiedenen Massen nachzuformen, auch abzumalen, wo jenes nicht gelang, sauber aufzukleben, und verkaufte diese Sammlungen durch Vermittlung eines Buchhändlers zu hohen Preisen, sowohl zum Bedürfnisse der Erwachsenen als der Kinder eingerichtet.

Nebenher war es eine Liebhaberei von ihm, Truthähne und anderes Federvieh zu mästen und Raubtauben über die Stadt auszusenden, die immer mit einigen Überfliegenden in die geheime Öffnung seines Daches heimkehrten. Diesen Handel besorgte ihm seine Aufwärterin Ursula, eine treue Seele; ihm durfte niemand von diesem Handel sprechen, ohne sich Händel zuzuziehen. Von dem Erworbenen hatte er sich ein elendes, finsteres Haus im schlechtesten Teile der Stadt, neben der Judengasse, und vielerlei alten Kram gekauft, womit die Auktionen seine Zimmer geschmückt hatten, die er dabei in einer Ordnung erhielt und in einer Einsamkeit, daß niemand wußte, wie es eigentlich darin aussehe. Übrigens war er ein fleißiger Kirchengänger und setzte sich da einer Wand gegenüber, die mit alten Wappen von Erbbegräbnissen geschmückt war, machte aber übrigens alles mit wie andere Menschen, welche in die Kirche zum Zuhören gehen. Nach der Kirche aber pflegte er jedesmal bei der alten Hofdame anzutreten, vor deren Tür er an anderen Tagen mit einer Prise Schneeberger Schnupftabak, auf die er wohl funfzig Male niesen mußte, den geckenhaften schöntuenden Hahnentritt und Stutzerlauf sich vertrieb, der ihn in das Haus hineinzutreiben drohte, während ihm dabei der Degen, den er nach alter Art durch die Rocktasche gesteckt hatte, zwischen die Beine schlenkerte. Diese alte, hochauf frisierte, schneeweiß eingepuderte, feurig geschminkte, mit Schönpflästerchen beklebte Hofdame übte auch nach jenem unglücklichen Zweikampfe seit dreißig Jahren dieselbe zärtliche Gewalt über ihn aus, ohne daß sie ihm je ein entscheidendes Zeichen der Erwiderung gegeben hatte.

Er besang sie fast täglich in allerlei erdichteten Verhältnissen, in kernhaften Reimen, wagte es aber nie, ihr diese Ergießungen seiner Muse vorzulegen, weil er vor ihrem Geist besondere Furcht hegte. Ihren großen, schwarzen Pudel Sonntags in ihrer Nähe unter hergebrachten Fragen zu kämmen, war der ganze Gewinn des heiß erflehten Sonntags; aber ihr Dank dafür, dies angenehme Lächeln, war auch ein reicher Lohn, – wer ihn nur zu schätzen wußte. Andern Leuten schien dies starre, in weiß und rot mit blauen Adern gemalte Antlitz, das am Fenster unbeweglich auf eine Filetarbeit oder in den Spiegel der nahen Toilette blickte, eher wie ein seltsames Wirtsschild. Sie lebte übrigens sehr anständig von den Pensionen zweier Prinzessinnen, die sie bedient und überlebt hatte, und die Besuche von Hofleuten und Diplomaten an ihrer silbernen Toilette, während welcher sie vielerlei Brühen zur Erhaltung ihrer Schönheit zu genießen pflegte, waren zu einer herkömmlichen Feierlichkeit geworden und zugleich zu einer Gelegenheit, die Neuigkeiten des Tages auszutauschen.

Es geschah aber an einem Frühlingssonntage, daß die Hofdame durch ein Zusammenlaufen der Leute in der Straße auf eine außerordentliche Neuigkeit aufmerksam gemacht wurde. Diese Außerordentlichkeit war aber diesmal der Leutnant, oder vielmehr sein vom Frühling verjüngtes Laub. Ein neuer, moderner Hut mit einer Feder statt der Wolle, ein glänzendes Degengehenk, eine neue Uniform mit geschmälerten Rockschößen, verkürzten Taschen an der Weste und neue, schwarze Samthosen verkündeten eine neue Periode der Weltgeschichte. Auch trat der Leutnant bald mit frohem Gesichte ins Zimmer und mit dem Berichte ihr entgegen: „Liebe Kusine, der Majoratsherr kommt in diesen Tagen; seine Mutter ist gestorben, ihm ist von einer prophetischen Kranken geraten, hierher zu gehen, wo er seine Ruhe finden werde, nachdem ihn ein heftiges Fieber um seine Gesundheit gebracht hat. Nun denken Sie sich, der junge Mann hat aus den Erzählungen der Mutter einen Abscheu gegen das Majoratshaus; er will durchaus bei mir wohnen und hat mich ersucht, ihm bei mir ein Zimmer recht bequem einzurichten, wozu er mir ein Kapital übermache. Mein Häuschen ist für einen so verwöhnten, reichen Herrn nicht eingerichtet; in unsern hohen Familien ist es leider wie bei den Katzen, ein junges wird als erstgebornes gut aufgefüttert, und alle jüngern Geschwister werden ins Wasser geworfen.“ – „Sie waren einmal schon recht nahe, das Majorat zu erhalten?“ sagte die Hofdame. – „Freilich,“ antwortete er, „ich war dreißig Jahre alt, mein Oheim sechzig und hatte in erster Ehe keine Kinder bekommen. Da fällt es ihm ein, noch einmal ein junges Fräulein zu heiraten. Umso besser, dachte ich, die Junge ist des Alten Tod. Aber umso schlechter gings; sie brachte ihm kurz vor seinem Tode einen jungen Sohn, diesen Majoratsherrn, – und ich hatte nichts!“ – „Wenn der junge Mann stürbe, würden Sie Majoratsherr,“ sagte ruhig die Hofdame; „junge Leute können sterben, alte Leute müssen sterben.“ – „Leider!“ antwortete der Leutnant; „der Prediger sprach heute auch davon auf der Kanzel.“ – „Was wurde denn gesungen?“ fragte die Hofdame; „ich wollte es zu meiner Hausandacht wissen.“ – Der Leutnant schlug die Lieder auf; sie sang leise, und er kämmte den Pudel nach Gewohnheit, indem er ihr mit Bewunderung zuhörte. – Als er sich empfahl, trug ihm die Hofdame auf, den jungen Vetter doch gleich, wenn er angekommen, bei ihr einzuführen.

Als der Leutnant zu Hause kam, trat ihm ein großer, bleicher, junger Mann entgegen, in einer Kleidung, wie er sie noch nicht gesehen: seine Haare waren phantastisch ohne strenge Ordnung emporfrisiert, und Figaroslocken in leichten, dünnen Röhren umliefen wie ein Halbkreis die Ohren. Hinten vereinigte ein dicker Katillon die Haare, welche in einer Locke hinübergekämmt waren. Ein streifiger Rock mit prächtigen Stahlknöpfen und große silberne Schuhschnallen verrieten ihm den Reichtum des Majoratsherrn. Auch dieser hatte aus den Briefen an die Mutter gleich den Vetter erraten und berichtete ihm, daß er Tag und Nacht mit Kurierpferden gereist sei und ihm nicht genug sein Wohlgefallen über das Haus ausdrücken könne, das ganz nach seinem Geschmack sei, nur müsse er ihm erlauben, daß er neben dem für ihn bereiteten großen Zimmer auch ein kleines nehme, das nach der engen Gasse hinaussehe; denn da er nie oder selten ausgehe, so liebe er vor allem diese Beweglichkeit der engen Straßen. – Der Vetter bewilligte ihm gern das schlechte Zimmer an der Judengasse und wollte gleich Anstalt machen, die trüben, von der Sonne verbrannten Fenster durch andere mit großen Scheiben zu ersetzen. —

„Mein lieber Herr Vetter!“ rief der Majoratsherr, „diese trüben Scheiben sind meine Wonne; denn sehen Sie, durch diese eine helle Stelle seh ich einem Mädchen ins Zimmer, das mich in jeder Miene und Bewegung an meine Mutter erinnert, ohne daß sie mich bemerken kann.“ – „Ei, das gesteh ich,“ sagte der Vetter und setzte sich in die Schultern und fing an gegen das Fenster zu streichen, mit seinem Liebestritt, daß er in Eil eine Prise nahm, nieste und kaltblütig sagte: „Die da ist ein Schickselchen.“ – „Mein Schicksal?“ fragte der Majoratsherr bestürzt. „Wie Sie es nennen wollen,“ fuhr der Vetter fort, „ein Schicksalchen also, ein Judenmädchen; sie heißt Esther, hat unten in der Gasse ihren Laden, eine gebildete Jüdin, hat sonst mit ihrem Vater, der ein großer Roßtäuscher war, alle Städte besucht, alle vornehme Herren bei sich gesehen, spricht alle Sprachen; das war eine Pracht, wenn sie hier ankam, und die Stiefmutter Vasthi mit den jüngern Kindern ging ihnen in Schmutz entgegen. Es konnte niemand was dagegen sagen; die Ursach, warum? Weil sie mit ihrem Wesen dem Vater gute Käufer anlockte. Aber zuletzt hatte der Vater großes Unglück durch einen Handelsgenossen, der ihm mit dem Vermögen durchging. Da gings ihm knapp; das konnt er nicht vertragen und starb. Dieser Tochter erster Ehe, der Esther, hinterließ er ein kleines Kapital, damit sie von der Stiefmutter nicht zu Tode gequält würde; aber das läßt sich die alte Vasthi doch nicht nehmen.“ – „Das ist ja entsetzlich!“ sagte der Majoratsherr, „zwei Leute, die sich hassen, die sich totärgern, in einem Hause! Ich habe die alte Vasthi auch schon am Fenster gesehen: ein schrecklich Gesicht!“ – „Sie wohnen wohl in einem Hause,“ antwortete der Vetter, „aber jede hat ihren besonderen Laden und Wohnung.“ – „Ich will ihr bald etwas zu verdienen geben,“ sagte der Majoratsherr. „Es scheinen hier viele Juden zu wohnen.“ „Nichts als Juden,“ rief der Vetter, „das ist die Judengasse, da sind sie zusammengedrängt wie die Ameisen; das ist ein ewig Schachern und Zanken und Zeremonienmachen, und immer haben sie so viel Plackerei mit ihrem bißchen Essen; bald ist es ihnen verboten, bald ist es ihnen befohlen, bald sollen sie kein Feuer anmachen; kurz der Teufel ist bei ihnen immer los.“ – „Nein, lieber Vetter, Sie irren sich darin,“ sagte der Majoratsherr und drückte ihm die Hände. „Wenn Sie gesehen hätten, was ich in Paris bei meiner Kranken sah, Sie könnten den Teufel nicht für den Vater des Glaubens ansehen; nein, ich versichere es Ihnen, er ist der Feind allen Glaubens! Aller Glaube, der geglaubt wird, kommt von Gott und ist wahr, und ich schwöre Ihnen, selbst die heidnischen Götter, die wir jetzt nur als eine lächerliche Verzierung ansehen, leben noch jetzt, haben freilich nicht mehr ihre alte Macht, aber sie wirken doch immer etwas mehr als gewöhnliche Menschen, und ich möchte von keinem schlecht sprechen. Ich habe sie alle mit meinem zweiten Augenpaar gesehen, sogar gesprochen.“ – „Ei der Tausend, da erstaune ich,“ rief der Vetter, „das könnte uns erstaunliches Gewicht bei Hofe geben, wenn wir sie den hohen Herrschaften zeigen könnten.“ – „So geht das nicht, lieber Vetter,“ antwortete jener ernst, „der Mensch, der sie sieht, muß noch mehr darauf vorbereitet sein durch jahrelanges Nachdenken, als jene Geister, die ihm erscheinen sollen; sonst entsetzen sich beide voreinander, und der sterbliche Teil erträgt es nicht. Aber wer auch bis zu der innern Welt vorgedrungen, – wenn auch noch scheinbar lebend wie ich – ist dennoch abgestorben bei ihrem Bestreben, ihrer Tätigkeit. Das wußte meine Mutter von mir und war darum so unruhig auf ihrem Totenbette, was aus mir werden sollte. Sie hatte bis dahin alle Geschäfte mit großer Einsicht und Ordnung betrieben, während ich mich den Studien und der Beschauung hingab. Ich habe meine Zeit mit großer Anstrengung genutzt, ich habe gerungen wie keiner, ich habe erreicht, was wenigen zuteil geworden. Aber verloren war ich, erdrückt, bis zum Wahnsinn zerstreut von den Geschäften, die nach dem Tode der Mutter auf mich eindrangen, ich wollte mich bezwingen, das Höhere dem Niedern zu opfern; die Qual brachte mich um meine Gesundheit. Eine Kranke, deren Blick weit reicht, sagte mir zu, daß ich hier Ruhe finden würde bei Ihnen, Vetter; Sie hätten ein seltenes Geschick für das praktische Leben, mein Vermögen würde sich unter Ihrer Spekulation verdreifachen. O Vetter! nehmen Sie mir die Last des Geldes und der Güter ab, genießen Sie des Reichtums, ich brauche wenig, und auch auf den Fall, daß ich den Luftgeist der Erde wieder binden könnte, daß Kinder mein Haus füllten, soll Ihnen die Hälfte meiner Einnahmen für die Besorgung des Ganzen bleiben.“ – Bei diesem Vortrage flossen zwei edle Tränen aus den Augen des Majoratsherrn, während die großen Augen des Vetters mit heraufgezogenen Augenbrauen ihn verwunderlich von der Seite anstierten, ohne dem köstlichen Vortrage Glauben beimessen zu können. Dann fuhr der Majoratsherr, um das Gespräch zu ändern, fort: „Als ich mit schwellendem Gefühl, was mir in der Stadt bevorstehe, in welcher der Kreis meines Lebens angefangen, die große Straße herabfuhr, da begegneten mir ausgemergelte Leute, die sich kaum zu den Kaffeehäusern hinbewegen konnten, denn sie wurden fast gewaltsam an den Röcken von unglücklichen Seelen zurückgezogen, die wegen ungeendigter Prozesse nicht zur Ruhe kommen konnten und jammervolle Vorstellungen ihnen nachtrugen. Auch meinen Vater sah ich dabei wegen des einen Konkursprozesses, dessen Ende wohl keiner erleben wird. Schaffen Sie Ruhe seiner Seele, lieber Vetter, ich bin zu schwach.“ – „Wahrhaftig,“ rief der Vetter, „zu dem Tore gehen Sonntags die Räte, Schreiber und Kalkulatoren des großen Gerichts gewöhnlich mit ihren Frauen und Kindern zum Kaffeegarten hinaus.“ – „Der Postillon meinte auch, das wären Kinder, die sich ihnen an die Röcke gehangen“, fuhr der Majoratsherr fort, „aber solche jammervolle Gesichter haben Kinder nicht, das sind die Plagegeister, die sie wegen ihrer Nachlässigkeit umgeben. Lieber Vetter! befriedigen Sie meines Vaters, Ihres Oheims, arme Seele.“ – Der Vetter sah sich ängstlich in dem trüben Zimmer um, ihm war es zumute, als ob die Geister, wie der Schnupfen, in der Luft lägen. „Alles, alles will ich tun, was sie wünschen, bester Vetter“, rief er dann, „ich bin nicht glücklich, wenn ich nicht so etwas zu betreiben habe. Prozesse sind mir lieber als Liebeshistorien, und Ihre Angelegenheiten sollen bald in eine Ordnung kommen wie meine Wappensammlung.“

Bei diesen Worten führte er ihn in ein Vorderzimmer und hoffte, den Majoratsherrn durch den Anblick seiner zierlichen, gebohnten Schiebkasten, in welchen die Wappen, zum Teil mit Zinnober abgedrückt, die Namen in Frakturschrift beigefügt, glänzten, zu zerstreuen und zu befriedigen. Der Majoratsherr schien auch hierin, wie in allen Kenntnissen wohlbewandert; der Vetter mußte seine Bemerkungen achten. Als er aber den Schrank mit dem französischen Wappen eröffnete, da fuhr der Majoratsherr auf: „Gott! welch ein Lärmen! Wie die alten Ritter nach ihren Helmen suchen, und sie sind ihnen zu klein, und ihre Wappen sind mottenfräßig, ihre Schilde vom Rost durchlöchert; das bricht zusammen, ich halte es nicht aus, mir schwindelt, und mein Herz kann den Jammer nicht ertragen!“ Der Vetter rückte den unglücklichen Schrank fort und führte den Majoratsherrn ans Fenster, daß er Luft schöpfen möchte. „Und wer fährt dort?“ rief er, „der Tod sitzt auf dem Bocke, Hunger und Schmerz zwischen den Pferden, einbeinige und einarmige Geister fliegen um den Wagen und fordern Arme und Beine von dem Grausamen zurück, der sie mit kannibalischer Begierde ansieht. Seine Ankläger laufen mit Geschrei hinter ihm drein; es sind die Seelen, die er vorzeitig der Welt entriß – bester Vetter! ist denn hier keine Polizei?“ – „Ich will den Mann rufen, lieber Vetter, daß er Ihren Puls fühle,“ entgegnete der Vetter, „es ist unser bester Arzt und Chirurgus. Sie haben ihn gewiß an seinem schmalen, einsitzigen Wagen erkannt; sein Kutscher ist freilich mager und seine Pferde abgetrieben, aber die den Wagen umflattern, sind Sperlinge, und die ihm nachbellen, Gassenhunde.“ – „Nein,“ antwortete der Majoratsherr, „um Gotteswillen rufen Sie keinen Arzt! Wenn die meinen Puls fühlen, der immer in abwechselnden Takten sich bewegt, dann ganz stille steht, so schreien alle, ich sei schon gestorben; und am Ende haben sie recht, denn mich erhält nur der Gedanke einer guten Seele, die auch krank ist. Übrigens habe ich Sie diesmal ohne Grund erschreckt, lieber Vetter, meine Worte drückten nur die Gefahr aus, worin sich der französische Adel befindet; ich bildete mir die Unruhe ein, die Frankreich in den alten Schlössern von den Geistern erfahren muß, Ihre Sammlung ist Geist-los. Ich kann genau unterscheiden, was ich mit dem Auge der Wahrheit sehen muß, oder was ich mir gestalte; wirklich bin ich ein guter Beobachter meiner selbst, und die Physik der Geister war von je mein Lieblingsstudium.“

Die Majoratsherren

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