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2. Die alte Reichsgräfin.

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Mit festen Schritten trat die Greisin aus der verborgenen Thüröffnung in das Gemach ihres Enkels, das Bild rollte wieder langsam an seine Stelle, trennte die Herrin von ihren Dienern und schloß deren Zeugenschaft bei der bevorstehenden Unterredung aus. Das Bild stellte den Grafen Anton I, einen von des Hauses Ahnherren dar, in der kleidsamen, stattlichen Tracht der Kämpfer des dreißigjährigen Krieges.

Die Hand der alten Reichsgräfin erfaßte schützend die Rechte ihres Lieblings, und den durchbohrenden Blick ihrer blitzenden Augen fest auf den Erbherrn richtend, sprach sie zu diesem mit ihrer tiefen Stimme und mit Eiseskälte: Wer bist du, Mensch, daß du es wagst, mit Bastarden um dich zu werfen und mit Pistolen meinem unschuldigen Enkel zu drohen? Kennst du diesen, unsers Hauses edlen Ahnherrn, deinen Urgroßvater? Auch er war ein Bastard, wenn dir dieses Wort so wohl gefällt, und sein Blut rinnt in deinen Adern, wie in denen meines Ludwig. Wer bin ich, und wer bist du? Ich bin die Erbtochter eines Hauses, das seinen Ursprung weit hinaus in der Zeiten Frühe leitet, das den Ländern Dänemark, Schweden und Norwegen seine Könige, Schleswig, Holstein und Oldenburg seine Herzoge gab und dem Czaarenreiche Rußland seine Kaiser! Meine Großmutter brachte unserm Hause eine Herzogskrone mit, meine Mutter eine Landgrafenkrone. Ich bin ein Abkömmling von Helden, welche die Geschichte mit dem Sternenmantel der Unsterblichkeit bekleidet hat; ich stamme väterlicher Seits von den Herzogen von Aquitanien; Philipp von Poitou ist mein Ahnherr! Meine Vorfahren erwarben Ansprüche auf den Thron von Neapel und meine nächsten Verwandten sind Prinzen von Tarent. Von urgroßmütterlicher Seite sind die heilige Elisabeth und alle die hohen Ahnen der Sachsenfürsten aus thüringischem Stamme und der Kurfürsten und Landgrafen zu Hessen auch die meinen. Und ich, ich war die verblendete Thörin, die all’ diesen Glanz und Hoheit hingab an einen Mann, der meiner nicht werth war, an einen simpeln Freiherrn, einen – Jäger aus Kurpfalz, der durch mich erst vom Kaiser Carl dem Sechsten zum deutschen Reichsgrafen erhoben wurde, sonst würde ich ihm meine Hand sicher nicht gereicht haben. Dafür habe ich des Teufels Dank in vollem Maaße geerntet, und ernte ihn bis zu dieser Stunde; Thörin ich, die ich glauben konnte, indem ich dich zu gütlichem Vergleiche hierher berief, es schlage in deiner Brust ein versöhnliches und dankbares Herz, das nur irregeleitet sei durch deine falschen, rabulistischen Rathgeber! Nein, du hast ein böses, verstocktes Herz, Wilhelm Gustav Friedrich! Erst reizest du den harmlosen Jüngling, der deiner Habgier ein Dorn im Auge ist, weil du glaubst, ich werde ihm etwas zuwenden – durch giftige Stachelreden, und dann willst du ihn, den Wehrlosen, ermorden! Wohlan, morde ihn, morde auch mich, deine Großmutter, und schaue dann vom Vareler Rabenstein herunter, wie dein Geschlecht sich in das reiche Erbe der Grafen von Aldenburg und der Herzoge von la Tremouille theilt!

Diese Rede der alten Herrin war lang genug, daß während ihrer Dauer die stürmischen Gemüthswellen im empörten Blute Ludwig’s sich legen konnten, und sein Schmerzgefühl über die ihm widerfahrene Beleidigung wich dem Gefühl neuen Dankes, das in der Großmutter jetzt auch die Erretterin seines Lebens verehren mußte. Auf Wilhelm’s Herz aber fielen die Worte der alten Frau mit ihrem zermalmenden Gewicht, wie die dröhnenden Schläge eines Hammers auf das auf einen Ambos gelegte glühende, funkensprühende Eisen. Unaussprechliche Wuth kochte und glühte in ihm; seinen Augen entsprühten die Funken, sein Herz hallte das Klopfen der Hammerschläge nach, und dennoch fand er kein Wort zornvoller Entgegnung, denn die also heftig und vernichtend auf ihn einredete, war eine Frau, eine hochbetagte Greisin, und war die Mutter seines Erzeugers. Als sie schwieg, rang trotz des stürmischen Kampfes in seinem empfindlichen und höchst reizbaren Gemüthe der Erbherr dennoch nach Fassung, und sprach: Also das sind die Friedenspräliminarien, Frau Großmama? Das ist Ihre versöhnliche Gesinnung, die mit Forderungen an mich herantritt, die mir Schwindel erregen? Und nun dieser Sturm – wo soll ich Anker werfen in diesem Sturme?

Ankere wo du willst, mein Kreuz ist mein Anker! versetzte die alte Reichsgräfin, anspielend aus das silberne Ankerkreuz im blauen Wappenschild der hohen Familie. Du sollst mich kennen lernen, wenn du mich noch nicht kennst; du sollst erfahren, daß ich nicht beabsichtige, diesen hier, meinen Ludwig Carl, mit euerm Erbtheil zu bereichern. Was habt ihr denn sonderlich, wenn ich, ich und noch einmal ich euch enterbe und diesen, meinen Enkel, an Sohnesstatt adoptire?

Gnädige Großmutter! das will ich nicht, das würde ich nicht annehmen! rief der junge Herr. Lassen Sie ihnen alles – ich schwur zu gehen, und ich gehe, so wahr ein Gott lebt! Ich will mich nicht hier behandeln lassen, wie einen Troßbuben, ich will auch nicht zur Last fallen! Nicht ahnen konnte ich, so verhaßt zu sein, so sehr verachtet, daß man glaubt, man dürfe mich wie einen Hund mit Füßen treten. Sie sollen, ja Sie müssen mir das Räthsel meines Daseins lösen, mir Ihren Segen geben und mich dann ziehen lassen, wohin Gott mich führt!

Du wirst jetzt schweigen, Ludwig Carl, und mir gehorchen! wandte sich die Reichsgräfin zu dem Jüngling; und du, Wilhelm, sollst erfahren, was ich beschließe. Bis dahin vergiß nicht, was du mir schuldest! Vergiß nicht, wer ich bin, und vor allem: vergiß nicht noch einmal deine eigene Würde!

Die alte Reichsgräfin schlug in die Hände, Anton’s I. Bild rollte Raum gebend zur Seite, und den geliebten Enkel – dessen Hand sie während dieser ganzen Zeit nur vorhin einen Augenblick losgelassen, und gleich nach ihrem Zeichen wieder erfaßt hatte – nachziehend, trat sie durch die Thüröffnung in einen genügend breiten Gang, in welchem ihr mit ihr und in ihrem Dienst ergrauter uralter Kammerdiener Weisbrod und Philipp, der Diener des jungen Herrn, noch mit den brennenden Kerzen standen. Alsbald, wie die Thüre sich hinter den Eintretenden wieder geschlossen hatte, schritten beide Diener ihnen voran und geleiteten sie durch den längs mehrerer Zimmer vorüberführenden Gang nach den Gemächern der Gräfin.

Dort sprach die letztere zu ihrem Enkel: Gehe sorgenlos zur Ruhe, mein lieber Ludwig Carl, doch gieb mir in meine Hand dein Wort, nichts zu unternehmen, weder gegen ihn, noch gegen dich, bevor du mich morgen um die neunte Stunde hier noch einmal gesprochen. Weisbrod soll dich zu mir rufen. Gute Nacht, mein armes, schwergekränktes, liebes Kind!

Damit bot sie dem Jüngling die Hand, er legte stumm die seinige in die ihre, und zitternd von der Erregung seines Innern küßte Ludwig die ihm huldreich dargebotene zarte Hand der Matrone, eine Hand, die nur Haut und Knochen, aber fein und fast durchscheinend war, und ließ sich dann durch seinen Diener nach seinen Gemächern vorleuchten. –

Der Erbherr hatte sich in einen Sessel geworfen, die Hände vor das Gesicht geschlagen und lange in einer verzweifelten und entsetzlichen Stimmung verharrt. Die so überraschende Erscheinung der Greisin hatte einen unbeschreiblichen Eindruck auf ihn gemacht; er verhehlte sich nicht, daß dieselbe ihn vor einem Mord bewahrt, der mit tiefer und schwerer Reue ihn belastet haben würde, denn sein Charakter war von Natur weich und empfindsam, nicht im entferntesten hart oder entartet, wohl aber heftig und rasch auflodernd.

In dem jener Wand, durch welche die Gräfin gekommen und gegangen war, entgegengesetzten Zimmer, welches vor kurzem der Hofrath Brünings und der Secretär Wippermann betreten hatten, hofften beide, nachdem sie den laut genug geführten Streit und die Stimme der Gräfin mit innerm Beben vernommen hatten, lange und vergebens darauf, wieder zu ihrem Gebieter beschieden zu werden, oder ihn bei sich eintreten zu sehen. Der Erbherr vermochte es nicht über sich, nach dem, was ihm gesagt worden war, vor die Augen seiner Beamten zu treten, und der Hofrath Brünings zog aus der Tasche seiner brocatnen Weste eine goldene Dose, tippte darauf, bot sie dem Gefährten, nahm dann selbst eine Prise, und flüsterte leise zu dem Secretär: Geben Sie acht, lieber Herr Wippermann! Der Name Varel wird sich nicht an die Namen von Münster, Ryswik und Hubertusburg anreihen.

Nein, gewiß nicht, Herr Hofrath! Heute und übermorgen kommt hier noch kein Friedensschluß zu Stande.

Gleichzeitig benießten beide Herren ihre übereinstimmende Prophezeihung.

Der Erbherr ließ die Herren durch seinen Jäger Jacob ersuchen, ihn zu entschuldigen und mit Kammerrath Melchers und Herrn Haushofmeister Windt heute ohne ihn zu speisen. –

Philipp, sprach, aus seinem Wohnzimmer angelangt, der junge Herr zu seinem Diener im platten Deutsch seines Heimathlandes: morgen reite ich in die Fremde, willst du mit?

Ob ich will, mein gnädiger junger Herr? fragte der Diener. Muß ich nicht, wenn der gnädige Herr mir befehlen?

Du mußt nicht, und ich befehle dir nicht – entgegnete Ludwig. Mein Weg geht weit, vielleicht sehr weit in die Welt hinaus, noch weiß ich selbst nicht, wohin er führt. Du hast hier Aeltern, Angehörige, die siehst du nicht so bald, vielleicht niemals wieder – ich kehre nie wieder in dieses Land zurück. Ueberlege dir es wohl.

Junger gnädiger Herr! versetzte Philipp: Da Sie eingesegnet wurden, kam ich auf Befehl der Frau Gräfin Wittwe Excellenz als Ihr Bedienter zu Ihnen, Sie waren damals dreizehn Jahre alt, ich ein Bürschchen von fünfzehn; jetzt bin ich schon ins sechste Jahr Ihr Diener und Sie haben mich immer gut behandelt, ja, Sie haben noch mehr gethan, Sie haben mich aus dem Wasser gezogen, in das ein Unglück mich geworfen, und mir so mein Bischen Leben gerettet; das gehört nun Ihnen ganz und gar. Ich will immer Ihr Diener bleiben. Was hätt’ ich hier? Arbeit oder Soldatenbrod – nehmen Sie mich mit, ich will Ihnen treu dienen, und Ihnen folgen, und wenn’s bis an der Welt Ende ging’.

Gut, Philipp, so bleibe es dabei, und so wollen wir einpacken; laß die Isabella striegeln und den Braunen, und beide gut füttern, morgen reiten wir von dannen. Dann fare well, Varel!

Mit fester Haltung, bittere und zugleich tiefschmerzliche Empfindungen gewaltsam in sich zurückpressend und in jugendlichen Trotz sich verkehrend, begann Ludwig seine Habseligkeiten, so viel er deren mit sich nehmen wollte, zusammenzulegen, damit Philipp sie in den Mantelsack packe; er lud mit eigener Hand zwei Paar Reiterpistolen und wählte unter zwei krummen Säbeln für Philipp den dauerbarsten und schärfsten; für sich eine Damascenerklinge, auf deren Griff ein Silberplättchen das Wappen der Herzoge von Bouillon zeigte.

Spät suchte Ludwig die Ruhe, noch später fand er sie durch einen kurzen Schlummer; allzuaufgeregt war das Gemüth des Jünglings, der bisher im süßesten Frieden, nur heitern und anregenden Studien obliegend, oder ländlichen Freuden gelebt hatte, und an den nie ein so schneidender Mißton herangetreten war, wie an diesem verhängnißvollen Abende, der vielleicht das Loos über seine ganze Zukunft warf.

Hochbejahrte Personen haben wenig Schlaf; auch der rege Geist der alten Reichsgräfin bedurfte, trotz der morschen Körperhülle, nur wenige Ruhe, eben weil er den Körper beherrschte. Daher mußte die Leibdienerschaft der gräflichen Matrone früh auf sein, das Zimmer angemessen durchwärmen, den belebenden Mokkatrank bereit halten, und dann verbrachte sie gern die ersten Morgenstunden in ungestörter Einsamkeit, und widmete dieselben ihren numismatischen Studien, ihrem weitverzweigten Briefwechsel, dem Ordnen ihrer vielfachen Papiere, die deßhalb dennoch nie die gewünschte völlige Ordnung fanden; dem Nachsinnen und Ueberlegen über die Verwendung ihrer Einkünfte, wie über die traurigen Rechtsstreitigkeiten. Letztere dauerten indessen schon zu viele Jahre, sie war derselben schon zu sehr gewohnt, als daß sie dadurch sonderliche Gemüthsbewegungen auch jetzt noch hätte erfahren können. In ihrer Seele war Alles klar, fest, abgeschlossen, ihre Willenskraft war eisern, wie ihr Sinn, und diese hohe wichtige Errungenschaft fast völliger Leidenschaftlosigkeit war es eben, die der alten Frau diese über das gewöhnliche menschliche Ziel hinausreichende Lebensdauer erhielt und gleichsam sicherte.

Der Nebel der Nacht war gesunken, der Morgen lachte aus blauem Himmel frühlingshell durch die hohen Fenster, die nach dem Parke hinausgingen, an dessen Rändern schon blaue Anemonengruppen und Schneeglöckchen sich blühend zeigten. Die thaubeperlten noch nackten Zweige der Gebüsche erschienen saftgeschwellt und zum Theil rosenroth angehaucht, Knospen öffneten sich schon, und melodische Hainsängerstimmen, die Stimmen von Amseln und Drosseln, durchflöteten mit schallendem Jubel die weitgedehnte Holzung, welche den Namen des Vareler Busches führt.

Die Kammerfrau, welche die Schwester des Haushofmeisters war, trug der Gräfin, die auf bequemem Armstuhl an ihrem großen Schreibtisch saß, an welchen wieder andere Tische gerückt waren, den Kaffee auf und entfernte sich in geräuschloser Stille. Diese Stille liebte die Gräfin so sehr, daß sie in ihrem Zimmer weder Hunde noch Vögel duldete. Nur eine Cypernkatze, ein Prachtexemplar, genoß der großen Gunst, um die Dame weilen zu dürfen, sie bisweilen mit ihrem Geschnurr zu unterhalten und ihre Aufmerksamkeit durch zärtliches Anschmiegen an die hohe Gebieterin von den ernsten Beschäftigungen ab und auf ihre geschmeidige Persönlichkeit zu lenken.

Das Zimmer war hell, hoch und weit, voll Bücher, voll Karten, Globen, Münzschränken, hohe Stöße ausgelochter Tafeln, mit lichtbraunem Leder überzogen, mit untergelegter Pappe zum Einlegen von Münzen waren da und dort zu erblicken. Dokumente und Briefschaften lagen in Fülle umher, das ganze Zimmer glich ungleich mehr dem Arbeitsalon eines reichen Gelehrten, angefüllt mit Geräthen, selbst mit Vasen und Kunstarbeiten, sowie mit Seltenheiten ferner Länder, als dem Zimmer einer Dame, denn da stand auch nicht ein einziges Körbchen, außer dem Papierkorb, da lag kein Band, kein Strickzeug, keine Nadel, keine begonnene Stickerei, kein gepreßtes und gemustertes Luxusbriefpapier, wohl aber zeigten die Bücher stolzen Marokineinband mit Goldschnitt, zeigten in Gold gepreßt auf dem Einband das reichsgräfliche Wappen neben einem fürstlichen, und das Briefpapier, das in starkem Vorrath bereit lag, hatte Goldschnitt.

Indem die alte Reichsgräfin zwischen dem Einnehmen ihres Kaffees und der Unterhaltung mit der schönen Katze, die bei diesem Anlaß stets ein schmarotzender Gast war, sich mit der An- und Durchsicht zahlreicher vor ihr hingebreiteter Papiere und Briefe beschäftigte, sprach sie nach Art bejahrter Personen laut mit sich selbst, indem sie bald dieses bald jenes Papier oder deren mehrere aufnahm, flüchtig ansah, auch nach Befinden länger bei einigen verweilte und das so in Augenschein Genommene gleich wieder in guter Ordnung zur Seite legte, um alsbald nach einem andern zu greifen.

Fiscalische Sache zu Oldenburg – Akta wegen des jetzigen Processes – ditto – ditto – ditto – und noch fünfmal ditto – Briefe vom Prinzen von Talmont – dergleichen vom Marquis de Launoy – armer Bernard-René-Jourdan, armer Marquis! Freundlicher, milder Schatten, den die rebellischen Teufel ermordeten, weil sie dir als Gouverneur der Bastille nicht die Bedingungen halten wollten, unter denen du das feste Haus übergeben – Entwurf meines Testamentes – Wienerische Appellations-Sache – Güldenlöwesche Briefe – Briefe von König Friedrich dem Großen – von meinem Voltaire – von Georgine Cavendish, Herzogin von Devonshire – von meinem Heyne und von meinem Georg Friedrich Benecke zu Göttingen – vom Herzog von Holstein-Plön – das Tagebuch der Großmutter.

Dieses Buch betrachtete die Gräfin mit einer gewissen stillen Wehmuth, die sich aber in keiner Weise äußerlich kund gab. Sie Großmutter einst – sprach sie – ich Großmutter jetzt, und beide fast in gleichen Schuhen.

Das Buch war ein in braunes Leder mit einfachen Goldstreifen gebundener und mit abgegriffenem Goldschnitt verzierter Quartband. – Als die Reichsgräfin flüchtig hineingeblickt, legte sie es zur Seite, und griff nach einem in Umschlag mit Bindfaden umschlungenen Papierheft. Mein Tagebuch – sprach sie – so viel mir davon erhalten blieb – nur achtzehn Monate aus meinem langen – vielbewegten Leben – mögen auch diese Blätter hinschwinden – das Buch meiner Tage ist ja doch nun wohl geschlossen.

Auch diese Bogen legte die Reichsgräfin zu dem alten Band, und fuhr fort mit der Musterung ihrer Papiere: – Ehescheidungsproceß – oh hinweg! – Briefe von der Gräfin von Jaxthausen – von der Prinzessin von Waldeck – von der Fürstin Juliane zu Schaumburg-Lippe – von königlichen Häuptern – von meinem lieben Abbe Eckhel zu Wien. Oh Eckhel! Eckhel!

Das Gefühl, welches die alte Reichsgräfin zu diesem Ausruf bewog, entsprang einem unüberwindlichen Schmerz, und dennoch konnte sie diese Blätter nicht so schnell, wie die andern, flüchtig zur Seite legen; ihre Blicke vertieften sich vielmehr in die festen Schriftzüge des größten Alterthumsforschers und Münzkenners seiner Zeit, und dieselben übten auf die Gräfin gleichsam magnetische Anziehungskraft, sie mußte wieder und wieder lesen, was ihr Pein verursachte, wie der Wundarzt wohl bisweilen eine Wunde wiederholt brennen muß, auf daß sie gründlich heile.

Wo ist er, wo ist er, der grausame Brief des strengen Freundes, dem Wahrheit über Alles heilig ist? Ach, jeder seiner Briefe enthält mehr Tadel als Lob – für was muß er mich halten? Für eine alte Närrin jedenfalls. Und wenn es Narrheit war, was ich trieb und noch treibe, was kostet sie mich nicht? Dann unermeßlich viel, ja mehr, als ich verantworten kann.

Welche Worte auf meine Fragen: »Was ich von den Eroberungen für das Kabinet Ihrer Excellenz halte? Daß unter den Stücken, die nach Hamburg gingen und sich dermalen in so schätzbaren Händen befinden, sehr viele ansehnliche sind, doch müßte ich sie sehen, um über deren Aechtheit zu entscheiden!« – Eine Pille, doch recht schön vergoldet.

»Wie ich mit der Anordnung des Ennerischen Katalogs zufrieden sei? – Sehr schlecht – altväterische Art beibehalten, – strotzt von unendlichen Fehlern, und zwar von einer Art, die man nicht leicht einem Anfänger vergeben würde. Man muß erstaunen, aus Frankreich, das mit seiner Gelehrsamkeit so groß thut und uns Deutsche so gern heruntersetzt, ein so ärgerliches Zeug erscheinen zu sehen. Ich rede unparteiisch, weil ich den Verfasser nicht kenne.«

So Eckhel – und ich habe diesen Katalog mit Entzücken begrüßt und ihn nach allen Seiten hin empfohlen. Van Damme, den Numismatiker zu Amsterdam, mit dem ich Jahre lang Briefe gewechselt, der große Summen für Münzen mir nach und nach abgelockt, enthüllt Eckhel hier als einen schamlosen Betrüger, und dessen Prachtkatalog mit allen seinen Bildern, den jener so sündentheuer verkauft, sei nichts als Aufwärmung der Platten eines elenden holländischen Werkes von Haverkamp, im Grafenhage erschienen. Und ich kenne dieses alte Werk nicht, und besitze eine Bibliothek von zwanzigtausend Bänden! – Und endlich, mein Katalog, das Schmerzenskind meiner Liebe zur edlen klassischen Münzkunde – wie lautet über diesen der Richterspruch des unbestechlichen Wiener Rhadamanth?

»Einen Blick über Ihro Excellenz ganzen Katalog. Ich sehe darin eine Menge der kostbarsten und seltensten Stücke, aber eben dieser Umstand macht, daß sich die ganze Sammlung vor den Augen ächter Kenner in keinem vortheilhaften Lichte zeigt. Jeder Kenner muß in der That über das unnennbare Glück erstaunen, welches so viele und so schätzbare Münzen einem einzigen Privatkabinette sollte zugespielt haben. Zur Probe nur ein Beispiel: auch in den größten Sammlungen, die von großen Fürsten durch viele Jahre sind zusammengebracht worden, findet man oft nicht ein Stück von den bosporischen Königen Ininthimeus, Teiranes, Thotorses – es ist keines im kaiserlichen Kabinet, keines im großherzoglichen, keines im gothaischen und mehren andern; ich habe in meinem Leben keines in Natur gesehen; Herr Baron Herwart, kaiserlicher Gesandter in Konstantinopel, der für das kaiserliche Kabinet durch mehre Jahre in der Nachbarschaft bosporanische Münzen sammelte, und dazu carta bianca hatte, war nicht so glücklich, nur eine einzige Münze von diesen drei Königen zu bekommen, und doch finden sich alle drei in der Sammlung – Ihrer Excellenz! Sollte ein so undenkbares Glück einen Kenner nicht mißtrauisch machen?«

Oder nicht auch ein wenig neidisch? unterbrach die Reichsgräfin ihr Lautlesen mit einem gewissen triumphirenden Gefühl, dann sprach sie weiter, den fernern Inhalt des Briefes überfliegend: Pellerins Kabinet sei das bedeutendste in Bezug auf anekdote und sogenannte einzige Münzen gewesen – ganz besondere Umstände haben ihn begünstigt, langes Leben, verbunden als commis de marine mit allen Konsuln der Levante – ein gewisser La Roche habe in einem kleinen Orte zwischen Grenoble und Lyon mit ganz besonderer Geschicklichkeit die besten pellerinischen Münzen nachgemacht – das der Aufschluß und zugleich mein Münzschlüssel. Eine ganze Schachtel voll angstschweißtreibender Pillen – und der Schluß?

»Ich bitte und hoffe es auch, Ihre Excellenz werden mir mein aufrichtiges Geständniß zu gute halten. Schon beim ersten Anblick des Katalogs wollte ich damit herausrücken, aber ich fürchtete zu beleidigen. Endlich faßte ich mich, weil es meine Rechtschaffenheit von mir forderte und es mir zu arg schien, daß sich schlaue Betrüger länger von der Habe edeldenkender und für die Literatur eingenommener Personen nähren sollten. – Abbe Eckhel.«[1]

[1] Urschriftlich; der Brief ist noch vorhanden.

Genug – er ist nun einmal der Wahrheit unerschütterlich treu; sollte ich dem redlichen Freunde zürnen? Wer die Wahrheit nicht hören will und kann, der ist sehr zu beklagen. Habe ich doch nur das Gute gewollt und die Wissenschaft zu fördern gesucht mit wahrhaft großartigen Opfern – und das Gute und Große aufrichtig gewollt zu haben, gibt schon ein Genügen.

Nun aber hierin nicht weiter – Anderes bringt die andere Stunde.

Die Reichsgräfin legte noch einige Schriften und Briefschaften sich zur Hand, und dann klingelte sie.

Der greise Kammerdiener Weisbrod trat ein.

Ich lasse Herrn Windt bitten!

Was nun werden wird, werden soll, nach dem gestrigen Auftritt? fragte sich die Matrone. O gewiß, ich muß die ganze Last der Sorge mit in die Grube nehmen – doch nicht ungestraft sollen sie mir die letzten Tage meines Alters verbittern, und thun will ich, was ich will, bis zum letzten Athemzuge. –

Windt trat ein, er sah noch bleicher aus, als am gestrigen Abend; seine Gebieterin nahm dies mit ihrem noch immer scharfen Fernblick sogleich wahr und fragte, als sie auf seinen ehrfurchtvollen Gruß gnädig gedankt: Was ist Ihnen, lieber Windt? Sie sehen so sehr angegriffen aus?

Ich bin es, Excellenz! – erwiederte Windt, und seine Stimme war matt und bebend; er war kein Jüngling mehr und die letztvergangene Zeit hatte körperliche wie geistige Anstrengungen in Fülle auf ihn gehäuft.

Es ist auch kein Wunder – fuhr Windt mit offener Freimüthigkeit fort. Ich wurde in Doorwerth von einem heftigen Gichtanfall heimgesucht, zu dem sich etwas Fieber gesellte, da empfing ich dieses kurze Briefchen von dem Herrn Erbgrafen aus dem Haag: »Ich werde nicht über Doorwerth nach Varel gehen, mein lieber Windt, aber gerade von Amsterdam über See und Ostfriesland, weil das viel kürzer ist, und so bitte ich Sie, wenn Sie mit mir die Reise machen wollen, binnen acht Tagen in Amsterdam zu sein. Bis dahin leben Sie wohl und glauben mir, Ihrem« – und so weiter. Aber ich gestehe Ihrer Excellenz, daß ich weder Muth noch Kraft genug in mir fühlte, mich bei dem stürmischen Wetter, wie die letzte Zeit des Aequinoctiums mit sich brachte, auf die See zu begeben und in des Herrn Grafen kleinem Schiffe herum zu treiben. Ich reiste zu Lande, eilend, angestrengt und schlecht. Ich zog mir dadurch eine Lähmung der linken Seite vom Scheitel bis zur Fußsohle zu, und nur einige Ruhe, Wärme und meine gute Natur stellten mich wieder her, auch tragen die guten Nachrichten von Ihrer Excellenz hohem Ergehen dazu bei, mich wieder vollkommen gesund und meinen Diensteifer frisch lebendig zu machen. Und ich will lieber Alles: Hals, Kopf und Kragen verlieren, ehe ich nur eines Haares breit eines Ihrer heiligen Rechte fahren lasse, die ich zwar nicht als Rechtsgelehrter, wohl aber nach gesunder Vernunft und natürlicher Billigkeit als ein redlicher Diener vertheidigen kann. Nur bitte ich um Dauer des hochgnädigsten Vertrauens. Ich sprach, noch ehe ich abreiste, in Doorwerth den Jäger des Herrn Grafen, der mit der Kutsche, zwei Pferden, drei Reitknechten und vier Reitpferden durchkam, um hierher vorauszureisen, und es wurde mir diese Gelegenheit angetragen; die Gesellschaft stand mir aber nicht an. Ich nahm Extrapost.

Sie kennen den gestrigen Vorgang? – fragte die Gräfin.

Ich kenne und beklage ihn, war Windt’s Antwort. Er reißt ein, was ich mühsam aufbaute und anbahnte, die friedliche, willfährig entgegenkommende Gesinnung. Halten es Ihre Excellenz zu Gnaden – aber Höchstihre persönliche Einmischung –

Galt dem Schutz meines Pathen – unterbrach die Herrin, stark betonend. Ich danke Gott, daß mir vergönnt war, zu rechter Zeit mich einzumischen, ich wollte es nicht, ich wollte nur ein wenig lauschen, welche Gesinnungen gegen mich sich aussprächen, da geschah das Aeußerste, da mußte ich den Fuß auf die Springfeder setzen, die das Bild wegschiebt, zwei Secunden vielleicht zu spät, und mein Enkel hätte meinen Enkel erschossen, und dieses mein durch Mord noch nie entweihtes Haus mit einer blutigen Unthat befleckt.

Gegen diese Gründe, Excellenz, kann ich nichts sagen – nahm Windt wieder das Wort.

Und was gedenken Sie zu thun? fragte die Gräfin.

Ich gedenke das Beste für Euere Excellenz zu thun, was sich nur immer thun läßt, obschon ich voraussehe, daß es mir ein Stück Lunge kosten wird; ich hoffe, eine wahre, gründliche und dauerhafte Ruhe zu bewirken, aber Ihre Excellenz müssen mich in Gnaden gewähren lassen, und die Erreichung dieser Absicht wäre mir der höchste Ruhm. Ihre Excellenz dürfen auch nicht das Unmögliche weder fordern noch erwarten. Vor Allem muß aller fremde Einfluß abgeschnitten bleiben, denn ich denke, daß, wenn Hochdieselben mit demjenigen, der nächst Höchstihnen Haupt der Familie, regierender Herr, Erstgeborener und eigentlicher Stammhalter ist, einen Vergleich errichten, durchaus kein Dritter, und wäre er der nächste Agnat, hinein zu reden hat.

So schließen Sie den Bruder und meinen Ludwig so zu sagen aus? fragte die Gräfin gespannt.

Hören Ihre Excellenz mich ruhig an, antwortete Windt. Vieles, was gefordert wird, ist dem Herrn Grafen zu erfüllen geradezu unmöglich; er kann nicht die Glieder der gesammten, in England und Holland verstreuten Familie zu einer bindenden Unterschrift bewegen und zusammenbringen; er kann nicht einhundertundfünfzigtausend holländische Gulden zu sechs Procent, wie jetzt üblich, aufnehmen, sie jährlich mit neuntausend Gulden verzinsen; nicht nach zwölf Jahren dieselbe Summe bezahlen und sie mittlerweile mit sechstausend Gulden verzinsen, dazu das zu gewährende Witthum von jährlich viertausend Gulden, und was noch jährlich an das schrecklich vernachlässigte Doorwerth zu wenden ist. Wenn der Herr Graf zu solchen Dingen sich verpflichten, so können Dieselben weder rechnen, noch Wort halten. Er ist und bleibt arm, seine Kinder vielleicht können dereinst fürchterlich reich werden – er – wird Reichthum nie besitzen. Doorwerth liebt er, dieses wünscht er gern zu haben, es ist gut und heilsam, wenn die Güter ungetrennt beisammen bleiben. Ich bin überzeugt, daß der Herr Graf redlich und im guten Glauben zu Werke gehen und noch edler und großmüthiger handeln würde, wenn er es hätte, wie er es nicht hat.

Ei, Sie sind ja plötzlich mein gegnerischer Anwalt geworden? rief mit schlecht verhehlter Gereiztheit die Reichsgräfin. Wie deut’ ich das? Was hat Sie denn so umgewandelt? Von der edeln großmüthigen Denkart wurde ja gestern Abend ein Pröbchen zum Besten gegeben. Wäre ein neuer tragischer Stoff geworden für Herrn Hofrath Leisewitz in Braunschweig, der ja den Julius von Tarent geschrieben hat und unserm hohen Hause Dinge und Thaten aufbürdet, die nie in ihm geschahen; was ganz schändlich ist, denn nie gab es im Hause der Fürsten von Tarent, das so eng mit meinem eigenen verzweigt und verwachsen ist, eine solche abominable Geschichte, und keiner von allen Fürsten dieses Hauses hieß Constantin, Julius, Guido und wie die von dem laxen Comödienschreiber sonst ersonnenen Namen noch heißen mögen!

Die Poeten, gnädigste Excellenz – entgegnete Windt, heimlich lächelnd über den antidramatischen Zorn seiner Herrin – haben ein Ding, das nennen sie licentiam poeticam – welches ich Hochgräflicher Gnaden, die besser Latein verstehen als ich, nicht zu übersetzen brauche.

Habe nichts dagegen, das Stück ist gut, Herr Lessing hat es gelobt – es ist sogar, wie mir geschrieben wurde, auf fürstlichen Privattheatern – ich glaube am Sachsen-Meiningenschen Hofe, unter Mitwirkung durchlauchter Personen selbst, zur Aufführung gebracht worden; ich verlange nur, die Herren Dichter sollen nicht Namen aus der Luft greifen, sollen nicht das erste beste hohe Haus mit ersonnenen Unthaten beflecken, sondern diese da spielen lassen, wo sie sich geschichtlich zugetragen haben, und sollen ihre Nasen in die Stammbäume stecken und die Leute, die sie brauchen, beim rechten Namen nennen. Des Herrn von Goethe allbewunderter Götz ist auch so ein Ding, das im Nebel und Schwebel spielt, ohne allen geschichtlichen Boden. Er läßt den fehdesüchtigen Raubritter für die deutsche Freiheit sterben, während der alte Kauz daran nicht im Entferntesten dachte, und in aller Gemüthsruhe über achtzig Jahre alt wurde, um Zeit zu haben, seine schlimmen Streiche selbst für die Nachwelt aufzuschreiben. – Ja, sehen Sie mich nur an, lieber Windt, das macht Ihnen wohl rechten Spaß, daß ich alte Frau mich noch über Comödien ereifere, aber sehen Sie, ich bin einmal eine Freundin der Wahrheit, wie mein lieber Abbe Eckhel in Wien auch deren Freund ist, der mich in meiner Eitelkeit und Gelehrsamkeit auf den Tod verwundete, und dem ich, ich sage ich, die Hand noch küssen möchte, mit der er die Feder führte, die mir nicht dumme Schmeicheleien, sondern die reine, in seiner gründlich tiefen und gelehrten Ueberzeugung wurzelnde Wahrheit schrieb. Doch – wie weit schweifen wir ab von unserm Ziele, mein lieber Windt – fahren Sie fort, Sie schlimmer advocatus diaboli!

Um Gott, Excellenz! Dies Wort ist nicht Ihrer Gnaden Ernst. Ich hätte noch viel zu sagen – aber wenn Hochdieselbe mir zürnen –

Halten Sie mich für ein Kind, Windt? Fürwahr, dann wäre ich wohl ein recht altes. Noch denke ich nicht, obschon ich neunundsiebenzig Jahre zähle – kindisch zu sein.

Der Dunkelgraf

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