Читать книгу Aus dem Leben listiger Großmütter - Ludwig Bröcker - Страница 8
Der Enkeltrick 1.
ОглавлениеAch Lisbeth, was bist du heute wieder tüttelig. Sie stand am Fuße der Kellertreppe, machte noch ein Licht an und schaute um sich. Zur Linken die schwere Eisentür des Raumes, der ursprünglich einen Öltank beherbergte, aber schon vor vielen Jahren, nachdem sie auf Gas umgestellt hatten, so sagt man wohl, jedenfalls Helmut sagte es so, wurde der Tank rausgerissen, nicht durch Helmut, sondern von Männern in blauen Overalls.
Sie öffnete die Tür und betrat den Raum, der jetzt ein ganz brauchbares Badezimmer war, und das hatte ihr guter Mann tatsächlich selbst eingerichtet, na ja, nicht ganz: Die Leitungen für Wasser hatte der Klempner gelegt, ebenso für Abwasser unter fürchterlichem Geknatter von Presslufthämmern und jeder Menge Dreck. Aber immerhin, Elektroleitungen legen, verputzen, Fliesen legen, Waschbecken und Armaturen installieren, das hat er alles hingekriegt. Danach tat ihm, obwohl die Söhne Konrad und Justus gelegentlich gute Handlangerdienste leisteten, noch Monate lang der Rücken weh.
Lisbeth betrat den Raum, aber ihr fiel immer noch nicht ein, was sie eigentlich vorhatte. Das Bad wurde nur noch benutzt, wenn Besuch kam, von den Jungs in alter Gewohnheit oder den Enkeln, denn bei den heutigen Ansprüchen an Hygiene (und Styling) gäbe es vor dem Badezimmer im ersten Stock ein schreckliches Gedrängel.
Auch damals, als alle vier gleichzeitig aus dem Haus mussten, war das Bad im Keller eine Wucht. „Ich muss mal ins Gefängnis,“ sagt Justus jedes Mal, wenn er es aufsucht. „Warum muss der Papa ins Gefängnis?“ klagte die kleine Lena. „Ach, nur ein Spaß“, hatte Lisbeth ihre Enkelin beruhigt, „es war so: Als der Großpapa das Badezimmer fertig hatte, war da zuerst immer so schlechte und feuchte Luft drin. „Da habe ich einen Ventilator angeschlossen an das Rohr, durch das früher das Heizöl eingefüllt wurde“, hatte Großpapa Helmut gesagt, worauf er ein Räuspern vernehmen ließ, und darauf Justus: „Genial, aber außerdem hatte er seine Flex hergenommen und einfach ein kleines Lüftungsfensterchen in die Eisentür gesägt.“ „Danach war es doch gut,“ „Klar, alter Herr, aber es sieht echt aus, wie ein Knast.“ Dein Papa machte immer so lustige Sprüche.“
Lisbeth erinnerte sich an solche Szenen, als hätten sie sich erst kürzlich abgespielt, aber inzwischen war aus Lena eine junge Studentin geworden und Helmut, ach der Gute, er möge in Frieden ruhen.
Jetzt war ihr wieder eingefallen, was sie im Keller wollte. Sie ging in den Heizungs-Wäsche- Trockenkeller, um einen Blick auf die Waschmaschine zu werfen. Ein leises Surren und Ticken war vernehmbar: Noch nicht fertig. Und wieder gingen ihr Bilder von früher durch den Kopf: Helmut, die Jungs, die Enkel, aber ach, auch so viele Monate, in denen sich wenig ereignete.
In dem Moment schellte das Telefon, nein, es schellte nicht, es gab einen undefinierbaren Quäkton von sich, den Lisbeth nicht ausstehen konnte. Vielleicht könnten die Jungs das mal besser einstellen.
„Hallo, hier Frau Ewald.“
Mit einschmeichelnder Mädchenstimme ein vorsichtiges
„Hallo.“
„Ja, hallo.“
Dann wieder nichts.
„Lena?“
„Erraten.“
„Du hörst Dich so anders an.“
„Leider, ich bin total erkältet.“ Gehüstel.
„Armes Kind. Bist Du in Bielefeld?“
„Wo denn sonst? Mir geht’s super, aber sag mir erst: Alles gut bei Dir? Ich denke so oft an Dich.“
„Das ist lieb von Dir.“
Wieder eine kurze Pause. Meine liebe Elisabeth Ewald geborene Kranz, sei auf der Hut, hier stimmt was nicht. Schon öfters hatte sie in der Zeitung von Enkeltrick- Betrügern gelesen. Wie konnte sie so dämlich sein, Lenas Namen zu nennen und den Studienort Bielefeld, wo sich Lena sich vermutlich aufhielt.
Sie saß in dem halbdunklen Flur, hatte den Ellenbogen auf die kleine Kommode gestützt, auf der schon immer das Telefon Platz fand, früher ein solides mit Wählscheibe, und jetzt ein ganz leichtes mit Quäksignalton, und starrte mit einem Gefühl von Empörung und Verunsicherung auf den Hörer.
„Hallo, bist Du noch da?“
Lisbeth ahnte, dass sich ihr Gegenüber in der kurzen Pause mit einem Komplizen beraten hatte. Sie beschloss, auf jedes Wispern zu achten, das eventuell aus der Leitung zu hören wäre, und antwortete, wobei sie versuchte, sich ihre Erregung nicht anmerken zu lassen:
„Natürlich, meine Liebe.“
„Du, hier ist grad ganz schlechter Empfang, ich leg mal auf und meld‘ mich gleich wieder.“
Aha, ist das die Strategie, um mich ans Telefon zu fesseln, ohne dass ich selbst aktiv werden kann? Sie musste gestehen, dass Ihre Gegner, sie glaubte jetzt an mehrere, ziemlich ausgekochte Ganoven waren. Zum Beispiel hatte das Mädchen vermieden, sie anders anzureden, als mit Du, und überhaupt stützte es sich nur auf Informationen, die sie von ihr selbst hatte. Na wartet, ich lege gleich eine Mine. Als das Telefon sich wieder meldete, griff sie mit etwas zitteriger Hand nach dem Hörer und sagte nur:
„Hallo.“
Von der anderen Seite mit Engelsstimme:
„Ich bin‘s wieder, wie schön, dass ich Dich wieder hören kann.“
„Ja mein Kind, aber jetzt erzähl mir doch, wie es mit deinem Medizinstudium geht, ich bin ja so stolz auf dich, dass du die Zulassung geschafft hast.“
„Das kannst du auch sein. Abgesehen von meiner Erkältung hab ich eine Glückssträhne zu fassen.“
Treffer-versenkt. Lena studierte Mathematik und nicht Medizin, abgesehen davon, dass man in Bielefeld gar nicht Medizin studieren kann. Ihre erste Regung war, den Hörer auf die Gabel zu knallen, aber eine Gabel gab es nicht mehr, sondern nur noch dieses leichte Dings, das man immer sorgfältig auf das wackelige Bums zurücklegen musste. Auf einmal fragte sie sich, wozu schon seit Jahrzehnten unter dem Telefon ein Deckchen lag. Ihr Blick schweifte über den Flur, die schmale geschwungene Treppe mit dem ewig gleichen Läufer, der an jeder Stufe durch eine Stange (Altmessing) gehalten wurde und die Garderobe (Eiche rustikal), immerhin groß genug für eine Person, die gediegenen Türen zum Wohnzimmer und zur Küche, beim Windfang das Gästeklo, nicht zu verfehlen, weil, mit einem lustigen Schildchen versehen. Da fühlte sie sich, als wäre gerade ein Vorhang aufgegangen, um sie herum das Bühnenbild und sie spielte die Hauptrolle im Boulevardtheater: Eine liebenswerte schusselige Witwe, Mrs Wimmerforth, oder doch lieber eine plietsche Alte wie Miss Marple.
„Hallo, bist Du noch da?“
„Ja, ja meine Liebe, ich bin gespannt auf Deine Glückssträhne.“
„Ja, aber das ist noch geheim. Versprich mir, dass du es niemandem weitererzählst.“
Lisbeth hätte sich wohl anders ausgedrückt, aber die Schauspielerin in ihr heuchelte ein flottes
„Versprochen.“
„ Jetzt halte dich fest: Ich habe eine total süße Wohnung an der Hand: Wohnküche, kleines Schlafzimmer und ein ganz tolles Bad. Na, du wirst sie ja bald mit eigenen Augen sehen.“
„Aber Kindchen, das kostet doch sicher sehr viel Miete.“
„Nicht mieten, kaufen will ich die.“
„Du lieber Himmel! Lena, was sagen dann Vati und Mutti dazu?“
Das war noch eine Falle: Justus und Katrin wurden Mama und Papa genannt.
„Ich sag doch, das muss geheim bleiben. Du weißt doch, wie Vati immer ist. Das wird unsere Wohnung, sie wird uns beiden gehören. Ist das nicht toll?“
Gleich kommt sie, die Bitte um Geld, viel bares Geld, soviel war jetzt klar.
„So eine Wohnung kostet doch sicher viel Geld, wie soll das gehen?“
„Das ist es ja, das ist ein Schnäppchen, das darf man sich nicht entgehen lassen.“
„Und nun meinst du, die Omi könnte Dir helfen?“
„Weil Du die allerliebste Omi von der ganzen Welt bist.“
Das mit der „Omi“ war noch ein weiteres Späßchen. Lisbeth wurde von allen Enkelkindern Großmama genannt.
„Ach Kindchen, wir beide? Ich bin doch auch kein Krösus.“
„Aber liebste Omi, wir brauchen doch nur die Hälfte. Die andere Hälfte kann man finanzieren, das hab ich alles schon mit dem Notar besprochen, und schwups, schon sind wir beide Immobilienbesitzer.“
„Ich besitze doch schon ein Reihenhaus.“
„Ach Omi, so kenne ich dich ja gar nicht, so zugeknöpft, als wenn du nicht meine liebste Omi wärst.“
Bei allem Spaß, die tüttelige Alte zu spielen, schlich sich bei Lisbeth doch ein Gefühl von Ekel und Widerwillen ein. Sie musste versuchen, das Verfahren abzukürzen, doch zugleich stellte sie sich vor, wie köstlich es wäre, wenn sie dieses Gör samt deren Hintermänner der Polizei auf dem Teller servieren könnte.
„Ohne jetzt irgendetwas zu versprechen, aber sag mir doch, wie viel Eigenkapital müssen wir auf den Tisch legen?“
„Omi, du hörst dich ja richtig professionell an. Also, das wären (etwas leiser) 30000.“
„Du lieber Himmel, Lena, so viel Geld!“
„Eigentlich 32000, 2000 kann ich selber beisteuern. Aber schau mal, das Geld ist doch nicht weg. In ein paar Jahren ist die Wohnung 100000 wert, und du hast 20000 Gewinn gemacht, einfach so.“
„Wo soll ich denn plötzlich so viel Geld hernehmen. Das sind doch meine Rücklagen fürs Alter.“
„Omi, du bist doch noch super fit. Jetzt hast du die Gelegenheit, noch mal was Tolles zu deichseln, mit mir zusammen, allerdings nicht mehr lange, sonst fischt uns ein anderer die Wohnung weg.“
„Das ist alles nicht so einfach. Das Geld muss erst vom Sparkonto auf das Girokonto und von da auf das Anderkonto des Notars. Dazu brauche ich Unterlagen, zumindest die Kontonummer und so weiter. So war das, als wir unser Haus gekauft hatten. Ach, das ist so lange her.“
„Du Omi, so läuft das nicht mehr. Jedenfalls nicht bei so einem Schnäppchen. Aber weißt Du, wir haben Glück. Der Notar ist gerade bei dir in Osnabrück. Er käme vorbei, zeigt dir den Vertrag und gibt dir eine Quittung für die 30000, dann fährt er nach Bielefeld und bringt mit mir die Sache über die Bühne.“
„Ach Lena, ich weiß nicht.“
„Omi, wenn wir das heute nicht hinkriegen, ist die Wohnung futsch. Das würde ich dir nie verzeihen, und du willst doch sicher für immer meine allerliebste Omi sein.“
„Ja, ja, ich geh ja schon.“
„Zur Bank?“
„Natürlich zur Bank, aber da wird es ein wenig dauern.“
Puh, stöhnte Lisbeth, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, aber alles in allem fand sie, dass sie ihre Rolle gut gespielt hatte. Übrigens war auch die Gegenseite äußerst zufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs. Wieder meldete sich das Telefon.
„Hallo.“
„Hallo Omi, Ich wollte dir nur noch gute Verrichtung wünschen.“
„Ist ja gut, ich bin ja schon fast auf dem Weg. Ich muss mich nur noch etwas zurechtmachen. Meine Haare vor allem. Die Unterlagen liegen schon bereit.“
Sie hatte keine Unterlagen rausgesucht, sondern nur ihrem Sekretär, neben einem Glasschrank mit Restbeständen von Meißener Porzellan das einzige Erbstück aus dem Haushalt ihrer Eltern, einen größeren weißen Umschlag entnommen. Damit ging sie in die Küche, holte aus einer unteren Schublade eine Rolle Butterbrotpapier, und schnitt daraus viele rechteckige Blätter, die in ihrer Größe etwa einem 500-Euro Schein gleichkamen. Genau wusste sie es nicht, denn sie hatte noch nie solche Scheine in der Hand gehabt. Die Blätter steckte sie in den Umschlag und den Umschlag in eine leichte Tasche. Dann warf sie sich eine Steppjacke über, vergewisserte sich, dass sie ihr Handy dabeihatte, und verließ sieben Minuten nach dem letzten Anruf, nämlich gegen 14.15 Uhr das Haus.
Die kleine Pforte zwischen ihrem Vorgarten und dem Gehsteig ließ sie unverschlossen.