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12. Neuer Boden unter den Füßen

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Der Pier sah ähnlich aus wie der in Koh Pah Ngan, wirkte aber irgendwie hölzerner. Das lag wahrscheinlich daran, dass die Bauten hier wesentlich weniger von schützender Farbe erstickt waren. Auch die Gebäude am Ufer wirkten weniger gerade, eher schief und verschachtelt. Eine Szenerie ähnlich dem Kulissenaufbau eines Italowesterns. Warum spielten Western eigentlich niemals am Meer? Und nur sehr selten im Winter? Josef zupfte an einem Infostand eine Karte der Insel aus dem Ständer, die versprach - „all you need to explore turtle island“ - faltete sie auseinander und bog nach links ab. Die erste von den zwei Hauptstrassen von Mae Haad Town war rasch erreicht. Rechter Hand zog sie sich verhältnismäßig rasch steil ansteigend hinauf, auf beiden Seiten gesäumt von unzähligen Geschäften und bevölkert von unzähligen Leuten. Josef hatte die Sonne im Rücken, von vorn wehte ihn ein angenehm warmer Lufthauch an. Er fühlte sich wohl hier. Und er fand recht bald was er suchte: Einen Fahrzeugverleih.

Der Mann hinter dem Schreibtisch wirkte massiv. Die muskulösen Arme hatte er über seinem nackten Oberkörper verschränkt. Sein Schädel war kahl, obwohl er höchstens vierzig war. Auf dem Schreibtisch türmten sich Papiere, Dokumentenmappen. Daneben lag ein Schraubenschlüssel. Ein sechsunddreißiger. Und ein Taschenrechner. Ein Filzschreiber. Ein paar Kulis. Der Pitbull unter dem Tisch sah genauso aus wie man sich diese Hunde immer vorstellte: Hässlich. Die Farbe des kurzen Fells war so ein braungraues Gemisch mit weißen Einsprengseln und ein paar rosa Flecken im Gesicht. Das breite Gesicht mit den hängenden Lefzen tränte und trenzte, obwohl es Josef treuherzig anblickte. Der Hund hatte ein bisschen was vom Joker in Batman. Seine nackten Eier hingen hinten unter seinem dünnen Schwanz raus, lagen auf seinen Schenkeln, die genauso massiv waren, wie der Rest seines Körpers. Ein Geräusch das wie ein kombiniertes Rülpsen und Schnarchen klang, kam aus seiner Gurgel, bevor er seinen Kopf auf die Vorderläufe legte und die Augen schloss. Seine Lefzen wellten entspannt über seine Vorderpfoten.

Mr. Rent a Bike hatte Josef bereits eine Menge Geld und seinen Reisepass abgenommen und führte ihn jetzt nach draußen. Das rotschwarze Schmuckstück, das es Josef angetan hatte, stand genau vor der Eingangstür. All Terrain Vehicle Brownie dreihundertfünfzig. Vier mal vier. Rot die Karosserie, schwarz das Gestänge, die Reifen, der Sitz und der Lenker. Mit seinen zweiundzwanzig Pferdestärken kam das Ding locker auf fünfundsiebzig Kilometer die Stunde. Josef nahm den Schlüssel in Empfang und schnallte den Rucksack auf den hinteren Gepäcksträger.

Das Quad kostete tausendachthundert Baht Miete per day.

„Benzin kriegst du gleich vorne links.“

Mr. Rent a Bike war Deutscher. Ein Bayer.

„Okay.“

Josef drückte den Gashebel durch und brauste nach links davon. Anders war das auch gar nicht möglich, er befand sich auf einer Einbahn. Und auch jäh in ziemlichem heavy traffic. Motorräder, Vespas, Mofas. Crossmaschinen, Quads, Pickups. Alles fuhr hier. Und das ziemlich flott. Und sichtlich eher regellos. Josef riss sein Quad abrupt nach links. Das vermied einen Frontalzusammenstoß mit einer Crossmaschine, die ihrerseits einen gekonnten Schlenker in die andere Richtung machte. Josef sah nach hinten, sah, dass nichts passiert war, sah nach vorn, sah das Heck eines Pickups vor sich und bremste so abrupt, dass es ihn beinah über die Gabel geschleudert hätte. Im nächsten Moment riss es ihn wieder nach hinten, drückte ihn satt in den Sattel. Er fuhr an den Rand, sah den blauen Pickup entschwinden und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Das hätte verdammt schief gehen können. Linksverkehr verdammt! Es sah zwar gut aus wenn man so cool um die Ecke brauste, aber ein Gedanke an die Verkehrsregeln zur rechten Zeit konnte auch nicht schaden. Josef sah erst mal nach hinten und fuhr gemächlich wieder an. Die nächste Tankstelle war nicht weit und er ließ sich erstmal zehn Liter geben, was ihn um vierhundert Baht ärmer machte. Der Preis war heiß. Da fühlte man sich beinah schon wie zuhause! An der Zapfsäule des Grauens. Der Multis. Oder des Finanzministers. Alles dasselbe. Die Straße schlängelte sich leicht durch Ansammlungen von Niederbauten, Cocoshainen und kleinen Dschungelstreifen hindurch. Hie und da gab es Abzweigungen. Rechts steil nach oben in den Dschungel, links flach abfallend in Richtung Strand. Die Resorts hatten alle Urlaubstaugliche Namen. Sunset Buri, Wind Beach, Seashell Dive Resort, Big Blue und Sun Smile. Aber erst ein großes braunes Schild, traditionell anzusehen, mit dem goldenen Schriftzug Bow Thong Resort gefiel ihm. Sah in Thai sehr hübsch aus.Es stand am Anfang einer von Palmen und Frangipanisträuchern gesäumten Einfahrt in Richtung Strand. Josef entschied sich, das einmal näher anzusehen und bog ein.

Die Rezeption gestaltete sich als großzügig überdachter Freibereich, abgestützt mit dicken Holzstämmen. An zweien von ihnen hingen bemalte Büffelschädel, an denen bunte Fähnchen steckten. Darunter lag eine extrem dürre Hundemutter. Drei putzige Hundebabys stritten sich um ihre dicken Zitzen. Der Blick nach vorne ging zwischen Palmenstämmen direkt auf´s Meer und einen wenig bevölkerten Sandstrand, der in einem leichten Bogen am rechten Rand in einen felsigen Ausläufer überging, der ihn begrenzte und ein Stück weit ins Meer hinaus vorsprang. Die Hütten einer weiteren Anlage verteilten sich zwischen den Felsen, sahen exclusiv aus. Josef gefiel die Lage auf Anhieb und er nahm das Zimmer Nummer zweihundertzwei. Es schien fast als ob das rosa Band am Rucksack, und der gleichfarbige Aufkleber auf Josefs Brust, ihn direkt hierher geführt hätten. Sehr viele und sehr schöne „Bäume des Wanderers“ säumten den zentralen Weg durch die Anlage.

Steil, mit doppelt so hohen Stufen, wie sie in Europa gebräuchlich waren, gab sich der Steigenaufgang zum Zimmer. Zweihundertzwei war großzügig und hatte AC, was für Aircondition stand, und einen Refrigerator von Haugatchi zu bieten. Weiters und weitaus wichtiger, einen schönen Balkon mit Meerblick. Oder vielmehr Palmenblick. Das Meer sah man durch die Palmen hindurch.

Innenarchitektonisch betrachtet war das Waschbecken zu hoch angebracht, der Spiegel entsprechend zu nieder montiert. Automatisch nahm man eine leicht abgeknickte Haltung ein, wenn man beim Rasieren in den Spiegel sehen wollte. Das Genital konnte nur mit größter Anstrengung über den Beckenrand gebracht werden. Nur mit ganz durchgestreckten Beinen. Jetzt bloß nicht ausrutschen! Ganz schlecht. Aber es musste sowieso noch geduscht werden. Da konnten die Schaumreste auch gleich runter. Der Brauseschlauch war zu kurz und zu steif, das Bad insgesamt zu groß. Keine Ablage, keine Seifenschale. Der Haken für den Brausekopf war viel zu weit oben in die Fliesen geschraubt und die minimale Fliesenkante die eine Brausetasse simulieren sollte, stellte eine permanente Gefahr für alle zehn Zehen dar. Josef trocknete sich ab, puderte sich mit Frickly Hotblock Classic ein und sprühte großzügig Kill Wild achtundzwanzig drüber. Der gute Insektenspray war Kill Wild achtundzwanzig. Der stärkere fünfundneunziger musste der absolute Killer sein. Nicht nur so heißen. Ging man wahrscheinlich noch selber ein dabei. Pulverisierte einem die Haare und schälte einem die Haut vom Fleisch. Machte Finger- und Zehennägel zu Gelee, das kriechend abfloss. Sizzler in der grünen Flasche mit der putzig schwarzen Comic-Mücke drauf war dagegen praktisch wirkungsfrei. Für einen richtig dicken Dschungelmosquito stank das bloß. Auch für den Eingesprühten. Kill Wild duftete. Zitronig frisch.

Josef griff sich ein unbenutztes T-Shirt und eine Unterhose.

Der Hauptraum war wie das Bad zu groß gehalten und bot viel zu wenige Ablagemöglichkeiten. Der Innenarchitekt stand vielleicht noch in der Ausbildung. Oder er war einfach schlecht gewesen. Kein Gefühl für Raumaufteilung oder Interieur. Oder auch nur für Praktisches. Kein Nachtkästchen und keine Lampe drauf gab es, nur eine viel zu weit weg von Bett stehende Mini-Spiegelkommode. Ebenfalls unbelampt. Der Kasten war klein, beinah fachlos, das Bett war viel zu groß. Entsetzlich groß. Es starrte Josef mit seinen zwei Kissen herausfordernd an, den Deckenaufschlag leicht geschürzt. Das Leintuch leckte sich leicht darüber. Josef zwinkerte. Vielleicht noch eine Nachwirkung.

Josef hockte sich auf den Balkon und ließ sich vom Sonnenuntergang niederstrecken. Ein rosavioletter Grundton, orange Wolken, gelb gehimmelt. Schwarz und scharf schnitten sich die Palmwedel in die molligen Farben hinein. Ein leichter Wind machte die Hitze angenehm und mehrere mysteriöse „Gee coo“ Rufe erklangen rundherum in und aus den Bäumen. Am Querbalken an der weißen Wand, an dem das Vordach aus Palmwedeln befestigt war, bewegte sich etwas. Von der Form her etwas längliches schlangenartiges, von der Geschwindigkeit her konnte es aber keine Schlange sein. Es war sehr langsam. Und irgendwie runder als ein Schlangenleib. Kürzer. Gedrungener. Langsam gewöhnten sich Josefs Augen an die diffusen Sichtverhältnisse und er meinte auch so etwas wie ein Bein, das da an dem undefinierbaren Schwanzding dranhing, ausmachen zu können. Eher musste der unbekannte Besucher eine Echse sein. Eine ziemlich große. Angestrengt spähte Josef in die dunkle Ecke, vermeinte tatsächlich so etwas wie einen Echsenkörper erkennen zu können. Ganz langsam, um das Tier nicht zu verscheuchen, ging er in das Zimmer um das Außenlicht anzumachen. Wieder zurück sah er das, was wie eine gut genährte, weil relativ dicke Eidechse aussah am Balken hängen. Die Farbe des Tieres ging ins Blau und es hatte rostrote und weiße Punkte am Körper. Auch der Kopf war dick, von dreieckiger Form, die großen Augen blickten rund und freundlich, der Mund hatte einen lächelnden Zug. An den großen runden Zehen ließ sich sicher erkennen, dass das einer jener Burschen war die in den Palmen fortwährend dieses „Gee coo, Gee coo“ von sich gaben. Und ja auch so hießen: Gecko. Josef war jetzt alles klar. Aber das hier war ein enorm großes Exemplar der Gattung. Locker fünfunddreißig Zentimeter lang. Sicher eine eigene Art. Sehr schön gezeichnet und mit besseren Nerven ausgestattet als seine hektischen kleinen Artgenossen. Denn während die kleinen Geckos sofort davonhuschten sobald man ihrer ansichtig wurde, klebte dieses Exemplar seelenruhig an dem großen Balken und rührte sich nicht. Schaute nur. Josef bedauerte es zum ersten Mal, keinen Fotoapparat dabei zu haben. Aber es wäre einfach zu paradox gewesen, auf der eigenen Abschiedsreise eine Strecke von Erinnerungsfotos zu schießen. Hätte sicher Zweifel an der Lauterkeit seiner Absichten aufkommen lassen.

In einem der Bungalows gegenüber gab die Matratze unter regelmäßigen Stößen nach. Eine Art schleifendes Geraschel, so als ob zwei dichtfiedrige Entenbäuche aneinander reiben würden. Dazwischen klang verhaltenes Seufzen. Dann schwang die Matratze klanglich in zwei kurz gefederten Sätzen durch, bevor der Nebenbungalow ohne einen weiteren Ton abspritzte. Wahrscheinlich abspritzte. Man erahnte es nur am erstorbenen Seufzen. Nichts mehr zu hören. Still. Dann, später, nach einer doch längeren Pause, ein bisschen Sado Maso. Das Stöhnen klang nun zumindest nicht mehr so angenehm erregt, war eher erschreckt und gequält, erstarb bald. Noch ein bisschen später dann ein wenig Husten. Post-orgasmustativ.

Josef ging ins Zimmer. Das Doppelbett war jetzt noch größer als vorher. Es leckte sich die Lippen und wölbte einladend die Bettdecke. Josef ging ins Bad um kalt zu duschen. Das Bett sah ihm lüstern nach.

Die Nacht war anstrengend gewesen. Josef war immer wieder aufgewacht. Sein Glied streifte fortwährend über fordernden Stoff, geilte sich ständig selbst auf. Er schwitzte, träumte zwischen den Wachphasen von fleischigen Ländereien die sich ihm anboten. Gegen vier Uhr morgens bemerkte Josef feuchtes Zeug an sich, und schreckte hoch. Er vermeinte ins Bett gepisst zu haben. Ein schneller Griff nach unten belehrte ihn aber eines besseren. Die feuchten Stellen fühlten sich etwas zäh an. Kein Zweifel, der lästige geile Putenhals hatte es sich selbst gemacht. Dass ihm das noch einmal passieren sollte! Gott sei Dank lag er mit dieser Peinlichkeit allein im Bett. Nicht auszudenken. Das letzte Mal war ihm mit zwölf Jahren noch einer von selber abgegangen. Im Jugendzimmer. Neben seiner Schwester im Bett. Genau zwei Tage nachdem er neben ihr das erste Mal gewichst und seinen Schulkameraden verflucht hatte, der gesagt hatte, es könne nichts passieren. Erst wenn man vierzehn wäre, dann käme oben etwas heraus. Ein weißer Punkt. Seinem Eindruck nach hatte er es damals mit enormen Massen von Samen zu tun gehabt, der völlig unbeherrschbar geworden, aus ihm herausschoss und quoll. Eine Menge, die überhaupt nichts mit einem kleinen weißen Punkt zu tun hatte. Und Josef war noch keine vierzehn gewesen. Er war gerade mal stolze zwölf gewesen und streifte die nasse Bescherung mit den Händen auf seiner beflaumten Bauchdecke zusammen. Rollte vorsichtig aus dem Bett, hielt den Samen an sich gedrückt wie er so durch das elterliche Schlafzimmer schlich, hoffend das nichts zu Boden tropfte, um sich im Clo mit Papier zu reinigen. Niemand hatte etwas bemerkt. Dieser unerwartete erste Samenerguss hatte ihm das Rüstzeug gegeben, auf den folgenden unwillkürlichen nächtlichen Samenabgang, zwei Tage später, sofort richtig reagieren zu können. Hatte also durchaus etwas Gutes. Und in der Klasse fühlte er sich dadurch auch etwas überlegener. Er wusste, dass die anderen noch zwei Jahre darauf warten mussten. Wenn sie sich überhaupt erst einmal trauten, ihren eigenen Pimmel anzufassen und dieses eigenartige Gefühl, das sich im sich versteifenden Organ durchaus erschreckend aufbaute, immer weiter voran zu treiben. Bis zum unkontrollierbaren Ende. Er musste nicht mehr warten. Josef nicht. Und er genoss es. Dass er es konnte. Die Wichserei an den verschiedensten Orten. Auf Toiletten, im Wald, unter der Schulbank. Manchmal auch dreimal am Tag. Aber nie mehr neben seiner Schwester im Bett. Und jetzt rollte er, beinah wie damals, wieder aus dem Bett, den Saft in der Mulde seiner Rechten am Bauch fangend. Josef säuberte sich schlaftrunken mit Papier und stopfte es in den Papierkorb. Er urinierte noch schnell, um jetzt wirklich durch nichts mehr vom Schlaf abgehalten zu werden. Seufzend saugte das Bett seine daneben gegangenen Spermatropfen in sich hinein, noch bevor er sich wieder hineinlegen konnte. Es war zufrieden. Streichelte sanft seinen Arsch. Und fuhr ihm leicht über die Haare an seiner Bauchhaut. Josef schlief wie ein Baby.

Der Morgen kam spät. Es war bereits elf Uhr, als Josef in Richtung Strand und damit in Richtung Frühstück ging. Er setzte sich an einen Tisch, der halb im Schatten stand und bestellte ein „Müseli with fruit and joghurt“ und „a hot pot of coffee“. Die Sonnenstrahlen zerhackten die kleinen Wellenkämme in gleißende Splitter. Josef setzte die Sonnenbrille auf. Am Nebentisch wurde ein Glas zerdrückt, und ein zerbrochener Eiskaffee am Morgen befleckte den Strand mit sich. Der Kellner, ein Vietkongverschnitt erster Sahne mit Matrixsonnenbrille, ein richtiger Honeyman, kam heran. Sein Lächeln war so breit und so groß, dass er damit sicher durchaus auch sehr kräftig zubeißen konnte. Arun, die Sonne, kam eigentlich aus Burma und er löste das Problem mit Witz. Professionell und elegant. Seit wann waren diese bleich sommersprossigen Engländerinnen eigentlich so stark, dass sie die Eiskaffeegläser mit ihren bloßen Händen zersplittern konnten? Die Frau hatte diese typische blasse Haut mit den vielen Pigmentflecken und ihre hellroten Haare kräuselten sich genauso um dieses gefleckte Gesicht herum, wie man es eben von einer Engländerin erwartete. Ihr Mann saß tatsächlich mit Stecktuch im blauen Anzug bei ihr. Weißem Stecktuch. Er schwitzte auf seinen Kragen, dunkelte das Blau salzig ein. Sein englischrotes Gesicht drückte sichtliches Unbehagen aus, - er fühlte sich hier nicht wohl; aber wen wunderte das bei dieser punktgenau verkehrt gewählten Garderobe, die sogar unten noch mit jenem berüchtigtem Sockenpaar in weiß abschloss, das in schwarzen Lackschuhen steckte. Und sie zerdrückte den Eiskaffee. Schuf Gefahrenpotential für Mensch und Tier. Scharfe Scherben im Sand. Am Strand. Und der Sonnenschirm war immer da, wo man ihn nicht brauchte. Der Halbschatten der Palme hatte Josef verlassen. Die Sonne stach ihm brutal ins Genick. Das Müsli kam an. Noch wichtiger, der Kaffee begleitete es.

„Can I get an orange juice please?“

„Yes master.“

„And a water too.“

Arun grinste mit einer Breite und beinah schon unverschämten Fröhlichkeit, dass Josef froh war, dass er seine linkisch burmesischen Augen unter der Matrixsonnenbrille nicht erkennen konnte, als er sagte: „Yesss, massa-man! Coming soon, freshly pressed and directly served to your breakfast table, please!“

Am Strand trieben sich ein paar Hunde herum. Einem schwarzen, mit Glocke um den Hals, wurde das Stöckchen ins Wasser geworfen und er apportierte es immer wieder sehr brav, klingelte wie eine herumhüpfende Geiß dabei. Ein anderer Hund, eine hellrotbraune Schäfer irgendwas Mischung, stellte sich sehr bewusst für einen Fotografen in Positur. Geradeso als wüsste er um seine Modelqualitäten Bescheid. Er sah ja auch ganz nett aus. An einem seiner braunen Augen sah man einen quallig blauen Schimmer über der Iris liegen. Fortgeschrittene Erblindung. Sicher von den Sonnenstrahlen am Wasser. Strahlen der immer aggressiver werdenden Sonne. Josef rückte seine Nonamesonnenbrille gerade. Aruns schlanke und fast schwarze Hände stellten Juice und Wasser vor ihn, während am Strand ein Vater seine eigenen und zwei fremde Kinder in ein Kanu packte, um ein Stück weit hinaus zu paddeln. Zwei Familien teilten sich offenbar die Betreuungspflichten so auf, dass einmal der eine und einmal der andere Mann den Nachwuchs übernahm. Die Frauen schienen überhaupt frei zu haben. Waren nirgends zu sehen. Vielleicht gab es ja auch gar keine. Eine Blondine humpelte mit Gipsbein und Krücken über den Strand, eine Barbie im sandfarbenen Bikini, einem den man selber binden musste. - Beachlife im Bow Thong. Daneben, in der luxuriösen Koh Tao Cabana mit dem Rim Lae Restaurant waren die Hunde sicher nicht mehr willkommen. Das Restaurant stand auf Stelzen aus Beton, schmiegte sich an Felsen und Bäume. Es hatte keine Wände und war mit Palmwedeln gedeckt. Das Haupthaus sah einer Pagode ähnlich, ein Dom mit kleinen Extragiebeln auf halber Höhe und einer runden Kuppel darüber, die in einer schlanken Spitze auslief. Auch die kleineren Nebengebäude und Gästehäuser falteten auf ihren Giebeln neue auf, vier für jede Seite und jeder Giebel war gekrönt mit einem langen, nach oben geschwungenen Dorn. Alles in allem ein sehr hübsches Ensemble, das sich perfekt in die Landschaft einfügte.

Josef überlegte, ob er sich noch ein Bier zum Abschluss bestellen sollte, entschied sich aber dagegen. Er zahlte und machte sich daran, die Insel ein wenig zu erkunden.

Der Inselplan sprach irgendwie für die Mango Bay und das Quad war damit einverstanden. Es lag mit seinem kräftigen Brummen angenehm beruhigend zwischen seinen Schenkeln und trug ihn vom Sairee Beach zum Village und an der Kreuzung nach dem Seven Eleven links hinauf, an den Asia Divers vorbei, in eine Landschaft die ihn an alte Vietnam Filme erinnerte. Nur kurz war Josef der Versuchung erlegen wieder rechts statt links zu fahren. Aber nur kurz. Und ohne Gegenverkehr. Ab hier wurde die Straße ohnehin zu schmal für links oder rechts. Die Hütten dünnten aus, und das All-Terrain-Vehicle fuhr auf absolut steilen, entweder betonierten oder lehmzerfurchten Dschungelpfaden durch übervolle Landschaften. Es sah beinah inszeniert aus. Palmen, grüne Musastauden, Felsen dazwischen. Langes Stechgras, gleichmäßig darunter verteilt. Ein Himmel, so blau, dass er die Palmenköpfe dunkelsten Grüns gnadenlos scharf aus sich heraustreten ließ. Ein filmmäßiges Freiheitsgefühl mit Vietnamtouch. Easy Rider auf Coconut. Und mit schwerem Gerät natürlich. Auf der Spitze des Hügels ging es abrupt ohne Vorwarnung die andere Seite steil bergab, mitten durch einen endlos scheinenden Bananenwald. Am Ende des Fahrwegs führte ein schmaler Pfad weiter nach unten, vorbei an einem Geisterhäuschen samt Tierfiguren und einer stechend grünen Dschungelnatter, die sich rasch verzog. Das Häuschen sah beinah aus wie eine Krippe, und die Schlange war sicher auch kein Zufall. Hätte Josef in der Schule aufgepasst, hätte er auch nicht gewusst, dass es sich bei der Schlange um eine Grüne Peitschennatter gehandelt hatte, einem bis zu zwei Meter langem, lebend gebärendem Reptil, das sich von Vögeln und Echsen ernährte. Die Schule hatte seinerzeit wenig für exotisches über, und heute lief sowieso nur mehr alles auf Leistung und deren Maßeinheit, das Kapital hinaus. Merke: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir! Die Grüne Peitschennatter war eine extrem anpassungsfähige Schlange, die selbst in großen Städten vorkam. Eine die nur selten zubiss, und wenn, dann blieb ihr Gift ohne Wirkung auf den Menschen. Das hätte Josef zweifelsohne beruhigt, so er es gewusst hätte. In Ermangelung des entsprechenden Wissens aber hatte er automatisch einen größeren Sicherheitsabstand eingehalten, bis die Schlange im Laub des Bodens vollständig verschwunden war. Und gleich daran anschließend sah er es. Das Türkis. Ja, türkis war das Wort, das es am besten beschrieb. Türkises Leuchten. Es war überwältigend. Die Farbe des Wassers in der Bucht unter ihm war so satt, dass es einen sprachlos machte. Nirgends war eine Mango zu sehen. Seltsam. Eine Mangobay ohne Mangos? Egal. Das tat ihr keinen Abbruch. Umkränzt von Felsen und Palmen lag die Bucht, einem Juwel gleich, am Fuß des Hügels, erreichbar nur per Schiff oder über den Steig auf dem er ging.

Unter den Bäumen des Himmels

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