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Erstes Buch 7

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Über dem Runotterhofe hing die laue Sommernacht mit funkelnden Sternen. Das Rauschen der Ache war wie ein gleichmäßiger Murmelsang im Schweigen der Dunkelheit. Aus den Ställen tönte zuweilen das Klirren einer Kette und der murrende Laut eines Rindes. Sonst kein Zeichen von Leben in der Nacht. Die angrenzenden Höfe lagen wie ausgestorben, und vom nahen Leuthaus klang nicht wie sonst das Schreien und Singen trunkener Knechte.

Doch aus Reiter Ferne — von dem nach Reichenhall ziehenden Tal des Schwarzenbaches — war immer wieder ein mattes, wirres, wunderliches Geräusch zu hören. Das klang, wie wenn man Erbsen in einer blechernen Schüssel rüttelt. Es war der ferne Lärm des ›andächtigen Bittganges‹, den alle wegfähigen Mannsleute, Weiber und Kinder von der Ramsau, vom Schwarzeck, vom Tauben- und Hintersee zum heiligen Zeno unternahmen, mit Wehr und Eisen, mit Geld und Vieh, mit Karren und Sack.

Immer leiser, immer ferner klang dieser wunderliche Lärm.

Der regungslose Wächter, der vor dem Hagtor des Runotterhofes auf einem Grasbuckel saß, mit dem Bidenhänder über den Knien, mußte immer schärfer lauschen, um noch einen matten Hall dieses erlöschenden Lärms zu vernehmen. So oft er das leise Gerüttel der Erbsen in der Blechschüssel hörte, war in ihm die Frage: Ist die Mutter mitgezogen, oder hat sie bleiben müssen, und hat man auch bei ihr einen halbwüchsigen Buben zurückgelassen mit einem versteckten Sparpfennig, mit einer milchenden Geiß, mit einer legenden Henne, mit Mehl und Schmalz und Salz?

Lautlos kam ein Mensch von der Straße heraufgesprungen, man sah von ihm in der Dunkelheit nur einen Schimmer des weißen Wundverbandes, der um den Kopf gewickelt war. Eine flüsternde Stimme: »Der Pfarrherr ist nit zu finden. Vor der Widumstür, da liegen die vier erschlagenen Leut. Allweil hab ich gepochet an der Tür. Aber niemand hat aufgetan. Der Pfarrherr —«

»Der ist beichten gegangen. Aber nit zum heiligen Zeno!« Malimmes lachte kurz. »Jetzt wissen die Herren im Gaden, wie andächtig heut in der Nacht die Ramsauer wallfahren.« Einen Augenblick besann er sich. »Geh hinein und sag dem Bauren, daß er auf den Pfarrherrn nit warten braucht. Sag, der Pfarrherr war davongelaufen. Sonst sag kein Wörtl! Verstehst?«

»Wohl.«

»Nachher sag, daß du letz bist und schlafen mußt. Und tu deinen Lederküraß an, und nimm dein Eisen. Und geh hinauf zu dem Schlupf hinter dem Gärtl droben, wo wir am Abend die Gäul hinausgetan haben. Über dem Hag draußen, gleich in den ersten Stauden links, da liegt des Bauren Wehrzeug. Und Gewand und Wehr von des Bauren Bruder liegt dabei, der jung hat sterben müssen. Und ein lederner Waldsack, der ein lützel schwer ist. Das alles mußt du aufnehmen. Und trag’s hinüber zum Hirscheneck beim Windbach, wo die andern mit den Gäulen sind. Und jetzt leg deine Hand in die meinig! Willst du treu sein, Heiner?«

»Wohl!«

»So geh! Und laß den Bauer nit merken, was geschieht!«

Als der Bub in den Hof schlüpfte, knarrte das Hagtor ein bißchen.

Malimmes setzte sich wieder auf den Rasenbuckel hin. Er lauschte über die nach Berchtesgaden führende Straße hinaus. Da war nur das dumpfe, hinter dichtem Wald versunkene Rauschen des Windbaches zu hören. Dann lauschte er nach Westen gegen den Schwarzenbach. Und da konnte er von Zeit zu Zeit noch immer dieses ferne Klirren vernehmen, dieses dünne Erbsengerüttel in einer Eisenschüssel.

Plötzlich drehte Malimmes das Gesicht gegen den Hag. Er lachte leise. »Du Gänsl, du dummes! Bist du noch all weil da?«

Keine Antwort. Doch eine Weibsgestalt löste sich grau von dem schwarzen Zaungeflecht.

»Maidl, jetzt muß ich grob werden!« sagte Malimmes ernst. »Bleibst du noch länger, so könnt ein schieches Ding über dich herfallen. Schau, daß du deinen Heimleuten nachkommst!«

Eine zerdrückte Mädchenstimme: »Ich bleib, wo du bist.«

Malimmes schien ärgerlich zu werden, wandte das Gesicht und lauschte gegen die Gadnische Straße hinaus.

Das Mädel beugte sich zu ihm hinunter. Ein sehnsüchtiges Dürsten war in der leisen Frage: »Tust mich denn gar nit mögen?«

Er lachte ein bißchen und legte den Bidenhänder fort. »So komm halt!« Mit beiden Händen faßte er das Mädel und zog es auf seinen Schoß. »Wer weiß, ob wir morgen noch warmes Blut im Leib haben.« Sie hatte schon seinen Hals umklammert, und seine Worte erstickten unter ihren gierigen Küssen. »Aber schau, Maidl, ich weiß noch gar nit, wie du heißt?«

»Traudi.«

Da mußte er wieder lachen. »Ich trau mich schon.«

Ein Stoß des wechselnden Nachtwindes fuhr durch das Bachtal her, die Ulmen an der Straße rauschten, und deutlicher klang der dumpfe Wasserlärm des Windbaches. Dann wieder die Stille mit dem sanften eintönigen Lied der Ache. Und immer waren zwei murmelnde Menschenstimmen zu hören, die wie müdes Summen vom Haus herüberklangen über den Hag — weil der Pfarrherr nicht gekommen war, sprachen Vater und Schwester für den toten Jakob den christlichen Seelentrost. Sie beteten lange. Nun verstummten sie.

»Guck Maidl«, sagte Malimmes wie ein Erwachender, leise und heiter, »so schiech ist keine Lebensstund, daß sie nit noch ein Bröselein Süßigkeit haben könnt! Aber paß auf, jetzt mußt du auch tun, was ich schaff.«

»Alles, Bub!« Sie umklammerte ihn.

»Laß luck ein lützel!« Er suchte in seiner Tasche. »Da hast du fünf güldene Pfennig. Tu’s nit verlieren, gelt! Und jetzt lauf die Straß hinaus zum Taubensee! Wenn du viele Reiter kommen hörst, so tu nit erschrecken. Ich glaub, die reiten zum Schwarzenbach. Eh sie dich einholen, birg dich in den Stauden. Und sind sie vorbeigeritten, so lauf wieder. Weißt du des Mareiners Haus?«

Das Mädel nickte an seinem Hals.

»Kann sein, das Haus ist leer. Kann sein, ein altes, müdes Weibl ist da. Dem steck zwei güldene Pfennig in jeden Strumpf. Sag, die tät ihr einer schicken, der am Zäunl gestanden. Sonst tu kein Wörtl reden, nit von dir und nit von mir! Und mach dich wieder davon!«

»Aber —«

»Was?«

»Der ander Pfennig?«

Er küßte sie auf die Wange. »Den heb dir auf! Von mir.«

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das nit! Darfst mir alles tun! Das nit!«

Malimmes lachte. »Da mußt mir halt den überschichtigen Pfennig wieder bringen.«

»Wann?« Das Mädel schmiegte die Wange an seinen Hals. »Und wo?«

»Wenn’s tagen will, kannst hinter dem Schwarzeck droben warten, auf dem Steig zum Hängmoos. Kann sein, ich komm. Kann auch sein, daß ich ausbleib. Da brauchst mich nimmer suchen.«

Das hatte er ruhig gesagt. Und dennoch fing das Mädel, von dunkler Angst befallen, an seinem Hals zu zittern an.

»Flink! Tu folgen!« Er packte sie fest, stellte sie auf die Füße und stand selber auf. »Mach weiter! Ist nimmer viel Zeit.«

Sie küßte ihn und suchte mit den Lippen die böse Narbe. Und flüsterte: »Wirst sehen, das heilet wieder. Ganz. Und da bist du der Schönste von allen.«

Er gab ihr lachend einen Schlag auf die dralle Schattenseite. »Spring jetzt! Flink!«

Traudi rannte davon und kam zurück. »Wenn aber das alte Weibl nimmer da ist?«

Eine Weile schwieg er. Dann sagte er hart: »Da tu, was du magst!« Er hob den Bidenhänder aus dem Gras und lauschte gegen den Windbach.

Hinter dem Leuthaus verhallte das flinke Schuhgeklapper des Mädels.

Nun wieder die ruhige Nacht mit dem eintönigen Wellengesang im schwarzen Tal und mit den funkelnden Sternen in der stahlblauen Höhe.

Nach dem Stande dieser weisenden Himmelslichter mußte Mitternacht schon lange vorüber sein.

Da streckte sich Malimmes.

Er hatte vom Windbach her ein Geräusch vernommen, wie wenn ein starker Brunnenstrahl auf einer hölzernen Kufe trommelt. Rasch verstärkte sich dieser Lärm und wurde zu einem Pochen von hundert eisernen Hämmern.

Malimmes trat in den Hof, drückte das Tor zu und schob die zwei schweren Sperrbalken in die Zwingen. Mit ruhiger Hand bekreuzte er das Gesicht, zog den Bidenhänder blank und hakte die Lederscheide wie einen Gürtel um die Hüfte.

Das Gehämmer dieser vielen Hufe kam immer näher, ohne seinen wirren Takt zu verlangsamen.

»Es stimmt. Das geht vorbei. Die reiten zum Schwarzenbach.«

Durch das Schuberloch des Tores guckte Malimmes auf die Straße hinunter. Nun kam’s. Und das war wie ein langer, schwarzer, flinker, vielfüßiger Nachtdrache, der hurtig seine Ringe schob und die Stacheln seines Rückens auf und nieder zucken ließ. Nun tauchte das Ungeheuer, das aus der Finsternis gekommen, in die Finsternis hinein.

Kamen bis in einer halben Stunde die flüchtenden Ramsauer auf ihrem andächtigen Bittgang nicht so weit, daß der schützende Mantel des heiligen Zeno sie umhüllte — dann wird dieser eisenschuppige Drache seinen Durst an ihnen stillen und Blut saufen.

Das waren an die vierzig Reiter gewesen. So viele berittene Soldknechte unterhielt das Stift zu Berchtesgaden nicht. Es mußten auch die Domizellaren, die jüngeren Chorherren und die wehrhaften Bürgersöhne mit ausgeritten sein.

Das Gehämmer der vielen Hufe klang schon wieder wie das Getrommel eines starken Brunnenstrahls auf einer hölzernen Wanne, wurde schwächer in der Ferne und versank im Rauschen der Ache.

»Jetzt noch ein Stündl. Und die Raubleut kommen.«

Malimmes schloß am Hagtor den Guckschuber, verwahrte den Bidenhänder in der Scheide und ging zum Haus hinüber.

Aus den offenen Fenstern der großen Stube quoll ein trüber, zuckender Schein in die Nacht heraus. Der kam von den Talglampen, die neben dem Totenbrett des Haussohnes brannten. Und diesen Schein durchwirbelte der dünne, scharf duftende Rauch der Wacholderzweige, die zu Füßen des Toten in einem Kohlenbecken brannten.

Lautlos trat Malimmes zu dem Fenster, das neben der Haustür war, und spähte in die Stube. Den Jakob, dessen Totenbrett auf der Erde lag, konnte er nicht sehen. Er sah nur den Qualm der Talglampen und die züngelnde Wacholderflamme, in der die brennenden Nadeln wie weißglühende Sternchen flogen. Und hinter diesem Schleier von Rauch und Licht gewahrte Malimmes die zwei schweigenden Menschen auf der Ofenbank. Runotter saß gebeugt, mit den Fäusten auf den Knien, und das niederhängende Grauhaar umhüllte sein Gesicht mit dunklem Schatten. So saß er regungslos. Nur manchmal hoben sich seine Schultern unter einem schweren Atemzug.

Jula, deren Arme schlaff herunterhingen, hielt den Kopf an den Ofen gelehnt. Die langsam gleitenden Augen suchten im Leeren. Diese Augen waren heiß und trocken. Doch in der Blässe des versteinerten Gesichtes waren graue Striche, die vom Lampenruß beschmutzten Wege der eingedorrten Tränen.

Immer machte Malimmes heimliche Zeichen zu ihr hin. Ihre irrenden Augen blieben blind. Und einmal, als Malimmes schon glaubte, sie hätte ihn gesehen, beugte sie sich nieder und legte einen frischen Wacholderzweig in die Glutpfanne.

Das junge Feuer prasselte, und den wehenden Rauch durchflogen die blitzenden Sternchen.

Mühsam atmend hob Runotter das Gesicht.

»Geht nit die Nacht schon dem Morgen zu?«

»Ich weiß nit, Vater!«

Er sah sie an. Lange schwieg er. Dann sagte er langsam: »Geh, Kind, und such deine Ruh! Für dich ist morgen auch wieder ein Tag.«

»Laß mich bleiben!«

»Wär das erstemal, daß du deinem Vater nit recht geben tätst.«

Jula stand auf.

Und Runotter sagte: »Schau, Tod ist Tod, und Leben muß Leben sein. Und mir ist wohler, wenn ich weiß, daß du ein lützel Ruh hast.«

Sie nickte.

Lange blieb sie neben der sternigen Wacholderflamme stehen und sah auf die Erde hin. Dann ging sie zum Tisch — und kam zurück — und mit einer plumpen Schere schnitt sie an den Schultern ihre beiden Zöpfe ab. Sie beugte sich nieder und legte das schöne Haar wie eine Opfergabe auf die Füße des Bruders.

Runotter hatte wehrend die Hand gestreckt. Er ließ sie fallen und schwieg.

Während Jula sich aufrichtete, bekreuzte sie Gesicht und Brust. »Morgen, Vater!« Sie ging zur Türe.

Malimmes stand schon im Hausflur. Als Jula kam, machte er ein Schweigzeichen, faßte sie bei der Hand und zog sie hinaus in die Nacht und gegen den Wiesgarten hin.

Die alten Ulmen, die das Haus dach überwölbten, rauschten leise im lauen Wind. Von den Gartenblumen war ein zarter Wohlgeruch in der Nacht, der sich mischte mit dem herben Wacholderduft an Julas Kleidern.

Ketten rasselten in den Ställen, und zwei Kühe fingen zu brüllen an. Hatten sie den Schritt der Hirtin vernommen und erkannt? Oder brüllten sie nur, weil sie müde waren und ziehende Euter hatten?

In der schwarzen Dunkelheit, in der die matt erleuchteten Fenster wie verweinte Augen hingen, lauschte und spähte Malimmes nach allen Seiten, während er noch immer Julas Handgelenk umklammert hielt.

Sie fragte: »Mensch, was tust du?«

»Meinen Dienst als guter Knecht, der seinen Herren aus dem Elend lupfen will.«

Sie fragte in der Verstörtheit ihres Schmerzes: »Kannst du lebig machen, was tot ist?«

»Das nit.« Malimmes sprach leise und ruhig. »Aber man kann beim Leben halten, was noch schnauft. Hinter dem Tod ist die Seligkeit. Aber was vor dem Sterben noch im irdischen Gärtl steht, ist auch nit schlecht. Ich sag: Der Herrgott soll dem toten Buben meines Herren gnädig sein, aber meinem Herren und seinem schnaufenden Kind soll er Gut im Leben erweisen. Gott ist allmächtig. Aber der Mensch muß mithelfen. Sonst mag der Herrgott nit. Am liebsten hilft Gott dem Stärksten. Drum hab ich ein lützel fürgesorgt —«

Der Ochsenkrieg

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