Читать книгу Förderung von sozialen Kompetenzen im Fach Sport - Lukas Magnaguagno - Страница 5
Оглавление«Musik macht schlau und Sport bessere Menschen» (Brettschneider 2008, S. 15). Mit diesem Bonmot wird eine tradierte Thematik angesprochen, die nach wie vor sport- und bildungspolitisch von enormer Bedeutung ist (Conzelmann, Schmidt & Valkanover 2011, S. 11). Bis heute scheinen sich Sportverbände, Sportvereine und auch viele Politikerinnen und Politiker darüber einig zu sein, dass Sport eine positive Wirkung auf die Menschen hat und damit eine Vielzahl pädagogisch-psychologischer Funktionen erfüllt (Hoffmann 2006). Er macht resistenter gegenüber Drogen, schützt vor Gewalt, hilft bei der Bekämpfung von Rechtsradikalismus sowie Rassismus, fördert soziale Integration und unterstützt die Entwicklung der Persönlichkeit in all ihren Facetten (Brettschneider 2008). Gerade die persönlichkeitsbildende Funktion des Sports genießt einen hohen Stellenwert. Diesbezüglich nimmt der Schulsport1 eine gesonderte Rolle ein, denn auf sozialerzieherischer Ebene wird er im Kindes- und Jugendalter als einflussreiches Instrument bezeichnet, um einen Beitrag zur Erarbeitung überfachlicher Schlüsselqualifikationen wie etwa dem Erwerb von sozialen Kompetenzen zu leisten. Der Sportunterricht als Sozialisationsinstanz soll demnach soziokulturell bedingte Defizite kompensieren sowie prosoziale Verhaltensformen vermitteln (Gebken 2010). Diese bildungspolitische und sportpädagogische Zielsetzung bildet eine Begründungslinie des Schulsports und wird in sämtlichen Rahmenrichtlinien sowie Handreichungen explizit formuliert (ebd.). Dadurch gehört der Aspekt der Sozialerziehung im Schulsport zum allgemeinen Bildungsauftrag der Institution Schule. Allerdings erreicht er für die Praxis des Sportunterrichts erst dann Relevanz, wenn neben Erkenntnissen zur tatsächlichen Wirkung von bildungspolitisch begründeten Erwartungen auch die Frage nach didaktisch-methodischen Handlungsempfehlungen und Umsetzungsbedingungen beantwortet wird. Vor diesem Hintergrund bietet dieser Beitrag nicht nur eine empirische Bewährungsprobe zur normativ gehaltenen Argumentationsdiskussion, sondern liefert zudem für Lehrpersonen, Studierende von Pädagogischen Hochschulen aber auch Dozierende in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften einen Vorschlag für die Unterrichtsgestaltung, um das Potenzial des Sportunterrichts für soziale Lernprozesse nutzbar zu machen.
1.1Sozialerziehung und Sportunterricht
Die generelle Annahme, dass Sport im positiven Sinne zur Persönlichkeitsentwicklung des Menschen beitrage, hat nicht nur eine lange Tradition, sondern bildet gleichermaßen den Ursprung für pädagogische Postulate. Richtet man den Blick auf den deutschsprachigen Raum können im bildungspolitischen Kontext zwei Positionspapiere als beispielhafte Umsetzung dieser Argumentationslinie aufgeführt werden. Zum einen wird in der Erklärung der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) vom 28. Oktober 2005, die sich mit der Bewegungserziehung und Bewegungsförderung in der Schule beschäftigte, auf der ersten Seite vermerkt, dass Bewegungserziehung und Bewegungsförderung für alle Schülerinnen und Schüler zum Bildungsauftrag gehören: Der Schulsport soll dabei einerseits einen Beitrag zur Gesundheitsförderung, andererseits auch zur Persönlichkeitsentwicklung leisten. Zum anderen umschreibt das im September 2009 gemeinsam von der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, dem Deutschen Sportlehrerverband und dem Deutschen Olympischen Sportbund beschlossene «Memorandum zum Schulsport» auf Seite 5 den pädagogischen Auftrag des Schulsports folgendermaßen: «Grundsätzlich […] geht es um die doppelte Aufgabe, sowohl die Sport- und Bewegungskultur als auch die Persönlichkeit zu entwickeln.» Damit kommt der sogenannte Doppelauftrag – Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport sowie Erschließung der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur (Brettschneider 2008) – zum Ausdruck, welcher den Schulsport nicht ausschließlich durch die Erziehung zum Sport, sondern ebenso Erziehung durch Sport legitimiert und in den meisten Schulsport-Curricula an öffentlichen Schulen im deutschen Sprachraum unbestritten ist (Balz 2003).
Ein zentraler Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung, der als Schlüsselkompetenz maßgeblich zum privaten sowie beruflichen Erfolg und Wohlbefinden beiträgt (z. B. Limbourg, Steins 2011), ist die Sozialkompetenz.2 Ihr wird mitunter die frühzeitige Prävention von möglichen Risikoentwicklungen wie Gewalt oder Delinquenz sowie die Vorabreduktion der Eintretenswahrscheinlichkeit von potenziellen Belastungen wie soziale Isolation bescheinigt (Brinkhoff 2000; Jerusalem, Klein-Hessling 2002). Insbesondere im Kindes- und Jugendalter wird der Entwicklung der Sozialkompetenz sowohl von entwicklungspsychologischer als auch bildungspolitischer Seite große Bedeutung beigemessen und bildet damit einen integralen Bestandteil des allgemeinen Bildungsauftrages. Brohm (2009) verweist bei der schulischen Vermittlung sozialer Kompetenzen aber nicht nur auf den Selbstzweck, den gesetzlich vorgeschriebenen Sozialzielen Genüge zu tun, sondern sieht darüber hinaus das sozialkompetenzbezogene Lernziel als zentralen «Bestandteil der in den Gesetzen geforderten an Menschen- und Freiheitsrecht ausgerichteten schulischen Werteerziehung und Persönlichkeitsentwicklung» (S. 191). Nach wie vor ist die Sozialerziehung im schulischen Kontext also ein wichtiges und relevantes Thema und stellt eine wesentliche gesellschaftliche Aufgabe gegenüber den heranwachsenden Generationen dar, der alle erwachsenen Bezugspersonen wie Lehrerinnen und Lehrer verpflichtet sind. Nach Limbourg und Steins (2011) bleibt jedoch weitgehend unklar, wie man soziale Lernprozesse systematisch und differenziert in der Schule gestalten soll.
Obschon die Förderung von sozialen Kompetenzen in der modernen Gesellschaft erwartet und soziales Lernen u. a. als Erwerb von Wissensbeständen im Rahmen bestimmter Fächer und ihren Teilgebieten verstanden wird, findet man kaum eine curriculare Strukturierung, um soziale Lernprozesse stufenübergreifend in den erzieherischen Auftrag der öffentlichen Institution Schule zu integrieren. Auf diese Weise stellt die Entwicklung dieser überfachlichen Kompetenz auch nicht wirklich einen integrativen Bestandteil von Schule und Unterricht dar (ebd.). So bleibt es schlussendlich jedem Fach selbst überlassen, inwiefern Sozialerziehung im Unterricht intentional erfolgt. Diesbezüglich spricht man gerade dem Fach Sport in besonderem Maß das Potenzial zu als Feld sozialen Handelns zur Vermittlung sozialer Kompetenzen beitragen zu können (Süssenbach, Hoffmann 2011). In den Strukturen des Schulsports sind Chancen in Bezug auf soziales Handeln und Lernen angelegt, die in anderen Schulfächern weniger vorhanden sind. Sie bieten einen Spielraum zur Förderung verschiedenster sozialer Kompetenzen (Bähr 2009). Hierzu gehören Aspekte wie das Verständnis und die Erprobung von sozialen Regeln, die Förderung der Kooperation, die Bewährung in Wettbewerbssituationen und das Lernen von sozialer Regulation in Gleichaltrigengruppen (Schmidt-Denter, Zierau 1994). So wird der Sportunterricht (wie kaum ein anderes Fach) von sozialen Wirkungsmechanismen beeinflusst (Süssenbach, Hoffmann 2011) und Individuen benötigen insbesondere im schulsportlichen Kontext zur Bewältigung von sozialen Anforderungssituationen die Ressourcen der sozialen Kompetenzen.
In diesem Zusammenhang kann hinsichtlich des schweizerischen Positionspapiers ausgeführt werden, dass die EDK (2005) beim gleichnamigen Dokument auf Seite 2 folgende Zielsetzungen der Bewegungserziehung und Bewegungsförderung festhält: «Sie umfassen Freude an der Bewegung, den Erwerb von sozialen Kompetenzen, motorischen Fertigkeiten, kognitiver Leistungsfähigkeit, Geschicklichkeit und anderes mehr.»
Box 1: Deutschschweizer Beispiele für pädagogische Postulate zur Förderung sozialer Kompetenzen durch Schulsport
Lehrplan für die Volksschule des Kantons Bern
«Spiel und Sport erleben Kinder und Jugendliche mit Kameradinnen und Kameraden zusammen. Sie lernen ihre Fähigkeiten und Anliegen einzubringen, sich mit anderen zu messen, Rücksicht zu nehmen und fair Sport zu treiben» (Erziehungsdirektion des Kantons Bern 1995, SPO 1).
Lehrplan für die Volksschule des Kantons Zürich
«Sport ist für menschliches Zusammenleben ein wichtiges Erfahrungsfeld und eignet sich daher zur Förderung sozialer Fähigkeiten. Er bietet Möglichkeiten zu einem gemeinsamen, verantwortungsvollen Handeln und kann dazu beitragen, Spannungen abzubauen und Konflikte zu lösen» (Bildungsdirektion des Kantons Zürich 2002, S. 321).
Bildungs- und Lehrplan Volksschule, Kanton St. Gallen
«Sport ist ein geeignetes Erfahrungsfeld für das menschliche Zusammenleben. Er fördert soziale Fähigkeiten, bietet Möglichkeiten zum gemeinsamen, verantwortungsvollen Handeln und kann dazu beitragen, Konflikte zu lösen» (Bildungsdepartement des Kantons St. Gallen 2008, Fachbereich Sport, S. 3).
Basierend auf dieser nationalen Verankerung findet sich das Thema der Sozialerziehung im Sportunterricht auch dementsprechend in den schweizerischen Lehrplänen wieder, die mehr oder weniger explizit darauf verweisen oder einzelne Facetten sozialen Handelns aufführen (vgl. Box 1). Diese Zusammenstellung ließe sich auf nationaler sowie internationaler Ebene beliebig fortsetzen. Auch im Hinblick auf den Lehrplan 21 wird die Förderung sozialer Kompetenzen thematisiert (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz [EDK] 2014):
«Der Bewegungs- und Sportunterricht fördert fachliche und überfachliche Kompetenzen. Im Unterricht ergeben sich vielfältige Anknüpfungspunkte, um personale, soziale und methodische Kompetenzen zu fördern. Im Lehrplan werden folgende Schwerpunkte gesetzt. […] Soziale Kompetenzen: Kooperationsfähigkeit, z. B. durch das Lösen von Gestaltungsaufgaben in Gruppen. Konfliktfähigkeit, z. B. durch das Suchen von Lösungen in Konfliktsituationen. Umgang mit Vielfalt, z. B. durch die Wahrnehmung und die respektvolle Begegnung mit Bewegungs- und Ausdrucksformen anderer Menschen.»
Angesichts der bildungspolitischen Ansprüche einerseits und dem zunehmenden Legitimationsdruck des Fachs Sport im Kanon der Schulfächer andererseits, stellt sich die Frage nach der empirischen Überprüfung der sozialerzieherischen Wirkung des Sportunterrichts und damit nach realistischen Möglichkeiten der positiven Beeinflussung von sozialen Lernprozessen im Rahmen der lehrplankonformen obligatorischen Sportlektionen. Leistet demnach der Schulsport überhaupt, was er zu leisten vorgibt und werden diese persönlichkeitsbildenden Ziele wirklich erreicht? Fördert der Schulsport automatisch soziale Kompetenzen oder muss der Unterricht eine gezielte Inszenierung verbunden mit punktueller Erweiterung durch kognitive Methoden erfahren?
Der vorliegende Beitrag geht diesen Fragen nach und stellt in einem ersten Schritt den Wissensstand dar. Darauf basierend werden das zentrale Anliegen sowie die Untersuchungsmethodik des Forschungsprojekts umrissen. Als praxisorientierte Publikation geht das nächste Kapitel ausführlich auf das Unterrichtskonzept der sportpädagogischen Intervention ein. Dabei werden die Methode, der Inhalt, die Struktur sowie die Schulungsmaßnahmen für die teilnehmenden Lehrkräfte beschrieben. Des Weiteren wird erläutert, wie die einzelnen Lektionen aufgebaut waren und in Ergänzung dazu fünf Beispiele der insgesamt 28 Lektionen abgebildet. In einem weiteren Schritt werden die Befunde des Forschungsprojekts zusammenfassend präsentiert und diskutiert, um ihre Bedeutung für den schulischen Kontext zu skizzieren. So zielt die Publikation darauf ab eine Brücke zwischen Forschung und Praxis zu schlagen und einen Beitrag zur Unterrichtspraxis auf der Primarstufe zu leisten.