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Psycho

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Mir fällt das Profil einer 25-jährigen beruflich Selbständigen auf. Sie ist im Marketing tätig. Es wirkt kurz, knackig und ein wenig selbstironisch. „Ich freue mich auf Männer, die wissen, was sie wollen.“ Ihr ideales Wochenende ist: „Ein Trip an die See. Sonne, Strand, Meer und Du. Bist du dabei?“ Und das Besondere an ihr ist: „Dass mein Nudelwasser immer überläuft. In manchen Dingen bin ich ein Tollpatsch.“ Sie wohnt in einer Kleinstadt, 50 km von mir entfernt. Ich schreibe sie an.

„Bei deinem Wochenende bin ich dabei. Wenn du Lust hast, mich näher kennenzulernen, kann ich vielleicht schon bald den Topf von deinem Herd nehmen.“ Sie meldet sich fünf Minuten später mit freigeschalteten Fotos, wo sie ein wenig unfreundlich aussieht. Halb zugekniffene Augen und ein irritierter Blick. Das liegt wahrscheinlich an der Selbstaufnahme. „Sorry, ich bin nicht besonders fotogen“, bemerkt sie. Sie wirkt sehr zielgerichtet: „Wie lange bist du schon Single? Welchen Typ Frau suchst du? Was ist dir wichtig in einer Beziehung?“

Sie heißt Marie. Sie ist im Marketing tätig und muss sich ihre Kunden selbst akquirieren. Das gefällt mir, da ich auch im Vertrieb tätig bin. Wir haben von Anfang an dieselbe Wellenlänge. In den nächsten Stunden schreiben wir hin und her. Dann fragt sie auf einmal, ob ich ihr neuer Kunde werden möchte. Ich könnte doch Unterstützung bei einem neuen Projekt gebrauchen. „Ist ja witzig. Bei XING suche ich neue Kunden und werde von Männern angebaggert. Hier suche ich einen Partner und gehe auf Kundenfang.“ Ich muss lachen und frage nach ihrer Telefonnummer. Die will sie mir nicht geben. Das gefällt mir nicht. Ich maile ihr meine Handynummer mit dem Hinweis: „Ich bin kein Mann des langen Schreibens. Mailfreundschaften suche ich nicht J. Zu verbergen habe ich auch nichts. Ruf mich einfach an, wenn es passend für dich ist. Ich freue mich.“ Nun ist sie am Zug. Entweder fasst sie Vertrauen oder sie ist eine Skeptikerin. Auf alle Fälle bekomme ich Klarheit. „Okay, du hast gewonnen. Hier ist meine Handynummer. Ich bin jetzt aber nicht zu erreichen. Ich fahre zu einem Kunden. Morgen können wir aber gerne telefonieren.“ Diese Antwort wollte ich haben.

Ich melde mich am nächsten Tag unangekündigt. Wir telefonieren eine Stunde und tauschen uns über alles Mögliche aus, Berufliches wie Privates. Sie wahrt dabei immer eine Distanz und sagt dies auch deutlich. „Dass ich dir meine Handynummer erst nicht geben wollte, ist nichts gegen dich. Aber ich möchte es generell langsam angehen. Zu schnell zu viel Offenheit war in der Vergangenheit nicht immer gut.“ Sie macht einen konsequenten Eindruck. „Als Selbständige muss ich fast nach Stundenplan arbeiten. Disziplin ist wichtig. Sonst wird das nichts.“ Marie findet mich sehr nett am Telefon und könne sich ein Date durchaus vorstellen. „Später, nicht sofort.“ Ihre Zurückhaltung, ein Date nicht sofort abzumachen, macht sie noch interessanter. Marie spricht schnell, ein wenig hektisch. Eine Powerfrau? Ich werde abwarten. Wir verabreden uns am nächsten Tag zum Telefonieren. Diesmal dauert das Gespräch zwei Stunden. Die Zeit mit ihr vergeht schnell. Sie ist mir sympathisch. Marie ist direkt, natürlich und hat Humor.

Am Abend, zuhause angekommen, stelle ich fest, dass ich noch nie so lange mit einem Menschen telefoniert habe. Ich habe nicht eine einzige Sekunde als langweilig empfunden. Marie spricht mich an. Vom Typ her. Von ihrer sympathischen und natürlichen Art. Beim nächsten Telefonat, das auch wieder fast zwei Stunden dauert, frage ich sie, wann wir uns denn nun treffen. „Ja, jetzt können wir uns treffen. Du warst geduldig genug. Und bist nicht aufdringlich gewesen.“ Sie lacht dabei. Es ist Mittwoch und wir verabreden uns für Samstag zum Frühstück in ihrer Kleinstadt. Dort war ich noch nie und bin somit doppelt neugierig. Um 10.00 Uhr vor C&A, neben dem Parkhaus, lautet der Treffpunkt. Wir verabreden, dass wir vorher nicht mehr zu telefonieren brauchen, da bald Samstag ist.

Nur wenige Tage bis zum Date, mir kommen sie trotzdem lang vor. Je mehr Zeit vergeht und der Samstag näher kommt, desto aufgeregter bin ich. Ich versuche möglichst nicht an das bevorstehende Date zu denken. Es würde mich komplett vereinnahmen.

Es ist Freitagnachmittag, ich bin gerade im Treppenhaus bei mir Zuhause, als das Telefon klingelt. Marie ist dran. „Ich bin es Marie. Ist bei dir alles in Ordnung?“ Marie wirkt nervös und aufgeregt. „Ja, klar. Wie geht es dir?“ „Ich wollte fragen, ob es bei morgen bleibt, mit unserem Date. Weil du dich nicht mehr gemeldet hast.“ „Sicher, ich freue mich schon und aufgeregt bin ich auch. Hatte ich gesagt, dass ich mich noch einmal melde? Sorry, wenn ich da was vergessen habe.“ „Nein, nein. Stimmt ja, wir wollten nicht mehr telefonieren.“ Nach dem Gespräch bin ich ein wenig erstaunt: Marie war nervös und irgendwie zerstreut. So habe ich sie bislang nicht kennengelernt. Vielleicht ist sie noch aufgeregter als ich. Egal, morgen lerne ich Marie kennen. Endlich persönlich.

Es ist Samstagmorgen, halb neun, gewöhnlich nicht die Uhrzeit, um die ich am Wochenende aufstehe. Heute mache ich es gerne, denn Marie wartet gleich auf mich. Ich will auf gar keinen Fall zu spät kommen. Ich höre Musik im Auto, um auf andere Gedanken zu kommen. Das nützt aber nichts, denn ständig lese ich auf Hinweisschildern den Namen der Stadt, in der ich gleich Marie treffe.

Einmal verfahren, lese ich den Namen des Parkhauses, das gegenüber dem Treffpunkt liegt. Mein Herz schlägt nun immer schneller. Ich sehe das Parkhaus und vor mir, über den Zebrastreifen gehend, eine junge und sehr attraktive Frau, genau mein Typ.

Schade, warum habe ich nicht mit so einer Frau ein Date? Die sieht richtig klasse aus. Plötzlich realisiere ich, dass diese Frau in Richtung C&A geht und ihren Gang verlangsamt, so, als würde sie gleich vor dem Eingang stehen bleiben - dem Treffpunkt mit Marie. Auf einmal fängt mein Herz wie wild an zu rasen. Ist die Schönheit vom Zebrastreifen vielleicht Marie? Haarfarbe und Körpergröße stimmen in etwa mit ihr überein. Das Gesicht nicht. Aber Maries Fotos können täuschen und so bete ich innerlich den Gott der schönen Frau an, dass die Frau vor dem Kaufhaus bitte Marie sein soll.

Ich stehe schon an der Parkschranke und verrenke mir immer noch den Hals, um die schöne Frau anzuschauen. In den nächsten fünf Minuten wird sich das Rätsel lösen, dann lerne ich endlich Marie kennen. Ich verlasse das Parkhaus und sehe, dass die Schönheit vom Zebrastreifen sich auf eine Bank neben dem Eingang des Kaufhauses gesetzt hat. „Die Frau ist wirklich der Oberhammer, besser geht es ja kaum noch“, denke ich. Als ich über den Zebrastreifen gehe, steht sie auf und lächelt mich an, mein Herz kollabiert gleich: es muss Marie sein.

Sie hat mich erkannt, ich hingegen hätte sie anhand ihrer Fotos nicht erkannt. Als sie jetzt auch noch ein paar Schritte lächelnd auf mich zukommt, habe ich endgültige Gewissheit: die schöne Frau von eben ist Marie. Sie trägt eine weiße Bluse und eine braune Lederjacke. Dazu schwarze Lederstiefeletten und eine blaue Jeans. Alles sitzt perfekt. Ihre Haare sind gefärbt. Am Telefon sagte sie: „Das ist Straßenköter-Schwarz.“ Unpassende Selbstironie, wie ich finde. Denn ich finde sie klasse. Wirklich hübsch. „Ich bin die Frau vom Telefon“, sagt sie. Wir lachen und umarmen uns. Ich habe auf einmal mit zwei Dingen zu kämpfen: 1. Dass ich voller Begeisterung und Euphorie noch klar denken kann, um vollständige Sätze auszusprechen zu können und 2. Dass sie meine Erektion nicht bemerkt. Zu allem Überfluss gehen wir auch durch das Kaufhaus, um in die Fußgängerzone zu gelangen und sie bleibt in der Damenunterwäscheabteilung stehen. Sie lächelt mich nur an und sagt, dass ich ja ein traumhaftes Wetter mitgebracht habe. „Ja, das habe ich.“ Für mich ist auf einmal ohnehin alles ein wahrgewordener Traum.

Wir wollen in einem Café frühstücken. Dort angekommen, nehmen wir draußen Platz. Es ist zwar erst Mitte April, aber fast schon sommerlich. Marie zeigt mir ihre neuen Firmenflyer und Visitenkarten. Ich soll meine Einschätzung abgeben. Marie macht das wirklich geschickt, sie baut nach und nach mehr Vertrauen auf und schaut mich mit einem verschmitzten Lächeln dabei an. Plötzlich fragt sie mich: „Findest du mich eigentlich dick?“ Ich bin erstaunt, muss lachen und frage: „Wie kommst du denn darauf? Du hast doch eine gute Figur.“ „Na, ja. Mehr darf es auf keinen Fall werden.“ „Du hast Konfektionsgröße 36. Das ist doch top. Was willst du denn noch?“, frage ich ein wenig verwundert. „Nein, nein. Ich habe 38“, sagt sie und weicht meinem Blick aus. „Worüber du dir Gedanken machst? Eine bessere Figur kann man doch kaum haben“, sage ich zu ihrer Erleichterung. Sie lächelt.

Marie möchte mit mir zum Schlosspark gehen. Als ich gerade die Rechnung bezahlen möchte, sagt sie: „Nix da, das geht auf mich, du bist schließlich hierhergekommen, also bist du auch eingeladen.“ „Endlich einmal Gleichberechtigung!“, sage ich. Sie lacht. Sie wohnt erst seit einigen Monaten in dieser Stadt und kennt noch keinen Menschen, geht oft alleine schwimmen oder ins Kino. „Einmal habe ich über eine andere Plattform einen Mann kennengelernt. Wir sind auch am selben Abend zusammengekommen. Hat aber nicht lange gehalten. Er war mir zu langweilig. Aktuell kenne ich nur meine Kunden und dich.“

Eine gute Freundin hat sie nicht. Nur einen Bekannten, der ihr beim Umzug geholfen hat. „Ich will alles hinter mir lassen: Bekannte und Verwandte. Deswegen bin ich auch weit weg gezogen.“ Komisch, denke ich. Eine nette, attraktive und intelligente Frau und keine Freunde? Und was bedeutet „alles hinter mir lassen?“ Ich will nachfragen, aber sie erzählt schnell weiter. „Jetzt bin ich aber wieder reif für eine Partnerschaft. Deswegen habe ich auch gleich eine größere Wohnung angemietet.“

Am Schlosspark angekommen, entscheiden wir uns für die Eintrittskarten ohne Führung. „Damit wir alleine sind“, sage ich. Marie lächelt mich an. Das macht sie noch schöner. Seit Minuten schon spielt sie mit ihrem Haar. Sie wickelt es um ihre Finger – und mich gleich mit.

Als wir ganz alleine in einem größeren Raum voller alter Ritterausrüstungen und Kleidern sind, bleiben wir bei einem Glaskasten stehen. Darin liegt eine alte Korsage. „Korsagen sind sexy. Ich trage gerne welche, mit Spitze“, sagt sie zu meinem Erstaunen. Ich freue mich. „Ja, so was gefällt mir auch“, bemerke ich bewusst beiläufig. Beim übernächsten Glaskasten liegt eine Ritterausrüstung. „Dem Volumen nach, muss die Ausrüstung wohl einem dickeren Ritter gehört haben. Dicke Männer sind nichts für mich. Ich brauche Bewegung, im Bett“, sagt sie mit einem provozierenden Lächeln. Sie spielt wieder mit ihrem Haar und schaut mich demonstrativ nicht an. Marie erwartet aber eindeutig eine Reaktion von mir. „Gewisse Bewegungen machen viel Spaß und sind auch sehr gesund“, antworte ich. Sie schaut mich an, lächelt und nickt. Diese Offenheit hätte ich von ihr nicht erwartet, nicht nach knapp drei Stunden des Kennenlernens. Es wirkt aber eher ansprechend als aufdringlich.

Am Ende des Rundgangs angekommen, verlassen wir das Schloss und gehen noch durch den Park spazieren. Das Wetter wird immer schöner. Die Temperatur steigt auf über 20 °C. „Ich bin keine von diesen Schicksen“, sagt sie. Sie besitzt nur fünf Paar Schuhe und drei Handtaschen. Ansonsten trägt sie am liebsten körperbetonte Kleidung. Das ist mir vorhin aufgefallen. „Dein Kleidungsstil gefällt mir: schlicht, adrett, klassisch. Ich brauche neue Klamotten und will keinen Fehlgriff landen. Hast du Lust, meine Stilberaterin zu sein?“ „Gerne, dann komme ich dich nächste Woche besuchen und kleide dich neu ein.“ Das wollte ich hören. Ich habe mein Anschlussdate. „Leider bin ich nächste Woche auf einem Seminar“, muss ich ihr antworten. „Danach aber.“ „Hm, schade, dann sehen wir uns ja gar nicht nächste Woche. Aber zum Glück gibt es das Telefon“, sagt sie. Wir beschließen, noch einen Kaffee zu trinken.

Es ist mittlerweile so warm, dass wir einen Schattenplatz nehmen müssen. Ein Traumwetter für ein Traumdate. Sie zeigt mir Fotos von ihrer Wohnung. „Und auf diesen Barhocker setzt du dich, während ich einen Cocktail für dich mixe, wenn du mich besuchst.“ Während wir uns ihre Fotos von ihrem Smartphone anschauen, streift sie mehrmals absichtlich meine Hand. Wieder schaut sie mich dabei demonstrativ nicht an, lächelt aber und fragt: „Schüchtern?“ „Nein“, ist meine Antwort, während die Kellnerin den Kaffee bringt. In einem denkbar ungünstigen Moment, denn die knisternde Spannung ist erst einmal heraus.

Marie fragt mich nach meinem Seminar. Sie möchte wissen, welchen Inhalt das Seminar hat und ob viele Frauen dort anwesend sind. „Bestimmt sind da auch Frauen“, sage ich. „Und wie alt sind die?“, möchte Marie wissen. „Alle Anfang 20, schlank und hochattraktiv.“ „Blödmann!“, bekomme ich als Antwort. Wir lachen und ich frage nach: „Wieso fragst du, ob da Frauen sind und wie alt sie sind.“ „Ich will ja wissen, ob ich mir Gedanken machen muss.“ „Nein, das musst du nicht“, sage ich. „Dann ist ja gut“, sagt sie grinsend. Marie macht sich also Gedanken. Das ist schön.

Auf dem Rückweg zum Parkhaus stellen wir fest, dass es schon 17.00 Uhr ist. Wir hätten beide schwören können, es seien erst drei bis vier Stunden vergangen. Am Ticketautomaten angekommen, will sie sich von mir verabschieden. „Jetzt doch noch nicht, Marie. Wir müssen doch in dieselbe Etage.“ Sie wird rot im Gesicht, was sie sehr sympathisch macht. Sie merkt auch, dass sie gerade nervös ist. An ihrem Auto angekommen, verhalten wir uns wie zwei unsichere Teenies, keiner will jetzt etwas Verkehrtes machen. Ein Freund sagte einmal zu mir: „Zwei Dinge im Leben sind nicht vorhersehbar: der Wechselkurs des Dollars und das Verhalten einer Frau.“ Intuitiv küsse ich sie auf die Wange und wir nehmen uns in den Arm. Wir verabreden uns für morgen zum Telefondate. Auf der Rückfahrt kommt mir der Gedanke: „Man muss das Eisen schmieden, so lange es noch warm ist.“ Hoffentlich war ich eben nicht zu defensiv.

Pünktlich um 15.00 Uhr ruft sie mich an und will sofort wissen, wie ich den gestrigen Tag empfunden habe. „Tja, dieser Tag gehört nun zu den schönsten Tagen in meinem Leben. Die Spannung im Vorfeld, das Frühstück, das schöne Wetter, die Altstadt, der Schlosspark und diese Frau. Es war sehr schön in deiner Nähe zu sein.“ Es herrscht Stille am Telefon. „Danke, lieber Lukas, das geht runter wie Sahne. Die Komplimente gebe ich gerne zurück. Ich habe noch den ganzen Abend an diesen schönen Tag gedacht. Es tummeln sich also doch nicht nur Idioten im Internet herum. Außerdem gefällt mir deine zurückhaltende Art. Draufgänger können bei mir nicht landen.“

In Anspielung auf ihre gestrige Aussage erzähle ich ihr, was ich heute Morgen in einer Werbeanzeige gesehen habe: eine Spitzenkorsage. „Und, magst du so etwas?“, fragt sie mich. „Ja, klar“, lautet meine knappe Antwort. „Schön, dann weiß ich ja schon einmal, auf was du stehst.“ Sie freut sich und erweckt dabei den Eindruck, als ginge sie morgen früh gleich los, um eine zu kaufen. Wir verabreden, dass wir Mittwoch telefonieren. Ich rufe sie mittags an. Vorher geht es leider nicht. Mein Seminarprogramm ist prall gefüllt.

Auf der Zugfahrt zum Seminar denke ich fast die ganze Zeit an Marie und den tollen Samstag. Ich kann es kaum erwarten, Mittwoch wieder mit ihr zu telefonieren. Doch ich muss mich noch zwei Tage gedulden.

Im Hotel angekommen, geht es nach einem kurzen Check-In gleich zum Abendessen. Es sind circa 50 Teilnehmer anwesend, die Hälfte davon Frauen. Ich lerne Florian, auch Mitte 30, aus Frankfurt kennen. Er ist auf einer etwas freizügigeren Single-Plattform angemeldet, wie sich schnell herausstellt. Florian sieht aus wie Matthew McConaughey. Er schildert mir seine Erfolgsmethoden: „Du musst kurze E-Mails schreiben, nicht mehr als drei Sätze. Du musst sie zappeln lassen. Im Ungewissen lassen. Dann kommen sie an.“ Er hat mehr Erfahrung als ich, ist seit über drei Monaten online auf Frauensuche. Partnersuche wäre bei ihm zu viel gesagt. „Ich will mich nur ab und zu mit einer Frau treffen. Ich lade sie zum Abendessen ein und wir trinken ein bisschen Wein. Das reicht mir. Auf dem Rückweg habe ich ein Date mit einer 25-jährigen Bankkauffrau aus Würzburg.“ Dass ihm ein Abendessen reicht, glaube ich ihm nicht. Seine Geilheit riecht man von Oberbayern bis nach Amrum.

Am nächsten Tag sitze ich mit Florian in der Mittagspause vor den Hotelrechnern. Wir loggen uns in unsere Single-Plattformen ein und checken die E-Mails. Von Marie habe ich keine E-Mail bekommen, aber eine Partneranfrage einer 26-jährigen Marketingassistentin aus Leipzig. Ich diskutiere mit Florian über ihr Foto. Sie hat sich vor ihrem PC fotografieren lassen. Das T-Shirt in Bauchnabelhöhe zusammengebunden. Sie trägt schwarze Leggins. Lange braune Haare und sie lacht auf dem Foto. Die Frau ist attraktiv. „Hübsches Gesicht. Die aus dem Osten sind unkomplizierter“, grinst es aus Florians Gesicht. Ich schreibe ihr eine Absage. Leipzig ist mir zu weit.

Während Florian in der Folge die Frauen aus dem Seminar checkt, lerne ich Frank kennen, Öl-Manager und gepflegte Hamburger Arroganz. Er ist Anfang 40 und auch auf Online-Partnersuche. „Ich sitze alleine in meiner 200 qm Penthouse-Wohnung mit Alsterblick und habe darauf einfach keinen Bock mehr.“ Ich erzähle ihm von meiner Plattform. „Nein, keine Akademikerin. Die sind mir zu anstrengend“, sagt er voller Überzeugung.

Frank zeigt mir Katrin. Die hat er gestern kennengelernt. „Die Kleine kommt aus Frankfurt. Die ist ganz schön durcheinander. Betrügt gerade ihren Mann. Die hat mir gestern eine Kante ans Bein gelabert. Wenn jemand bei der die richtigen Knöpfe drückt, hat er leichtes Spiel. Die Frau ist fertig.“

In der nächsten Pause möchte ich, dass Katrin mir auch „eine Kante ans Bein labert.“ Denn Katrin gefällt mir. Sie ist bestimmt über 30 cm kleiner als ich, aber ich mag kleine Frauen. Sie hat schulterlange braune Haare, blasse Haut mit ein paar Sommersprossen. Sie sieht natürlich und sympathisch aus. Dass sie ihren Mann betrügt, kann ich mir gar nicht vorstellen. Die sieht total lieb aus, denke ich.

In der nächsten Pause ist es soweit. Katrin ist für einen Moment alleine. „Und, wie gefällt dir das Seminar?“, frage ich sie. „Bis jetzt ganz gut. Man lernt eine Menge.“ „Wollen wir kurz rausgehen und uns da weiter unterhalten? Ich brauche ein wenig frische Luft“, sage ich. „Klar, können wir machen.“ So bin ich mit Katrin alleine. Wir gehen auf einem Feldweg spazieren und ich erfahre, dass sie auch 34 ist. Nach fünf Minuten fragt sie mich: „Und hast du Familie?“ „Nein, ich bin Single.“ „Du Glücklicher, das wäre ich auch gerne“, sagt sie mit leicht traurigem Gesicht. Früher war sie auch auf einer Single-Börse angemeldet. In der Folge erzählt sie mir alles, was ich hören will und auch, was ich nicht hören will. „Ich gebe zu, dass ich eine Affäre habe. Mein Mann nimmt mich kaum noch wahr. Und das Körperliche brauche ich auch. Da läuft mit meinem Mann schon lange nichts mehr. Ich wollte ihn sowieso nicht heiraten. Meine Eltern wollten die Heirat, weil er aus elitärem Haus kommt. Das ist alles so traurig.“

Am Ende des Spaziergangs stellt Katrin fest, dass sie mich richtig nett findet und ab jetzt bei jeder Mahlzeit neben mir sitzen möchte. Und ich stelle fest, dass ich Katrin sehr anziehend finde. Sie ist für mich der Typ Frau, die nur neben mir stehen muss - und mir wird angenehm warm.

Am Abend sitze ich mit Florian in der Sitzgruppe im Foyer. Plötzlich läuft eine Teilnehmerin verheult in Richtung Fahrstuhl. Wir fragen Katrin, was mit ihr los sei. Sie sagt uns, dass die Hotelatmosphäre mit dem Klavierspieler ihr gerade mächtig zusetzt. „Wieso?“ „Ja, sie hat da so eine Affäre mit einem verheirateten Mann in Berlin. Ihre Treffen finden immer in einem 5-Sterne-Hotel statt. Sie verabreden sich jeweils abends, wenn der Pianist gerade anfängt zu spielen. Ihre Affäre hält sie nun schon seit Monaten hin. Sie wolle mehr, er aber nur Sex, entgegen aller Beteuerungen.“ Und ich wundere mich gerade: Ich bin auf einem beruflichem Seminar und in jeder Pause geht es nur um Liebe, Sex und Partnerschaft.

Am Abend liege ich im Bett und kann schlecht einschlafen. Auf einmal interessieren mich zwei Frauen: Marie und Katrin. Ich muss mir aber eingestehen, dass Katrin keine Frau für mich ist. Sie wohnt über 300 km entfernt, ist verheiratet und hat eine Affäre. Ich muss sie abhaken. Außerdem erinnere ich mich an den schönen Samstag mit Marie. Sie soll meine Favoritin sein und so freue ich mich auf das Telefonat morgen mit ihr.

Wie abgemacht rufe ich sie am Mittag an. Ich erreiche sie aber nicht. Sehr schade. Kurz vor dem Ende der Mittagspause ruft sie zurück. Ihre einzigen Worte: „Gibt´s was?“ „Hallo Marie. Ja, wir wollten doch heute telefonieren.“ Ich bin ein wenig verunsichert. „Bist du jetzt im Büro oder was?“ Ich glaube nicht, was sie mich gerade gefragt hat. „Marie. Ich bin in Bayern. Auf Seminar. Das weißt du doch.“ „In Bayern? Ach so. Ja, stimmt.“ „Was ist los? Du klingst so komisch“, will ich wissen. „Ich bin im Stress. Habe auch nicht viel Zeit. Wann bist du denn wieder zuhause?“ „Am Samstag. So gegen 19.00 Uhr“, antworte ich kopfschüttelnd. „Gut, dann rufe ich dich an. Ich muss jetzt auch los“, sagt sie zickig, ehe wir uns verabschieden.

Ein erster Dämpfer. Es hat keinen Sinn gemacht, weiter mit Marie zu sprechen. Selbst wenn sie Zeit gehabt hätte. Ich bin verwundert. Wir waren verabredet. Daran kann sie sich nicht mehr erinnern. Stattdessen fragt sie zur Begrüßung: „Gibt´s was?“ Ebenso weiß sie nicht, dass ich in Bayern bin - und nicht im Büro. Hat sie ein extremes Kurzzeitgedächtnis? Sie wirkte wie weggetreten. Das war eine ganz andere Frau, die ich eben gesprochen habe, das war nicht die Marie vom letzten Samstag. Ich tröste mich mit den Worten: „Die war einfach nur schlecht drauf.“

Das Seminar ist zu Ende. Samstagabend zu Hause angekommen, klingelt auch sofort mein Telefon: Marie. Sie ist sehr aufgeregt, fast panikhaft. Mit schriller Stimme fragt sie: „Wieso meldest du dich nicht? Wo bist du? Ich rufe dich seit Stunden im Büro an.“ Ich fasse es wieder nicht. Was ist mit ihr los? „Marie, ich bin gerade nach Hause gekommen. Ich war doch auf Seminar. Das weißt du doch. Ich komme gerade vom Hauptbahnhof. Und wieso rufst du im Büro an? Da erreichst du doch am Samstag niemanden.“ Sie schweigt für ein paar Sekunden. „Ach so, ja, stimmt. Ja, richtig. Du warst ja auf Seminar. Wie war es denn?“

So langsam spüre ich, wenn auch noch unbewusst, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Diese nette, intelligente und hochattraktive Frau, mit der ich stundenlang telefoniert und einen traumhaften Samstag vor einer Woche verbracht habe, präsentiert sich nun ein weiteres Mal als sehr vergesslich und nervös. Ist es wirklich ein schwaches Gedächtnis oder blendet sie Dinge unbewusst aus? Und wieder wirkt sie, wenn auch nur die ersten Minuten, wie weggetreten. Wir verabreden uns für Dienstagabend. Sie wird mich in meinem Büro besuchen und dann gehen wir zusammen etwas Essen. Nach dem Telefonat war ich zwar erleichtert, dass das Ganze noch ein gutes Ende genommen hat, aber ich spürte auch zum ersten Mal so etwas wie Zweifel. Kann das mit ihr etwas werden? Denn irgendetwas scheint mit ihr nicht zu stimmen.

Am Montag wieder im Büro, lese ich eine E-Mail von ihr, die sie mir am Mittwoch nach unserem kurzen und wenig begeisternden Telefonat geschrieben hat: „Lieber Lukas, sorry, dass ich eben so blöd zu dir war, das war nicht meine Absicht. Ich bin einfach nur nervös. Gib mir ein wenig Zeit, du bist mir sehr sympathisch und ich freue mich auf unser nächstes Telefonat.“ Die E-Mail freut mich, auch wenn ich den Mittwoch schon längst abgehakt hatte.

Dienstag. Die Sekretärin ruft mich an, Marie ist da. Noch schöner als beim ersten Date, aber sie wirkt auch unsicher und ein wenig traurig. Kein guter Einstieg, aber der Einstieg zum Ausstieg, wie sich herausstellen sollte. Sie wollte sich mein Büro anschauen, hatte sie am Telefon gesagt. Sie wirkt aber desinteressiert und so schlage ich vor, dass wir gleich ins Restaurant gehen sollten. Der Weg dorthin ist durch Stille und verkrampfte Kommunikation gekennzeichnet. Keine Spur von der Leichtigkeit und Spannung wie beim ersten Date. Nachdem wir das Essen bestellt haben, frage ich, wieso sie eigentlich „alles“ hinter sich lassen und weit weg von ihrer Heimat will, wie sie mir beim ersten Date gesagt hat. Ich will genau wissen, was sie damit meint.

Mit dieser Frage habe ich ins Wespennest gestochen. Marie erzählt: „Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Ich bin bei meiner Mutter und Großmutter aufgewachsen. Meine Mutter hat mich gehasst. Meine Großmutter war auch nicht viel besser. Von Liebe keine Spur. Ich hatte zwar Freunde. Das waren aber alles Notlösungen. Ich wollte nur noch weg. Damit die Vergangenheit mal Vergangenheit ist. Drei Jahre war ich in einer Psychoanalyse.“ Dann ergänzt sie: „Im Dezember wollte ich mich umbringen. Ich konnte nicht mehr. Ich hatte auch kaum noch Geld.“ Die Stimmung ist im Keller. Das Essen würgen wir herunter.

Auf dem Rückweg zum Auto wird Marie mir unheimlich: Sie hüpft wie ein Kind auf dem Bürgersteig hin und her, sie kichert. Das ist eine ganze andere Marie, nicht die Marie vom ersten Date. Ich bin froh, als wir fünf Minuten später vor ihrem Auto stehen und uns verabschieden. Der Abend ist vorbei. Wir wollen die Tage miteinander telefonieren. Wann? Das ist uns beiden egal. Das sagt alles.

Das zweite Treffen: ihr Offenbarungseid mit keinem guten Ausgang. Zwei Tage später wird es noch deutlicher. Ich rufe sie an. Ich frage sie, wie ihr meine Bilder in meinem Büro gefallen haben. Marie antwortet: „In deinem Büro? Ich war nie in deinem Büro.“ Ich habe endgültige Gewissheit. Marie ist gestört.

Sie kann sich nicht erinnern, dass sie vor zwei Tagen in meinem Büro war. Marie konnte sich nicht erinnern, dass ich in Bayern auf Seminar war, wir zum Telefonieren verabredet waren, stattdessen wirkte sie wie weggetreten. Auf der Rückfahrt am Samstag ruft sie stundenlang in meinem Büro an, panikhaft, obwohl sie wusste, dass ich mit der Bahn unterwegs bin. Und ebenfalls vorgestern hüpft sie wie ein Kind auf dem Bürgersteig hin und her. Es macht keinen Sinn, weiter mit Marie zu sprechen. Die Frau hat zwei Gesichter. Zwei Tage später schreibe ich ihr eine Abschiedsmail: „Liebe Marie, wir wissen beide, dass es keinen Sinn macht, weiter in Kontakt zu bleiben. Ich wünsche dir alles Gute. Den Samstag vor 14 Tagen werde ich immer in schöner Erinnerung behalten. Liebe Grüße, Lukas“ Danach lösche ich ihr Profil.

Ich bin ein paar Tage irritiert, eine derartige Frau kennengelernt zu haben. Ein Mensch und zwei Persönlichkeiten. Als ich später einmal ihre Homepage besuche, ist sie schon wieder weitergezogen. Weg aus der Stadt, wo sie gerade erst hingezogen war und ihre Zukunft gesehen hat.

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