Читать книгу Neptun - Das verbotene Epos der Sumerer - Lukas Wolfgang Börner - Страница 4
ОглавлениеTontafel I
Gepriesen sei die Schönheit.
Nicht sie sei gepriesen, die vollkommene Schönheit.
Nicht Inanna sei gepriesen, die vollkommene Schönheit, weil sie unrein ist.
Sie sei gepriesen, die reine Schönheit.
Dumu-ugen sei gepriesen, die reine Schönheit, weil sie unvollkommen ist.
Namma schließe dem Liebenden die Augen.
Namma schließe dem Hymnendichter Mesch-ursang die Augen.
Seine Schrifttafeln erzählen von König Melim-anna, der die Köpfe der
Ungehorsamen wie Kornähren sichelte.
Seine Schrifttafeln erzählen von König Melim-anna, vom Leben und
Sterben Melim-annas, von Angst und Gräuel, Hochmut und Niedergang.
Die Väter und Mütter von Uruk erhoben ihre Stimmen und rufen:
„Inanna, schütze unsere Töchter.“
Die Jünglinge von Uruk erhoben ihre Stimmen und rufen:
„Inanna, schütze unsere Geliebten.“
Keinen Schutz sandte die Göttin Inanna den Töchtern von Uruk.
Im Eanna trat ihr König Melim-anna gegenüber, behangen mit Gold und
Lapislazuli.
Melim-anna sprach zu Inanna, der vollkommenen Schönheit, und sagt:
„Bevor die Jungfer Dumu-ugen sich vermählt, soll sie mir vorgeführt werden, dass ich meinen Samen in ihren Leib ergieße.“
Inanna sprach zu Melim-anna und sagt:
„Das Volk setzt ihre Schönheit mit meiner gleich.
Es soll meinen vipernspeienden Zorn zu spüren bekommen.
Im Euphrat soll die Jungfer ihr Brautbett finden.
Höre, oh König, im Euphrat soll die Jungfer ihr Brautbett finden.“
Melim-anna senkte sein Haupt und sagt:
„Wisse, Inanna, dass du die Schönste, dass du die vollkommene Schönheit bist.
Auch die mondgleiche Haut und die blauen Augen der Jungfer Dumu-ugen können deinen Glanz nicht übertreffen.
Höre, Inanna, im Euphrat soll die Jungfer niemals ihr Brautbett finden.“
So besänftigte er ihren Zorn.
So besänftigte er den Zorn Inannas.
Vor den Toren des umfriedeten Uruk saß Dumu-ugen.
Im Schatten hoher Dattelpalmen saß sie und hält in ihrem Herzen Rat:
„Nun ist das Bett mit Blut befleckt.
Nun soll ich nach jener Schlafkammer abgeführt werden, dem König zum grausamen Vergnügen.
Nun soll ich meine Ehre verlieren.
Nun soll ich meine Ehre verlieren wie meine beiden Schwestern vor mir.“
Sie nahm ein Messer zur Hand, reckte die Hände zum Himmel und klagt:
„Große Göttin, vollkommene Schönheit, wieso hilfst du mir nicht?
Habe ich nicht schon genug zu erdulden mit einem Verlobten, der hinkt und grindig ist?
Soll nicht allein mein Glück, soll auch meine Ehre für alle Zeiten getilgt werden?
Wie viele Male habe ich dich nicht um Beistand angefleht?
Wie viele Male hat dich dein Volk nicht um Beistand angefleht?
Inanna, wieso hilfst du mir nicht?
Bevor der grausame Mensch, bevor König Melim-anna mich entehrt, werde ich mich selbst entehren.
Mit dem Messer werde ich meine Ehre durchtrennen und als blutspeiender
Leib in jener Schlafkammer mein Leben aushauchen.“
Inanna blickte mit funkelnden Augen vom Abendhimmel herab und ihr Herz war nicht gerührt.
Die Schiffe auf den Kanälen sahen die Jungfer das Messer heben und sagen es dem Euphrat und der sagt es dem endlosen Salzmeer, der Weltschöpferin Namma.
Wuttränen fielen aus den Augen Dumu-ugens.
Die sammelten sich als blaue Wasser in ihren Händen.
Mit der Stimme Nammas sprachen sie und sagen:
„Halte ein.
Willst du durch eigene Hand Schande über Uruk bringen?“
Dumu-ugen horchte nicht auf.
„Willst du Schande über deine Familie bringen?“
Dumu-ugen horchte nicht auf.
„Willst du Schande über dich bringen?“
Dumu-ugen horchte auf.
Trocken war ihr Leib, feucht ihr Gesichtlein.
Das Wasser umschloss Dumu-ugen.
Nammas Hand umschloss Dumu-ugen und rann mit ihr in den Kanal hinab.
Inanna sah es vom Abendhimmel und war befriedigt.
Nammas Hand umschloss Dumu-ugen und rann mit ihr in den Euphrat hinab.
Die Herrin sah es vom Abendhimmel und war befriedigt.
Nammas Hand umschloss Dumu-ugen und rann mit ihr in das Salzmeer hinab.
Inanna sah es vom Abendhimmel und war befriedigt.
Melim-anna sprach zu Inanna, der vollkommenen Schönheit, und sagt:
„Wo steckt die Jungfer Dumu-ugen?“
Inanna antwortet mit folgenden Worten:
„Befrage ihren Vater, befrage ihren Verlobten.
Ich kann es dir nicht sagen.“
Den Vater ließ er vor sich führen und ruft:
„Wo steckt deine Tochter?“
Der Vater warf sich vor dem König auf den Boden und antwortet mit folgenden Worten:
„Mein Herr, mein Gebieter, ich kann es dir nicht sagen.“
„Wenn du es mir nicht sagen kannst, so schneide ich dir die Nase oder den Kopf ab.“
Der Vater klagte mit lauten Worten und sagt:
„Mein Herr, mein Gebieter, ich kann es dir nicht sagen.“
„Was also soll ich dir abschneiden?“
„Mein Herr, mein Gebieter, schneide mir die Nase ab.“
Der König schnitt ihm die Nase ab und ließ ihn fortschaffen.
Den Verlobten ließ er vor sich führen und ruft:
„Wo steckt deine Braut?“
Der Verlobte warf sich vor dem König auf den Boden und antwortet mit folgenden Worten:
„Mein Herr, mein Gebieter, ich kann es dir nicht sagen.“
„Wenn du es mir nicht sagen kannst, so schneide ich dir den Penis oder den Kopf ab.“
Der Verlobte klagte mit lauten Worten und sagt:
„Mein Herr, mein Gebieter, ich kann es dir nicht sagen.“
„Was also soll ich dir abschneiden?“
„Mein Herr, mein Gebieter, schneide mir den Kopf ab.“
Der König schnitt ihm den Kopf ab und ließ ihn fortschaffen.
Zu dem Haus der Eltern sandte er seine Wachen und die Wachen steckten es in Brand.
Zu den Häusern der Schwestern sandte er seine Wachen und die Wachen steckten sie in Brand.
Jedes Haus ließ er durchsuchen und fand sie nicht.
Jedes Haus im umfriedeten Uruk ließ Melim-anna durchsuchen und fand Dumu-ugen nicht.
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