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Kapitel 1: Joy – der Anruf
ОглавлениеWas für ein perfekter Morgen. Die Sonne hatte für diesen besonderen Tag ihren Winterschlaf beendet und tauchte meine Heimatstadt in goldenen Glanz. Die Schaufenster der vielen Geschäfte waren mit Herzen, Rosen und Teddybären geschmückt. Es lag deutlich Liebe in der Luft.
Glücklich und mit einem romantischen Lied auf den Lippen schlenderte ich zwischen hektischen Geschäftsleuten mit Aktenkoffern und Sonnenbrillen auf ein weißes, etwas antik wirkendes Gebäude zu. Die städtische Music Academy, an der ich bereits seit einigen Semestern studierte, um eines Tages auf großen Bühnen zu stehen und die Menschen glücklich zu machen. Genüsslich nahm ich einen Schluck White Mocha Latte aus dem Kaffeebecher in meiner Hand und stieg im Takt zum Lied in meinem Kopf die Treppen zum Eingang hinauf. Ich war froh, endlich im Warmen zu sein. Die Sonne konnte die Eiseskälte, von der die Stadt im Februar noch immer heimgesucht wurde, nicht verdrängen und ich konnte den Frühling mit all den Blüten und Sonnenstrahlen kaum abwarten, auch wenn ich den Winter mochte. Liebevoll umklammerte ich meinen Thermobecher. Normalerweise trank ich aus den obligatorischen Pappbechern, doch dann lag dieses Schätzchen eine Woche nach Weihnachten unter dem kleinen, künstlichen Baum, den ich in meinem Apartment stehen hatte. Der Becher war goldfarben und darauf stand in glitzernder Schrift „Ballerina".
Zugegeben, es war ein wenig kitschig, aber zählt nicht vor allem der Gedanke? Es war das perfekte Geschenk von dem liebsten Mann, den ich je kennen gelernt habe. Noel hatte ihn mir als Erinnerung an unsere erste Begegnung in einem Starbucks geschenkt. Bei dem bloßen Gedanken an ihn musste ich grinsen und mein Herz flatterte ganz komisch. Verliebt sein macht seltsame Dinge mit unserem Gehirn.
Zielstrebig betrat ich das Gebäude und atmete die wundervolle, kreative Luft ein. Okay, vielleicht war sie auch ein wenig muffig, doch mit ein wenig Fantasie wurde alles besser. Ich war nicht nur verliebt in meinen Freund Noel und meinen neuen Kaffeebecher, sondern auch in mein Studium. Musik, Gesang, Tanz und Darstellendes Spiel. Es war mein großer Traum gewesen und war das einzige, was mich wirklich erfüllt hatte. Meinen Eltern zuliebe hatte ich es auch an normalen Colleges probiert, doch es war ein einziger Albtraum gewesen. Auch Praktika in den verschiedensten Büros, Kanzleien und Agenturen haben mir klar gemacht, dass ich einfach auf die Bühne und in dieses Business gehörte. Obwohl ich auch hier nicht nur schöne Erfahrungen machte. Nach meinem Rauswurf aus dem Weihnachtsmusical hatte ich Angst, nie wieder in einer größeren Show mitwirken zu können oder dass ich mich vielleicht doch in mir und meinen Träumen geirrt hatte. Doch das Leben war momentan zu gut zu mir. Ohne den Rausschmiss hätte ich Noel niemals kennen gelernt und dank seiner Unterstützung, die ich von meiner Familie niemals erhalten hatte, stieg ich wie ein Phönix aus der Asche.
„Guten Morgen, Madame", flötete ich, als ich einen der vielen Balletträume betrat. Er war klein, doch die bodenlangen Fenster ließen unglaublich viel Licht hinein. Die anderen Wände waren mit Spiegeln, Ballettstangen oder Schränken für Utensilien bestückt. Beinahe andächtig schritt ich über das Holz. Ich war ein wenig nervös wegen meiner heutigen Einzelstunde, die zur Überprüfung meines Fortschritts diente. Außerdem wurden um diese Jahreszeit immer große Rollen für hauseigene Produktionen verteilt. Es war wie eine kleine Audition. Meine Ballettlehrerin wärmte sich bereits an einer der Stangen auf und dehnte sich. Madame Étoile war gerade vierzig geworden und hatte eine beeindruckende Ballettkarriere hinter sich. Von Moskau bis Las Vegas hatte sie in begehrten Rollen auf großen Bühnen gestanden und gab ihr Wissen nun an junge Menschen weiter, die Ähnliches erreichen wollten.
„Guten Morgen, Joy. Wie immer überpünktlich."
Lächelnd hob sie eine Augenbraue und beugte sich anschließend wieder hinunter, um sich weiter zu dehnen. Ich nickte ihr höflich zu und zog meine oberste Kleidungsschicht aus, unter der ich bereits meine Ballettkleidung trug. Einen langärmligen, schwarzen Body und eine hautfarbene Strumpfhose.
„Selbstverständlich."
„Auf dich kann man sich wirklich immer verlassen", seufzte sie.
„Als du hier angefangen hast, habe ich damit gerechnet, dass du nach ein paar Wochen aufgibst.“
Blut schoss mir ins Gesicht. Würde sie mir sagen, dass ich erst gar nicht vorzutanzen brauchte?
„Du hast viel Talent, doch deine Emotionen haben dir oft einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mr Hudson beschwert sich noch immer über dich wegen des zerrissenen Kleides.“
Entschuldigend biss ich mir auf die Unterlippe. Ich war nicht stolz auf meinen emotionalen Ausbruch nach meinem Rauswurf aus dem Nussknacker Musical, bei dem ich mein Kostüm zerstört hatte, weil ich so wütend war. Madame Étoile beendete ihre Dehnübungen und kam elegant auf mich zu. Sie legte eine Hand unter mein Kinn und hob mein Gesicht.
„Halt dich gerade, kleiner Spatz. Mr Hudson ist ein furchtbarer Mensch und er hatte nicht das Recht, dich rauszuschmeißen, doch du musst deine Gefühle in den Griff bekommen.“
Ich nickte bestimmt und achtete darauf, eine gerade Haltung zu bewahren.
„Sehr schön. Wir wärmen uns gemeinsam auf und ich bin sehr gespannt, was du mir heute zeigen wirst.“
Schnell legte ich meine Ballettschuhe an und widmete mich den gleichen Aufwärmübungen wie meine Lehrerin. Klassische Musik drang leise zu mir heran und ich sog die Melodie in mir auf.
Als ich bereit war, stellte sich Madame Étoile an eins der Fenster und verschränkte die Arme. Nervös schloss ich mein Smartphone an die Anlage an und wählte den Song aus, zu dem ich tanzen wollte. Einen Dancefloor Song aus den 80ern. Auch hierzu konnte man Ballett tanzen.
Ich atmete tief durch und begann, meine Choreografie vorzuführen. Auf meine Haltung achtete ich natürlich besonders. Zum Glück musste ich dieses Mal nicht dazu singen. Gleichzeitig singen und tanzen war noch immer eine Herausforderung. Hör auf an deine Schwächen zu denken, Joy. Das sagte Noel immer zu mir und er hatte Recht. Also konzentrierte ich mich vor allem auf meine Stärken: Emotionen und Leidenschaft.
Als ich meine Choreo beendet hatte, klatschte Madame Étoile stolz.
„Joy, das war außergewöhnlich, mutig und du hast dich unglaublich verbessert.“
Erleichtert atmete ich auf und ließ mich erschöpft auf eine Bank nieder.
„Danke, Madame.“
„Deswegen habe ich auch entschieden, dass du in unserer kleinen Schwanensee-Sequenz beim Sommerfest Odette spielen wirst."
In mir begann es zu knistern und ich wollte am liebsten losschreien. Das Sommerfest der Music Academy war hoch angesehen und wurde von Talent Scouts und Produzenten besucht. Dort aufzutreten, war eine riesige Chance für jeden Studenten. Ich sprang von der Bank auf und lief auf meine Lehrerin zu.
„Sind Sie sich ganz sicher, Madame?"
Sie lachte, während ich leicht auf der Stelle hüpfte. Diese Rolle war mein Traum. Noch mehr als Clara. Und das auch noch auf dem Sommerfest.
„Ja, das bin ich. Aber ich erwarte Perfektion und Haltung."
Ich nickte und umarmte sie. Endlich bekam ich meine große Chance. Beziehungsweise meine zweite große Chance. Hoffentlich war es nicht die letzte.
Nach der Stunde nahm ich mein Smartphone heraus, um es gleich Noel zu erzählen. Doch mein Handy klingelte bereits und meine Laune verfinsterte sich augenblicklich. Warum zur Hölle rief meine Mutter mich an?
„Ja?"
Ich klang genervt, denn das war ich auch. Meine Eltern waren nicht gerade meine größten Fans. Wenn es nach ihnen ginge, würde ich an einem College oder sogar an einer Ivy League Uni Medizin oder BWL studieren, in einem Krankenhaus oder Büro versauern, dennoch früh und reich heiraten, Kinder bekommen und immer das tun, was sie von mir verlangten. Sie waren verdammt konventionell und spießig und meine älteste Schwester tat mir keinen Gefallen damit, genau dieses Leben zu leben. Hope war Immobilienkauffrau, hatte eine eigene Firma mit ihrem Mann, der aussah wie aus dem Forbes Magazin und hatte im Jahr zuvor einen kleinen Sohn zur Welt gebracht. Meine jüngere Schwester Skye studierte Architektur in Europa und datete einen erfolgreichen Kollegen. Es sei ihnen beiden gegönnt, denn ich liebte sie abgöttisch. Aber deswegen musste ich es doch nicht genauso machen. Die Bühne war schon immer mein Zuhause gewesen und Noel war mein erster fester Freund seit Jahren, mit dem ich mir etwas Ernstes vorstellen konnte. Neben der Verliebtheit hatte ich auch Angst. Angst, ihn zu verlieren. Denn Angst, es niemandem recht machen zu können, begleitete mich dank meiner Familie jeden Tag.
„Joy, mein Herz", quiekte meine Mutter so laut, dass ich das Smartphone ein Stück von meinem Ohr weghalten musste.
„Was gibt's?"
„Rate mal, wer in der Stadt ist."
Beinahe wäre ich gegen eine Straßenlaterne gelaufen, so sehr hatte mich ihr kleines Ratespiel aus der Bahn geworfen. Bitte nicht.
„Brad Pitt?", entgegnete ich so gleichgültig wie möglich.
„Nein, Joy. Wir. Dein Vater und ich. Und wir möchten dich sehen."
Es war eine Katastrophe. Bisher hatte ich meine Eltern immer auf dem Land besucht, seitdem sie aus der Großstadt weggezogen waren und das aus gutem Grund. Ich wohnte noch immer in meinem kleinen Apartment und studierte das Fach, das sie verurteilten an der viel zu unwichtigen Universität. Zwar würde ich im nächsten Jahr meinen Abschluss machen, doch es war noch nicht sicher, ob ich danach genug Jobs bekommen würde, um dauerhaft davon leben zu können. Ich lebte also nicht das Leben, das meine Eltern erwarteten. Das störte mich nicht, doch ich hasste es, mich dafür zu rechtfertigen.
„W-wann?"
„Heute, Liebes. Es ist zwar Valentinstag, aber du hast bestimmt noch nichts vor."
Am liebsten hätte ich mein Telefon vor eins der vorbeirasenden Taxis geschmissen, so wütend war ich.
„Mum, eigentlich habe ich etwas vor. Mit Noel."
„Noel? Ist das nicht dieser Pianist?", rief meine Mutter entsetzt.
Ich hatte ihr nach Weihnachten ein Foto von mir und Noel geschickt, als wir für das Kinderkrankenhaus aufgetreten waren. Er hatte in einem Weihnachtsmannkostüm Klavier gespielt und ich hatte gesungen. Schon vor Tagen hatte er angekündigt, irgendetwas Besonderes für heute Abend vorbereitet zu haben, machte aber ein riesiges Geheimnis daraus. Selbst wenn wir nichts geplant hätten, würde ich den Valentinstag mit meinem festen Freund verbringen und nicht mit meinen Eltern.
„Wie oft noch? Er ist kein Pianist, sondern studiert Informatik."
„Jaja, wie auch immer. Wir werden euch nicht allzu lange aufhalten. Sollen wir zu viert etwas essen gehen?"
Nein.
„D-das muss ich mit ihm besprechen."
„Hervorragend. Bis später, Schatz."
Und da war er hin – mein perfekter Morgen.