Читать книгу Ewiges Seelenband | Erotischer Roman - Luna Ravn - Страница 8
ОглавлениеKapitel 6
Am zweiten Weihnachtsfeiertag frühstückte Mila zum letzten Mal im Hause der Anderssons, was sie ziemlich traurig machte. Sicherlich konnte sie Caro jederzeit besuchen, doch es wäre nicht dasselbe. Sie vermisste Jerrik jetzt schon. Es hatte sich beinah so angefühlt, als würden sie zusammen wohnen. Noch kannten sie sich nicht richtig, aber trotzdem war bei beiden von Anfang an dieses vertraute Gefühl da gewesen. Ihre gemeinsamen Träume hatten natürlich auch dazu beigetragen. Dadurch wusste Mila, die an solche Dinge glaubte, nun sicher, dass Jerrik ihr Seelenverwandter war.
Nach dem Frühstück packte Mila ihre Sachen zusammen und half ihrer Freundin dabei, das Zimmer aufzuräumen. Als sie fast fertig waren, kam Jerrik vorbei und teilte ihnen mit, dass er die deutsche Studentin nach Hause fahren würde.
»Ach, das ist aber lieb von dir, Papa. Mit dem Auto zu fahren ist weitaus bequemer. Dann muss ich Milas Sachen nur vom Auto zu ihrer Wohnung tragen. Die Busse und Bahnen sind immer so überfüllt. Und danach können wir ja zusammen zum traditionellen Familientreffen in unser Stammrestaurant fahren«, schlug Caro vor.
»Ähm, tut mir leid. Ich habe noch viel zu tun und werde deshalb nicht am Weihnachtsessen teilnehmen.«, erklärte Jerrik.
»Was? Echt jetzt?«, fragte seine Tochter enttäuscht.
»Ich werde Mila nach Hause fahren und mich dann mit meinem Manager treffen«, erläuterte er.
»Am zweiten Weihnachtsfeiertag? Wieso das denn plötzlich?«, entgegnete Caro schnippisch.
»Sei nicht sauer, Kleines.« Jerrik gab seiner Tochter einen sanften Kuss auf die Stirn und brachte Milas Gepäck zum Auto.
»Meine Güte, warum muss er gerade immer so viel arbeiten? Das nervt total«, murrte Caro enttäuscht und wütend. Mila tätschelte ihr die Schultern und versuchte, sie mit einem Lächeln zu beruhigen. Die Freundinnen verabschiedeten sich mit einer liebevollen Umarmung und Küsschen, nachdem sie ausgemacht hatten, gemeinsam Silvester zu feiern.
***
Mila saß auf der Beifahrerseite des schwarzen Porsche, klammerte sich an ihren Krücken fest. Weder sie noch Jerrik bekamen ein Wort heraus. Der Motor schnurrte wie ein zahmes Kätzchen, während sie durch die Stadt zum Studentenwohnheim fuhren. Beide waren sichtlich angespannt und starrten durch den leichten Schneefall geradeaus auf die Straße, bis Jerrik das Auto vor dem Hochhaus parkte. Über Weihnachten waren die meisten Studenten zu ihren Familien gefahren, weshalb das Gebäude und die Umgebung wie verlassen wirkten. Jerrik stellte den Motor ab und die beiden saßen reglos im Auto und ließen Minute um Minute verstreichen. Sie waren in Gedanken versunken und versuchten, Sätze zu formulieren, die sie dann doch nicht laut aussprachen.
Jerrik schaute auf die große Parkanlage vor dem mehrstöckigen Wohnhaus und seine Augen schweiften von Baum zu Baum. Plötzlich erblickte er ein großes Tier mit grau-braunem Fell, das in ihre Richtung blickte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er traute seinen Augen nicht und beugte sich etwas nach vorn – in der Hoffnung, das Wesen besser erkennen zu können.
»Der Hund sieht aus wie Lunis«, sagte Mila, die das Tier ebenfalls bemerkt hatte. Zur gleichen Zeit kam eine Frau angerannt, die kurz pfiff und den Hund dann anleinte.
»Glaubst du mittlerweile doch an Übersinnliches?«, wollte Mila wissen.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Jerrik kurz und stieg dann aus. Er holte ihre Tasche aus dem Kofferraum, dann öffnete er die Beifahrertür und hob Mila sanft aus dem Wagen. Auf dem Weg zum Haupteingang des Hochhauses wurde das Schneegestöber stärker. Nass und durchgefroren erreichten sie die Tür und atmeten erleichtert auf, als sie den warmen Flur betraten. Sie nahmen den Aufzug ins zehnte Stockwerk. Das alte, klapprige Ding ratterte und krächzte, als es sich Etage für Etage nach oben vorarbeitete. Das Gebäude hatte schon bessere Tage gesehen und war alles andere als sauber und modern. Mila sehnte sich zurück nach Hause oder in Jerriks Haus, das gemütlich und warm war.
Sie bat Jerrik in ihre kleine Ein-Zimmer-Wohnung hinein, wo er ihre Sachen abstellte. Das Studentenapartment hatte einen schmalen, kurzen Flur, wo sie ihre Jacke aufhängte und die Schuhe abstellte. Zur linken Seite befand sich ein kleines Bad mit Dusche und weiter geradeaus kam man in den quadratischen Wohn- und Schlafbereich. Das Fenster, vor dem ein langer Schreibtisch stand, erstreckte sich über die ganze Wand. Etwa auf Höhe des Schreibtisches begann die Heizung, die Mila sofort aufdrehte, da es verdammt kalt in ihren vier Wänden war.
Auf der rechten Seite der Tür stand ein geräumiger Kleiderschrank mit einem Spiegel in der Mitte, zur linken befand sich ein großes Bett. Der kleine Kühlschrank, der zwischen Kleiderschrank und Schreibtisch platziert war, fing an leise zu surren.
»Ja, also ich geh dann mal«, sagte Jerrik, wurde aber im selben Augenblick von Mila am Ärmelsaum seiner Jacke festgehalten.
»Bitte geh nicht.« Milas Augen waren traurig und flehten ihn an, zu bleiben. Wie konnte er diesem Blick widerstehen?
»Kannst du deinen Termin nicht absagen?«, fragte sie zögerlich und lehnte sich an seine Brust, während sie ihn mit ihren großen Rehaugen fixierte. »Tut mir leid. Ich weiß, dass es ganz schön egoistisch ist, dich um so was zu bitten, aber …«, fügte sie hinzu und seufzte, ohne ihren Satz zu beenden.
»Ich habe gar keinen Termin.«
»Was? Du hast gar keinen Termin?«, hakte Mila ungläubig nach.
»Nein.«
»Aber warum hast du denn zu Caro gesagt –«
»Meine Ehe läuft schon seit langer Zeit ziemlich beschissen«, unterbrach Jerrik sie. »Agatha und ich streiten uns sehr oft. Natürlich spielen wir Lars und Caro und der Presse weiterhin die perfekte Ehe vor, aber das ist schon lange nicht mehr so.«
Jerrik setzte sich auf das Bett und schaute betrübt zu Boden. Mila trat einen Schritt auf ihn zu und hob sein Kinn etwas an. Seine Augen waren müde und rastlos. Endlich erkannte sie, dass er nicht nur von der Arbeit, sondern auch von seiner Ehe erschöpft war. Er umarmte ihre Hüfte und legte seinen Kopf mit geschlossenen Augen an ihren Bauch.
»Ich bin dabei, meine Frau zu betrügen, und bereue es nicht einmal. Dich zu lieben fühlt sich richtig an, doch mein Verstand sagt mir, dass dem nicht so ist«, murmelte er nachdenklich. Mila streichelte sein Haupt und hörte aufmerksam zu. Sie war bekümmert. Warum dachte er, dass es falsch war, sie zu lieben?
Vorsichtig hob er seinen Kopf und fragte: »Hast du was dagegen, wenn ich heute bei dir übernachte? Ich muss mal raus.«
Ihr Herz sprang plötzlich wieder wild in ihrer Brust umher, als wüsste es nicht, wo es hingehörte. Natürlich wollte sie, dass Jerrik bei ihr blieb – am liebsten bis an ihr Lebensende. Sie hatte ohnehin schon viel zu viel von seinem Leben verpasst.
Statt einer Antwort machte sie ganz ungeniert den Anfang, zog sich bis auf die Unterwäsche aus und kuschelte sich in das warme Federbett, was Jerrik ihr gleichtat. Mit dem Kopf auf Jerriks Brust liegend, lauschte sie seinem Herzschlag. Nach einer Weile nahm sie all ihren Mut zusammen und flüsterte ihm die drei magischen Worte ins Ohr: »Ich liebe dich.«
Er lächelte sie glücklich an und küsste sie. Gleichzeitig regten sich leise Zweifel in ihm und er fragte vorsichtig: »Du liebst mich doch nicht nur, weil ich Schauspieler bin, oder?«
»Was? Nein, wie kommst du denn darauf?«, erwiderte Mila empört.
»Na ja, ich bin alt und du so jung und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sich so ein hübsches, junges Mädchen wie du in mich verliebt. Ist es der Reiz, mal den roten Teppich zu betreten oder …«
Als er Milas zornigen Gesichtsausdruck sah, verstummte er. »Hab ich was Falsches gesagt?«
»Ja, hast du, Jerrik. Ich will weder dein Geld noch deinen Ruhm noch Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit und schon gar keinen roten Teppich. Ich will nur dich und es ist mir egal, ob du arm oder reich oder alt oder jung bist. In den letzten Tagen habe ich mich total in dich verliebt, weil ich den wahren Jerrik kennenlernen konnte.« Mit Tränen in den Augen fixierte sie seine.
»Es tut mir leid. Ich wollte nicht misstrauisch sein.«
***
Die Sonne ging gerade langsam auf, als Mila erneut – wie so oft in dieser Nacht – aus einem Traum hochschreckte. Es war acht Uhr. Ein paar Vögel flogen vor Milas Fenster umher und zwitscherten. Jerrik und sie hatten am Abend aneinandergekuschelt einen Film geschaut und der Fernseher war immer noch an. Jerrik lag ruhig atmend neben ihr. Noch nie hatte sie ihn schlafen gesehen und konnte nun ihre Augen nicht von ihm abwenden. Verliebt strich sie mit einer Hand durch sein grau meliertes Haar und seufzte zufrieden. Mila schmiegte sich an ihn und versank langsam wieder im Land der Träume.
Wenig später weckte das morgendliche Fernsehprogramm das ungleiche Paar. Jerrik gab seiner hübschen Freundin einen Kuss auf die Stirn und verschwand im Bad, bevor auch sie aufstand und die Kaffeemaschine einschaltete. Ohne Kaffee konnte keiner der beiden motiviert in den Tag starten. Noch kannten sie sich nicht richtig, aber eines wusste sie – Kaffee war auch für ihn überlebensnotwendig. Jeder mit einer Tasse bewaffnet, kehrten sie ins Bett zurück.
Eigentlich wollte Mila ihm von ihren Träumen erzählen. Immer wieder hatte sie Jerrik vor sich gesehen, wie er vor ihr weglief, verschwand oder umgebracht wurde. Doch da er an Vorahnungen und dergleichen nicht glaubte, verschwieg sie ihm ihre Sorgen. Nachdenklich starrte sie auf den Fernsehbildschirm und hielt ihre Tasse fest. Aus heiterem Himmel nahm Jerrik ihr die Tasse weg und stellte sie auf den Nachttisch. Besitzergreifend zog er sie zu sich heran, um ihr einen Kuss zu stehlen. Ihre Verwunderung verwandelte sich in einen Stromschlag, der durch ihren ganzen Körper sauste. Sie wollte mehr. Erneut entlockte er ihr einen Kuss und ließ sie auf seinem Schoß Platz nehmen.
Mila spürte seine Erregung zwischen ihren Beinen und rieb ihren Venushügel an seinem steifen Glied. Genauso musste sich ein Drogenrausch anfühlen. Alle Sinne waren geschärft, doch ihr Blick war getrübt. Ihr war heiß, ihr Herz flatterte und jede kleinste Berührung verpasste ihrem Lustzentrum einen kleinen Elektroschock. Beide konnten ihre Gier nicht zurückhalten und zerrten an den Klamotten des anderen. So eine starke sexuelle Lust hatte Mila noch nie empfunden. Es war, als würden sie sich ewig kennen, und sie war sich nun wieder ganz sicher, dass zwischen ihnen ein Seelenband verankert war. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt, denn sie gehörten zusammen.
Sie lagen nebeneinander im Bett und liebkosten sich. Jerriks Finger streiften über ihre Haut von der Hüfte hinunter zur Innenseite ihres Oberschenkels. Er schob seine Hand in ihren Tanga und rieb ihre Klitoris. Erregt stöhnte sie auf, als er zum Eingang ihrer Vagina fuhr und mit der Fingerspitze ein Stückchen hineinglitt. Sie krallte sich an seinen Schultern fest und presste ihre Stirn gegen seine Brust. Sein Herz wummerte laut und schnell.
»Jerrik, ich will nicht mehr warten!«, stieß sie flehend hervor.
»Bist du dir sicher?« Sein Blick war glasig, der Atem hastig. Mila nickte. Zögernd schob er den Morgenmantel über die Schultern und zerrte am Höschen, das sie sich mit Freuden ausziehen ließ. Jerriks Zunge glitt fordernd in ihren Mund. Seine forsche und unbändige Art reizte sie so sehr, dass Mila sich etwas zurücknahm, um nicht schon zum Höhepunkt zu kommen, bevor sie es überhaupt richtig getan hatten.
Behutsam legte Jerrik Milas Bein auf seine Hüfte, sodass er besseren Zugang zu ihrem Lustzentrum hatte. Sein Mittelfinger glitt erneut über ihren Kitzler und dann hinunter zum Eingang ihrer feuchten Scheide. Sie sah wunderschön aus, wenn sie erregt war. Jerrik konnte seine Augen nicht von ihren rosigen Wangen abwenden. Er drang vorsichtig mit zwei Fingern in sie ein und bewegte diese langsam vor und zurück. Zufrieden seufzend leckte sie seine Lippen und küsste ihn, während sie gleichzeitig an seiner Unterhose zerrte, welche er dann auszog. Gierig umfasste ihre Hand seinen Penis und rieb daran.
Wie schön es wäre, wenn sie ihn in den Mund nehmen würde, dachte er. Kaum hatte er diesen Gedanken beendet, tastete sich ihre Zunge vom Hals über die Brust hinunter zu seinem Glied und umkreiste zärtlich die Eichel. Hingebungsvoll befeuchtete sie den Schaft, bevor sich ihre Lippen auf seine Spitze legten und sich langsam darüberstülpten. Spielerisch umschlang ihre Zunge seinen Schwanz, während ihre Lippen auf und ab glitten. Ihr saugender Mund auf seiner Eichel erregte ihn so sehr, dass er sich recht bald in einem schwachen orgasmusartigen Schub in Milas Mund ergoss, die sein Sperma lüstern mit der Zunge auf ihren Lippen verteilte und ihn dabei verrucht ansah. Diesem Blick konnte er nicht widerstehen. Sein ohnehin nur leicht erschlaffter Schwanz wurde sofort wieder steinhart.
Gierig zerrte er sie auf den Rücken und legte sich auf sie. Mila stöhnte laut vor Lust, als Jerrik vorsichtig in sie eindrang. Es dauerte nicht lange, bis sie sich an seine Größe gewöhnt hatte und ihm ihre Hüfte entgegenpresste. Schnell stellte sie fest, dass sie die Missionarsstellung liebte, denn so konnte sie ihm in die Augen schauen, während er seinen Penis ein Stückchen herauszog und wieder in sie hineinstieß. Hungrig hauchte sie seinen Namen, was ihn total verrückt machte. Der schlanke, jugendliche Körper unter ihm war so energiegeladen und sexy und brachte ihn komplett um den Verstand. Seine Zungenspitze kreiste um Milas harte Nippel und ließ ihren Körper erschaudern. Er schaute sie kurz mit einem schiefen Grinsen an, löste sich von ihr und drehte sie um. Mit einer Hand hielt er ihre Hüfte, mit der anderen seinen Penis, den er vorsichtig wieder in sie einführte. Vom Rausch der Lust ergriffen bewegte er seine Hüfte schneller und stieß seinen Penis tiefer in ihre Vagina. Ihr lustvolles Stöhnen reizte ihn so sehr, dass er sich nicht mehr beherrschen konnte.
Mila spürte seinen nahenden Höhepunkt und flehte ihn an, nicht aufzuhören. Mit letzter Kraft setzte er seine Bewegung fort und rieb ihren Knotenpunkt mit dem Finger, bis sie zum Höhepunkt kam, der wie ein gewaltiger Stromschlag durch ihren gesamten Körper rauschte. Jerrik folgte ihr kurz darauf und krallte sich keuchend an ihrer Hüfte fest.
Ihr Verstand sagte ihnen, dass es womöglich falsch war, doch ihre Herzen und ihre Körper hatten ihnen gezeigt, dass sie nichts davon bereuen sollten. Jerrik atmete schwer, er hatte sich ziemlich ausgepowert. Ein paar Haarsträhnen klebten an seiner verschwitzten Stirn und seine Lippen schmeckten nach Salz, als Mila ihn zärtlich küsste. Sein rasanter Herzschlag, der nicht zu überhören war, machte sie überglücklich.
Friedlich seufzend lächelte sie ihn an. »Ich glaub, ich sollte duschen«, sagte sie mit einem kecken Grinsen auf den Lippen.
»Komm, Prinzessin. Ich kann dich nicht allein lassen, sonst verstauchst du dir noch den anderen Fuß.« Er hob sie hoch und trug sie ins Badezimmer.
***
Nach der gemeinsamen Dusche war Jerrik gegangen. Mila fühlte sich plötzlich so einsam in ihrem kleinen Zimmer. Den ganzen Tag lang hockte sie vor dem Fernseher und wusste nichts mit sich anzufangen. Warum hatte sie Jerrik nicht nach seiner Handynummer gefragt? Caro konnte sie schließlich nicht um Auskunft bitten, denn das Verhältnis zwischen ihnen musste unbedingt geheim bleiben – zumindest, solange er verheiratet war.
Die beiden Studentinnen hatten sich für Silvester zum Feiern in der Innenstadt verabredet, doch ob dies nun möglich war mit Milas verstauchtem Fuß? In nur drei Tagen schon war das Jahr vorbei und das Mädchen aus Deutschland merkte nach langer Zeit mal wieder, wie einsam sie hier in dem fremden Land eigentlich war. Caro war ihr, seitdem sie sich das erste Mal getroffen hatten, kaum von der Seite gewichen. Aus dem Kurs »Erste Schritte an der neuen Uni« war ganz unerwartet eine enge Freundschaft zwischen ihnen entstanden, doch nun waren sie aufgrund der Ferien – also der vorlesungsfreien Zeit – seltener beisammen als zuvor.
Mila kramte gedankenversunken in den geräumigen Schubladen ihrer Kommode. In den letzten drei Monaten hatte sich so viel Zeug angesammelt, dass es an der Zeit war, mal auszumisten. Unordnung und Chaos waren ihr ein Dorn im Auge und so wollte sie all den Kleinkram schnellstens loswerden. Plötzlich entdeckte sie eine kleine helle Box mit roter Schrift darauf, die ihr bekannt vorkam. Als sie den kleinen Pappkarton unter einigen Heften und Bastelzubehör herauszog, traute sie ihren Augen nicht und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Eine Weile starrte sie die Schachtel ungläubig an. Wie konnte es sein, dass die Tarotkarten ihres Vaters in Kopenhagen waren? Die hatte sie doch schon eine Ewigkeit nicht mehr angerührt! Ihr ganzer Körper schlotterte, das Ganze war ihr äußerst unheimlich.
***
Als Mila acht Jahre alt gewesen war, hatte ihre Mutter sie eines Tages gegen Mittag von der Schule abgeholt. Zu Hause angekommen hatte sie ihr die schlimme Nachricht überbracht, dass ihr Vater nie wieder nach Hause kommen würde. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten und konnte nicht rechtzeitig gerettet werden. Dieser Schock traf Mila schwer, denn sie liebte ihren Vater abgöttisch. Er hatte so viel mit ihr unternommen, ihr am Abend vor dem Schlafengehen immer eine Geschichte erzählt, ihr ein neues Fahrrad besorgt und es repariert, wenn es kaputt war. An seinem Tod hatte Mila sehr stark zu knabbern. Viele Jahre lang verfolgten sie Albträume, in denen sie immer wieder erleben musste, dass ihr Vater starb und sie allein zurückließ. Oftmals erschien ihr auch ein Wolf in ihren Träumen. Der Wolf sagte nichts. Er schaute sie nur an. Etliche Male hatte sie das Gefühl, aufzuwachen und das Tier wirklich in ihrem Zimmer stehen zu sehen. Es hatte sich angefühlt, als hätte er sie aus dem schlechten Traum herausgerissen und somit gerettet.
Mittlerweile war Mila erwachsen und wusste ganz genau, dass es nur Träume waren und nicht die Wirklichkeit. Sie glaubte zwar an Geister, Engel und Gott und irgendwie verhalf ihr dieser starke Glaube an das Übernatürliche, diesen Schmerz zu überwinden, doch sie hatte – abgesehen von dem Wolf in ihrem Kinderzimmer – nie etwas Übernatürliches wahrgenommen. Nach wie vor vermisste sie ihren Vater jeden Tag. Man sagte immer, dass die Zeit alle Wunden heile, doch auf Mila traf dies nicht zu, denn dieser Verlust tat ihr noch immer sehr weh.
Sie erinnerte sich, dass ihr Vater ab und zu für ihre Mutter und Freunde Tarotkarten gelegt und ihnen die Zukunft vorausgesagt hatte. Zudem erinnerte sie sich daran, dass er ihr – nachdem er seine eigene Zukunft gelesen hatte – mal zugeflüstert hatte, dass er immer über sie wachen würde, wenn er im Himmel lebte.
Als sie sich das in Erinnerung rief, brach sie in Tränen aus. Hatte er etwa seinen eigenen Tod in den Karten gesehen? Nachdem er verstorben war, hatte sich ihre Mutter ganz fest an diese Karten geklammert und ebenfalls versucht, sie zu legen und zu deuten, doch sie hatte nicht die Begabung ihres Mannes, sodass sie die Karten irgendwann in ihrem Nachttisch verstaut und nicht wieder hervorgeholt hatte. Mila hingegen hatte das Kartenset oft zusammen mit ihrer Schulfreundin Lilia benutzt. Im Internet hatten sie verschiedene Legetechniken gefunden, die sie nach Anleitung angewendet hatten, doch nur selten war etwas von dem, was sie gedeutet hatten, eingetroffen.
Schluchzend wischte Mila sich die Tränen von den Wangen und schleppte sich zitternd mit dem schmalen Karton in der Hand zum Bett. Die Decke und das Kissen schob sie forsch beiseite und holte die Karten zusammen mit dem Anleitungsbuch heraus, welches sie zu studieren begann. Es dauerte eine Weile, bis sie die einfachste Legetechnik begriffen hatte, dann nahm sie die Karte der »weiblichen Person« – in diesem Fall sie selbst – heraus und mischte den Stapel. Mit der linken Hand – der Hand des Herzens – bildete sie vier verdeckte Kartenhäufchen. Nach Anleitung des Buches wählte sie zufällig Karten von den Stapeln aus, die sie schematisch um die »weibliche Person« legte.
Zwölf Karten lagen nun vor ihr. Zuerst deckte sie die waagerechte Reihe um die Hauptkarte auf. Nun begann sie die Kartenkombinationen aus dem Buch herauszusuchen, denn die verrieten ihr, was passiert war und was noch passieren würde.
»Ich habe etwas Neues geschaffen. Ob es da um die Beziehung zu Jerrik geht?«, murmelte Mila nachdenklich und blätterte weiter.
»Ich bin in einem großen Haus … damit könnte vielleicht Jerriks Haus gemeint sein«, flüsterte sie.
»Ich bekomme Bauchschmerzen? Vielleicht deutet das auf eine Krankheit oder gar Stress hin?« Skeptisch den Kopf schüttelnd humpelte sie zu ihrem Schreibtisch und goss sich etwas Orangensaft in ein Glas, dann hinkte sie zurück und setzte sich wieder auf das Bett zu den Karten. Nun drehte sie den Rest der Karten um und las darin, dass sie ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hatte. Sehnsüchtig und traurig schluckte sie einen dicken Kloß herunter, als sie an ihre Mutter dachte, und hielt kurz inne.
»Alles wird gut«, sagte sie selbstbewusst zu sich und begann, weitere Kombinationen zu deuten.
Die nächsten Karten verrieten ihr, dass sie in den kommenden drei Jahren würde viel Geduld aufbringen müssen. Was das wohl zu bedeuten hatte? Was genau ihr die Karten mitteilen wollten, war ihr noch nicht ganz klar, doch sie hatte das Gefühl, dass das, was sie da lesen konnte, auf jeden Fall eintreffen würde. Ganz besonders ins Grübeln brachte sie die Bedeutung von zwei Karten, die ihr sagten, sie würde die Bindung zu jemandem verlieren. Ob damit die Bindung zu Jerrik gemeint war? Diese Bedeutung ließ sie im Raum stehen, denn sie wollte nicht daran denken, ihn jemals zu verlieren.