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Kafka kocht ein Abendessen

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Ich bin ganz verzweifelt, weil der Tag näher rückt, an dem meine liebe Milena kommt. Ich habe kaum erst angefangen, eine Entscheidung zu treffen, was ich ihr aufwarten werde. Ich habe mich kaum noch mit dem Gedanken daran auseinandergesetzt, habe ihn nur umflogen, wie die Mücke das Licht und mir das Köpfchen mehrere Male verbrannt.

Ich fürchte so sehr, dass mir nichts anderes einfällt als Kartoffelsalat, und das ist keine Überraschung mehr für sie. Das darf nicht sein.

Der Gedanke an dieses Essen beschäftigt mich schon die ganze Woche in einem fort und lastet in der gleichen Weise auf mir, so wie im tiefen Meer kein Plätzchen ist, das nicht immerfort unter schwerstem Drucke steht. Dann und wann nehme ich meine ganze Kraft zusammen und arbeite an dem Menü, so als wäre ich beauftragt, einen Nagel in einen Stein zu hämmern, Arbeiter und Nagel zugleich. Aber dann sitze ich wieder am Nachmittag hier und lese, Myrte im Knopfloch, und es gibt so schöne Passagen in dem Buch, dass man glaubt, man müsse auch so schön werden.

Ebenso könnte ich im Irrenhausgarten sitzen und blödsinnig vor mich hinstieren. Und doch weißich, dass ich mich letztlich für ein Menü entscheiden und die Zutaten einkaufen und das Essen zubereiten werde. Diesbezüglich, denke ich, bin ich wie ein Schmetterling: Das Zickzack seines Flugs ist so unberechenbar und er flattert so wild, dass es einen beim Zuschauen weh tut, und sein Flug ist das genaue Gegenteil einer geraden Linie, trotzdem legt er Meile um Meile erfolgreich zurück, um ans Ziel zu kommen, ergo muss er effizienter oder zumindest entschlossener sein, als er scheint.

Natürlich, mich selbst zu foltern ist auch kläglich. Alexander hat den gordischen Knoten, als er sich nicht lösen wollte, nicht etwa gefoltert. Ich habe das Gefühl, unter all diesen Gedanken lebendig begraben zu sein, und glaube doch still liegen zu müssen, denn vielleicht bin ich doch wirklich tot.

Heute Morgen zum Beispiel hatte ich kurz vor dem Aufwachen, es war auch kurz nach dem Einschlafen, einen Traum, der mich noch immer nicht loslässt: Ich hatte einmal einen Maulwurf gefangen und trug ihn in den Hopfengarten, wo er, wie wenn er in Wasser tauche, in die Erde verschwand. Wenn ich an dieses Abendessen denke, dann möchte ich in der Erde verschwinden wie dieser Maulwurf. Ich möchte mich in die Schublade des Wäschekastens dort stopfen, dann warten, dann die Schublade ein wenig aufziehen, um nachzusehen, ob ich schon erstickt bin. Noch viel erstaunlicher ist, dass man überhaupt jeden Morgen aufsteht.

Ich weiß, Rote-Rüben-Salat wäre besser. Ich könnte ihr sowohl Rote Rüben als auch Kartoffeln servieren und dazu eine Scheibe Rindfleisch, sofern ich auch Fleisch dazu tue. Andererseits braucht es zu einer anständigen Scheibe Rindfleisch gar keine Beilage, am besten, man isst es ohne was dazu, also könnte zuerst die Beilage kommen und wäre dann gar keine Beilage, sondern eine Vorspeise. Aber was ich auch mache, gut möglich, dass sie von meinen Bemühungen nicht viel halten wird, vielleicht wird ihr auch beim Anblick dieser Rüben zunächst sogar ein wenig schlecht und sie findet sie gar nicht anregend. Erstenfalls würde ich mich furchtbar schämen, im zweiten Fall wüsste ich mir nicht zu helfen – wie auch? –, sondern würde mir bloß eine simple Frage stellen: Will sie, dass ich das ganze Essen wieder vom Tisch abtrage?

Nicht, dass mich das Essen in Panik versetzt. Ich habe ja letztlich einiges an Fantasie und Energie, und so wird es mir vielleicht auch gelingen, ein Essen auf den Tisch zu stellen, das ihr schmeckt. Es hat andere und erträgliche Abendessen gegeben – seit jenem unseligen Essen, das ich für Felice kochte, obwohl es vielleicht mehr Gutes als Schlechtes nach sich zog.

Es war letzte Woche, dass ich Milena eingeladen habe. Sie war in Begleitung eines Freundes. Wir trafen uns zufällig auf der Straße, und ich redete hitzig drauflos. Ihr Begleiter hatte ein gutes, freundliches, dickes, dabei reichsdeutsch korrektes Gesicht. Nachdem ich die Einladung ausgesprochen hatte, ging ich lange in der Stadt herum, wie auf einem Friedhof, so sehr war ich in Frieden mit mir.

Dann fing ich mit meiner Selbstfolterung an, wie eine Blume im Blumenkasten, die der Wind peitscht, ohne dass sie dabei auch nur ein Blütenblatt verliert.

Wie ein von oben bis unten mit Bleistift korrigierter Brief, so habe auch ich meine Mängel. Angefangen damit, dass ich nicht eben kräftig bin, und ich glaube, selbst Herkules fiel einmal in Ohnmacht. Ich bemühe mich den ganzen Tag bei der Arbeit nicht an das zu denken, was vor mir liegt, aber es kostet mich so viel Kraft, dass für meine Arbeit nichts mehr übrig bleibt. Auch telefoniere ich überhaupt so schlecht, dass sich das Telefonfräulein meistens weigert, die Verbindung herzustellen. Deshalb sollte ich mir besser sagen: Also mach schon und bring das Tafelsilber auf Hochglanz, dann leg es auf die Anrichte, damit es zur Hand ist, und basta. In meiner Vorstellung polier’ ich es nämlich den ganzen Tag– und eben das bereitet mir Folterqualen (sauber wird das Silberbesteck davon allerdings nicht).

Ich liebe deutschen Kartoffelsalat aus guten, alten Kartoffeln und Essig, obwohl er schwer und ein solcher Hammer ist, dass es mir, bevor ich überhaupt noch davon gekostet habe, schon ein wenig schlecht wird – so als würde ich eine bedrückende und fremdartige Kultur an meine Brust drücken. Wenn ich Milena das anbiete, dann gebe ich vielleicht einen ekelhaften Teil von mir preis, den ich ihr mehr als alles andere ersparen sollte, einen Teil von mir, den sie noch nicht kennt. Ein französisches Gericht könnte ich wiederum – trotz größerer Bekömmlichkeit – vor mir selbst nicht vertreten, und dieser Verrat wäre vielleicht unverzeihlich.

Ich bin voll guter Vorsätze, und trotzdem untätig – wie an dem Tag im letzten Sommer, als ich auf dem Balkon saß und dem Käfer zusah, der auf den Rücken gefallen war und mit den Beinen zappelte, unfähig, sich aufzurichten. Ich hätte ihm gerne geholfen, und trotzdem schaffte ich es nicht aus dem Stuhl, um ihm zu helfen. Er hörte auf sich zu bewegen und rührte sich lange Zeit nicht mehr, so dass ich glaubte, er wäre schon hinüber. Dann kroch eine Eidechse über ihn hinweg, glitt an ihm herunter und richtete ihn auf, und er lief an der Wand hinauf, als wäre nichts geschehen.

Gestern kaufte ich mir auf der Straße von einem Mann mit Karren das Tischtuch. Er war ein kleiner, fast winziger, schwacher, bärtiger, einäugiger Mann. Von einer Nachbarin lieh ich mir die Kerzenhalter aus, oder sollte ich sagen, sie borgte sie mir.

Ich werde ihr nach dem Essen einen Espresso anbieten. Während der Vorbereitung für dieses Essen ist mir etwa so wie Napoleon, wie es Napoleon hätte sein müssen, wenn er beim Entwerfen der Pläne für den russischen Feldzug gleichzeitig ganz genau den Ausgang gewusst hätte.

Ich sehne mich, mit Milena zusammen zu sein, nicht nur jetzt, sondern für immer. Warum bin ich ein Mensch? frage ich – was für eine höchst unsichere Stellung! Warum kann ich nicht der glückliche Schrank in ihrem Zimmer sein?

Bevor ich meine liebe Milena kannte, dachte ich, ich könne das Leben nicht ertragen. Dann trat sie in mein Leben und zeigte mir, dass es nicht so war. Es stimmt, unsere erste Begegnung war nicht sehr vielversprechend, denn ihre Mutter machte die Tür auf – was für eine steinerne Stirn sie hat und in was für Goldlettern dort geschrieben steht: »Ich bin tot, und wer nicht auch tot ist, den verachte ich.« Milena schien erfreut über mein Kommen, aber noch mehr freute sie sich, als ich wieder ging. An diesem Tag fiel mein Blick zufällig auf einen Stadtplan. Einen Augenblick lang erschien es mir unbegreiflich, dass man eine so große Stadt aufgebaut hat, während sie doch nur ein Zimmer braucht.

Vielleicht wäre es letztendlich am einfachsten, genau das für sie zu kochen, was ich für Felice gekocht habe, nur mit mehr Umsicht, damit nichts schief geht, und ohne die Schnecken oder Champignons. Ich könnte sogar den Sauerbraten auftischen, wie für Felice, obwohl ich damals noch Fleisch gegessen habe. Damals machte mir der Gedanke, dass auch ein Tier ein Recht auf ein gutes Leben hat und, was vielleicht noch wichtiger ist, auf einen guten Tod, noch nicht zu schaffen. Heute kann ich nicht einmal Schnecken essen. Mein väterlicher Großvater war Fleischhauer, und ich muss so viel Fleisch nicht essen, als er geschlachtet hat. Ich habe jetzt schon lange kein Fleisch mehr gegessen, obwohl ich Milch und Butter esse – aber für Milena würde ich wieder Sauerbraten machen.

Ich selbst habe nie großen Appetit. Ich bin dünner, als ich sein sollte, bin aber schon seit langer Zeit dünn. So ruderte ich zum Beispiel vor ein paar Jahren oft in einem kleinen Boot auf der Moldau. Ich ruderte hinauf und fuhr dann ganz ausgestreckt auf dem Boden des Bootes mit der Strömung hinunter. Ein Freund, der mich eben so einmal von der Brücke sah, sagte, es hätte so ausgesehen wie vor dem Jüngsten Gericht, und mein Sargdeckel sei schon abgehoben gewesen. Andererseits war er selbst damals schon geradezu fett, massig, und hatte wenig Ahnung von dünnen Menschen, außer davon, dass sie eben dünn waren. Zumindest gehört dieses Gewicht auf meinen Füßen tatsächlich mir.

Sie wird vielleicht überhaupt nicht mehr kommen wollen, nicht weil sie zickig ist, sondern erschöpft, was verständlich ist. Es wäre falsch zu sagen, sie würde mir fehlen, wenn sie nicht kommt, weil sie in meiner Vorstellung immer da ist. Und doch wird sie woanders sein, und ich werde, das Gesicht in den Händen, an meinem Küchentisch sitzen.

Wenn sie kommt, werde ich immerfort nur lächeln, das habe ich von ei ner alten Tante von mir geerbt, die auch unablässig gelächelt hat, aber beide tun wir es eher aus Verlegenheit als aus guter Laune oder Mitgefühl. Ich werde kein Wort herauskriegen, nicht einmal glücklich werde ich sein, weil mir nach den Essensvorbereitungen die Kraft fehlen wird. Und wenn ich, mit dem Aus druck des Bedauerns wegen des ersten Gangs, der in der Schüssel wartet, die ich in Händen halte, zögere, die Küche zu verlassen und das Esszimmer zu betreten, und wenn sie, die in diesem Augenblick meine Verlegenheit spürt, zögert, aus dem Wohnzimmer und von der anderen Seite das Esszimmer zu betreten, ja, dann wird das schöne Zimmer während dieser langen Pause leer sein.

Nun gut – einer kämpft eben bei Marathon, der andere in der Küche.

Trotzdem: Ich habe jetzt meine Entscheidung fast das gesamte Menü be treffend gefällt und angefangen, unser Essen zuzubereiten, indem ich es mir in jeder kleinsten Einzelheit von Anfang bis zum Ende ausmale. Sinnlos und zähneklappernd wiederhole ich den folgenden Satz: »Dann laufen wir in den Wald.« Sinnlos, denn es gibt hier keinen Wald, und von Laufen kann ohnehin nicht die Rede sein.

Ich glaube, sie wird kommen, aber mein Glaube wird von der gleichen Angst begleitet, die meinen Glauben immerzu begleitet, die Angst alles Glaubens seit jeher.

Felice und ich waren zum Zeitpunkt dieses unseligen Abendessens nicht verlobt, obwohl wir uns drei Jahre davor verlobt hatten und uns eine Woche darauf wieder verloben sollten – wenn auch sicher nicht wegen dieses Essens, es sei denn Felices Mitgefühl wäre aufgrund der Vergeblichkeit meiner Anstrengungen, eine gute Buchweizen-Kascha, Kartoffelpuffer und Sauerbraten zu kochen, von neuem erwacht. Andererseits gibt es für unseren endgültigen Bruch mehr Erklärungen als tatsächlich nötig wären – das ist zwar lächerlich, aber gewisse Kenner der Materie meinen, dass selbst die Luft in dieser Stadt die Neigung zur Wankelmütigkeit verstärken könnte.

Ich war ganz aus dem Häuschen, wie man’s eben immer ist, wenn etwas neu für einen ist, und natürlich hatte ich auch ein bisschen die Hosen voll. Ich hielt ein traditionelles deutsches oder tschechisches Essen für das Beste, auch wenn es für den Juli eher heavy war. Eine Zeit lang konnte ich mich nicht entschließen, selbst in meinen Träumen nicht. Irgendwann gab ich dann einfach auf und dachte daran, aus der Stadt wegzuziehen. Dann entschloss ich mich aber doch zu bleiben, freilich: wie ein Entschluss kam mir das einfache Auf-dem-Balkon-liegen-Bleiben nicht vor. Zu solchen Zeiten bin ich vor Unentschlossenheit wie gelähmt, und gleichzeitig klopfen die Gedanken in meinem Schädel wie verrückt – wie eine Libelle, die reglos in der Luft zu hängen scheint, mit ihren Flügeln aber wie toll gegen die stetige Brise ankämpft. Dann riss ich mich heraus, so wie ein fremder Mensch einen fremden Menschen aus dem Bett zerrt.

Die Tatsache, dass ich das Essen sorgfältig plante, war wahrscheinlich bedeutungslos. Ich wollte etwas Bekömmliches kochen, weil sie zu Kräften kommen musste. Ich erinnere mich, dass ich frühmorgens die Champignons suchte und zwischen Bäumen herumkroch – direkt unter den Blicken zweier ältlicher Schwestern, denen ich oder mein Korb zutiefst missfiel. Oder vielleicht missfiel ich ihnen auch deshalb, weil ich im Wald einen guten Anzug trug. Aber ihr Beifall hätte auch keinen Unterschied gemacht.

Als die Stunde dann da war, fürchtete ich kurz, dass sie nicht kommen würde, anstatt – wozu mehr Anlass bestand – zu fürchten, dass sie tatsächlich kommen könnte. Zunächst hatte sie gesagt, sie würde vielleicht nicht kommen. Seltsam, dass sie das getan hat. Ich kam mir vor wie ein Laufbursch, der nicht mehr laufen kann, sich aber immer noch auf irgendeine Anstellung Hoffnungen machte.

Genau so wie ein sehr kleines Tier, das auf dem Waldboden unter Blättern und Zweigen aus Angst einen Riesenlärm und einen Mordswirbel macht und zu seinem Loch eilt, oder sogar wenn es keine Angst hat, sondern bloß Nüsse sucht, so dass man meinen könnte, ein Bär würde gleich auf die Lichtung hinaus preschen, während es sich doch bloß um eine Maus handelt – das entsprach genau meinem Gefühlszustand: so klein und doch so laut. Ich bat sie, komm doch bitte nicht zum Essen, aber dann sagte ich, sie solle doch bitte nicht auf mich hören, sondern trotzdem kommen. Unsere Worte sind so oft die irgendeines unbekannten Wesens, eines Alien. Ich glaube keinen Reden mehr, noch in der schönsten ist ein Wurm.

Einmal, als wir zusammen in einem Restaurant zu Abend aßen, schämte ich mich wegen des Essens so sehr, als hätte ich es selbst gekocht. Der erste Gang verdarb uns den Appetit für alles Weitere, selbst wenn es essenswert gewesen wäre: fette, weiße Leberknödel, die in einer dünnen, mit Fettaugen gesprenkelten Brühe schwammen. Das war zweifellos ein deutsches Gericht, eher jedenfalls als ein tschechisches. Aber weshalb auch sollte es etwas Komplizierteres zwischen uns geben als still nebeneinander in einem Park zu sitzen und einem Kolibri zuzuschauen, der von den Petunien in die Krone einer Birke aufsteigt, um darin auszuruhn?

Am Abend unseres Essens sagte ich mir, dass ich, sollte sie nicht kommen, die Leere der Wohnung genießen wollte, denn wenn es für das Leben selbst notwendig ist, allein in einem Zimmer zu sein, so ist es für das Glück notwendig, allein in einer Wohnung zu sein. Man hatte mir die Wohnung für diesen Anlass leihweise überlassen. Aber ich hatte das Glück der leeren Wohnung noch nicht ausgekostet. Es ist vielleicht gar nicht die Leere der Wohnung, die mir so gut tut, oder nicht hauptsächlich sie, sondern der Besitz zweier Wohnungen überhaupt. Sie kam dann aber doch, wenn auch verspätet. Sie erklärte mir, sie habe sich verspätet, weil sie mit einem Mann hatte sprechen wollen und warten musste, der seinerseits schon ungeduldig auf das Ende einer Debatte um die Eröffnung eines neuen Kabaretts wartete. Ich glaubte ihr nicht.

Als sie zur Tür hereinkam, war ich beinahe enttäuscht. Sie wäre so viel glücklicher gewesen, hätte sie mit einem anderen Mann zu Abend gegessen. Sie hatte mir eigentlich eine Blume bringen wollen, erschien aber ohne. Und doch erfüllte mich, allein weil ich mit ihr zusammen war, eine solche Glückseligkeit – wegen ihrer Liebe und ihrer Freundlichkeit, die so hell und heiter war wie das Summen einer Fliege auf dem Zweig einer Linde.

Obwohl wir uns unbehaglich fühlten, machten wir mit Essen weiter. Als ich in die leere Schüssel starrte, klagte ich über meine Schwäche, klagte ich über das Geborenwerden, klagte ich über das Licht der Sonne. Wir aßen etwas, das leidigerweise nicht von unseren Tellern verschwinden wollte, es sei denn, wir schluckten es. Ich war gerührt und zugleich beschämt, glücklich und zugleich traurig, weil sie offensichtlich mit Genuss aß – beschämt und traurig einzig deshalb, weil ich ihr nichts Besseres zu bieten hatte, gerührt und glücklich, weil offenbar genügend da war, zumindest dieses eine Mal. Es war bloß die gütige und liebenswerte Art, mit der sie jede einzelne Speise dieses Menüs verzehrte, und die Feinfühligkeit ihrer Komplimente, die ihm Wert verliehen – es war nämlich grottenschlecht. Sie hätte an seiner Stelle wirklich irgendsowas wie gebackene Scholle oder Fasanenbrust mit Fruchteis und Obst aus Spanien verdient. Hätte ich ihr denn nicht so etwas auftischen können?

Und als ihre Komplimente zögerlicher wurden, wurde die Sprache selbst für sie geschmeidig und schöner, als man mit Recht erwarten durfte. Hätte ein ahnungsloser Fremder Felice reden gehört, hätte er gedacht: Was für ein Mann! Er muss Berge versetzt haben! – und dabei tat ich nichts, als die Kascha nach Ottlas Anweisungen zuzubereiten. Ich hoffte, dass sie, nachdem sie gegangen war, einen Platz finden würde, irgendwo in einem Garten im Halbschatten, in dem sie sich in einen Liegestuhl legen und ausruhen konnte. Was mich betrifft: Dieser Krug war zerbrochen – schon lange ehe er zum Brunnen ging.

Und dann noch dieser Vorfall. Erst als ihre Füße direkt vor meinen Augen waren, wurde mir bewusst, dass ich kniete. Überall auf dem Teppich waren Schnecken, und überall roch es nach Knoblauch.

Kann sein, dass wir uns trotzdem gleich nach dem Essen am Tisch an die Lösung kniffliger arithmetischer Aufgaben machten – ich erinnere mich nicht, kurze Additionen und dann lange, während ich zum Fenster hinaus und zum Gebäude auf der anderen Straßenseite hinüberschaute. Vielleicht hätten wir auch zusammen Musik gemacht, aber ich bin unmusikalisch.

Unsere Unterhaltung war stockend und holprig. In meiner Nervosität schweifte ich immerzu sinnlos ab. Schließlich sagte ich, ich hätte mich verrannt, aber das machte nichts, denn wenn sie so ein weites Stück des Wegs mit mir gegangen war, dann waren wir beide verloren. Es gab so viele Missverständnisse, selbst wenn ich bei der Sache blieb. Und doch hätte sie nicht befürchten müssen, dass ich wütend auf sie sei, sondern im Gegenteil: dass ich es nicht war.

Sie dachte, ich hätte eine Tante Klara. Es stimmt, ich habe eine Tante Klara, natürlich hat jeder Jude eine Tante Klara, aber die meine ist schon lange tot. Sie sagte, die ihre sei etwas merkwürdig und neige dazu, Erklärungen abzugeben, zum Beispiel, dass man seine Briefe richtig frankieren und nichts zum Fenster hinauswerfen soll, lauter unanfechtbare Dinge, aber nicht einfach. Wir sprachen über die Deutschen. Sie hasst die Deutschen so sehr, aber ich sagte ihr, die Deutschen sollte sie nicht gar so sehr hassen, die Deutschen sind wunderbar. Vielleicht war es – heilige Eitelkeit! – ein Fehler, damit zu prahlen, ich hätte unlängst eine Stunde und mehr Holz gehackt. Ich fand, sie sollte mir dankbar sein – immerhin widerstand ich der Versuchung, etwas Unfreundliches zu sagen.

Noch ein Missverständnis, und sie würde aufstehen und gehen. Wir versuchten auf jede mögliche Art und Weise zu sagen, was wir dachten, aber in diesem Augenblick waren wir ja keine Liebenden, sondern bloß Grammatiker. Selbst Tiere lassen alle Vorsicht fahren, wenn sie miteinander streiten: Eichhörnchen rennen wie verrückt über eine Wiese oder Straße und zurück und vergessen ganz, dass Raubtiere in der Nähe sein könnten, die sie beobachten. Ich erklärte ihr, das Einzige, was mir daran gefiele, wenn sie wieder gehen sollte, wäre der Abschiedskuss. Sie versicherte mir, dass es, obwohl wir im Zorn auseinandergingen, bis zum nächsten Wiedersehen nicht lange hin sein würde, aber für mich in meinem Kopf bedeutete ›bald‹ anstatt ›nie mehr‹ trotzdem nur ›nie mehr‹. Dann ging sie.

Durch diesen Verlust war ich sogar noch mehr Robinson als Robinson selbst – er hatte wenigstens noch die Insel und Freitag, seine Vorräte, seine Ziegen, das Schiff, das ihn holte, seinen Namen. Aber was mich anging, so stellte ich mir vor, von einem Chefarzt zwischen die Knie genommen zu werden und an den Fleischklumpen zu würgen, die er mir mit den Karbolfingern in den Mund stopft und dann entlang der Gurgel hinunterdrückt.

Der Abend war vorbei. Eine Göttin ging aus dem Kino, und ein kleiner Gepäckträger stand verlassen auf dem Perron – und das sollte unser Abendessen gewesen sein? Schmutzig bin ich – darum mache ich ein solches Geschrei um Reinheit. Niemand singt so rein, als die, welche in der tiefsten Hölle sind – was wir für den Gesang der Engel halten, ist ihr Gesang. Trotzdem entschloss ich mich, noch eine Weile weiter zu leben, wenigstens noch diese Nacht.

Letztlich bin ich nicht elegant. Jemand hat einmal gesagt, dass ich wie ein Schwan schwimme, aber das war kein Kompliment.

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