Читать книгу Wilderer und Jäger Staffel 2 - M. Bachmann - Страница 5
ОглавлениеEin schriller Pfiff gellte über die Felshänge des Raffen, die sich schroff über den grünen Matten der Schoberalm erhoben.
Die Jesinger-Marthl, die gerade einen Eimer mit frischgemolkener Milch hinüber zur verwitterten, alten Sennhütte tragen wollte, hielt inne und lächelte. Sie hob ihren Blick zu den sonnendurchglühten Felsen, doch sie konnte keine Bewegung entdecken. Was mochte die Murmeltiere vertrieben haben? Sonst störten sich die scheuen Gesellen nicht an dem Leben auf der Alm. Sie schienen zu wissen, daß ihnen von dort keine Gefahr drohte.
Jetzt hatten sie sich wohl blitzschnell in ihren Felshöhlen versteckt und warteten darauf, daß die Luft rein war. Marthl hob den Eimer mit der schäumenden Milch wieder auf. Es war still auf der Alm, fast feiertäglich. Die Glocke der Leitkuh klang herab, Bienen summten in den Blumen, sonst war kein Laut zu hören.
Lautlos zogen zwei Adler ihre Kreise, ließen sich schwerelos vom sanften Wind tragen.
Marthl liebte den Frieden hoch über den Höfen des Dorfes St. Marien. Die Einsamkeit störte sie nicht, denn das elternlose Madl hatte in seinem jungen Leben Schlimmeres erfahren, als allein zu sein. Sie war herumgestoßen worden als ungeliebtes Anhängsel. Die Verwandten, die sie aufgenommen hatten, hatten sie nur allzu deutlich spüren lassen, daß sie ihnen nicht willkommen war.
Dieser Sommer war für sie der erste glückliche Sommer seit ihrer Kindheit. Endlich war sie ihr eigener Herr, seit sie für den Stirnthalerbauern als Sennerin auf der Alm schaffte!
Marthl war entschlossen, dem Bauern trotz ihrer Jugend keinen Anlaß zur Klage zu geben. Gewissenhaft goß sie die Milch durch ein Seihtuch und wusch es aus.
Als sie es zum Trocknen aufhängte, beschattete sie die Augen mit der Hand und sah zum Raffen hinauf. Doch von der Murmeltierkolonie war noch immer keine Spur zu sehen. Ob es an den Adlern lag, die beständig ihre Kreise zogen?
Plötzlich horchte Marthl auf. Vom Bergpfad her klang ein Jodler! Wer mochte da heraufsteigen? Der Stirnthaler-Sepp, der Sohn des Bauern, konnte es noch nicht sein. Der kam immer erst am Wochenende, um Butter und Käse abzuholen und seit einiger Zeit auch gelegentlich ein Busserl!
Marthl runzelte die Stirn, als sie daran dachte. Gewiß, der Sepp war ein fescher Bursch, den manches Madl gern genommen hätte. Schwarze Locken hatte er und feurig blitzende Augen, die so voller Verlangen dreinschauen konnten, daß Marthl ihnen kaum widerstehen konnte!
Und doch! Sepp hatte etwas an sich, das Marthl abstieß, ohne daß sie selbst recht wußte, was es war. War es sein aufbrausendes Temperament, sein unsteter Blick, sein Leichtsinn?
Ihr gegenüber war Sepp immer aufmerksam und zärtlich, doch Marthl wußte aus Erzählungen anderer, daß er im Wirtshaus Händel suchte.
Plötzlich tauchte über den Felsen ein grünes Hütl auf mit einem Gamsbart. Keck saß es über einem gebräunten Gesicht mit lustig funkelnden blauen Augen.
»Grüß dich Gott, schöne Sennerin!« klang der Ruf des fremden Burschen hell hinüber zu Marthl.
»Grüß dich, Fremder! Was führt dich herauf zur Schoberalm?«
Marthl wunderte sich. Der Kleidung nach war der Bursch ein Jäger. Noch konnte sie sich keinen Reim auf den Besuch machen. Nur selten verirrten sich Fremde zur Hochalm, und so blickte Marthl den Burschen ein wenig scheu und verlegen an, zumal er keinen Blick von ihr wandte.
»Sakra! Wenn ich gewußt hätt, daß hier auf der Alm so ein fesches Madl wirtschaftet, wär ich schon eher gekommen!« lachte er. »Ich hab’ so eine alte, schiache Sennerin erwartet.«
»Du hast meine Frage net beantwortet!« gab Marthl zurück. Eine zarte Röte überzog unter den Blicken des Fremden ihr Gesicht. Sie hätte diese Blicke als ungehörig empfinden sollen, doch sie selbst fühlte sich seltsam hingezogen zu ihm, geradeso, als hätte sie auf einen Mann wie ihn ihr ganzes Leben lang gewartet. Ihr Herz pochte wild in der Brust, doch gleichzeitig schämte sie sich dieser bisher unbekannten Gefühle. Nicht einmal Sepp, der doch eigentlich ihr Schatz war, versetzte ihr Innerstes in einen solchen Aufruhr!
»Entschuldige!« rief der Fremde übermütig, »Ich hab’ mich noch gar net vorgestellt. Wie dumm von mir! Ich bin der Aufreiter-Johann, der neue Jäger!«
»Dann ist der alte Franzl endlich in den wohlverdienten Ruhestand getreten? Hier heroben bekommt man wenig mit, was im Dorf vor sich geht!«
»Freilich. Ich bin auch erst den zweiten Tag drunten im Forsthaus und hab’ noch lange net das ganze Revier erforscht. Zuerst hat’s mich allerdings hier herauf gezogen.«
Unversehens war der junge Jäger ernst geworden. Seine blauen Augen hatten sich verdunkelt, ja, sie schauten fast zornig drein.
Ganz erschrocken beobachtete Marthl die Veränderung, die mit dem Burschen vor sich ging.
»Was hast denn auf einmal?« wollte sie wissen.
»Ach, nix!« Der Bursch fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er etwas Unangenehmes verscheuchen. »Der alte Franzl hat mir nur einiges über den Raffen erzählt, das mir sehr zu denken gibt. Er selbst war zu alt, um den Dingen nachzugehen. Sicher wollte er so kurz vor der Pensionierung auch kein Risiko mehr eingehen und die Sach einem Jüngeren überlassen…«
»Aber was meinst du denn?« fragte Marthl befremdet. »Hier heroben gibt’s nur Ruhe und Frieden, es ist der schönste Platz auf der Welt, den ich kenne!«
»Na ja!« meinte Johann zweifelnd. Dann fügte er entschlossen hinzu: »Ich werde den Dingen schon auf den Grund gehen. Und wenn wirklich was net stimmt, dann werd ich für Ordnung sorgen!«
Marthl wagte nicht, weiter in ihn zu dringen, denn der Jäger hatte sich von ihr abgewandt und ließ seinen Blick prüfend über die Felshänge oberhalb der Alm gleiten.
»Gell, dort droben sind die Löcher der Murmeltiere!« murmelte er mehr zu sich selbst. Dann gab er sich einen Ruck. »Hast denn vielleicht auch einen Becher Milch für einen durstigen Wanderer?« fragte er freundlich.
Marthl war noch ganz verwirrt.
»Sicher!« rief sie ein wenig schuldbewußt. »Ich hätte dran denken sollen, dir etwas anzubieten!«
»Kannst es ja nachholen!« Das lustige Funkeln war in die blauen Augen zurückgekehrt, und Marthl war richtig erleichtert, daß die zornige Entschlossenheit anscheinend wie ein böser Traum verflogen war.
Sie brachte die Milch und setzte sich mit dem Jäger ein wenig auf die Holzbank vor der Sennhütte.
»Du hast mir noch gar net deinen Namen verraten«, meinte er, nachdem er voller Behagen einen tiefen Schluck getrunken hatte.
»Marthl. Jesinger-Marthl!« stammelte das Madl, und wieder schoß ihr das Blut in die Wangen.
Johann sah es und schmunzelte vor sich hin. Sollte es möglich sein, daß ihn dieses Madl, das er vom ersten Augenblick an gern gehabt hatte, auch mochte? Sollte er etwa hier oben in den Bergen sein Glück finden?
Er mahnte sich selbst zur Vernunft. Noch war er ganz neu in der Gegend und wußte nicht, ob Marthl frei war. Aber eins stand fest: Zum letzten Mal kehrte er heute nicht auf der Schoberalm ein!
Nachdem sie noch ein wenig geplaudert hatten, wurde es Zeit für den Aufreiter-Johann, den Heimweg anzutreten. Er stand auf.
»Auf Wiedersehen, Marthl! Ich darf dich doch wiedersehen?« sagte er und senkte seine Augen in die ihren.
»Pfüat dich, Jäger!« flüsterte Marthl. »Ja, du darfst wiederkommen!« Schnell wandte sie sich ab, weil er ihre Verlegenheit nicht bemerkten sollte. Wie sehr wünschte sie sich, daß er wiederkam! Doch das durfte sie nicht verraten.
»Warte auf mich!« murmelte er und zog sie kurz und heftig an sich.
Bevor Marthl sich sträuben konnte, ließ er sie wieder los und lief mit schnellen Schritten bergab. Erst als er an der Kehre des Pfades angelangt war, wandte er sich um und schwenkte sein Hütl.
Marthl sah ihm versonnen nach und hob die Hand, um ihm zu winken. Dann war er ihren Blicken entzogen. Tief in Gedanken versunken kehrte sie zu der Holzhütte zurück.
Plötzlich wurde sie jäh an den Schultern gepackt und herumgerissen. Ein harter Mund preßte sich auf ihre Lippen, daß sie aufschrie.
»Mir gehörst du, mir!« preßte der Stirnthaler-Sepp hervor und umarmte sie leidenschaftlich. »Komm mit hinein!«
Rauh klang seine Stimme, Zorn und Begierde ließen seine dunklen Augen funkeln.
»Sepp!« Marthl hatte sich noch nicht von ihrer Überraschung erholt. »Laß mich los! Das schickt sich net!« rief sie.
»So, das schickt sich net!« spottete Sepp, der gar nicht daran dachte, das Madl in seinen Armen loszulassen. Er preßte sie nur noch stürmischer an sich, als er ihren Widerstand spürte. »Aber es schickt sich, mit fremden Mannsbildern anzubandeln. Vergiß nur net, daß ich dein Schatz bin, ich und kein anderer. Zeig mir, daß du mich liebhast!« forderte er, und sein Mund saugte sich an ihren Lippen fest.
»Das, was du willst, tu ich net!« Marthl versuchte, sich zu befreien. »Wir beide sind noch net einmal versprochen. Aber wenn’s dich beruhigt, so kann ich dir sagen, daß mit dem fremden Jäger nix war.«
»Ha, ein Jäger! Hab’ ich doch richtig gesehen!« schleuderte Sepp ihr ins Gesicht. »Mit so einem gibst du dich ab. Wenn ich dich noch einmal mit dem erwisch, dann…«
»Du vergißt dich, Sepp!« Marthl war es endlich gelungen, sich zu befreien. Der plötzliche Überfall des Stirnthaler-Sohnes trug nicht gerade dazu bei, ihn sympathischer zu finden. »Was tust du überhaupt hier mitten in der Woche?«
»Gell, das möchtest gern wissen!« wich der Bursch aus, und sein Blick flackerte. »Damit du dich demnächst ungestört mit dem anderen treffen und heimlich ein Gspusi anfangen kannst! Aber ich sag dir, daraus wird nix! Du mußt immer damit rechnen, daß ich in der Nähe bin!«
Wild und triumphierend blitzten die dunklen Augen.
»Jetzt redest einen Schmarrn, Sepp!« versuchte Marthl einzulenken. »Wegen mir brauchst net in der Woche aufzusteigen. Du hast doch gewiß Arbeit auf dem Hof.«
»Es gibt Arbeit, die mehr einbringt«, gab Sepp rätselhaft zurück. »Aber mach dir nur keine Gedanken. Mit dir hat es nix zu tun, daß ich heroben bin, wenn ich auch froh bin, daß ich dich auf frischer Tat ertappt hab’ und dem gleich einen Riegel vorschieben kann!«
»Du tust grad so, als ob ich dir gehöre«, begehrte Marthl auf.
»Das tust du auch«, gab der Bursch herrisch zurück. »Ich will dich, und ein Stirnthaler bekommt immer, was er will. Und gnade Gott dem, der ihm das streitig machen will!«
Unwillkürlich hatte Sepp die Rechte zur Faust geballt und sie in Richtung des Bergpfades geschüttelt, wo der Jäger verschwunden war. »Alles, verstehst du mich!« zischte er. »Das Madl und auch sonst alles. Es wird nur reizvoller, wenn ich dafür kämpfen muß, denn ein Stirnthaler gibt net eher Ruh, bis er seinen Gegner am Boden zermalmt hat!«
Marthl war während seiner Rede zurückgewichen. Unheimlich war ihr der Bursch in diesem Moment, als sein wildes, ungezügeltes Temperament die Oberhand gewann. Nein, an der Seite dieses Mannes wollte sie kein Leben verbringen. Das wurde ihr immer klarer, je länger sie Sepp kannte!
Plötzlich war Sepp wie umgewandelt.
»Ich muß heimgehen!« meinte er freundlich. »Am Samstag komm ich wieder, dann machen wir uns ein paar schöne Stunden!« Er zwinkerte ihr zu. Marthl konnte diese plötzliche Verwandlung kaum begreifen. »Gib gut auf dich acht!« meinte Sepp zum Abschied und drückte ihr einen sanften Kuß aufs Haar, als ob nichts gewesen wäre. »Warte auf mich!«
Damit lief er bergab.
»Warte auf mich!« Seine Worte klangen Marthl in den Ohren. Genau das hatte der Jäger zu ihr gesagt, als er sie an sich gezogen hatte und es sie wie Feuer durchzuckt hatte.
Die Sonne stand schon niedrig über den Berggipfeln gegenüber und tauchte den Raffen in ein blutiges Rot. Doch Marthl saß wie gelähmt auf der Bank und dachte an die beiden Männer, die so unverhofft in ihre beschauliche Einsamkeit eingedrungen waren und ihr Herz in Aufruhr versetzt hatten.
Sepp glaubte, die älteren Rechte zu haben und wollte sie besitzen. Doch Marthl mußte sich eingestehen, daß ihr Herz dem Jäger zuflog, jenem Fremden, der einen süßen, nie gekannten Schmerz der Sehnsucht in ihr geweckt hatte.
Auf ihn wollte sie warten! Doch die Gewißheit darüber erfüllte sie nicht mit Freude. Wie die Sonne jetzt hinter den Bergen versank und den dunklen Schatten der Nacht den Weg freimachte, so versank ihre Hoffnung in einer Woge der Furcht. Sie ahnte, daß Sepp es nicht dulden würde, daß sie Johann wiedersah.
Wenn sie ihrem Herzen folgte, würde etwas Schreckliches geschehen!
Tief unten lag das Dorf im Schatten, schon konnte man die Häuser nicht mehr erkennen. Unaufhaltsam krochen die Schatten jetzt bergan, leckten nach den Almen, schließlich nahmen sie Besitz von der Sennhütte.
Unruhig brüllten die Kühe, denn sie wollten gemolken werden. Bevor sich Marthl eilig an die Arbeit machte, warf sie einen letzten Blick hinab ins Tal, und ihr war, als sie in die wachsende Dunkelheit hinabschaute, als blickte sie in ihre eigene Zukunft.
*
Der Aufreiter-Johann machte bei seinem Abstieg einen Umweg durch den Bergwald. Er wollte noch nicht ins kahle und unwohnliche Jägerhaus zurückkehren. Dort erwartete ihn niemand. Noch stand der Hausrat zum Teil in Kisten verpackt herum, denn er hatte erst begonnen, sich einzurichten.
Außerdem wollte er nachdenken, und das konnte er am besten beim Gehen. Die Begegnung mit der Sennerin Marthl hatte ihn mehr aufgewühlt, als er sich selbst eingestehen wollte! Johann hielt sich für einen eingefleischten Junggesellen, doch so ein Madl mochte diese Tatsache ins Wanken bringen…
Golden schimmerte die Abendsonne durch das Blätterdach des Bergwaldes, brach sich im grünen Geäst und malte bewegte Muster auf den Waldboden.
So recht ein Anblick zum Träumen! Versonnen lauschte Johann dem Zwitschern der Vögel. Wirklich, Marthl hatte recht. Ringsum gab es nichts als Ruhe und Frieden. Doch täuschte diese Ruhe, war der Friede trügerisch? Brodelte es unter seiner Oberfläche? Fast mochte Johann selbst nicht mehr daran glauben, was der alte Franz ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Wenn nicht einmal die Sennerin etwas ahnte, die es doch hätte wissen müssen!
Aber was wußte er, ein Fremder, schon von den Menschen hier im Gebirge? Er stammte aus einer anderen Gegend und mußte damit rechnen, daß man ihm hier mit Vorsicht und Mißtrauen begegnete.
Doch Marthl? Sie hatte so ein offenes, ehrliches Gesicht. Nie würde sie ihm einen Frevel, von dem sie wußte, verheimlichen. Und wenn ihn nicht alles täuschte, dann mochte sie ihn ebenso wie er sie!
Ganz in Gedanken war Johann vor der kleinen Brücke angelangt, die sich hoch über die Salachklamm spannte. Der Wildbach, der vom Raffen herabstürzte, bildete hier einen Wasserfall. Die Brücke war eigentlich mehr ein schwankender Holzsteg, der immer feucht war vom Spritzen des Wassers.
Vor der Brücke mündete ein anderer Bergpfad in den, auf dem sich der Jäger dem Steg näherte. Auf diesem kam ein Mann mit langen Schritten bergab.
Genau vor dem Steg, der so schmal war, daß nur einer hinübergehen konnte, trafen die beiden zusammen.
Der Bursch mit den schwarzen Locken vertrat dem Jäger den Weg.
»Die Stirnthaler haben hier immer Vortritt. Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Jäger!« spottete er.
»Wenn’s dir Freude macht, dann geh nur zuerst!« gab Johann friedfertig zurück. Er wollte sich seine schöne Stimmung nicht durch die Provokation dieses Bauernburschen verderben lassen.
»Aha, bist wohl kein Mannsbild, daß du kneifst!« höhnte der andere und versperrte massig den Zutritt zum Steg. »Hast die Lektion ja schnell verstanden, daß du keinem Stirnthaler in die Quere kommen darfst. Merk’s dir nur gut!«
»Was soll das?« Johann wurde nun doch ärgerlich. »Geh nur und laß mich auch weitergehen.«
»Du gehst dann, wenn ich will und keinen Augenblick eher. Wirst dich gedulden müssen, bis ich dich durchlasse!« Sepp maß den Jäger mit den Blicken. Dem würde er es schon zeigen, gleich von Anfang an! Kräftig war er ja, aber ihm war er nicht gewachsen!
»Jetzt langt’s aber. Geh aus dem Weg. Mach dein Spiel mit anderen, aber net mit mir!« Johann trat einen Schritt auf den anderen
zu.
»Du, ich warne dich! Komm mir net zu nah!« zischte Sepp gefährlich leise.
Doch Johann ließ sich nicht einschüchtern.
»Aus dem Weg, sag ich, sonst schaff ich mir Platz!« Er war jetzt entschlossen, dem Burschen klarzumachen, daß mit ihm nicht zu spaßen war.
Sepp ballte die Fäuste und duckte sich. Johann versuchte, ihn zur Seite zu drängen, um auf den Steg zu gelangen, doch in diesem Augenblick rempelte Sepp ihn an, und er stürzte zu Boden. Sepp, der nur darauf gewartet hatte, warf sich über ihn und bearbeitete Johann mit den Fäusten. Dabei schob er ihn immer weiter, Zentimeter für Zentimeter auf den Abgrund zu, in dem der Wasserfall schäumte und rauschte.
Entsetzt erkannte Johann die Gefahr, er sah den Haß und die tödliche Entschlossenheit im Blick des anderen, auch wenn er deren Grund nicht verstehen konnte.
Jäh wurde ihm bewußt, daß er nicht nur um den Vortritt am Steg kämpfte, sondern um etwas anderes. Vielleicht sogar um sein Leben!
Das verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Er bäumte sich auf, stieß den schweren Körper des Burschen von sich, rappelte sich auf und versetzte dem Taumelnden einen Faustschlag aufs Kinn, der ihn auf den Bergpfad stürzen ließ.
»Das mag dir genügen. Laß mich in Zukunft in Frieden!« rief er und begab sich auf den schwankenden Steg, dessen Überquerung seine ganze Aufmerksamkeit erforderte.
Er warf keinen Blick zurück, als er sich über die glitschigen Planken tastete.
Deshalb sah er nicht, daß ihm die dunklen Augen in ohnmächtigem Zorn nachstarrten.
Johann grübelte auf dem Heimweg darüber nach, was der Vorfall wohl bedeuten mochte. Was hatte der Bauernbursch von ihm gewollt? Lehnte er ihn als Fremden ab? Wollte er seine Kräfte mit ihm messen? Johann war erschrocken über die Ablehnung, die er erfahren hatte, ohne daß der andere ihn überhaupt kennengelernt hatte.
Doch eine große Bedeutung maß er der Auseinandersetzung an der Klamm nach einiger Überlegung nicht bei.
Er würde sich schon einleben, und dann würden ihn auch die Dörfler akzeptieren, wenn sie erst begriffen, daß er nicht anders war als sie!
Doch darin sollte sich Johann täuschen. Er ahnte nicht, daß zwei schwerwiegende Gründe dem im Wege standen. Noch weniger ahnte er, daß er sich an diesem Tag einen Todfeind geschaffen hatte.
*
Bleich und mit brennenden Augen kam Sepp auf dem Stirnthalerhof an.
Aufmerksam musterte der Stirnthaler-Magnus das Gesicht seines Sohnes, in dem sich deutlich die Spuren einer tätlichen Auseinandersetzung abzeichneten.
Doch der alte Bauer verlor kein Wort darüber.
»Na, hast Erfolg gehabt?« fragte er statt dessen.
»Es wird schon noch!« stieß Sepp zwischen den Zähnen hervor. »Die Idee ist gut!«
Der Alte wiegte bedächtig den Kopf.
»Also, ich weiß net… Was du vorhast, geht gegen die Ehr von unsereinem. Ich mein, es ist net recht.«
»Net recht! Das mußt du grad sagen. Der größte…«
»Pst! Behalt es nur für dich. Auch wenn die Zeiten vorbei sind, so solltest du doch net darüber sprechen. Zumal du selbst…«
»Jetzt sei du still!«
Die beiden Männer, der junge und der alte, die sich verblüffend ähnelten, wäre nur der Altersunterschied nicht gewesen, tauschten einen verschwörerischen Blick.
»Hast schon den neuen Jäger getroffen?« wechselte der Stirnthaler-Magnus das Thema.
»Und ob!« knirschte Sepp und ballte wieder die Fäuste.
»Nimm dich nur in acht!« warnte der Alte. »Das ist ein junger, scharfer. Der ist aufmerksamer als der alte Franz.«
»Wir werden ja sehen«, murmelte Sepp, und seine Augen funkelten hinterhältig. »Ich prophezeie dir, daß der net lang hier im Hochtal bleibt. Der wird über seine eigenen Taten stolpern und sich dabei das Genick brechen«, sagte er düster.
»So, wird er?« Der Alte schaute seinen Sohn aufmerksam an. »Weißt du etwa was über ihn, daß du so redest?«
»Wirst es ja erleben!« Sepp zuckte betont gleichmütig die Schultern.
Dann wandte er sich ab, um seinen Anteil an der Stallarbeit zu erledigen. Schließlich mußte auch die getan werden, damit das andere nicht auffiel. So hatten es die Stirnthaler immer gehalten.
Sepp war ein Bauer. Sollte einer wagen, etwas anderes zu behaupten!
*
Zwei Tage hielt es Johann im Jägerhaus, in denen er nicht untätig war. Bald blitzte das Haus, das etwas heruntergekommen war, als der alte Franz nach dem Tod seiner Frau allein dort gewohnt hatte, in neuem Glanz.
Johann hatte das Dach repariert, die Fenster geputzt, den Kamin hergerichtet und nicht eher geruht, bis er alles so hatte, daß er sich darin wohl fühlen konnte.
Doch am Freitag zog es ihn mit Macht auf die Alm. Er mußte Marthl wiedersehen!
Über den Bergen ballten sich Gewitterwolken zusammen und bildeten eine bedrohliche Wand, als Johann bergauf stieg. Er wollte nicht spüren, daß sich etwas zusammenbraute, denn er war voll froher Erwartung. Zwei Tage lang hatte er das Madl nicht gesehen, bei dem seine Gedanken jede wache Stunde des Tages weilten!
Über ihm erhob sich aus dem grünen Kranz des Bergwaldes der Raffen, steil und unnahbar ragte er auf. Bald mußte er die Alm erreicht haben!
Die Sonne verfinsterte sich, als die vom Alter dunkle Holzhütte vor ihm lag. Johann hatte nur Augen für die Alm, weil er inständig hoffte, Marthl irgendwo zu erspähen.
Deshalb sah er nicht die Gestalt, die auf dem Bergpfad abwärts eilte und sich hastig verbarg, als er sich näherte. Dunkle Augen verfolgten ihn aus einem Versteck hinter einem Felsbrocken, bis er vor der Almhütte stand. Augen, in denen der Haß glühte!
Lautlos erhob sich dann die Gestalt, schulterte einen Rucksack und glitt auf dem Pfad bergab, während der junge Jäger erwartungsvoll nach der Sennerin rief.
Marthl trat ihm aus dem Haus entgegen.
»Johann!« Wie von selbst entschlüpfte der freudige Ausruf ihren Lippen, und sie lief ihm entgegen.
Er fing sie mit seinen starken Armen auf, und einen Augenblick lang konnte sie den heftigen Schlag seines Herzens spüren, als sie ihren Kopf an seiner Brust barg.
Dann machte sie sich, wenn auch widerwillig, frei aus seinen Armen und sah ihn strahlend an.
»Du bist wirklich gekommen!«
»Ich hab’s dir doch versprochen! Sollst sehen, ich komme immer wieder, wenn du’s mir erlaubst!«
Da huschte ein Schatten über das Gesicht des Madls.
Forschend schaute der Jäger ihr in die Augen.
»Gell, es gibt einen anderen, der dir gut ist!« rief er enttäuscht.
Bedrückt nickte Marthl.
Doch bevor sie ihm etwas erklären konnte, trat Johann einen Schritt zurück.
»Ich hab’s geahnt!« rief er aus. »Aber nie hätt ich gedacht, daß du nur mit mir spielst. Ich hab’ schon verstanden! Ich gehe, und wenn ich jemals wiederkomme, so nur dienstlich!« stieß er hart hervor. »Du hast deine Abwechslung gehabt mit dem Fremden!«
»So laß dir doch erklären!« rief Marthl erschrocken.
Doch Johann wollte nichts mehr hören.
»Ich bin mir zu schad für eine Spielerei«, fuhr er sie an. Schon rannte er davon.
In diesem Augenblick zerriß der erste Blitz den finsteren Himmel. Dumpf grollte der Donner, sein Dröhnen brach sich an den schroffen Felswänden des Raffen, die sich dunkel und drohend über der Hütte erhoben.
»Johann, komm zurück!« rief Marthl. »Es gibt ein Wetter. In den Bergen ist’s gefährlich, dann im Freien zu sein!«
»Nur wegen dem Unwetter brauchst mich net in deine Hütte zu lassen!« rief Johann bitter zurück. »Da danke ich schön! Lieber geh ich heim als noch länger bei dir zu bleiben!«
Dicke Regentropfen platschten herab und malten nasse Kreise auf die Felsen. Eine Windböe ließ die Fensterläden schlagen.
»Johann!« Verzweifelt klang Marthls Ruf gegen das Grollen des Donners an, doch der Wind riß das Wort von ihren Lippen und verwehte es.
Die Gestalt des Jägers war hinter der Biegung des Pfades verschwunden. Der Himmel öffnete jetzt seine Schleusen, und der Wind peitschte den Regen vor sich her.
Marthl, die noch vor der Hütte stand, war im Nu bis auf die Haut durchnäßt, und das blonde Haar, das sie zu einer Zopfkrone aufgesteckt hatte, tropfte.
Seufzend mußte sie schließlich in der Almhütte Schutz suchen.
Warum nur war Johann so vorschnell davongelaufen? Sie hatte ihm doch erklären wollen, daß sie die Beziehung zu Sepp beenden wollte, eine Beziehung, die jedenfalls von ihrer Seite aus nie richtig bestanden hatte!
Doch Johann war fort, hineingelaufen in das Toben des Unwetters! Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben!
Tränen standen in den blauen Augen Marthls, als sie an das schlimme Mißverständnis dachte. Unheimlich heulte der Sturm um die Hütte, die sich unter den schroffen Felsen duckte und vergeblich Schutz suchte.
Marthl zündete eine Wetterkerze an und betete für Johann, der im Toben der Naturgewalten unterwegs sein mußte.
*
Johann lief bergab, der Sturm blies ihm ins Gesicht, der Regen schnitt in Haut und Augen. Doch der junge Jäger achtete nicht darauf. Zu groß waren seine Hoffnungen in den vergangenen zwei Tagen gewachsen, als daß er diese jähe Enttäuschung hätte verwinden können!
Er hatte sich in Marthl getäuscht. Sie war nicht frei, sondern hatte ihn hingehalten, hatte ihm vorgegaukelt, ihn zu mögen, um ihr Spiel mit ihm zu treiben. Aber er war ja ein Fremder, auf dessen Gefühle man keine Rücksicht zu nehmen brauchte!
Der Regen strömte herab, Wolken fegten über die Berge herab und schütteten ihre Last über dem Raffen aus.
Johann fror in seiner nassen Kleidung und war froh, als ihm endlich der Bergwald etwas Schutz gewährte. Doch hier war der Boden aufgeweicht von den Wassermassen, überall rann und rieselte es.
Der Pfad verwandelte sich unter den Füßen des Jägers in eine glatte, matschige Masse, die keinen Halt bot. Immer wieder rutschte Johann aus, doch ihn beseelte nur ein Gedanke: So schnell wie möglich Abstand von der Alm und der Sennerin zu gewinnen, die ihn so sehr verletzt und enttäuscht hatte!
Mit unverminderter Geschwindigkeit eilte er weiter, bis er außer Atem den Steg erreicht hatte.
Der schmale Wasserfall toste und schäumte, war durch den Regen gewaltig angeschwollen.
Johann spürte einen eisigen Schauer im Nacken, als er an die Begegnung mit dem Bauernburschen an dieser Stelle dachte. Unwillkürlich schaute er sich um, doch außer dem Rauschen des Wassers, dem Trommeln des Regens und dem Pfeifen des Windes war nichts zu hören.
Doch die Auseinandersetzung mit dem Mann schien wie eine dumpfe Drohung über dem Ort zu lasten, und Johann atmete auf, als er unbehelligt den Steg überquert und wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte.
»Ich laß mich net von euch vertreiben, auch wenn ihr mir einen so schäbigen Empfang bereitet!« rief er trotzig ins Heulen des Sturmes. »Ihr werdet schon noch merken, daß ich net schlechter bin als ihr, nur weil ich aus einer anderen Gegend stamme.«
Durchnäßt und mit wehem Herzen setzte er seinen Weg fort.
Trostlos und abweisend sah das Jägerhaus aus, als er es erreichte. Kein Licht schimmerte freundlich durch die Scheiben. Der Regen tropfte durch ein Loch in der Dachrinne, die Bäume ringsum bogen sich unter der Gewalt des Windes, der um die Hausecken heulte.
Johann mußte sich überwinden, auf das düstere, ihm noch fremde Haus zuzugehen, das in Zukunft seine Heimat sein sollte.
Schließlich stand er doch vor der Tür. Ein Blitz zerriß den finsteren Himmel und warf sein grelles Licht auf das Jägerhaus.
Etwas Weißes leuchtete an der Tür auf. Ein Blatt, an dem der Wind riß!
Johann tastete nach seinem Feuerzeug, fand es endlich, doch der Sturm blies das schwache Flämmchen wieder aus. Mit klammen Fingern suchte er nach dem Schlüssel, öffnete die Tür und knipste das Licht an.
Dabei hatte ihn eine Ahnung gepackt, daß das Blatt an der Tür nichts Gutes zu bedeuten hatte.
Was er dann sah, als das Licht endlich aufflammte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Jemand hatte ein Messer in die Tür gerammt, ein altes, ein wenig rostiges Messer, wie es die Jäger zum Ausweiden benutzen – oder aber die Wilderer!
Mit roter Farbe war eine Botschaft auf das Blatt geschmiert.
»Hau ab! Für dich ist hier kein Platz!«
Johann zuckte zusammen. Er riß das Blatt ab und knüllte es zusammen.
Er stürzte in sein kaltes Haus, verriegelte die Tür und machte Feuer im Kamin. Dann sah er zu, wie die Flammen das Papier kräuselten und verbrannten.
»Ich geb net auf!« murmelte er vor sich hin. Nein, er würde sich an seiner ersten Stelle, die man ihm gegeben hatte, bewähren!
Wer mochte die anonyme Drohung geschrieben haben? Der Mann von der Klamm, mit dem er gerauft hatte? Oder ein anderer der Dorfbewohner, die für ihn noch eine Masse von unbekannten Gesichtern waren?
Nein, er würde sich nicht daran stören, würde seine Pflicht erfüllen und sich damit die Achtung derer erringen, die ihn jetzt noch ablehnten! Doch trotz aller guten Vorsätze hatten Resignation und Verzweiflung ihre Widerhaken in sein Herz gestoßen.
*
Der Aufreiter-Johann war fest entschlossen, den Dingen, die ihm sein Vorgänger erzählt hatte, auf den Grund zu gehen. Er stürzte sich mit Feuereifer auf die Arbeit, um den Schmerz um Marthl zu vergessen und durchstreifte unermüdlich das Revier.
Doch es gab keine Anzeichen, daß ein Wildschütz sein Unwesen trieb. Kein Schuß fiel im Bergwald, keine dunkle Gestalt trieb sich in der Dämmerung herum, nichts.
Eines Abends beschloß Johann, im Wirtshaus »Zum Gamskrickl« seine Bekanntschaft mit den
Dörflern zu vertiefen. Vielleicht konnte er dabei auch ein wenig auf den Busch klopfen!
Als er eintrat, verstummten die Gespräche im verräucherten Schankraum mit einem Schlag. Neugierige Augen voller Mißtrauen richteten sich auf ihn.
»Da schau her, der neue Jager!« brummte der alte Stirnthaler. »Bist ein rechter neuer Besen! Aber wart nur, du wirst auch schon noch lernen, wie es bei uns heroben zugeht!«
Johann war das Blut in die Wangen geschossen, doch er schluckte eine scharfe Antwort rasch hinunter. Er wollte es nicht mit den Bauern verderben, sondern im Gegenteil ihr Vertrauen gewinnen.
»Ich tu nur meine Arbeit so gut wie möglich«, gab er zurück. »Und ich wär froh, wenn ihr mir dabei helfen würdet!«
»Habt ihr das gehört? Helfen!« höhnte der Stirnthaler. »Nein, mein liebes Bürschel. Ein Bergbauer hilft net einem Grünen. Nie und nimmer!«
»Dann macht ihr doch gemeinsame Sache mit den Wildschützen! Es ist net recht, den Frevel zu decken!«
»Wildschützen! Gibt’s hier Wildschützen?« Der Stirnthaler wandte sich an die Runde an den blankgescheuerten Buchenholztischen. »Das ist mir ja ganz neu!«
»Genau! So was gibt’s bei uns net!« Ringsum erscholl beifälliges Gemurmel, doch die spöttisch funkelnden Augen der Bauern straften ihre Worte Lügen.
»Na also!« brummte der Stirnthaler und stopfte sich seine Pfeife. »Laß dir einen guten Rat geben, Jager. Wenn du hier alt werden willst, dann mach es wie der alte Franz. Der hat gewußt, was er sehen darf und was net. Dafür ist er nie in Gefahr geraten, unversehens eine Kugel in den Rücken zu bekommen!«
Der alte Bauer lachte schallend und schlug sich dabei auf die Schenkel. Auch die anderen stimmten ein.
»Das ist ja ungeheuerlich!« ereiferte sich Johann. »Das ist eine Beleidigung für meinen Vorgänger, ja, für meinen ganzen Stand! Ihr wollt doch net behaupten, daß er absichtlich einen Wildschützen hat gewähren lassen!«
»Nix für ungut, es war nur ein Spaß!« brummte der Stirnthaler. »Du verstehst doch Spaß? Also setz dich her und trink einen Schoppen mit uns, wenn du schon einmal da bist!«
Zögernd folgte Johann der Einladung, die so unerwartet kam nach den hämischen Worten, die der Alte vorher gesagt hatte. Er wußte nicht recht, was er davon halten sollte.
Gewiß, der Stirnthaler hatte alles für einen Spaß erklärt, doch Johann spürte genau, daß sie noch etwas anderes enthalten hatten. Eine unterschwellige Warnung, seine Pflicht allzu genau zu nehmen!
*
Johann hatte sich vorgenommen, eine Bestandsaufnahme des Wildes in seinem Revier zu machen. Täglich war er schon am frühen Morgen unterwegs im Bergwald, und bald kannte er die Wechsel der Hirsche und Rehe, wußte, wo weiter oben die Weideplätze der Gemsen lagen und hatte schließlich auch hoch oben auf einer Felszinne das Nest der Adler entdeckt.
Der junge Jäger hätte zufrieden sein können, wenn er nicht ständig an Marthl hätte denken müssen. Oft kam er in Versuchung, noch einmal zur Schoberalm hinaufzusteigen. Einen Vorwand hätte er leicht gefunden, schließlich gehörte auch die Murmeltierkolonie in den Felsen des Raffen zu seinem Revier. Doch er schob diesen Gang immer weiter vor sich her. Nicht noch einmal wollte er sich zum Gespött machen, wollte sich nicht die Blöße geben, dem Madl vergeblich hinterherzulaufen. Auch er hatte seinen Stolz!
Allzu frisch noch war die Wunde. Auch die anonyme Warnung an der Tür hatte ihn unsicher gemacht, obwohl er entschlossen war, sie einfach nicht zu beachten.
Johann liebte die frühe Morgenstunde in den Bergen, wenn die Nebel sich hoben und alles, selbst die schroffen Felswände, in ein sanftes Licht getaucht war. Überall herrschte ein unbeschreiblicher Friede, und der Jäger genoß die Ruhe und Einsamkeit.
Er hatte keine Ahnung, daß er nicht immer allein auf seinen Gängen im Revier war. Manchmal folgte ihm ein Augenpaar, um den Moment zu nutzen, wenn er den Rücken kehrte und müde zum Jägerhaus zurückkehrte.
An einem Morgen stieg er hoch hinauf, dorthin, wo nur noch niedriges Latschengestrüpp die Felshänge bedeckte. Er streifte durch eine unwegsame Gegend, in die er bisher noch nicht gekommen war.
Wie von Riesenhand herabgeschleudert, lagen überall zackige Felstrümmer umher. In den Mulden wucherte Brombeergestrüpp und zerrte mit seinen stacheligen Ranken nach den Kleidern des Jägers. Noch war die Sonne nicht aufgegangen, und Nebelfetzen waberten zwischen den Felsbrocken. Alles schien in geisterhafter Bewegung zu sein.
Johann mußte höllisch aufpassen, um nicht unversehens in ein Loch zu treten, das, halb verborgen unter den Ranken, zur Falle werden konnte. Sein Fuß stieß an Steinbrocken, die er im Zwielicht zu spät erkannte.
Alles war feucht vom Nebel und vom Tau. Ein kühler Wind machte sich auf und brachte die grau-weißen Schwaden in Bewegung.
Der Jäger fröstelte. Er war schon im Dunkeln aufgestanden, und nun machte sich die Müdigkeit bemerkbar. Er sehnte sich nach einer heißen Tasse Kaffee.
Wenn ihn doch nur daheim jemand erwarten würde! Nein, nicht irgendwer! In seiner Vorstellung trug dieser Jemand eine blonde Zopfkrone und die Gesichtszüge von Marthl.
Doch gleich darauf schalt der Jäger sich selbst einen Narren. Die Müdigkeit mußte schuld sein, daß er sich dieses Madl noch immer nicht aus dem Kopf schlug. Er sollte umkehren, diesen unwirtlichen Ort verlassen und heimgehen.
Er wußte selbst nicht, was ihn hierhergetrieben hatte, denn auch das Wild schien das Trümmerfeld zu meiden.
Johann kehrte um und kämpfte sich durch Brombeerranken und Steine abwärts. Plötzlich zuckte er zusammen. Sein Fuß war an etwas Weiches gestoßen! Er bückte sich, um besser sehen zu können.
»O nein!« Ein überraschter Aufschrei entfuhr seinen Lippen.
Gut verborgen im Gebüsch lag dort der Kadaver einer Gemse. Nach seinem Zustand zu schließen, mußte er schon längere Zeit dort versteckt gewesen sein. Die Decke war zerrissen, das Tier war wohl, nachdem es geschossen worden war, über die Felshänge herabgestürzt.
»Deshalb hat der Wildschütz es wohl liegenlassen!« murmelte Johann mit grimmigem Lächeln. »Mit der zerfetzten Decke konnte er kein Geschäft machen!«
Denn daß hier ein Wildschütz am Werk gewesen war, daran gab es für den Jäger keine Zweifel. Säuberlich war das Krickl abgetrennt worden.
»So ein Lump!« Johann war außer sich vor Zorn. »Na warte, dir werd ich schon das Handwerk legen. Also hat der alte Franz doch recht gehabt. Wahrscheinlich hat der Geschwärzte bisher still gehalten, um mich in Sicherheit zu wiegen. Er soll nur net wagen, wieder mit seinem frevlerischen Tun zu beginnen!«
Johann suchte die Umgebung nach Spuren ab. Zu gern hätte er einen Hinweis darauf gefunden, wer der Wildschütz sein mochte. Doch Regen, Wind und Sonne hatten längst alles verwischt.
Niedergeschlagen und erschöpft machte sich der Jäger schließlich auf den Heimweg. Später würde er sich um die Gams kümmern.
Die Sonne brach jetzt durch die Nebel und ließ die Tropfen auf den Blättern der Sträucher blitzen wie Edelsteine. Dunkelgrün glänzten die Latschen an den Hängen. Wie ein Schleier, der feierlich fortgezogen wird, gab der Dunst allmählich die Gipfel der Berge frei. Die Vögel begrüßten den neuen Tag, der sich jetzt in seiner ganzen Pracht zeigte.
Doch der Jäger mochte sich heute nicht recht an den Schönheiten der Bergnatur freuen. Er hatte Gewißheit erlangt, daß im Revier etwas nicht stimmte, und er wußte, daß eine schwere Aufgabe auf ihn wartete.
Bei ihrer Lösung würde ihm die Ablehnung der Dörfler zu schaffen machen, denn ohne ihre Mithilfe mußte er sehr viel Glück haben, den Wildschützen zu entlarven.
Johann hatte sich durch seinen überraschenden Fund länger droben am Berg aufgehalten, als er beabsichtigt hatte. Es war heller Vormittag, als er sich dem Jägerhaus näherte.
Auf dem Pfad kam ihm ein Bauer aus dem Dorf entgegen, die Axt geschultert.
Mit einem kurzen Gruß wollte er sich am Jäger vorbeidrücken. Doch Johann stand noch ganz unter dem Eindruck des Erlebten und mußte mit einem Menschen darüber sprechen.
»Weißt, was ich gefunden hab’?« brach es erregt aus ihm hervor. »Droben bei den Felstrümmern liegt eine gewilderte Gams. Ich hab’ also doch recht gehabt, daß es unter euch einen Wildschützen gibt!«
Der andere zuckte gleichmütig die Achseln und tat erstaunt.
»Eine Gams? Und die liegt einfach so herum?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Und du bist sicher, daß du sie net selbst geschossen hast?«
»Bist du narrisch! Ich werd doch um diese Zeit keine Gams schießen!« rief Johann empört.
»Weiß man’s?« gab der Bauer zurück. »Man sagt, daß es Leute gibt, die net schlecht für ein Krickl zahlen. Warum sollt da net auch ein Jager in Versuchung kommen und nachher sagen, daß er die Gams gefunden hat?«
»Das ist ungeheuerlich!« schrie Johann auf.
»So beruhige dich doch«, brummte der Bauer und schickte sich an weiterzugehen. »Du mußt nur wissen, daß es bei uns keinen Wildschütz gibt und daß es dir net guttut, deine Nase allzutief in Angelegenheiten zu stecken, die dich nix angehen.«
»Nix angehen?« Jetzt war es vollends um die Fassung des jungen Jägers geschehen. »Ich bin hier der Jäger, und es ist meine Pflicht, mich um mein Revier zu kümmern. Deshalb bin ich da!«
»Wie du meinst!«
Der Bauer schulterte jetzt wieder seine Axt und setzte seinen Weg, vor sich hin brummelnd, fort.
Fassungslos sah ihm Johann nach.
»So viel Verbohrtheit gibt’s gar net!« rief er. »Nur weil er net zugeben will, daß es im Dorf einen Wildschützen gibt, versteigt der sich dazu, mich zu beschuldigen, ich hätt mitten im Sommer die Gams geschossen! Was soll ich denn bloß tun, daß sich net alle gegen mich stellen! Sie können es doch auch net gutheißen, daß hier im Bergwald Geschwärzte ihr Unwesen treiben!«
Aufgewühlt von seinem Erlebnis und von der Begegnung mit dem Bauern erreichte Johann endlich sein Haus.
Still und friedlich lag es im Sonnenschein, und die Fenster starrten ihn am hellen Vormittag nicht ganz so abweisend an wie sonst.
Eigentlich lag es recht schön dort am Rande des Bergwaldes mit der Aussicht ins Tal und auf die gegenüberliegenden Gipfel. Fast überwältigend erschien Johann die Stille und Einsamkeit ringsum.
Er wußte nicht, daß noch vor ganz kurzer Zeit jemand hier gewesen und vergeblich auf ihn gewartet hatte. Vielleicht wäre manches anders geworden, wenn er an diesem Vormittag früher heimgekehrt wäre. So aber nahm das Schicksal seinen Lauf.
*
Lange hatte die Sennerin Marthl mit sich gekämpft.
Am Tag nach dem unseligen Besuch von Johann war der Stirnthaler-Sepp wie immer auf die Alm gekommen, um Butter und Käse zu holen.
Ein triumphierendes Funkeln stand in seinen Augen, als er die Sennerin an sich ziehen wollte.
Doch zu seiner Überraschung entwand sich Marthl seinen Armen.
»Was?« fuhr er sie an. »Ich denk, zwischen uns ist alles wieder in Ordnung? Oder wartest du etwa noch immer auf den Fremden?«
Traurig schüttelte Marthl den Kopf.
»Nein, der kommt nimmer!«
»Na also!« brummte Sepp befriedigt. »Aber was hast du denn dann?«
»Ich mag net, Sepp!« stieß Marthl hervor.
»Also denkst du doch noch an ihn!« erriet der Bursch. »Das wird dir schon vergehen. Der wird nimmer lange unsern Bergwald unsicher machen. Das garantiere ich dir!«
Er stieß sie von sich, daß sie taumelte.
»Wirst schon sehen, was einem geschieht, der sich einem Stirnthaler in den Weg stellt!« stieß er grimmig hervor.
»Aber es ist doch gar nix!« schluchzte Marthl, der bei den Worten des Bauernburschen Angst um den Jäger wurde. »Du hast doch gar keinen Grund, eifersüchtig zu sein!«
»Aber du denkst an ihn, und das langt!« fuhr Sepp sie an. »Außerdem gibt’s noch einen anderen Grund, der ein Weiberleut nix angeht.«
Damit stiefelte er davon, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.
Marthl schlug die Hände vors Gesicht. Tränen standen in ihren Augen.
War es nicht schon schlimm genug, daß Johann nicht mehr zu ihr kam, weil Sepp glaubte, ein Recht auf sie zu haben? Mußte der narrische Sepp in seiner Eifersucht nun auch noch dem Jäger, der wahrscheinlich völlig ahnungslos war, Rache schwören?
Marthl litt unter den unseligen Verwicklungen, in die sie scheinbar ausweglos verstrickt war. Dabei hatte sie gehofft, hier oben auf der Alm Friede und so etwas wie eine Heimat zu finden!
Sie ahnte, daß Sepp nicht eher ruhen würde, bis er dem Jäger Schaden zugefügt hatte. Was sollte sie nur tun?
Ja, sie mußte ihn vor Sepp warnen, der in seiner Eifersucht und mit seinem hitzigen Temperament zu allem fähig war. Und… Ihr Herz machte einen Satz. Vielleicht konnte sie auch das Mißverständnis aufklären!
Fast wagte sie selbst nicht daran zu glauben, aber vielleicht konnte doch noch alles gut werden, wenn sie ihren Stolz und ihre Scheu überwand und zu ihm ging.
Marthl wußte genau, daß sich das nicht schickte. Vielleicht dachte der Jäger, sie würde ihm nachlaufen und mißverstand ihren Besuch. Doch dies Wagnis mußte sie eingehen. Ihr Herz befahl ihr, zu Johann zu gehen, und sie würde dem Ruf ihres Herzens gehorchen, was auch immer nachher geschehen mochte!
Marthl war von einer wohligen Ruhe erfüllt, als sie diesen Entschluß gefaßt hatte und machte sich mit frischen Kräften an die Arbeit.
Doch zu ihrer Enttäuschung regnete es am nächsten Tag in Strömen, und am darauffolgenden Tag ließ es die Arbeit nicht zu, zum Jägerhaus hinabzusteigen.
Dann endlich, nachdem sie in aller Herrgottsfrühe schon ihre Morgenarbeit getan hatte, konnte sie es wagen, die Alm für zwei oder drei Stunden allein zu lassen!
Sie zog ihr schönstes Dirndl an, bürstete besonders sorgfältig ihr schweres Blondhaar und steckte es auf. Dann machte sie sich auf den Weg durch den Morgen. Eben schickte die Sonne ihre ersten Strahlen durch die Frühnebel,
und sie schienen geradewegs in Marthls Herz.
Sie war so von Zuversicht erfüllt, daß sie mit den Vögeln um die Wette sang.
Freundlich schimmerten die Fenster des Jägerhauses am Waldrand in der Morgensonne, als wollten sie das Madl von der Alm willkommen heißen. Noch war die Haustür fest verschlossen.
Ob Johann noch schlief? Mit klopfendem Herzen stand sie schließlich vor der Tür und pochte.
Von drinnen kam keine Antwort. Sie pochte noch einmal, diesmal lauter. Doch noch immer blieb alles still.
»Johann!« rief sie schließlich. »Ich bin’s, Marthl!«
Sie drückte die Klinke. Doch die Tür war verschlossen.
»Er ist nicht da!« entfuhr es ihr voll bitterer Enttäuschung.
Noch einmal ging sie rund ums Haus. Doch es gab keinen Zweifel mehr: Sein Besitzer war fort.
»Und ich hab’ mir so viel erhofft von diesem Morgen! Ich hab’ mich so überwinden müssen, herzukommen. Nun war alles umsonst. Wer weiß, wann ich wieder von der Alm herunterkommen kann!« Tränen der Enttäuschung verschleierten Marthls blaue Augen. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie ihre Gedanken weiterspann. »Wer weiß, ob es dann noch früh genug ist, Johann vor Sepps Eifersucht zu warnen!«
Kaum wollten ihr die Füße gehorchen, als sie sich auf den Rückweg machte. Tränen rannen über ihre Wangen.
Sie sah nicht den Bauern mit der Axt im Bergwald verschwinden. Aber selbst wenn sie ihn gesehen hätte, so hätte sie ihm keine Beachtung geschenkt. Doch das sollte sich als verhängnisvoll erweisen.
*
Der Stirnthaler-Sepp saß im Wirtshaus »Zum Gamskrickl« vor einem Schoppen und brütete vor sich hin. Es war noch zeitig am Abend, und er war der einzige Gast.
»Hast wohl allen Grund, dich zu ärgern, Stirnthaler!«
Der Wirt, ein aalglatter, feister Mensch mit Halbglatze, ließ sich auf die Bank neben den Bauernburschen gleiten. »Schaust ja drein, als ob’s dir die Petersilie verhagelt hätt!«
»Hm!« Sepp brummte nur unfreundlich.
»Wie schaut’s denn aus mit unseren Geschäften? Schon lang hab’ ich nix mehr bekommen. Wenn’s so weitergeht, werd ich mir wohl einen anderen suchen müssen. Da ist dein Vater zeitlebens zuverlässiger gewesen!«
»Halt du nur dein Schandmaul!« fuhr ihn Sepp an.
Doch der Wirt ließ sich nicht einschüchtern.
»Es wird wohl am neuen Jager liegen!« vermutete er. »Glaub nur net, daß es mir paßt, daß jetzt so ein scharfer Hund hier die Geschäfte verdirbt. Wenn du einmal Hilfe brauchst, um dem auf die Sprünge zu helfen, dann kannst auf mich zählen!« bot der Wirt mit schleimigem Grinsen an.
»Ich weiß schon allein, was ich zu tun hab’!« Eine steile Falte stand auf der Stirn des Burschen.
»Schon gut! Aber denk an meine Worte! Wenn sich hier nix mehr abspielt, dann muß ich mich woanders umschauen. Es gibt genug Burschen, die sich die Finger danach lecken, auf bequeme Art und Weise was zu verdienen.«
Damit glitt der Mann trotz seines Leibesumfangs überraschend behende wieder aus der Bank.
In diesem Moment wurde die Tür zum Schankraum geöffnet, und ein Bauer trat ein. Offensichtlich kam er gerade von der Arbeit, denn er war erhitzt und verschwitzt.
»Durst hab’ ich!« rief er dem Wirt zu. »Mein Gott, es ist kein Vergnügen, bei der Hitz im Holz zu schaffen. Aber es hat halt sein müssen!«
Schwer ließ er sich auf einen Stuhl neben Sepp fallen und streckte die Beine von sich.
»Was schaust denn so grimmig drein, Sepp?« fragte er mit Blick auf den mürrischen Gesichtsausdruck des Burschen. »Ach, ich kann’s mir schon denken!« Er grinste vor sich hin.
»Was kannst dir denken?« fuhr Sepp aus seinen finsteren Gedanken auf.
»Na ja, man hört und sieht so allerhand!« deutete der Bauer an. »Da gibt’s ja den neuen Jager.«
»So red schon!« Plötzlich kam Leben in Sepp, der bis dahin stumpf und grimmig vor sich hin gestarrt hatte.
Der Bauer ließ sich Zeit mit seinen Neuigkeiten und trank erst einmal durstig einen tiefen Zug. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Der neue Jager hat heut in der Früh eine gewilderte Gams gefunden. Ohne Krickl, versteht sich. Jetzt möcht er zu gern wissen, wer der Wildschütz ist!«
»Sakra!« rief Sepp. Auch der Wirt schaute jetzt gespannt herüber. »Was hast ihm denn gesagt?«
Der Bauer lachte vergnügt vor sich hin.
»So ein Schnüffler können wir hier net brauchen. Also hab’ ich ihm gesagt, daß genausogut er die Gams erlegt haben kann, um sich mit dem Krickl ein paar Schilling zu verdienen. Schließlich haben wir hier keine Wildschützen, oder?«
Er zwinkerte Sepp zu.
»Das war aber ein starkes Stück!« Der Wirt lachte meckernd. »Sehr geschickt von dir! Fast könnt ich mir vorstellen, mit dir Geschäfte zu machen. Willst es dir net überlegen? Der da hat nämlich die Hosen voll!«
Alles Blut war aus Sepps Wangen gewichen, und er sprang so heftig auf, daß der Stuhl umstürzte.
»Sag das noch mal!« brüllte er.
Doch der Bauer zog ihn begütigend wieder auf seinen Platz.
»Keine Sorge, Sepp, ich mach dir keine Konkurrenz. Nein, das ist nix für mich! Doch den Jager an der Nase herumführen, ist eine andere Sache!«
Sepp hatte sich halbwegs wieder beruhigt. Aber er konnte es nicht lassen, dem Wirt zuzurufen:
»Wirst schon sehen, wer hier bald die Hosen voll hat! Alfons hat mich auf eine gute Idee gebracht!«
»Willst es wohl mit dem Jager aufnehmen«, vermutete der Bauer. »Nimm dich vor dem in acht. Dein Madl hat er dir auch schon ausgespannt!«
Er genoß es, die Wirkung seiner Worte zu beobachten.
Die Zornesröte schoß Sepp ins Gesicht, und seine Augen flackerten. Die Faust krachte auf den Tisch. Er packte den Bauern am Kragen und schüttelte ihn.
»Sachte, Sepp!« wehrte der ab.
»Sag, daß das net wahr ist!« brüllte der Bursch aufgebracht.
»Ich hab’s doch mit meinen eigenen Augen gesehen!« gab der Bauer gelassen zurück. »Als ich heut in der Früh zum Bergwald aufgestiegen bin, was glaubst, wer vor der Tür des Jägerhauses gestanden ist? Die Marthl von der Schoberalm! Dabei hab’ ich geglaubt, du bist ihr Schatz?«
»In der Früh vor dem Jägerhaus? Da schlag doch der Blitz drein!«
Sepp tobte. »Der Jäger muß fort! Ich hab’ ihm eine Warnung an die Tür geheftet. Doch wenn er net hören will, so soll er fühlen!«
Blanker Haß flackerte in seinen dunklen Augen.
»Wirst dich ins Gefängnis bringen, wenn du was Unbedachtes tust!« warnte Alfons.
»Keine Sorge! Ich hab’ einen Plan. Du selbst hast mich auf die Idee gebracht. Aber es kann sein, daß ich dabei Hilfe brauche. Ihr wollt doch auch, daß der Jäger hier verschwindet. So einer hat bei uns nix zu suchen!«
»Laß hören!« forderte Alfons.
»Du machst mich neugierig!« meinte auch der Wirt und schob sich geräuschlos an den Tisch. »An mir soll’s net liegen, denn seit der da ist, gehen die Geschäfte schlecht!«
»Also hört zu!«
Die drei Männer steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.
Dabei funkelte die Bosheit in Sepps Augen, als er sie in einen Teil seines Planes einweihte. Eines Planes, der Johann vernichten sollte.
*
Am nächsten Abend schien der Vollmond hell durch die Fenster des Jägerhauses. Der Aufreiter-Johann fand keinen Schlaf.
Eine unerklärliche Unruhe erfüllte ihn. Es war eine Nacht wie geschaffen für einen Wildschützen. Hell genug, um sein Ziel zu finden und dann in der Dunkelheit des Bergwaldes ungesehen zu verschwinden!
Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe. Er selbst gestand sich nicht ein, daß Marthl noch immer ihren Platz in seinem Herzen behauptete und daß ihm der Schmerz um das verlorene Madl auch den Schlaf raubte.
Jedenfalls kleidete sich der junge Jäger wieder an und trat in die mondhelle Nacht hinaus. Der Bergwald war wie verzaubert.
Still und schweigend standen die Baumriesen, silbern überhaucht vom Mondlicht. Ein Käuzchen schrie.
Johann betrat scheu und zögernd den verwunschenen Wald. Sterne glitzerten am samtschwarzen Himmel. Wie ein helles Band lag der Bergpfad vor ihm.
Lautlos schritt der Jäger voran. Wahrscheinlich narrte ihn seine Befürchtung, doch er wollte nichts unversucht lassen, den Wildschützen zu entlarven. Vielleicht war er gerade heute nacht unterwegs!
Johann gelangte zu einer Lichtung, die taghell vom Mond beleuchtet wurde. Ruhig äste mitten darauf ein großer Hirsch. Johann hielt den Atem an, so bezauberte ihn die Schönheit dieses Bildes.
Plötzlich hob der Hirsch den Kopf und witterte. Dann stob er mit langen Sätzen davon in den Schutz des Waldes.
Hatte er von Johann Witterung bekommen? Dem Jäger erschien das unwahrscheinlich, denn der sanfte Nachtwind wehte ihm vom Berg her entgegen. Doch er machte sich weiter keine Gedanken.
Er sah nicht, daß auf der gegenüberliegenden Seite der Lauf eines Stutzens in die Büsche zurückgezogen wurde. Ein Mann mit geschwärztem Gesicht fluchte unterdrückt vor sich hin.
»Verdammter Bastard. Der kommt mir net noch einmal in die Quere!«
Lautlos erhob sich die Gestalt und heftete sich auf die Spur des Jägers, der ahnungslos durch die Nacht davonschritt.
Ein Gehirn spann finstere Gedanken.
Wie von selbst hatte Johann den Pfad zum Steg über die Salachklamm eingeschlagen.
Überrascht blieb er stehen, als er merkte, wo er war.
Überirdisch schön blinkte der Wasserfall im Mondlicht. Sein Rauschen erfüllte die Luft.
Doch der Jäger ließ sich nicht gefangennehmen von der Schönheit, denn plötzlich war es ihm, als spüre er etwas Fremdes, Bedrohliches ganz in der Nähe.
War es die Erinnerung an die Begegnung mit dem Bauernburschen gleich an seinem zweiten Tag in den Bergen? Er hatte ihn seitdem nicht wiedergesehen und verspürte auch kein Verlangen danach.
Etwas an diesem Ort jagte ihm einen Schauer über den Rücken, und fast erwartete er, daß sich aus den Schatten der Felsen eine Gestalt lösen würde, um über ihn herzufallen.
Doch nichts rührte sich, nur der Wasserfall rauschte gleichmütig sein ewiges Lied.
Der Nachtwind wehte die Feuchtigkeit aus der Klamm herauf, doch dem Jäger erschien sie plötzlich wie ein Hauch des Verderbens.
»Unsinn!« sagte er laut vor sich hin. »Jetzt seh ich schon Gespenster! Eigentlich bin ich längst über das Alter hinaus, in dem man sich nachts allein im Dunkel fürchtet!«
Hohl und unwirklich antwortete ihm ein Lachen!
Was war das? Das Wort erstarb Johann auf den Lippen. Dann riß er sich zusammen.
»Ist da wer?« rief er in die Dunkelheit. Die schwarzen Schatten der Felsen schienen im Mondlicht nur noch dunkler. Undurchdringlich lag in der Tiefe die Klamm, wo der Mondschein nicht hinleuchtete.
Johann spürte, wie es ihm eiskalt über den Rücken rieselte.
Schweigen antwortete ihm, doch er spürte jetzt deutlich, daß er nicht allein war.
»Antworte doch!« Er nahm seinen Mut zusammen. »Wer bist du? Wer hat es nötig, sich im Dunkel zu verbergen?«
»Das wirst du erfahren, wenn es an der Zeit ist!« klang die Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien.
Vergeblich suchten die Augen des Jägers die Felsen ab. Er konnte keine Spur eines Menschen entdecken.
Der Unbekannte mußte ihm bis hierher gefolgt sein. Jetzt bereute Johann, die Flinte daheimgelassen zu haben. Was wollte der Mensch von ihm, der sich nicht zeigte und statt dessen in seinem Versteck lauerte?
Jäh fiel ihm die anonyme Warnung wieder ein, die eine unbekannte Hand mit einem Messer an seine Tür geheftet hatte.
Machte ihr Verfasser jetzt ernst?
»Zeig dich, wenn du ein Mann bist und sag, was du von mir willst!« forderte Johann.
»Ich will dir ein Angebot machen!«
Täuschte sich Johann, oder klang in der hohlen, vom Echo der steilen Felswände der Klamm verzerrten Stimme etwas Lauerndes?
»Ein Angebot?« fragte der Jäger ungläubig. Alles hatte er erwartet: Eine Drohung, sogar einen Überfall, aber kein Angebot.
»Du sollst bestimmte Dinge net sehen.«
Schon wollte der Jäger protestieren, da fuhr die Stimme fort:
»Halt! Und noch etwas! Für dich ist es leicht, an bestimmte Dinge zu kommen. Gamskrickl, Murmeltierfett, für ausgesuchte Kunden einen Adler zum Ausstopfen…«
»Wer bist du?« schrie der Jäger. »Bist du denn wahnsinnig, mir so ein Angebot zu machen? Wofür hältst du mich?«
Er war außer sich.
»Nur ruhig! Ich zahl dir net schlecht dafür. Du kannst doppelt verdienen. Bekommst ja eh dein Gehalt als Jäger und kannst nebenbei gute Geschäfte machen.«
»Das ist eine Unverschämtheit!« keuchte Johann. »Laß mich in Ruhe mit deinen Angeboten. Ich will nix davon wissen. Wenn du den Mut hättest, dich zu zeigen, dann würd ich dir beweisen, was ich von solchen Lumpen halte!«
Zornig wandte er sich um und wollte den Rückweg antreten.
»Wart nur, auch dir werd ich noch auf die Schliche kommen und dir das Handwerk legen!« rief er in die Dunkelheit.
Wieder klang hohl und schauerlich das Lachen durch die Klamm.
»Wie du willst! Das Angebot gilt nur jetzt. Schlägst du es aus, so wirst du es bereuen. Bald bist du die längste Zeit Jäger gewesen!«
»So ein Unsinn!« rief Johann aufgebracht. »Ich laß mich net einschüchtern. Weder durch einen Zettel mit einer Drohung an der Tür, noch durch eine Stimme aus der Dunkelheit. Vor solchen Feiglingen, die net wagen, mir ins Gesicht zu schauen, fürcht ich mich net!«
»Dazu hast aber allen Grund!« drohte die Stimme.
Dann schwieg sie.
Der Jäger versuchte vergeblich, sich zu erinnern, wo er sie schon einmal gehört hatte. Er war ganz sicher, daß er sie kannte, doch das Rauschen des Wassers und das Echo der Felswände taten ein Übriges, um sie zu verfremden.
Wütend stampfte Johann heimwärts. Eine Unverschämtheit war es, ihm, dem Jäger, so ein Angebot zu machen!
Er kam gar nicht auf den Gedanken, daß dieses Angebot keineswegs ernst gemeint war. Es war eine Finte, eine Falle, in die er nur allzu bereitwillig hineingetappt war.
Die Schönheit der Nacht war für ihn jäh zerstört. Der Gipfel des Raffen, der vorher so feierlich im Mondlicht geglänzt hatte, lastete nun düster und drohend über dem Bergwald. Auch der Wald selbst war plötzlich erfüllt von allerhand unheimlichen Geräuschen.
Mal knisterte es im Gebüsch, dann wieder meinte Johann, huschende Schritte zu vernehmen. Mal knackte ein Ast, dann rauschte es unvermutet in den Blättern.
Mehr als einmal glaubte er hinter seinem Rücken eine Bewegung zu spüren. Doch immer, wenn er sich umschaute, sah er nur die Schatten des Waldes im blasser werdenden Mondlicht.
Feindselig und abweisend, ja, voller unbekannter Gefahren erschien ihm plötzlich der Bergwald, der doch sein Revier war, das ihm vertraut sein sollte.
»Es sind meine überreizten Nerven, die mir einen Streich spielen«, vermutete Johann. »Nie hätte ich gedacht, daß es so schwer ist, hier Fuß zu fassen. Wenn mir doch wenigstens Marthl zur Seite stehen würde!«
Aus tiefster Seele war dieser Seufzer gekommen, und Johann erschrak selbst darüber. Wollte denn sein Herz noch immer nicht von dem Madl lassen, das ihn so sehr enttäuscht hatte?
Es mußte die Liebe sein, die ihn dort oben auf der Alm getroffen hatte!
Doch diese Gewißheit vermochte ihn nicht zu trösten. Im Gegenteil, sie machte alles nur noch schwieriger.
Johann fühlte sich verloren und trostlos, als er in dieser Nacht das Jägerhaus wieder erreichte.
Der Mond war weitergewandert, das Haus lag jetzt im Schatten.
Zum ersten Mal packte Johann etwas wie Furcht, als er sich seinem Haus näherte. Lauerte hinter der Mauer ein Unbekannter, der ihm Böses wollte?
Johann spürte die Gefahr, die ihm drohte. Doch es war eine ganz andere Gefahr, als er vermutete.
*
Johann hatte lange geschlafen und den Tag voll quälender Gedanken verbracht.
Am Abend ging er ins Wirtshaus »Zum Gamskrickl«, um sich abzulenken.
»Da kommt ja unser Jäger!« rief ihm der Stirnthaler-Magnus entgegen, der mit den anderen am blankgescheuerten Buchenholztisch saß. »Na, hast schon Erfolg gehabt beim Wildschützfangen?«
Das Blut schoß Johann ins Gesicht, doch er bezwang seinen Ärger.
Ruhig setzte er sich an einen Tisch und bestellte einen Schoppen.
»Hast denn gar niemanden im Revier getroffen?« fragte jetzt Alfons, der Bauer, dem er einmal von der toten Gams erzählt hatte.
Jetzt konnte Johann sein Erlebnis nicht mehr länger für sich behalten. Vielleicht gelang es ihm doch, die Dörfler aufzurütteln und zur Mithilfe zu bewegen, wenn sie von der ungeheuerlichen Frechheit des Wildschützen erfuhren!
»Gesehen hab’ ich keinen, aber gehört!« erzählte er.
Er sah nicht, wie der Wirt und der Stirnthaler-Sepp, der wie teilnahmslos in der Runde hockte, einen Blick tauschten.
»Seit wann machen denn die Wildschützen Lärm? Oder hat gar wer geschossen?« klopfte Alfons auf den Busch, um den Jäger zum Weitersprechen zu bewegen.
»Stellt euch nur vor, er hat mir angeboten, ihn gegen Geld gewähren zu lassen. Ja, mehr noch! Er wollte mich bestechen, für ihn Gemsen, Murmeltiere und gar Adler zu schießen!«
»Ist das wahr? Das glaub ich net!« provozierte ihn der Wirt.
»Und du? Was hast du gesagt?« fragte er lauernd. »Hast eingeschlagen?«
»Ja, was denkst denn du von mir!« empörte sich Johann. »Dem hab’ ich die Meinung gesagt. Aber stellt euch doch nur die ungeheure Frechheit des Lumpen vor. Der schreckt wohl vor gar nix zurück!«
»Na ja!« Der Wirt wiegte den feisten Kopf. »So ein Angebot bekommt man net alle Tage. Du wärst net der erste Jäger, der sich auf so einen Handel einläßt!«
Die Augen von Sepp, von Alfons und vom Gamskricklwirt funkelten voller unterdrückter Schadenfreude. Nur der alte Stirnthaler blickte ein wenig verwirrt und nachdenklich drein.
Noch verstand er nicht ganz, was gespielt wurde. Aber wenn ihn seine Ahnung nicht trog, so war es etwas, was ihm nicht gefallen wollte. Doch noch schwieg er zu allem und wartete ab.
»Mit euch kann man je net reden!« eiferte jetzt Johann.
»Ihr könnt nur über alles spotten und unterstützt damit den Frevel. Pfui Teufel, was seid ihr bloß für Menschen!«
Abrupt stand Johann auf und stürmte hinaus.
»Da geht er dahin!« brummte Alfons.
Das Gespräch der Bauern, die an diesem Abend zahlreich im Wirtshaus versammelt waren, drehte sich noch eine Weile um den neuen Jäger, der, wenn man seinen Worten Glauben schenken durfte, solch ein seltsames Angebot erhalten hatte.
»Vielleicht phantasiert er auch, oder er will sich wichtig machen!« meinte ein alter Bauer.
»Es wird sich schon zeigen, wo wir mit ihm dran sind!« fügte ein anderer hinzu.
»Ich kann’s net recht glauben, was er erzählt hat!« gab der erste zu bedenken.
»Na, uns kümmert’s net. Soll der Jager nur schauen, wie er fertig wird. Das ist noch nie die Sache von uns Bauern gewesen!« meinte der andere gleichgültig.
Nur drei Männer in der Schankstube schwiegen beharrlich zu allem, bis das Gespräch sich endlich anderen Dingen zuwandte.
*
Alle Glocken läuteten das Fest Mariä Himmelfahrt ein, und zum Festtag der kleinen Dorfkirche zu Ehren der Namenspatronin strahlte die Sonne vom blankgeputzten Himmel. Festlich leuchteten die Berggipfel.
Alpenblumen schmückten das Portal der Kirche. Von allen Berghöfen strömten feierlich gekleidete Menschen hinab ins Dorf, um an der Prozession teilzunehmen.
Auch Marthl war schon im Morgengrauen aufgebrochen, denn diesen Feiertag wollte die Sennerin nicht versäumen.
Das blaue Dirndl wehte um die gebräunten Beine, ihre Augen spiegelten das Blau des Himmels.
Doch innerlich war das Madl gespannt und aufgeregt. Würde sie drunten im Dorf Johann sehen? Würde sie Gelegenheit haben, mit ihm zu sprechen, um endlich das Mißverständnis aus der Welt zu räumen?
Aber da waren die neugierigen Augen der Dörfler, und mit Sicherheit würde auch Sepp da sein und sie bewachen wie sein Eigentum.
Der laue Sommerwind wehte jetzt das Geläute der Kirchenglocken vom Tal herauf. Es war höchste Zeit, wenn sie nicht zu spät zur Messe kommen wollte!
Ihre Füße flogen nur so bergab, eine Locke hatte sich aus ihrem Haar gelöst und wehte in die Stirn. Kleine Steine lösten sich, so schnell lief sie dem Dorf entgegen. Gleich hatte sie die Weggabelung erreicht, wo der Pfad zum Jägerhaus abzweigte. Dann war es nicht mehr weit!
Plötzlich tauchte vor ihr ein grünes Gewand auf, ein Gamsbart stand darüber. Es war zu spät, den Schwung zu bremsen. Marthl war so schnell bergab geeilt, daß sie gegen den Burschen prallte, der sich jetzt erstaunt umwandte.
Geistesgegenwärtig breitete er die Arme aus, fing Marthl auf und verhinderte so ihren Sturz.
»Marthl!«
»Johann!«
Gleichzeitig kam der Ruf von den Lippen der beiden jungen Menschen, die sich so unverhofft erkannten.
»Das ist ein Wink des Schicksals!« entfuhr es dem jungen Jäger. »Gewiß hat es heut mitgespielt, daß wir uns treffen!«
Marthl standen Tränen in den Augen.
»Hast du dir vielleicht weh getan?« fragte Johann erschrocken.
Das Madl schüttelte stumm den Kopf.
»Es ist net deswegen«, hauchte sie. Ein dicker Kloß saß in Marthls Kehle und hinderte sie am Weitersprechen.
»Wegen was denn dann?«
Johanns Herz pochte heftig in seiner Brust. Noch immer hielt er Marthl fest und wollte sie nie mehr loslassen. Wenigstens diesen unschuldigen Augenblick lang wollte er ihr nahe sein, wenn es ihm schon nicht vergönnt war, ihr Liebster zu sein!
»Ich muß dir was sagen!« Marthl nahm allen Mut zusammen. Wenn sie jetzt nicht die Wahrheit gestand, war es zu spät, das fühlte sie. Sie mußte diesen Wink des Schicksals nutzen, mit Johann ins Reine zu kommen.
»Was mußt du mir sagen?« Johanns Stimme klang sanft und doch drängend.
»Ich bin keinem anderen versprochen. Der Stirnthaler-Sepp hätt’s gern, aber ich will ihn net.«
Kaum hörbar drangen ihre Worte an Johanns Ohr, doch ihm klangen sie wie die süßeste Musik.
»Ist das wahr, Dirndl?«
Sein Herz machte einen Satz. »Dann darf ich doch auf dich warten, dann darf ich zu dir kommen?«
Fordernd läuteten die Kirchenglocken im Dorf. Das Portal der Kirche wurde geschlossen. Der Wind wehte die Klänge der Orgel hinauf zum Rand des Bergwaldes. Doch Johann und Marthl wollten sie nicht hören.
Ihre Augen fanden sich und wenig später ihre Lippen. Lange standen sie da und hielten einander umschlungen, als wollten sie sich nie mehr loslassen.
Viel später erst fanden sie in die Wirklichkeit zurück und schauten sich erstaunt an. Wie hatte das so plötzlich geschehen können? Es schien ihnen wie ein Wunder.
»Die Heilige Jungfrau wird uns schützen!« murmelte Johann. »Gewiß ist es kein Zufall, daß sie uns an ihrem Festtag zusammengeführt hat.«
»Mein Gott!« rief Marthl erschrocken. »Die Messe hat längst begonnen. Ich bin doch von der Alm gekommen, um den Feiertag net zu versäumen. Jetzt wird’s aber höchste Zeit.«
»Bleib doch noch!« bat Johann.
Aber Marthl schüttelte den Kopf.
»Ich geh jetzt hinab zur Messe. Es ist besser, wenn wir net zusammen ankommen, denn gewiß ist der Stirnthaler-Sepp auch dort. Nimm dich vor dem in acht!« warnte sie inständig und ergriff beschwörend seine Hand.
»Jetzt kann mir nix mehr geschehen!« entgegnete Johann fröhlich. »Ich hab’ heut die Liebe und das Glück gefunden. Was will ich mehr? Wenn’s wieder Ärger gibt, dann denk ich an dich, und schon geht’s mir besser.«
»So, hast du schon Ärger gehabt?« fragte Marthl betroffen.
»Ach, mach dir keine Gedanken«, versuchte Johann sie zu beruhigen und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es wird schon alles gut werden!«
»Hoffentlich!« Wie ein Hauch kam der Wunsch von Marthls Lippen, denn trotz des hellen Sonnenscheins schien plötzlich ein Schatten über ihr Glück zu fallen.
Eilig machte sie sich auf den Weg ins Tal, um den Schutz der Gottesmutter zu erflehen. Allzu zerbrechlich erschien ihr die Liebe und das Glück, das dieser strahlende Morgen verhieß. Sie wußte, wie schnell im Gebirge das Wetter umschlagen konnte. Ebenso plötzlich konnte das Unglück über ihre junge Liebe kommen.
Marthl wußte nicht, wie recht sie mit ihren Befürchtungen hatte.
Als sie bald darauf das Portal der Kirche öffnete, wandten sich der Verspäteten alle Augen der Dörfler zu.
Erhitzt und mit geröteten Wangen suchte sie sich ihren Platz in der Bank, während sich die Neugierigen anstießen und ihren Teil dachten.
Doch als kurz darauf auch der junge Jäger lange nach Beginn der Messe die Kirche betrat, da ging fast ein Raunen durch die Reihen. Mehr als ein Augenpaar wanderte von der Sennerin zum Jäger und zurück.
Darunter war auch ein dunkles, in dem ein verhaltenes Feuer glomm, das so gar nicht zum festlichen Anlaß dieses Tages und zum Gebet zur Heiligen Jungfrau passen wollte.
Ebensowenig paßten die Gedanken des Stirnthaler-Sepp zum Feiertag, während er wie alle anderen das Knie beugte.
Voller Genugtuung schoß ihm durch den Kopf, was er eingefädelt hatte.
*
Erwartungsvoll trat der Aufreiter-Johann aus der Kirche. Alle Dörfler standen auf dem Kirchplatz im Sonnenschein in kleinen Gruppen beisammen. Würde Marthl zu ihm kommen, sich offen zu ihm bekennen?
Voller Enttäuschung sah er, wie sie sich schnell entfernte, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Sie wollte wohl den Frauen keinen Anlaß zum Ratschen liefern!
Schon wollte er sich abwenden, um ebenfalls den Heimweg anzutreten, da wurde er von hinten angesprochen.
»Grüß dich, Jager. Hast auch einmal den Weg herab gefunden!«
Verwundert schaute sich Johann um. Dicht bei ihm stand der Wirt vom »Gamskrickl« und beugte sich vertraulich zu ihm hinüber. Der Jäger hatte ihn in der Kirche nicht gesehen. Er mußte eben erst zum Kirchplatz gekommen sein.
»Grüß Gott, Wirt!« gab Johann reserviert zurück. Noch hatte er nicht vergessen, wie ihm im Wirtshaus mitgespielt worden war, und der Wirt mit seiner schleimigen Art war ihm unsympathisch.
Jetzt ergriff er gar mit seiner schlaffen Hand die des Jägers und legte ihm die andere auf die Schulter.
Johann wich befremdet zurück. Was wollte der Wirt von ihm?
Wieder näherte der Mann sein Gesicht dem Johanns, und als er sprach, sprühten ihm Tröpfchen seines Speichels ins Gesicht. Angewidert wandte sich Johann ab, doch der Wirt hielt ihn fest.
»Na, hast schon Erfolg gehabt?« fragte der Gamskricklwirt.
»Erfolg? Was meinst du denn?«
Johann wollte nicht so unhöflich sein und den Mann einfach stehenlassen.
»Tu doch net so. Du weißt ganz genau, was ich meine«, zischte der Wirt.
Eine Gruppe von Bauern kam jetzt, über irgend etwas diskutierend, an ihnen vorbei. Sofort hob der Wirt die Stimme.
»Du hast dir doch vorgenommen, Geschäfte zu machen«, sagte er lauter als nötig.
Die Bauern wandten neugierig die Köpfe. Da beugte der Wirt sich wieder zum Jager und sprach leiser, so daß sie ihn nicht mehr verstehen konnten.
»Ich tu meine Pflicht und mach keine Geschäfte«, gab Johann aufgebracht zurück.
»Ja, ja, schon gut!« Wieder faßte der Wirt beschwörend nach seinem Arm. »Ich hab’ doch nur einen Spaß gemacht«, murmelte er leise.
»Seltsamer Spaß«, murrte Johann, dem die ganze Sache höchst eigenartig erschien. Er wollte dem Gespräch ein Ende machen und verabschiedete sich kurz von dem Wirt.
»Dann sind wir uns also einig!« rief der Mann ihm leise nach, doch immerhin so laut, daß die Umstehenden die Worte verstehen konnten.
Sofort steckten sie die Köpfe zusammen. Sie hatten neuen Gesprächsstoff! Schließlich ahnte man, welcher Art die heimlichen Geschäfte des Gamskricklwirts waren! Sollte etwa der neue Jäger etwas damit zu tun haben?
Es dauerte nicht lange, da brodelten im Dorf Gerüchte über eine Verbindung zwischen dem Aufreiter-Johann und dem Wirt.
Johann ahnte von alldem nichts. Er wollte den Wirt, der ihm ein bißchen wunderlich erschien und ihm immer unsympathischer wurde, endlich los sein.
Plötzlich vertrat ihm ein junger Bursch mit dunklen Locken den Weg.
Johann erkannte in ihm unverhofft jenen Mann, mit dem er gleich zu Anfang an der Klamm aneinandergeraten war.
Da er keinen Streit suchte, wollte er mit einem kurzen Kopfnicken weitergehen. Doch plötzlich entsann er sich, daß der andere damals seinen Namen genannt hatte. Stirnthaler! Hatte nicht eben noch Marthl ihn vor einem Stirnthaler-Sepp gewarnt?
Jetzt begann ihm plötzlich einiges klar zu werden! Interessiert blickte er in die dunklen Augen, in denen es loderte.
»Ja, schau nur, Jager!« sprach Sepp ihn spöttisch an. »Bist ja ein feiner Jager, daß du sogar in aller Öffentlichkeit mit dem Gamskricklwirt verhandelst!«
»Was soll das alles?« Jetzt riß Johann allmählich der Geduldsfaden.
»Ach, tu doch net so unschuldig. Hier wissen alle Bescheid!«
Laut klang seine Stimme über den Kirchplatz. Die Leute, die begonnen hatten, sich zu zerstreuen, blieben stehen und schauten zu den beiden hinüber.
»Jetzt langt’s mir aber!« Johann trat einen Schritt auf den Burschen zu. »Ich will wissen, was hier gespielt wird!«
»Hört euch das an, er weiß von nix!« rief Sepp augenzwinkernd.
Noch ehe der Jäger ihn zur Rede stellen konnte, lief er lachend davon.
Verwirrt blieb Johann zurück. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Doch er sah wohl, wie die Dörfler erneut die Köpfe zusammensteckten und verstohlen zu ihm hinübersahen.
Über was mochten sie reden? Johann spürte, daß es mit ihm zu tun haben mußte. Nur zu gern hätte er gewußt, um was es ging.
Er fühlte sich plötzlich äußerst unbehaglich. Etwas braute sich über seinem Kopf zusammen. Wenn er nur wüßte, was es war!
*
Bevor Marthl wieder zur Schoberalm hinaufstieg, machte sie einen Besuch auf dem Stirnthalerhof.
Der alte Bauer war gleich nach der Kirche heimgegangen und begrüßte freundlich seine junge Sennerin.
»Ja, Marthl, das ist aber schön, daß du hereinschaust. Ist droben alles in Ordnung?«
»Freilich, Bauer!«
»Bist ein tüchtiges Madl«, lobte der alte Stirnthaler. »Ich hab’ ja meine Zweifel gehabt, weil du noch so jung bist. Aber es scheint, daß ich mich in dir net getäuscht hab’.«
Marthl wurde rot vor Freude über das Lob. Der alte Stirnthaler galt als eigenwillig, und es gab Leute, die behaupteten, mit ihm sei nicht gut Kirschen essen. Auch munkelte man einiges über seine bewegte Vergangenheit.
Doch Marthl störte das alles nicht. Sie kam gut mit dem Bauern aus und wußte ihn zu nehmen.
»Dann werd ich jetzt wieder aufi gehen!« erklärte sie munter.
»Wart, du wirst noch eine Jausen nehmen!« befahl er und schaffte der Küchenmagd an, Brot und Schinken zu bringen.
Verlegen saß Marthl mit dem Bauern am Tisch. Sonst war es üblich, daß das Gesinde in der Küche saß. Sie empfand es als besondere Auszeichnung, daß sie beim Bauern in der Stube sitzen durfte.
Bald schon erkannte sie den Grund. Der Stirnthaler schien etwas auf dem Herzen zu haben.
»Wie steht’s denn mit dir und dem Sepp?« fragte er plötzlich geradeheraus.
Marthl schoß das Blut in die Wangen, und sie senkte den Kopf.
»Sprich nur frei heraus«, forderte der Alte sie auf.
»Der Sepp tät mich gern haben«, stammelte sie.
»Und du?« forschend schaute der Bauer sie an.
Langsam schüttelte Marthl den Kopf.
»Ich mag net«, stieß sie leise hervor.
Der Alte nickte bedächtig.
»So ist das also. Jetzt wird mir einiges klar. Schad, Marthl. Du wärst mir als Schwiegertochter schon recht gewesen, auch wenn du nix mitbringst. Aber man kann der Liebe net befehlen. Ich versteh dich. Mach du nur deine Arbeit, dann soll’s dir bei uns net schlechtgehen.«
Vertrauensvoll schaute Marthl den knorrigen alten Bauern an. Sie verstand wirklich nicht, warum manche Leute allerhand Ungutes über ihn erzählten.
Er war der einzige Mensch, der ihr Verständnis entgegenbrachte. Mehr als sie erwarten konnte, nachdem sie seinen Sohn und
Hoferben verschmähte!
»Alsdann, Dirndl!« Der Alte erhob sich, als Marthl ihre Mahlzeit beendet hatte. »Du hast sicher schon gemerkt, daß wir Stirnthaler anders sind als andere. Nun, wir haben auch einen Stolz. Wenn du einmal ernsthaft in Schwierigkeiten kommst, so kannst du zu mir kommen. Ich werde versuchen, dir zu helfen.«
Ganz ernst war der alte Bauer bei diesen Worten, und es war, als spräche die Ahnung kommenden Unheils aus ihnen.
Wußte der Alte etwas, das er nicht zugab? Ahnte er, daß sein Sohn Marthls Entscheidung niemals akzeptieren würde?
Marthl nickte unsicher.
»Dank dir schön!« murmelte sie.
»Noch ein Wort! Auch wenn du meinen Sohn net magst, so mach net den Fehler, mit dem Jager anzubandeln!« warnte der Stirnthaler.
Da wandte sich Marthl hastig ab, damit er nicht sehen sollte, wie verlegen sie wurde.
»Pfüat dich, Bauer!« stieß sie hervor und lief davon.
»Das nimmt einmal kein gutes Ende!« orakelte er. Dann setzte er sich auf die Ofenbank, um seine Feiertagspfeife zu rauchen.
*
Marthl ging die Arbeit auf der Alm nun doppelt schnell von der Hand. Sie war beschwingt vom kurzen Augenblick des Glücks in den Armen des Jägers.
Auch wenn der alte Stirnthaler einen Schatten an die Wand gemalt hatte, so forderte doch ihre Jugend ihr Recht, und sie mochte nicht daran glauben, daß etwas ihrer Liebe im Weg stehen könnte.
Die blühenden Almenwiesen dufteten, und Marthl war hinausgegangen, um ein Sträußl für den Herrgottswinkel zu pflücken.
Wolken umschatteten den Gipfel des Raffen. Plötzlich war es ihr, als sehe sie in einiger Entfernung eine Gestalt mit einem Rucksack eilig bergab huschen. Sie beschattete die Augen mit der Hand.
Niemand war zu sehen. Aber von der Murmeltierkolonie her war kurz zuvor ein schriller Warnpfiff gekommen. War doch jemand in der Nähe, der sich nicht zeigen wollte und deshalb einen Bogen um die Alm machte?
Der Jäger konnte es nicht sein. Johann wäre geradewegs zu ihr gekommen!
Auch Sepp würde nicht durch die Felsen schleichen. Er mußte später heraufkommen, um Butter und Käse abzuholen und würde sich nicht dort hinten verstecken.
Trotz der heißen Sonne fröstelte Marthl plötzlich. Ihr fielen die Andeutungen des Jägers ein. Er vermutete wohl, daß sich ein Wildschütz hier herumtrieb.
Wenn er recht hatte, mußte sich auch Marthl in acht nehmen, denn niemand wußte, wozu ein Geschwärzter fähig war, wenn er plötzlich entdeckt wurde!
Marthl blieb noch eine Weile vor der Tür. Doch alles blieb ruhig. Nur die Glocke der Leitkuh bimmelte bei jedem Schritt, und die Bienen summten in den Blüten.
Vielleicht hatte sie sich getäuscht!
Jetzt galt es, schnell mit der Arbeit fortzufahren, denn wenn Sepp heraufkam, sollte alles bereitsein!
Ihr wurde ein wenig bange vor der Begegnung, denn heute mußte sie Sepp die Wahrheit gestehen!
Die Zeit verging wie im Fluge.
Plötzlich fiel ein Schatten auf die sonnendurchglühte Erde. Lautlos stand Sepp auf einmal hinter der Sennerin. Er war erhitzt und atmete schwer, so, als habe er eine große Anstrengung hinter sich.
Marthl ahnte nicht, daß er schon oben am Gipfel des Raffen gewesen und eine schwere Last in ein Versteck geschafft hatte, bevor er zu ihr auf die Alm gekommen war.
»Bist so schnell vom Tal aufgestiegen?« fragte sie arglos, als sie ihren ersten Schreck überwunden hatte.
Sepp nickte, doch sein Blick wich ihr aus.
»Ich hab’ dir schon alles bereitgestellt«, sagte sie und schaute verlegen zu Boden.
»Marthl!« rief er plötzlich mit rauher Stimme. »Hast mir sonst nix zu sagen? Willst mich wohl rasch wieder loswerden, was?«
»Einmal muß ich’s dir sagen!« seufzte das Madl. »Es ist nix zwischen uns, Sepp. Ich hab’ nix gegen dich, aber ich hab’ dich net lieb.«
»Was?« Mit einem Satz war Sepp bei ihr. »Daran ist nur der Jager schuld. Er hat dein Herz verwirrt, daß es nimmer weiß, wohin es gehört. Du gehörst mir, verstehst du!«
Er riß sie an sich. Marthl schrie auf.
»Sag, daß du die Meine wirst!« forderte er herrisch. »Sonst nehm ich mir, was mir zusteht!«
»Laß mich aus!« rief Marthl verzweifelt. »Du kannst die Liebe net zwingen!«
»Also gut!« keuchte Sepp. »Häng du dich nur an den Jager. Wirst schon sehen, was du davon hast. Bald ist der nämlich die längste Zeit Jager gewesen. Dann wird der Lump entlarvt. Und wenn du dann angekrochen kommst, werd ich dich mit den Füßen in die Gosse treten, aus der du kommst!«
»Sepp!« rief Marthl entsetzt. »Wie redest du denn!«
Sepp war jetzt nicht zu bremsen. Sein Haß und seine grenzenlose Eifersucht, gepaart mit gekränkter Eitelkeit, brachen aus ihm heraus. Er konnte sich nicht länger beherrschen.
»Dein feiner Jager wird bald im Gefängnis sitzen!« frohlockte er.
»Du bist narrisch geworden!« entfuhr es Marthl erschrocken. »Die Eifersucht bringt dich um den Verstand.«
»O nein! Ich weiß recht gut, was ich rede. Wart’s nur ab. Mit Schimpf und Schande wird man ihn davonjagen, den Frevler. Der will ein Jager sein! Pfui Teufel!«
Sepp hatte sich in Eifer geredet und glaubte fast selbst an seine Worte, so glatt und überzeugend kamen sie ihm über die Lippen.
O ja, er war schlau! Er würde mit dem Jäger abrechnen und über ihn triumphieren, ohne daß ein Schatten des Verdachts auf ihn fallen würde!
»Geh heim, Sepp, und beruhige dich!« meinte Marthl kopfschüttelnd. »Gräm dich net so wegen mir. Es gibt genug Madln, die besser zu dir passen. Was du dir ausdenkst, ist net gesund.«
»Wirst schon sehen, daß ich recht hab’! Ich hab’ Beweise gesammelt, die der Lump net widerlegen kann!«
Seine Augen hatten sich verengt, und in ihnen stand Haß und Bosheit.
»Aber häng du dich nur an ihn statt an einen rechtschaffenen Bauern. Ich hoffe nur, daß du nachher auch die Schande ertragen kannst, wenn man ihn abführt, deinen feinen Schatz.«
»Ich bitt dich, geh jetzt!« schluchzte Marthl. »Du bist gemein, Sepp.«
Da wandte sich der Bauernbursch wortlos ab und schulterte die Kraxe.
Später, wenn es dunkel war, würde er zu seinem Versteck unterhalb der Almhütte zurückkehren und eine andere Last bergab tragen.
Eine, die mehr einbrachte als Butter und Käse!
Sepp lächelte grimmig vor sich hin, als er wortlos davonstampfte.
Er entblößte die Zähne zu einem bösen Grinsen.
*
Die Sonne stand schon tief über den Gipfeln, als ein Mann im grünen Lodengewand den Bergpfad hinauf zur Schoberalm stieg. Das Hütl hatte er aus der Stirn geschoben. Der rasche Aufstieg trieb ihm den Schweiß aus allen Poren.
Doch er machte keine Pause, um zu verschnaufen, sondern kletterte im raschen Takt seines Herzens weiter.
Es war die Ungeduld, die Liebste zu sehen, die den Aufreiter-Johann so schnell bergan trieb.
Die Pfiffe der Murmeltiere gellten über die Felswände. Der Jäger schaute lächelnd hinauf zu den Hängen des Raffen.
»Euch werd ich auch bald einen Besuch abstatten!« murmelte er vor sich hin.
Doch heute abend wollte er nicht an die Arbeit denken. Er hatte Feierabend, und den wollte er mit Marthl verbringen, der sein Herz gehörte!
Die Sonne vergoldete den Bergwald, während im Tal schon die Schatten regierten.
Immer, wenn Johann hinaufstieg, fühlte er sich frei und glücklich. Er summte vor sich hin.
Als er die Alm erreichte, war die Sonne hinter den Bergen verschwunden, nur der Gipfel des Raffen leuchtete noch in zartem Rosa, und die Wolken am Himmel verrieten mit ihrem Leuchten, wo die Sonne untergegangen war.
Das Klappern der Melkeimer, das er schon von ferne hörte, beflügelte seinen Schritt.
Fast wäre ihm eine Gestalt begegnet, die, beladen mit einem schweren Rucksack, im Schutz der hereinbrechenden Dämmerung den Pfad herabkam.
Doch gerade in diesem Augenblick ließ der Jäger einen Jodler zur Begrüßung der Sennerin ertönen.
Wie ein Schatten glitt der andere hinter einen Felsen und duckte sich. Ahnungslos schritt der Jäger an ihm vorbei, während dunkle Augen lauerten.
»Warte nur!« knirschte der Mann hinter dem Felsen. »Das ist das letzte Mal, daß du es wagst, zu meinem Madl auf die Alm zu kommen. Du wirst es noch bitter bereuen, daß sich unsere Wege gekreuzt haben, Jager! Alles wirst du mir heimzahlen. Bald ist es soweit!«
Lautlos glitt die Gestalt weiter bergab, während der Jäger vor der Alm Marthl in seine Arme schloß.
Stürmisch begrüßten sich die beiden. Doch dann schaute ihn Marthl nachdenklich an. Sie konnte nicht vergessen, was Sepp vom Jäger behauptet hatte!
Auch wenn sie in seinem Gesicht kein Falsch entdecken konnte, so hatten doch die Worte des Bauernburschen genügt, den Schatten eines Verdachts in ihrem Herzen zurückzulassen.
Der Jäger bemerkte ihr Zögern.
»Was hast du denn, Marthl?« fragte er zärtlich. »Stimmt was net?«
»Doch, doch, es ist alles in Ordnung«, versicherte das Madl hastig.
»Aber ich spür doch, daß du etwas hast«, beharrte Johann.
»Laß mich raten! Du bist dir net sicher, ob ich es ernst mit dir meine!«
»Ach, geh!« wehrte Marthl ab und fuhr ihm mit den Fingern durch sein buschiges Haar.
»Doch, das wird es sein! Glaub mir, Dirndl, noch nie hab’ ich es mit einem Madl ernster gemeint. Wenn du mich auch magst, dann sollst du mein Weib werden«, versprach er ernst.
Da ging ein Leuchten über Marthls Gesicht, und es schien ihm noch schöner als sonst.
Doch gleich darauf sah er, daß ein flüchtiger Schatten das Blau ihrer Augen verdunkelte.
»Jetzt glaubst, daß ich dich net ernähren kann«, vermutete er. »Freilich, ich bin kein Bauer mit einem großen Hof. Keiner wie der Stirnthaler-Sepp, der einmal einen stattlichen Berghof erben wird!«
»Was redest du nur«, beschwichtigte Marthl, die seine Erregung spürte. »Mir geht’s net um den Hof. Ich gehorche allein meinem Herzen, und das sagt ›ja‹ zu dir, immer wieder ja!«
Ihre Lippen suchten die seinen, um ihn an weiteren Worten zu hindern, die ihr doch so töricht erschienen. Als ob sie sich Gedanken über Geld und Gut machte, wenn doch das Herz seine Entscheidung längst gefällt hatte!
»Wir können im Jägerhaus wohnen«, sprach Johann unbeirrt weiter. »Fürs erste ist es groß genug, und auch mein Gehalt langt für uns zwei. Freilich, wenn einmal Kinder kommen, wird es eng im alten Jagerhäusl, und mit dem Geld wird es knapp werden.«
»Wo die Liebe wohnt, ist allweil genug da zum Leben«, erklärte Marthl voller Zuversicht. »Da wird halt zusammengerückt.«
»Ich kann was dazuverdienen, ich weiß auch schon wie!« meinte Johann mehr zu sich selbst.
Da zuckte Marthl zurück wie unter einem Peitschenhieb. Also hatte Sepp doch recht gehabt!
»Das darfst du net tun!« stammelte sie. »Sag, daß das net wahr ist!«
»Aber warum denn? Schließlich tun das viele, und es ist doch nix dabei!« gab er verwundert zurück.
»Nix dabei!« schrie Marthl auf. »Hast du denn gar kein Gewissen? Also stimmt es doch. Oh, ich hab’s net glauben wollen, hab’ dir vertraut!«
»Aber, Marthl, ich versteh dich net!« Johann war ratlos über die plötzliche Verwandlung, die mit Marthl vor sich gegangen war.
»Du verstehst recht gut. Geh, ich will dich nimmer sehen! Mit so einem will ich nix zu tun haben!«
Johann trat auf sie zu und wollte sie begütigend in die Arme nehmen. Es konnte sich doch alles nur um ein Mißverständnis handeln!
Aber Marthl wich vor ihm bis zur Hauswand zurück. Ablehnung stand in ihren Augen und Verachtung.
»Rühr mich net an!« fuhr sie ihn an. »Und geh jetzt!«
Da ließ Johann die Schultern hängen. Was sollte er tun?
»Ich weiß net, was ich dir getan hab’«, murmelte er. »Wenn ich dich irgendwie verletzt hab’, ohne es zu wissen, so verzeih mir. Es scheint, daß wir jetzt nimmer miteinander reden können. Vielleicht können wir ein anderes Mal alles aufklären, wenn du wieder zur Ruhe gekommen bist.«
»Ein anderes Mal wird’s für uns nimmer geben!« schluchzte Marthl. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten. »Hörst du, nie und nimmer!«
Dann stürzte sie in die Almhütte und schlug die Tür hinter sich zu.
Johann hörte den Riegel knirschen. Von drinnen drang ihr heftiges Schluchzen an sein Ohr und zerschnitt ihm schier das Herz.
Wenn er wenigstens verstehen könnte, was sie hatte!
Unschlüssig machte er einen Schritt auf die Hütte zu.
Doch dann besann er sich. Offenbar wollte Marthl allein sein.
Es hatte keinen Sinn, sich ihr aufzudrängen, und das ließ schließlich auch bei aller Liebe sein Stolz nicht zu!
»Morgen ist auch noch ein Tag«, sagte der junge Jäger tröstend zu sich selbst. »Es wird sich schon alles wieder einrenken, wenn sie erst einmal darüber geschlafen hat!«
Noch ahnte er nicht, was der morgige Tag für ihn bereithalten sollte.
*
Wie schon einmal, suchte der Aufreiter-Johann Vergessen in der Arbeit.
Doch dafür gab es auch noch einen anderen Grund. Überall im Revier entdeckte er jetzt Spuren des Wildschützen.
Lange hatte dieser offenbar eine trügerische Ruhe bewahrt, nur um jetzt um so frecher und aufdringlicher zu werden.
Mal entdeckte der Jäger, wenn er am frühen Morgen durch den Bergwald streifte, die Stelle, wo ein Tier ausgeweidet worden war.
Ein anderes Mal krachte in der Abenddämmerung ein Schuß.
Am nächsten Tag fand Johann eine Schlinge im Gebüsch, die so auffällig aufgestellt war, daß es fast den Anschein hatte, als solle der Jäger sie finden.
Doch niemals gab es nur den geringsten Hinweis darauf, wer sein Unwesen im Bergwald trieb.
Johann war verzweifelt. Er schlief kaum noch, war, solange es irgend ging, auf den Beinen, um dem frevlerischen Treiben Einhalt zu gebieten.
Doch es schien, als ob sich der Wildschütz über den Jäger lustig mache.
Immer kam Johann ein wenig zu spät, fand nur noch Blutspuren auf dem Waldboden oder ein paar Haare, wo ein Wild erlegt worden sein mußte.
Schon überlegte er ernstlich, von der Kreisstadt her Verstärkung anzufordern. Doch dann wieder packte ihn der Ehrgeiz.
Er wollte sich an seiner ersten Stelle behaupten und nicht als Versager dastehen! Wie sah es denn aus, wenn er nicht mit einem Wildschütz fertigwurde? Was sollte der Jagdherr von ihm denken?
Nein, Johann gab noch nicht auf! Er würde es schaffen, mit allem selbst fertigzuwerden!
Nach der neuen Enttäuschung mit Marthl hatte er einen solchen Erfolg für sein Selbstbewußtsein auch bitter nötig!
Doch jeder neue Tag brachte neue Rückschläge.
Der Wildschütz ging ihm einfach immer wieder durch die Maschen!
*
Auch im Dorf waren die Umtriebe im Bergwald Tagesgespräch. Besonders im Wirtshaus »Zum Gamskrickl« drehte sich die Diskussion heftig um den Wildschützen.
»Machst wohl jetzt ein gutes Geschäft, Gamskricklwirt?« fragte Alfons.
Der feiste Wirt grinste nur geheimnisvoll und zuckte vielsagend die Schultern.
»Pst! Hab’ ja auch einen guten Lieferanten«, zischte er.
»Er treibt’s wirklich zu toll«, mahnte ein besonnener Bauer. »Das kann ich nimmer gutheißen. Ich hab’ ja nix dagegen, wenn einer mal für den Sonntagsbraten zum Stutzen greift. Den tät ich auch niemals verraten. Aber es vergeht doch kein Tag, ohne daß net etwas im Bergwald geschieht. Das geht zu weit!«
Die anderen murmelten beifällig. Alle blickten zum Stirnthaler-Magnus herüber.
»Ich weiß von nix«, gab der unwillig zurück.
»Merkwürdig, daß der Jager dem net Einhalt gebieten kann«, meinte ein anderer Bauer. »Es wär doch seine Sache, den frechen Wildschützen in die Schranken zu weisen!«
Alle glaubten zu wissen, wer der Wildschütz war, der es zur Zeit im Bergwald so toll trieb, daß es auch den Bergbauern zu weit ging.
»Vielleicht will er net«, gab der Wirt langsam zu bedenken.
»Was?« Mit einem Ruck fuhren alle Köpfe zu ihm herum. In den Köpfen der Bauern keimte ein ungeheuerlicher Verdacht, den der Wirt nur noch schürte.
»Ein Jager ist auch nur ein Mensch und kann manchmal das zusätzliche Geld gut brauchen, besonders, wenn er mit einem Madl anbandelt, das nix mitbringt.«
Bewußt gleichgültig streute er seine Saat aus. Doch sie ging auf.
»Was du net sagst!« fuhr ein Bauer auf. »Der Jager? Das kann ich net glauben!«
»Er hat mit dem Gamskricklwirt an Mariä Himmelfahrt verhandelt«, gab ein anderer zu bedenken.
Alle sahen den Wirt an.
»Ich sag nix!« meinte der.
»Er hat selbst erzählt, daß er ein Angebot bekommen hat!« erinnerte sich ein anderer. »Damals hat er noch entrüstet getan. Wer weiß, vielleicht hat er sich’s anders überlegt.«
»Das sind doch alles nur Vermutungen«, mahnte ein anderer, der sich bisher nicht am Gespräch beteiligt hatte. »Laßt uns zuerst einmal abwarten.«
»Aber wenn’s wahr ist, sollte man es melden. Ein Jager! Das ist viel schändlicher, als wenn’s einer von uns wär!« eiferte ein Bauer.
»Du mußt es doch wissen, Wirt!«
»Den Teufel werd ich tun und mir mein Maul verbrennen!«
Der Wirt begann Gläser zu wienern, als ob das die wichtigste Beschäftigung auf der Welt wäre.
»Oder du, Stirnthaler!« forderten die Bauern.
Der alte Stirnthaler hob die Schultern.
»Glaubt mir, ich weiß es net«, brummte er und schaute dabei sehr nachdenklich drein.
Die Dörfler sahen, wie es in seinem wettergebräunten Gesicht arbeitete. Aber über die Lippen des alten Bauern, von dessen bewegter Vergangenheit alle mehr oder weniger wußten, kam kein einziges Wort mehr.
*
Dunkle Wolken hatten sich vor den Mond geschoben. Das Dorf lag in tiefem Schweigen. Hoch oben ragte schattenhaft der Raffen auf.
Plötzlich bellte ein Hofhund. Ein ärgerliches Zischen brachte ihn gleich darauf wieder zum Schweigen.
Erkannte er die dunkle Gestalt, die gebückt unter der Last eines schweren Rucksacks heimlich an den Häusern vorbeischlich?
Verstohlen blickte sie sich um, drückte sich noch tiefer in die schwarzen Schatten der Toreinfahrten und Mauern.
Jetzt hatte sie ihr Ziel erreicht. Einen Augenblick lang wurden die Wolken von der Sichel des abnehmenden Mondes fortgezogen, und sein fahles Licht fiel auf die Lüftlmalerei über der Tür, von der allmählich die Farbe abblätterte. Sie zeigte einen Gamskopf mit einem prächtigen Krickl.
Doch die finstere Gestalt mit dem Rucksack wählte nicht den Vordereingang zum Wirtshaus, sondern glitt um die Hausecke in den Hof.
Verhalten begann der Hofhund wieder zu knurren und fletschte die Zähne.
»Bist du wohl still, du Mistvieh!«
Die Worte der rauhen Stimme beruhigten das Tier, und seine Schwanzspitze bewegte sich zaghaft hin und her.
»Na also. Kennst mich doch!« brummte der Mann.
Dann hob er ein Steinchen auf und warf es gegen eins der Fenster im Obergeschoß. Es klirrte gegen die Scheibe. Gespannt wartete die Gestalt im Hof.
Doch nichts rührte sich.
»Sakra, hat der einen Schlaf, während unsereiner sich bei der Nacht abmüht«, knurrte die rauhe Stimme ärgerlich.
Wieder flog ein Steinchen gegen die Scheibe. Diesmal zeigte sich der helle Fleck eines Gesichts hinter dem Vorhang. Das Fenster wurde einen Spalt geöffnet.
»Was ist?« Verschlafen klang die Stimme des Gamskricklwirts hinab.
»Frag net so blöd!« Die Gestalt vor dem Fenster war ungeduldig.
»Ich hab’ geglaubt, du kommst gar nimmer. Da hast dir aber eine gottlose Zeit ausgesucht, um mich aus dem Bett zu holen!«
»Tratsch net lang herum, komm lieber. Und vergiß das Geld net.«
Das Fenster wurde geschlossen, kurz darauf tappten Schritte die Stiege im Haus herunter, und die Hoftür wurde ein wenig geöffnet, gerade so, daß der Mann mit dem Rucksack hineinschlüpfen konnte.
Im Licht der nackten Glühbirne an der Flurdecke begutachtete der Wirt kritisch die Ware.
»Laß sehen, was du mir bringst.«
»Heut sind’s Murmeltiere, mit der Schlinge gefangen, zwei hab’ ich mit dem Stutzen erlegt. Aber die zwei behalt ich selbst.«
»Net schlecht«, lobte der Wirt. »Es gibt Leute, die ganz wild auf das Murmeltierfett sind. Aber warum willst zwei behalten? Willst gar selbst ins Geschäft einsteigen und sie auf eigene Faust verkaufen?« fragte er mißtrauisch. »Du, ich warne dich! Wenn du so anfängst, hab’ ich dir die letzte Zeit was abgenommen. Dann kannst in Zukunft schauen, wo du deine Ware läßt!« drohte er.
»Nein, nein. Obwohl es keine schlechte Idee wäre, bei den miserablen Preisen, die du für die ganze Plackerei zahlst!«
»Wenn’s dir net paßt, kannst ja wieder gehen!« gab der Wirt kalt zurück.
»Es war nur ein Schmarrn«, beschwichtigte der Mann. »Mit den zwei Tieren hab’ ich was ganz Besonderes vor. Kannst es net erraten?«
Da blitzte es in den verschlagenen Augen des Wirtes auf.
»Ach so! Fast kann ich’s mir denken!«
»Jetzt geht’s nimmer lang!« Die Stimme des Mannes schwankte vor unterdrückter Erregung. »Das bricht ihm den Hals!«
Die beiden Männer wechselten einen verschwörerischen Blick. Dann huschte ein Grinsen über die beiden Gesichter, über das feiste des Wirts und über das dunkle des anderen.
Lautlos und verstohlen wie sie gekommen war, glitt dann die dunkle Gestalt über den Hof davon.
Der Rucksack war jetzt nicht mehr prall gefüllt, doch sein Inhalt, den er noch barg, sollte einem Menschen zum Verhängnis werden.
*
Als der Aufreiter-Johann am nächsten Morgen vor die Tür des Jägerhauses trat und in tiefen Zügen die erfrischende, würzige Morgenluft atmete, freute er sich über den prächtigen Anblick, den der Sonnenaufgang über den mächtigen Berggipfeln bot. Tautropfen blinkten an den Gräsern auf, weiße Wölkchen wehten wie Schleier über den hellblauen Himmel. Im Osten färbten sie sich rot, um vom Erwachen der Sonne zu künden.
In den Bergwipfeln des Bergwaldes begrüßten die Vögel den neuen Tag.
Johann ahnte nicht, daß der Friede dieses Morgens trügerisch war, wie dem Morgenrot oft schlechtes Wetter folgte.
Als er sich auf seinen Gang durchs Revier machte, folgten ihm Augen, die vom Schlafmangel gerötet tief in den Höhlen lagen. Doch der Blick, den ihm die Gestalt nachsandte, die im Gebüsch verborgen lauerte, war voller hämischer Befriedigung.
Kaum war der Jäger im Bergwald verschwunden, da machte sie sich an der Tür des Hauses zu schaffen.
Wenig später lag das Jägerhaus wieder still und verlassen da, denn der Fremde machte sich mit einem Rucksack, der wieder ein wenig leichter, aber noch nicht ganz leer war, davon.
Er heftete sich an die Spuren des jungen Jägers, der im sanften Licht des Morgens hinauf zum Raffen stieg.
Johann hatte einen Entschluß gefaßt. Genug Zeit schien ihm verstrichen, um noch einmal einen Versuch zu wagen, mit Marthl zu sprechen.
Vielleicht war sie inzwischen zur Besinnung gekommen und war wenigstens bereit, ihm ihr seltsames Verhalten zu erklären!
Noch immer konnte sich Johann keinen Reim darauf machen, doch jeden Tag und jede Nacht quälten ihn seine Gedanken.
Er hielt die Ungewißheit nicht länger aus! Für ihn gab es keinen Zweifel, daß er Marthl aus tiefstem Herzen liebte, und so war die unselige Trennung von dem Madl, dem sein ganzes Sehnen galt, unerträglich.
Wenigstens ein Wort der Erklärung mußte er von ihr erhalten. Er würde darauf bestehen, denn er hatte nach allem, was zwischen ihnen gewesen war, ein Recht darauf.
Wenigstens seinen rastlosen und doch vergeblichen Grübeleien, welchen Fehler er wohl gemacht hatte, würde das ein Ende machen.
Heute fühlte Johann sich nicht froh und frei, als er in die Höhe stieg. Etwas bedrückte ihn und legte sich wie eine eiserne Klammer um seine Brust.
Das Strahlen der Sonne vom frühen Morgen war verblichen, sie verschleierte sich und verbarg sich hin und wieder hinter grauen Wolkenstreifen. Die Luft war warm und feucht und machte das Atmen schwer.
Es war Vormittag, als Johann die Alm vor sich liegen sah. Sein Herz pochte in banger Erwartung dessen, was die Begegnung mit Marthl bringen würde.
Würde sie ihn erneut ohne ein Wort der Erklärung abweisen? Wollte sie wirklich nichts mehr von ihm wissen, nachdem sie doch zuvor solch große Hoffnungen in ihm erweckt hatte?
Ungestüm eilte Johann über die Almwiesen das letzte Stück zum Holzhäusl hinauf.
Jetzt war die Stunde der Wahrheit gekommen, die über sein Glück entscheiden sollte!
Doch er konnte Marthl nirgends entdecken. Die Tür der Almhütte war geschlossen, aber die Klinke ließ sich leicht drücken.
Johann warf unschlüssig einen Blick in das Innere. Alles war aufgeräumt und sauber, doch wirkte es so, als sei die Sennerin nur für einen Augenblick fortgegangen.
Was jetzt? Johann war unschlüssig.
Sollte er auf Marthl warten?
Er warf einen besorgten Blick auf den inzwischen bleigrauen Himmel.
Ebensogut konnte er, wenn er schon heroben war, ein Stück weiter hinaufklettern und bei den Murmeltieren nach dem Rechten sehen!
Das hatte er schon längst vorgehabt, doch der Wildschütz im Bergwald hatte ihn in Atem gehalten. Auf dem Rückweg würde er Marthl gewiß antreffen. Und wenn sich wirklich ein Unwetter über dem Raffen zusammenbraute, war er vielleicht froh, in der Almhütte Schutz zu finden.
»Dann kann sie mich wenigstens net fortschicken«, dachte er verbittert. »Dann muß Marthl einfach mit mir reden!«
Ohne zu zögern machte er sich dann an den Aufstieg über die schroffen Felshänge. Es war eine schwierige Kletterei, die seine ganze Konzentration erforderte. Doch ihm war die Anstrengung im Augenblick nur recht. Sie lenkte ihn wenigstens vom Grund seines Besuches auf der Alm ein wenig ab!
So sah er nicht, daß er an diesem Vormittag nicht der einzige Kletterer in der Felsenwildnis des Raffen war.
Schrill ertönte über ihm der Warnpfiff eines dicken alten Murmeltieres. Johann lächelte, als er einen kurzen Blick auf den Großvater der Kolonie erhaschte, der sich auf die Hinterpfoten erhob, um besser sehen zu können, bevor er blitzschnell verschwand.
Der Jäger mochte die possierlichen Tiere. Wenn er oben war und sich still verhielt, gelang es ihm vielleicht, sie zu beobachten.
Er war jetzt auf den Felsen angekommen, wo sie ihre Verstecke hatten, und sah sich nach einem geeigneten Beobachtungsposten um, wo die scheuen Bergbewohner ihn nicht sehen konnten und auch keine Witterung von ihm bekamen.
Ein Überhang schien ihm die geeignete Stelle zu sein.
Er ließ sich auf einem Felsbrocken nieder und legte den Stutzen beiseite, den er immer bei sich trug, seit der Wildschütz so frech sein Unwesen trieb. Geduldig wartete er dann darauf, daß die Murmeltiere den Eindringling vergaßen und sich wieder hervorwagten.
Doch sie schienen etwas zu spüren und ließen sich nicht mehr blicken.
Drückend und schwer legte sich die Luft auf die Lungen des Jagers. Die Augen wollten ihm zufallen, als er so still dasaß.
Plötzlich wurde er aufmerksam. Irgend etwas stach ihm in die Augen und vertrieb mit einem Schlag die Schläfrigkeit.
Vor dem Murmeltierbau, der ihm am nächsten war, befand sich eine Schlingel Mit einem Satz war der Jäger auf den Beinen.
»Der Hund!« keuchte er. »Das ist doch das Schändlichste, was es gibt. Die Tiere sind streng geschützt, und dann fängt er sie auch noch hinterhältig mit einer Schlinge!«
Er stürzte hinüber zur Öffnung unter einem Felsen, um das mörderische Gerät unschädlich zu machen. Gewiß gab es davon noch mehr! Wäre er doch nur eher aufgestiegen, um nach den Murmeltieren zu schauen!
Wie viele mochten schon dem Frevler zum Opfer gefallen und lautlos in seinen Schlingen verendet sein?
Johann bückte sich tief hinab zu der Schlinge vor der Höhle.
In diesem Augenblick traf ihn völlig unvermutet ein Schlag hart auf den Kopf. Er spürte noch im Fallen, wie er einen heftigen Stoß erhielt, der ihn von dem Felsen hinabschleuderte. Dann wurde es schwarz um ihn.
Er hörte nicht mehr den Schuß, dessen Echo sich an den Felswänden brach.
*
Marthl vermißte an diesem Morgen ein Kalb, als sie die Herde auf eine andere Almweide treiben wollte.
Sie suchte die Umgebung der Hütte ab, doch vergeblich. Es mußte sich verlaufen haben!
Sie warf einen besorgten Blick zum Himmel. Dort braute sich etwas zusammen! Noch konnte sie nicht sagen, wann das Unwetter losbrechen würde, doch manchmal ging das heroben in den Bergen sehr schnell. Es war also höchste Zeit, daß sie sich nach dem verlorenen Tier umschaute.
Sie zog die Tür der Almhütte hinter sich zu. Es war nicht nötig, sie zu verriegeln, denn hier oben gab es keine Eindringlinge, und sie hoffte auch, bald wieder zurück zu sein.
Ein schmerzlicher Gedanke streifte Johann, in dem sie sich so sehr getäuscht hatte. Immer wieder mußte sie an ihn denken, obwohl sie verzweifelt versuchte, ihn aus ihrem Herzen zu verbannen.
Jetzt richtete sie krampfhaft ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Umgebung, suchte an Abhängen und hinter Felsbrocken nach dem Kalbl. Hätte sie nur geahnt, wie nah ihr Johann in diesem Augenblick war!
Nach einer Weile war Marthl recht mutlos und verzweifelt. Der Himmel verfinsterte sich zusehends, und noch immer hatte sie das versprengte Tier nicht gefunden.
Es kam vor, daß ein Kalb auf der Alm verlorenging, doch Marthl war so pflichtbewußt, daß sie den Gedanken nicht ertragen konnte.
So suchte sie weiter. Plötzlich entdeckte sie das Tier. Es hatte sich mit zwei Beinen in einer Felsspalte verfangen und konnte sich aus eigener Kraft nicht befreien. Kläglich blökte es, als Marthl es herauszog. Gottlob war es nicht verletzt.
Froh und erleichtert machte sich das Madl mit dem Tier auf den Rückweg.
Fast hatte sie die Almhütte erreicht, da krachte oben an den Felshängen des Raffen ein Schuß!
Das Madl fuhr zusammen und ließ das Kalb laufen, das sofort zu seiner Mutter sprang.
Was war das? Der Jager? Der Wildschütz? Ohne Zweifel war der Schuß droben an der Murmeltierkolonie gefallen!
Zorn erfüllte die junge Sennerin.
»Die Murmeltiere sind geschützt!« stieß sie hervor. »Es ist eine Schande, sie zu jagen. Auch wenn’s gefährlich sein mag, so muß ich es verhindern!«
Ohne zu zögern, begann sie mit dem Aufstieg. Der Sommer auf der Alm hatte sie kräftig und ausdauernd gemacht. Und so stand sie schon nach kurzer Zeit an den Felsabhängen des Raffen.
Hier zögerte sie einen Moment, weiterzugehen. Nein, es war nicht die Furcht um ihre eigene Sicherheit, die sie innehalten ließ! Sie hatte Angst vor dem, was sie entdecken würde.
Vielleicht würde sie noch einen Blick auf den Wildfrevler erhaschen. Doch wer war es? Einer aus dem Dorf? Oder, wie Sepp angedeutet hatte, wirklich der Jäger?
Entschlossen stieg Marthl weiter. Sie wollte die Wahrheit wissen! Es galt, die Murmeltiere, die ihr am Herzen lagen, zu schützen. Und auch um ihrer selbst willen und um ihres Seelenfriedens war ihr daran gelegen, den frechen Wildschützen zu entlarven.
Über dem Raffen war es still, drückend still. Die Murmeltiere hatten sich erschrocken in ihre Höhlen geflüchtet. Auch sonst sah sie keine Bewegung.
Aufmerksam ging Marthl weiter. Keinen Gedanken verschwendete sie daran, daß sie sich selbst in Gefahr begab.
Plötzlich zuckte sie zurück wie von einem Faustschlag getroffen.
Unten am Fuß eines Felsbrockens lag eine zusammengekrümmte menschliche Gestalt!
Marthls Augen weiteten sich vor Entsetzen. Der Mann trug einen grünen Lodenanzug. Es war der Jäger!
So schnell sie konnte, eilte die Sennerin um den Felsbrocken herum zu der Unglücksstelle. Atemlos beugte sie sich über den reglos Daliegenden. Ihr Herz krampfte sich zusammen.
»Johann!« schluchzte sie. »Lieber Johann! Was ist dir geschehen?«
In diesem Augenblick wußte sie, daß ihm ihr Herz gehörte, ganz gleich, ob er Unrecht getan hatte oder nicht. Die Angst, ihn für immer verloren zu haben, ließ sie ihre Liebe zu dem jungen Jäger klar und unzweifelhaft erkennen.
Ihr Kopf sank auf seine Brust, ängstlich lauschte sie auf seinen Herzschlag, während sie bang in sein totenblasses Gesicht mit den festgeschlossenen Augen sah.
»Er lebt!« jubelte sie, als sie sich wieder aufrichtete. »Er lebt, und das ist das Wichtigste!«
Erst jetzt gestattete sie sich, sich weiter umzuschauen.
Neben dem Jäger lag sein Stutzen, der wohl seiner Hand beim Absturz entfallen sein mußte.
Als Marthl ihn sah, durchzuckte sie ein eisiger Schreck. Also war er es, der geschossen hatte? Oder hatte er hier oben den Wildschützen auf frischer Tat ertappt?
Ihre Augen glitten über die Felshänge.
Da!
Ein Stück weiter bergauf lag reglos etwas Pelziges!
Fast widerwillig erhob sich das Madl von der Seite des Jägers. Kaum wollten ihm die Füße gehorchen, doch sie mußte nachschauen. Sie mußte Gewißheit haben, auch wenn die Entdeckung nichts mehr an ihrer Liebe zu dem Jäger ändern würde!
Ekel packte sie, als sie den toten, steifen Körper des Murmeltieres berührte. Es war von einer Kugel getroffen worden. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr! Was sollte sie tun?
Marthls Gedanken rasten.
Sie war die einzige, die wußte, was Johann getan hatte. Auch wenn vielleicht Sepp etwas ahnte, so hatte er gewiß keine Beweise.
War es ihre Pflicht, den Mann, den sie liebte, anzuzeigen und auszuliefern? Nein, das ging über ihre Kräfte. Sie konnte Johann um nichts in der Welt verraten!
Doch sie durfte es auch nicht zulassen, daß er mit seinen frevelhaften Werken fortfuhr, daß er seine Stellung als Jäger schändlich mißbrauchte!
»Heilige Maria, gib mir die Kraft, die richtige Entscheidung zu treffen!« flehte sie und rang in innerer Qual die Hände, während der Mann neben ihr noch immer kein Lebenszeichen von sich gab.
Plötzlich erhellte ein Hoffnungsfünkchen ihr Gesicht.
»Ich weiß, was ich tun muß. Meine Liebe wird Johann abbringen von seinem unrechten Tun. Ich bin ganz sicher, daß ich die Kraft habe, ihn auf den rechten Weg zu bringen. Die Gottesmutter wird mir dabei helfen. Sie hat uns zusammengeführt, und gewiß ist es mir bestimmt, dem Mann, den ich liebe, zu helfen!«
Wie im Traum erhob sich das Madl, hob das tote Murmeltier auf, trug es zu einer weit entfernten Stelle und begann, Steinbrocken darüber zu häufen.
Plötzlich erschrak sie zu Tode, als sie hinter ihrem Rücken das Knirschen von Schritten hörte.
»Du willst wohl alle Spuren beseitigen?« höhnte der StirnthalerSepp. »Glaubst du jetzt endlich, daß dein feiner Jager ein Lump ist? Aber du hast ja net hören wollen. Und jetzt machst du dich gar mitschuldig und willst die Beweise vernichten! Aber daraus wird nix!«
»Sepp!« Marthls Augen weiteten sich. »Ich will ihm eine Chance geben, auf den rechten Weg zurückzukehren«, stammelte sie tonlos.
»Nix da! Die Lumperei gehört streng bestraft. Und wenn’s gar ein Jager ist, dann doppelt. Schande über ihn.«
»Was willst du tun?« stieß Marthl voller Verzweiflung hervor, denn sie erkannte, daß sie Sepp nicht umstimmen konnte.
»Was ein rechtschaffener Bürger in einem solchen Fall tun muß. Er hat ja net nur das eine Tier geschossen. Schau dich nur um! Überall hat er Schlingen gelegt. Pfui Teufel!«
»Schlingen? Das kann ich net glauben. Dazu ist er gar net fähig.«
»Da siehst, wie er dich getäuscht hat. Ich hab’s dir vorausgesagt. Du wirst jetzt ins Dorf absteigen und die Gendarmen holen, damit sie ihn dorthin schaffen wo er hingehört. Hinter Gitter!«
»Aber er ist verletzt!«
»Schad, daß er sich net den Hals gebrochen hat. Verdient hätt er’s für das, was er getan hat!« erklärte der Stirnthaler-Sepp kalt. Ihm gefiel seine Rolle immer besser! »Ich bleib derweil hier, damit er net das Weite sucht, wenn er zu sich kommt!« knurrte er grimmig. »Und ich sorg dafür, daß nix verändert wird. Net noch einmal soll einer versuchen, die Beweise seiner Schuld zu vertuschen.«
»Oh, Johann!« Ein Schluchzen entrang sich Marthls Brust. Unendlich sanft strich sie eine Locke aus der Stirn des Bewußtlosen.
Sepp sah es.
»Verabschiede dich nur von ihm«, schleuderte er dem Madl voller Haß entgegen. »Wirst ihn lang nimmer sehen, deinen feinen Schatz!«
Da sprang Marthl auf und stolperte wie blind davon. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als aus dem Dorf Hilfe für Johann zu holen, der gleich nach seinem verhängnisvollen Sturz, vielleicht beim Versuch, das tote Murmeltier zu holen, abgestürzt sein mußte. Auch wenn sie damit gleichzeitig den Liebsten seinem Schicksal auslieferte!
*
In den folgenden Tagen war Marthl froh, oben auf der Alm und nicht unten im Dorf zu sein.
Sie konnte sich vorstellen, was dort für ein Hexenkessel tobte!
Plötzlich wollten es alle vorher gewußt haben, daß mit dem neuen Jäger etwas nicht stimmte und erinnerten sich lebhaft an die Schatten, die dieses ungeheuerliche Ereignis vorausgeworfen hatte.
Sepp genoß es, als er am Sonnabend hinauf zur Alm kam, Marthl die Neuigkeiten bis ins Kleinste zu berichten. Und als sie sich die Ohren zuhielt und weglaufen wollte, hielt er sie fest und riß ihr die Hände von den Ohren, um sie mit Worten zu quälen, die sich wie Messerstiche ins Herz des Madls bohrten.
»Gell, das hast du net gewußt, daß er selbst geprahlt hat, daß er ein Angebot bekommen hat, Gewildertes zu verkaufen«, erklärte er genüßlich. »Er hat es gar so weit getrieben, mit dem Gamskricklwirt öffentlich nach der Kirche zu verhandeln. Das muß man sich einmal vorstellen, wie unverfroren er war! Was der Wirt für einer ist, na ja, darüber hört man ja allerhand!«
»Sei doch still!« schluchzte Marthl. »Ich will gar nix mehr davon hören!«
»Ja, jetzt kannst jammern und flennen«, gab Sepp ungerührt zurück. »Aber jetzt ist’s zu spät. Er hat’s aber auch zu toll getrieben in letzter Zeit. Kein Tag ist vergangen, ohne daß er net was geschossen, oder, wie man jetzt weiß, gar in der Schlinge gefangen hat.«
»Du kannst reden, wie du willst. Ich halt zu ihm!« sagte Marthl tapfer, doch ihr Herz zitterte bei ihren Worten. Würde sie die Kraft haben, trotz allem zu ihrer Liebe zu stehen?
Manchmal kamen ihr Zweifel, ob der Jäger wirklich all das getan hatte, was man ihm nun anhängte.
Doch dann erinnerte sie sich jäh daran, daß er selbst von der Möglichkeit gesprochen hatte, etwas dazuzuverdienen. Damit konnte er nur eins gemeint haben!
Und hatte sie ihn nicht selbst dort oben bei den Murmeltieren gesehen?
Nein, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte, sie mußte sich damit abfinden, einen Wildschützen zu lieben!
Am nächsten Sonnabend brachte der Stirnthaler-Sepp wieder eine Neuigkeit aus dem Tal mit.
Die Gendarmen hatten begonnen, den Fall gründlich zu untersuchen. Der Jäger, der sich inzwischen wieder von seinem Sturz erholt hatte, erzählte eine völlig unglaubhafte Geschichte über die Vorgänge auf dem Raffen und leugnete beharrlich.
Doch das half ihm nichts. Eine Durchsuchung des Jägerhauses brachte den letzten, vernichtenden Beweis!
Auch dort hatte man ein totes Murmeltier gefunden.
Außerdem waren viele Dörfler Zeugen, daß der Jäger seltsame Dinge berichtet und erlebt hatte.
All das genügte, um ihn sofort seines Amtes zu entheben. Außerdem lief eine Anzeige gegen ihn wegen schweren Wildfrevels.
Marthl hatte ihren Widerstand gegen die genüßlichen Schilderungen des Stirnthaler-Sepp aufgegeben und ließ stumm alles über sich ergehen.
Ihr graute vor dem bevorstehenden Almabtrieb. Was würde dann über sie hereinbrechen!
Sie konnte sich gut vorstellen, wie die Leute im Dorf mit Fingern auf sie zeigen würden. Auf sie, die einen Wildschützen decken und die Spuren seines Frevels beseitigen wollte!
Sepp hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß er auch diese Tatsache drunten im Dorf ausgiebig verbreitet hatte.
Marthl hoffte nur, daß Sepp eines Tages seiner Quälereien überdrüssig würde.
Doch darin sollte sie sich täuschen. Er steigerte sich in einen richtigen Rausch hinein, wenn er über den Jäger berichtete.
»Jetzt weißt wohl, wer der Bessere von uns ist«, höhnte er. »Aber jetzt will ich von dir nix mehr wissen. Net von einem Wilderergspusi!«
»Geh, Sepp, so hör doch endlich auf«, bat Marthl matt und zermürbt.
Doch Sepp war nicht zu bremsen. »Dem hab’ ich’s gezeigt. Hab’ ich net gesagt, daß ich ihn zermalmen werde, ihn, der es gewagt hat, einem Stirnthaler in die Quere zu kommen?« prahlte er.
»Du? Was hast denn du damit zu schaffen?« Auch wenn Marthl versuchte, ihr Herz zu verhärten gegen die Worte Sepps, so drang doch diese neue Wendung in ihr Bewußtsein.
Sie beobachtete, wie Sepp für einen winzigen Augenblick zu erschrecken schien. Doch gleich darauf war dieser Eindruck schon wieder vorüber.
»Schließlich hab’ ich ihn solange beobachtet, bis ich ihn gestellt hab’«, behauptete er großspurig. »Ich hab’ ja gleich gewußt, was das für einer ist. Einen Stirnthaler täuscht man net!«
Doch in Marthl hatte sich etwas festgesetzt, die Spur eines unglaublichen Verdachts, der ein winzig kleines, schwaches Hoffnungsfünkchen in all der finsteren Verzweiflung nährte.
Als Sepp endlich gegangen war, beladen mit Butter und Käse, dachte Marthl darüber nach.
Was war, wenn Sepp tatsächlich seine Hände im Spiel hatte?
Hatte er sich nicht eben selbst verraten? Oder entsprang nur alles seiner Prahlsucht und dem Triumphgefühl eines Eifersüchtigen?
Marthl war unsicher. Doch sie klammerte sich an diesen Strohhalm wie eine Ertrinkende. Alles wollte sie tun, um Johanns Unschuld zu beweisen.
Denn je länger sie über alles nachdachte, desto weniger glaubte sie an seine Schuld. Zwar sprach alles gegen ihn. Doch tief in ihrem Herzen glaubte sie an den Liebsten.
Es mußte einen Weg geben, Licht in die Sache zu bringen. Und wer außer ihr stand auf der Seite des Jägers, der selbst nichts tun konnte, um sich zu rechtfertigen?
*
Wieder wurde der Aufreiter-Johann zur Vernehmung gebracht. Mit kalten Augen sah ihm der Gendarm entgegen.
Der Jäger machte einen erschöpften Eindruck. Tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben, um den Mund lag ein verbitterter Zug.
Müde ließ er sich auf den bereitgestellten Stuhl fallen.
»Hat denn diese Quälerei nie ein Ende«, fragte er resigniert.
»Brauchst nur zu gestehen, Aufreiter, und uns alles zu erzählen. Dann lassen wir dich in Ruhe. Wirst dann mehr Ruhe haben, als dir lieb ist«, gab der Gendarm, ein junger, ehrgeiziger Beamter zurück, der sich mit der Überführung des Wildfrevlers die ersten Lorbeeren verdienen wollte.
»Aber wie oft soll ich es euch denn noch sagen!«
Verzweiflung klang aus der Stimme des jungen Jägers. »Es muß alles ein furchtbarer Irrtum sein. Oder aber einer hat alles so eingerichtet, daß der Verdacht auf mich fallen muß. Ja, so muß es sein!«
»Red doch keinen Schmarrn. Wer sollte so etwas tun?« gab der Gendarm spöttisch zurück. »Es gibt genug Beweise, die eindeutig gegen dich sprechen. Gib alles zu, dann kann man wenigstens das zu deinen Gunsten auslegen.«
»Ich war’s aber net!« Fast schluchzte Johann, zermürbt von den Verhören. Er vergrub sein Gesicht in den Händen. »Sucht lieber nach dem Wildschützen, der jetzt ungestört sein Unwesen treiben kann. Wenn ihr ihn habt, dann habt ihr wahrscheinlich auch den, der mir eine so hinterhältige Falle gestellt hat.«
»Jetzt langt’s aber. Du schadest dir nur durch dein hartnäckiges Leugnen. Aber du wirst auch ohne Geständnis verurteilt werden. Und Jager bist eh die längste Zeit gewesen.«
Der Gendarm machte keinen Hehl aus seinem Ekel und seiner Abscheu vor dem Mann, den er für einen feigen Wilderer hielt, der zudem sein Amt schändlich mißbraucht hatte. Mit so einem konnte man kein Mitleid haben, der gehörte hart bestraft!
»Denk in deiner Arrestzelle noch einmal gründlich nach, ob du dich net doch lieber erinnern willst«, fuhr er Johann an.
Dann wurde der junge Jäger abgeführt.
Schwer schleppte er sich über den Gang. Er hatte keine Hoffnung mehr, daß sich alles aufklären würde. Wenn er nur wüßte, wer ihm das alles angetan hatte! Plötzlich blitzte in seinem zermarterten Gehirn ein Name auf.
»Der Stirnthaler-Sepp!« murmelte er vor sich hin.
»Was hast gesagt?« fragte der Gendarm, der ihn abführte.
»Ach, nix!« Johann winkte ab. Es hatte keinen Sinn, davon zu sprechen. Hier würde ihm ohnehin niemand glauben. Schon gar nicht, wenn er, der Fremde, einen Verdacht gegen einen einheimischen Bauernburschen aussprach!
So verbrachte der Aufreiter-Johann eine weitere Nacht in tiefster Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in der Zelle.
*
Seit Marthl wieder ein winziges Hoffnungsfünkchen in all dem dunklen Elend sah, schöpfte sie neuen Mut. Sie wußte selbst, daß es der Mut der Verzweiflung war.
Was konnte sie schon tun, als die Augen aufhalten? Denn wenn Johann wirklich nicht der Wildschütz war, dann mußte der echte Wilderer jetzt die Gelegenheit ausnutzen, wo er ungestört sein konnte bei seinem heimlichen Tun. Vielleicht machte es ihn leichtsinnig, daß der Jäger ihm nicht mehr gefährlich werden konnte.
Doch Marthl konnte die Alm nicht verlassen. Ihre einzige Hoffnung war, daß der Wildschütz sich wieder bei den Murmeltieren zu schaffen machte.
Öfter als sonst wanderte ihr Blick jetzt hinauf zu den schroffen Felshängen des Raffen.
Eines Abends hatte sich Marthl ein wenig abseits der Almhütte ins Gras gesetzt. Die Tür war schon geschlossen, und jeder Beobachter mußte denken, daß die Sennerin bereits zu Bett gegangen war.
Die Dämmerung war im Begriff, der Nacht zu weichen. Schon war das Gras feucht vom Tau.
Marthl fröstelte ein wenig, doch sie konnte sich nicht entschließen, hineinzugehen. Dumpf erschien ihr die Luft in der Stube, und sie meinte, ersticken zu müssen. Auch floh sie der Schlaf, denn kaum schloß sie die Augen, da flogen ihre Gedanken zu Johann. Sie begann zu grübeln, und der Schmerz zerriß ihr schier das Herz.
Deshalb lauschte sie auf die Geräusche der Nacht und versuchte unter dem klaren Himmel, an dem ein Stern nach dem anderen aufleuchtete, Frieden für ihre wehe Seele zu finden.
Während ihre Augen, wie sie es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, hinauf zu den Hängen des Raffen glitten, die noch ein wenig heller schimmerten als die darunterliegenden Almweiden, meinte sie plötzlich, dort oben eine Bewegung wahrzunehmen.
Noch war der Himmel im Westen, wo die Sonne untergegangen war, von einem hellen Grau. Und für eine Sekunde erhob sich oben an den Felshängen die Silhouette eines Mannes gegen diesen hellen Streifen Himmel. Deutlich konnte Marthl den Rucksack erkennen.
Dann war das Bild wie eine Erscheinung verschwunden. Doch dem Madl war es, als kenne es die Gestalt dort oben auf dem Raffen!
Es war ein Umriß gewesen, der ihr vertraut war.
»Sepp!« hämmerte ihr Herz.
Doch gleich darauf packte sie der Zweifel. Gab ihr der Widerwille gegen den Bauernburschen den Verdacht ein? Und selbst wenn es Sepp war, den sie gesehen hatte, gab es nicht viele harmlose Gründe, die ihn dort hinauf geführt haben konnten?
Doch ihr Verdacht war geweckt und ließ sich nicht beschwichtigen.
Konnte es nicht sein, daß Sepp, der, wie sie gemerkt hatte, des öfteren heimlich heraufkam, der Wildschütz war? Erzählte man im Dorf nicht auch über den alten Stirnthaler allerhand wilde Geschichten?
Marthl mahnte sich selbst zur Besonnenheit. In ihrer Sorge um Johann durfte sie nicht über das Ziel hinausschießen und andere zu Unrecht verdächtigen!
Aber wenn sie recht hatte? War Sepp in seiner maßlosen Eifersucht nicht zu allem fähig? Hatte er nicht gedroht, den Jäger zu vernichten und mit seinem Triumph geprahlt?
Marthl mußte Klarheit haben. Doch allein konnte sie nichts ausrichten. Sie brauchte Hilfe!
Doch so sehr sie auch nachgrübelte, niemand wollte ihr einfallen, den sie darum fragen konnte.
Nur zu gut konnte sie sich vorstellen, welche Antworten man ihr im Dorf geben würde, wenn sie jemandem erzählte, daß sie nicht den Jäger, sondern den Stirnthaler-Sepp für den Wildschützen hielt, der zudem auch noch absichtlich den Verdacht auf den Jäger gelenkt haben sollte.
Man würde sie bestenfalls mitleidig anschauen, sie, die sich an einen Frevler gehängt hatte und sich nicht damit abfinden wollte. Beißender Spott und Hohn würden sie empfangen.
Nein, niemand würde ihr zur Seite stehen. Sie war ganz auf sich allein gestellt!
Mutlos ließ Marthl den Kopf auf die Brust sinken. Schwach und hilflos fühlte sie sich in diesem Augenblick.
Doch dann hob sie trotzig den Kopf und strich sich energisch eine blonde Locke aus der Stirn. War das ihre Liebe? Gab sie so schnell auf und ließ Johann im Stich, der vielleicht unschuldig in seiner Zelle saß?
Ein kühner Gedanke schoß durch ihren Kopf. Einer im Dorf hatte ihr Hilfe angeboten: der Stirnthalerbauer. Aber würde er auch zu seinem Wort stehen, wenn es vielleicht gegen den eigenen Sohn ging?
»Ich muß es wagen!« rief Marthl laut in die Finsternis, um sich selbst Mut zu machen. »Mehr als mißlingen kann der Versuch net, und schlimmer als jetzt kann’s gar nimmer werden. Wahrscheinlich wird er mich fortschicken, doch ich muß es wagen. Es ist die einzige Möglichkeit, die mir noch bleibt!«
Marthl zögerte keinen Augenblick. Wenn sie wirklich Sepp oben am Gipfel gesehen hatte, mußte der alte Stirnthaler allein daheim sein, und sie konnte ungestört mit ihm sprechen, denn so bald würde sein Sohn nicht von seinem ungesetzlichen Treiben heimkehren.
Die Mondsichel lugte über die Berggipfel. Wo ihr Licht nicht ausreichte, nahm Marthl die Handlampe zu Hilfe, die sie zur Vorsicht mitgenommen hatte.
Sie lief, so schnell es das schwache Licht zuließ, denn plötzlich schien ihr die Zeit zu drängen.
Im Dorf brannten nur noch wenige Lichter, als sie um die letzte Kehre des Bergpfades bog. Hoffentlich war der Stirnthaler noch nicht zu Bett gegangen!
Als Marthl vor dem prächtigen Hof stand, wurde ihr das Ungeheuerliche ihres Tuns erst recht bewußt. Sie zögerte und wäre am liebsten umgekehrt.
Doch der Hofhund hatte sie erkannt und sprang ihr freudig bellend entgegen.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet.
»Ruhig, Hektor! Wer kommt denn da noch so spät?«
Der alte Stirnthaler spähte in die Dunkelheit hinaus. Dann entdeckte er Marthl, die unschlüssig im Hof stand.
»Marthl!« rief der Alte erschrocken. »Ist was geschehen? Bist krank oder hat’s ein Unglück auf der Alm gegeben?«
Er zog sie besorgt ins Haus.
»Mei, du bist ja ganz blaß. So rede doch!« Er schüttelte sie ein wenig.
»Ich muß mit dir reden, Bauer!« preßte Marthl hervor.
»So! Da setz dich nieder, und dann fang an!« befahl der Alte und deutete auf die Ofenbank.
Marthl fehlten plötzlich die Worte, die sie sich unterwegs zurechtgelegt hatte, und sie wußte nicht, wie sie beginnen sollte.
»Also, was ist?« Der Alte wurde ungeduldig.
»Ist Sepp net da?« fragte Marthl bang.
Aufmerksam starrte der Stirnthaler ihr ins Gesicht. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
»Nein, er ist net da. Er ist in letzter Zeit selten daheim«, murmelte er, mehr zu sich selbst.
Da nickte Marthl beklommen. Fast hatte sie diese Antwort erwartet. Sie nahm allen Mut zusammen.
»Ich glaub, dein Sohn ist der Wildschütz und net der Jager, den alle dafür halten«, stieß sie hervor.
Der Alte lächelte.
»Glaubst du? Und wenn’s so wäre?«
»Dann wär’s eine Schand!« ereiferte sich Marthl. »Es mag ja angehen, daß mal einer ein Stückl für den Braten schießt, aber Murmeltiere mit der Schlinge fangen, das geht zu weit. Das ist feig und hinterhältig und gehört bestraft.«
»Hm«, brummte der Bauer. »Warum kommst ausgerechnet zu mir? Hast denn noch nie gehört, was man im Dorf über mich redet? Das ist zwar alles längst vorbei, denn jetzt bin ich alt. Aber es liegt halt im Blut.«
»Du bist offen zu mir, also will ich auch ehrlich mit dir sprechen«, fuhr Marthl mit zitternder Stimme fort. »Es ist net nur wegen der Wilddieberei. Ich bin sicher, daß der Sepp dem Johann eine Falle gestellt hat, damit der Jäger als Wildschütz eingesperrt wird.«
Die Faust des Alten krachte auf den Tisch, und Zorn umwölkte seine Stirn. Marthl zuckte erschrocken zurück. Sie selbst hatte das Donnerwetter, das nun folgen mußte, heraufbeschworen!
Doch der Stirnthaler beherrschte sich.
»Warum sollte mein Sohn so etwas tun?« fragte er.
»Das weißt du besser als jeder andere, Stirnthaler«, gab Marthl tapfer zurück.
»Ach so! Du meinst, weil er wegen dir eifersüchtig ist!«
Die Augen des Alten verengten sich. In seinem faltigen, gegerbten Gesicht arbeitete es. In der Stube herrschte beklemmendes Schweigen. Das Madl wagte kaum zu atmen.
Plötzlich, nach einer schier endlosen Zeit, begann der Alte wieder zu sprechen. Wie ein Donnergrollen klang seine Stimme.
»Wenn du recht hast, Madl, ist’s eine Lumperei, die ich net dulden kann. Mag einer des Nachts einmal heimlich ein Stückl schießen – wer könnte das besser verstehen als ich? Ob’s nun mein Sohn ist oder ein anderer. Doch auch ein Wildschütz hat Ehr! Schlimm genug ist’s, wenn er die Schlinge benutzt statt den Stutzen. Doch wenn er einen anderen, Unschuldigen, in Verdacht bringt, dann Schand über ihn!«
»Dann glaubst also auch, daß ich recht hab’?« stieß Marthl ungläubig hervor.
»Unmöglich ist’s net. Ich kenne meinen Sohn und sein hitziges Temperament. Auch mir erschien einiges an seinem Verhalten recht seltsam, und ich habe mir meine Gedanken gemacht«, gab der Stirnthaler zu.
»Dann wirst mir also helfen?« Noch konnte Marthl nicht daran glauben!
»Gnade dir Gott, Dirndl, wenn du zu Unrecht mein Herz mit einem Verdacht gegen den eigenen Sohn vergiftet hast!« grollte der Alte. »Doch ich muß wissen, ob Sepp feige und hinterhältig einen Unschuldigen angeschwärzt hat. Wenn er das wirklich getan hat, dann will ich nix mehr von ihm wissen!«
»Jessas, Bauer«, flüsterte Marthl, erschrocken über das, was sie mit ihren Worten ins Rollen gebracht hatte.
Mit festem, hartem Blick schaute sie der Alte an.
»Geh jetzt heim, Sennerin«, befahl er. »Morgen in der Früh hast Arbeit auf der Alm. Aber sei sicher, daß ich mich um Sepp kümmern werde!«
Stumm nickte Marthl. Die Worte versagten. Furcht vor dem, was geschehen würde, wenn sie Unrecht hatte, mischte sich mit Hoffnung, daß für Johann doch noch alles gut wurde.
Sie spürte, wie Tränen aufsteigen wollten. Deshalb wandte sie sich hastig um und lief in die Nacht hinaus. Sie wollte jetzt stark sein!
Grimmig sah ihr der alte Stirnthaler nach. Niemand konnte ermessen, was in dieser Nacht in ihm vorging!
*
Noch nie war Marthl ein Tag so quälend langsam vergangen wie der folgende. Die Stunden schleppten sich nur so dahin. Über allem stand bleiern ein fahlgrauer Himmel.
Sie war so voller Unruhe, daß ihre Hände zitterten. Zu allem Überfluß hatte sie auch noch den Melkeimer umgestoßen. Nichts wollte gelingen!
Wenn sie nur gewußt hätte, was der alte Stirnthaler vorhatte!
Als habe er ihre Gedanken gespürt, stand er plötzlich in der Abenddämmerung schwer atmend von der Anstrengung des Aufstiegs auf der Alm. Aufmerksam sah er sich um.
»Bauer!« rief Marthl überrascht. Sie hatte erwartet, daß er seinen Sohn zur Rede stellte, aber nicht, daß er in seinem Alter den Aufstieg wagte.
»Siehst, ich steh zu meinem Wort«, brummte er. »Jetzt werd ich hinaufkraxeln zu den Murmeltieren, und dann werden wir sehen!«
»Da hinauf? Aber das kannst du net!« rief Marthl besorgt.
»Und ob ich kann. Ich will Klarheit haben. Ich will nur hoffen, daß der, den du heroben gesehen haben willst, heute wiederkommt.«
»Dann geh ich mit dir!« rief Marthl entschlossen.
»Das ist nix für ein Weiberleut«, gab der Bauer barsch zurück.
»Du bleibst da! Vielleicht wird’s gefährlich, denn wenn wirklich ein Wildschütz sich dort oben herumtreibt, hat er auch einen Stutzen. Das ist eine Sache für Mannsbilder.«
Marthl schwieg dazu und ließ ihn gewähren. Doch heimlich beschloß sie, ihm zu folgen. War es nicht vor allem ihre Sache, was dort oben bei den Murmeltieren geschah? Wenn überhaupt etwas geschehen würde!
Es war schließlich sehr fraglich, ob der Mann, dessen Umriß sie gestern abend gesehen hatte, wiederkehren würde! Wenn es nun ein harmloser Bergwanderer gewesen war!
Nicht auszudenken, wie peinlich es sein würde, wenn sich der Stirnthaler plötzlich auf einen Unbeteiligten stürzen würde!
Rasch schob Marthl ihre Zweifel beiseite und gab sich gefügig.
»Schon recht, Bauer«, beschwichtigte sie ihn.
Dann sah sie dem Alten nach, wie er sich überraschend geschickt für sein Alter an den beschwerlichen Aufstieg zu den Felshängen machte.
Als sie sicher war, daß er nur noch auf den Aufstieg achtete, machte sie sich selbst daran, den Spuren des Stirnthalers zu folgen.
Blutigrot färbten die letzten Strahlen der untergehenden Sonne den Gipfel des Raffen, während sogar schon die Alm im Schatten lag.
Aus dem Tal tief unten kroch die Nacht unaufhaltsam herauf.
Marthl verbarg sich hinter einem Felsbrocken und sah, wie auch der Alte sich ein Versteck suchte.
Die Murmeltiere hatten sie längst erspäht und hatten sich in ihre Höhlen zurückgezogen.
Es war totenstill auf dem Gipfel des Raffen. Nichts verriet, daß zwei Menschen reglos und gespannt warteten.
Ein kühler Wind machte sich auf und kündete schon davon, daß bald auch das Licht hier oben auf dem Berg schwinden würde. Unaufhaltsam wanderten die violetten Schatten bergan, griffen nach den felsigen Abhängen und eroberten unaufhaltsam Stück für Stück des mächtig aufragenden Gipfels.
Warteten sie umsonst?
Doch plötzlich ein Geräusch, als habe jemand einen Stein losgetreten!
Marthl hielt in ihrem Versteck den Atem an. Kam der Wildschütz, um seine Beute zu holen? Hatte er noch immer Schlingen für die Murmeltiere aufgestellt, jetzt, wo er sich unbeobachtet wähnte?
Vorsichtig spähte das Madl um die Kante des Felsbrockens. Erschrocken zuckte es zurück.
Eine Gestalt kam über die Felshänge und glitt zielstrebig auf die Höhlen der Murmeltiere zu.
Jetzt bückte sie sich, machte sich dort zu schaffen. Marthl konnte nicht sehen, was der Mann dort tat, aber sie hatte ihn erkannt!
Nun richtete er sich auf und hielt ein totes Murmeltier in der Hand. Der Rucksack glitt von den Schultern.
»Sepp!« Wie ein Aufschrei hallte die Männerstimme über die Felsen. Der Mann mit dem Murmeltier fuhr zusammen.
»Vater!« Fast unhörbar kam es über seine Lippen. Er glaubte, den Ruf eines Geistes vernommen zu haben.
»Bist ein Feigling, Sepp!« fuhr der Alte unerbittlich fort und erhob sich jetzt aus seinem Versteck. »Das hab’ ich dich net gelehrt, die Schlinge zu benutzen. Auch ein Wildschütz sollte ehrlich mit dem Stutzen jagen.«
Sepp hatte sich wieder gefaßt.
»Was tust du heroben?« fragte er. »Ich hab’ geglaubt, du bist zu alt für so etwas. Oder willst mir gar helfen?«
Unverkennbar war der Spott in der Stimme des Jungen, mit dem er die Furcht übertönen wollte, die ihn beim Anblick seines Vaters ergriffen hatte.
Er konnte sich nicht erklären, was der hier oben wollte, aber ihm schwante nichts Gutes.
»Schweig!« herrschte ihn der alte Stirnthaler an. »Sag mir, deinem Vater, nur eins. Hast du den Verdacht auf den Jager gelenkt?«
Die Augen des Burschen flackerten unstet. Gehetzt sah er sich um.
»Na und?« schrie er zurück. »Was ist denn dabei? Er hat’s net anders verdient. Ja, wenn du’s wissen willst! Ich hab’ ihm zum Schein ein Angebot in der Klamm gemacht und hab’ mit Alfons und dem Wirt alles geplant. Es war Absicht, daß der Wirt sich mit ihm auf dem Kirchplatz gezeigt hat.«
»Und die Murmeltiere?« Die Stimme des Alten klang heiser.
Sepp lachte gellend.
»Ja, das war schlau!« schrie er voller Triumph. »Das hat ihm den Rest gegeben. Ich laß mir doch von so einem net das Geschäft verderben und das Madl ausspannen! Ich hab’ ihm hier heroben eins über den Kopf gegeben, aus seinem Stutzen geschossen und dann das tote Murmeltier hingelegt. Auch in seinem Haus hab’ ich eins versteckt!«
Schauerlich hallte das Lachen des Burschen über die Felshänge. Die Schatten krochen jetzt auch zum Gipfel hinauf und löschten das letzte Tageslicht aus. Die graue Dämmerung überwältigte alles.
»Schande über dich!« Wie ein Fluch hallten die Worte des Alten. »Hast du denn gar kein Ehrgefühl? Gut, es liegt dir im Blut, ein Wildschütz zu sein. Dafür kannst du nix, und das seh ich dir nach. Weiß eh, wie das ist! Aber das andere, das ertrag ich net! Schäm dich, deinem Vater das anzutun. Einen Unschuldigen absichtlich hinter Gitter zu bringen.«
»Das sagst du mir, mein Vater?« Die Stimme des Stirnthaler-Sepp überschlug sich.
»Das sag ich dir, und noch mehr! Mit dir will ich nix mehr zu schaffen haben. Laß dich bei mir nie mehr blicken, du Ehrloser. Und schau, daß du dein Unrecht wiedergutmachst. Das erwarte ich von dir!« Hart wie Stahl klangen die Worte des Alten.
»Daß ich net lache. Du bist wohl narrisch geworden, Alter!«
Etwas unsicher klangen die Worte des Burschen. Noch konnte er nicht ganz begreifen, daß ihn der eigene Vater von der Höhe seines Triumphes hinabstürzen wollte.
Was faselt der Alte von Ehre? Was hatte ein Wildschütz mit der Ehre zu tun? Sepp wollte sich sonnen im Gefühl seiner Macht.
Er hatte es dem Jäger heimgezahlt, hatte sich auch an Marthl für das gerächt, was er für ihren Verrat hielt.
Und jetzt wollte sein Vater ihm Vorschriften machen?
»Steig ab, Alter, das hier ist nix mehr für dich. Misch dich net ein in Dinge, die dich nix angehen. Jetzt bin ich an der Reihe.«
»Den Teufel werd ich tun!« brüllte der Alte. »Wenn du dich net selbst stellst und alles aufklärst, werd ich es tun!«
»Das wirst du net!«
Wie eine Welle schoß dem Stirnthaler-Sepp das Blut in den Kopf, sein aufbrausendes Temperament riß alle Vernunft und allen Verstand mit sich hinweg.
»Du wirst mich net dran hindern!« gab der Alte zurück.
»Bleib stehen, sonst werd ich dich hindern!« Eine tödliche Drohung schwang in den Worten des Burschen mit. Er riß unbeherrscht den Stutzen von der Schulter und legte an.
»Sepp!« schrie Marthl auf, die von ihrem Versteck aus alles atemlos mit angesehen und -gehört hatte.
Den Stutzen im Anschlag, fuhr der Bursch herum. Wie von selbst krümmte sich der Finger am Abzug.
Ein Schuß zerriß die Abendstille auf dem Gipfel des Raffen.
Marthl stand wie gelähmt. Die Kugel pfiff an ihr vorbei. Im schwachen Licht hatte Sepp sein Ziel verfehlt.
Doch plötzlich schrie er auf. Die Kugel war von einem Felsbrocken abgeprallt und hatte ihn selbst in den Leib getroffen!
»Zur Hölle mit euch allen!« schrie er und wollte den Stutzen noch einmal hochreißen, doch er entfiel seinen Händen.
Sepp brach zusammen, die Hände auf den Leib gepreßt. Dunkel quoll das Blut hervor.
Sofort waren Marthl und der Vater bei ihm.
»Lauf und hol Hilfe!« befahl der Alte mit einer Stimme, die Marthl kaum wiedererkannte.
So schnell sie konnte, stolperte sie bergab. Im Almhäusl nahm sie die Lampe. Und doch schien es ihr endlos, bis sie bleich und verstört im Dorf Bruchstücke davon berichten konnte, was oben am Raffen geschehen war.
Den Männern, die sich sofort mit einer Trage auf den Weg machten, bot sich auf dem Gipfel ein erschütterndes Bild.
Sie kamen zu spät. Zusammengesunken beugte sich der Stirnthaler-Magnus über seinen toten Sohn.
Über diese letzte Stunde, die er mit seinem Buben verbracht hatte, kam nie ein Wort über seine Lippen.
Wie in einem schweren Traum folgte er später den Lichtern des kleinen Zuges bergab, um seinen Sohn zum letzten Mal heim auf den Stirnthalerhof zu begleiten.
*
Marthl hatte eine schlaflose Nacht auf der Alm verbracht. Lebhaft standen ihr noch die schrecklichen Ereignisse vor Augen. Nickte sie ein wenig ein, dann gellte der Schuß durch ihren Schlummer und ließ sie hochfahren.
Kaum hatte sie am nächsten Tag die Tiere versorgt, da hielt es sie nicht mehr oben am Berg.
Sie mußte ihre Aussage machen über das, was am Abend geschehen war. Und dann…
Sie wagte nicht weiterzudenken.
Mit zitternden Knien betrat sie die Gendarmerie, um alles zu Protokoll zu geben. Freundlich und mitfühlend halfen ihr die Gendarmen, wenn die Worte versagen wollten.
Schließlich nickte der jüngere von ihnen.
»Du hast alles bestätigt, was der Stirnthaler-Magnus uns schon berichtet hat. Der Gamskricklwirt und Alfons werden uns einiges zu sagen haben. Damit gibt es wohl keinen Zweifel mehr, daß der Jäger unschuldig ist!«
Wie betäubt saß Marthl auf ihrem Stuhl. Mit Verspätung drang der Sinn der Worte in ihr Bewußtsein.
»Dann ist Johann… frei?« stammelte sie.
»Freilich!«
Kaum nahm Marthl wahr, wie die Arrestzelle aufgeschlossen wurde.
Sie fand sich wieder, als sie draußen im hellen Sonnenschein in den Armen Johanns lag, die sich fest und beschützend um ihre Schultern schlossen.
»Komm, laß uns von hier fortgehen!« flüsterte er. »Hier gibt’s zu viele neugierige Augen und boshafte Leut!«
Der junge Jäger nickte stumm. Hand in Hand stiegen sie bergauf, und mit jedem Schritt, den er emporstieg, ließ Johann ein Stück Verbitterung über all die Schande, die er zu Unrecht erlitten hatte, hinter sich.
Über sich sah er den blaue Himmel, tief unten das Tal, wo man ihn eingesperrt hatte.
Johann zog Marthl an sich.
»Dir hab’ ich zu verdanken, daß ich frei bin«, murmelte er ergriffen, nachdem sie ihm alles erzählt hatte. »Allein deinem Mut und deiner Tapferkeit.«
Verlegen wehrte Marthl ab.
»Es hat einen Augenblick gegeben, da hab’ auch ich an dir gezweifelt«, gestand sie.
Johann nickte.
»Willst mir jetzt den Grund verraten?«
»Es war, weil du vom Dazuverdienen gesprochen hast«, gestand sie beschämt. »Da hab’ ich geglaubt, du meinst den Wildfrevel. Aber später, als ich dich bewußtlos gefunden hab’, da war es mir gleichgültig. Da hab’ ich nur noch gespürt, daß ich dich liebe. Und da war auch aller Zweifel an dir verflogen.«
»Du Dummes!« Johann küßte zärtlich ihr Haar. »Ich hab’ gemeint, daß ich im Herbst und im Winter im Holz schaffen kann, wenn es net so viel Arbeit gibt.«
Marthl lachte befreit auf.
»Nun ist alles vorbei«, flüsterte sie glücklich. Plötzlich wurde sie ernst. »Gewiß wirst du net als Jäger hier bleiben wollen, wo du so viel Böses erlebt hast und alle dich so abgelehnt haben.«
»Würdest du mit mir fortgehen und einen neuen Anfang machen?«
»Mit dir geh ich in die ganze Welt!« versicherte sie mit strahlenden Augen.
»Dann sollst bald im Jägerhäusl Einzug halten. Jetzt, wo alles aufgeklärt ist, wird mich der Jagdherr wieder einstellen. Davon bin ich fest überzeugt. Und auch im Dorf werden sich alle ihrer Vorurteile schämen. Sollst sehen, für uns wird es in Zukunft nur Freundschaft und Glück geben«, sagte er.
»Wenn wir nur weiter zusammenhalten«, bekräftigte Marthl.
Dann hatten ihre Lippen anderes zu tun, als zu reden.
Über ihnen zogen Adler ihre Kreise, und oben an den Felshängen des Raffen stellte sich der alte Murmeltiergroßvater auf die Hinterpfoten, um zu sehen, was die beiden Menschen dort unten machten.
Er war der erste Zeuge ihres Glücks.