Читать книгу Fairytale gone Bad 4: Die Schwefelbraut - M. H. Steinmetz - Страница 6

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Five Points

Five Points ohne Schuhe zu betreten, war schon im Sommer ein verrücktes Unterfangen. Wohin man sah, lagen zerschlagene Flaschen oder aus verfaulten Dachstühlen gesplittertes Holz, in dem rostige Nägel staken, im Dreck, den man kaum als Straße bezeichnen konnte. Es stimmte wirklich, die Gebäude um Five Points alterten schneller als üblich. Wie das Leben, das sich hier schnell verbrauchte, und feiste, vom Branntwein aufgedunsene Gesichter auf dürren Leibern produzierte, die weit vor ihrer Zeit vom Straßenschlamm verschlungen wurden, um selbst zu Schlamm zu werden. Hells Kitchen war ein Moloch des Abschaums, der alles nahm, aber niemals gab, und Five Points war das verdorbene Herz, das keine Wärme kannte.

Im Winter war der Schlamm hartgefroren, was es keineswegs besser machte. Wo warme, aber verbrauchte Luft aus Tavernen, Garküchen oder Wäschereien sickerte, bildete sich weicher, schmieriger Schlick, der nach Scheiße stank. Abgemagerte Hunde scharten sich um die warmen Plätze, um diese zähnefletschend zu verteidigen.

Bredicas Füße wurden vom Frost gefressen. Erst zwickten sie, als würde ihr jemand Nadeln in die Fußsohlen stechen. Ein unangenehmes Kribbeln erwachte, das ihre Beine emporkroch und die Knie in kalte Knorpelscheiben verwandelte, die bei jedem Schritt zu brechen drohten. Schmerz wandelte sich in eiskalte Taubheit, die ihre Füße gefühllos machte. Es war kaum auszuhalten.

»Der Fluch der schwarzen Mutter soll dich treffen, Marty Brennan«, knurrte Bredica voller Zorn, weil sich ein scharfer Splitter durch ihre Haut bohrte und dabei den Strumpf zerriss.

Einen der Schwefelholzbündel hebe ich mir für dich auf, du gewissenloser Bastard. Ich werde warten, bis du nicht damit rechnest, bis du dich in deiner beschissenen Selbstgefälligkeit nach hinten lehnst ...

Die Flammen werden dich verzehren mit Haut und Haar!

Die Zähne zusammenbeißend folgte sie von Hass und Schmerz getrieben ihrem Weg, der sie ohne Umweg zum irischen Zentrum in der Mulberry Street führte. Sie musste vorsichtig sein, denn solche wie sie, die aus der Alten Welt stammten, waren hier nicht gerne gesehen. Als sie nur noch eine Häuserecke vom großen Platz trennte, auf dem ein provisorischer Galgen errichtet war, hielt sie inne. Das Zentrum der Iren war eine alte, stillgelegte Fabrik, in der noch vor wenigen Jahren irische Frauen Wolle zu Putzlappen sponnen. Es kam der Krieg, und der Bedarf an Lappen wich dem an Uniformen, die man woanders billiger fertigen konnte. Die Maschinen wurden abgebaut. Zurück blieben die Frauen, die ihre Familien nachholten. So entstand das irische Zentrum, eine in sich geschlossene Stadt innerhalb des Molochs.

Den Galgen hatten die Natives nach dem Brandanschlag errichtet, als Mahnmal, das die Iren daran erinnern sollte, welche Gesetze in Hells Kitchen galten. Genutzt hatte es wenig.

Die Iren jedoch, die sich Dead Rabbits nannten und gerne tote Hasen an Türen nagelten, um ihre Ansprüche geltend zu machen, die knüpften in der ersten Nacht einen der Bowery Boys auf, nackt und mit durchgeschnittener Kehle. Seither galt der Platz vor der Fabrik als Kriegsgebiet.

Bredica rieb sich die vor Kälte brennenden Füße und dachte nach. Wenn sie an Dirty Annie herankommen wollte, musste sie den Platz überqueren. Sie war der Schlüssel zur einzigen Spur, die sie hatte.

Die Gaslaternen, die den Platz wie ein glimmender Ring umgaben, tauchten die dunstige Fläche in dämmriges Licht. Abgesehen von ein paar Eckenstehern war der Platz leer. Also atmete Bredica tief durch, schulterte den Sack, und lief mit klopfendem Herzen über den Galgenplatz zum Eingang, an dem sich die irischen Schläger tummelten.

»Ey, du da!«, rief sie einem entgegen. Er war groß gewachsen und trug wie die meisten im Viertel eine wollene Jacke, die an den Ärmeln geflickt war. »Was treibst’n dich hier rum, hä!«

»Is’ die scheiß Hexe mit dem Sack«, feixte ein kleinerer, der das zerschlagene Gesicht und die Knollennase eines Boxers hatte. »Hab die schon öfters gesehen, nich’ hier allerdings.«

Bredica blieb vor den beiden stehen, musterte sie mit kaltem Blick. »Eine da drin hat was bei mir bestellt. Dirty Annie ist ihr Name!« Es war nicht leicht, das Klappern ihrer Zähne zu unterdrücken, weil ihr Körper inzwischen einem Eiszapfen glich. Das Knurren ihres leeren Magens jedoch, das war überdeutlich zu vernehmen.

»Hast wohl Hunger, hm?«, meinte der Lange. »Geh’n euch Polacken wohl die Ratten aus, hä?« Sein Atem stank nach Mundfäule und billigem Fusel.

Bredica dachte an die Schwefelholzbündel und daran, eines zu entzünden, um die Männer gefügig zu machen. Doch ihre Hände bestanden aus purem Eis und die Finger konnte sie nicht krümmen. Sie musste dringend ins Warme, damit das Leben in ihren Leib zurückkehrte und ihr die Füße nicht von den Beinen froren.

Also lächelte sie den stinkenden Bastard an. »Würd sonst was tun für ein warmes Essen ... vielleicht ...« Sie zwinkerte ihm vielversprechend zu. »… könnte ich mich um dich kümmern, wenn ich mit Dirty Annie fertig bin.«

Sie hatte dieses Spiel oft gespielt und wusste, dass es ein Tanz auf der Klinge war. Wohl wissend, dass ihr bleiches Gesicht mit den leuchtend roten Lippen auf solche Kerle verführerisch wirkte, weil ihre Haut rein war wie frisch gefallener Schnee. Sie war der pure Gegensatz zu den verbrauchten Huren in Five Points, deren Gesichter unter der dicken Schminke wie clownhafte Fratzen wirkten.

»Du baust keine Scheiße!«, drohte ihr der Boxer, »sonst ...« Er zog ein Messer, das jedem Schlachter zur Ehre gereicht hätte, und legte es ihr zwischen die Beine. »Sonst schneide ich dir das weiche Fleisch aus der Spalte und werf es meinem Köter zum Fraß vor!«

Dem Langen klaffte der Mund zu einem Lächeln, entblößte braune Grabsteine, die windschief im Kiefer staken. »Lass sie, die knöpf ich mir nachher vor.« Seine Worte unterstreichend, griff er sich in eindeutiger Geste in den Schritt. »Hoff, du bist sauber!«

»Wie frisch gefallener Schnee, Süßer«, hauchte Bredica und schlüpfte zwischen den beiden hindurch durch das Tor, an dem ein steifgefrorener Hasenbalg festgenagelt war.

Was sie über die Fabrik wusste, basierte auf Gerüchten, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte. Die einen behaupteten, dass es ein riesiges Hurenhaus sei. Andere wiederum, dass es sich um eine Kirche handeln würde, in welcher die Iren kniend um himmlischen Beistand flehten. Wieder andere sprachen von Gängen und Schächten, welche die Iren in die Tiefe gegraben hätten, um zu leben wie ihre Vorfahren.

Die Ernüchterung schlug Bredica mit feuchtwarmer Luft ins Gesicht, holte ihren unterkühlten Körper kribbelnd ins Leben zurück. Der Wechsel von der bitterkalten Nacht in die drückend warme Tavern machte ihren Atem in der Lunge schmerzend. Die Fabrik war all das und noch viel mehr.

Unzählige Laternen erleuchteten eine Halle, an deren Wänden sich aus Holz gebaute Etagen empor schraubten, erfüllt mit Leben, dem Lachen rauer Säuferkehlen und überdrehtem Kindergeschrei. Direkt über ihr das Trampeln tanzender Füße. Staub rieselte auf sie herab, brannte ihr in den Augen. Dazu, natürlich, das Gedudel irischer Musik, die Bredica für einen unachtsamen Moment in ihren Bann zog. Sie stellte sich vor, einfach davonzutreiben. Den Mantel abzulegen und in der durchdringenden Wärme zu baden.

Sie sah an sich herunter und ballte die auftauenden Hände zu Fäusten, dass sich die Knöchel weiß unter der Haut abbildeten. Sie war eine schwarzgefiederte Krähe umgeben von rothaarigen, in orangerotes Licht getauchten Kobolden.

Dirty Annie, dröhnte es im Takt der Musik in ihrem Kopf. Finde sie ...

Ohne auf die Menschen zu achten, die an ihr vorbeieilten, sie manchmal anstießen oder mit einem Fluch belegten, nahm sie den Sack von der Schulter und griff hinein, um ein Bündel Schwefelhölzer hervorzuziehen. Die würden ihr helfen, Marty Brennans Freundin zu finden.

Während ein Schlachter Fleisch klopfte und rothaarige Huren meckernd lachten, während grimmig dreinschauende Männer ihre Äxte und Messer für das nächste Stechen schliffen, beugte sie sich über die Schwefelhölzer und murmelte einen finsteren Zauber. Zischend entflammte sich das gelbe Pulver beim letzten geflüsterten Wort.

Die Umgebung versank hinter einem unscharf gezeichneten Schleier. Die Geräusche wurden dumpf, zerflossen zu bedeutungslosem Brei.

»Dirty Annie«, flüsterte Bredica. Ein Weg zeichnete sich in einer in den Augen schmerzender Schärfe vor ihr ab, dem sie, ohne zu zögern folgte. Der führte sie durch das Treiben unbemerkt hindurch und eine hölzerne Treppe hinab, dann eine weitere, bis es keine Treppen mehr gab, sondern nur noch aus dem Lehm geschabte Gänge. Verwundert folgte sie dem gewundenen, mit warmer Luft erfülltem Weg, der nach wie vor in die Tiefe führte.

Unter die Erde ...

Fairytale gone Bad 4: Die Schwefelbraut

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