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Die Fahrgeschwindigkeit des Schiffs

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Die Sache begann so: Sie liess ihre Börse fallen, und er fing sie im Fallen auf. Aber nun darf man nicht gleich denken, dies sei der Anfang einer Liebesgeschichte. O nein, die Dame war zwar jung und hübsch, trug aber schon einen Ehering am Finger, und der Herr war wohlbeleibt und seelenruhig und hatte die erste Jugend hinter sich.

Sie standen nebeneinander auf dem oberen Promenadedeck des grossen Dampfers „Titania‚, der in der grauen Morgendämmerung, einem sich leise fortbewegendem Eiland ähnlich, zwischen den vielen Schiffen hindurch ruhig aus dem Hafen von New York hinausfuhr. Über Meer und Himmel breitete sich ein leichter Nebel, der allem ringsum eine mattgraue Farbe verlieh, und die gewaltige Statue der Freiheit hob sich über der stillen Wasserfläche von dem noch helleren Grau des Himmels ab wie eine schöne graue Radierung. Hoch oben in der emporgestreckten Hand der kolossalen Gestalt schimmerte das Leuchtfeuer durch den Nebel. Langsam nahm die Morgenhelle zu, der graue Nebel wurde weiss, und die Dämmerung wich dem Lichte. Im Osten schimmerten die Wolken jetzt in hellem Glanze, und plötzlich tauchte der blutrote Rand der Sonne über dem Wasser auf.

Und gerade in diesem Augenblick entfiel der hübschen Frau Eyre, als sie sich über die Reling beugte, der Geldbeutel; und Herr Rhondel fing ihn mit einem Griff, gleich dem Stoss eines Falken, einen halben Meter von ihrer Hand auf.

„Ich spiele Kricket,‚ erklärte er seine Geschicklichkeit, als er den Beutel seiner schönen Eigentümerin zurückgab.

„Vielen Dank,‚ sagte sie. „Das haben Sie fein gemacht. In dieser Börse waren fünfhundert Dollar auf dem geraden Wege zum Meeresgrund, als Sie dazwischen kamen und sie auffingen. Aber sehen Sie nur, ist das nicht grossartig?‚ — Sie deutete mit ihrer kleinen Hand auf die rotleuchtende Sonne. — „Ja, die Sonne versteht es, Leben in die Welt zu bringen.‚

„Sie machen wohl diese Reise zum erstenmal?‚ fragte Herr Rhondel, ohne von dieser Gelegenheit, sich über die Eigenschaften der Sonne auszusprechen, Gebrauch zu machen.

„Ja freilich, Bob und ich reisen zum erstenmal in die alte Heimat.‚

„Sie stammen wohl aus Irland?‚

Dies war ein gewagter Schuss.

Die kaum dem Mädchenalter entwachsene junge Dame war der Typus einer echten Amerikanerin, gross, schlank, graziös, mit einer hübschen Kopfhaltung, und wenn sie sprach, konnte man in ihrer Stimme, wenn auch nicht sehr auffallend doch ganz deutlich die bekannte Klangfarbe der Amerikaner wahrnehmen, die so angenehm klingt, wenn sie von reizenden Lippen tönt. Aber trotzdem ging der Schuss den rechten Weg und traf ins Schwarze, und die vergissmeinnichtblauen Augen wurden plötzlich dunkel wie Veilchen.

„Ob ich aus Irland stamme? Ja natürlich und Bob auch. Mein Grossvater mütterlicherseits ist zwar schon in den vierziger Jahren herübergekommen; aber Bob ist durch und durch Irländer. Ein Irländer vom Scheitel bis zur Sohle! Horch, ist das nicht die Frühstücksglocke? Kommen Sie doch mit mir! Wir wollen uns zusammensetzen, wir drei. Ich will es gleich beim Steward in Ordnung bringen. Mein Alter wird Ihnen sicher gefallen.‚

Sie brachte es auch in Ordnung, und bald sass Herr Rhondel an dem reichbesetzten Frühstückstisch neben der jungen Frau. An ihrer andern Seite sass ihr „Alter‚, ein hübscher, glattrasierter, etwa fünfundzwanzigjähriger junger Mann.

„Wo hast du denn gesteckt, Kitty? Schon seit anderthalb Minuten warte ich auf dich, und ich habe einen Wolfshunger,‚ sagte Bob, der sich schon während des Sprechens einen grossen Apfel schälte.

„Ich habe die Sonne aufgehen sehen und dabei aus Unachtsamkeit meinen Geldbeutel über die Reling fallen lassen.‚

„Wie schade!‚

„Reg’ dich nicht auf; es ist alles gut, Herr Rhondel hier fing ihn geschickt auf. Das ist also Bob, Herr Rhondel, Bob Eyre, mein Gatte. Ihr könnt euch hinter meinem Rücken die Hände schütteln.‚

Sie setzte sich bolzgerade, ganz dicht an den Tisch hin, und die beiden Herren drückten sich hinter ihrem Rücken die Hände, Herr Eyre mit einem bewundernden Blick auf den schöngeformten kleinen, von glänzenden, rotbraunen Flechten umrahmten Kopf.

„Versuchen Sie einen Bückling, Herr Rhondel,‚ sagte Bob. „Und dann ein Stück Filet, das ist die beste Grundlage für ein Frühstück. Willst du etwas Seezunge, Kitty?‚

Während des langen Frühstücks unterhielten sich die drei sehr gemütlich miteinander, und als sie aufstanden, waren sie schon die besten Freunde. Herr Rhondel schob seinen Schiffsstuhl neben Frau Eyre und machte gar kein Geheimnis aus seiner Bewunderung für die junge Frau. Bob Eyre ging auf Deck zum Wurfscheibenspiel; er hatte Quecksilber im Blut und konnte keinen Augenblick stillsitzen; sein Gehirn und seine Muskeln waren so voll rastloser Lebenskraft, dass er unaufhörlich etwas tun und etwas vorhaben musste.

Die Fahrgäste gewöhnten sich sehr rasch an das gleichmässige Leben an Bord, und so sassen am dritten Reisetage Frau Eyre und Herr Rhondel zu gewohnter Stunde in ihren Schiffstühlen auch wieder nebeneinander, während Herr Eyre sich am Scheibenwerfen beteiligte.

„Darf ich rauchen?‚ fragte Herr Rhondel.

„Natürlich. Im Munde eines andern liebe ich die Zigarre sogar, nur ich selbst rauche nicht einmal eine Zigarette; ich mag es nicht.‚

Sorgfältig suchte sie in ihrem Buch die Stelle auf, wo sie stehengeblieben war, und legte dann das Buch, Druck nach unten, auf die Decke, in die Herr Rhondel sie vorhin behaglich eingewickelt hatte.

„Sie sind der berühmte südafrikanische Millionär, — nicht wahr, Herr Rhondel?‚

„Man behauptet es.‚

„O, Sie brauchen nicht ärgerlich zu werden! Ich wollte Sie nur warnen, denn hier an Bord sind einige Bauernfänger; ich bin dem Doktor um den Bart gegangen, bis er es mir gesagt hat. Auf den paar letzten Fahrten haben die Schwindler so viele Tauben gerupft, dass jetzt die Gesellschaft einen Detektiv zum Aufpassen mitnimmt. Welcher der Herren aber dieser Detektiv ist, konnte oder wollte mir der Doktor nicht sagen. Meiner Ansicht nach ist es der Geistliche, der hochwürdige Herr Abel Lankin.‚

„Nein, nein, der gewiss nicht,‚ entgegnete Herr Rhondel.

„Aber ich hab’ ihn nun einmal im Verdacht. Sein Aussehen ist zu unschuldig, um natürlich zu sein. Sehen Sie sich ihn nur einmal an, dort steht er mit dem verrückten Frauenzimmer. Ist der nicht das reinste Schaf? Nun, ich hoffe nur, dass es ihm gelingt, die Betrüger zu entlarven.‚

Herr Rhondel schloss sich dieser Hoffnung an, und dann sprang die Unterhaltung der beiden von einem Gegenstand zum andern über. Ruhig zog indessen das mächtige Schiff — der grösste und schnellste Passagierdampfer der Welt — durch die Wogen dahin.

Offenherzig und rückhaltlos wie ein Kind gab sich Frau Eyre ihrer neuen Freundschaft hin. Sie erzählte dem Freunde nicht nur ihre eigene ganze Lebensgeschichte, sondern auch alles, was sie von ihrem Gatten wusste.

„Ich bin früher in New York Telephonistin gewesen,‚ vertraute sie Herrn Rhondel an. „Meine Eltern hätten mich zwar daheimbehalten können, aber ich wollte nicht. Als ich Bob kennen lernte, war er Wagenführer auf der Strassenbahn, und als wir heirateten, schon Inspektor. Unsre Hochzeitsreise machten wir an den Niagara, und zum Schluss erlaubten wir uns noch einen Aufenthalt im Hotel Manhattan — bis die Dollars zu Ende gingen. Da wir beabsichtigt hatten, uns in New York niederzulassen, waren wir eben auf der Suche nach einer kleinen Wohnung, als die Nachricht kam, die uns jetzt in die alte Heimat treibt.‚

„Welche Nachricht?‚ fragte Herr Rhondel, während er sich bedächtig eine neue Zigarre an dem glühenden Restchen der alten anzündete, das er dann über Bord in den Wellenschaum warf. Diese offenherzige, niedliche Frau fesselte ihn wirklich, und er stellte seine Frage nicht nur aus Neugierde.

„Ja, ja, für Sie ist diese Frage eine höchst einfache Sache. Sie können mit Leichtigkeit ‚welche Nachricht‘ fragen, die Antwort darauf ist aber für mich durchaus nicht so einfach. Ich verstehe die Geschichte ja selbst nicht und bin sehr im Zweifel, ob es bei Bob anders ist. Ganz langsam und mühselig habe ich die Erklärung Stück für Stück aus ihm herausschälen müssen wie den Kern aus einer Nuss, und dann blieben erst noch ein paar Restchen drinnen stecken. Sehen Sie, Bob war drüben in Irland ursprünglich Gutsbesitzer gewesen; aber dieser Besitz hatte ihm keinen roten Heller eingebracht. Sein jährliches Einkommen betrug beträchtlich weniger als nichts; so zog er in die Vereinigten Staaten und überliess die Verwaltung der Hypotheken seinem Rechtsanwalt.

Wie oft hatte er mir erzählt, er sei der erste seines Geschlechts, der je einen Pfennig selbst verdient habe. Dann hat der englische Kongress irgend einen Beschluss gefasst, wodurch der Wert des Grundbesitzes künstlich in die Höhe getrieben wird, und Bobs Grundstück ist dadurch plötzlich wertvoll geworden. Ich weiss nicht, wie sich alles zugetragen hat; aber die Pächter kauften das Land und der Staat bezahlte dafür; und Bob erhielt noch eine Gratifikation dafür, dass er überhaupt zu dem hohen Preise verkaufte.

Dann kaufte die Regierung, der Senat, das Haus der Lords, oder meinetwegen auch der König selbst — was weiss ich — Bobs Schloss und den angrenzenden Grundbesitz, der nicht verpachtet gewesen war. Aber nachdem sie es gekauft hatten, verkauften sie es wieder an Bob, jedoch zu einem niedrigeren Preise, als dafür bezahlt worden war, und machten ihm also mit dem Überschuss einfach ein Geschenk. In dem Brief von Bobs Rechtsanwalt war alles erklärt; ich habe zwar natürlich kein Wort davon verstanden, nur der Schluss war klar und deutlich: durch den schönen Handel bekam Bob bare fünfzigtausend Pfund, und das alte Schloss auf der andern Seite wartet nun auch auf ihn.

‚Wir wollen hinüber, Kitty,‘ sagte er zu mir. ‚Wir werden alle beide unsre Freude daran haben. Ich bin mit den Leuten drüben immer gut ausgekommen, wenn wir auch wegen des Pachtzinses manchmal verschiedener Meinung gewesen sind. Sie werden sich über meine Rückkehr aber doch freuen, und beim Anblick der Frau Kitty Eyre werden die Leute unsrer Gegend grosse Augen machen. Wir zwei wollen aber auch Leben in die Bude bringen. In Irland hält man fünfzigtausend Pfund für ein Vermögen. Ich will den Leuten zeigen, was ein Gut bewirtschaften heisst. Wenn man’s richtig angreift, kommt sicher etwas dabei heraus. Wir richten einen Hühnerhof und eine Milchwirtschaft ein, und du, Kitty, darfst nur wählen, welches von den beiden du übernehmen willst; aber ich wette gleich hundert Dollar, dass meine Einnahmen die deinen am Jahresschluss weit übersteigen.‘ Nun, die Wette habe ich angenommen, nun heisst’s Hühnerkorb gegen Milchkanne. Meine Hühner sollen gewinnen, das ist beschlossene Sache.‚

In diesem Augenblick kam Bob Eyre, in einem blauen Flanellanzug und hellgelben Schuhen mit Gummiabsätzen, vom Scheibenwerfen noch ganz erhitzt, dahergeschlendert. Er hatte eine hübsche, ebenmässige Gestalt, und die ganze Erscheinung zeigte durch ihren leichten Gang und die elastischen Bewegungen unverkennbar die gute Abstammung, wie ein Vollblutpferd die edle Rasse nie verleugnet.

Bei seiner Frau angelangt, öffnete Bob seine wohlgeformte Hand und zeigte ihr eine ganze Handvoll Silber- und Goldmünzen.

„Mit der Wurfschaufel gewonnen,‚ erklärte er ihr. „Mein Spielgefährte hielt sich für wunder was.‚

Er setzte sich dicht neben seiner Frau auf den Boden und schob die graue Sportmütze auf seinem Krauskopf zurück.

„Ehe wir an Land kommen, möchte ich nur noch mal so einen Happen gewinnen,‚ sagte er. „Gib acht, ob mir’s nicht gelingt! Spielen Sie Poker?‚ wandte er sich plötzlich an Herrn Rhondel.

„Manchmal,‚ erwiderte dieser, und sein Lächeln galt einer angenehmen Erinnerung. „Spielen Sie?‚

„Will’s meinen, aber nicht hoch. Von einem halben bis zu fünf Dollar, das ist das Höchste. Meiner Ansicht nach sollte ein ehrlicher Mann nie mehr wagen, als er nach dem letzten Spiel auch bezahlen kann. Aber ich möchte gar zu gern einmal an einem richtigen Glückspiel teilnehmen. Ich glaube, ich würde die Bank sprengen.‚

„Warum tun Sie es denn nicht?‚ sagte Herr Rhondel gleichgültig.

„Ich kann nicht. Der Kapitän hat alle hohen Einsätze verboten. Er ist zwar selbst ein richtiger Sportsmann, sagt auch, es tue ihm leid, aber den Befehlen der Gesellschaft müsse nachgekommen werden. Es ist ein Detektiv an Bord, ein unbedeutender Knirps, der sich als Hans-guck-in-die-Luft aufspielt, aber überall herumschnüffelt. Als ich vorhin eine Spielpartie anregen wollte, hat der alte Oberst Rollin mir ihn gezeigt. ‚Unmöglich, alter Junge, solange der Kunde in der Nähe ist,‘ sagte er. ‚Der hat Luchsaugen.‘‚

„Ich bin nur froh, Bobsie, dass alles Hasardspiel verboten ist,‚ fiel die junge Frau ein. „Du würdest die ganzen fünfzigtausend Pfund auf eine Karte setzen, wenn du dächtest, dein Nachbar sei ein Prahlhans, und wenn er dann den ganzen Einsatz ohne weiteres einstriche, würdest du noch lachen.‚

„Übertreib doch nicht, Kleine, so bin ich gar nicht. Ausserdem ist’s meine letzte Gelegenheit, diese Art Aufregung kennen zu lernen. Du weisst ja, ich habe versprochen, nach unsrer Ankunft im Vaterland bei keinem Spiel und bei keiner Wette mehr als fünf Dollar zu setzen, und du weisst auch, dass ich mein Wort halte.‚

In diesem Augenblick ging Fräulein Phöbe Everly vorüber — das richtige moderne Mädchen, gertenschlank und von rastloser Beweglichkeit.

„Müde?‚ Nur dieses eine Wort warf sie Bob Eyre im Vorübergehen zu, und auf diese Herausforderung hin sprang Bob sofort auf.

„Wollen wir Scheibenwerfen?‚ gab er zurück.

„Nein, wir wollen lieber einen ordentlichen Gang machen. Ich möchte Sie etwas fragen.‚

Und mit einem freundlichen Kopfnicken, das Kitty galt, führte sie Bob mit sich fort.

„Nun, was wollten Sie fragen?‚ sagte er, nachdem sie das halbe Promenadendeck durchmessen hatten. „Hoffentlich handelt es sich nicht um ‚die Frage‘ — denn ich könnte nicht — ich bin schon verheiratet.‚

„Ach, darüber machen Sie sich keine Sorge, bei dem Spiel tue ich nie mit. Sie sollen mir nur erklären, was das heisst: ein Groschen auf die Fahrgeschwindigkeit.‚

„Das weiss ich selbst nicht.‚

„Dann tun Sie mir den Gefallen und machen Sie es ausfindig. Beim Lunch heute morgen hat nämlich der alte Oberst M’Clure meinem Väterchen den Kopf vollgeschwatzt über die Fahrgeschwindigkeit des Tages, über Versteigerung der Zahlen; über das ‚lange Feld‘ und das ‚kurze Feld‘. Aber als ich fragte, was das heisse, schickte mich mein Vater fort, indem er sagte, kleine Mädchen brauchten nicht alles zu wissen, das sei nicht gesund für sie. Aber nun gerade will ich es herausbringen.‚

„Überlassen Sie das mir,‚ sagte Bob Eyre. „Wenn es sich um ein Glückspiel handelt, und es sieht ganz danach aus, dann möchte ich es selbst gerne ergründen.‚

Kurz nachher wandte sich Bob mit ein paar diplomatischen Fragen an den Oberst M’Clure und fand ihn äusserst freundlich und mitteilsam. Seine frische Gesichtsfarbe, seine weissen Haare und sein weisser Bart gaben dem alten Oberst das Aussehen eines recht wohlwollenden Knechts Ruprecht. Aber es war nicht jenes gewisse salbungsvolle Wohlwollen, denn im Trinken und Anekdotenerzählen konnte er es mit jedem aufnehmen, und für einen niedergeschlagenen Menschen war schon sein lustiges Lachen eine wahre Aufheiterung.

„Die Fahrgeschwindigkeit des Schiffs,‚ antwortete er auf Bobs offene Frage in lautem Ton. „Mein lieber Junge,‚ — er gehörte zu der Menschensorte, die alle jungen Leute mit „mein lieber Junge‚ anredet. „Sie wollen mir doch nicht weismachen, Sie hätten noch nie etwas von der Lotterie mit der Fahrgeschwindigkeit des Schiffs gehört?‚

„Bitte, gestatten Sie mir doch, wenigstens ab und zu einmal die Wahrheit zu sagen, Herr Oberst,‚ versetzte Bob. „Bedenken Sie, dass dies erst meine zweite Seereise ist, und die erste hab’ ich im Zwischendeck gemacht.‚

„Nun, jedenfalls sind Sie mit Ihrer Frage bei mir vor die rechte Schmiede gekommen. Ich bin mindestens schon zwanzigmal der Geschäftsführer und Auktionator einer solchen Lotterie gewesen und könnte ohne diese Unterhaltung so eine Reise gar nicht durchmachen. Wenn man sich bei dieser Lotterie beteiligt, vergeht einem die Zeit auf See im Handumdrehen, ja fast zu schnell, darauf können Sie Ihren letzten Dollar wetten. Ich will Ihnen etwas sagen, Herr —‚

„Nur immer langsam voran —‚ unterbrach Bob Eyre den Begeisterten, ehe dieser auf seinem Steckenpferd weitersprengte. „Zuerst sagen Sie mir, was die ganze Geschichte eigentlich ist.‚

Jetzt wurde der Oberst sofort sachlich und fing an, das Spiel zu erklären.

„Haben Sie die kleine Landkarte bemerkt, die zwischen der Bibliothek und dem Rauchzimmer in der Halle des oberen Decks hängt?‚

Eyre nickte.

„Dann haben Sie wohl auch bemerkt, dass auf dieser Karte die von dem Schiff täglich zurückgelegte Strecke mit einem roten Strich auf dem blauen Meere eingezeichnet wird, und zwar mit Angabe der Meilen in deutlichen Zahlen.‚

„Und daneben ist zugleich auch die ganze letzte Reise eingezeichnet,‚ fügte Bob bei.

„Richtig, mein Junge. Ich sehe, Sie gehen mit offenen Augen durch die Welt. Haben Sie dann vielleicht auch weiter bemerkt, dass die tägliche Meilenzahl zwischen vierhundertfünfundachtzig und fünfhundertzwanzig Meilen schwankt? Der Unterschied beträgt also zwanzig bis dreissig Meilen, und es werden durchschnittlich fünfhundert Meilen zurückgelegt. Und jetzt will ich Ihnen noch sagen, wie die Lotterie gehandhabt wird. Unsrer zwanzig etwa — oft einer mehr, oft einer weniger — zahlen je ein Pfund in die Kasse. Dann werden Lose mit Nummern innerhalb eines gegebenen Spielraums — sagen wir von vierhundertneunzig bis fünfhundertzehn — in einen Hut geworfen und gezogen. Die Nummer, die dann mit der an diesem Tage zurückgelegten Meilenzahl übereinstimmt, gewinnt die Einsätze. Verstehen Sie?‚

„Ja, aber ich verstehe nicht —‚

„Nur ruhig, junger Mann! Weiss schon, was Sie sagen wollen. Vielleicht trifft keines der Lose die angegebene Fahrgeschwindigkeit. Für diesen Fall haben wir das ‚lange Feld‘, das heisst, alle Zahlen über der höchsten, und das ‚kurze Feld‘, nämlich alle Zahlen unter der niedrigsten Losnummer in jenem Hute. Aber auch das ist noch nicht alles; das beste kommt noch. Sobald die Lose gezogen sind, werden sie öffentlich versteigert. Jeder kann dann wieder auf seine eigene Nummer bieten. Ersteigert er sie selbst, dann hat er nur den halben Preis dafür in die allgemeine Kasse zu zahlen; kauft sie jedoch ein andrer, dann bekommt der Eigentümer des Loses die Hälfte des Kaufpreises, die andre Hälfte fliesst in die Kasse. ‚Das lange und das kurze Feld‘ werden gar nicht verlost, sondern sofort versteigert, und diese Versteigerung ist immer der Hauptspass, das kann ich Ihnen versichern.‚

„Ei, das ist ja ein bombenmässiges Spiel!‚ rief Bob Eyre begeistert. „Ist noch ein Platz für mich übrig?‚

„Ich will sehen, ob ich Sie noch hineinschieben kann, mein Junge. In einer halben Stunde ist die Ziehung. Siebzehn sind schon dabei. Sie geben den Achtzehnten.‚

Als Bob später, wie es die Pflicht gebot, versuchte, Fräulein Phöbe das Geheimnis zu erklären, schnitt sie ihm mitten in seiner Rede ohne weiteres das Wort ab. „Das klingt ja wie ein Scherzrätsel, und Scherzrätsel hasse ich,‚ bemerkte sie und liess ihn stehen.

Aber als sich Bob später bei der Lotterie einfand, war Fräulein Everlys Vater, der Richter Everly, auch unter den Versammelten, ja, selbst Herr Rhondel hatte sich zur Teilnahme an dem Spiele überreden lassen. Unter einem Schwall gutmütiger Witze und Neckereien, zu denen Oberst M’Clure die meisten beisteuerte, nahm die Versteigerung im Rauchzimmer einen äusserst lebhaften Verlauf.

Bob Eyre blieb dabei, es sei ein bombenmässiges Spiel, und er wurde in dieser Ansicht noch bestärkt, als er zwei Tage nachher den ganzen Inhalt der Kasse gewann, bare hundertvierunddreissig Pfund, und zwar mit der Nummer 505, die er bei der Versteigerung um elf Pfund gekauft, nachdem er seine eigene Nummer 504 um zehn Pfund wieder verkauft gehabt hatte.

Aber dieser Erfolg stieg dem guten Bob in den Kopf; er wichste der ganzen Gesellschaft, was sie nur trinken wollte, und am nächsten Tag stolzierte er mit geschwollenem Kamm auf seine Frau zu, die behaglich lesend auf Deck sass.

„Hab’ ich es dir nicht gesagt, Kitty?‚ krähte er. „Dass ich es mit diesen Schlauköpfen wohl aufnehmen und sie bei ihrem eigenen Spiel schlagen könnte, das war mir von Anfang an klar. Ein bisschen Kopfarbeit, das ist alles, weiter braucht’s nicht. Ich gab genau auf Wind und Wetter acht und habe dann gleich beim ersten Versuch ganz aus eigener Weisheit die richtige Zahl getroffen. Das war ein guter Schuss, nicht wahr, Kleine, und da hast du deinen Anteil vom Gewinn.‚ Damit goss er einen hellklingenden Strom goldener Münzen in Kittys Schoss.

„Wenn du es jetzt nur dabei bewenden liessest, Bob; mir ist gar nicht wohl bei der Sache.‚

„Ach was, die Angst brachte die Katze um, heisst es, oder war es die Sorge? Na, es ist auch gleichgültig, was schuld daran war — jedenfalls soll keins von beiden meinem Mäuschen etwas anhaben. Verlass dich nur auf deinen Gatten, er steuert dich sicher durch. Ich wollte nur, ich könnte die Herren dazu bringen, etwas höhere Einsätze zu machen. Solch kleine Würfe machen mir keinen Spass.‚

Am selben Abend noch — das Schiff war jetzt nur noch eine Tagesreise von Queenstown entfernt, wurde Bob Eyres Wunsch erfüllt. Der Dampfer war in der letzten Zeit sehr rasch gefahren, durchschnittlich fünfhundertfünfzehn Meilen am Tag, und es erregte deshalb allgemeines Erstaunen, als Oberst M’Clure, der meistens das ganze Spiel leitete, dieses Mal die Nummern für die Lotterie von 485 bis 510 bestimmte.

„Da muss ja aber das ‚lange Feld‘ unbedingt gewinnen,‚ widersprach einer der Beteiligten.

„Glauben Sie das nur nicht,‚ entgegnete der Oberst. „Immer kann das schöne Wetter auch nicht anhalten. Ich habe die Überfahrt schon öfter als Sie gemacht, mein lieber Junge. In der Nähe des armen jammervollen Landes gibt es meist stürmisches Wetter. Und ich habe gute Lust, es heute mit dem ‚kurzen Feld‘ zu probieren, das versichere ich Ihnen.‚

Aber die Mehrzahl der Mitspielenden dachte anders. Der Himmel war wolkenlos, das Schiff hatte Mitwind und das Wetterglas stieg.

„Ich hätte eigentlich Lust, fünfundzwanzig Pfund auf eine Geschwindigkeit von fünfhundertzwanzig Meilen zu wetten,‚ sagte ein blasierter Jüngling in einem grauen Flanellanzug.

„Gilt!‚ rief der Oberst so bestimmt, dass der blasierte junge Mann ganz verdutzt dreinschaute und allen Widerspruch aufgab.

Doch jetzt zeigte sich Oberst M’Clure plötzlich recht eigensinnig. Der Widerspruch schien ihn gereizt zu haben, und die Unterhaltung war schon etwas hitzig geworden, als sich der Richter Everly um des lieben Friedens willen auf des Obersten Seite stellte.

„Die Pfefferbüchsen zugemacht, meine Herren,‚ sagte er. „Lassen Sie doch dem Oberst freie Hand. Das ist doch Jacke wie Hose. Bei der Versteigerung kann ja doch jeder nach eigenem Ermessen handeln, und wenn das ‚lange Feld‘ ohne weiteres gewinnt, hat der Oberst jedenfalls die Lacher nicht auf seiner Seite.‚

Diesen Worten schloss sich Bob Eyre sogleich an, und so setzte der Oberst seinen Willen durch.

„Ich weiss zwar ganz bestimmt, dass der Oberst unrecht hatte,‚ vertraute Bob seiner Kitty an. „Aber meine Sache war es nicht, ihm das zu sagen, und jedenfalls habe ich das ‚lange Feld‘, das mit tödlicher Sicherheit gewinnt, fest im Auge behalten.‚

An diesem Abend herrschte im Rauchzimmer bei der Versteigerung der Lose grosse Aufregung. Der Oberst schwang als Versteigerer eine mächtige Pfeife. Er machte bessere Witze als je, und seine gutmütigen Neckereien wirkten allmählich auf die fieberhafte Erregung der Spieler, wie Öl auf eine bewegte See. Die Angebote waren sehr hoch, und glücklicher- oder unglücklicherweise, wie man es nennen möchte, war Seine Hochwürden, Herr Abel Lankin, der stets gegen das Spielen eiferte, und dessen Gegenwart sonst jedem gewagten Spiel einen Dämpfer aufsetzte, nicht erschienen.

Die schon durch den Gedanken an das nahe Ende der Reise gehobene Stimmung der Gesellschaft machte sich nun in unglaublichen Einsätzen Luft, und mit hohen nahezu dreistelligen Zahlen wurde eine Nummer nach der andern versteigert. Je höher die Nummer, desto höher das Angebot, und als endlich der Oberst an das „lange Feld‚ kam, das so sicheren Gewinn versprach, gab die ganze Gesellschaft aller Selbstbeherrschung den Laufpass und steigerte immer rasender und toller. Anfangs beteiligten sich alle daran; es war wie eine Hetzjagd, und erst als das Angebot dreihundert erreicht hatte, lichtete sich die Meute einigermassen.

Bei fünfhundert angelangt, steigerten überhaupt nur noch drei: Richter Everly in kurzen bestimmten Worten, Oberst M’Clure, mit jovialer Lustigkeit, und Bob Eyre, infolge eines kleinen Champagnerschwipses, unbekümmerter als je. Mit monotoner Regelmässigkeit übertrumpften diese drei einander immer wieder, während die übrige Gesellschaft mit der Spannung, die gewagtes Spielen stets bei den Zuschauern hervorruft, schweigend zuhörte.

Immer höher stiegen die Angebote, jetzt sogar jedesmal um fünf Pfund; keiner von den dreien schien an ein Aufhören zu denken. Doch bei dreitausend Pfund zog sich Oberst M’Clure plötzlich zurück.

„Jetzt tue ich nicht mehr mit,‚ sagte er innehaltend und wischte sich sein rotes Gesicht mit einem grossen seidenen Tuche ab. Er nahm ein paar kräftige Züge aus dem mächtigen Glas Sherry-Cobbler, das mit Eisstücken bedeckt neben ihm stand, und fuhr dann fort: „Mir wird die Sache brenzlig. Bietet jemand mehr als dreitausend?‚

„Dreitausendundfünf,‚ sagte der Richter mit verbissener Stimme.

„Guineen!‚ schrie Bob Eyre keck.

Das entschied; langes atemloses Schweigen herrschte. Einen Augenblick schien der Richter zu zaudern. Offenbar hatte er schon ein neues Angebot auf den Lippen; aber dann wandte er plötzlich mit einer ärgerlichen Bewegung dem Auktionator den Rücken.

„Dreitausendeinhundertundfünfzig ist geboten,‚ fuhr Oberst M’Clure mit unerschütterlicher Ruhe fort. „Kein weiteres Angebot? Jetzt, meine Herren, ist die rechte Zeit, Ihr Glück zu machen. Wer wird sich durch eine Kleinigkeit abhalten lassen, wenn sich die beste Gelegenheit eines ganzen Lebens bietet! Morgen, wenn unser Freund hier den ganzen Kasseninhalt einstreicht, werden Sie alle tüchtig fluchen! Zum ersten, zum zweiten und letzten Male! Herr Robert Eyre hat für das ‚lange Feld‘ dreitausendeinhundertundfünfzig Pfund in die Kasse zu zahlen.‚

Nach diesem Kampf dachte jedermann, die Versteigerung des „kurzen Feldes‚ werde nun eine recht einförmige Geschichte werden. Offenbar waren für das „kurze Feld‚ auch gar keine Bewerber da, und der Oberst konnte es also um einen Spottpreis bekommen — aber siehe da, der Gesellschaft stand noch eine grosse Überraschung bevor.

Herr Rhondel, der, während die Versteigerung im Gange war, schweigend und ruhig, dem Anscheine nach von der Aufregung um ihn her ganz unberührt, hinter seinem Glase gesessen hatte, beteiligte sich jetzt plötzlich an dem Spiel.

Allen Anwesenden war es, als handle es sich hier um den Fall eines eingefleischten Spielers, der plötzlich die Zügel der Selbstbeherrschung verliert und sich ohne Rückhalt seiner Leidenschaft hingibt. Herr Rhondel steigerte masslos, höher und immer höher. Im Vergleich zu ihm war selbst Bob Eyre verständig und kaltblütig gewesen.

Voll Verwunderung sah die Gesellschaft zu. Es war ein Kampf auf Leben und Tod zwischen diesen zwei Männern — Herrn Rhondel und dem Versteigerer. Zuerst, als die Angebote einander rasch folgten, bezeugte Oberst M’Clure noch Lust, über seinen Gegner Witze zu machen.

„Um so besser für die Kasse, Jungens!‚ rief er mit einem Seitenblick auf den zu seiner Rechten sitzenden, sich seiner „tödlichen Sicherheit‚ freuenden Bob Eyre.

Aber als Herr Rhondel anfing, jedesmal fünfzig Pfund mehr zu bieten, veränderte sich das Benehmen des jovialen alten Herrn. Sein Gesicht nahm einen harten Ausdruck an, er warf seine Zigarre weg, schob das Glas Sherry-Cobbler auf die Seite, bestellte Sodawasser und Rum und steigerte grimmig weiter.

Nicht eine Sekunde verfloss zwischen den Angeboten, und die Totalsumme wuchs mit unheimlicher Schnelligkeit. Es war ein wilder aber kurzer Kampf, für eine lange Dauer war das Tempo zu rasch.

Bei viertausendundfünfzig gab Herr Rhondel plötzlich das Steigern auf, und nach langem Warten und vielen dringenden Aufforderungen an die Gesellschaft, einzuspringen und ihr Glück zu machen — „man brauche das Geld ja nur aufzuheben,‚ — schlug der joviale, jetzt wieder in heiterster Laune strahlende Oberst sich selbst das „kurze Feld‚ zu.

Nach der Aufregung trat die Abspannung ein. Die hohen Zahlen hatten die Gesellschaft ernüchtert. Durch das tiefe Schweigen ertönte jetzt die klare, scharfe Stimme des Richters Everly: „Das ist ein hohes Spiel, meine Herren, und ich setze voraus, es heisst bar Geld! Alles in allem müssen nun ungefähr siebentausenddreihundert Pfund in der Kasse sein, und ich schlage vor, dass wir jetzt gleich alles in Ordnung bringen und dann einem von der Gesellschaft die Kasse zum Aufbewahren übergeben.‚

Beifallsgemurmel folgte diesen Worten.

„Ist mir auch recht,‚ sagte Bob Eyre. „Ich werde sofort alles bar auf den Tisch des Hauses niederlegen. Und ich schlage Herrn Rhondel als Vertrauensmann vor, weil er gar nicht am Spiel beteiligt ist.‚

„Ich freue mich sehr, wenn Herr Rhondel damit einverstanden ist,‚ sagte Oberst M’Clure herzlich, „obgleich er mich dieses Mal bis an den Hals ins Wasser gejagt hat. Noch fünf mehr, und ich hätte nachgegeben. Aber ein tüchtiger Kampf macht mir immer Freude.‚

Daraufhin erklärte sich Herr Rhondel, dessen Aufregung seit Schluss der Versteigerung vollständig verschwunden schien, bereit, das ihm angetragene Amt zu übernehmen.

Verschiedene der Herren gingen in ihre Kajüten, um Scheckbücher oder Geld zu holen, und schliesslich wurde Herrn Rhondel die ganze Summe bei Heller und Pfennig eingehändigt.‚

Mehrere von den Herren hatten einen Scheck eingelegt.

Bob Eyre und Oberst M’Clure, die zusammen mehr als neun Zehntel in die Kasse beisteuern mussten, zahlten bar.

Herr Rhondel stellte eine Quittung für das Geld aus, und als er dann das Rauchzimmer verliess, war seine eine Tasche durch einen grossen Pack Banknoten und Wechsel, die andre aber durch einen schweren Revolver neuester Art ganz aufgebauscht.

Draussen auf Deck unterhielt sich Rhondel noch ein paar Minuten mit Frau Eyre, die beim milden Sternenlicht in ihrem Stuhle lag und auf Nachrichten über das letzte Spiel wartete. Er gab ihr eine kurze, aber so lebendige Schilderung der aufregenden Szenen im Rauchzimmer, dass die kleine Frau jammernd sagte: „Dreitausend Guineen! Wieviel Dollar mögen das wohl sein?‚

„Fünfzehntausendsiebenhundertfünfzig,‚ erwiderte Herr Rhondel sofort.

„So klingt’s noch viel schlimmer. Fünfzehntausendsiebenhundertfünfzig Dollar mit einem Klatsch ins Meer geworfen!‚

„Sagen Sie das nicht, liebes Kind. Sie sind ja noch hier in meiner Brieftasche und noch eine Menge Geld von andern Leuten dazu.‚

„Ach, ich hätte grosse Lust, Sie auszuplündern.‚

„Tun Sie das lieber nicht,‚ wehrte Herr Rhondel ab, indem er ihr den Lauf des grossen, aus seiner Tasche hervorstehenden Revolvers zeigte.

„Hu, rücken Sie von mir weg!‚ rief sie mit gut gespielter Angst. „Das Ungeheuer könnte losgehen. Ausserdem sollten Sie sich schämen, sich in derartige Sachen verwickeln zu lassen und Bob zum Verschleudern seiner Dollar zu ermutigen. Noch dazu in Ihrem Alter!‚

„Was würden Sie sagen, wenn ich morgen die Brieftasche mit ihrem ganzen Inhalt Ihnen übergäbe?‚

„Ach, das ist selbstverständlich nicht Ihr Ernst, aber wenn Sie’s täten, wäre ich fast imstande, Ihnen einen Kuss zu geben.‚

„Ich hasse das Wort fast.‚

„Und ich das Wort wenn.‚

„Wenn ich nun aber das Wort wenn auslasse, wollen Sie dann Ihr fast streichen?‚

„Gewiss.‚

„Dann gute Nacht, und vergessen Sie Ihr Versprechen nicht, ich werde Sie daran mahnen. Gute Nacht, ich muss morgen sehr früh aufstehen. Unser geistlicher Herr hat den Oberingenieur Anderson gebeten, ihm schon um acht Uhr die Dampfmaschinen und die ganze Einrichtung des Schiffs zu zeigen, und da möchte ich auch dabei sein! Holla, Herr Anderson!‚

Ein kräftiger schwarzbärtiger Mann mit klugem entschlossenen Gesicht ging in diesem Augenblick an den beiden vorüber und stierte in das Halbdunkel hinein, als suche er jemand.

„Ja, ich bin’s, und ich möchte ein paar Worte mit Ihnen sprechen,‚ sagte Herr Rhondel. „Nochmals gute Nacht, Frau Eyre. Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht.‚

Hierauf wanderten die beiden Männer in ernstem Gespräch wohl ein halbes Dutzend Mal die ganze Länge des Verdecks auf und ab.

„Es ist der einzige Weg,‚ sagte Herr Rhondel schliesslich.

„Und ein verflucht guter dazu, wenn Sie mit dem übrigen recht haben,‚ entgegnete Sandy Anderson. „Topp, ich gehe durch dick und dünn mit Ihnen. Tun Sie das Ihre, ich werde das Meine tun, also auf Wiedersehen morgen früh, und nehmen Sie sich inzwischen gut in acht.‚

Am nächsten Morgen wanderten fünf Männer, zu denen auch Herr Rhondel und der Geistliche gehörten, in Begleitung des Ingenieurs über das Zwischendeck, wo schon eine ganze Anzahl morgenfrischer irischer „Burschen‚ und „Mädel‚ paarweise, zärtlich umschlungen, herumspazierte, die sich alle zweifellos über die alte Heimat unterhielten.

„Hierher, meine Herren,‚ sagte Anderson, indem er eine Tür zu einer eisernen Treppe öffnete, die tief hinunter in den hohlen Bauch des grossen Schiffs führte.

Nun hiess der Oberingenieur zuerst die Gäste in seinem Königreich von Stahl und Dampf herzlich willkommen. Als aber die Männer durch die eiserne Türumrahmung in den gähnenden Schlund der schwerarbeitenden Riesen hinabschauten, bekamen sie zuerst nur ein undeutliches, verworrenes Bild von stossenden Kolbenstangen und sich drehenden Wellen. Dann führte sie Herr Anderson die unzähligen eisernen Stufen hinunter, mitten hinein in die Höhle der Ungeheuer.

Alle an ihn gerichteten Fragen beantwortete der Oberingenieur mit dem Stolz und der Freude eines zärtlichen Vaters, der seine klugen Kinder einem Besuche im besten Lichte zeigen will, und da der hochwürdige Herr Abel Lankin seiner Bewunderung für all diese Maschinen am lebhaftesten Ausdruck gab, schenkte ihm der Führer auch die meiste Aufmerksamkeit. Der Geistliche war wie ein Kind in seinem unverhohlenen Erstaunen und Entzücken über die stählernen Wunder um ihn her.

Jetzt deutete er auf eine von zwei riesigen, annähernd hundert Meter langen Stangen von poliertem Metall, die vom Maschinenraum durch das ganze Schiff hindurch bis in das Heck des Dampfers liefen.

„Das ist die Schraubenwelle,‚ sagte Herr Anderson.

„Welle!‚ rief Herr Abel Lankin im höchsten Erstaunen. „Das ist schon mehr eine Kirchensäule. Was hat sie denn zu tun?‚

„Sie allein treibt dieses grosse Schiff, dreiundzwanzigtausend Tonnen Stahl ohne alles andre, mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von zwanzig Meilen in der Stunde durch das Meer dahin; ob dieses ruhig oder bewegt ist, das macht keinen Unterschied. Und es scheint sie überdies gar nicht anzustrengen. Legen Sie einmal Ihre Hand hierher, Herr Lankin.‚

Herr Lankin berührte das glänzende Metall mit ängstlichen Fingern.

„Es ist, als bewegte sie sich gar nicht,‚ sagte er.

„Ja, sie bewegt sich aber doch recht tüchtig, sonst käme das Schiff nicht vorwärts. Sie fühlen es nur nicht, weil die Oberfläche so glatt ist. Sachte, sachte!‚ fügte er lachend hinzu, als Herr Lankin von dem Fusssteig weg neben die sich drehende Welle trat.

„Nur sachte, oder Sie brechen durch. Zwischen Ihren Füssen und dem Ozean sind dort höchstens dreiviertel Zoll Stahl.‚

„Bin ich denn der Wasseroberfläche so nahe?‚

„Zwanzig Fuss unter der Oberfläche sind Sie, mein Herr, und noch tiefer hinunter werden Sie wohl nicht kommen wollen. Aber beeilen Sie sich, es gibt noch viel Sehenswertes hier unten.‚

Herr Lankin war jedoch nicht vom Fleck zu bringen.

„Wozu sind diese kleinen Löcher hier?‚ fragte er.

„Zum Ölen,‚ sagte Herr Anderson gutmütig, wie zu einem Kind.

„Und wenn Sie kein Öl hineintun?‚

„Dann würde das Metall glühend heiss, vielleicht sogar schmelzen, und dem Nachlässigen würde der Kopf tüchtig gewaschen, darauf könnten Sie sich verlassen.‚

Nun endlich riss sich Herr Lankin los und folgte den andern Forschungsreisenden durch den grossen, elektrisch erleuchteten, mit frischer, kühler Seeluft erfüllten Raum, dem der Ventilator die hundert Fuss höher eingefangenen atlantischen Winde zuführte. Aber der Zauber der grossen Schraubenwelle hielt auch hier noch, trotz aller Wunder der Mechanik, die diese geheimnisvolle Höhle barg, die Einbildungskraft des Geistlichen fest im Bann. Selbst den weissglühenden Feuerräumen, den sich drehenden Kurbeln, den surrenden Dynamomaschinen gelang es nicht, Herrn Lankins Aufmerksamkeit dauernd zu fesseln.

Um einen letzten Blick auf die Welle zu werfen, schlich er sich leise zu ihr zurück, ehe er mit der Gesellschaft wieder an die frische Luft emporstieg. Herr Anderson war über die Verzögerung augenscheinlich etwas ungeduldig.

„Sie müssen bei der Gesellschaft bleiben, Herr Lankin!‚ sagte er scharf, als der kleine bescheidene Geistliche wieder zum Vorschein kam. „Es könnte Ihnen bei den Maschinen leicht ein Unfall zustossen.‚

Aber durch diese scharfe Zurechtweisung nicht abgeschreckt und nur mit der halblaut gemurmelten Entschuldigung, er habe seine Zigarrentasche verloren, begab sich jetzt Herr Rhondel eilig in den unteren Schiffsraum zurück.

Der gutmütige Herr Anderson zupfte nur aufgeregt an seinem kurzen Bart, sagte aber kein Wort. Im nächsten Augenblick erschien auch schon Herr Rhondel, die Zigarrentasche auffällig in der Hand, wieder. Mit einem Murmeln, wahrscheinlich einer der übrigen Gesellschaft unverständlichen Entschuldigung, wandte er sich an Herrn Anderson.

Aber seinen Worten gelang es nicht, die gute Laune des Ingenieurs wieder herzustellen. Der freundliche Führer hatte sich plötzlich in den kurzangebundenen Beamten verwandelt.

„Zeigen Sie gefälligst diesen Herren den Weg zurück,‚ sagte er scharf zu einem seiner Untergebenen. „Ich muss an meine Arbeit.‚

Ohne ein weiteres Wort drehte er der Gesellschaft den Rücken und stieg eilends wieder die vielen eisernen Stufen in sein eigenes rast- und ruheloses Reich hinab.

Kaum war die Gesellschaft glücklich wieder oben auf Deck angelangt, als ein eigentümliches Ereignis eintrat. Das Pochen und Heben und Senken der Riesen im Schiffsraum, das Tag und Nacht den ungeheuren Schiffskörper in beständigem Zittern erhielt, hörte plötzlich auf. Zuerst ruhig und schnell, dann langsam und immer langsamer zog der grosse Dampfer durch die glatte See, und endlich lag er ganz still.

„So still wie ein gemaltes Schiff auf der gemalten See!‚

Da erhob sich unter den Reisenden wilder Tumult.

Doch schon in der nächsten Minute trat der Kapitän unter die Aufgeregten und versicherte ihnen munter, es bestehe nicht die geringste Gefahr. Die kleine Störung in einer der Maschinen werde im Handumdrehen wieder gehoben sein.

Aber eine ganze Stunde lang lag das Schiff bewegungslos da, und unter den Spielern wuchs die Aufregung mit jedem Augenblick. Oberst M’Clure blähte sich triumphierend auf und schrieb diesen hemmenden Zufall auf die Rechnung seiner eigenen Weisheit.

„Ich hab’ es ja gewusst, das ‚kurze Feld‘ könne nicht verlieren,‚ sagte er. „Was sagt Ihr nun, Jungens?‚

„Glück, das reinste Glück,‚ brummte Bob Eyre, der mit jedem Augenblick seine Aussichten kleiner werden sah. „Ohne diesen Zufall wäre das ‚lange Feld‘ unbedingt sicher gewesen; aber gegen das Glück ist nichts zu machen.‚

„Unfälle kommen auf den besten Schiffen vor,‚ frohlockte der Oberst.

Endlich, nach etwa einer Stunde, setzte sich das grosse Schiff wieder in Bewegung, zuerst langsam, dann mit immer zunehmender Schnelligkeit. Als es so eilig die Wogentiefe durchschnitt, schien der Oberst etwas enttäuscht. Er zog seine goldene Repetieruhr heraus.

„Der Dampfer hat meiner Rechnung nach durch den Unfall, in was er auch bestanden haben mag, mindestens zwanzig Meilen verloren, und die Kasse ist so gut wie mein,‚ sagte er.

Um halb zwölf erschien Herr Rhondel plötzlich auf Deck und rief den Oberst, den Richter und alle andern am Spiel Beteiligten ins Rauchzimmer. Er schien sehr nervös und aufgeregt.

„Es ist mir etwas zu Gehör gekommen,‚ sagte er. „Ich weiss es von Anderson, und Sie alle müssen es erfahren — besonders Sie, Herr Everly, und Sie, Herr Oberst, denn Sie geht es am nächsten an. Kommen Sie, ich möchte Ihren Rat hören.‚

„Stellen Sie sich auf den Tisch!‚ rief der Oberst lustig. „Schliesst die Tür, Jungens, und lasst niemand herein! Natürlich haben wir gegen die Damen nichts einzuwenden, aber Horcher brauchen wir nicht. Jetzt, mein Junge, schiessen Sie los!‚

Frau Kitty Eyre war mit Fräulein Phöbe Everly und zwei oder drei andern Damen soeben eingetreten. Aber Herr Abel Lankin war nicht zu sehen, und alle wussten, wen der Oberst fernzuhalten wünschte.

Herr Rhondel stieg auf den Tisch und sah sich in dem aufgeregten Kreis seiner Zuhörer um, bis seine Augen Oberst M’Clure und den Richter Everly trafen, die nebeneinander ganz nahe am Tisch standen. Schon bei den ersten Worten, die Herr Rhondel sagte, fuhren beide jäh zusammen.

„Es ist eine Spitzbüberei verübt worden,‚ begann Rhondel. „Irgend jemand hat sich drunten im Schiffsraum an der Maschine zu schaffen gemacht. Deshalb konnte das Schiff nicht weiterfahren.‚

In den offenen blauen Augen des Obersten erlosch das Lächeln, das freundliche Gesicht bekam einen harten Ausdruck. Fast unbewusst griff seine Rechte nach seiner Hüftentasche, in der sein Revolver steckte.

„Nehmen Sie sich in acht,‚ stiess er heraus. „Nehmen Sie sich in acht! Wollen Sie etwa einen der Herren hier einer Spitzbüberei bezichtigen?‚

Aber Herr Rhondel sprach ruhig weiter, milde, vermittelnd, ohne die geringste Verlegenheit.

„Gewiss nicht, Herr Oberst, gewiss nicht, Herr Richter. Ich klage niemand an, ich stelle nur Tatsachen fest. Nachdem heute morgen der Oberingenieur einer Gesellschaft von Fahrgästen die Maschinenräume gezeigt hatte, wurde in der Schraubenstange in einem der für die Ölung bestimmten Löcher dieses hier gefunden.‚ Damit hielt Herr Rhondel allen Anwesenden die Hälfte eines ganz mit Sand gefüllten Stundenglases hin.

„Woher wissen Sie, dass es gefunden wurde?‚ fragte der Richter.

„Woher? Ich selbst hab’ es gefunden. Wie Sie wissen, ging ich zurück, meine Zigarrentasche zu holen, und da fand ich es gerade noch zu rechter Zeit — eine Minute später wäre die Schraubenwelle weissglühend gewesen, durch die ungeheure Reibung hätte sie zu schmelzen begonnen, und das Schiff hätte einen ganzen Tag stilliegen müssen. So genügte eine Stunde zum Reinigen und Ölen.‚

„Nun,‚ sagte der Oberst lebhaft, „angenommen, diese ganze Salbaderei sei wahr — was haben denn wir damit zu tun?‚

„Wie steht es mit den Einsätzen, die mir anvertraut sind?‚ fragte Herr Rhondel. „Gelten die Wetten noch? Das allein wollte ich feststellen, ehe die Fahrgeschwindigkeit des letzten Tages veröffentlicht wird.‚

„Und weiter nichts!‚ brüllte der Oberst. „Hören Sie, ich bin ein zu alter Kunde, um mich auf diese Weise beschwindeln zu lassen. Wenn das ‚kurze Feld‘ gewinnt, gehört die Kasse mir.‚

„Hört, hört!‚ riefen zwei oder drei der Anwesenden, die auch niedere Nummern hatten und dadurch gute Aussichten zu haben meinten.

Doch jetzt ergriff der Richter Everly das Wort und sagte bestimmt: „Das Spiel war bedingungslos; deshalb hat jeder ein Recht auf einen Glückszufall. Wie Sie wissen, bin ich selbst nach keiner Richtung beteiligt, also ganz unparteiisch.‚

„Ja, das sage ich auch,‚ stimmte Bob Eyre bei. „Wette ist Wette, und ich werde gewiss kein Geheul aufschlagen, wenn mich das Glück im Stich lässt.‚

Dies entschied die Frage; allgemeines Beifallsgemurmel erklang.

„Dann gewinnt also das Los mit der heutigen Meilenzahl,‚ sagte Herr Rhondel. „Ich habe nichts dagegen einzuwenden und wollte nur wissen, ob alle einverstanden sind.‚

„Alle!‚ ertönte die einstimmige Antwort.

Noch immer auf dem Tische stehend, sah Herr Rhondel jetzt auf seine Uhr.

„In fünf Minuten wird der Kapitän hierherkommen und uns die zurückgelegte Meilenzahl mitteilen.‚

Diese fünf Minuten schienen fünf Stunden zu sein, so hochgradig war die allgemeine Spannung. Wie das lebhafte Summen eines Bienenschwarms schwirrte das leise Sprechen der Anwesenden durchs Zimmer. Als sich aber das hübsche Gesicht des Kapitäns an der Tür zeigte, trat plötzlich Totenstille ein.

„Meine Damen und Herren,‚ rief er mit fröhlicher Stimme, die hell durch den lautlosen Raum klang, „ich bringe Ihnen gute Nachrichten! Trotz des kleinen Unfalls heute morgen haben wir den Rekord dieser Reise gemacht, fünfhunderteinundzwanzig Meilen. Ich werde die Zahl sofort auf der Karte eintragen lassen.‚

Die Tür schloss sich hinter ihm, ehe sich das namenlose Erstaunen im Zimmer in Worten Luft machen konnte. Das Unmögliche hatte sich ereignet — das „lange Feld‚ hatte gewonnen.

„Bob Eyre lebe hoch!‚ rief plötzlich eine Stimme, und die sofort ertönenden Hochrufe klangen so herzlich, dass man wohl merkte, wie beliebt der Sieger im Spiel war.

„Meine Damen und Herren!‚ rief Herr Rhondel noch einmal, und jetzt lag in seiner Stimme ein ganz neuer, gebieterischer Ton, der sofort die Aufmerksamkeit fesselte. „Sie möchten nun doch wohl auch die Lösung dieses Rätsels gerne wissen, und vielleicht kann ich Ihnen dabei helfen. Gehen Sie doch nicht, Herr Oberst, bleiben Sie doch, Everly; meine Worte gelten hauptsächlich Ihnen. Haben Sie je von einem Herrn Beck gehört? — Nun, Paul Beck, zu Ihren Diensten.‚ Noch während er sprach, riss er sich den braunen Bart ab, nahm ein paar buschiger Augenbrauen weg, und gleichzeitig schien sein ganzer Gesichtsausdruck, ja das Gesicht selbst, sich zu verändern. Herr Rhondel verschwand — Herr Beck kam zum Vorschein.

„Haha, das dachte ich mir!‚ rief er, denn die beiden von ihm Angeredeten starrten ihn mit offenem Munde an. „Den Oberst und den Richter hier habe ich früher schon kennen gelernt, und es ist stets angenehm, wenn man sieht, dass alte Freunde einen nicht vergessen haben. Also: die Blue-Star-Company war so freundlich, sich einzubilden, ich könnte ihr an Bord nützlich sein, weil in letzter Zeit auf ihren Schiffen zu viel berufsmässig gespielt worden war.

„Als ich Sie beide nun so erpicht auf das ‚kurze Feld‘ sah, dachte ich unwillkürlich, der Maschinerie könnte möglicherweise heute morgen etwas zustossen; solche Unfälle kommen ja sehr häufig vor, und deshalb liess ich Sie Ihr Vergnügen teuer bezahlen. Mein Freund Anderson liess die Maschinen die ganze Nacht über mit Hochdruck arbeiten, damit vorgesorgt wäre, wenn sich heute morgen ein Unfall ereignen sollte. Und sehen Sie, dieses kleine Spielzeug hier hat Herr Lankin ganz zufällig im Maschinenraum zurückgelassen. Es war ein wahres Glück, dass ich es fand, ehe es viel Schaden anrichten konnte. Sie, Herr Oberst, kennen natürlich diesen Lankin ganz und gar nicht, und Sie auch nicht, Herr Richter. Er führte selbstverständlich den Possenstreich einzig und allein des Spasses halber und ganz auf seine eigene Rechnung aus, ohne jeglichen Gedanken an das ‚kurze Feld‘. Keinem Menschen würde es einfallen, zu denken, es könnten mehrere unter einer Decke stecken. Darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren, nicht wahr? Richter Everly hat vorhin gesagt, die Wetten seien ganz bedingungslos gemacht worden. Der Gewinn der Einsätze richtet sich also nach der Meilenzahl, und somit leert das ‚lange Feld‘ die ganze Kasse.‚

Sofort erhob sich ringsum ein wahrer Beifallssturm und grosses Gelächter, denn Herrn Becks Darlegung liess nichts zu wünschen übrig. Der Oberst und der Richter spielten eine gar klägliche Rolle, während sie als vollständig überführte Schwindler aus dem Zimmer schlichen, und alle Anwesenden waren höchst entzückt über die nette Art, mit der die Betrüger in der eigenen Falle gefangen worden waren.

Dann ergriff Herr Beck noch einmal das Wort und sagte freundlich: „Jetzt liegt mir nur noch ob, Herrn Eyre — oder mit seiner gütigen Erlaubnis lieber noch Frau Eyre das Geld auszuzahlen, die mir freundlichst eine vollgültige Quittung dafür versprochen hat.‚

Kitty, die mit Genuss der Entlarvung der Schurken angewohnt hatte, fuhr beim Klang ihres Namens zusammen; sie blickte rasch auf, und als sie die Herausforderung in Herrn Becks Augen sah, fiel ihr ihr Versprechen vom vorhergehenden Abend ein.

Lächelnd und errötend nahm sie die Herausforderung an; ihre Augen blitzten, und frischweg sagte sie mit dem ihr eigenen reizenden Akzent: „Ja, gewiss.‚

Die unsichtbare Hand

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