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2. Grossschlemm

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Ein paar Tage nach der Abreise meiner Angehörigen bekam ich Beck nicht viel zu Gesicht, denn er hatte Aussicht, zum Schlagmann des Collegebootes gewählt zu werden, und nahm es mit dem Training sehr ernst. So war ich denn mehr und mehr auf die Zwillinge angewiesen, mit denen ich nach wie vor Karten spielte und hartnäckig verlor. Jedesmal, wenn die beiden Bertrams Partner waren, gewannen sie, und die Ziffer meiner Verluste begann eine Höhe zu erreichen, bei der mir doch allmählich schwül wurde.

Aus diesem Grunde wünschte ich sehnlichst, Beck wieder mit den Zwillingen zusammenzuführen, denn er war ein Meister im Bridgespiel, und ich wollte den Bertrams gern zeigen, was wir beide zusammen leisten könnten. Allein ich wagte nicht, meinen Wunsch laut werden zu lassen, da ich nicht sicher war, wie Beck ihn aufnehmen würde.

Eines Tages schnitt er jedoch selbst das Thema an, und ich glaube, er hatte mich nur deshalb zu einem Glas Bowle auf sein Zimmer eingeladen, um mit mir darüber zu sprechen.

„Deine Zwillinge sind Schwindler, Kirwood,“ begann er ganz unvermittelt, nachdem er mir ein hohes Glas Apfelweinbowle eingegossen hatte.

„Wenn du gegen einen Menschen einmal ein Vorurteil hegst, dann lässt du wahrhaftig kein gutes Haar an ihm,“ erwiderte ich ärgerlich.

„Du sollst sofort meine Gründe hören und danach selber urteilen,“ bemerkte er kurz. „Hast du mir damals nicht erzählt, die Zwillinge könnten weder rudern noch schwimmen?“

„Allerdings. Grössere Tölpel im Boot und im Wasser sind mir noch nicht vorgekommen.“

„Und du bist ganz sicher, dass es nicht bloss Spiegelfechterei war?“

„Lieber Junge, ich weiss wirklich nicht, wer dir diese Raupen in den Kopf gesetzt hat. Um sich einen Spass zu machen, setzt man doch nicht sein Leben aufs Spiel, und die beiden waren damals wahrhaftig nahe genug am Ertrinken.“

„So. Nun dann hör mal zu, was ich dir zu erzählen habe: Als ich vorgestern etwa zwei Meilen ausserhalb der Stadt am Flussufer entlangbummelte, sah ich die Zwillinge in einem Zweierboot angeflitzt kommen. Ich kann dir versichern, dass sie ausgezeichnet ruderten; Schlag folgte auf Schlag, und das Boot schoss vorwärts wie ein Pfeil.“

„Sie können es ja unterdessen gelernt haben.“

„Dann alle Achtung vor ihrer Geschicklichkeit! Aber wart ein Weilchen, ich habe dir noch mehr zu erzählen. Wie der Blitz schossen sie um die nächste Flusskrümmung, so dass ich mich rasch ducken musste, um nicht von ihnen bemerkt zu werden. Nach dem, was du mir früher erzählt hattest, war ich natürlich recht stutzig geworden; das Detektivblut in meinen Adern begann sich zu regen, und zugleich mit einer unbezähmbaren Neugier erwachte in mir der Wunsch, der Sache auf den Grund zu kommen. So schnell ich konnte, eilte ich zum Bootshause zurück und dann in einem Kanu hinter den beiden her, wobei ich mich dicht am Ufer hielt und bei jeder Biegung erst vorsichtig auskundschaftete. Meine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Als ich bis zum Knie gekommen war — du kennst ja die Stelle, wo der Fluss plötzlich so tief wird —, hörte ich Schwatzen und Lachen und munteres Plätschern im Wasser. Rasch liess ich das Kanu auflaufen und kroch im Schutz des Buschwerks am Ufer entlang. Und da, gerade mir gegenüber, kaum fünfzig Ellen entfernt, sah ich die Zwillinge, die du vor drei Wochen vom Tode des Ertrinkens gerettet hast, schwimmen und tauchen wie Enten.“

„Auch das mögen sie unterdessen gelernt haben; damals konnten sie es entschieden noch nicht.“

„Sei doch kein Narr, Charlie. In drei Wochen lernt man nicht so schwimmen. Sie haben dich damals eben zum besten gehalten, um mit dir und deinem Umgangskreise Fühlung zu gewinnen. Vielleicht hofften sie dabei auf ein profitliches Spielchen.“

Er sah mich bei diesen Worten scharf an, doch verriet ich mich mit keiner Silbe, denn jetzt ein Wort von Kartenspielen fallen zu lassen, wäre Wasser auf seine Mühle gewesen.

„Ein paar nichtsnutzige Tagediebe sind die beiden,“ fuhr Beck fort. „Stehlen dem lieben Herrgott den Tag ab und spielen bis an den hellen Morgen. Die Vorlesungen schwänzen sie, Privatstudien treiben sie nicht, und —“

„Da irrst du dich,“ unterbrach ich ihn; „das weiss ich zufällig besser.“

„So? Und was weisst du denn?“

„Dass sie arbeiten. Vielleicht nicht in der üblichen Weise, aber eine Menge ganz gescheiter Burschen machen es ebenso. Woher ich das weiss? Das werde ich dir sofort verraten. Vor einigen Tagen suchte ich sie unerwartet in ihrer Wohnung auf und konnte draussen vor der Tür schon hören, dass sie eifrig bei der Arbeit waren. Die Worte freilich vermochte ich nicht zu verstehen, doch hätte ich darauf schwören mögen, dass sie sich gegenseitig etwas überhörten, denn einer von ihnen fragte immer, während der andere antwortete. Sie waren so vertieft, dass sie mein Klopfen nicht hörten, und als ich unaufgefordert eintrat, sah ich den einen mit einem Notizbuch in der Hand dasitzen, aus dem er augenscheinlich die Fragen ablas. Mein plötzliches Erscheinen versetzte die beiden in nicht geringe Verlegenheit, und einen Augenblick schien es sogar, als wären sie wütend auf mich ‚Wo zum Teufel kommen Sie hier so plötzlich hereingeschneit?‘ fuhr mich der mit dem Notizbuch an, während ihm sein Bruder einen warnenden Rippenstoss versetzte und beschwichtigend sagte: ‚Sachte, sachte, Fred! Mr. Kirwood wird unser kleines Geheimnis schon nicht verraten, was übrigens auch gerade kein Unglück wäre?‘“

„‚Nehmen Sie’s nicht übel, Kirwood,‘ lenkte der andre jetzt ein, während er das Notizbuch in seinen Schreibtisch schloss. ‚Ihr unvermutetes Eintreten hat mich etwas aus der Fassung gebracht. Ed und ich sind ein paar Dummköpfe; wir fühlen uns nämlich nicht ganz sicher, ob wir auch unser Vorexamen bestehen werden, und möchten uns, wenn wir durchfallen, nicht gern nachsagen lassen, wir hätten doch so gebüffelt, verstehen Sie? Hoffentlich sind Sie nicht etwa gekommen, uns von dem schmalen Pfade der Tugend fortzulocken und zu so früher Stunde schon zum Kartenspiel zu verführen, Sie unverbesserliche Spielratte.‘“

Die letzten Worte waren mir ganz wider Willen entschlüpft, Beck aber fing sie sofort auf.

„Kartenspiel, sagtest du? Dann habe ich mich also nicht getäuscht.“

„Doch, du hast dich getäuscht,“ versetzte ich. „Ich beabsichtigte durchaus nicht, Karten zu spielen, sondern wollte mich nur nach dem Beginn einer kleinen Abendgesellschaft erkundigen, zu der sie mich eingeladen hatten.“

„Und diese Abendgesellschaft bedeutet natürlich nichts andres als Kartenspielen?“

„Das will ich nicht in Abrede stellen. Vermutlich werden wir nach dem Abendessen ein harmloses Spielchen machen.“

Beck trat dicht an mich heran und legte mir mit der Gebärde eindringlichster Warnung die Hand auf den Arm.

„Charlie!“ sagte er. „Wir sind doch nun schon so lange gute Freunde: willst du mir einen Gefallen tun?“

„Jeden, der in meiner Macht steht, alter Junge.“

„Dann brich den Umgang mit den Bertrams ab. Ich verstehe es leider nicht, einem Menschen recht eindringlich ins Gewissen zu reden, allein du hast mir oft genug selber gesagt, dass es dir mit dem Kartenspielen geht, wie andern mit dem Trinken: wenn du erst einmal angefangen hast, kannst du nicht wieder aufhören. Darum fang lieber gar nicht an, lass dich von jenen Burschen nicht ins Verderben ziehen!“

Der tiefe Ernst dieser Worte verfehlte seinen Eindruck auf mich nicht; wie unter einem inneren Zwange stehend, musste ich ihm jetzt — ganz gegen meinen Willen — alles beichten.

„Ich bin dir für deine Warnung zu grösstem Dank verpflichtet, lieber Junge,“ erwiderte ich, „doch kommt sie leider zu spät. Ich habe nämlich schon ‚angefangen‘ und auch schon ziemlich lange fortgemacht und muss sehen, dass ich wieder zu meinem Geld komme.“

Mit einem scharfen Ruck richtete Beck sich auf; er sagte kein Wort mehr davon, die Karten oder die Zwillinge aufzugeben. „Wieviel?“ fragte er nur kurz.

„Ungefähr sechshundert, das heisst Schuldscheine über sechshundert, abgesehen von dem Bargeld, das den Weg alles Fleisches gegangen ist.“

„Mit tausend Pfund könnte ich dir bequem aushelfen; ich brauche nur eine Zeile nach Hause zu schreiben, dann bekomme ich Geld, so viel ich haben will. Meine Eltern sind reich und führen ein sehr zurückgezogenes Leben, zudem bin ich ihr einziges Kind. Sag also nur ein Wort, dann kannst du übermorgen das Geld haben.“

„Dank schön, lieber Junge, ganz so schlimm steht es denn doch noch nicht mit mir.“

„Ich meine natürlich als Darlehn.“

„Für das ich dir als einzige Sicherheit mein Glück im Kartenspiel anbieten könnte. Nein, lass nur, alter Junge! Ich weiss, du meinst es herzlich gut, allein du musst doch selber einsehen, dass ich dieses Geld nicht von einem Freunde annehmen kann.“

„Ja,“ sagte Beck in zögerndem Tone, „das sehe ich ein.“

„Meinem alten Herrn möchte ich auch nicht damit kommen,“ fuhr ich fort. „Er ist gerade nicht gut bei Kasse — übrigens ein chronisches Leiden bei ihm —, und so bleibt mir denn nichts übrig, als es den Zwillingen wieder abzugewinnen. Irgendwo heisst es bei Shakespeare:

‚....... wenn ich einen Bolzen

Verloren hatte, schoss ich seinen Bruder

Von gleichem Flug, den gleichen Weg; ich gab

Nur besser acht, um jenen auszufinden,

Und, beide wagend, fand ich beide oft.‘

Die Stelle gefiel mir, daher habe ich sie im Gedächtnis behalten. Heut abend will ich danach handeln und den Bertrams ein paar von meinen Schuldscheinen abknöpfen oder mir ganz und gar das Genick brechen. Wenn du mir einen wirklichen Freundschaftsdienst leisten willst, so müsstest du mir eigentlich bei meinem Vorhaben behilflich sein.“

„Jawohl, das will ich auch.“

Nichts in der Welt hätte mich mehr überraschen können als diese plötzliche Bereitwilligkeit.

„Ist das dein Ernst?“ fragte ich ungläubig. „Wenn du es nicht gern tust, dann lass es lieber bleiben.“

„Es ist mein voller Ernst. Kannst du mich bei den Zwillingen einführen?“

„Selbstverständlich; sie haben mich oft genug dazu aufgefordert. Du brauchst gar nicht so den Kopf zu schütteln, die beiden Bertrams sind wirklich ein paar anständige Kerle; dass wir so hitzig gespielt haben, ist lediglich meine Schuld, sie können doch schliesslich nichts dafür, wenn sie gewinnen.“

„Lass die Sache jetzt auf sich beruhen. Ich werde heut abend mitkommen und mir selber ein Urteil bilden.“

Wie ich es vorausgesetzt hatte, fand Beck bei den Zwillingen die herzlichste Aufnahme. Ich sah ihm an, dass er über ihre Wohnung erstaunt war, denn von den Ölgemälden an der Wand bis zu dem türkischen Teppich auf dem Fussboden war alles von gediegenstem Material und feinstem Geschmack. Einschliesslich Tom Staunton bestand unsre kleine Gesellschaft aus fünf Personen. Das Essen war ausgezeichnet, ebenso Wein und Zigarren — die Zwillinge verstanden sich auf dergleichen. Nach Tisch setzten sich unsre Wirte ans Klavier und sangen uns ein komisches Duett vor, mit dem sie in jedem Varieté einen durchschlagenden Erfolg erzielt hätten.

Ich war der erste, der zum Kartenspielen aufforderte, allein die Brüder machten allerlei Einwendungen.

„Lassen Sie die Karten heut abend ruhen, Kirwood, und singen Sie uns lieber etwas vor. Das Spiel hat ja noch Zeit, bis Ihr Glück sich gewendet hat. Wenn Sie allerdings darauf bestehen, müssen wir Ihnen sofort Revanche geben.“

„Beck ist doch heute abend hier; ich möchte nicht, dass er so schnell wieder aufbricht.“

„O, ich verzichte gern aufs Mitspielen,“ sagte Tom Staunton.

„Nein, so ist’s nicht gemeint; wir wechseln natürlich ab.“

„Ich weiss wohl, dass Sie es nicht so gemeint haben,“ erwiderte Staunton mit gutmütigem Lächeln; „aber ich möchte tatsächlich verzichten. Ich bin nicht imstande, hohe Einsätze zu machen, und würde Ihnen Ihr ganzes Spiel verderben. Lassen Sie mich daher nur ruhig trinken, rauchen und zusehen — ich bin ein ausgezeichneter Kiebitz.“

„Dann fordern Beck und ich Sie also auf,“ wandte ich mich an die Zwillinge. „Sie geben Karten.“ Und hurtig machten wir uns ans Werk.

Beck hatte die ganze Hand voller Herzen, Karo und Pik, machte aber nicht Trumpf. Die dritte Hand dublierte. Ihr Partner spielte Treff an, und die beiden bekamen zwei Stiche. Nach hartnäckigem Kampfe gewannen wir durch Becks grossartiges Spiel die zweite Runde, unsre Gegner jedoch die dritte und den Robber.

Da wir den Point zu fünf Schilling spielten, so wurde ein neuer Schuldschein über siebenundvierzig Pfund den andern hinzugefügt, die sich schon im Besitz der Zwillinge befanden. Zu meiner grössten Überraschung beglich auch Beck, der sonst immer seinen Stolz darin setzte, stets alles bar zu bezahlen, seinen Verlust mit einem Schuldschein.

Den nächsten Robber gewannen die Bertrams wieder in ununterbrochener Folge, dann aber wandte sich das Blättchen, denn bei der letzten Partie bekam Beck vier Asse in die Hand, machte Klein-Schlemm und heimste auch den Robber ein. So wechselte im Laufe der Nacht das Spielerglück zwischen Hochflut und Ebbe beständig ab; einmal hatten wir sogar schon dreihundert Pfund verspielt, ehe Fortuna uns wieder zu lächeln begann.

Zum Schluss spielte Beck, allen Regeln zum Trotz, merkwürdig waghalsig. Es schien, als hätte er die Gabe des zweiten Gesichtes und könne erraten, was unsre Gegner für Karten in der Hand hielten, denn er wagte mit Erfolg ein paar tollkühne Feinheiten. Nach einem dieser Treffer lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und flüsterte dem hinter ihm sitzenden Staunton etwas zu. Dieser machte zuerst ein sehr verblüfftes Gesicht, sah zweifelnd von einem der Zwillinge zum andern, nickte dann aber lächelnd und beobachtete das Spiel noch gespannter als vorher.

Als die graue Morgendämmerung durch die Spalten der Fensterladen schimmerte und wir endlich aufhörten, standen Beck und ich mit je einhundertsiebzig Pfund in der Schuld unsrer Wirte.

„Es tut mir leid, dass ich dich in mein Pech mit hineingezogen habe, alter Junge,“ sagte ich, als wir uns einen kleinen Whisky und Pol mischten und die letzte Zigarre anzündeten.

„O, das macht nichts,“ erwiderte er liebenswürdig; „das nächste Mal haben wir hoffentlich mehr Glück.“

Das war Wasser auf meine Mühle, denn ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass Beck sich noch einmal aufs Kartenspielen einlassen würde. Auch ich rechnete zuversichtlich auf einen baldigen Glücksumschwung und fragte daher die Zwillinge: „Können Sie uns morgen abend bei mir Revanche geben?“

„Lieber hier bei uns,“ erwiderte einer von ihnen lachend; „wir möchten unser Glück nicht gern auf die Probe stellen.“

Mir dagegen lag gerade daran, denn ich war in dieser Hinsicht ein wenig abergläubisch und knüpfte daher an einen Ortswechsel ganz besondere Erwartungen. Allein Beck durchkreuzte meine Wünsche, indem er sich zustimmend an die Zwillinge wandte.

„Gewiss; behaglicher als hier können wir’s ja nirgend finden, und für Leute unsres Schlages ist das Beste gerade gut genug, nicht wahr, Kirwood? Und Staunton wird sich durch solch ein ehrliches Spiel doch sicherlich auch fesseln lassen.“

Bei diesen letzten Worten drehte sich einer der Zwillinge scharf zu dem Sprechenden herum.

„Sie meinen doch nicht etwa —“ begann er hitzig, änderte aber sofort den Ton, als er in Becks harmlos lächelndes Gesicht sah. „Natürlich kann Staunton kommen, so oft er will, wir werden uns stets sehr freuen, ihn bei uns zu sehen.“

„Verbindlichsten Dank,“ rief Staunton erfreut, denn nichts in der Welt geht ihm über Bridge, und zwar lediglich um des Spieles, nicht um der Einsätze willen. „Ich werde mit tausend Freuden kommen. So gefesselt hat mich noch kein Spiel, und ich hoffe, Ihnen morgen ein paar Ihrer Kunstgriffe abzugucken.“

Dieser Abend eröffnete eine ganze Reihe durchspielter Nächte, zu denen sich Staunton regelmässig einfand, obwohl er nur selten die Karten in die Hand nahm. Meistenteils begnügte er sich damit, mit immer gleicher, unwandelbarer Aufmerksamkeit die Schwankungen des Spieles zu verfolgen. Beck und ich waren gewöhnlich Partner gegen die Zwillinge, und obgleich wir ab und zu auch einmal einen Gewinn einstreichen konnten, wandte uns das Glück im allgemeinen hartnäckig den Rücken.

Eines Abends traf ich zu meiner grössten Überraschung Beck und Staunton, die sonst gar nicht so intim miteinander waren, in streng vertraulichem Gespräch.

Wir fanden uns an diesem Abend früher als sonst bei den Zwillingen zusammen und setzten uns nach dem Abendessen sofort an den Spieltisch. Beck reichte Staunton mit den Worten: „Sie machen also, bitte, die betreffenden Notizen,“ ein kleines Buch über die Schulter.

„Jawohl,“ erwiderte Staunton lakonisch.

„Wohl eine neue Art von ‚Systemmarkierung‘?“ fragte einer der Zwillinge, indem er flüchtig vom Kartenmischen aufsah.

„Allerdings,“ antwortete Beck; „wenigstens so etwas Ähnliches.“

„Eigene Erfindung?“

„Das eigentlich nicht. Es fiel mir neulich beim Zusehen nur einmal so ein; da es aber ein ziemlich knifflicher Trick ist, so möchte ich gern, dass sich Staunton zuerst Notizen macht und mir nachher als ‚unbefangener Sachverständiger‘ seine Meinung darüber sagt. Also los! — Sieben, König, Ass, Neun — den Stich gebe ich. Da hätten wir heute also zum erstenmal Blut geleckt, Kirwood. Na, vielleicht wendet sich das Blättchen jetzt endlich einmal.“

Diese Hoffnung erwies sich jedoch als trügerisch, was aber nicht etwa an unsern schlechten Karten lag, denn im allgemeinen hatten wir bessere als die Zwillinge. Allein diese spielten einander in so verblüffender Weise in die Hand, dass weder Becks noch meine nicht zu verachtende Kombinationsgabe dagegen aufzukommen vermochte. Die Art, wie sie ausspielten und stachen, grenzte fast an Eingebung; jeder von ihnen schien zu ahnen, was der andere für Karten in der Hand hielt. Ab und zu gewannen Beck und ich wohl auch einmal eine Partie, im grossen ganzen aber zeigte sich das Glück uns feindlicher als je.

Gegen halb zwei Uhr morgens hatte jeder von uns dreihundert Pfund verloren. Unsre Gegner waren gerade an der Reihe, Karten zu geben und auszuspielen.

„Partner, du machst Trumpf,“ sagte der eine.

„Herz,“ erklärte der andre und spielte vier Herzen aus, hatte überhaupt sonst fast nur noch eine Königin und zwei Buben in der Hand. Zu meinem grössten Erstaunen legte Beck, welcher in der dritten Hand sass, seine Karten flach auf den Tisch.

„So, jetzt haben wir genug davon,“ sagte er gelassen.

„Wie Sie wünschen,“ erwiderte der Kartengeber; „wenn dieser Robber zu Ende ist, können wir sofort aufhören. Sie haben heute allerdings Pech, können aber selbstverständlich jederzeit Revanche haben.“

„Danke sehr, dann möchte ich sofort darum bitten,“ sagte Beck in demselben ruhigen Tone wie vorher. „Staunton, wie stimmten die Notizen?“

„Grossartig,“ antwortete der Gefragte mit vor Erregung zitternder Stimme. „Es stimmt jedesmal ganz genau.“

„Was hast du denn da immer mit deinen Notizen, Beck?“ rief ich ärgerlich dazwischen. „Lass doch das Spiel weitergehen, wie sich’s gehört.“

„Einen Augenblick Geduld, bitte, das ist doch wirklich zu merkwürdig.“ Damit nahm er das Büchelchen aus Stauntons Hand und reichte es mir. In Becks klarer Handschrift las ich auf der ersten Seite folgende Aufzeichnungen:

Trumpfmachen:

„Du bist dran“ ... durchweg schlechte Karten.

„Passe“ ... schlechte Karten; viel Pik.

„Ich passe“ ... schlechte Karten; viel Treff.

„Ich überlasse es dir“ ... schlechte Karten; viel Karo.

„Ich überlasse es dir, Partner“ ... schlechte Karten; viel Herzen.

„Mach Trumpf“ ... durchweg gute Karten.

„Du machst Trumpf“ ... gute Karten; viel Pik.

„Partner, mach Trumpf“ ... gute Karten; viel Treff.

„Mach Trumpf, Partner“ ... gute Karten; viel Karo.

„Partner, du machst Trumpf“ ... gute Karten; viel Herzen.

Dublieren:

Vorhand —

„Soll ich?“ ... Ich habe nichts.

„Soll ich spielen?“ ... Nur gut in Pik.

„Partner, soll ich spielen?“ ... Nur gut in Treff.

„Soll ich spielen, Partner?“ ... Nur gut in Karo.

„Soll ich ausspielen?“ ... Nur gut in Herzen.

„Partner, soll ich ausspielen?“ ... Gute Karten.

Hinterhand —

„Dubliere“ ... Pik ausspielen.

„Ich dubliere“ ... Treff ausspielen.

„Partner, ich dubliere“ ... Karo ausspielen.

„Ich dubliere, Partner“ ... Herzen ausspielen.

Im ersten Augenblick war ich ziemlich begriffsstutzig und hatte keine Ahnung, was die Sache bedeuten sollte, sondern dachte nur an die Karten, die ich in der Hand hielt.

„Daraus werde ich nicht klug,“ sagte ich daher ungeduldig.

„Vielleicht können unsere Gastgeber dir helfen,“ meinte Beck noch immer in jenem unheimlich gelassenen Tone und hielt den beiden das Notizbuch hin, in das sie nacheinander hineinblickten.

Die Wirkung war geradezu überwältigend. Die glühende Röte, die zuerst in die dunkeln Gesichter der Zwillinge schoss, wich unmittelbar darauf einer fahlen, gelblichen Blässe. Ihre schwarzen Augen sprühten Blitze; mit verzerrten Gesichtern sprangen sie auf, so dass ihre Stühle krachend hinter ihnen zu Boden stürzten, und ausser sich vor Wut griff einer von ihnen nach den Aufzeichnungen.

Doch blitzschnell hatte Beck das kleine Buch in die andere Hand gleiten lassen.

„Ansehen — ja! Aber nicht anfassen!“ rief er den beiden zu.

Da brach einer der Zwillinge in einen wahren Tobsuchtsanfall aus.

„Sie elender Schleicher!“ schrie er Beck ins Gesicht. „Sie gemeiner Spion! Mein Pult haben Sie erbrochen, Sie —“

Und wie ein Pferd, das im rasenden Galopp sich plötzlich wild emporbäumt, so warf er in Trotz und Wut den Oberkörper zurück.

Gespannt blickte ich zu Beck hinüber, denn ich erwartete, dass er sich eine solche Sprache nicht bieten lassen und sich sofort auf seinen Beleidiger stürzen würde. Natürlich war ich jeden Augenblick bereit, ihm beizustehen — allein nichts dergleichen geschah, vielmehr bemerkte ich zu meinem grössten Befremden in Becks Augen ein triumphierendes Aufblitzen.

„Danke bestens,“ sagte er spöttisch; „aber Sie sind auf dem Holzwege. Bis jetzt habe ich Ihr Geheimbuch noch nicht zu Gesicht bekommen, sondern mir auf höchst einfache Weise meine Aufzeichnungen selber zusammengestellt. Staunton, wollen Sie nicht so gut sein und Kirwood die Sache erklären? Er macht ein Gesicht wie eine Katze, wenn’s donnert.“

„Also,“ begann Staunton in seiner ruhigen, gelassenen Art, „diese beiden Gentlemen“ — er legte auf das Wort einen sehr bezeichnenden Nachdruck — „haben eine Reihe von Zeichen miteinander verabredet, die Beck auffielen, als er das Fallen der Karten aufmerksam beobachtete. Er schrieb sich die Reihenfolge dieser Zeichen auf, übergab sie mir zum Nachprüfen, und ich habe sie heute nacht bis aufs I-Tüpfelchen bestätigt gefunden.“

„Elende Lüge!“ knirschten die Zwillinge.

„Das wollen wir gleich einmal sehen,“ rief Beck, in dem nun auch der Zorn zu kochen begann, in völlig verändertem Tone. „Zunächst möchte ich einmal einen Blick in jenes Pult werfen.“

Mit einem Wutschrei sprang einer der Zwillinge schützend vor das bedrohte Geheimnis, allein Beck war flinker als er. Eine knappe Hand- und Fussbewegung, ein Griff, ein Stoss — und Beck kniete auf seinem Gegner, der auf den Teppich niedergestürzt war.

„Macht ihr den andern unschädlich!“ rief mir mein Freund über die Schulter zu, während er den sich heftig Wehrenden mit eiserner Kraft zu Boden drückte.

Der zweite der beiden Burschen war unterdessen mit einem Satz an das Büfett gesprungen und versuchte gerade, den Griff eines Tranchiermessers zu packen, als die Seitenkante meiner Hand mit solcher Wucht auf seinen Vorderarm niedersauste, dass er mit einem Schmerzenslaut das Messer fallen liess. Es entspann sich ein kurzes Handgemenge zwischen uns, bei dem sich mein Gegner flink und geschmeidig wie eine Wildkatze immer wieder meinen Griffen entwand und mit mir durch das ganze Zimmer walzte, wobei er gleichzeitig verzweifelte Anstrengungen machte, Beck durch Fusstritte von seinem Bruder fortzustossen. Tische und Stühle wurden dabei umgeworfen, und der Fussboden bedeckte sich im Nu mit umhergeschleuderten Karten. Da mir Staunton indessen sofort zu Hilfe kam, gelang es uns bald, den gefährlichen Gegner zu überwältigen.

„Bindet ihm Hände und Füsse!“ keuchte Beck. „Macht flink, und dann helft mir hier; der Bursche ist ein bisschen widerspenstig.“

Während wir Becks Weisung folgten, hörte ich das dumpfe Aufschlagen eines menschlichen Schädels auf den Teppich — Beck zwang seinen Gegner, der sich zu erheben versucht hatte, wieder auf den Rücken nieder. Trotz heftigen Sträubens unsrer Widersacher knoteten wir ihnen mit unsern Taschentüchern Hand- und Fussgelenke fest zusammen, und bald lag das edle Paar Seite an Seite wehrlos vor uns auf dem Teppich.

„So, und jetzt das Pult!“ rief Beck. „Reichen Sie mir mal das Messer herüber, Staunton.“

Geschickt zwängte er die spitze Messerklinge in die Spalte unter den Pultdeckel, den er durch eine rasche Drehung des Handgelenks ohne Schwierigkeit öffnete.

Das Gesuchte fand sich beinahe auf der Stelle.

„Staunton, Kirwood, seht her!“ rief Beck frohlockend. „Fast dieselben Aufzeichnungen wie die meinigen, nur noch besser ausgearbeitet — verteufelt fein ausgeklügelt. Hier, Charlie, da hast du den Leitfaden, aus dem sich deine Freunde auf ihr Examen vorbereiteten. Ein hochwichtiges Schriftstück, das ich zu weiterer Empfehlung gern behalten möchte.“

Damit steckte er das Büchelchen in eine Innentasche seines Rockes, während die entlarvten Schurken sich in ohnmächtiger Wut auf dem Fussboden wanden.

„Holla!“ rief Beck, noch immer im Pult herumstöbernd; „was haben wir denn hier? Ein dickes Paket Schuldscheine von uns und andern. Wir waren also nicht die einzigen Opfer, Kirwood. So, nun wollen wir einmal reinen Tisch damit machen!“

Er sammelte aus dem Pult einen ganzen Haufen auf allerlei Papierschnitzel gekritzelte Schuldscheine zusammen, raffte vom Spieltisch auch die beiden Häufchen, die heute nacht noch dazu gekommen waren, und schichtete die ganze Bescherung in dem leeren Kamin säuberlich übereinander.

„Ein Streichholz, Staunton!“

Gierig leckten die kleinen roten Flammenzungen an den lose geschichteten Papieren, die sofort zu schwelen anfingen und im nächsten Augenblick in einer lustig aufflackernden Lohe verschwanden.

„Mir ist zumute, als ob ich Banknoten verbrennte,“ sagte Beck. „Zwei- oder dreitausend Pfund gehen da in Rauch auf.“ Und mit plötzlichem Ernst wandte er dem Feuer den Rücken. „Was machen wir nun mit diesen Burschen?“ fuhr er fort. „Darüber müssen wir uns jetzt zunächst schlüssig werden.“

So sassen wir drei beim Morgengrauen in dem wüsten Zimmer zu Gericht über die Zwillinge, die uns vom Fussboden her lauernd beobachteten und seit ihrer Fesselung weder einen Laut von sich gaben noch die geringste Bewegung machten.

Zu meiner Überraschung war der gutmütige phlegmatische Staunton gerade der Allerschroffste unsres kleinen Gerichtshofes, denn er bestand durchaus auf öffentlicher Brandmarkung und schimpflicher Relegation der beiden Schurken. Ich glaube, seine fanatische Vorliebe für das Bridgespiel war der Grund zu dieser Härte, denn bei diesem Spiel zu betrügen, erschien ihm fast wie eine Entweihung. Beck dagegen nahm einen wesentlich milderen Standpunkt ein, und da ich nach einigem Nachdenken seinen Gründen beipflichten musste, so wurde Staunton überstimmt.

„Hört, ihr Burschen,“ begann Beck, als wir mit unsern im Flüsterton geführten Beratungen fertig waren und das Urteil gefällt hatten. „Ihr habt in spätestens drei Tagen gutwillig — wohlgemerkt, gutwillig — diese Stadt zu verlassen. Versteht ihr?“

„Jawohl,“ murmelten sie finster, worauf wir sie losbanden und das Zimmer verliessen. Vor der Tür verabschiedeten wir uns von Staunton und schritten im schwindenden Licht des untergehenden Mondes unsrer Wohnung zu. Beck war sehr schweigsam, doch fühlte ich deutlich, dass er irgendeine Äusserung von mir erwartete.

„Tausend Dank für deinen Freundschaftsdienst, alter Junge,“ sagte ich daher. „Das war eine gute Lehre für mich; von jetzt ab rühre ich keine Karte mehr an.“

„Was — niemals mehr?“

„Nun, wenigstens so gut wie niemals mehr. Höchstens gelegentlich einmal den Point zu einem halben Pfennig oder so.“

Ein fester Händedruck beim Abschied besiegelte mein Versprechen.

Drei Tage später hatten die Zwillinge sang- und klanglos die Universität verlassen.

Manch einer der von ihnen Gerupften mag wohl angenehm überrascht gewesen sein, dass seine Schuldscheine niemals zum Bezahlen vorgelegt wurden.

„Ganz besonders freut es mich, dass die beiden Schurken nun Miss Bloom nicht mehr belästigen können,“ meinte Beck befriedigt.

„Sag mal, Beck —“ begann ich, hielt dann aber zögernd inne.

„Nein,“ beantwortete er nach einer Pause von selber meine unausgesprochene Frage. „Nein, ich liebe Miss Bloom ganz gewiss nicht.“

Jung Beck

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