Читать книгу Der Fundamentalismus seine Entstehung und Gefahren. - Mag. Abdel Rahman Al Machtouly - Страница 6
1.2. Quellen des ägyptischen Fundamentalismus
ОглавлениеDie Fundamentalisten beobachteten die schwierige soziale Lage der Menschen in der ägyptischen Gesellschaft, was sie veranlaßt hat neue effiziente Wege zur Gewinnung neuer Anhänger zu finden. In der ägyptischen Gesellschaft existieren vorwiegend zwei Klassen von Menschen, eine elitäre,
reiche, teilweise korrupte kaum aufgeschlossene Oberschicht, die ihr Geld möglichst ins Ausland transferiert, weil ihr eine Kapitalanlage im Inland als zu riskant erscheint.( Werner Zürren: Im Weltgeschehen II/93; Lengerich 1993; S. 128)
Die zweite Klasse stellt die Masse der schwer arbeitenden armen Bevölkerungsschichte dar. Weiters hat die Mittelschicht, welche aus einer kleinen Gruppe der ägyptischen Bevölkerung besteht (hauptsächlich Beamte), auch durch ihr geringes Einkommen und die soziale Benachteiligung, eine ergänzende Rolle zur Verstärkung der Position der Fundamentalisten. Die Behauptung mit der Rückkehr zum Islam wird als Allheilmittel für die Überwindung der sozialen und politischen Repressionen von breiten Bevölkerungsschichten bestätigt und somit die Stellung der Fundamentalisten in der ägyptischen Gesellschaft weiter verstärkt. Die Reaktion der Studenten auf diese Behauptung war positiv und akzeptabel. Denn die Studenten haben einerseits keine Aussicht auf eine berufliche Karriere wegen der hohen Arbeitslosigkeit und andererseits kein Patentrezept gegen das Bevölkerungswachstum und die Verarmung des Volkes anzubieten.(Ebenda)
Die Fundamentalisten wußten, daß sie mit ihren Ideen viele Menschen aus der breiteren Bevölkerungsschicht vor allem Arbeiter und Beamte gewinnen werden. Sie begannen ihre Aktivitäten mit der Errichtung ihres Zentrums in der Stadt FAYUM 100 km südwestlich von Kairo gelegen, dem Wohnort von Scheich RAHMAN, der aus Mangel an Beweisen im Oktober 1984 von der Anklage der Mitgliedschaft in einer Geheimorganisation freigesprochen wurde, die den Sturz der Regierung und die Errichtung einer islamischen Republik nach iranischem Vorbild bezweckt hat.(Ebenda) In dieser Stadt FAYUM kam es am
7. April 1989 nach der Freitagspredigt zu regierungsfeindlichen Kundgebungen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, bei denen ein Polizist ums Leben kam.(Ebenda) MUBARAK reagierte darauf mit der Entlassung seines Innenministers ZAKI BADR am 12. Januar 1990, der sich durch sein hartes Durchgreifen sowohl bei den Fundamentalisten als auch bei der Linksopposition und den Intellektuellen höchst unbeliebt gemacht hatte.(Ebenda) Der Gouverneur der Provinz Assiut, einer Hochburg der Fundamentalisten, wurde als Nachfolger für das Amt des Innenministers ernannt. Der neue Innenminister Mohammed ABDEL Halim Musa hat versprochen das Sicherheitsgesetz zu reformieren, und dem ägyptischen Volk verständlich gemacht, daß es keinen Unterschied gibt, zwischen einem Anhänger und einem Gegner der Regierung, solange sich beide an das Gesetz, die Legalität und die Verfassung halten.( Werner Zürrer: a.a.O.; S. 129) Obwohl der neue Innenminister versprochen hat, daß die Demokratie und die Freiheit des einzelnen gewährleistet wird, hatte er bestimmte Gewalt in seiner Sprache gezeigt, indem er gedroht hat, die Fundamentalisten auszurotten, wenn sie in irgendeiner Weise die Sicherheit der Gesellschaft zu beeinträchtigen versuchen.(Ebenda) Er versprach weiters die Freilassung von 2.411 Anhängern der fundamentalistischen Gruppierungen, die durch die Verhängung der Notstandsgesetze seit der Ermordung des Präsidenten SADAT im Jahre 1981 bis jetzt ihre Gültigkeit haben, inhaftiert waren. Im Rahmen der Notstandsgesetze gingen die Sicherheitskräfte mit unverminderter Härte gegen die Opposition vor, und verfolgten die ganze Familie eines mutmaßlichen Regierungsgegners.(Ebenda) Es kam oft zu Folterungen durch die Sicherheitskräfte, wenn die inhaftierten Personen nicht das gewünschte Geständnis gegeben haben. Die Kompetenzen der Gerichte waren eingeschränkt, die Behörden haben oftmals die unerwünschten Freisprüche ignoriert.(Ebenda) Es war klar zu erwarten, daß es zu einer explosionsartigen Situation kommen wird. Im Gebiet der Stadt FAYUM kam es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und den Anhängern der Gruppe AL JIHAD, es wurden 15 Fanatiker von der Polizei erschossen und dabei acht Polizisten verletzt. Genauso gab es Konfrontationen mit den Fundamentalisten in den oberägyptischen Städten Assiut, MINJA und BANI SUWAIF.(Ebenda)
Die Reaktion des Innenmininsters war wieder eine Art Gewalt in seiner Sprache zu demonstrieren, indem er sagte, daß die Sicherheitskräfte in der Lage sind, jederzeit diese extremen Gruppierungen vollständig zu vernichten (Vgl. Weltgeschehen II/93; S. 130).
Ich sehe, daß die politische Unterdrückung und der ständige Einsatz von Gewalt, den Extremgruppierungen mehr gedient hat als ihnen geschadet. Dazu war die Dialoglosigkeit und die extremen Verhaltensweisen der Politiker und der Sicherheitskräfte ein nicht geringer Beitrag zur Etablierung der Fundamentalisten in der ägyptischen Gesellschaft.
Als zweiter wichtiger Beitrag zur weiteren Entwicklung dieser radikalen Gruppierungen in Ägypten war der Golfkrieg. Dieser Krieg hatte mit all seiner verursachten Problematik zu einer Verstärkung der Position der Fundamentalisten in Ägypten beigetragen.( Vgl.: Tibi: a.a.O.; S. 24) Die Konflikte, die durch diesen Krieg entstanden sind, waren laut Tibi eine Vertiefung und eine weitere Politisierung des bestehenden Grabens zwischen der Welt des Islam und dem Westen. Die Fundamentalisten haben dadurch eine klare Stellung gewonnen, daß eine Neuordnung des Nahen Ostens nur durch Bekämpfung der bestehenden Weltordnung, die sie als eine westlich dominierte Ordnung darstellen, zu realisieren ist.(Ebenda) Eine weitere Ursache der Stärkung der ägyptischen Fundamentalisten, die ebenfalls
durch den Golfkrieg zu beklagen ist, war die steigende Arbeitslosigkeit in Ägypten und somit die Milliarden Dollar Verluste, die durch die Rückkehr von rund 700.000 Arbeitskräften, die bisher in Kuwait und im Irak gelebt und ihre Löhne in die Heimat überwiesen hatten (Vgl. Weltgeschehen II/93; S. 131). Weiters waren die Wirtschaftsreformen im Jahre 1991 des IWF für die ägyptische Bevölkerung schmerzhaft und trugen somit zur Erhöhung der sozialen Spannung innerhalb der ägyptischen Gesellschaft bei(Weltgeschehen II/93; S. 133).
Präsident Mubarak versuchte die gespannte soziale Lage durch eine Amtsansprache an die ägyptische Bevölkerung zu beruhigen, indem er die Notwendigkeit dieser schmerzhaften Sparmaßnahmen rechtfertigte. Er setzte sich in dieser Ansprache mit der Bedeutung des Islam auseinander, da er geglaubt hat, daß er mit der Diskussion auf Grundlage der islamischen Religion bessere Chancen hat, die Aufmerksamkeit der Mehrheit des ägyptischen Volkes zu gewinnen. Er sagte, daß die Muslime für Frieden und Fortschritt in ihren Ländern sorgen sollten, und somit einen ehrenvollen und würdigen Status der islamischen Nation wiederherstellen müßten, und das kann nur in einer Atmosphäre der Stabilität realisiert werden (Vgl. Weltgeschehen II/93; S. 134).
Die Rede des Präsidenten hat in keinerweise die Situation entspannt, sondern es kam danach zu einem Zusammenstoß zwischen der Bevölkerung und der Polizei in der Provinz Assiut. Dabei wurden 14 Personen getötet. Der ägyptische Großmufti (Der oberste islamische Rechtsgelehrte) betonte, daß jene, die gegen den Frieden und die Stabilität des Landes mit Gewalt vorgehen, sind keine Muslime.(Weltgeschehen II/93; S. 136-137).
In diesem Zusammenhang schrieb die FAZ: Das Zusammenwirken vom wiedererwachenden Islam und sich verschlechternder Wirtschaftslage verschafft den Fundamentalisten in Ägypten seit einigen Jahren Auftrieb. Bei einer Geburtenrate von 2,7 % wächst die Arbeitslosigkeit unaufhaltsam. Die Durchschnittseinkommen verharren auf niedrigem Niveau, wegen der Rezession und der fehlenden Investitionspolitik seitens der Regierung (ebenda).
Die Eskalation erweiterte sich auf andere Teile des Landes und die Anschläge waren gezielt gegen Touristen gerichtet, um die politische Lage des Regimes zu schwächen. Diese Anschlagsserie hat in der Reisesaison 1993/1994 rund eine Milliarde Dollar eingebüßt. Der Fremdenverkehr war um 45 Prozent zurückgegangen (Vgl. Standard 29.9.1994; S. 4).
Schriftsteller und Intellektuelle wurden nicht davon verschont. Dem Literatur-Nobelpreisträger NAGIB MACHFUS wurde mit einem Messer in den Nacken gestochen und dabei schwer verletzt, weil er immer wieder seine Ablehnung gegen den religiösen Fanatismus betont hat(Vgl. FAZ 15.10.1994; S. 6).
Toleranzlosigkeit, Entschlossenheit und Gewalt gegen alle Schichten in der ägyptischen Gesellschaft, die die Gedanken dieser extremen Gruppierungen ablehnen, wurden von den Fundamentalisten angewendet, denn sie betrachten sich als Verteidiger des Islam. Zur Rechtfertigung ihrer Gewalt berufen sie sich auf die islamische Doktrin des Gihad, und rechtfertigen ihre Handlungen damit, daß der Islam die Anwendung von Gewalt im Rahmen der Dawa (des Aufrufs zum Islam) zuläßt (FAZ 6.3.1995; S. 8). Die islamischen Gelehrten teilen diese Auffassung nicht, vor allem Scheich AL AZHAR bestreitet heftig die Äußerung und macht darauf aufmerksam, daß der Islam eine Religion des Friedens sei, die Gewalt verwerfe. Die Geschichte des Islams hat immer gezeigt, daß die Muslime gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit gekämpft haben. Die Muslime haben die Fähigkeit zu unterscheiden, zwischen Gihad und Harb (Krieg). Die deutsche Übersetzung von Gihad mit „Heiliger Krieg“ ist deshalb falsch, weil Gihad auch friedlich ausgeübt werden kann etwa durch Überzeugung oder Anstrengung (ebenda). Es ist absolut verboten, daß der Islam mit Feuer und Schwert verbreitet wird, denn im Hinblick auf den Glauben darf nach dem Koran (2, 256) kein Zwang ausgeübt werden, und die Art und Weise wie alle Menschen zum Islam aufgerufen werden sollen, ist im Koran (16. 125) sehr deutlich vorgeschrieben:
„Lade ein zum Weg deines Herrn mit Weisheit und mit schöner Rede und diskutiere mit ihnen auf die beste Weise“. Der Gihad als Gesetz von Staat und Ernte, wie von ABU RIDA Muhammad IBN AHMADIBN RASSOUL beschrieben wurde, und wie ich ihn im Laufe meines Lebens als Muslim verstanden habe, bedeutet es weder Krieg noch hat es einen heiligen Charakter, und zwar aus dem einfachen Grund, daß Krieg im islamischen Verständnis niemals heilig ist. Die Fundamentalisten wissen nicht, daß der Gihad strengen Einschränkungen und Regeln unterliegt. So dürfen Muslime keine Aggression ausüben. Der Koran sagt eindeutig „Und begeht keine Übertretungen. Allah liebt die Aggressionen nicht“ (2, 190) vor allem verbietet der Islam die Tötung von Menschen, wenn sie sich nicht auf einen Akt der Verteidigung bezieht. Am strengsten ist der Islam mit dem Verbot der Tötung von Muslimen durch Muslime. Der Koran sagt deutlich: „Und wer einen Gläubigen tötet, dessen Lohn ist die Hölle, darin wird er ewig weilen“
(4, 93). Die Fundamentalisten haben in den vergangenen Jahren hunderte von Muslimen mit dem Hinweis getötet, sie seien nur nominelle Muslime. Nach dem Koran gilt jedoch jeder Mensch als Muslim, der die Schahada leistet (Bezeugung der Einheit Gottes und daß Mohammed sein Prophet ist). Der Rest des Glaubens gehört in das Gebiet der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Es ist nicht möglich, daß ein Muslim einen anderen, der die Schahada leistet, den islamischen Glauben abzusprechen, denn das Töten eines solchen Muslims ist kein Gihad, sondern Mord, für den der Koran das Verweilen in der Hölle als Strafe androht (FAZ 6.3.1995; S. 6). Die Terroraktionen werden aus dem Hinterhalt ausgeübt, was nach dem Koran als Idwan (Aggression) gilt. Scheich AL AZHAR, GADUL HAQQ ALI GAQDUL HAQQ hat den Versuch unternommen, ein Verständnis der Friedensethik im Islam zu etablieren, indem er mit seinem Fetwa die Tatsache hervorhebt, daß die Idee des Gihad an sich nicht gleichbedeutend mit dem Krieg zu übersetzen ist. Der tägliche Gihad gegen die Ignoranz, die Armut, gegen Krankheit und Leiden und die Suche nach Wissen ist die höchste Stufe des Gihad (ebenda). AL AZHAR versucht die DAWA zum Islam als Auferlegung des Islams auf andere zu betrachten: „Die DAWA ist ein Angebot, daran teilzunehmen, kein Zwang.“ Der Glaube kann nicht mit Gewalt auferlegt werden. Die frühen in Mekka offenbarten Verse „Ihr habt eure Religion und ich habe meine“, erinnern an die Bemühung, die DAWA von jeglicher Verbindung mit Gewalt oder Krieg zu trennen (ebenda). Anders als AL AZHAR-Gelehrte Auffassungen hat uns die Realität bewiesen, daß die Fundamentalisten sehr stark dazu neigen, die rigide, wortlautgetreue Autorität des Textes wiederherzustellen. Dieses Verhalten und der Einfluß der Fundamentalisten war sehr deutlich im Skandal um die hintertriebene Beförderung ABU ZAID zum ordentlichen Professor der Universität Kairo im Jahre 1992 (Vgl. Orient 1/94; S. 40). ABU ZAID ist Sprachwissenschaftler, der sich mit dem Islam und mit der Textinterpretation des Korans auseinandergesetzt hat. Er meint, daß die Sprache des Korans wie die Sprache eines jeden anderen Textes, nicht in sich selbst deutlich, insofern als der gedankliche und kulturelle Horizont des Lesers für das Verstehen des Textes und daher zum Erzeugen seiner Bedeutung hinzukommt.( Nasr Hamid ABU ZAID: Islam und Politik; Frankfurt 1996; S. 20) Er geht davon aus, daß jeder der die Zeichen (AYAT) Gottes als solche bezeichneten Verse des Korans (AYAT) interpretiere, erfülle sich die Bestimmung des Textes als eine Botschaft.(Ebenda) Text und Interpretation, NASS und TAWIL sind nach ABU ZAID untrennbar miteinander verbunden, TAWIL ist die andere Seite des Textes.(Ebenda) Er versucht in seinem Buch die Kritik des religiösen Diskurses (NAQDAL KHITAB ad-dini) durch zahlreiche Beispiele eine weit ausholende Erörterung des religiösen Diskurses, die unterschiedliche politische Situation unter den letzten drei Präsidenten ebenso wie Reaktionen auf die politischen Großereignisse des Landes (die Niederlage von 1967, der Camp-David-Vertrag, die Ermordung ANWAR AS Sadat) zu berücksichtigen, aber auch literarische Werke wie „Die Kinder unseres Viertels“ (Der verbotene Roman von NAJIB MACHFUS) vollständig zu analysieren (Orient 1/94; S. 36). Seine Kritik richtet sich hauptsächlich gegen einzelne Religionsvertreter also Theologen der AL AZHAR Universität wie Scheich Muhammad AL Ghazali, Fernsehprediger wie Muhammad Mitwalli AL Sharawi oder Konservative Islamexperten wie Mustafa Mahmud und Fahmi HUWADI (ebenda). ABU ZAID verwendet die Bezeichnung AL KHITAB AL-DINI auf zweierlei Weise. Einmal meint er damit jeglichen islamischen Diskurs, wobei er gegenwärtig in Ägypten drei Haupt-richtungen sieht. Die erste wird durch die offiziellen religiösen Institutionen und die islamische Opposition struk-turiert, die zweite Richtung ist der islamischen Linken zugehörig und die dritte und letzte Richtung sind die Aufklärer (TANWIRIYUN), die sich heute meist im Lager der Säkularisten (ILMANIYUN) finden (Orient 1/94; S. 37). Seine Hauptkritik ist gegen die erste Gruppe gerichtet. Er sieht die Unterscheidung zwischen den Gemäßigten (MUTADILUN) und den Extremisten (MUTATARRIFUN) im Grad aber nicht in der Art.( Vgl.: ABU ZAID: a.a.O.; S. 13) ABU ZAID versucht seine These vor allem durch das HA KIMIYA Prinzip des Indo-Pakistaners ABU AL ALA MAWDUDI, das durch SAYYID QUTB in Ägypten eingeführt wurde und das auf der alleinigen Herrschaft Gottes auf Erden beruht. (Für
Gott gibt es eine einzige, einheitliche Partei, und alle anderen Parteien sind für den Teufel und den Götzen),( Vgl.: Sayyid Qutb, Ma ahlim FIT-Tariq; Kairo 1968; S. 14) zu demonstrieren. Er sieht bereits, daß das Prinzip der HAKIMIYA schon realisiert ist, und dazu meint er „unser gegenwärtiges politisches System beruht auf der Grundlage des Herrschaftsmonopols (IHTIKAR Sultat AL HUKM), und dies ist ihre Interpretation der HAKIMIYA und ihr Verständnis davon. Es ist eine Interpretation, die sich von der Interpretation des religiösen Diskurses unterscheidet, und aus diesem Unterschied ergibt sich der Konflikt. Die Übereinstimmung zwischen beiden Diskursen, dem politischen und dem religiösen, ist essentiell, da beide Systeme auf dem gleichen Konzept strukturiert sind.( Vgl.: ABU ZAID: a.a.O.; S. 78) ABUZAID geht davon aus, daß die arabische Tradition zwei Hauptströmungen hat, eine Richtung, die an der Bewahrung der gesellschaftlichen Verhältnisse interessiert ist, während die Zweite für mehr Offenheit und Veränderung propagiert (Vgl. Orient 1/94; S. 38). Es ist genauso in der Theologie zu beobachten, daß die gesellschaftliche Wirklichkeit in verschiedenen Richtungen und Schulen ausgedrückt, sich im allgemeinen in ahl al hadith, die „Hadith-Partei“, und ahl ar-ray, „Die Partei der individuellen Einsicht oder der eigenen Ansicht, oder in überlieferungs- und vernunftorientierte Richtung“ einteilen ließen (Orient 1/94; S. 39). ABU ZAID sieht als Hauptvertreter der ahl al Hadith Partei die Gelehrten ash Schafii, al Ashari (873-935) und al Ghazali an (ebenda). Diese Hauptvertreter konnten die Ideologie der Mitte „AL IDIYULUJIYA AL WASATIYA“ entwickeln, die von Ash-Schafii auf dem Gebiet des religiösen Rechts begründet wurde, von AL Ashari als Doktrin formuliert und von AL Ghazali ausgearbeitet worden ist. Diese Ideologie bildet die Grundlage für den rückwärtsgewandten, autoritätshörigen, politischreaktionären, an der wörtlichen beziehungsweise überlieferungsorientierten Auslegung festhaltenden, daher vernunftfeindlichen, die Botschaft des Korans verfälschenden, sich ein Interpretationsmonopol anmaßenden und um die Aufzählung, die sich beliebig fortsetzen ließe zu einem Ende zu bringen (ebenda). Eine wichtige politische Bedeutung zeigt sich in der Attacke ABU ZAID auf die Theologen und die Anfragestellung ihres Monopols auf die Auslegung der heiligen Texte. Zahlreiche Intellektuelle kämpfen gegen den wachsenden Einfluß der Geistlichkeit auf alle Bereiche der Gesellschaft. ABU ZAID bezeichnet dieses Phänomen so: Man bekämpft die extremistischen Organisationen und verwirklicht gleichzeitig ihr Programm (Orient 1/94; S. 40). Es ist problematisch geworden, daß jeder interessierte Wissenschaftler, der versucht hat, eine konstruktive Kritik gegen bestimmte Theologen auszuüben, gleich mit dem lebensbedrohlichen Vorwurf des Unglaubens zunichte gemacht wird. Er äußert sich dazu auf diese Art und Weise gegen die allgemeine Herrschaft über Menschen wogegen man Widerstand leisten kann, und bekämpft sie mit den verschiedenen Formen des menschlichen Kampfes um sie durch gerechtere Maßnahmen zu ersetzen. Aber der Kampf gegen die Herrschaft der Theologen wird mit dem Makel des Unglaubens, des Atheismus und der Ketzerei behaftet, indem man ihn als Ungehorsam und Häresie gegen die Macht Gottes bezeichnet. So wird das Konzept zu einer gefährlichen Waffe, die die Menschen jeglicher Macht beraubt, ihre Wirklichkeit zu verändern oder zu verbessern, denn es macht den Konflikt zwischen Menschen zu einem Konflikt zwischen Menschen und Gott.( ABU ZAID: a.a.O.; S. 80)
ABU ZAID mußte nicht nur mit ansehen, wie er bei der Ausübung seiner Tätigkeit an der Universität Kairo behindert wurde, sondern daß er auch die Scheidung von seiner Frau in Kauf nehmen mußte. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie die ägyptische Regierungspolitik einerseits versagt hat, der Wissenschaft eine Chance zu geben, einen schwierigen und sensiblen Bereich zu analysieren, andererseits inwieweit die Fundamentalisten in wichtigen Bereichen an großem Machtpotential gewonnen haben.
Weiters möchte ich mich mit den muslimischen Erneuerern beschäftigen und analysieren inwieweit sie einen Einfluß auf die Ideologie der Fundamentalisten ausgeübt haben. Einer dieser Aktivisten war ABUL ALA AL MAUDUDI, der die Ideologie der Fundamentalisten massiv beeinflußt hat, daher wird hier der Versuch unternommen, die einzelnen wichtigen Erneuerer beziehungsweise die Aktivisten und ihre Ideologien ausführlich zu behandeln.