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1.
In froher Erwartung

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Barbara Wendelin lag im Schaukelstuhl, hatte die Hände lässig im Schoß verschlungen und ließ die großen blauen Augen im Zimmer umherschweifen. Sie blieben auf einem Bilde haften, das über dem zierlichen Damenschreibtische hing.

»Mein Harald, mein Häschen, – mein Ehemann! Oh, mein Ehemann! Zehn Monate verheiratet. Schulmädel, – Backfisch, – junge Dame, – dann Lehrling im Atelier Brausewetter, – dann ausgebildete Photographin, Braut, Ehefrau und – und –«

Ein feines Rot huschte über ihr liebliches Gesicht. Die Augen leuchteten verklärt auf. Dann sprang Bärbel hastig auf, ging an ein kleines Tischchen, auf dem mehrere Bücher lagen, griff nach einem und setzte sich wieder in den Schaukelstuhl.

»Komisch ist das im menschlichen Dasein, – immer muß man lernen. In der Schule, während der Ausbildung, als Braut, und nun muß man wieder allerlei neue Weisheiten in sich hineinpfropfen, damit man nichts verkehrt macht, wenn es – endlich so weit ist! Oh, was habe ich schon alles herumstudiert, bin schon ganz dumm geworden.«

Sie hatte kaum einige Seiten in dem Buche gelesen, als das Hausmädchen eintrat und der jungen Hausfrau meldete, daß draußen Frau Rindermark sei, die gern ein Stündchen mit Bärbel verplaudert hätte.

»Au fein!« stieß Bärbel hervor, dann besann sie sich wieder auf ihre Hausfrauenwürde und sagte ruhig: »Bitte, führen Sie Frau Rindermark herein!«

Wieder gingen Barbaras Gedanken in die Vergangenheit zurück. Mit Edith Scheffel war sie in Dresden zur Schule gegangen. Edith war ihr stets eine liebe Freundin gewesen. Auch später, als sich Bärbel zur Photographin ausbildete, war sie mit Edith hin und wieder zusammengekommen, und fast zur gleichen Zeit hatten sich die beiden Freundinnen verlobt. Bärbel erinnerte sich noch genau, daß man über den Namen des jungen Prokuristen herzlich gelacht hatte. Wieviel Scherze waren an jenem Silvesterabend, an dem Bärbel den Ring erhielt, hin und her geflogen, und die gute Großmama, bei der Bärbel während ihrer Ausbildungszeit in Dresden gewohnt hatte, mußte häufig beschwichtigend eingreifen, damit die Späße von seiten der Zwillingsbrüder Bärbels nicht zu sehr ausarteten.

Die Zwillingsbrüder! Bärbel schmunzelte. Wieviel Erinnerungen hatte sie an die um vier Jahre jüngeren Brüder Martin und Kuno. Wie oft war sie, die Heranwachsende, von den übermütigen Knaben geärgert worden, wie manche Schlägerei hatte zwischen den Geschwistern stattgefunden, und doch hing man mit inniger Liebe aneinander, und für alle war es ein Freudenfest, wenn sich eine Gelegenheit bot, wieder zusammen zu sein. Seit Bärbel verheiratet war, fühlte sie sich berechtigt, den Herren Primanern ernstliche Vorhaltungen über Ordnung und Fleiß zu machen; aber da gab es doch wieder harte Zusammenstöße, die meistens dann Harald, ihr Gatte, schlichten mußte.

Ja, ihr Harald! Was hatte sie für ein Glück! Solch einen Mann gab es nur einmal auf der Erde. Als Oberingenieur hatte er eine hochgeachtete Stellung, überall war er beliebt, man schätzte seine Tüchtigkeit, sein großes Können, sein reiches Wissen. Bärbel wunderte sich bis auf den heutigen Tag, daß dieser Mann, von dem alle begeistert sprachen, das übermütige, vorlaute Bärbel Wagner erwählt hatte, dem auch heute noch der Mund oft durchging und manchen Schnitzer machte.

Die Tür des Zimmers wurde stürmisch aufgerissen, eine junge, sehr elegant gekleidete Dame eilte auf Bärbel zu.

»Guten Tag, Bärbel, ich muß wieder einmal zu dir kommen. Ach, es ist schrecklich! Dir geht es wohl wieder sehr gut?«

»Guten Tag, liebe Edith, – warum sollte es mir schlecht gehen?«

»Ja ja. – du hast es eben herrlich getroffen. – Ach, was hat man doch den ganzen Tag über für Ärger! – Ich darf doch ein wenig bei dir bleiben?«

»Aber natürlich, liebe Edith, das darfst du immer. Bitte, setze dich in den Schaukelstuhl, dann plaudern wir gemütlich zusammen.«

»Ich muß mir wieder einmal etwas Lebensmut bei dir holen, Bärbel. Mitunter bin ich furchtbar verzagt. Es ist eigentlich töricht, wenn man sich so zeitig verheiratet. Mein Mann ist den ganzen Tag über im Geschäft; kommt er abends heim, hat er keine Lust auszugehen, er schützt Müdigkeit vor, hat keine Interessen für das, was ich ihm sage, – ich hätte Just lieber nicht heiraten sollen.«

Barbara flocht aus den Fransen der Tischdecke ein paar Zöpfe.

»Hm,« sagte sie langsam, »wenn er abends doch so müde ist!«

»Er wird sich im Geschäft gewiß nicht überarbeiten. – Aber natürlich, dein Harald ist ja ganz anders. Außerdem ist er schon um fünf Uhr frei, mein Mann hat bis sieben Uhr zu tun. – Du bist wohl sehr glücklich. Bärbel?«

»Das ist solch ein abgedroschenes Wort, Edith. Mir ist zu jeder Stunde so, als müßte ich die ganze Welt umarmen. Und jetzt, – na, du weißt ja, – nun bin ich so voller Erwartung; ich denke es mir wunderschön, solch ein kleines Würmchen zu haben, das ich betreuen darf. Nur macht das gar viele Sorgen. Ich habe schon sieben Bücher durchgelesen, ich will doch nichts verderben. Man muß vom ersten Tage schon mit der Erziehung anfangen, und von Erziehen habe ich immer recht wenig verstanden. Mit dem Säuglingskursus bin ich fertig. Oh, es hat Spaß gemacht!«

Edith ließ ein spöttisches Auflachen hören.

»Du bist noch immer die alte, Bärbel, – du stürzest dich auf jedes Ding. Ich weiß noch genau, wie du während deiner Ausbildung büffeltest. In der Schule warst du doch gar nicht so fleißig. Dein Kleines bekommt eben eine Erzieherin. – Ihr könnt euch das ja leisten, dann hast du doch nichts mit solchen Sachen zu tun. Mache dich nur nicht zum Sklaven deines Kindes.«

»Seine Mutter will ich sein, aber nicht seine Sklavin, Edith!« sagte Bärbel mit Betonung.

»Das viele Bücherlesen nützt dir auch nichts, gehe lieber hinaus ins Freie, das ist gesünder.«

Barbara schüttelte den Kopf. »Du weißt vielleicht mehr als ich von Kindererziehung, wie man solch junges, zartes Pflänzlein hüten soll. Ich muß erst noch tüchtig lernen. Aber halt 'mal, Edith, – du bist doch immer sehr gescheit gewesen; weißt du nicht ein paar recht hübsche Namen?«

»Männlich oder weiblich?«

Bärbel lachte herzlich. »Wenn ich das wüßte! – Wir müssen eben für beide Geschlechter etwas sehr Schönes ausdenken. Du kannst mir sicher dabei helfen.«

»Willst du etwas Modernes, Klassisches, Altdeutsches?«

»Ach, das weiß ich nicht. Ich will etwas, was sehr schön klingt. Harald sagte mir, ich solle ganz nach eigenem Ermessen handeln, ihm wäre alles recht.«

»Ingeborg, – Heloise, – Gitta, – Dagmar, – Elfrun, – Roderich, – Armin. –«

»Armin – Armin Rabes. – Edith, erinnerst du dich noch an unsere Schwärmerei? An den Schauspieler, der uns in der Konditorei sitzenließ?«

»Wir wollen uns einen Kalender holen.«

»Ach, laß nur, den Kalender habe ich vom 1. Januar bis zum 31. Dezember schon durchstudiert. Da gefällt mir gar nichts. Ich möchte etwas ganz Besonderes haben. Ich habe sogar schon einen Namen komponiert.«

»Da bin ich aber neugierig.«

»Für Doppelnamen bin ich nicht, Edith, ich wollte den Namen von Vati und Mutti in einen verarbeiten. Erich und Erna. Wie gefällt dir Ernerich oder, falls es ein Mädchen ist – Erina?«

»Das ist doch Unsinn. Bärbel!«

»Auch den Namen meines Mannes hätte ich gern hineingearbeitet. Raldine oder Harna, vielleicht auch Harich.«

»So etwas schreibt kein Standesbeamter ein, Bärbel. – Harich, – lächerlich! Harich Wendelin. – nein, Bärbel, so wenig Geschmack hätte ich dir nicht zugetraut.«

»Ach ja, es ist furchtbar schwer, die rechte Wahl zu treffen, denn der Name haftet einem dann das ganze Leben lang an. Man wird ihn nicht wieder los. In einem Buche steht geschrieben, man dürfe die Jugend nicht vergewaltigen, man müsse ihr das Selbstbestimmungsrecht überlassen. Aber solch ein Bub kann doch nicht bis zu seinem einundzwanzigsten Lebensjahre ungetauft umherlaufen. – Was meinst du, wenn ich ihm sechs bis acht Namen gebe, und er sucht sich später aus, was ihm davon am besten gefällt?«

»Aber, Bärbel, du wirst doch einen Namen haben, der dir besonders gut gefällt. So nennst du dann dein Kind und – abgemacht. Mache nur nicht gar zuviel Federlesens mit der kleinen Krabbe. Ich glaube ohnehin, daß du dein Kind furchtbar verwöhnen wirst.«

»Da weißt du ganz was Verkehrtes, Edith. Ich habe mir vorgenommen, jede Ungezogenheit auf das schwerste zu bestrafen. Bei uns gibt es mächtig viel Prügel, – immerzu! Schon am ersten Tage wird damit begonnen. In diesem dicken Buche steht, man muß mit der Erziehung frühzeitig anfangen. Ich habe auch häufig Prügel gekriegt, und die Zwillinge auch. Der Harald meinte auch, daß etwas Prügel keinem Kinde schade. Oh, – ich werde eine sehr strenge Mutter sein, bei mir darf das Kind nicht mucksen.«

»Ich sehe schon, wenn erst das Kleine da ist, hast du für deine Freundin überhaupt keine Zeit mehr. Du ziehst dich schon jetzt sehr zurück.«

»Aber, liebe Edith, ich habe doch manches zu tun gehabt. Willst du 'mal sehen, was ich alles für hübsche Sachen genäht habe? Das hat mir auch große Mühe gemacht, denn das Nähen ist nicht meine starke Seite gewesen. Ich habe zum Beispiel kleine Hemden genäht, die habe ich aus Versehen oben und unten zugesteppt. Und die Ärmel habe ich auch verkehrt eingesetzt. Na, wenn ich 'mal ein Kind habe, so muß es alles lernen, was überhaupt zu erlernen ist. Faulenzen gibt es nicht!«

»Erwartest du den Besuch deiner Mutter?«

»Ja. – Mutti wird in etwa vier Wochen zu mir kommen. Bis jetzt sieht Großmama öfters nach dem Rechten. Von Dresden ist es nicht weit hierheraus, und Großmutti scheut die Mühe nicht, allwöchentlich einmal zu mir zu kommen.«

»Ja, – du hast es wirklich gut getroffen, Bärbel, – ich habe so viel Kummer mit Just. Er hält mich knapp, dabei verbraucht er selbst viel Geld. Bei uns vergeht kein Abend, an dem wir uns nicht in die Haare geraten.«

Bärbel machte ein kummervolles Gesicht.

»Das muß schrecklich sein, Edith. – Ihr habt euch doch aber lieb, warum zankt ihr euch dann?«

»Ich habe es schon hundertmal bedauert, daß ich mich so jung verheiratet habe. Wie schön war es doch, als man noch sein eigener Herr war und sich nicht nach den Launen des Mannes zu richten brauchte. – Sei 'mal ehrlich, Bärbel, findest du das nicht auch?«

Einen Augenblick sann die junge Frau nach, dann sagte sie bestimmt: »O nein, Edith, ich wüßte keine Stunde, in der ich diesen Schritt bereut hätte.«

»Bist du denn nicht eifersüchtig? Dein Mann ist den ganzen Tag über fort; kannst du wissen, was er außer dem Hause tut?«

»Es gab einmal in meiner Brautzeit einen Tag, da wurde auch ich von schlimmer Eifersucht geplagt. Ich glaubte den Beweis in Händen zu haben, daß Harald eine andere liebte. Ach, Edith, wie habe ich mich damals geschämt, daß ich an ihm irre wurde! Nein, Eifersucht kenne ich nicht. Ich würde ihr auch keinen Platz in meinem Herzen geben. Warum sollte ich denn eifersüchtig sein? Wir zwei haben die Ehe miteinander geschlossen, weil wir es für das größte Glück ansahen, miteinander und füreinander zu leben. Das hat sich nicht geändert und wird sich auch nicht ändern. – Nun wird es noch viel schöner werden, denn bald sind wir nicht mehr allein, bald haben wir ein süßes Kindchen, da ist es doch gar nicht mehr auszudenken, daß sich einer vom anderen lösen könnte oder lösen wollte. Ein solcher Gedanke ist mir unfaßbar.«

»Ja, – mit dir ist eben nicht zu reden, Bärbel. Du bist immer anders gewesen als wir. Man könnte dich vielleicht beneiden.«

»Du mußt deinem Just nur das größte Vertrauen entgegenbringen, liebe Edith, du mußt dir fest vornehmen, für ihn zu leben, ihm alles zuliebe zu tun, dann dankt er dir das tausendfach. Ich weiß nichts Schöneres, als meinem Harald eine Freude zu machen, und auch er sinnt jeden Tag danach, mich irgendwie zu beglücken. Ach, es ist zu schön aus der Welt!«

Man beriet noch lange hin und her. Trotzdem konnte sich Bärbel nicht entscheiden. Sie wollte eben etwas ganz Besonderes, einen Namen, der auch auf das Kind passe.

»Wenn es nur nicht an einem Freitag geboren wird, Edith, das ist jetzt meine größte Sorge. Es muß an einem Sonntag oder einem Montag kommen.«

»Das ist doch einerlei!«

»Das ist gar nicht einerlei, Edith! – Man sagt, Sonntagskinder haben Glück im Leben, Montagskinder sind Genies! Aber alle die, die am Freitag geboren werden, sind mit Dummheit geschlagen. Es wäre fürchterlich, wenn wir ein dummes Töchterchen hätten.«

»An solchen Unsinn braucht man doch nicht zu glauben.«

»Das meinte mein Harald auch. Aber mir wäre es doch sehr lieb, wenn die Kleine am Sonntag oder am Montag zur Welt käme.«

Vergeblich versuchte Bärbel die Freundin zu veranlassen, noch ein Weilchen bei ihr zu bleiben.

»In einer halben Stunde kommt Harald heim, er freut sich auch, wenn er dich hier sieht.«

Edith wehrte ab. »Ich mag nicht mehr bleiben. Wenn ich euch sehe, wie ihr so glücklich und zärtlich zusammen seid, wird man neidisch. Warum habe ich es nicht auch so getroffen! Nein, nein, laß mich nur wieder in meinen Jammer zurückkehren.«

Seufzend gab Bärbel der Freundin bis an die Haustür das Geleit. Es tat ihr weh, daß sich Edith in ihrer jungen Ehe unglücklich fühlte. Aber sie trug wohl selbst die Schuld daran, denn sie war anspruchsvoll und zu bequem zu jeder häuslichen Arbeit. Sie wollte viel Vergnügen haben, das ihr der müde, abgearbeitete Mann nicht alltäglich gewähren konnte.

»Kann es überhaupt noch herrlicher werden, als es schon ist,« flüsterte Bärbel vor sich hin, als sie wieder das Wohnzimmer betrat. Aufs neue spann sie sich in ihre Gedanken ein, süße, beseligende Gedanken einer werdenden Mutter. –

An einem Sonntag im Monat September war Frau Wagner aus Dillstadt bei ihrer Tochter Barbara eingetroffen. Bärbel hatte die Mutter gebeten, zu kommen, wartete sie doch voller Sehnsucht auf die Stunde, daß man ihr ein Kindchen in den Arm legen konnte.

Das sonst so übermütige Bärbel war in den letzten Tagen recht still geworden. In den Augen der jungen Frau stand ein überirdischer Glanz. War Bärbel allein mit der Mutter, dann saßen beide Frauen oft in inniger Umarmung zusammen. Bärbel hatte ihren Goldkopf an die Schulter der Mutter gelehnt, stellte Frage auf Frage und lauschte den Worten der Erfahrenen.

»Wird es mir denn auch gelingen, aus diesem kleinen Menschlein ein tüchtiges Geschöpf zu machen? – Wird es mir nicht mißraten? Ich verstehe gar nichts von der Kindererziehung. Mitunter ist es mir, als wäre ich selber noch ein recht dummes Gör. Wie soll ich da mein Kindchen erziehen können? Sag' doch, Mutti, als ich geboren wurde, kamst du dir da auch noch so albern vor?«

»Mit deinen neuen Pflichten kommt auch der Verstand, mein liebes Bärbel.«

»Wenn es ein Junge ist, wird das Erziehungswerk wahrscheinlich noch viel schwieriger sein, Mutti. Oder habe ich dir auch so viel zu schaffen gemacht wie die Zwillinge?«

»Ihr seid alle zusammen recht lebhafte Kinder gewesen; vor allem war mein Bärbel immer ein kleiner Faulpelz, der durchaus nicht in die Schule gehen wollte, dem das Lernen verhaßt war.«

»Na,« meinte Bärbel, »das wird bei meinem Kinde ganz anders sein, ich prügle es so lange, bis es Lust zum Lernen hat.«

Frau Wagner lachte belustigt auf. »Das wäre dann freilich eine etwas merkwürdige Erziehung, mein Bärbel. Aber darüber brauchen wir uns heute noch nicht den Kopf zu zerbrechen. Das kommt später von ganz allein. Harald wird seinem Kinde ein guter und gerechter Vater sein, und auch du wirst deine Pflichten als Mutter dem Kleinen gegenüber treu erfüllen.«

An einem Freitagmittag legte man Bärbel, dieser gesunden, kräftigen jungen Frau, einen pausbäckigen, goldblonden Knaben in den Arm. Man hatte Harald aus der Fabrik gerufen. Ergriffen stand er am Lager seines jungen Weibes, das ihn strahlend anlächelte und überglücklich war.

»Mein Bärbel, – mein Goldköpfchen!«

»Ach, Harald, – jetzt sind wir Eltern. Ich bin eine Mutter, du bist ein Vater, – oh, – ach, es ist zu herrlich!« Plötzlich huschte ein Schatten über Bärbels Gesicht. »Heute ist Freitag?«

»Ja, mein geliebtes Bärbelchen, es ist Freitag, der 20. September, mittags zwei Uhr.«

»Das ist ja schrecklich!«

»Warum ist das schrecklich, mein Kleines?«

»Gebt mir doch die kleine Krabbe 'mal her.«

Der Wunsch wurde ihr erfüllt. Lange betrachtete Bärbel das Baby. Ein Jauchzen kam über ihre Lippen.

»Er sieht doch gar nicht so dumm aus. Häschen, wem sieht er denn ähnlich?«

»Dir, mein Bärbelchen, nur dir. – Blaue Augen, blonde Haare, deine Stupsnase, – deine Stirn.«

»O weh,« meinte Bärbel ein wenig nachdenklich, »sehr klug bin ich auch nicht gewesen; aber ich hoffe, er entwickelt sich noch. – Du, Harald, – es ist doch bestimmt nicht wahr, daß alle Kinder, die am Freitag geboren werden, Dummköpfe sind.«

Lachend küßte er sein junges Weib. »Es wird wohl nicht immer stimmen, mein Liebling, dein Häschen ist nämlich auch ein Freitagskind, und man sagt mir immer, daß ich gar nicht so dumm bin.«

»O – auch ein Freitagskind!« Bärbel rief es stürmisch. Rasch trat Frau Wagner ans Bett und erhob drohend den Finger.

»Bärbel, du sollst nicht so lärmen, du sollst dich schonen, mein Kind!«

»Wenn er doch ein Freitagskind ist! – Mutti, das hast du doch auch noch nicht gewußt? Häschen ist auch an einem Freitag geboren. Nun bin ich doppelt froh! – Ach, – natürlich, er sieht ja schon so klug aus, der – der – ach, du meine Güte, wie nennen wir ihn denn?«

»Du sollst ruhig sein, Bärbel.«

»Aber, Mutti, wie kann ich denn jetzt ruhig sein, wo doch noch das Wichtigste zu beraten ist. Er muß doch einen Namen bekommen, einen Namen, den er sein Leben lang nicht wieder loswird. Es muß also ein Name sein, der auf ihn paßt. – Ach, gebt mir doch das süße Bündel noch einmal her. Wenn ich ihm in die Augen sehe, kommt mir gewiß die Erleuchtung.«

»Ich denke, du wolltest ihn Peter nennen,« sagte Harald, »oder Rudolf oder Julian?«

»Danach sieht er nicht aus.«

»So nenne ihn Harald, wie dein Mann heißt.«

»Das ist freilich ein schöner Name, aber das ist nicht praktisch. Rufe ich nach dem einen, so kommt der andere herbei. Harald Wendelin – Harald Hermann Wendelin – halt, – jetzt hab' ich's. Ich gebe ihm deinen zweiten Namen!«

»Hermann? Gefällt dir der Name?«

»Ach, Häschen, der gefällt mir fürchterlich gut. Hermann, der Cheruskerfürst, – natürlich der Name paßt. So denke ich mir den Cheruskerfürsten auch. Hermann – Armin – oh, oh, – natürlich, du heißt Hermann. Hast du verstanden? Daß du mir nun immer folgst, wenn ich dich rufe, Hermann. Ein Herr bist du, ein Mann sollst du werden. Jetzt bist du zwar erst ein Männchen –«

»Nun ist es genug mit dem Schwatzen.« Energisch griff Frau Wagner nach dem Baby, nahm es Bärbel fort und sagte streng: »Jetzt wird geschlafen, mein Kind, wenigstens schließt du die Augen.«

»Mutti, – meinst du wirklich, daß man bei so wichtigen Anlässen schlafen kann?«

Frau Wagner lachte ein wenig ärgerlich. »So eine fidele junge Mutter ist mir noch niemals vorgekommen. Aber ich habe jetzt das Regiment, Bärbel. Wenn du nicht sofort still bist, bekommst du heute den ganzen Tag über deinen Cheruskerfürsten nicht zu sehen. – Jetzt Ruhe. Und du kommst mit mir heraus, Harald.«

»Ich bin ja ganz ruhig, Mama, ich sage kein Wort, aber laß mich hierbleiben.«

»Nein, ich kenne mein Bärbel zu genau. Sie wird immerfort zu dir herüberzwinkern, und an Ruhe ist nicht zu denken. Du kommst mit mir hinaus. In einer Stunde darfst du wieder nach ihr sehen.«

»Na, so geh nur,« sagte Bärbel leise, »ich zähle sechzigmal bis sechzig, dann bist du wieder hier.«

»Du schläfst, Bärbel! Hast du mir nicht gesagt, daß du deine Mutterpflichten treu erfüllen willst? Du hast jetzt die Pflicht, zu schlafen.«

Kichernd zog Bärbel die Bettdecke über das Gesicht.

Da lag sie nun mit geschlossenen Augen in den Kissen, sollte schlafen und hätte doch am liebsten ihre innere Glückseligkeit laut hinausgejubelt. Sie richtete sich ein wenig auf, wollte das Kindchen sehen, aber das Körbchen war leer.

»Jetzt haben sie mir meinen Cheruskerfürsten entführt. Ist doch mein Kind! – Na, das wird noch 'nen netten Zank geben.«

Aber schließlich kam doch die Ermattung über Bärbel, und als Frau Wagner nach einer Weile ganz leise ins Zimmer schaute, war Bärbel eingeschlummert.

Gegend Abend traf Großmama Lindberg ein. Die alte Dame hatte Tränen in den Augen, als sie ihren Urenkel ans Herz drückte. Frau Lindberg war trotz ihrer achtundsiebzig Jahre noch eine selten rüstige Frau mit einem frischen, fröhlichen Gesicht. Sie liebte ihre Enkelin über alles, hatte sie doch in der Zeit, als Bärbel bei ihr lebte, Goldköpfchen als ein wertvolles und pflichtgetreues Menschenkind erkannt, dessen Charakter lauteres Gold war.

Bärbel war erwacht. Frau Lindberg trat ans Lager der Enkelin und strich ihr zärtlich über die Hände.

»Au, Großmama, sein, – schade, daß der Cheruskerfürst noch nicht sprechen kann. Es klänge so gut: Urgroßmutter! Vier Generationen, – wie du dir vorkommen mußt! Immer wieder was Kleines! Ist der Bengel hübsch, – Großmama?«

»Er sieht dir ähnlich, mein Goldköpfchen.«

In diesem Augenblick begann der Knabe zu schreien. Verzückt betrachtete Goldköpfchen das kleine Wesen; dann wurde die junge Mutter nachdenklich.

»In einem der Bücher steht, man soll den Kindern beizeiten das Schreien abgewöhnen. In einem anderen steht aber: Schreien ist gesund. Was machen wir nun?«

»Laß es nur schreien,« meinte Harald belustigt, »das stärkt die Lungen.«

»Möchtest du es nicht etwas herumtragen? Es könnte ihm vielleicht schaden, wenn es immerzu schreit. – Oder hat es Hunger?«

Man lachte Bärbel aus. Schalkhaft sagte Harald: »Ich denke, die Kinder sollen nicht verwöhnt werden. Du hast mir doch erst neulich einen langen Vortrag gehalten, daß Prügel unser Haupterziehungsmittel bilden werden, und daß du schon am ersten Tage damit beginnen wolltest. Nun, mein Liebling, wie wäre es, wollen wir den kleinen Cheruskerfürsten durchhauen?«

»Aber, Häschen!« rief Bärbel entsetzt.

»Ich war ja von vornherein nicht für deine Erziehungsmethode, ich wollte dir nur nicht vorgreifen.«

Da schauten sich der junge Vater und die junge Mutter in die Augen, dann lachten sie herzlich.

Goldköpfchen als Mutter

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