Читать книгу Der weiße Wolf - Макс Брэнд - Страница 10

8. Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

An diesem Schicksalstage war Mutter Wolf früh auf, denn am Tage zuvor war die Jagd hart und die Beute dürftig gewesen. Sie hob den Kopf und blickte auf ihre Brut. Die jungen Wölfe lagen dicht an ihre Flanke gedrängt und schliefen. Aber augenblicklich richteten sich die kurzen Lauscher in die Höhe und die blanken Augen öffneten sich. Nur der weiße Wolf, der zwischen ihren Vorderpfoten lag, rührte sich nicht. Im Schlaf lief ein leises Beben durch seinen Balg. Das war alles. Sie berührte ihn liebkosend mit der Nase und fragte sich im stillen verwundert, wie dieses kleine Wesen einmal fähig sein sollte, den Gefahren der schrecklichen Welt außerhalb der Höhle zu trotzen. Wie dumm, wie träge waren die Sinne, die Mutter Natur ihm auf den Weg mitgegeben hatte. Selbst wenn ihre Nase sein samtiges Fell berührte, zuckte er nicht, und als sie behutsam ihre Vorderpfoten wegzog, wälzte er sich bloß im Schlaf herum und schmiegte sich dichter an ihre Brust.

La Sombra öffnete ihren roten Rachen und lachte geräuschlos vor sich hin, ein Lachen, im dem sich Lust und Leid mischten. Sie stand auf. Jetzt entschloß sich auch Weißwolf, die Augen zu öffnen und starrte ihr traurig nach, als sie nach dem Höhleneingang schritt. Schlappohr, La Sombras Erstgeborener und der kräftigste im ganzen Wurf, schlich sofort seiner Mutter nach. Sie machte kehrt und kniff ihn gerade so viel, daß er winselte.

»Bleibt im Bau und liegt still!« knurrte La Sombra. »Rührt euch nicht, bis die Sonne am heißesten ist. Und auch dann geht nicht weiter als zehn Sprünge von der Höhle weg. Ich wittere eine Gefahr in der Luft dieses Morgens.« Sie streckte die Nase nach oben und schnüffelte: »Die Witterung kommt das Sieben Schwestern-Tal herauf,« sagte La Sombra, »aber wenn ihr euch still verhaltet, wie es sich für kleine Wölfe schickt, wird euch nichts geschehen.«

Sie trat aus der Höhle. Der Terrier winselte sofort. Sie kam zurückgerannt, es knurrte in ihrer Kehle, aber als sie über ihm stand, schmolz ihr Zorn dahin, wie schon so oft, denn sie empfand für ihn die Zärtlichkeit, die Mütter immer für das unbeholfenste und dümmste ihrer Kinder empfinden. Ein Blick, das Heben einer Pfote, das leiseste Zähnefletschen genügte, um ihre anderen Jungen auf den rechten Pfad zu bringen, aber mit »Weißwolf« war es anders – bedenklich anders. Jetzt wieder, obwohl sie das Zeichen für tiefstes Schweigen gegeben hatte, beharrte er eigensinnig darauf, unter ihr herumzukriechen und von da aus zu ihr hinaufzuwinseln. Anstatt ihn gehörig zu kneifen, wie eine gute Pädagogin hätte handeln müssen, begann sie ihm das Gesicht abzulecken: »Was ist los, kleiner Narr?« knurrte es tief aus ihrer rauhen Kehle. »Was siehst du denn da drin in deinem kleinen Herzen, was die hellen Augen anderer nicht erspähen können? O du wackerer, kleiner Feigling, du weißer, kleiner Narr. Ist je einer Mutter eine solche Last aufgepackt worden wie du?«

Zu guter Letzt fand er sich doch bereit, sich zusammenzurollen und einzuschlafen, aber La Sombra bemerkte, daß er sich von dem warmen Knäuel der andern fernhielt. Er war überhaupt geneigt, sich über seine Kameraden ein bißchen zu erheben. Wenn sie miteinander balgten, geschah es oft, daß er ganz für sich mit einem Stock oder Stein spielte, und nachts, wenn alle andern sich dicht an La Sombras Flanke gedrückt, zum Schlaf zusammenrollten, kroch er regelmäßig an seinen angestammten Platz zwischen ihren Vorderläufen. La Sombra starrte auf den Schläfer hinunter, das Herz tat ihr plötzlich weh. Aber da sie die Ursache dieser Beklemmung nicht zu deuten wußte, stieß sie ein neues Knurren aus – leise, nicht lauter als das Summen einer Biene, das der Wind mitträgt – und verließ die Höhle.

Ihr ältester Sohn, Schlappohr – denn die kräftigen Zähne seines seltsamen weißen Stiefbruders hatten ihn an jenem ersten Tag fürs Leben gezeichnet –, blinzelte ihr nach. Er sah, wie sie über die Lichtung glitt und wie sie am Waldrand giftig und vergeblich nach einem Eichhörnchen sprang, das vom sicheren Ast wütend auf sie herunterzeterte. Dann war sie lautlos verschwunden und Schlappohr kroch zu seinen Brüdern zurück.

Für den Terrier folgten jetzt ein paar lange und kalte Stunden. – Ein Wind aus Südwesten strich über die eisigen Gipfel der San Jacinto-Berge, und seine frostigen Finger reichten selbst in die Tiefe der Höhle hinab. – Seine Stiefbrüder kümmerten sich nicht darum. Sie waren behaglich in ihre dichten und flaumigen Pelze gehüllt. Den Terrier aber traf jeder Luftzug wie ein Schwert, das ihm eiskalt durch den Körper ging. Er rollte sich, so gut es ging, noch dichter zusammen und duldete schweigend, von Frostschauern geschüttelt, die Schnauze in betrübte Falten gelegt.

Schließlich war er so weit, daß er die Warnung, die La Sombra beim Abschied ihrer Brut erteilt hatte, vergaß. Er kroch bis an die Mündung der Höhle. Dort lag er, halb noch im kalten Schatten, halb in der mildtätig wärmenden Morgensonne. Jetzt endlich fand er Schlaf. Freilich lief noch immer ein unaufhörliches Zittern über sein Fell, aber diesmal war der Stachel des Gewissens daran schuld, das uns peinigt, auch dann, wenn es ihm nicht gelingt, uns zum Sklaven zu machen.

Die jungen Wölfe hatten wohl gesehen, welch unglaublicher Keckheit Weißwolf sich schuldig machte. Sie starrten verblüfft, sie warfen sich Blicke zu – bis endlich Schlappohr sich ebenfalls vor den Höhleneingang schlich und sich neben seinem weißen Bruder aufpflanzte. Gewiß, es war gefährlich, sich draußen in der Welt zu zeigen. In ihm hallte noch, wie das Vibrieren einer Baßseite, die grimmige Warnung nach, die La Sombra ihnen zugeknurrt hatte. Aber nachdem er einen Blick umher geworfen hatte, wurde ihm wärmer ums Herz. Wenn keine Gefahr zu erblicken war, dann gab es auch keine – das war doch gewiß.

Er rannte zurück zu den andern, die noch in einem dichten Knäuel im Nest lagen, stieß seine Nase aufmunternd gegen die einer übermütig veranlagten Schwester, und einen Augenblick später tollte die ganze Bande draußen in der beglückenden Sonnenwärme. Gewiß, sie vergaßen nicht jede Vorsicht. Aus der unbekannten Welt im Osten und im Süden trieb manchmal eine fremde Witterung herauf, die sie mitten im tollsten Spiel einhalten ließ. Dort hinten rückten Mount Dunkeld und der San Jacinto dem Himmel mit einer stolzen Reihe funkelnder Zinnen und Gipfel auf den Leib, und tief nach Süden und Osten breitete sich der Mount Lawrence wie eine unförmige Pyramide aus, eine mächtige weiße Schneekappe tief über die Ohren gezogen. Dazwischen lagen die Täler, aus denen die fernen Gerüche vom Wind heraufgetragen wurden, und wenn dieser Hauch sie traf, ließen sich die eben noch in ihr Spiel vertieften Jungwölfe plötzlich gravitätisch auf ihre Hinterteile nieder, streckten die Schnauzen hoch in die Luft, schnüffelten und waren plötzlich still, als habe sie das tiefe Wissen, das durch Zehntausende von Jahren, von den Voreltern überkommen, in ihren kleinen Hirnen aufgespeichert lag, plötzlich überwältigt.

Weißwolf schloß sich dem Spiel nicht an. Er brauchte immer mehr Schlaf als seine Gefährten. Aber auch als er ausgeschlafen hatte, zeigte er keine Lust, sich in das Getümmel zu mischen. Er war bei seinen Lagergenossen nicht beliebt, ein unwillkommenes Mitglied der Gesellschaft, das ausgeschlossen blieb und im übrigen durchaus damit einverstanden war. Die Jungwölfe fanden kein Vergnügen daran, wenn Haschen gespielt wurde, ihn daran teilnehmen zu sehen, denn niemals trug es sich zu, daß er »dran« war. Die Natur hatte ihm zwei Paar Beine mit Muskeln und Sehnen aus vibrierendem Stahl geschenkt. Nicht nur konnte er rascher laufen als sie alle, er war zehnmal geschickter darin, seine Verfolger durch Haken und Finten zu täuschen. Manchmal tat sich die ganze Bande zusammen, um über ihn herzufallen und ihm zu beweisen, wie wenig sie ihn liebten, aber sie hätten ebensogut nach einem gaukelnden Schmetterling oder nach einem wirbelnden, welken Blatt schnappen können. Wenn sie aber ihn wirklich einmal zu ihren Spielen zuließen, konnte man immer darauf gefaßt sein, daß es ihnen irgendwie übelbekam. Die Jungwölfe, fett und ausgepolstert wie sie waren, konnten einen guten Puff und ein bißchen Kneifen mit den Zähnen aushalten, ohne daß es ihnen wirklich weh tat. Aber den Terrier brauchte ein Zahn nur zu streifen, dann perlte schon das Blut aus seinem seidenglatten Fell und er verwandelte sich, trotz seiner Jugend, in einen rasenden Teufel. Er heulte nicht, er winselte nicht, um zu zeigen, daß man ihm weh getan habe. Er flog, mit teuflischer Verbissenheit, schweigend seinem Gegner an den Hals, packte zu – es kümmerte ihn nicht wo –, schraubte die Kiefer zusammen und bohrte seine Zähne tiefer und noch tiefer und immer noch tiefer, mit geschlossenen Augen und in verzückter Hingabe, entschlossen, ganze Arbeit zu tun. Im allgemeinen ließen sie ihn deshalb lieber ungeschoren, und wenn sie sich einmal um ihn bekümmerten, so nur in der Form, daß sie sich zu dritt und viert zusammentaten, um ihn zu ärgern und zu drangsalieren. Auch dann geschah es freilich oft, daß er ihnen noch genug zu schaffen machte. Wenn nichts mehr half, zog er sich in eine Felsspalte zurück, die er hinten in der Höhle entdeckt hatte. Dort konnten seine Feinde nur einzeln an ihn heran.

So lag auch an diesem Morgen Weißwolf abseits und sah den andern zu. Das Herz tat ihm weh. Er hätte gar zu gerne sich ihrem Spiele angeschlossen. Statt dessen wendete er schließlich schwermütig den Kopf zur Seite, stellte sich so, als ließe ihn das alles ganz kalt und blickte nach den Bergen hinüber, deren Flanken die Wälder wie dichte, dunkelgrüne Schatten bedeckten. Mit einemmal schrie vom Waldrand her, wo es sich friedlich auf der äußersten Spitze eines Astes gewiegt hatte, ein Eichhörnchen so voller Todesangst, daß im Nu die ganze Wolfsbrut platt an den Boden gedrückt lag.

Sie sahen ein Silbereichhörnchen über die Lichtung rasen – ein grauer Strich, der blitzschnell vorbeiflitzte, – und in panischer Angst fegte es am Stamm des nächsten Baumes in die Höhe. Ihm dicht auf den Fersen folgte ein unheimliches Wesen, lang, niedrig auf den Beinen, seidig von Fell und mit einem tückischen Kopf, der an ein Schlangenhaupt erinnerte. Dies teuflische Geschöpf besann sich keinen Augenblick, als sein Opfer in der Baumkrone verschwand. Es schoß genau so schnell und mühelos den Stamm hinauf, wie vor ihm das Eichhörnchen. In den Zweigen knackte und raschelte es – ein Todesschrei, der erstickte, noch ehe er recht begonnen hatte –, und alle die schutzlosen kleinen Würmer La Sombras wußten, daß eben ein Mord geschehen war.

Schlappohr faßte sich zuerst. Er sprang auf und stahl sich leise heim, nach der Höhle. Einer nach dem andern folgte seinem Beispiel, aber ach, wie weit schien jetzt der Weg zurück in das schützende Dunkel. Doch bereits hatten fremde Augen ihre Not erspäht. Der kleine braune Teufel da oben im Baum hatte das Eichhörnchen nicht getötet, weil Hunger ihn quälte. Seine blutigen Fänge hatten das Opfer achtlos fallen lassen. Nun glitt das weiche, pelzige Körperchen hinunter, fiel mit einem dumpfen Plumps von Ast zu Ast und stürzte zu Boden. Der Marder aber hockte lauernd in den Blättern und starrte hinunter. Das Schauspiel auf der Lichtung faszinierte ihn.

Die Zeit drängte. Die Höhle war nahe, in der all die kleinen Kreaturen sichere Zuflucht finden konnten. So nahm sich das Raubtier nicht die Zeit, am Stamm hinunterzugleiten, es schnellte sich in weitem Bogen einfach in die Luft hinaus und landete aus einer Höhe von fünfundzwanzig Fuß sicher auf dem Boden, ohne sich das geringste zuleide zu tun, ja, der Anprall auf den Boden spannte seine Muskeln zu neuem Sprung, und im Handumdrehen war es unter der schutzlosen Herde. Es begnügte sich nicht, mit den Zähnen zu morden, im Laufen teilte es rechts und links mit den Vorderpfoten, an denen fünf dolchscharfe Krallen saßen, tödliche Hiebe aus. Jeder Schlag riß einem Jungwolf die Flanken auf und zerschmetterte die zarten Rippen. Und als der Marder in die Höhlenmündung hineinglitt, ließ er die ganze Wolfsbrut tot oder sterbend hinter sich zurück. Nur Schlappohr, der als erster die Flucht ergriffen hatte, war noch am Leben.

Der matte Schimmer eines weißen Fells zeigte Schlappohr im Dunkel des Höhlengangs den Weg, und als der Terrier seinen Lieblingsschlupfwinkel erreichte und rücklings tief in die Felsspalte kroch, stürzte sich Schlappohr verzweifelt mit hinein. Da saß er, dicht gegen seinen weißen Pflegebruder gedrängt, von einer Angst geschüttelt, die ihm nicht einmal ein Winseln erlaubte. Das Raubtier faßte mit einem nachdenklichen Niesen vor der Spalte Posto. Schlappohr konnte den fauligen Atem des Mörders riechen, der die Höhle füllte. Dann wurde seine Rückenhaut von etwas aufgeschlitzt, das scharf war wie ein Messer, und er drängte sich jammernd noch tiefer neben seinen weißen Genossen. Immer noch war er nicht in Sicherheit. Die Felswand bestand aus weichem, zerbröckelndem Stein. Für die scharfen Klauen des Marders genügten fünf Minuten, um die Spalte zu erweitern. Da streckte die Vorsehung schützend ihre Hand über die beiden bebenden Flüchtlinge aus. Von den Bergen herüber brachte der Wind einen tiefen, vibrierenden und drohenden Ruf, den Ruf eines jagenden Wolfes. Der Marder spitzte die Ohren und kroch nach rückwärts. Er hockte im Dunkel der Höhle und schnüffelte in der Luft, die ganz von der Witterung der Wölfe, von der mütterlichen Wärme La Sombras erfüllt schien. Die Atmosphäre war ihm unheimlich. Auch vor dem wütendsten Wolf, der je auf eine Fährte jagte, wäre er nie auch nur einen Schritt zurückgewichen. Aber hier, in der Höhle der Wölfin, krochen beklemmende Vorahnungen über ihn hin. Fürchterlich ist der blinde Zorn einer beraubten Mutter.

Ein nervöses Zittern überlief ihn, unschlüssig sah er sich nach dem Höhleneingang um. Nichts. Er starrte wieder in die Spalte, grünes Mordlicht in den Augen. Plötzlich aber machte er kehrt und glitt ins helle Tageslicht hinaus. Die verstümmelten und blutbedeckten Leichen der jungen Wölfe lagen in seinem Weg. Er warf einen scheuen Seitenblick darauf und huschte, wie ein Verbrecher, in den alles verhüllenden Schatten der Wälder.

Der weiße Wolf

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