Читать книгу Begierde - 12 erotische Novellen - Malva B. - Страница 4
Оглавление„You guys are amazing“, sagt José, als er sich, glänzend vom Schweiß und mit stehendem Schwanz die paar Meter von Jonathans und meinem Doppelbett ins Bad schleppt.
Er kratzt sich am Sack und fragt, ob er eine Zahnbürste leihen kann. José ist ein leicht übergewichtiger Dreiunddreißigjähriger aus Madrid, dessen Haare dünn werden. Wir haben ihn auf einer Charterreise nach Ibiza im letzten Jahr kennengelernt, als er uns die Geheimnisse des Dreiers näherbrachte.
„Musst du auch zu Ericsson?“, fragt Jonathan, als wir mit dem Frühstück fertig sind und uns für den ersten Arbeitstag der Woche vorbereiten. „Dann kannst du mit Julia und mir fahren.“ Jonathans und meine kleine Höhle in der Altstadt liegt echt nicht optimal, wenn man in Kista arbeitet. Aber wir sind noch nicht bereit, die Innenstadt gegen einen Vorort im Norden einzutauschen, auch wenn wir in weniger als einem halben Jahr heiraten werden.
„Am Pfingstabend läuten die Glocken“, wie mein Vater zu sagen pflegt. „Zieht ihr dann wieder nach Hause?“
Mein Papa ist ein echter Außen-Göteborger und versteht überhaupt nicht, wie man von Schwedens schönsten Ort wegziehen kann, wo die Sonne im Meer versinkt und die Fische sieben Tage pro Woche taufrisch sind.
„Vielleicht, wenn wir eine Familie gründen“, antworte ich ausweichend und frage mich, wie es wohl wäre, nicht nur mit seinem Mann und Liebhaber zu arbeiten, sondern dem eigenen Vater auch noch auf Geschäftsmeetings zu begegnen.
Ich lache auf. „Was ist so lustig?“, fragt Jonathan, als wir José rausgelassen haben und zum Parkplatz weiterfahren.
„Ich habe heute Morgen ein Meeting mit meiner Chefin. Ich hoffe, ich kann mich darauf konzentrieren, was sie sagt und denke nicht die ganze Zeit an unsere nächtlichen Eskapaden.“
„So lange du nicht anfängst zu stöhnen und zu wiehern wie gestern, wird dir wohl nichts passieren“, antwortet Jonathan und lächelt.
„Was finden die Frauen eigentlich an ihm?“, fahre ich fort und gestikuliere in Richtung José, der zum Haupteingang schlendert.
Seine sackartige Altherrenhose betont seinen Hängehintern. Echt jetzt, wer trägt denn heutzutage noch solche Hosen? Sein Hemd ist ungebügelt. Und ich dachte immer, die Kleiderordnung in Spanien sei strenger! Obwohl – vielleicht haben sie ihn ja deshalb nach Schweden geschickt? Er sieht wie jemand aus, der alles zu gewissenhaft betreibt: arbeiten, rauchen, trinken und ficken. Ein Genussmensch, wie er selber sagen würde.
„Das Gleiche wie du, scheint mir“, antwortet Jonathan und kichert. „Er scheint einfach gut ficken zu können.“
„Das funktioniert ja nur, weil ich die Augen zumache und deine Hand halte“, antworte ich und tätschle ihm freundlich den Arm.
Im Aufzug zum vierten Stock frage ich mich, ob ich wirklich so äußerlich bin. Wie sonst kann dieser furchtbar gekleidete Controller mit der geilen Frau zwischen zwei Männern verschmelzen? Die Frau, die ich vor ein paar Stunden noch war? Genauso natürlich, wie ich mich einem zum großen Teil unbekannten Mann hinter runtergelassenen Jalousien im Morgengrauen hingegeben habe, so natürlich gleite ich jetzt in den Konferenzraum im vierten Stock. Platziere mein iPad vor mir auf dem großen, ovalen Holztisch. Sehe hoch, als meine Chefin in den Raum geeilt kommt. Sie wirft sich auf ihren Stuhl und wischt sich drei Schweißperlen von der Stirn, wie sie es immer tut.
Ich höre mit einem halben Ohr zu, als sie von ihrem Vierjährigen erzählt, der mit Grippe aufgewacht ist und der Einjährigen, die nicht in die Kita will. Sie holt tief Luft und legt beide Hände auf den Tisch. Sieht mich auffordernd an und fragt:
„Bereit, die Herausforderungen der Woche durchzugehen?“
„Absolut“, antworte ich.
Am Ende des Arbeitstags diskutieren Jonathan und ich, ob man mal eine After-Work-Party in Kista ausprobieren sollte oder nicht. Obwohl wir seit drei Jahren täglich hierher pendeln, ist uns noch nie die Idee gekommen, den Stadtteil abends mal genauer zu betrachten.
„Kann man nicht“, stellt José fest, als er mit achtundzwanzig Minuten Verspätung auftaucht und wir uns noch immer nicht entschieden haben. „Let’s go to Riche and have dinner“, fährt er fort. „Dann könnt ihr da das Auto stehen lassen. Es kostet ein Vermögen, mit dem Taxi von Kista zur Altstadt zu fahren.“
„Was ist mit der U-Bahn?“, frage ich rhetorisch, obwohl ich ihm zustimme, dass Östermalm sehr viel gemütlicher klingt als dieses Glas- und Betonghetto.
„Wir möchten Champagner“, sagt José ein Weilchen später, noch ehe wir uns die Jacken ausgezogen haben.
„Ich empfehle eine Flasche Charles Lafitte, Jahrgang 1999“, antwortet der Kellner.
„Was kostet die?“, fragt Jonathan. „Viertausend Kronen“, sagt der Kellner und lächelt, als er Jonathans erschrockenes Gesicht sieht. „Ich mache nur Spaß. Wollt ihr auch was essen?“
„Natürlich. Ich zahle“, antwortet José und beugt sich über die Speisekarte. „Wir brauchen noch ein paar Minuten, bitte“, fährt er fort.
„Im Riche muss man Toast Skagen essen“, sage ich und deute auf die englische Beschreibung in Josés Karte. „Die Vorspeise hat ein Gardemanger von hier in den Fünfzigerjahren kreiert.“
„Wird man davon satt?“
„Vielleicht nicht, aber ich werde trotzdem damit anfangen.“
„Okay, klingt gut“, sagt José, wirft die Speisekarte von sich und winkt dem Kellner zu. „Wir sind dann so weit.“
Kurze Zeit später steht die Geschmackssensation hübsch angerichtet auf weißen Tellern vor uns.
„Was habt ihr für Urlaubspläne für den Sommer?“, fragt José.
„Wir heiraten ja Ende Mai, dann fahren wir irgendwohin in die Flitterwochen. Aber wir wissen noch nicht, wohin“, antwortet Jonathan.
„Kommt mit mir zur Cap d’Agde für eine Woche“, sagt José.
„Was ist das?“, fragen Jonathan und ich gleichzeitig.
„Und ihr nennt euch Swinger?“, murmelt José und schüttelt den Kopf. „Cap d’Agde ist die Hochburg des Hedonismus. Guckt euch mal die Website an und ruft mich an, wenn ihr euch entschieden habt. You won’t regret it. It’s an experience of a lifetime.“
An einem frühen Samstagmorgen sieben Monate später holt José uns mit seiner neuen Freundin in einem großen, schwarzen BMW vor unserem Hotel in Barcelona ab. Laut José ist sie Amerikanerin mit pakistanischen Wurzeln und hat einen ungewöhnlichen Namen. Weder Jonathan noch ich können uns an den Namen erinnern.
„Wie spricht man deinen Namen aus?“, fragt Jonathan, als wir uns alle begrüßt haben und eingestiegen sind.
„Diana“, antwortet Diana und sieht ihn verwirrt an. Wir verstehen sofort, dass dies nicht die Frau ist, mit der wir eigentlich hatten verreisen sollen. José hat einen Ersatz gefunden.
„Wo kommst du her?“, frage ich.
„Von den Kanaren“, antwortet Diana.
„Wie spannend!“, sage ich und meine es auch so.
José lächelt mich im Rückspiegel an. Er ist dankbar, dass ich uns alle aus der peinlichen Situation gerettet habe, die beinah entstanden wäre.
Während der vier Stunden Smalltalk und erwartungsvollem Lachen überqueren wir die Pyrenäen und die spanisch-französische Grenze. Nach dem Mittagessen und der Pinkelpause kommen wir endlich in der sechshundert Jahre alten französischen Stadt am Mittelmeer an, in der knapp zwanzigtausend Menschen wohnen. Eine Bevölkerung, die sich in den Sommermonaten vervielfacht. Allein in dem Nudistendorf direkt vor den Toren von Cap d’Agde, wohin wir unterwegs sind, wächst die Bevölkerung auf vierzigtausend.
Wir fahren zu einem hohen, hellblauen Metalltor. In dem runden Gebäude dahinter drückt jemand auf einen Knopf. Die Farbe blättert vom Tor ab, das sich unter lautem Quietschen langsam öffnet. José parkt das Auto und steigt aus.
„Kommt, wir müssen uns registrieren“, sagt er und nimmt Dianas Hand.
Jonathan und ich trotten ein paar Meter hinter ihnen drein. Als ob wir unbewusst versuchen, nicht auf den Filmen der Überwachungskameras zu landen. Dann schubst uns ein uniformierter Mann brüsk in einen Raum, der an einen überdimensionierten Wartesaal oder eine Liftstation in den Alpen erinnert.
„Alle Besucher müssen sich registrieren“, erklärt José und teilt weiße Formulare aus, die wie ein amerikanischer Visumsantrag aussehen.
Wir stellen uns an einen pultartigen Tresen, der an der Wand befestigt ist, und füllen unsere Personalien aus. Nachdem wir die Parkgebühr bezahlt haben, bekommen wir einen Passierschein für die Anzahl der Tage, die wir bleiben möchten. Dann fahren wir in ein Paralleluniversum.
„Oh my God“, sage ich und drücke die Nase ans Autofenster. Wir fahren langsam zwischen den Dorfbewohnern entlang: Große und Kleine. Dicke und Dünne. Alte und Junge. Sie sind überall: am Strand, am Pool, auf den Straßen, auf dem Weg in Läden und auf dem Weg hinaus. Vierzigtausend Menschen auf einer kleinen Oberfläche sind ziemlich viele Menschen. Besonders, wenn sie alle nackt sind. Selbst bei den Straßenschildern sind Verbotsschilder für bekleidete Menschen.
„Kannst du aufhören, dich zu benehmen, als wären wir im Tierpark?“, zischt Jonathan.
„Faszinierend, nicht?“, grinst José. „Nur schade, dass wir keine eigene Wohnung mieten konnten. Ihr habt euch zu spät entschieden. Da war schon alles ausgebucht. Nun müssen wir mit Europas schlampigstem Hotel Vorlieb nehmen.“
José übertreibt nicht. Trotz des Preises hat das Hotel seine besten Tage hinter sich. Anscheinend war es eins der ersten Hotels, die in den Siebzigern gebaut wurden, als das Nudistendorf gegründet wurde. Es scheint seitdem nicht renoviert worden zu sein. Wie überall in Frankreich sind die Zimmer klein. Jonathan, der in einer palastartigen Villa im Saltsjöbad aufwachsen ist, bekommt seine Klaustrophobie zu spüren und stöhnt.
„Don’t be mad, man“, sagt José und klopft Jonathan auf die Schultern. „Wenn ich dir erzählt hätte, wo wir wohnen werden, wärst du doch nie mitgekommen, oder? Aber mach dir keine Sorgen, in Cap d’Agde verbringt man kaum Zeit im Hotelzimmer. Wir holen euch in zwanzig Minuten, okay?“
Grummelnd packt Jonathan aus und legt seine frisch gebügelten Kleider in ordentlichen Haufen auf den synthetischen, kackbraunen Bettüberwurf. Ich öffne das Fenster am einen Ende des Zimmers und die Balkontür am anderen, in einem verzweifelten Versuch, einen Luftzug herzustellen und die abgestandene Mischung aus verwurzeltem Dreck, Rauch und billigem Parfüm loszuwerden. Jonathan reicht mir den Föhn.
„Au!“, schreien wir beide gleichzeitig, als sich unsere Hände berühren und wir beide einen Schlag bekommen.
Der Föhn landet auf dem einen Quadratmeter des Hotelbodens, auf dem kein Teppich mit Blumenmuster liegt. Seine Plastikhülle zerspringt. Das Geräusch klingelt in den Ohren.
„Wo sind wir hier verdammt noch mal gelandet, Julia?“, seufzt Jonathan. Wir sinken beide auf die Bettkante. Es ist so weich, dass wir beinah zu Boden fallen.
„Ich kriege den Hexenschuss zuerst!“, versuche ich zu scherzen, aber eigentlich will ich weinen.
Monatelang aufgestaute Vorfreude. Die Anspannung der langen Reise. Und nun das!
Plötzlich steht José in der Tür. Er tritt über die Schwelle und kommt auf seine etwas wacklige, halbnervöse Art auf uns zu. Sein Schwanz wippt im Takt. An unserem Bett bleibt er stehen und kratzt sich am Sack.
Warum kann er nicht klopfen?, denke ich. Und warum kratzt er sich ständig am Sack?
José zeigt auf die Kleider auf dem Bett. „Ihr wisst schon, dass ihr die nicht braucht, ne? Habt ihr vergessen, dass wir auf einer Nudisteninsel sind? Jetzt kommt schon. Wir warten am Pool auf euch.“
Jonathan und ich gucken einander an und lachen los. „An experience of a lifetime ist es wirklich“, sagt Jonathan und steht auf. „Du weißt, dass ich dich mehr liebe als alles andere auf der Welt, nicht?“, fährt er fort und nimmt mein Gesicht in seine Hände. „Ich meine, falls ich dieses Abenteuer hier nicht überlebe.“
„Natürlich überleben wir. Jetzt geht der Spaß ja erst los“, antworte ich und gebe ihm ein Küsschen auf die Nase.
Jonathan und ich gehen vorsichtig die Treppe runter, ein Badehandtuch um die Hüften.
„Bonne journée“, wünscht der Rezeptionist, der erste bekleidete Mensch, den wir seit der unfreundlichen Security gesehen haben. Diana sitzt am Beckenrand und planscht mit den Füßen. Ich sehe erleichtert, dass sie ihr Bikinihöschen noch anhat. Ich setze mich neben sie und mache dasselbe.
„Warst du auch schon mal hier?“, frage ich. „Nein, ich kenne José erst seit vier Monaten.“
Jonathan legt sich auf eine Sonnenliege neben José und versteckt seinen Schwanz hinter einem Handtuchzipfel. Er versucht es natürlich und nonchalant aussehen zu lassen, aber José lacht los.
„Und ich dachte immer, Schweden wären so freizügig“, prustet er. „Prost!“
Etwa drei Piña Coladas später merkt niemand mehr, dass Jonathan und ich zum ersten Mal auf dieser Seite von Saint Tropez sind. Das Handtuch gleitet hinab, als wir einen Spaziergang am Strand machen. Wir gehen die Straße entlang – splitterfasernackt. José diskutiert lebhaft mit seinem Chef am Telefon. Wie immer. Unter dem Arm trägt er seinen Laptop. Wenn José nicht am Ficken ist, ist er am Arbeiten. Immer.
„Am Strand gibt es drei unsichtbare Grenzen“, erklärt José. „Wir gehen ganz nach hinten. Da sind die Swinger zugange.“
Wir verstehen, was er meint, als wir an den typischen französischen, spanischen und sogar schwedischen Familien im Adamskostüm vorbeikommen. Mama, Papa und Kind genießen das Nacktbaden. Auch der Hund darf bei einigen mit.
Nachdem wir ein paar Hundert Meter gegangen sind, kommen wir zum homosexuellen Gebiet. Schöne Männer posieren in der Gischt und bewundern die feinen Muskeln der anderen. Das Salzwasser spritzt und färbt ihre haarlosen Körper in der Sonne weiß. Es riecht nach Marmor und griechischen Göttern.
„Können wir zwei nicht hier bleiben?“, frage ich Diana und zwinkere ihr vertraut zu.
Diana sieht mich verständnislos an. „Sie ist nicht nur dumm, sondern auch total spaßbefreit“, flüstere ich Jonathan zu.
„Aber sie ist jung und schön“, tröstet mich Jonathan. „Wir sind ja nicht hier, um mit ihr zu reden.“
„Wir hätten Proviant mitnehmen sollen“, sage ich. „Meine Güte, ist das weit.“
„Es ist doch ganz schön, sich nach der langen Autofahrt mal zu bewegen. Aber mein Rücken brennt schon ein bisschen“, antwortet Jonathan.
„Sobald wir ein Plätzchen gefunden haben, schmiere ich ihn dir ein.“
„Was geht denn hier ab?“, rufe ich, als wir uns endlich am richtigen Ende vom Strand unter einem Sonnenschirm eingerichtet haben.
Ich bekomme Sand in die Augen, als etwa zwanzig moppelige nackte Männer vorbeilaufen. Sie jagen einen weiteren nackten Mann mit einer erbsengrünen Flagge und blasen in eine Trillerpfeife. Plötzlich bleibt der erste Mann vor einer Sanddüne schräg vor uns stehen.
„Kommt mit, dann könnt ihr es sehen“, sagt José und wir drei folgen ihm, als wäre er Dick aus den Fünf-Freunde-Büchern.
Das ist einfach zu viel, denke ich, als ich das fickende Pärchen in einer Kuhle sehe.
Es fällt mir sehr schwer, das Geile an zwei kopulierenden, bleichen, mittelalten Personen aus Irland zu sehen. Aber sie sind intensiv dabei und innerhalb von wenigen Minuten umringt von Typen, die sich einen runterholen. Einer nach dem anderen spritzt seinen weißen Samen auf die Frau. Die Flüssigkeit vermischt sich mit dem Sand und ich erschaudere beim Gedanken, wie sehr das reiben und schmerzen muss.
„Ich will hier weg, bevor ich kotzen muss“, sage ich schließlich.
„Sei nicht so eine Spaßbremse“, sagt José.
„José, hier ist keine Party, die man bremsen könnte“, antworte ich sauer und packe meine Sachen zusammen.
Jonathan hilft mir. „Wir sehen uns heute Abend“, sagt er zu José und Diana.
„Kommt ihr nicht mit zu Nat Hamman?“
„Was ist das?“
„Eine Saunalandschaft, aber tagsüber ist es auch ein Sexklub. Wir gehen da gleich hin.“
„Nein, wir schonen unsere Kräfte für heute Abend“, antwortet Jonathan und legt mir den Arm um den Hals.
„Au“, zische ich.
„Hast du auch einen Sonnenbrand?“
„Offenbar.“
„Wir hätten uns vorher schon an die Sonne gewöhnen sollen.“
„Mit den acht Sonnentagen in Stockholm?“
„Es gibt ja auch Solarien.“
Wir gehen schweigend zum Hotel zurück. Ich merke, dass es mir schon auffällt, wie ungewohnt angezogene Menschen aussehen. Aber auch wir tragen dünne, weiße Morgenmäntel als Schutz gegen die Hitze.
Wir machen am Laden Halt, um eine Cola und ein paar Antipasti für den Abend zu kaufen. Es riecht nach frischem Brot aus der Bäckerei daneben.
„Entschuldige, dass ich so sauer war“, sage ich zu Jonathan. „Wahrscheinlich habe ich einfach Hunger.“
„Ich fand es auch ganz schön bizarr.“
„Hast du gesehen, wie sein Arsch gewabbelt hat?“
„Ja! Und ihr Bauch hing ihr quasi über die Muschi. Man hat sie kaum gesehen.“
Wir treffen den ein oder anderen nackten Kunden zwischen den Regalen und ich frage mich, wie sich Salmonellen eigentlich verbreiten.
Nach einem Nickerchen im Hotel begeben wir uns ins Abendgetümmel in den Bars, Restaurants, Klamottenläden und Sexshops. Es gibt fünf Swingerklubs innerhalb von einem Hundert-Meter-Radius. Etwa zehn Kilometer außerhalb des Dorfs befindet sich einer der bekanntesten Swingerklubs der Welt, das l’Extasia. Auch wenn es mit einem alten Weinberg und Draußen-Tanzfläche verlockend klingt, gehen wir am ersten Abend lieber ins Le Glamour. Wir haben tagsüber schon genug im Auto gesessen und ziehen einen kurzen Spaziergang einer weiteren Autofahrt vor.
Le Glamour ist elegant. Ich fühle mich wie in einem italienischen Einrichtungshaus am Stureplan, wo die Verkäuferinnen extra eingeflogene Topmodels aus Paris und New York sind. Was ein bisschen Schminke und hübsche, schwarze Kleidung bewirken können! Kein einziger Ring unterm Auge oder eine kleine Falte, so weit das Auge reicht. Nackte Menschen müssen das Ungeilste sein, was es gibt, und ich bin sehr dankbar, dass alle Gäste bekleidet sind. Die großen Flächen schaffen einen luftigen Eindruck, obwohl über fünfhundert Gäste anwesend sein dürften. Alle sind freundlich und lächeln. Ich fühle mich wohl.
Wir holen uns unsere Willkommensdrinks an der Bar und sinken jeder in einen lila Plüschsessel. Der Drink schmeckt nach Saft. Der Bartender hat am Alkohol gespart. Aber der Saft ist lecker und der Placeboeffekt funktioniert genauso gut wie echter Alkohol.
Jonathan tanzt gut, aber nicht gern. Ich muss ihn eine Weile überreden, damit er mit mir auf die Tanzfläche kommt. Nachdem wir eine halbe Stunde getanzt haben, sind José und Diana noch immer nicht aufgetaucht. Jonathan wird ungeduldig und findet, dass wir selber unser Glück versuchen sollten. Im Kellergeschoss. Wir haben gehört, dass dort die Aktivitäten stattfinden.
Ich greife nach dem Geländer und tripple unsicher auf meinen Absätzen die Treppe hinunter. Eine Stufe nach der anderen. Es fühlt sich an, wie als ich klein war und zum ersten Mal bei meiner Freundin schlafen durfte. Es war furchtbar, als Mama mich allein ließ, aber gleichzeitig wusste ich, dass ich bleiben musste, denn irgendwann würde es lustig werden und ich würde es immer bereuen, wenn ich mich jetzt nicht traute.
Auf dem halben Weg nach unten bleibe ich stehen und sehe Jonathan an. Er sieht genauso ängstlich aus wie ich. Wir drücken einander die Hände und nach einer halben Ewigkeit treffen wir endlich auf zwei schwarzgekleidete Wachen im Untergeschoss. Sie kontrollieren, dass niemand Alkohol reinschmuggelt oder schon zu betrunken ist. Und dass die Regeln befolgt werden: Die rechte Seite ist nur für Paare. Alleinstehende Männer müssen auf die linke Seite.
Wir beschließen, erst mal nach rechts zu gehen. Es fühlt sich an, als beträten wir ein Labyrinth zwischen etwa zehn sehr hohen, breiten Betten mit dicken Matratzen. Auf jeder Matratze liegen mindestens drei oder vier Paare eng umschlungen in komplizierten Stellungen. In dem schwachen Licht kann man unmöglich erkennen, welches Körperteil zu wem gehört. Der Begriff „Orgie“ bekommt eine ganz neue Bedeutung. Es sieht aus wie ein Porno im IMAX. Nur besser. Menschlicher. Die plastikartigen Hauptpersonen, die Melodramatik und die mechanischen Wiederholungen des Pornos sind weggeschnitten worden.
Ein Mittzwanziger schlägt die Hände überm Kopf zusammen und flucht auf Französisch, als die Versagensangst zuschlägt. Seine Freundin, die gerade mit einer gleichaltrigen Frau direkt daneben beschäftigt ist, eilt zu ihm und hilft ihm, wieder in die Gänge zu kommen. Ein etwas älterer Mann klopft dem anderen freundlich auf die Schulter und flüstert ihm etwas ins Ohr. Etwa so, wie ein Fußballspieler seinen Mannschaftskameraden tröstet. Ich muss mich konzentrieren, meinen Mund geschlossen zu halten und nicht zu starren.
„Sie wollen, dass man sie anstarrt“, sagt Jonathan und versucht, weltmännisch zu klingen, als ich aus falschem Respekt weiterziehen will.
Er nimmt meine Hand und mir wird warm. Wärme für ihn und alle um mich herum. Ich entspanne mich. Die Matratzen umschließen mich nicht nur physisch, sie absorbieren alle störenden Geräusche, wie Schnee im Winter. Es fühlt sich an, als ob man in einem Kokon gewiegt wird.
Wir lehnen uns an eine Wand. Jonathan hält mich von hinten im Arm. Streichelt meinen Bauch. Meine Ruhe wird zu Erregung. Er versucht, mit der Hand unter meinen engen, kurzen Jeansrock zu kommen, gelangt aber nur in eine der vielen Taschen. Ich helfe ihm, den richtigen Weg zu finden.
Im Bett neben uns kniet ein Mann und fickt eine Frau von hinten. Sie wiederum bläst einem Mann gegenüber einen. Seine Hände liegen auf ihrem Kopf. Helfen ihr, den Rhythmus zu halten. Unsere Blicke treffen sich kurz. Trotz des Abstands zwischen uns fühle ich mich als Teilnehmerin. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, dass es seine Finger sind, die ich spüre. Es ist, als könnte er meine Gedanken lesen, denn als ich meine Augen wieder öffne, streckt er seine Hand einladend aus. Ich genieße seine Aufmerksamkeit, aber ich wage nicht, der Einladung nachzukommen. Ich werde rot und schüttle den Kopf. Er lächelt und wirft mir einen Kuss zu.
Das schlechte Gewissen versetzt mir einen Stich und ich kehre in die Wirklichkeit zurück. Jonathan scheint nichts gemerkt zu haben, aber ich drehe mich trotzdem um und küsse ihn. Bohre mich in seine schützende Umarmung, als ob ich Angst habe, von schöneren, interessanteren Männern entführt zu werden, die mich jenseits jeder Vernunft lieben wollen. Jonathan streicht mir über den Rücken, wie er es immer macht, wenn ich traurig bin.
Nach einer Weile übernimmt die Geilheit und ich ziehe meinen Rock hoch. Ich bin Josés Anweisungen gefolgt und habe mein Höschen zu Hause gelassen. Durch den Gedanken, dass die Blicke unbekannter Männer Jonathans Bewegungen über meinen nackten Po folgen, bekomme ich eine Gänsehaut. Jonathan kehrt gierig zu meinem Schritt zurück und dreht mich wieder um. Beeilt sich, mit seinen Fingern wieder zu dem warmen Nass zu kommen. Steckt sie die Finger zuerst in seinen eigenen Mund, dann in meinen. Der Mann gegenüber fixiert mich mit seinem Blick. Leckt sich die Lippen. Ich tue es ihm nach.
Jonathans Schwanz drückt durch die Jeans. Ich öffne seinen Hosenstall und spüre den Schwanz mit der zarten Haut gegen meine Hand pochen. Jonathan drückt mich sanft nach vorn. Der Mann gegenüber streckt wieder seine Hand aus und diesmal greife ich sie. Jetzt oder nie.
Er zieht mich zum Bett hoch. Hält mich an der Hüfte fest. Küsst mich gierig im ganzen Gesicht. Auf den Hals. Wickelt seine Zunge um meine. Es ist schwierig, das Gleichgewicht zu halten, obwohl ich knie und Jonathan mich am Po festhält. Er zieht die Pobacken auseinander, um von hinten an meine Muschi zu kommen. Leckt meine Klitoris, bis sie hart ist. Ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Jonathan kann nicht alles in sich aufnehmen, was aus mir herausströmt. Ich hinterlasse einen nassen Fleck auf dem Laken, ehe ich in Embryonalstellung in mir zusammenfalle.
„Geh noch nicht“, sagt der Mann, als ich nach einer Weile wieder zu mir komme und wir eigentlich weitergehen wollen.
„Wir kommen wieder“, antwortet Jonathan. „Danke, dass wir hergefahren sind. Ich liebe dich“, flüstere ich ihm ins Ohr.
Wir drängeln uns durch einen engen Gang. Es ist nur Platz für je eine Person, aber an den Wänden stehen knutschende Pärchen und strecken ihre lüsternen Hände aus, um den Arm, die Brust oder den Schenkel einer vorbeigehenden Person zu streicheln. Ich atme immer schwerer und bereue es, meinen Rock nach dem ersten Orgasmus wieder zurechtgerückt zu haben. Ich habe Lust, mich auf eins der Betten zu werfen und hier und jetzt mit Jonathan Liebe zu machen, aber er knufft mich weiter, bis wir den Gang verlassen haben. Er lacht über meinen armseligen Widerstand und flüstert:
„Geduld ist eine Tugend.“
„Du hast es nur eilig, in den nächsten Teil zu kommen“, scherze ich. „Das ist schon klar.“
Die Singleabteilung im Le Glamour ist wie ein Zirkeltraining mit verschiedenen Stationen aufgebaut. Die Luft ist so voller Testosteron, dass man sie fast zerschneiden kann. Es ist warm. Die erste Station ist eine schwarze Sperrholzwand mit runden Löchern in verschiedenen Größen. Auf der einen Seite stecken die Typen ihre Schwänze durch, auf der anderen Seite blasen ihnen Frauen einen.
„Willst du das ausprobieren?“, frage ich.
„Wäre das okay?“
„Ja, klar“, antworte ich und öffne seinen Gürtel.
Seine Hose fällt zu Boden. Jonathan streckt seine Hände über den Kopf und greift nach der Holzwand, die ihn von seiner Wohltuerin auf der anderen Seite trennt. Ich streichle seinen Rücken. Er legt die Wange an die Wand und stöhnt. Die ganze Anspannung des Abends fällt von ihm ab und es dauert nur ein paar Sekunden, bis er laut aufstöhnt.
„Das muss ein neuer Rekord sein“, kichere ich.
„Das ist hier alles so wahnsinnig erregend“, stöhnt Jonathan.
„Ich weiß“, seufze ich.
Auf dem Boden an der nächsten Station liegen zwei rote Sitzsäcke, wie man sie in alternativen Geburtshäusern findet. Auf dem einen liegt bäuchlings eine halbnackte Frau. Sie trägt eine Augenbinde und hält die Hand ihres Mannes. Er dirigiert die Männer in der länger werdenden Schlange. Zeigt auf den, der seine Frau von hinten ficken soll. Ich bin fasziniert von der Primitivität der Lust, der spektakulären Umgebung und der kitzelnden Angst, entdeckt zu werden. Als Hure abgestempelt zu werden.
„Willst du das probieren?“, fragt mich Jonathan.
„Das traue ich mich nicht“, antworte ich. „Vielleicht beim nächsten Mal.“ Bis auf weiteres begnüge ich mich mit dem Gangbang im Kopf.
Die dritte Station ist ein schwarzes Zelt. Wir gehen hinein. Ich streiche mit der Hand an der Stoffwand entlang, um nicht zu stolpern oder das Gleichgewicht zu verlieren. Ein Schatten kommt näher. Die Finger von jemandem treffen auf meine. Ich habe keine Angst. Jonathan steht direkt hinter mir. Ich befinde mich in der bestmöglichen Situation: unfassbare Spannung in totaler Sicherheit.
„Okay?“, höre ich einen Mann mit deutlichem italienischen Akzent fragen.
Ich lasse mich von der Dunkelheit und dem Geruch von Carolina Herrera 212 verschlucken. Der Mann legt meine Hand auf seinen Schwanz. Er ist groß. In diesem Moment braucht es nicht mehr viel mehr, damit ich meine Beine spreize. Für wen auch immer. Ich will Schwanz. Wen kümmert es, welcher Typ Müllmann ist und welcher Hirnchirurg wird? Jonathan hebt mich auf das Regal, das an der Wand entlangläuft.
„Er will dich ficken“, flüstert Jonathan, der sich auch nicht mehr mit Formalitäten aufhält.
„Inglese?“
„Yes“, lügt Jonathan, um nicht noch mehr reden zu müssen. Meine Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Jedenfalls so weit, dass ich die Konturen des älteren, graumelierten Don Giovanni ausmachen kann, der mir mein Top hochzieht und an meinen bereits steinharten Brustwarzen saugt. Jonathan streicht mir über den nackten Rücken. Ich bin mehr als so weit. Ich möchte nicht mehr warten. Ich greife nach den Wangen des Mannes und küsse ihn mit der Zunge. Pfefferminzgeschmack. Sein Dreitagebart kratzt.
Ich suche nach seinem Hosenstall. Jonathan reicht mir ein Kondom, das er in einem Flechtkorb neben uns gefunden hat. Immer bereit. Ich kann es ihm kaum draufrollen, bevor der Italiener mich runterhebt, sich auf einen Stuhl setzt und mir Zeichen macht, dass ich mich auf ihn setzen soll. In diesem Moment gibt es nur uns zwei. Jonathan ist zurück in Stockholm. Mein neuer Liebhaber füllt mich aus. Ich küsse ihn wild. Meine Zunge wirbelt herum. Er kneift mir in die Brustwarzen. Ab und zu klatscht er mir auf den Arsch. Ich spüre, wie es dort heiß wird. Es schmerzt.
Ich erhöhe den Takt. Er hilft mit seinen Händen nach. Mit seinem Schwanz. Seinem ganzen Körper. Er will tiefer rein. Er hebt mich hoch und legt mich auf den Boden, ohne hinauszugleiten.
„What’s your name?“, fragt er.
„Julia.“
„You like to fuck, Julia, don’t you?“
„I love to fuck!“
Es fühlt sich an, als ob er mich zweiteilen will. So tief. So schnell. Genuss und Schmerz so nah beieinander. Es fühlt sich an, als ob es nie aufhören wird. Es muss aufhören. Ich bohre ihm meine Fingernägel in den Rücken und schreie. Er spuckt, als er antwortet:
„Julia!“ Ein paar Minuten später steht er auf. Es zieht. Mein Bauch wird kalt. Ich setze mich auf. Er zieht sich die Hose hoch und nimmt Jonathans Hand. Beugt sich vor und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. Schwindelnd stehe ich auf. Fummle an meinen Klamotten rum.
„Ich habe furchtbaren Durst“, flüstere ich Jonathan zu.
„Soll ich dir was zu trinken kaufen?“
„Eine Cola Light wäre lieb“, antworte ich. „Ich komme mit nach oben.“
„Sollen wir mal gucken, ob wir José und Diana finden?“, fragt Jonathan, als er den Vorhang zum nächsten Raum öffnet, dessen Schummerlicht uns fast blendet.