Читать книгу Vier Blicke zurück - Mandy Raddau - Страница 4

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Die Warteschlange ist mir egal. Selbst jetzt noch, nach fast vierzig Minuten anstehen, grinse ich dämlich vor mich hin.Ich bemerke wie die Menschen um mich herum die Geduld verlieren und gleichzeitig Abstand von mir nehmen.Wahrscheinlich wirke ich wohl mehr als abnormal auf sie.Jemand der nicht wütend auf die Fluggesellschaft ist, kann einfach nicht richtig ticken, werden sie sich denken.Mein Lächeln hält an und setzt sich hinweg, über Beschim­pfungen, Flüche und andere negative Energien, die sich hier geballt zusammengefunden haben. Die Riemen meines Rucksacks drücken auf meine Schultern. Auch das ist weit weg und vollkommen egal.Mit einer freundlichen Stimme, die so gar nicht zu ihrem gestressten Gesichtsausdruck passen möchte, begrüßt mich eine junge Dame am Flugschalter. Als sie ihr Gesicht ein wenig zu einer eigenartigen Grimasse verzieht, weiß ich, dass es an meinem Gepäck liegt. Meine Koffer sind voll mit Tauchutensilien und sprengen wie gewohnt die Kilogrammanzeige am Schalter.Nach den immer gleichen Floskeln, gehe ich mit meiner Bordkarte weiter und mache dem jungen Mann hinter mit Platz, der seit geraumer Zeit der Fluggesellschaft mit Beschwerden droht. Ich höre nur noch seine bissigen Antworten auf die Fragen der Fluglinienangestellten und schüttle den Kopf. Wie kann man nach einem zweiwöchigen Erholungsurlaub so angespannt und gereizt sein? Das Einzige, was ich verstehe ist, dass die Menschen Trauer empfinden diesen wundervollen Ort verlassen zu müssen.Mit langsamen Schritten suche ich mir einen ruhigen Platz und gebe mich erneut meiner Vorfreude hin.Das unablässige Kribbeln in meinem ganzen Körper will sich nicht beruhigen. Ängste, Bedenken und Unsicherheit schiebe ich für einen kurzen Moment beiseite und erlaube meinen Empfindungen in meinem Körper ein Chaos zu veranstalten.Ich fühle mich, als öffnen sich hunderte, wenn nicht sogar tausende wunderschöne Blüten in meinem Herzen, wie auf einer saftig grünen, berauschend bunten Frühlingswiese. Schnell schlüpfe ich durch die Sicherheitskontrolle und begebe mich zu einer abgelegenen Ecke in der Abflughalle. Vorsichtig nehme ich mir das immense Gewicht meines Rucksackes von den Schultern und setze mich. Meine Blicke gleiten über hunderte Gesichter, die alle eines gemeinsam zeigen: Abschiedsschmerz! Tief in mir finde ich ebenfalls dieses Gefühl, doch liegt es zurzeit verschüttet unter meiner Erwartung und der Freude.

Ungern verlasse ich diesen Ort, mein eigenes kleines Paradies, doch ich hoffe sehr ein Neues am anderen Ende der Welt zu finden.

Bedächtig streiche ich über die Außentasche meines Rucksacks. Nicht konsequent genug untersage ich mir diese zu öffnen und den Brief hervor zu holen. Mittlerweile habe ich vergessen wie oft ich ihn schon gelesen habe. Aber die verknickten und abgegriffenen Seiten sprechen Bände. Also öffne ich die Tasche und greife hinein. Das bloße Berühren des seidigen Papiers reicht mir diesmal allerdings aus und ich kann vor meinem inneren Auge die unverkennbar geschwungenen Buchstaben deutlich sehen.

Durch einen Tritt auf meinen Fuß werde ich von den wunderbaren Worten weggerissen und sehe gerade noch den Rücken des ungehobelten Mannes, der nicht eine einzige Silbe der Entschuldigung an mich richtet. Touristen! Eine blecherne Stimme sagt meinen Flug an und ich warte bis die meisten der Passagiere das Flugzeug betreten haben. Sodann wuchte ich meinen Rucksack hoch und gehe zu der freundlichen, kleinen Frau, die meine Bordkarte entwertet und mir mit zuckersüßer Stimme einen schönen Flug wünscht.

Ich werde nicht am Fenster sitzen, da ich keine Lust habe über neun Stunden neben einem Wildfremden eingeklemmt zu sein.

Der Abschied ist nun da und schnürt mir die Luft ab. Es fällt mir schwerer, als ich es mir eingestehen möchte. Genau aus diesem Grund betrachte ich, mit einem wehmütigen Lächeln, mein türkisblaues Wasser, sauge noch einmal die salzige Luft in meine Lungen und verspreche mir selbst, wieder zurück zukommen.

Gemächlich gehe ich über die Gangway. Leicht betrübt nutze ich jede Gelegenheit das flimmernde Silber auf den Wellen zu betrachten. Ich sehe noch einmal die Wasservögel, wie sie sich belustigt in die Fluten stürzen, und sage ihnen in Gedanken ›Lebewohl‹.

Ein Räuspern lässt mich meinen Blick von den Vögeln nehmen und richtet sich auf knallroten Lippen, die mir ein aufgesetztes Lächeln entgegen werfen. Die Stewardess schaut mich nervös an und ich bemerke, dass sie nur noch auf mich wartet.Fahrig und überbetont höflich, weisen mir die immer noch lächelnden Lippen den Weg zu meinem Sitzplatz. Den schweren Rucksack vorsichtig durch die wuselnden Menschen manö­vrierend, kämpfe ich mich zu meinem Platz. Schon sehe ich die zwei freien, nebeneinander liegenden Sitzplätze und freue mich meine Ruhe zu haben, als ich meinen Namen höre.»Huhu Santana! Santana hier!«

Mein Blick folgt der piepsigen Stimme und bleibt an den winkenden Händen von Katrin Michel und ihren frisch angetrauten Ehemann Leon-Alexander hängen. Beide hatten bei mir ihren Open Water Schein gemacht und ich bin sehr froh, dass man unter Wasser nicht sprechen kann. Jedenfalls nicht mit den Lippen.»Mensch Santana, was machst du denn hier?«

Was sie wohl jetzt als Antwort hören möchte?

Ich hasse solche Fragen und muss mir auf die Zunge beißen, um nicht zu antworten, dass ich hier den Reifendruck checke oder aber an Board Kompressionsstrümpfe verkaufe. Ich zwinge mich Katrin anzulächeln und erkläre ihr, dass ich Urlaub vom Urlaub brauche. Ihr fast hysterisches Kichern wirkt echt beängstigend und ich hoffe inständig, dass sie nicht auf die Idee kommt, nachher mal bei mir vorbei zu schauen.

Weiter krampfhaft lächelnd, bahne ich mir meinen Weg und setze mich erleichtert auf einen der leeren Plätze, nachdem ich den Kampf gegen die Gepäckklappe gewonnen habe.

Jetzt wo ich zur Ruhe komme, springen meine Gedanken wieder, wie wild, in meinem Kopf herum. Ich schließe meine Augen und erblicke ihn. Sehe seine wundervoll leuchtenden, bernsteinfarbenen Augen, die dunkelbraunen, lockigen Haare, die in alle Himmelsrichtungen weisen, das verschmitzte Lächeln, die langen Wimpern und spüre zeitgleich seine warmen und gefühlvollen Hände. Ich weiß nicht zum wievielten Male ich mir die Frage stelle: Womit habe ich ihn nur verdient?

Das Flugzeug rollt zur Startbahn. Leicht spüre ich das Ruckeln, welches mich wieder zurück zu meinen Gedanken geleitet. Erneut tauche ich ein in das Glimmen der Augen, die ich so liebe. Der Tumult in meinem Körper verbindet sich mit dem kribbelnden Gefühl, welches der Flugzeugstart mit sich bringt. Beruhigt und doch etwas traurig nehme ich das Steigen wahr und kuschle mich in meinen Sitz. Ich lächle, denn meine Gedanken machen sich auf in eine ganz andere Richtung. Zurück - Jahre zurück. Ich lasse es geschehen und tauche, in meinem ganz eigenen Flugzeug, in die dichten Wolken meiner Erinnerungen.


Vier Blicke zurück

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