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Оглавление2. Ein Blick hinter die Kulissen
Dieser Tag beginnt für mich, mit meinem morgendlichen Milchkaffee in einer großen, weißen Tasse in der einen Hand und dem Notebook unter der rechten Achsel fest eingeklemmt, und auf den kleinen Gartensitzplatz zustrebend, doch einigermaßen befremdlich. Die zitronengelbe, strahlende Sonne steht bereits hoch am Zenit und der vollkommene, azurblaue Himmel eröffnet sich meinen staunenden Augen, zeigt er doch keinerlei Wolken oder irgendwelche sonstigen weißen Flecken auf, alles ist in diesem kräftigen Blauton in Azur gehalten.
Direkt vor mir reckt einer der von mir selbst gepflanzten Apfelbäume, welcher diese herzig kleinen, purpurroten Zieräpfel produziert und weit bis ins nächste Frühjahr behält, seine Äste stolz und gleichzeitig verwegen in die Höhe und ist über und über mit weißen Blüten übersät, die emsig von zahlreichen surrenden Bienen umschwärmt werden. Noch vor wenigen Tagen waren hier nur kleine grüne, teilweise auch rötlich eingefärbte Knospen zu sehen und nun hat die Natur innert dieser kurzen Zeit ein so klares und kräftiges Zeichen gesetzt.
Nachdem ich einen mächtigen Schluck des braunen Kaffees aus meiner Tasse genommen habe, entfacht mein dunkelgrünes Feuerzeug aus Plastik die Glut von einer dieser braunen Zigarillos mit Filter und ich nehme einen ersten, tiefen Zug. Den Rauch blase ich als kaum sichtbare, gräuliche Wolke aus, denn es ist bereits zu warm für klar sichtbare Rauchschwaden an diesem stillen und lauwarmen Morgen. Dabei erinnere ich mich an die letzte Krise im Jahr 2008, damals eine durch spekulative Banken ausgelöste Finanzkrise, welche die Welt unglaublich stark erschüttert hat.
Es hat vorab schon zahlreiche Warnungen gegeben - davor, dass der Immobilienboom bald enden würde und vor dem Handel mit riskanten Krediten, die allzu leichtfertig vergeben wurden.
Dennoch ist es an den Börsen wie in einem Spielkasino zugegangen, mit bekannten, fatalen Folgen und viele Menschen haben mit der Geldgier einfach ihren Verstand weggeworfen wie einen alten Lumpen.
Nach der Lehmann-Pleite wurde aus der Finanzkrise eine weltweite Wirtschaftskrise - der Welthandel brach ein, die Zahl der Arbeitslosen fiel ins Bodenlose und ganze Staaten standen vor dem verheerenden Finanzkollaps. Rasch entschlossen sich die führenden Industriestaaten zu einem koordinierten Vorgehen, um eine langanhaltende Depression und eine allfällige Deflation abzuwenden. Dafür wurden die Staatsschulden in einem bislang nicht gekannten Ausmaß erhöht und ein baldiges Ende der Finanzkrise ist - zumindest in Europa - noch immer nicht in Sicht.
Bei dieser Weltkrise hätte «Data Intelligence» eine wichtige Rolle spielen können - womöglich wären mit der Aufbereitung und Nutzung passender Daten sowie dem zielgerichteten Einsatz moderner Technologien die allzu riskanten Spekulationen der Finanzinstitute zeitgerecht erkannt und rechtzeitig eingedämmt worden? Aber wäre dann jemand bereit gewesen, die notwendigen Schritte zu unternehmen - ohne gleich Gewinn zu machen?
Daten waren genügend vorhanden, die Technologien ebenso und Experten haben vor der Krise gewarnt. Nur haben die verantwortungsvollen Manager respektive der Wille dazu gefehlt.
Auch die wesentlichen Institutionen - beispielsweise die Europäische Zentralbank EZB oder die Schweizerische Bankenaufsicht FINMA - und die Politik haben nicht interveniert, sondern nur (und das spät) reagiert. Das müssen wir beim nächsten Mal besser hinkriegen!
«Es sind eine Million kleine Dinge erforderlich, um eine effektive Data Intelligence zu erreichen.»
Dies ist eine für dieses Buch und das Thema sehr bedeutende und wichtige Aussage - aber was meine ich damit eigentlich? Es existieren unglaublich viele (primäre und sekundäre) Fachbücher, Web-Seiten, Blogs, Meinungen und Aussagen über die Informationstechnologie im Allgemeinen und das Daten- und Informationsmanagement im speziellen.
Überdies gibt es eine schier unglaublich große Anzahl von Fachbegriffen in diesem Kontext, die mehr oder weniger richtig - und leider in vielen Fällen missbräuchlich oder falsch - benutzt werden. In diesem Zusammenhang verweise ich nochmals auf das umfangreiche Glossar in diesem Buch, wo ich im Rahmen meiner langjährigen Erfahrung und schrittweise aufgebauten Expertise viele dieser Fachbegriffe gesammelt, definiert und beschrieben habe.
Allein die gewaltige Anzahl von Treffern bei einer Suchanfrage im Internet und das gleichzeitig beträchtliche Angebot an Literatur machen das Unterfangen, ein grundsätzliches Verständnis über den Nutzen und die Nutzung von Daten und die angestammten, teilweise kognitiven Technologien zu erlangen, eine schier unlösbare Aufgabe.
Nach einiger Zeit des Nachdenkens an meinem Schreibtisch wende ich für dieses Buch das Pareto-Prinzip an, benannt nach Vilfredo Pareto und 80-zu-20-Regel genannt, um mit einem pragmatischen Ansatz die wesentlichen Aspekte, also 80 Prozent der Grundbegriffe und Themen mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes zu finden und zu beschreiben.
Mir ist bewusst, dass es aus einer perfektionistischen Sicht darüber hinaus noch weitere Aspekte, Begriffe und Zusammenhänge gibt; diese verbleibenden 20 Prozent der Grundbegriffe zu finden und zu beschreiben würde jedoch mit 80 Prozent des Gesamtaufwandes die quantitativ meiste Arbeit erfordern und das Gesamtergebnis dabei meines Erachtens nicht wesentlich verbessern.
«Daten sind der neue Grund und Boden.»
Die in der Literatur, auf zahlreichen Internet-Seiten, in Blogs und Vorträgen oftmals zitierte Aussage „Daten sind das neue Öl“ soll auf die scheinbar unverkennbare Tatsache hinweisen, dass Erdöl die Wirtschaft wesentlich schmiert und daraus ganz neue Ökonomien entstanden sind. Man denke nur an den ersten Einsatz von Öllampen, welche eine ganz andere Lebensqualität für Menschen ermöglicht haben und gleichzeitig der durch John D. Rockefeller [04] gegründeten „Standard Oil Company“ zu einem beträchtlichen Wohlstand verholfen haben.
Öl ist allerdings aufgrund der heute bekannten und vorhandenen Ressourcen, welche nicht erneuert werden können, durchaus begrenzt. Es verbraucht sich in einem klassischen Produktnutzungskreislauf, bis die Vorräte völlig aufgebraucht sind, nichts mehr vorhanden ist und neues Öl beschafft werden muss. Zudem fluktuiert der Ölpreis stark aufgrund der Marktkräfte sowie politischer Ereignisse und wird sich zukünftig nachhaltig verteuern, je weniger davon vorhanden ist.
«Mit Daten verhält es sich anders.»
Die meisten Kosten fallen zu Anfang bei der Datenerzeugung an, analog dazu ist das Grundstück der größte Kostenfaktor bei einem Hauskauf, zumindest in der Schweiz. Die Kosten reduzieren sich mit jeder weiteren Datennutzung und die mehr- oder vielmalige Datenverwendung beschädigt oder vernichtet Daten nicht, ganz im Gegenteil verbessert sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei jeder zusätzlichen Nutzung. Somit sind Daten und die daraus gewonnene Informationen - wie die meisten Häuser - langlebig und nach der einmaligen Entstehung langfristig nutzbar.
Die von mir in diesem Buch genutzte Analogie für Daten ist der Acker, also Grund und Boden, welcher zwar ebenfalls in bestimmten Masse und nach den jeweiligen Gegebenheiten eines Landes beschränkt sein kann, aber nach dem Erwerb - und den damit verbundenen einmaligen, hohen Kosten - bleibt Grund und Boden beim Eigentümer. Die grundlegende Basis für einen Acker bildet der Boden mit seinen einzelnen Bestandteilen wie erodiertes und verwittertes Gestein, organische Reste, Mineralien sowie Nährstoffe.
Dies entspricht in meiner Analogie der Basis für alle digitalen Fakten, aus denen schlussendlich die elektronischen Daten und Dokumente entstehen und gleicht der Datenbereitstellung von gespeicherten, digitalen Daten sowie dem Records Management für physische (in Papierform) und gespeicherte, digitale Dokumente und Aufzeichnungen.
Im Idealfall werden elektronische Daten und Dokumente zukünftig in Form von «Smart Data» bereitgestellt, was ich in einem späteren Abschnitt in diesem Buch noch im Detail darstellen werde. Wichtig ist die richtige Auswahl und eine gute Kenntnis über den entsprechenden Zustand des Ackers, beispielsweise ist der Boden sandig oder gibt es das ganze Jahr über eine gute Besonnung (analog dem Datendesign).
Pflegt man den Acker nicht, so entstehen Gräser und Unkraut spontan (analog zu schlecht bewirtschafteten Daten und daher das Kennzeichen für eine schlechte Datenqualität), welches dann kosten- und zeitaufwändig bereinigt werden muss (analog der Datenbereinigung). Man kann selbst darüber entscheiden, welche Art von Gemüse oder Früchten man zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort im Acker anpflanzen möchte (analog zu den Informationen, welche man aus den vorhandenen Daten durch Kombination und Interpretation ableiten will, was der gewünschten Datenaktualität und Datentransparenz entspricht).
Mit dem zielgerichteten Einsatz von Dünger, einer passenden Bewässerung sowie dem regelmäßigen Rückschnitt der Pflanzen kann man den Ertrag weiter steigern (analog der Datenstandardisierung und der Datenpflege). Vergisst man allerdings nach der Aussaat, wo beispielsweise die speziellen, blauen Kartoffeln angebaut worden sind, so ist eine mühsame, oft manuelle und ebenso zeitaufwändige Suche erforderlich (analog zu einem fehlenden Datenmodell).
Für den Schutz der Pflanzen vor ungewünschten Gästen (sonst frisst vielleicht eine Rotte Wildschweine die ganzen Reben ab), ist beispielsweise ein stabiler Zaun um den Acker empfehlenswert (analog zu Datenschutz und Informationssicherheit, welche neben internen Richtlinien auch von Politik und Wirtschaft durch verbindliche, rechtliche und regulatorische Vorgaben festgelegt werden).
Zudem ist die Art der Pflanzenbewirtschaftung wählbar - ob manuell und mit Menschenkraft oder mit maschineller Unterstützung durch Werkzeuge und Traktoren (analog der Datennutzung von durch Menschen oder Computern gewonnenen Informationen im Rahmen von Business Intelligence oder Datenanalysen, was ich später im Buch noch ausführlich beschreiben werde). Unter normalen Umständen und bei entsprechender Sorgfalt verbraucht sich ein Acker wenig bis gar nicht und man kann gute oder sogar sehr gute Erträge langfristig erwirtschaften.
Hierfür müssen Fruchtfolge und Fruchtwechsel sorgfältig geplant sein und es wird eine entsprechende Pflege - beispielsweise Dünger und der Verzicht auf ausschließliche Monokulturen - regelmäßig durchgeführt (analog meiner Auffassung eines umfassenden Daten- und Informationsmanagements).
Benötigt man größere oder andere Ackerflächen (analog zu einer Erweiterung der bestehenden Datensammlung mit beispielsweise unstrukturierten Daten aus dem Internet), so kann man bei entsprechender Verfügbarkeit weiteren Acker dazu kaufen oder pachten. Dies ist jedoch mit zusätzlichen Kosten verbunden ist und sollte gut durchdacht werden (analog einer passenden Datenstrategie als Basis für die grundlegende Planung von Datenbereitstellung und Datennutzung).
Dann braucht es noch das Management für die Bewirtschaftung des Ackers, der Pflanzen und der eingesetzten Werkzeuge, das heißt der richtige und effiziente Umgang durch entsprechend qualifizierte Personen wie Bauer oder Gärtner sowie die dazugehörigen Regeln, Vorschriften und Richtlinien (analog einer umfassenden Daten-Governance für elektronische Daten, Informationen und Dokumente). Schlussendlich bestimmt der Farmer selbst, welche seiner Produkte unter welchen Umständen und wie produziert werden sollen: Ein biologischer vs. konventioneller Anbau oder unter Nutzung eines bestimmten Labels (dies entspricht in meiner Analogie der Datenpolitik mit internen, auf die jeweilige Geschäftsstrategie bezogenen Vorgaben für die Datenbereitstellung und Datennutzung).
In diesem Zusammenhang ist ebenso die gesellschaftliche Sicht und gegenwärtige Meinung durch die Ausformulierung einer Datenethik zu berücksichtigen, um die eigene Reputation zu schützen - wer will heute schon einen medialen Shit-Storm provozieren?
Ich blicke von meinem Notebook auf und frage mich: „Waren dies nun alle fachlichen Begriffe?“, und gebe mir gleich selbst die Antwort: „Aus heutiger Sicht scheint dies gut zu passen - so kann ich ein umfassendes Daten- und Informationsmanagement sehr gut beschreiben“.
Vor meinem inneren Auge betrachte ich nochmals die vielen, einzelnen Fachbegriffe und versuche, erste Zusammenhänge zwischen ihnen zu finden, um daraus einzelne Themengruppen zu etablieren:
Fachbegriffe im Daten- und Informationsmanagement
„Wow, das sind aber ziemlich viele Fachbegriffe und die stehen auch noch in komplizierten Relationen und Abhängigkeiten zueinander. Wie lassen sich diese Begriffe wohl passend beschreiben?“, denke ich mir.
„Als ob diese Grundbegriffe per se nicht schon verwirrend genug sind, wie bekomme ich die passende Verbindung zu «Smart Data» und der «Data Intelligence» hin? Dies werde ich zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Buch noch ausführlich erklären müssen.“
Eines beruhigt mich aber: „Meine erste Annahme scheint zu stimmen - es sind in der Tat eine Million kleine Dinge, an die es zu denken gilt, wenn man mit Daten und deren Verarbeitung zu tun hat,“ und ein weiterer, wichtiger Gedanke formt sich vor meinem inneren Auge.
«Die Überwindung von falschen Überzeugungen und gefilterten Informationen bedingt selbständiges Denken.»
Just mit diesem Gedanken wird mir bewusst, dass ich mich vor den inhaltlichen und technologischen Aussagen zu Daten zuerst genauer mit dem Menschen und der menschlichen Psychologie - eventuell ergänzend mit der Soziologie - auseinandersetzen sollte. Denn hierin liegen die Grundlagen für alle Herausforderungen und auch Chancen für Menschen und Unternehmen. Also beginne ich im Folgenden einen allgemeinen Diskurs über die menschliche Meinungsbildung.
2.1 Über die Logik falscher Überzeugungen
In heutigen Zeiten, gerade nun in Zeiten der Corona-Krise, kursieren in vielen Medien, im Internet und in beinahe allen sozialen Medien zahllose wahre und falsche Fakten, aber ebenso viele Falschmeldungen, Fake News und zweifelhafte Geschichten. Dabei ist es für die meisten Menschen sehr schwierig, die Authentizität von Fakten objektiv zu überprüfen - dafür bedarf es - analog zu wissenschaftlichen Arbeiten - einer umgehenden Recherche von zahlreichen, unterschiedlichen Medien mit Quervergleichen, um sich eine abschließende und möglichst objektive Meinung zu bilden.
Oft werden falsche, aber auch richtige Ideen und Fakten als Fehlinformation und Irreführung der Gesellschaft abgetan; und dies nicht ausschließlich von Skeptikern, Besserwissern und Verschwörungstheoretikern. Hier stellen sich mir nun die durchaus berechtigten Fragen: „Warum ist das nur so? Und wozu soll ein solches Verhalten dienen?“ Irritiert frage ich mich weiter: „Warum ändern - durchaus belegbare - Fakten nicht die bereits gefestigte Überzeugung von Menschen? Und warum sollte jemand trotzdem und weiterhin an eine falsche oder ungenaue Idee glauben?“
Dieser Abschnitt beschreibt meine Gedanken dazu, in Anlehnung an die lesenswerten Artikel [05] von James Clear und Elizabeth Kolbert, welche 2017 zeitgleich erschienen sind und dieses Thema ebenfalls behandeln.
«Fortschritt nehmen die meisten Menschen nicht wahr, weil ihr Verständnis der Welt nicht auf Daten und Fakten beruht, sondern auf Schlagzeilen.»
Rein technisch gesehen ist die jeweilige Wahrnehmung der realen Welt eine Halluzination. Jedes Lebewesen nimmt die Welt anders wahr und erzeugt seine eigene „Halluzination“ der Realität. Ein Mensch braucht eine verständliche und einigermaßen genaue Sicht auf die Welt, um zu überleben. Wenn sich das Modell der Realität zu stark von der tatsächlichen Welt unterscheidet, dann kämpft der Mensch jeden Tag darum, wirksame Maßnahmen dagegen zu ergreifen.
Dabei lässt sich festhalten, dass die meisten Menschen ein einigermaßen genaues Modell der tatsächlichen physischen Realität der Welt und des Universums haben. Wenn man beispielsweise mit dem Auto eine Straße entlangfährt, hat man zwar nicht den vollen Zugang zu jedem Aspekt der Realität, aber die eigene Wahrnehmung ist genau genug, um anderen Autos und Hindernissen auszuweichen und die Autofahrt einigermaßen sicher auszuführen.
Der russische Schriftsteller Lew Nikolajewitsch Tolstoi beschrieb in einem seiner Werke: „Die schwierigsten Themen können dem langsamsten Menschen erklärt werden, wenn er sich nicht schon eine Vorstellung davon gemacht hat; aber das Einfachste kann dem intelligentesten Menschen nicht klar gemacht werden, wenn er fest davon überzeugt ist, dass er bereits ohne den Schatten eines Zweifels weiß, was ihm vorgelegt wird.“ [06] Die wahre und genaue Wahrnehmung der Realität - im Sinne von falschen Überzeugungen - sind jedoch nicht die einzigen Dinge, die für den menschlichen Verstand wichtig sind.
Der Mensch scheint den tief verankerten Wunsch zu haben, einer ihm genehmen Gruppe anzugehören. In seinem kürzlich erschienen Buch „Atomic Habits“ beschreibt der Autor James Clear: „Menschen sind Herdentiere. Wir wollen uns anpassen, uns mit anderen zusammenschließen und uns den Respekt und die Zustimmung unserer Kollegen verdienen. Solche Neigungen sind für unser Überleben unerlässlich.
Während des größten Teils unserer Evolutionsgeschichte haben unsere Vorfahren in Gruppen (Stämmen) gelebt. Die Trennung von der Gruppe - oder schlimmer noch, die Vertreibung - glich einem Todesurteil.“ [07] Es ist wichtig, die Wahrheit einer Situation zu verstehen, aber ebenso wichtig ist es, Teil einer Gruppe zu bleiben. Obwohl diese beiden Wünsche oft gut zusammenpassen, geraten sie zeitweise in Konflikt.
In vielen Fällen ist für das tägliche Leben eine soziale Verbindung wichtiger oder hilfreicher als das Verstehen der Wahrheit von bestimmten Fakten. Wenn man sich zwischen den beiden entscheiden muss, wählen die Menschen oft Freunde und Familie über die Fakten. Der Harvard-Psychologe Steven Pinker drückt es so aus: „Menschen werden je nach ihren Überzeugungen umarmt oder verurteilt, so dass eine Funktion des Geistes darin bestehen kann, Überzeugungen zu vertreten, die dem Gläubigen die größte Anzahl von Verbündeten, Beschützern oder Jüngern bringen, und nicht Überzeugungen, die am wahrscheinlichsten wahr sind.“ [08]
Menschen glauben Fakten nicht immer, weil sie richtig sind. Manchmal glaubt man zudem Dinge, weil sie uns gut für diejenigen Menschen, welche uns wichtig sind, aussehen lassen, das trifft besondere auf falsche Überzeugungen zu.
Der US-amerikanische Software-Ingenieur und Schriftsteller Kevin Simler hat es einmal so ausgedrückt: „Wenn ein Gehirn erwartet, dass es für die Annahme eines bestimmten Glaubens belohnt wird, dann tut es das sehr gerne und kümmert sich nicht darum, woher die Belohnung kommt - ob es pragmatisch ist (bessere Ergebnisse durch bessere Entscheidungen), sozial (bessere Behandlung durch Kollegen und Freunde im gleichen Alter) oder eine Mischung aus den beiden.“ [09]
Falsche Überzeugungen können in einem sozialen Sinn nützlich sein, selbst wenn diese in einem sachlichen Sinn nicht hilfreich oder nützlich sind - somit können diese als „sachlich falsch, aber sozial korrekt“ beschrieben werden.
Eine dazu passende Aussage habe ich in einem Tweet vor kurzem gelesen: „Die Leute sagen viele Dinge, die zwar faktisch falsch, aber gesellschaftlich bestätigt sind. Sie sagen dumme Dinge, aber sie sind nicht dumm. Es ist intelligent, wenn auch oft unmoralisch, die eigene Position in einer Gruppe und die Achtung vor seinen Tabus zu bekräftigen. Das ist Konformität, nicht Dummheit.“
Dies erklärt, warum wir bei bestimmten Aussagen weghören und zeigt gleichzeitig eine gute Möglichkeit auf, die Meinung anderer Menschen zu ändern.
«Nicht Fakten ändern unsere Meinung, sondern die Zusammenarbeit mit anderen Menschen.»
Einen Menschen davon zu überzeugen, seine Meinung zu ändern, bedeutet in Wirklichkeit, ihn davon zu überzeugen, seine Gruppenzugehörigkeit zu wechseln. Wenn man seine Überzeugungen aufgibt, läuft man Gefahr, lieb gewonnene soziale Bindungen zu verlieren. Man kann deshalb nicht erwarten, dass jemand seine Meinung ändert, wenn man ihm seine Gruppenzugehörigkeit wegnimmt.
Stattdessen sollte man diesen Menschen einen neuen und sicheren Ort aka Secure Place [10] anbieten, damit der Wechsel seiner Überzeugung nicht Einsamkeit zur Folge hat. Der beste Weg, die Meinung von Menschen zu ändern, besteht darin, sich mit ihnen anzufreunden und in die eigene Gruppe zu integrieren. Jetzt können sie ihre Überzeugungen ändern, ohne Gefahr zu laufen, sozial isoliert zu werden.
Der britische Philosoph Alain de Botton schlägt deshalb vor, dass wir mit den Menschen, die nicht mit uns übereinstimmen, ein gemeinsames Abendessen veranstalten: „Sich mit einer Gruppe von Fremden an einen Tisch zu setzen, hat den unvergleichlichen und seltsamen Vorteil, dass es schwieriger wird, sie ungestraft zu hassen. Vorurteile und ethnische Streitigkeiten nähren sich aus der Abstraktion.
Doch die Nähe, die ein gemeinsames Essen erfordert - beispielsweise das zeitgleiche Hinsetzen, das Herumreichen von Getränken oder die Aufforderung an einen Fremden, das Salz zu reichen - stört die Fähigkeit, uns an den Glauben zu klammern, dass die Außenseiter, die ungewöhnliche Kleidung tragen und mit markanten Akzenten sprechen, es verdienen, nach Hause geschickt oder angegriffen zu werden.
Bei all den groß angelegten politischen Lösungen, die zur Lösung ethnischer Konflikte vorgeschlagen wurden, gibt es nur wenige wirksamere Wege, die Toleranz zwischen verdächtigen Nachbarn zu fördern, als sie zu zwingen, gemeinsam zu Abend zu essen.“ [11]
Bereits US-Präsident Abraham Lincoln hat dies so gehandhabt, wie sein folgendes Zitat schön aufzeigt: «Ich mag diesen Mann nicht. Ich muss ihn besser kennen lernen.»
Wenn es darum geht, die Meinung der Menschen zu ändern, ist es sehr schwierig, von einer extremen Überzeugung zur einem anderen Extrem zu springen. Man kann seine Meinung nicht zu stark auf einmal ändern, da sich dies bedrohlich anfühlt. Ein guter Ort, um über eine bedrohliche Idee nachzudenken, ist eine nicht bedrohliche Umgebung. Deshalb sind Bücher oft ein besseres Vehikel für die Veränderung von Überzeugungen und Meinungen als Gespräche oder Debatten.
«Das Beste, was einer guten Idee passieren kann, ist, dass sie durch möglichst viele Menschen geteilt wird.»
Im Gespräch muss man seinen Status und sein Erscheinungsbild sorgfältig miteinander abwägen. Man will sein Gesicht wahren und nicht dumm aussehen. Wenn man mit unbequemen Tatsachen konfrontiert wird, neigt man oft dazu, seine aktuelle Position zu verstärken, anstatt öffentlich zuzugeben, dass man sich irrt.
Ein Buch - wie das vorliegende - hingegen löst diese Spannung auf, da der Dialog im Kopf des Betroffenen stattfindet, ohne dass die Gefahr besteht, von anderen sofort beurteilt zu werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die grundlegende Erkenntnis, dass falsche Überzeugungen leider weiterhin bestehen bleiben, da Menschen weiterhin über diese sprechen.
Deshalb verbringt man seine Zeit besser damit, für gute Ideen einzutreten, als falsche Überzeugungen zu bekämpfen und fortwährend zu erklären, warum schlechte Ideen schlecht sind.
«Das Beste, was einer schlechten Idee passieren kann, ist, dass sie von vielen Menschen vergessen wird.»
In der gerade andauernden und sicher noch viele weitere Wochen fortwährenden, durch die Weltkrise verursachten Ruhe bietet sich eine ausgezeichnete Gelegenheit, genauer über diese Gedanken nachzusinnen.
In der sonst alltäglichen Hektik vergisst man leider allzu leicht, dass das eigentliche Ziel darin besteht, sich mit der jeweils anderen Seite zu verbinden, mit Menschen zusammenzuarbeiten, sich mit Menschen anzufreunden und diese in die eigene Gruppe zu integrieren.
2.2 Meinungsblasen und objektive Informationen
An die meisten ihrer Überzeugungen sind die Menschen nicht durch ihre eigene direkte Wahrnehmung gelangt, sondern sie glauben daran, weil es ihnen von - wirklichen und falschen - Experten, dem Internet und den Medien, Kollegen und Freunden oder ihren Verwandten so mitgeteilt wurde.
«Objektive Informationen sind schlicht nicht möglich, da unsere Informationen immer aus dem selbst gewählten Umfeld stammen.»
Was genau und woran die Menschen glauben, hängt also im Wesentlichen davon ab, von wem diese ihre Informationen beziehen und wie glaubwürdig diese Personen in ihren Augen sind. Menschen lesen unterschiedliche Zeitungen, hören unterschiedliche Radiosender, informieren sich über unterschiedliche soziale Medien und haben unterschiedliche Freunde. Aus diesem Blickwinkel sind „objektive Informationen“ schlichtweg nicht möglich, da diese immer einen direkten Bezug zum eigenen, selbst geschaffenen Umfeld und Weltbild haben.
Jedoch will in vielen Fällen ein Mensch überhaupt nicht mit Informationen konfrontiert werden, die seinen bereits bestehenden Meinungen widersprechen. Wird man dennoch damit konfrontiert, nehmen sie diese anderen Meinungen oder Informationen meistens nicht wahr oder finden zahllose Gründe, diese abzulehnen.
Grundsätzlich bereitet es Menschen ein unangenehmes Gefühl, sich mit Positionen zu beschäftigen, die nicht die eigenen sind und spricht dabei vom sogenannten Bestätigungsfehler aka Confirmation Bias. Menschen vermeiden kognitive Dissonanz, indem sie selektiv wahrnehmen, was sie wahrnehmen wollen.
Deswegen verkehren Menschen üblicherweise wenig mit Menschen, die sie nicht mögen und andere politische Meinungen vertreten als sie selbst. Ein Mensch wählt seine Freunde, seinen Stammtisch und sein Umfeld im Allgemeinen nach dem Kriterium der Ähnlichkeit aus und findet diejenigen sympathisch, die Gemeinsamkeiten - Meinungen, Interessen, aber auch reine Äußerlichkeiten - mit ihm teilen.
Zudem liest ein Mensch jene Zeitungen, die eher seiner politischen Ausrichtung entsprechen und abonniert Newsletter von ihm nahestehenden Organisationen.
Manche Menschen hingegen glauben lieber an Verschwörungstheorien anstelle von Fakten, weil ihnen dies eine Illusion von Kontrolle über die Welt gibt - an Verschwörungen kann man schließlich etwas ändern. Verschwörungstheorien sind nicht notwendigerweise immer falsch oder eine Lüge, und ungleich schwerer zu widerlegen, da sie lediglich die Vermutung sind, dass sich bestimmte Menschen zu einem Thema miteinander verschworen haben.
Es sind meist dieselben Typen von Menschen, welche an Verschwörungstheorien glauben - ihnen bedeutet es viel, einzigartig zu sein und dient zudem einem egozentrischen Schutzverhalten.
«Menschen erschaffen ihre Meinungsblasen eigenhändig und sind somit selber schuld an der Filterung.»
Wenn ein Mensch stets nur mit der eigenen Meinung konfrontiert wird und nie die Gegenseite dargestellt bekommt, immer nur bestätigt wird und die kontroverse Diskussion eines Themas versäumt oder ignoriert, dann lebt dieser in einer Meinungsblase.
Dies passiert beispielsweise, wenn man ausschließlich in Freundesgruppen mit ähnlichen Interessen verkehrt und immer die gleichen Informationsquellen (Internet, soziale Medien, Tageszeitungen) konsultiert.
Der amerikanische Internet- und Politik-Aktivist Eli Pariser hat im Jahr 2011 in seinem gleichnamigen Buch erstmals den Begriff „Filter Bubble“ aka Filterblase für die Medienwissenschaft verwendet, um auf die theoretischen Gefahren der Filter-Algorithmen von Suchmaschinen oder Feeds in sozialen Netzwerken hinzuweisen. Ihm war aufgefallen, dass er auf Facebook immer weniger Kommentare von seinen Kontakten, die eher konservativ orientiert waren, sah und verdächtigte bald den Facebook-eigenen Algorithmus. Laut Pariser entstehe die Filterblase, weil Webseiten und soziale Medien versuchen, mit Algorithmen und oft mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz vorherzusagen, welche Informationen man auffinden möchte.
Dies basiert primär auf den verfügbaren Informationen über den Benutzer (wie Standort, Suchhistorie und das Klick-Verhalten), persönlichen Daten und Cookies (nein, das hat gar nichts mit Keksen zu tun :) sowie dem Vergleich von Interessen mit anderen Benutzern. Daraus resultiert eine - durch Maschinen automatisierte - Isolation gegenüber Informationen, die nicht der Meinung des Individuums entsprechen. Dabei ist allerdings anzumerken, dass die isolierende Wirkung von Filterblasen derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist und allgemein als nicht belegbar gilt.
Im Wesentlichen wollte er mit seinem Buch darauf aufmerksam machen, dass diese Algorithmen irgendwann vielleicht nur noch die eigene Sichtweise des Nutzers zulassen würden und alle anderen Informationen entsprechend automatisch ausgefiltert würden [12].
Und dies scheint durchaus zuzutreffen: In den sozialen Medien haben die Menschen über die letzten Jahre aufwändig mit „Like“ und „Follow“ von Themen, Personen und Meinungen ihr eigenes, meist faktenresistentes Weltbild aufgebaut.
Wobei die - zumeist intelligenten - Algorithmen von Facebook, Google und Co. gerne alles aufzeichnen, was der Mensch ihnen an Daten gibt.
Im Allgemeinen bestimmt ein Algorithmus, wie sich ein Computerprogramm bei bestimmten Aktionen verhalten soll. Im Fall der sozialen Medien wird somit festgelegt, welche Inhalte angezeigt werden. Abhängig vom programmierten Algorithmus können Prioritäten auf Inhalte von Freunden gesetzt werden, mit denen man oft in Kontakt steht oder auf Inhalte, die viele andere Menschen kommentiert haben. Es kann zudem sein, dass Inhalte, die man häufig ignoriert, gar nicht mehr angezeigt werden.
Bei Suchmaschinen bezieht sich die Programmierung auf die Auswahl, Sortierung und Anzeige der relevanten Ergebnisse zum jeweiligen gesuchten Begriff, in Abhängigkeit von den automatisch festgestellten Interessen eines Individuums. Somit werden uns durch die Algorithmen genau jene Themen aufgezeigt, an denen wir potenziell Gefallen finden könnten und welche die - zuvor durch Computer aufgezeichneten - Interessen bestätigen oder diesen ähnlich sind.
«Filterblasen werden durch - meist intelligente - Algorithmen verursacht und entstehen durch deren Versuch, die Ergebnisse zu personalisieren.»
Die Kriterien, nach denen ein Algorithmus arbeitet, hängen von der jeweiligen Plattform ab und sind in der Regel nur oberflächlich bekannt, da die Unternehmen ihre Algorithmen und Kriterien als Wettbewerbsvorteil sehen, daher gut behüten und geheim halten.
Diese einseitige Information - die man selbst so nicht wirklich wahrnimmt - kann dabei die eigene Weltansicht eines Individuums verstärken, während andere Meinungen und Überzeugungen ignoriert oder gar nicht berücksichtigt werden.
Und dies kann zu einem verzerrten Meinungsüberblick führen und ebenfalls Einfluss auf die jeweilige Meinung des Individuums selbst haben. Darüber hinaus wird einem die Möglichkeit zur umfassenden Reflexion eines Themas genommen und es besteht die Gefahr der Anpassung an eine der ständig dargestellten Meinungen.
«Es ist eine Frage der eigenen Informations- und Medienkompetenz, um Meinungs- und Filterblasen zu vermeiden.»
Man muss sich dabei einer durchaus wichtigen Tatsache bewusst sein: Die sozialen Medien sind primär zur Unterhaltung der jeweiligen Benutzer ausgerichtet und zeigen daher schwerpunktmäßig jene Inhalte an, welche individuell von Interesse sind. Unter diesem Aspekt ist bei der heutigen Fülle an verfügbaren Informationen die individuelle Vorauswahl durch einen Algorithmus basierend auf dem jeweiligen Interesse durchaus hilfreich.
Wenn man sich aber umfassend informieren und orientieren möchte, ist die umfassende Suche auf unterschiedlichen Plattformen und Medien nach den verschiedenen Ansichten und Meinungen empfehlenswert. Schlussendlich haben viele Zeitungen ebenfalls eine politische Ausrichtung, mit der man entsprechend umgehen können muss.
Wirklich problematisch werden Filterblasen erst dann, wenn diese gezielt genutzt werden, um Menschen zu beeinflussen. Dies ist beispielsweise bei der Verbreitung von Fake News der Fall, wo jemand eine Falschinformation bewusst über die digitalen Kanäle verbreitet, um andere zu täuschen.
Da die heutige Verteilung von Informationen in den digitalen Medien meist fremdbestimmt und hochgradig automatisiert ist, gelingt dies in der Regel auch.
Ein Beispiel für eine solche, potenzielle Beeinflussung von Menschen zeigt die Arbeit der in Großbritannien ansässigen und auf Datenanalysen spezialisierten Firma „Cambrigde Analytica“ auf. Anfangs war die Firma überwiegend in den USA tätig, weil dort die Datenschutzbestimmungen weniger streng sind als in Europa.
Das Unternehmen sammelte und analysierte im großen Stil die Daten über potentielle Wähler mit dem Ziel, durch individuell zugeschnittene Botschaften das Wählerverhalten über sogenanntes Micro-Targeting zu beeinflussen. Hierfür habe man gemäß Aussage der Firmenleitung eine einzigartige Methode zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen nach dem OCEAN Modell entwickelt und individuelle Profile erstellt.
Bei OCEAN aka „Fünf Faktoren“ handelt es sich um ein Modell der Persönlichkeitspsychologie, wonach sich jeder Charakter einer Persönlichkeit anhand der jeweiligen Ausprägung von fünf Haupteigenschaften bestimmen lässt.
Mit Hilfe des OCEAN-Modells kann jeder Mensch den folgenden Dimensionen zugeordnet werden:
• Openness ist die Offenheit oder Aufgeschlossenheit für Erfahrungen,
• Conscientiousness ist die Gewissenhaftigkeit oder der Perfektionismus,
• Extraversion ist die Geselligkeit,
• Agreeableness ist die Verträglichkeit im Sinne von Kooperationsbereitschaft, Rücksichtnahme und Empathie), und
• Neuroticism ist der Neurotizismus, also die emotionale Labilität und Verletzlichkeit.
Statt Persönlichkeiten wie früher üblich in „Persona“ zu einzuordnen, entstehen mit den «Fünf Faktoren» sehr individuelle Persönlichkeitsprofile. Die Entwicklung der «Fünf Faktoren» begann bereits in den 1930er Jahren mit dem lexikalischen Ansatz, dass sich Persönlichkeitsmerkmale in der Sprache niederschlagen; das heißt es wird angenommen, dass alle wesentlichen Unterschiede zwischen Personen bereits im Wörterbuch durch entsprechende Begriffe repräsentiert sind.
Auf der Basis von Listen mit über 18.000 Begriffen wurden durch Faktorenanalyse fünf sehr stabile, unabhängige und weitgehend kulturstabile Faktoren gefunden: eben die «Fünf Faktoren» oder «Big Five» [33]. Man kennt dies als Profiling, eine bekannte Technik zur Persönlichkeitsanalyse, die mit den Fortschritten der Künstlichen Intelligenz stark ausgebaut worden ist und nun vielfach genutzt wird.
Gemäß Firmenaussagen war das Unternehmen im Jahr 2014 an 44 US-Wahlkampf-Kandidaturen beteiligt, zudem nutzten angeblich Unterstützer der Brexit-Kampagne in Großbritannien deren Dienste.
Überdies gab die Firma an, in vier Kampagnen in Asien, Afrika und Südamerika tätig gewesen zu sein. Nach intensiver negativer Medienpräsenz meldete das Unternehmen im Mai 2018 die Insolvenz an, allerdings gründeten die ehemaligen Eigentümer sehr rasch eine neue Gesellschaft mit dem Namen „Emerdata“ [14].
Wenn nun alle Kollegen und Freunde eine bestimmte Nachricht für die Wahrheit halten, dann hat man selbst einen guten Grund, diese tatsächlich falsche Nachricht oder Verschwörungstheorie ebenfalls für wahr zu halten.
Je stärker jemand an Verschwörungstheorien glaubt, desto weniger unterscheidet diese Person die Qualität von Informationsquellen - somit ist ihnen ein Video auf YouTube genauso viel wert wie Verlautbarungen aus offiziellen wissenschaftlichen Quellen, wie vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge oder der Johns Hopkins University in Baltimore.
«Filterblasen können verhindern, dass falsche Meldungen korrigiert werden und somit können sich diese Falschmeldungen sogar noch weiter ausbreiten.»
Damit können Filterblasen zu einer Bedrohung für demokratische Meinungs- und Entscheidungsprozesse werden - unterschiedliche Meinungen werden nicht nur nicht gehört, sondern diese werden durch die Filterblasen als sogenannte Gruppen-Polarisation mitunter radikalisiert. Deshalb sollte man aktiv den Kontakt mit Andersdenkenden suchen, um andere Standpunkte nachvollziehen zu können, ohne diese zwangsläufig teilen zu müssen.
Hier möchte ich noch ein interessantes Experiment für das Phänomen der Filterblasen beschreiben, das man sehr einfach selbst durchführen kann: Dazu wählt man einen Begriff - beispielsweise „Ägypten“ - und dann geben drei Personen diesen in die Suchmaschine von Google jeweils auf dem eigenen Computer ein. Wie dann schnell ersichtlich wird, sind die Treffer auf der ersten Seite dann individuell sehr unterschiedlich ausgestaltet - je nach privater Nutzung der Suchmaschine, denn die KI-Algorithmen von Google nutzen die jeweiligen Präferenzen, um die Treffer zu „optimieren“.
Somit sieht nicht jede Person das gleiche, obwohl man den gleichen Begriff sucht - ein klassischer Fall einer Filterblase! In meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass in vielen Fällen die Übereinstimmung nur 30 Prozent beträgt.
Aus den in diesem Kapitel beschriebenen Gründen sollte man immer jene Informationen hinterfragen, welche die eigenen Überzeugungen und Vorurteile bestätigen. Insbesondere alle Nachrichten, die nur allzu gut in das eigene Weltbild passen, verdienen besondere Skepsis und Aufmerksamkeit.
Über «Cookies» sollte man Bescheid wissen
Cookies sind Daten, die eine Webseite auf dem Computer zwischen speichert, wenn diese im Browser aufgerufen wird. Diese Cookies stammen von aufgerufenen Webseiten wie Amazon oder Google und enthalten Angaben zur Sprache, Seiteneinstellungen, E-Mail-Adresse und Ihren Namen. Cookies sollen das Surfen im Internet erleichtern.
Wenn die Webseite bereits die Login-Daten kennt, spart man sich beispielsweise das Eingeben langer Passwörter und von Benutzernamen.
Außerdem werden die Surfgewohnheiten gespeichert und an den Betreiber der Internetseite weitergegeben. Dabei gibt es gute Cookies, beispielsweise Session Cookies, die man durchaus akzeptieren kann. Es existieren jedoch auch böse Cookies, beispielsweise Tracking Cookies, diese personalisieren die Werbung und werden dauerhaft gespeichert - die sollte man nicht akzeptieren oder zulassen.
Die Überprüfung von Fakten
Für die eigenständige Überprüfung von Fakten gibt es unter anderem das Faktencheck-Portal „Correctiv“. Diese Website deckt täglich Falschinformationen, Gerüchte und Halbwahrheiten auf und zeichnet sich dabei durch eine hohe methodische Genauigkeit sowie Transparenz aus.
Das Internet hat auch unbekannte Seiten
Es ist nicht allen Menschen bekannt oder bewusst, aber das Internet aka World-Wide-Web besteht eigentlich aus drei, ineinander verwobenen Teilen - dem „Surface Web“, dem „Deep Web“ und dem „Dark Web“.
Das „Surface Web“ ist der bekannteste Teil, den die meisten Menschen täglich mit klassischen Suchmaschinen und den gewöhnlichen Browsern nutzen.
Das „Deep Web“ ist jener Teil des Internets, welcher spezifische Informationen enthält und auf den die meisten Menschen und Suchmaschinen keinen Zugang haben - beispielsweise nicht-öffentliche Bibliotheken oder wissenschaftliche Dokumente, zu denen nur Abonnenten einen Zugriff haben. Die dort abgelegten Inhalte sind nur für bestimmte Personen - meist innerhalb eines Unternehmens - bestimmt und für den Zugang benötigt man die exakte Adresse (URL) sowie oft auch ein Passwort.
Dann gibt es noch das „Dark Web“, das nicht von Kriminellen, sondern von US-Behörden in den 1990er Jahren entwickelt wurde. Somit konnten die auf der ganzen Welt verstreuten Agenten der Geheimdienste ihre Daten dank neuer kryptografischer Methoden einfach über das Internet übermitteln statt per Post oder Funk. 1997 wurde das Projekt vom US-Militär an Bürgerrechtsgruppen weitergegeben, wobei die Gründe dafür nicht klar sind.
Eine mögliche Erklärung ist, dass das Netzwerk geöffnet wurde, damit weltweit alle Agenten jederzeit darauf Zugriff haben und durch die Öffnung die nachrichtendienstlichen Aktivitäten im allgemeinen Datenstrom untergehen würden. Dadurch können Agenten - und jeder andere Benutzer - anonym und sicher kommunizieren.
Das Dark Web ist der nicht regulierte Teil des Internets und keine private oder staatliche Organisation ist in der Lage, hier bestimmte Regeln durchzusetzen. Es ist wesentlich schwerer zu erreichen, da man spezielle Software wie den Tor-Browser braucht, um auf diese Webseiten - die aus einer Reihe zufälliger Buchstaben und Zahlen mit der Endung „.onion“ bestehen - zugreifen zu können. Die Nachrichtendienste nutzen es weiterhin und für Whistleblower wird die Veröffentlichung geheimer Dokumente vereinfacht - daher ist es einerseits gefährlich und andererseits nützlich, beispielsweise mit dem Hidden Wiki - einfach mal ausprobieren!
Um im gesamten Internet frei und anonym navigieren zu können, wird durch das Tor-Projekt - eine in den USA domizilierte Non-Profit Organisation - kostenlose Software angeboten, welche die Privatsphäre online schützt.
Der «Tor-Browser» ist ein sogenannter „Onion Router“, welcher das primäre Ziel hat, die Benutzer anonym zu halten. Dafür wird ein hohes Maß an Verschlüsselung eingesetzt und der Browser unterstützt dabei die folgenden Funktionen:
• Tracking blockieren: Der Tor-Browser isoliert jede Webseite, die man besuchst, so dass einem die Tracker und Anzeigen von Drittanbietern nicht folgen können. Alle Cookies werden automatisch gelöscht, wenn man mit dem Surfen fertig ist. Das Gleiche gilt für den Browser-Verlauf.
• Gegen Überwachung verteidigen: Der Tor Browser verhindert, dass jemand, der die aktuelle Verbindung einer Person beobachtet, weiß, welche Webseiten man besucht. Jemand, der die Surfgewohnheiten einer Person überwacht, kann nur sehen, dass jemand Tor benutzt.
• Mehrschichtige Verschlüsselung: Der Datenverkehr wird dreimal weitergeleitet und verschlüsselt, während er über das Tor-Netzwerk läuft. Das Netzwerk besteht aus Tausenden von Servern, betrieben von Freiwilligen, die als Tor-Relays bekannt sind.
Aber nicht nur im Dark Web gibt es Fälschungen und Irreführung - die Konten (oder Profile) auf den Plattformen für soziale Medien können ebenso gefälscht sein. Facebook schätzt gemäß aktuellem Transparenz-Bericht, dass etwa fünf Prozent der heutigen 2.45 Milliarden Profile bei Facebook gefälscht sind.
Deshalb sollte man lernen, bestimmten offiziellen Quellen zu vertrauen, was manche Menschen durch die Auswahl von hochwertigen Tageszeitungen und der Nutzung offizieller Nachrichtenkanäle - unter Berufung auf Qualitätsjournalismus und einem starken Vertrauen in die Wissenschaft - schon seit Jahren praktizieren.
2.3 Die Fähigkeit des selbständigen Denkens
Wie im Proömium bereits kurz angerissen, wurden die so genannten Grundbegriffe erstmals durch Aristoteles und später durch Kant beschrieben. Diese stellen eine grundlegende Voraussetzung für die Festlegung und Definition der elementaren Begriffe für jedes begriffliche System dar, somit auch für das Daten- und Informationsmanagement.
Der Grundbegriffe-Ansatz ist meines Erachtens eine sehr effiziente Methode, um ein kompliziertes Problem solange in kleinere Teile zu zerlegen, bis man schließlich eine Anzahl von definierten Grundbegriffen hat, welche das Problem in seiner Gesamtheit beschreiben, die Kompliziertheit insgesamt reduziert hat und auf dieser Basis originelle Lösungen entwickeln kann.
«Der Mensch tendiert dazu, eher die Form als die Funktionsweise zu optimieren.»
Der Unternehmer Elon Musk hat das Grundbegriffe-Denken erfolgreich für die Entwicklung seiner kommerziellen Mars-Rakete SpaceX eingesetzt, wie er in einem Interview [13] kürzlich erläutert hat: „Ich tendiere dazu, die Dinge über die physikalischen Prinzipien anzugehen. Die Physik lehrt uns, von deren Grundbegriffen ausgehend zu argumentieren und nicht durch Analogien.
Also sagte ich, okay, schauen wir uns die Grundbegriffe an. Woraus besteht eine Rakete? Aus Aluminiumlegierungen für die Luft- und Raumfahrt, sowie aus Titan, Kupfer und Kohlenfasern. Dann fragte ich mich: Was ist der Wert dieser Materialien auf dem Rohstoffmarkt? Es stellte sich heraus, dass die Materialkosten für eine Rakete etwa zwei Prozent des typischen Preises betragen.“
Anstatt eine fertige Rakete für mehrere zehn Millionen Dollar zu kaufen, beschloss Musk, eine eigene Firma zu gründen, die Rohstoffe billig einzukaufen und die Raketen selbst zu bauen: Das Unternehmen „SpaceX“ war geboren. Innerhalb weniger Jahre hatte SpaceX den Preis für den Start einer Rakete um fast das Zehnfache gesenkt und dabei immer noch Gewinn gemacht.
Musk nutzte damit das Grundbegriffe-Denken, um die komplizierte Aufgabenstellung auf die Grundlagen zu reduzieren, die hohen Preise der Raumfahrtindustrie zu umgehen und hiermit eine effektivere Lösung zu finden [15].
Das Grundbegriffe-Denken ist das grundlegende Vorgehen, einen Prozess auf die grundlegenden Bestandteile oder Grundbegriffe, von denen man weiß, dass sie wahr sind, zu reduzieren und von dort eine eigene Lösung aufzubauen. Ich möchte im Folgenden beschreiben, wie man das Grundbegriffe-Denken im eigenen Leben und bei der eigenen, täglichen Arbeit nutzen kann.
«Die Methode des Grundbegriffe-Denkens ist eine elegante Denkweise und basiert auf Fragestellungen sowie der Zerlegung des Problems in einzelne Bestandteile.»
Der Grundbegriff ist eine grundlegende Annahme, die sich nicht weiter ableiten lässt und stellt daher die einfachste Vorstellung eines Objektes der realen Welt dar. Vor über zweitausend Jahren definierte der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles einen Grundbegriff als „die erste Grundlage, von der eine Sache her bekannt ist“ [03]. Das Grundbegriffe-Denken ist eine elegante Art „Ich denke wie ein Wissenschaftler“ auszudrücken.
Wissenschaftler gehen nicht von irgendwelchen Annahmen aus, sondern beginnen immer mit Fragen, wie beispielsweise „Worüber sind wir absolut sicher, dass es wahr ist? Wie wurde dies bewiesen oder wo bereits aufgezeichnet oder niedergeschrieben?“
In der Theorie erfordert das Grundbegriffe-Denken, dass man immer tiefer und solange nach den darunterlegenden Details gräbt, bis man nur noch die grundlegenden Wahrheiten einer Aufgabenstellung vorliegen hat.
René Descartes, der französische Philosoph und Wissenschaftler, hat diesen Ansatz mit einer Methode übernommen, die heute als kartesischer Zweifel bezeichnet wird, bei der er "systematisch alles anzweifeln würde, was er möglicherweise anzweifeln könnte, bis er mit etwas zurückbleibt, was er als zweifelsfreie Wahrheit ansieht" [03]. Um die Vorteile des Grundbegriffe-Denken in der Praxis zu nutzen, muss man jedoch nicht jedes Problem bis auf die unterste (atomare) Ebene herunter brechen, um es zu vereinfachen. Meist reicht es, nur ein oder zwei Abstraktionsebenen tiefer zu gehen als die meisten Menschen und auf jeder Abstraktionsebene präsentieren sich dann verschiedene Lösungen.
John Richard Boyd, ein berühmter US-amerikanischer Kampfpilot und Militärstratege, schuf das folgende Gedankenexperiment [16], welches sehr gut zeigt, wie man das Grundbegriffe-Denken in der Praxis anwenden kann:
Man stelle sich vor, die folgenden drei Dinge zu haben: Ein Motorboot mit Wasserskiern dahinter, einen Militär-Panzer und ein Fahrrad.
Nun zerlegen wir diese Dinge in ihre einzelnen Bestandteile: Das Motorboot in Benzinmotor, Bootsrumpf und ein Paar Skier; den Panzer in Metallketten vom Antrieb, Stahlplatten und eine Kanone; das Fahrrad in Lenkstange, Räder, Getriebe und einen Sitz.
Was kann man nun aus diesen Einzelteilen herstellen? Eine Möglichkeit wäre die Herstellung eines Schneemobils [17], indem man den Lenker und den Sitz vom Fahrrad nimmt und mit den Metallketten vom Panzer, sowie dem Benzinmotor und den Skiern vom Motorboot kombiniert.
«Das Grundbegriffe-Denken folgt einem sehr einfachen, sequentiellen Prozess.»
Das hier angeführte Beispiel beschreibt den Prozess, mit dem nach den Grundbegriffe-Denken immer vorgegangen wird. Es ist ein Kreislauf, bei dem ein Problem (in meinem Beispiel „das Ding“ genannt) in seine Kernelemente zerlegt und diese Einzelbestandteile dann wieder passend für eine neue Lösung zusammengesetzt werden. Dieser einfache Prozess für das Grundbegriffe-Denken wird in der nachstehenden Grafik veranschaulicht:
Der Prozess für das «Grundbegriffe-Denken»
Aus diesem einfachen Prozess lässt sich die folgende Vorgehensweise zur Anwendung des Grundbegriffe-Denkens erläutern: Erst das Problem in die Einzelteile de-konstruieren, dann die Einzelteile klar beschreiben und das Problem vollständig verstehen, und schließlich aus definierten Einzelteilen eine neue (oder optimierte) Lösung re-konstruieren.
Das Grundbegriffe-Denken und der dazugehörige Prozess lassen sich zwar relativ leicht beschreiben, es scheint aber dennoch schwierig in der Umsetzung zu sein. Viele Menschen haben gute Ideen, das zeigt alleine schon die beträchtliche Zahl an vorliegenden, aber kaum umgesetzten Patentanträgen.
Schwieriger wird es dann schon bei der ersten praktischen Umsetzung der Idee über einen Prototyp hinaus. Eines der Haupthindernisse für die Anwendung des Grundbegriffe-Denken ist die zutiefst menschliche Tendenz, eher die Form als die Funktionsweise zu optimieren.
«Das Grundbegriffe-Denken stellt generell eine Herausforderung dar.»
Die Geschichte des Reisekoffers [18] ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Im alten Rom benutzten die Soldaten lederne Kuriertaschen, um beispielsweise Lebensmittel mit dem Pferd zu transportieren - zur gleichen Zeit hatten die Römer viele Fahrzeuge mit Rädern, beispielsweise Streitwagen, Kutschen und Waggons. Und doch dachte Tausende Jahre lang niemand daran, die Tasche mit dem Rad zu kombinieren.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurden Ledertaschen [19] für bestimmte Verwendungszwecke spezialisiert - für die Schule oder für Wanderungen. Im Jahr 1938 wurden die Taschen mit Reißverschlüssen versehen und Rucksäcke aus Nylon wurden erstmals 1967 verkauft. Trotz dieser Verbesserungen blieb die Form der Tasche weitgehend unverändert - man verbrachte die ganze Zeit damit, leichte Anpassungen am gleichen Thema zu machen.
Was oft nach Innovation aussieht, ist meistens eine Anpassung früherer Formen und keine Verbesserung der Kernfunktion. Einer - leider nicht überprüfbaren - Legende zufolge wurde der erste rollende Koffer, welcher es in die Produktion und in die Massenverbreitung geschafft hat, im Jahr 1970 erfunden, als Bernard Sadow sein Gepäck durch einen Flughafen schleppte und dabei sah, wie ein Arbeiter eine schwere Arbeitsmaschine auf einem Radschlitten rollte.
Während sich andere darauf konzentrierten, wie man eine bessere Tasche (die Form) bauen kann, überlegte Sadow, wie man die Funktionsweise - das effiziente Lagern und Bewegen von Reiseutensilien - verbessern kann [18].
«Eine Innovation lässt sich mit dem Grundbegriffe-Denken besonders gut erzeugen.»
Das weiter oben gezeigte Beispiel mit dem Schneemobil zeigt ein weiteres Merkmal des Grundbegriffe-Denkens, nämlich die Kombination von Ideen aus scheinbar nicht verwandten Bereichen. Ein Panzer und ein Fahrrad scheinen auf den ersten Blick nichts gemeinsam zu haben, aber Teile eines Panzers und eines Fahrrads können durchaus so kombiniert werden, um daraus eine Innovation wie in diesem Fall ein Schneemobil zu entwickeln.
Viele der bahnbrechendsten Ideen in der Geschichte sind das Ergebnis der Zerlegung der der Dinge auf die Grundbegriffe und die anschließende Zusammensetzung der wesentlichen Teile in eine effektivere Lösung. So kombinierte im Mittelalter der Erfinder Johannes Gutenberg zum Beispiel die Technologie der Schneckenpresse - einer Vorrichtung zur Herstellung von Wein - mit beweglichen Buchstaben sowie mit Papier und Tinte, um die erste Druckerpresse zu schaffen [21].
Der bewegliche Schriftsatz wurde zwar schon seit Jahrhunderten verwendet, aber Gutenberg war der erste, der die Bestandteile des Verfahrens berücksichtigte und die Technologie aus einem ganz anderen Bereich adaptierte (eben die Schneckenpresse), um den Buchdruck wesentlich effizienter zu machen. Das Ergebnis war eine Innovation, welche die Welt veränderte, und zum ersten Mal in der Geschichte war die weit verbreitete Verteilung von Informationen möglich.
«Die beste Lösung ist oft nicht jene, woran alle anderen schon gedacht haben oder gerade denken.»
Das Grundbegriffe-Denken ermöglicht es, Informationen und Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen miteinander zu kombinieren, um neue Ideen und Innovationen zu schaffen, wobei man sich aber immer an die Fakten der Grundbegriffe halten muss. Dieser Prozess führt zu einer umfassenderen Suche nach besseren Ansatzpunkten und zur Optimierung, also den Ersatz für bekannte oder bestehende Grundbegriffe einer bestehenden Lösung.
«Durch die regelmäßige Anwendung des Grundbegriffe-Denkens lernt man, selbstständig zu denken.»
Die menschliche Neigung zur Nachahmung ist ebenso ein häufiges Hindernis für das Grundbegriffe-Denken. Die meisten Menschen stellen sich die Zukunft vor, indem sie die aktuelle Form nach vorne projizieren und anpassen, anstatt die Funktionsweise nach vorne zu projizieren und die Form komplett aufzugeben.
Um den technischen Fortschritt zu kritisieren, fragen manche Menschen zum Beispiel gerne: „Wo sind denn die vielfach angepriesenen, fliegenden Autos?“ Das Grundprinzip bzw. Faktum ist nun jenes: „Wir haben bereits fliegende Autos - nur nennt man sie eben Flugzeuge.“ Menschen, welche die obige Frage stellen, sind so auf die Form (ein Flugobjekt, das wie ein Auto aussieht) konzentriert, dass sie die Funktionsweise (Transport von Waren und Menschen durch Flug) übersehen [16].
Darauf bezieht sich auch Elon Musk, wenn er sagt, dass „die Menschen oft das Leben nach der Analogie leben“. In den gleichen Denkstil fallen Stereotypen. „Ich kannte mal einen armen Menschen, der dumm war, also müssen alle armen Menschen dumm sein.“ Jedes Mal, wenn man jemanden nach seinem Gruppenstatus und nicht nach seinen individuellen Eigenschaften beurteilt, denkt man über ihn durch Analogie nach.Deshalb muss man mit Ideen vorsichtig sein, die man von jemanden einfach so übernimmt. Alte Konventionen und frühere Formen werden oft ohne Nachfrage akzeptiert, und wenn sie einmal akzeptiert sind, setzen sie der Kreativität oft eine Grenze.
Dieser Unterschied ist einer der Hauptunterschiede zwischen dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess aka KVP [32] und dem zuvor beschriebenen Grundbegriffe-Ansatz. Kontinuierliche Verbesserungen finden in der Regel innerhalb der ursprünglich gesetzten Grenzen statt. Im Unterschied dazu erfordert das Grundbegriffe-Denken, dass man die eigene Loyalität zu früheren Formen oder Verfahren aufgibt und die Funktionsweise in den Vordergrund stellt. Es gilt, die beiden Fragen zu beantworten: „Was versucht man zu erreichen?“ und „Was ist das funktionelle Ergebnis, welches man erreichen will?“
«Grundsätzlich tendiert man dazu, die Funktion zu optimieren und die Form zu ignorieren.»
Interessanterweise ist der beste Weg, um innovative Ideen zu entwickeln, die Reduktion der Dinge auf das Wesentliche - und zudem ist das Verständnis der Grundbegriffe seines Fachgebiets ein wichtiger Faktor. Ohne ein solides Verständnis der Grundlagen besteht kaum eine Chance, die Details zu beherrschen, die im Wettbewerb den oft entscheidenden Unterschied ausmachen. Jede Innovation - auch die bahnbrechendsten - erfordert meist eine lange Zeit für Anpassungen und Verbesserungen. Die vorher erwähnte Firma SpaceX führte viele Simulationen durch, nahm Tausende von Anpassungen vor und benötigte mehrere Versuche, bevor sie herausfand, wie man eine erschwingliche und wiederverwendbare Rakete bauen kann. Im Juni 2020 konnte schließlich nach neun Jahren das US-gefertigtes Raumschiff „Crew Dragon“ der Firma SpaceX von Cape Canaveral abheben und erfolgreich an die ISS andocken.
Das Grundbegriffe-Denken bringt einen auf ganz andere, originelle Lösungen und man lernt dabei, selbstständig zu denken. Es ersetzt nicht die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Verbesserung, ändert jedoch die Richtung der Verbesserung bzw. Anpassung. Wenn man nicht anhand der Grundbegriffe argumentiert, nimmt man kleine Verbesserungen an einem Fahrrad statt an einem Schneemobil vor.