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Eine feste Burg sei unser Song – Sprachfindung auf „der Waldeck“

Hannes Wader und Franz-Josef Degenhardt

„Ja, auch Dich haben sie schon genauso belogen/ So wie sie es mit uns heute immer noch tun/ Und du hast ihnen alles gegeben/ Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben“

Aus: „Es ist an der Zeit“ von Hannes Wader

Irgendwo im Vorderhunsrück, unweit der Mosel, dort, wo sich auch heute noch kaum Touristen hin verirren, steht eine Ruine mit wechselhafter Geschichte. Die Burg Waldeck ist alles Mögliche, bevor aus den mittelalterlichen Überresten im 18. Jahrhundert ein Schloss entsteht, das nur wenige Jahrzehnte später schon wieder zur Ruine verfällt. Für die deutsche Jugend wird das Ensemble aber dennoch oder gerade wegen der pittoresken Anmutung inmitten einer herrlich urwüchsigen Landschaft zum geschichtsträchtigen Ort: Von 1910 bis 1933 treffen sich dort die Nerother Wandervögel, eine der letzten Gruppen der Wandervogel-Bewegung. Bis zu ihrem Verbot im Dritten Reich arbeiten ihre Mitglieder nicht nur an der Wiederentdeckung und der Pflege des Deutschen Liedgutes, sondern auch an der Renovierung der Burg Waldeck und einer Siedlung drum herum. Die „Rheinische Jugendburg“ wird allerdings nie fertig, denn bereits im Juni 1933 besetzen SA, SS und Hitlerjugend das Areal.

Die Nerother Wandervögel werden verboten, Mitgründer Robert Oelbermann stirbt im KZ Dachau und die unpolitischere Nachfolgeorganisation „Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck“ muss sich 1935 ebenfalls auflösen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und einer kurzen Renaissance der Wandervögel übernimmt ein neuer Verein das Areal: Die Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck e.V. streitet zwar ab 1957 zwei Jahrzehnte lang mit den Resten der Wandervögel um die Besitzrechte, aber unbeeindruckt von einem möglichen Ausgang des Prozesses plant man die Zukunft – nicht mit einer umfassenden Sanierung der Ruine, sondern mit Hütten und Festivalgelände. Heute sind Wandervögel und Arbeitsgemeinschaft immer noch Nachbarn, nur die Musik spielt längst woanders.

Aber: Die Burg Waldeck ist für die deutschsprachige Musik extrem wichtig: Die Festivals der 1960er-Jahre werden als eine Art „Bauhaus des Liedes“ konzipiert, wie es der weitgereiste Waldeck-Sänger und Musikforscher Peter Rohland formuliert. Man orientiert sich am Folkboom, der unter anderem Dank Pete Seeger die USA erfasst hat. Veranstaltungen wie das National Folk Festival, das seit 1937 in unterschiedlichen Städten stattfindet und in den besten Zeiten 175.000 Besucher anzieht, oder das American Folk Blues Festival stehen Pate. Dass sich in New York zudem eine Szene junger Liedermacher um Joan Baez, Dave van Ronk und besonders um Bob Dylan findet, beeinflusst die Macher im Hunsrück ebenfalls. Es gilt, eine Sprache zu entwickeln und diese mit der Jugend und den Künstlern der Welt zu teilen. Oder, um es mit Franz-Josef Degenhardt zu sagen, der beim ersten Festival im Mai 1964 im Alter von auch schon 33 Jahren seinen ersten öffentlichen Auftritt hat: „Tot sind unsre Lieder, unsre alten Lieder/Lehrer haben sie zerbissen/Kurzbehoste sie verklampft /Braune Horden totgeschrien/Stiefel in den Dreck gestampft “ besingt er auf „der Waldeck“ die Gründe für die Sprachlosigkeit seiner Generation. Sein „Die alten Lieder“ beschreibt die Ruinen, aus der sich wieder etwas erheben möge, etwas, das die braune Zeit und auch die ersten, dumpfen Jahre der Bundesrepublik, ihre gedankliche Enge und die Restauration samt Wirtschaftswunder hinter sich lassen möge.

Ebenfalls 1964 tritt Reinhard Mey, damals wirklich erst 22 Jahre jung, auf der Waldeck vor das Publikum. Seine Chansons im Stile von Jacques Brel oder Georges Brassens kommen an und Mey startet eine unvergleichliche Karriere – sowohl in Frankreich als auch in Deutschland. Im Gespräch mit der taz und auch dem Autor erinnert er sich an das Festival. Einen Dresscode wie etwa in Woodstock gibt es nicht: Die Klamotten waren zusammengewürfelt, Mey trägt – zeittypisch – ein Nylonhemd: „Ich habe wenig Energie darauf verwendet, einen speziellen Kleidungsstil zu pflegen. Es sollte einfach sein, problemlos, billig.“ Dafür ist das Festival für ihn eine echte Herzensangelegenheit, wie er in der taz betont: „Vor der Waldeck gab es eine Sehnsucht, die Waldeck selbst war das Versprechen, etwas anderes zu machen als das, was an Schlagern und Tanzmusik aus dem Radio quoll.“

Ebenfalls in der taz beschreibt Reinhard Mey den Wesensunterschied zwischen den Stücken der Liedermacher und dem deutschen Schlager, der damals sein goldenes Zeitalter erlebt, so: „Ganz einfach: Das Lied erzählt eine Geschichte, die authentisch ist, die aus dem Leben schöpft. Es schildert Befindlichkeiten dessen, was um uns herum ist. Schlager liefern Klischees oder bringen einfach nur dümmliche Aneinanderreihungen von Abzählversen.“

Insgesamt sechs Festivals finden zwischen 1964 und 1969 statt. Die ersten drei tragen den Titel „Chanson Folklore International“, die späteren heißen „Das engagierte Lied“, „Lied ’68“ und „Waldeck ’69 – Gegenkultur“. Dann gehen die Macher im erbitterten Streit um politische Ziele und die daraus resultierende künstlerische Ausrichtung auseinander.

„Die Waldeck“ wird aber nicht nur zum Sprungbrett für Mey und Degenhardt, sondern zum Beispiel auch für die Barden Schobert und Black, für Hannes Wader oder für den Kabarettisten Hanns-Dieter Hüsch, der 1966 im Hunsrück auftritt und dabei vom linken Publikum so gestört wird, dass er seinen Auftritt völlig entnervt abbricht.


Waldeck vor der Revolution (im Uhrzeigersinn): Wader zu Pferde, Fanmassen, Hüsch und Degenhardt beim Diskurs

Dem Südwestfunk gegenüber äußert sich der Künstler seinerzeit kritisch – wie Die Zeit 1968 berichtet: Hüsch bedauert, dass „die linken Gruppen sich kaum auf einer nüchternen und sachlichen Ebene auseinandersetzen könnten, der Künstler werde von solchen Gruppen nur als Mittel benutzt, damit sie zur Provokation kämen.“ Degenhardt stellt wütend seine Gitarre ins Eck, laut Reinhard Meys Einschätzung in der Frankfurter Rundschau ist aber nur Degenhardt den linken Hardlinern wirklich gewachsen.

Die späteren Festivals sind eher Diskurs- und Streitzirkel für 6.000 Leute als Musikveranstaltungen – und laut Die Zeit schon Ende der 1960er-Jahre „von der Geschichte überholt“. Da mag schon was dran sein, das Drumherum um die Festivals im Hunsrück mutet uns heute sehr seltsam an, was aber bleibt, ist der prägende Einfluss, den die Musik von dort bis heute hat. Denn auf der Burg Waldeck emanzipiert sich die deutsche Sprache von ihrer Vergangenheit, in dem sie sich damit auseinandersetzt. Hier wird der Grundstein für nachfolgende Epochen gelegt, auch, weil viele der beteiligten Künstler nahe der Ruine ihre einflussreichen Karrieren starten. Sie finden zu ihrer Sprache.

Zum Weiterhören


Verschiedene: „Waldeck Festivals 1964–1969“ (10 CDs, Bear Family, 2008)

Verschiedene: „American Folk Blues Festival ’63-’67“ (CD, Bellaphon, 1987)

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