Читать книгу Perry Rhodan 2539: Schreine der Ewigkeit - Marc A. Herren - Страница 5

1.

Оглавление

Die Früchte des Wissens

Er war ein Niemand, ein Nichts.

Seine Lehrer hatten sich immer wieder darin gefallen, ihm zu erklären, dass er über keinerlei herausragende Fähigkeiten verfügte. Dass er wohl nie etwas zum kulturellen, sozialen oder wissenschaftlichen Reichtum seines Nestes beitragen würde. Dass er deshalb auch nie in den Genuss der Privilegien kommen würde, die jene genossen, welche im Gegensatz zu ihm mit Genie, Können und Begabung gesegnet waren.

Er war – und würde es immer bleiben – ein Niemand, ein Nichts. Was eigentlich kein Problem darstellte, solange keiner von diesem Umstand wusste.

Zudem sich die Lehrer geirrt hatten. Zumindest ein Talent besaß Syrst Tykvenst Lokop: Er war ein begnadeter Lügner, Aufschneider, Hochstapler.

Und dieses, sein einziges Talent spielte er mit der ihm eigenen Frechheit aus, um sich all jene Dinge zu besorgen, die ihm Lehrer und Nesthüter so glaubhaft abgesprochen hatten.

Wie an diesem Tag, an dem er als Gastdozent an einem Symposium über die Philosophie des Ur-Lokopters teilnahm. Gewiss – er hatte die Materie weder studiert, noch hatte er die Zeit gefunden, sich durch einschlägige Medien und Hypnoschulungen damit vertraut zu machen. Als er sich aber vor wenigen Tagen im Erfrischungsraum eines Konferenzgebäudes aufgehalten und gesehen hatte, mit welch außergewöhnlichen Speisen und Getränken die Teilnehmer eines Symposiums bewirtet wurden, war es für ihn völlig klar gewesen, dass er an einem solchen teilnehmen musste – unabhängig von dessen Thema.

Nun saß er da und blickte auf den Dünnfedrigen, der einen unmöglich verhurrschten Eindruck machte und versuchte, sich krampfhaft an die damaligen Gegebenheiten zu erinnern.

Syrsts Gedanken reisten zurück zu jenem Unterweisungshof, auf dem er im Alter von zehn Jahren gestanden hatte. Damals hatte ihm gedämmert, dass er im Grunde ein völlig uninteressanter und talentloser Lokopter war.

Aus einer Laune heraus hatte er den anderen Jugendlichen daraufhin erzählt, dass sein Nesthüter im Ruf aufgegangen sei und deswegen im Schrein der Ewigkeit leben würde.

Die Wirkung seiner Worte hatte ihn über alle Maßen erst erstaunt und dann entzückt.

Die jungen Lokopter hatten ihn mit ehrfürchtig aufgerissenen Augen umstelzt und immer weitere Fragen gestellt, die er mit der blinden Sicherheit eines Wasserspürkäfers beantworten konnte.

Im Nachhinein hatte er sich darüber gewundert, woher all die Antworten stammten, die ihm so locker und leicht aus dem Schnabel gesprungen waren. Doch weshalb sich über solche Nebensächlichkeiten das Gefieder zerzausen? Man konnte schließlich die Affäre stattdessen als das betrachten, was sie war – Syrsts Aufstieg in der Hofhierarchie um mindestens drei Nestgrößen, und dies innerhalb weniger Minuten!

Der junge Lokopter hatte sofort seine Schlüsse daraus gezogen und sich von seinen Bewunderern distanziert. Schließlich benötigte eine frisch geschlüpfte Persönlichkeit wie er einen gewissen Abstand zum normalen Volk – zudem hatte er schon drei Minuten später keine Ahnung mehr, mit welchen Details er seine Geschichte ausgeschmückt hatte, und wollte vermeiden, sich in Widersprüche zu verstricken.

So war er an der mit Schlingpflanzen bewachsenen Mauer entlangstolziert und hatte die scheuen Blicke der anderen Jugendlichen genossen, die sie ihm aus der Ferne zugeworfen hatten.

Einzig ein ausgehurrschter, dünnfedriger Nesthocker, der von den anderen Jugendlichen meist übersehen wurde, hatte sich ihm misstrauisch genähert und ihm auf den Schnabel zugesagt, dass Syrsts Geschichte gar nicht stimmen konnte: Die letzte Klausur der Mächtigen habe nämlich vor genau achtzig Jahren begonnen – und so alt sähe Syrst nun nicht gerade aus.

Syrst Tykvenst Lokop war nie ein Kämpfer gewesen. Seine Arme glichen eher knorrigen Ästen denn kraftstrotzenden Hebe- und Arbeitswerkzeugen. Der Schnabel sah zwar kräftig und gesund aus, doch damit auf einen Gegner einzuhacken, darauf wäre Syrst nie gekommen; ihn ekelte schon die bloße Vorstellung an, seinen Kopf in fremdem Gefieder wiederzufinden.

Zu jenem Zeitpunkt wäre Syrst aber gerne ein Kämpfer gewesen, um dem Dünnfederling so lange einzuheizen, bis dieser die Anschuldigungen wieder vergessen hätte. So musste er ihm eine Geschichte über schockgefrorenen Samen seines Vaters ins Nest legen und ihn anschließend so schnell wie möglich stehen lassen.

Svage Kittel Lokop hatte er geheißen, das wusste Syrst noch gut, und er hatte die nächsten Jahre damit verbracht, einen möglichst großen Bogen um den unangenehmen Einzelgänger zu machen.

Und nun stand ausgerechnet dieser schrecklich verhurrschte Dünnfedrige vor ihm, als er es gerade überhaupt nicht brauchen konnte, und er las den Namen »Svage« auf dem Halsreifen, den alle Besucher des Symposiums erhalten hatten.

Svage.

Wie viele Svages laufen in Lokops Nest herum?, fragte er sich.

Der Name war seit Generationen veraltet und wurde nur selten verliehen – mehr als zwei Dutzend Svages würden aber mit Sicherheit in seinem Großnest wohnen.

Der Dünnfedrige ruckte mit dem Kopf vor und zurück, kniff die Augen halb zusammen und scharrte unruhig im Bodennebel herum.

»Du bist Sonte Tyrgal Takell?«, fragte er.

»Gewiss«, sagte er mit fester Stimme und deutete auf seinen Halsreifen.

Der Reifen gehörte dem – an diesem Tag leider verhinderten – öffentlich nicht sehr bekannten Philosophen aus Takells Nest, das Syrst als Tarnung diente. Wer zu Symposien nicht auftrat, der durfte sich auch nicht wundern, wenn der eigene Namensreifen einen anderen zu Ruhm und Apérohäppchen verhalf.

Das fand jedenfalls Syrst Tykvenst Lokop, und bis vor kurzer Zeit hatte es wie eine überaus clevere Idee ausgesehen. Dann war der Verhurrschte vor ihn getreten.

»Ich habe mit Sonte studiert«, krächzte sein Gegenüber heiser. »Du gleichst ihm nicht einmal ansatzweise. Dafür kommst du mir sonst ziemlich bekannt vor.«

Syrsts Hals verschloss sich, als hätte sich ein Wurm in seiner Kehle festgehakt. Zu allem Überfluss bemerkte er, dass sein Gegenüber aus den Federn muffelte – stinkende Lokopter konnte er auf die Mauser nicht ausstehen.

»Du ... du musst dich ganz bestimmt täuschen!«

»So, muss ich das? Weißt du denn, wer ich bin? Der richtige Sonte kennt meine Federzeichnung ebenso gut wie meine Arbeit.«

Der Dünnfedrige plusterte sich auf, und ein Schwall schlechter Luft erreichte Syrst. Unwillkürlich wich er ein paar Schnabellängen zurück.

Federzeichnung!«, dachte Syrst angeekelt. Bei dir ist der Geruch einprägsamer als die Musterung! Er sprach seine Gedanken aber nicht aus, um seinen Gegner nicht unnötig zu provozieren.

»Svage, ich weiß nicht, für wen du dich hältst«, sagte er stattdessen, »aber weder kenne ich dich, noch denke ich, dass du mich so lange in Beschlag nehmen solltest. Die anderen Besucher ...«

»Ich bin Svage Kittel Lokop«, unterbrach ihn der Dünnfedrige in gewichtigem Tonfall. »Und ich denke, dass du alles andere als ein Philosoph, sondern vielmehr mit einem Aufschneider identisch bist, den ich schon vor Jahren auf dem Unterweisungshof der Hochstapelei überführt habe!«

»Du hast mich gar nicht überführt,ich ...«

Syrst klappte den Schnabel geräuschvoll zu. Um einen Flaum hätte ich mich verraten!

Svage Kittel Lokop hob den Schnabel zur Decke und krähte vor Lachen. Sofort erstarben im Konferenzraum sämtliche Gespräche, und Hunderte von Augenpaaren richteten sich auf die beiden Lokopter.

Syrst erstarrte.

Eine Blaufeder, die für die Organisation des Anlasses zuständig war, kam eilig auf sie zugestakst. »Sonte, wirst du von diesem ... diesem ...« Ihr Blick wanderte von Svages Kopf bis zu seinen krummen Beinen hinunter, die im Bodennebel verschwanden.

»Mein Name ist Svage Kittel Lokop«, keckerte der Dünnfedrige. »Wenn du hier arbeitest, solltest du mich kennen!«

Die Blaufeder wich unwillkürlich zwei Schrittlängen zurück.

»Professor Svage!«, gackerte sie. »Ich habe dich ... Es tut mir ... Wir wollten dich ...«

»Ihr habt mich eingeladen«, unterbrach Svage sie ruhig. »Ich wollte aber sehen, wie sich die Kollegen in meiner Abwesenheit schlagen und habe dem Symposium deshalb als einfacher Besucher beigewohnt.«

»Aha«, ächzte die Blaufeder. Es stand ihr quer über den sorgfältig bemalten Schnabel geschrieben, dass sie überhaupt nichts verstand.

»Ganz besonders intensiv habe ich meinem alten Brutbruder Sonte gelauscht, der während des Symposiums nicht nur seine rhetorische Brillanz vermissen ließ, sondern Sonte auch im Federkleid nicht im Entferntesten gleicht. Wahrscheinlich hat es dieses fremde Ei nicht geschafft, ein Bild Sontes aufzutreiben, da er die Öffentlichkeit aus gutem Grund meidet!«

Syrst begriff, dass er sofort eingreifen musste, wenn er nicht wollte, dass alle Läuse auf ihn übersprangen.

»Das ist eine Frechheit sondergleichen!«, rief er mit aufgeplusterten Brustfedern. »Ich bin Sonte Tyrgal Takell! Ich verlange, dass dieses verhurrschte Geschöpf sofort aus meiner Schnabelreichweite entfernt wird!«

Herrisch sah er sich um. Die anderen Teilnehmer und Besucher traten fußscharrend heran, um den unerwarteten Streit bei dem Philosophen-Symposium aus der Nähe erleben zu können.

Die Blaufeder blickte hilflos von ihm zu Svage, der nicht nur mit dem Außenseiter von damals identisch war, sondern obendrein, wie es schien, einen Professortitel in Philosophie innehatte.

»Was ... wem ...?«, stotterte sie.

»Mir scheint«, sagte Svage, »dass wir vor einem Problem der äußeren wie inneren Identität eines Individuums stehen, das durch einen simplen Test aus der Welt geschafft werden kann.«

»Ich verbitte mir ...«

»Einen Test, den die interessierte Zuhörerschaft ...«, Svage blickte kurz in die Runde der andächtig lauschenden Lokopter, »... ohne Probleme nachvollziehen kann.«

Syrst wollte erneut aufbegehren, doch ihm wurde schlagartig bewusst, dass die geifernden Gaffer um ihn herum so lange keine Ruhe geben würden, bis er sich diesem Test gestellt hatte.

Ergeben legte er das Federkleid an. »Dann tu, was du nicht lassen kannst!«

In den Augen des Professors sah Syrst Häme aufblitzen und wusste, dass er verloren hatte.

»Sonte Tyrgal Takell«, begann Svage mit tragender Stimme, sodass es alle hören konnten. »In deinem epochalen Werk ›Der Sinn des Lebens‹ stellst du eine These auf, die zuerst auf breite Ablehnung stieß, mittlerweile aber die Grundlage aller philosophischen Hauptströmungen darstellt – was besagt sie?«

Mit einem Schlag war es im Saal so leise, dass man das Husten einer Gefiedermilbe hätte hören können.

Syrst gab sich alle Mühe, nicht zu schwanken, doch die schwarzen Schlieren vor seinen Augen verhießen nichts Gutes.

Bloß nicht ohnmächtig werden!, beschwor er sich. Du hast dich bisher aus allen Schwierigkeiten herausgehackt – das wird dir auch jetzt gelingen!

»Na?«, fragte Svage mit einem süffisanten Keckern. »Hat der Professor aus Takells Nest schon eine Ahnung, was er da in seine Schriftrolle geschrieben hat?«

»Ich ... ich habe schon so Vieles geschrieben«, sagte Syrst tapfer, obwohl er keine Ahnung hatte, wie viele Werke dieser Sonte verfasst hatte. »Als ehrenhafter Lokopter solltest du mir einen Hinweis darauf geben, um welche These es sich genau handelt.«

Mehrere der Umstehenden klapperten zustimmend mit ihren Schnäbeln. Andere kratzten nervös über den Boden zum Zeichen, dass sie mit der Forderung nicht einverstanden waren.

Svages Kopf pendelte abwägend hin und her. »In Ordnung. Machen wir es also ganz leicht: In welcher Weise erreicht der Lokopter die Vervollkommnung seiner selbst?«

Syrst schluckte krampfhaft. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung seine Antwort zielen sollte. Was würde nun mit ihm geschehen? Bestimmt hatte er gerade eines der Gesetze der Ockergrauen verletzt und würde in das geschlossene Nest wandern ... Eine grausame Vorstellung für Syrst.

Svage schob seinen Kopf an den seinen heran, bis sich die Schnäbel fast berührten. Syrst hielt den Atem an, wünschte sich, die Zeit würde stillstehen.

Das geschlossene Nest, dachte Syrst. Keine Höhe, keine Weite. Ich allein mit mir ... Da wäre ich lieber gleich ...

»Tot«, krächzte er leise.

Ein Aufschrei ging durch die Lokoptermenge.

»Korrekt!«, stieß die Blaufeder erleichtert aus. »Der Tod ist der Schlüssel zur Vervollkommnung, denn er schließt den Kreis des Lebens!«

Ein älterer, fast federloser Lokopter schob sich in den Vordergrund. »Ein andauerndes Leben kann per Definition nicht perfekt sein«, säuselte er in bestätigendem Tonfall, »denn ihm fehlt die Rückkehr zum Beginn, die Verschmelzung des zersetzenden Ichs mit dem Samenkorn des Lebens. Wie du es geschrieben hast, Sonte!«

»Was soll das?«, rief Svage aufgebracht. Sein Kopf pendelte zwischen der Blaufeder und dem Halbnackten hin und her. »Dieser Hochstapler hätte diese Antwort geben sollen! Ihr könnt doch nicht ...«

»Jetzt ist aber einmal Ruhe hier!«, stieß die Blaufeder heftig aus. Man sah ihr die Erleichterung über den vermeintlich positiven Ausgang des Tests deutlich an. »Professor Sonte, bitte entschuldige die Zweifel an deiner Identität!«

Syrst konnte die glückliche Fügung kaum fassen, blieb äußerlich aber gelassen. »Ich bitte dich, das kann doch einmal vorkommen! Mein Kollege scheint sich lediglich ein wenig zu intensiv mit kleinbedruckten Schriftrollen zu beschäftigen, sodass seine Augen gelitten haben.«

Svage hob beide Hände, als wolle er Syrst vor allen Zeugen den Hals umdrehen. Er verharrte zwei Atemzüge lang in dieser Pose, dann ließ er die Hände wieder sinken. »Ich kriege dich noch, du falsches Ei! Ich muss mich nur daran erinnern, wie du heißt, dann ...«

»Tu das!« Syrst blickte feixend in die Runde. »Nicht jeder verfügt über die Reife und innere Größe, offen zugeben zu können, einen Fehler gemacht zu haben. Und: je Professor, desto schwieriger scheint es!«

Ein paar Lokopter lachten gackernd.

»Syrst Tykvenst Lokop!«, drang eine kräftige und autoritäre Stimme durch den Konferenzsaal. »Dich haben wir gesucht!«

Syrst zuckte zusammen.

Jemand hatte ihn erkannt, und die bloße Schärfe in der Stimme dieses Jemands besagte nichts Gutes.

Gar nichts Gutes.

Perry Rhodan 2539: Schreine der Ewigkeit

Подняться наверх