Читать книгу Mindful Leadership - die 7 Prinzipien achtsamer Führung - Marc Lesser - Страница 7

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Einführung

Strategien kommen und gehen.

Unternehmenskultur bleibt.

PETER DRUCKER

Dieses berühmte Zitat von Peter Drucker, einem weltweit führenden Managementautor, -trainer und -berater, ist wahrscheinlich einer der bekanntesten und unumstrittensten Aphorismen des Geschäftslebens. Es bringt auf den Punkt, dass die Kultur eines Unternehmens letzten Endes viel wichtiger ist für den Erfolg als irgendwelche Strategien – und die Klugheit dieser Aussage ist in der Hektik der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von heute nicht weniger wichtig geworden.

Woraus besteht die Kultur eines Unternehmens? Aus Menschen. Aus menschlichen Wesen, die zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen. Ich nenne das manchmal das »schmutzige kleine Geheimnis« der Geschäftswelt, eines, das man inmitten der täglichen Anforderungen, Hektik und Sorgen, die uns oft über den Kopf wachsen, sehr leicht aus dem Blick verlieren kann. Geschäftsleben heißt, dass Menschen zusammenarbeiten, und geschäftlicher Erfolg hängt davon ab, wie gut wir interagieren, kooperieren, kommunizieren und uns umeinander kümmern. Das ist die Essenz dessen, was Drucker meint.

Ich glaube, dass wir das alle wissen und dass wir es auch alle suchen, nicht nur am Arbeitsplatz, sondern im Leben überhaupt. Wir wollen etwas schaffen und Teil einer unterstützenden, positiven Kultur sein – einer Kultur echten Vertrauens und echter Fürsorge, einer Kultur der Transparenz und Integrität, der Verantwortung und Erfolgsorientierung. Diese Art Kultur hilft uns individuell und kollektiv, mit Klarheit zu handeln, nichts zurückzuhalten, uns voll und ganz in unsere Beziehungen einzubringen, zu blühen und zu wachsen, anderen besser zu dienen und unsere Ziele zu erreichen.

All das zu realisieren, ist nicht leicht. Mensch zu sein, ist nicht leicht. Mit anderen zu arbeiten, kann eine unglaubliche Herausforderung sein. Es gibt immer irgendwelche Schwierigkeiten, ob das nun schmerzhafte Emotionen sind, Stress und Ungewissheit, Kostenrahmen und Lieferfristen, zwischenmenschliche Konflikte, Unfrieden in der Politik oder in der Wirtschaft oder die unerwarteten Hindernisse, die immer auftauchen, wenn wir ein sinnvolles Vorhaben verfolgen.

Was also können wir tun? Wie können wir das, was wir brauchen, erschaffen und am Leben halten?

Auf diese Fragen gehe ich in diesem Buch ein und hoffe, Sie in der Anwendung der sieben Elemente achtsamen Führungsverhaltens, die ich Manager*innen, Unternehmer*innen, Ingenieur*innen, Ärzt*innen und anderen Menschen auf der ganzen Welt beibringe, anleiten und inspirieren zu können. In den letzten Jahren sind Achtsamkeit und Mindful Leadership geradezu explosionsartig populär geworden, aber das erzeugt nicht automatisch achtsame Führungskräfte. Achtsamkeit zu verstehen, kann kompliziert sein; noch schwieriger ist es, sie im alltäglichen Leben zu verkörpern und regelmäßig zu praktizieren. Dazu kommt noch, dass im Arbeitsalltag oft verwässert wird, was der Sinn von Achtsamkeit ist und wie sie geübt wird (wenn sie nicht von vornherein verworfen wird). Natürlich wurde die altehrwürdige kontemplative Praxis nicht entwickelt, um der Wirtschaft zu helfen. Ihre Absicht ist es, unser Bewusstsein und unsere ganze Art des Daseins in der Welt zu verändern. Aber sie ist unverzichtbar für Mindful Leadership und für den Versuch, die Art von unterstützender Unternehmenskultur zu schaffen, die Unternehmen und Menschen zum Blühen bringt.

Meine Erfahrung hat etwas Unkonventionelles. Den größten Teil meines Erwachsenenlebens stand ich mit einem Bein in der Welt des Kontemplativen und mit dem anderen in der Wirtschaft, und meine Auffassung von Mindful Leadership ist von beidem geprägt: von meiner Erfahrung als langjähriger Zen-Praktizierender und Meditationslehrer sowie von meiner Erfahrung als Leiter, Ausbilder und Berater mit der Aufgabe, Unternehmen bei der Kultivierung achtsamer Führung und eines guten Arbeitsklimas zu helfen. Zuletzt habe ich bei Google mitgeholfen, »Search Inside Yourself«, ein achtsamkeitsbasiertes Programm zur Förderung emotionaler Intelligenz, aufzubauen, und habe das »Search Inside Yourself Leadership Institute« (SIYLI) mitbegründet und geleitet, das mittlerweile zu den prominentesten privatwirtschaftlichen Führungsakademien der Welt gehört.

Im Search-Inside-Yourself-Programm sind die sieben meditativen Prinzipien dieses Buches entwickelt worden. Und dabei ist mir Folgendes klar geworden: Menschen in der Wirtschaft fühlen sich von der Achtsamkeitspraxis aus den gleichen Gründen angezogen wie Menschen, die in irgendeiner kontemplativen Tradition Achtsamkeit und Meditation praktizieren – um ihr Leben zu ändern; um bewusster, fokussierter, flexibler zu werden; um von einem engstirnigen, egozentrischen, angstgeprägten Lebensgefühl wegzukommen und offener, neugieriger zu werden, mehr mit anderen verbunden und fähiger, ihnen zu helfen. Menschen suchen diese Fähigkeiten, um in allen Kontexten und Beziehungen eine Hilfe zu haben, am Arbeitsplatz genauso wie außerhalb.

Der Keim zu dieser Meditationspraxis und zu meiner Auffassung von achtsamer Führung wurde allerdings schon viel früher gelegt, und zwar in den zehn Jahren, die ich am San Francisco Zen Center gelebt, gearbeitet und praktiziert habe. Dazu gehörten zwei Jahre im Meditationszentrum in San Francisco, drei Jahre auf der Green Gulch Farm und fünf Jahre in Tassajara, dem ersten Zen-Kloster der westlichen Welt, das in der Wildnis von Los Padres in Zentralkalifornien liegt.

In Tassajara (und in der Zen-Tradition überhaupt) wird Arbeit als Schlüsselelement zur Integration der Meditationspraxis ins Alltagsleben betrachtet; die Arbeit ist ein Ort des Dienstes und ein Rahmen für ständiges Lernen. Während meines ersten Sommers in Tassajara war ich Spüler in der Küche, und in den folgenden Jahren stieß ich zur Küchenmannschaft, in der ich Brotbäcker und Assistent des Chefkochs wurde. Als ich dann 28 war, fand ich mich als Chefkoch in der Küche des Zen-Klosters wieder – mit dem Bestreben, Achtsamkeit und achtsames Führen zu praktizieren und zu leben, während ich bei der täglichen Zubereitung von Essen (für siebzig ständige Bewohner*innen und jeweils siebzig bis achtzig Übernachtungsgäste) bis zu fünfzehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu führen hatte.

Während der Saison im Sommer war es unsere tägliche Aufgabe, drei einfache vegetarische Gerichte für die Zen-Schülerinnen und -Schüler und drei vegetarische Feinschmeckermenüs für die Gäste zu kochen. Die Standards und die Erwartungen waren hoch (und sind es immer noch). Tassajara hat eine über fünfzigjährige Tradition und Reputation, leckeres, gesundes und kreatives Essen zu servieren, und auf dieser Basis entstand das »Greens Restaurant« in San Francisco, das immer noch als eines der besten vegetarischen Restaurants der Welt gilt.

Aber obwohl ich dafür verantwortlich war, eine Großküche auf Restaurantniveau zu leiten, und dafür, dass alle Zen-Schülerinnen und -Schüler und Gäste zu essen hatten, bestand meine primäre Verantwortung darin, eine Kultur der Achtsamkeitspraxis zu fördern. Mein Hauptjob war es, eine Kultur aufzubauen, in der alle in der Küche beim Arbeiten ein Gefühl für Dringlichkeit, Fokussierung, Großzügigkeit, Selbstvertrauen und Gelassenheit hatten. Ich hatte als Chefkoch mit anderen Worten zwei Ziele: ein bedingungslos liebevolles, unterstützendes und produktives Arbeitsumfeld zu schaffen und gutes Essen zu liefern (und zwar auf die Minute pünktlich!). Keines der beiden Ziele durfte dem anderen geopfert werden.

In der Tat ist die Küche in einem Zen-Kloster ein zentraler Ort der Achtsamkeitspraxis, und sie befindet sich meist in der Nähe eines weiteren Mittelpunkts, nämlich der Meditationshalle. Küche und Meditationshalle gelten als tiefgründig miteinander verbundene Orte, Orte, an denen Mühe und Mühelosigkeit, Selbst und Selbstlosigkeit greifbar werden; Orte, an denen Gemeinschaft entsteht; Orte, an denen der Geist der Fürsorge und der guten Lebensführung gelebt und gefeiert wird. Die Küche ist ein Ort der Arbeit und der Zusammenarbeit – derart, dass alle sich gegenseitig unterstützen –, und sie ist auch der Ort, in den man den Geist, die Bewusstheit und die Haltung der Meditation in die Welt der Aktivität hineintragen kann.

Als Chefkoch stellte ich fest, dass sich das, was ich für zwei Aktivitäten hielt, meistens wie eine einzige anfühlte – während wir voll präsent und bewusst waren und für die Menschen sorgten, kochten wir eben Essen und führten die Küche. Ein andermal wieder schienen die Ziele der Achtsamkeit und der Druck, Dinge fertig zu bekommen, miteinander zu konkurrieren, als ob wir nicht beides haben könnten und einem der beiden Priorität einräumen müssten. Jede Restaurantküche – auch eine Zen-Küche! – ist ein stressiger Arbeitsplatz, an dem es dynamisch und mit hohem Tempo zugeht. Da gibt es jede Menge Vorbereitungsarbeiten zu machen, die oft komplex und detailreich sind, da arbeiten Teams in räumlicher Enge, da gibt es immer neue Prioritäten und einen straffen, eng verzahnten und manchmal unmöglich einzuhaltenden Zeitrahmen. Das Besondere an der Küche in Tassajara ist, dass das gesamte Personal nicht aus Profis besteht, sondern aus Zen-Schülerinnen und -Schülern. Und sie befindet sich an einem abgelegener Ort – während meiner Zeit als Chefkoch war der nächste Laden über zwei Stunden weit weg; wenn etwas fehlte (sei es, dass wir nicht genug Eier hatten oder irgendeine andere wichtige Zutat), mussten wir also flexibel sein und improvisieren. Dazu kam, dass es in der Küche keinen Strom gab. Alles wurde von Hand gemacht.

Wenn ich zurückschaue, staune ich, wie erfolgreich wir waren. Ich erinnere mich, wie ich an einem Sommernachmittag mit einer Gruppe von Gästen, die ich noch nicht kannte, im Gästespeisesaal zu Mittag aß. Eine Frau auf der anderen Seite des Tisches stellte sich mir als Professorin einer Wirtschaftshochschule vor und fragte als Erstes: »Wer ist der Kopf hinter dieser Unternehmung?« Sie war zum ersten Mal in Tassajara und von der Qualität des Essens und vom Service beeindruckt, wie überhaupt von allem, was sie da erlebte. Und tatsächlich, Tassajara wirkt auf Besucherinnen und Besucher in vielerlei Hinsicht wie ein gut geführtes Tagungszentrum. Ich antwortete, dass das Merkmal dieses Unternehmens sei, dass die Menschen, die hier arbeiteten, es eben nicht als Unternehmen ansähen. Tassajara ist ein Ort der Meditationspraxis, des Dienens, der Kultivierung von Achtsamkeit – was bedeutet, dass man die Dinge nicht anders haben will, als sie sind, und dass man dem eigenen Erleben von Moment zu Moment volle Aufmerksamkeit und Bewusstheit entgegenbringt.

Heute betrachte ich die Küche in Tassajara als Modell dafür, was achtsames Arbeiten und achtsames Führen in jedem Kontext bedeuten; ein Modell dafür, dass wir inmitten von Erschöpfung, Zeitdruck und Überforderung große Freude und große Liebe erleben können. Die Achtsamkeitspraxis als Fundament und integrales Element des Klosters lieferte den entscheidenden Kontext und Rahmen für alles, was wir in der Küche machten. Die große Sorgfalt, die Lernbereitschaft, die Verspieltheit, ganz zu schweigen von der Freude und Befriedigung, Menschen zu bedienen und mit Nahrung zu versorgen – das hatte fast etwas Magisches.

Es ist möglich, inmitten vieler Aktivitäten Achtsamkeitspraxis, Arbeit und Führungsaufgaben als eine einzige Aktivität zu sehen. Dazu muss man sich selbst, die anderen, die Zeit und die Qualität der eigenen Bemühungen wahrnehmen. Achtsames Arbeiten und achtsames Führen erfordern und kultivieren gleichzeitig die zentralen Fähigkeiten, die wir brauchen, um gedeihen zu können, und diese Dynamik ist das Leitprinzip des vorliegenden Buches. Ich verdichte darin mein ganzes Erfahrungsspektrum in sieben zentralen Prinzipien, von denen ich hoffe, dass sie Ihnen helfen, die Führungsaufgaben in Ihrem Arbeitsalltag mit Achtsamkeit zu verbinden. Darüber hinaus kann ich aus Erfahrung sagen, dass die Wohltaten der Meditation und der Achtsamkeit uns generell guttun, nicht nur im Bereich der Arbeit. Sie können uns bei allem, was wir unternehmen, beflügeln.

Großer Geist und Kleiner Geist

Die Idee achtsamer Führung ist nicht gerade neu. In einem Traktat mit dem Titel »Anweisungen für den Koch« empfahl Dogen, im 13. Jahrhundert Begründer des Zen in Japan, der Küchenchef solle bei der Führung seiner Küche drei Prinzipien oder »Drei Denkweisen« praktizieren. Sie heißen: »Freudiger Geist« (ein Geist, der alles akzeptiert und zu achten weiß), »Geist der Großmutter« (der Geist bedingungsloser Liebe) und »Weiser Geist« (der Geist, der mit der Realität ständiger Veränderung umgehen und auf bedingungslose Weise offen sein kann).

Die Praxis der Achtsamkeit selbst ist in reichen spirituellen Traditionen entstanden, die sich über Jahrtausende hinweg entwickelt und verändert haben. Historisch gesehen, tendieren Menschen zur Achtsamkeitspraxis, wenn die Zeiten unruhig sind, voller Stress, Unbeständigkeit und Ungewissheit – Zeiten wie heute also. Außerdem hat sich Achtsamkeit im Laufe der Jahrhunderte immer wieder angepasst und neu integriert, um starken und dringenden gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht werden zu können – wodurch sie nicht nur spirituelle Traditionen beeinflusst hat, sondern in viele Bereiche des Alltagslebens und der Kultur eingeflossen ist, zum Beispiel die Künste, die Esskultur, das Bildungswesen, die Arbeitswelt und darüber hinaus.

Obwohl es richtig ist, dass ein zentraler Aspekt der Achtsamkeit eine gesteigerte Selbstwahrnehmung ist, geht es doch um mehr als nur die Bewusstheit für das individuelle Ich. Die Intention ist, eine umfassendere und ganzheitlichere Perspektive zu fördern, mit dem Bestreben, die Sorge um die eigene Person zu lockern und die begrenzte persönliche Erfahrung zu erweitern, damit wir zu einem universelleren und weniger dualistischen Bewusstsein übergehen können. Im Zen wird dies der Übergang vom Kleinen Geist zum Großen Geist genannt.

Vieles von dem, was wir Moment für Moment erleben, gehört zur Welt des Kleinen Geistes – des persönlichen »ich, meiner, mir, mich«. Mittlerweile hat die Wissenschaft sogar einen Namen für den Kleinen Geist – er lautet »Default Mode Network« (»Ruhezustandsnetzwerk«). Das ist der Teil des Gehirns, der sich oft Sorgen um die Zukunft macht oder mit der Vergangenheit hadert, statt im gegenwärtigen Moment entspannt und wach zu sein, um klarer sehen zu können. Psychologisch gesehen, ähnelt das stark dem Ego. Zur Achtsamkeitspraxis gehört es, den Kleinen Geist wertzuschätzen und aus ihm zu lernen, aber gleichzeitig den Großen Geist zu kultivieren – die offenere, aufgewecktere und tolerantere Perspektive oder Seinsweise. Man könnte sagen: Achtsames Führen besteht darin, die Erfahrung des Großen Geistes, die durch Meditation kultiviert wird (aber jederzeit zugänglich ist), auf die Belange des Kleinen Geistes anzuwenden, also die Zwänge und Freuden des täglichen Lebens und der Zusammenarbeit mit anderen, wenn unter Zeitdruck Ziele erreicht werden sollen.

Nach meinem Jahr als Chefkoch wurde ich gebeten, die Leitung von Tassajara zu übernehmen, wodurch sich meine Erfahrung in achtsamer Führung vertiefte und erweiterte. Tassajara ist nicht nur ein Zen-Kloster, sondern hat viele der Probleme, die auch ein kleines Unternehmen hat. Zum Beispiel wird das San Francisco Zen Center weitestgehend durch den Gewinn aus Tassajara finanziert. Und in den Sommermonaten ist es auch ein Retreat-Zentrum – mit Seminaren und Übernachtungsgästen.

Dann, nach einem Jahr als Direktor von Tassajara, entschloss ich mich, das Kloster zu verlassen und an der Graduate Business School der New Yorker Universität den Master of Business Administration (MBA) zu machen. Ich war wild darauf (und hatte gleichzeitig ziemliche Angst davor), das Wirtschaftsleben kennenzulernen und zu testen, was ich über die mögliche Synthese aus Achtsamkeit, Arbeit und Führungsverhalten gelernt hatte. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich für mein Empfinden einige bemerkenswerte Pluspunkte dieses Ansatzes ausgemacht, und zwar folgende:

• Mindful Leadership fördert reichhaltige Erlebnisqualitäten; gewöhnliche, alltägliche Arbeit kann sich intensiver, befriedigender, manchmal sogar außergewöhnlich anfühlen.

• Sie schließt Lücken zwischen Achtsamkeitspraxis, Arbeitspraxis, Fürsorge für andere Menschen und Erfolgsorientierung.

• Aus Stress, Herausforderungen, Schwierigkeiten und Problemen zu lernen, wird als integraler Bestandteil jedes Wachstumsprozesses betrachtet und nicht als etwas, das vermieden werden muss.

• Sie hilft uns, Widersprüche und einander ausschließende Prioritäten zu erkennen und mit ihnen umzugehen, wodurch Flexibilität und Verständnis gefördert werden.

• Sie lässt uns sogar inmitten harter Arbeit und außergewöhnlicher Anstrengungen Zeitlosigkeit, Leichtigkeit und Freude erleben.

• Sie lässt sich auf jede Aktivität anwenden, um Selbstvertrauen und gleichzeitig Bescheidenheit zu kultivieren.

• Sie umfasst Individualität und Einheit gleichermaßen – jede und jeder hat eine bestimmte Rolle, und doch bilden alle ein Team, gegenseitig unterstützt und sich unterstützend, zusammen praktizierend.

• Erfolg zeigt sich für achtsam Führende immer zweifach: im Charakter und im Mitgefühl der Menschen sowie in der Qualität und den Ergebnissen der Arbeit.

Ich habe seither festgestellt, dass diese positiven Wirkungen von Achtsamkeitspraxis und Mindful Leadership dauerhaft und allgemeingültig sind; sie sind in jeder Situation und für jede und jeden verfügbar und zugänglich. Niemand muss dazu ins Zen-Kloster gehen. Sie müssen auch keinen Wirtschaftsabschluss machen. Das Einzige, was Sie machen müssen, ist: Sie müssen den Ansatz des achtsamen Führens immer in genau der Situation, der Herausforderung, der Organisation, der Rolle und der Arbeitsumgebung anwenden, in der Sie sich gerade befinden.

Achtsamkeit ist eine Art des Seins und des Sehens, die unsere Perspektive verändert. Sie ist pragmatisch – meiner Erfahrung nach sogar unendlich pragmatisch –, weil sie uns alltägliche Probleme wirksam und effizient lösen hilft. Sie entwickelt auch unser ganzes Daseinsgefühl weiter, weil sie das Erlebnis, am Leben zu sein, vertieft und bereichert. Mit Achtsamkeit kann jede Aufgabe zugleich zuversichtlich und bescheiden angegangen werden, hoffnungsvoll, aber nicht angewiesen auf Hoffnung. Letzten Endes ist Achtsamkeit mysteriös und stürzt uns kopfüber in Fragen nach dem Bewusstsein, nach Geburt, Tod und Vergänglichkeit – während sie uns die direkte Erfahrung liefert, dass dann, wenn wir Ängste und Gewohnheiten loslassen, Gelassenheit entsteht, eine Ahnung tiefer Liebe und ein tief reichendes Gefühl der Sinnhaftigkeit und Verbundenheit mit dem Leben.

Frust und Potenzial: Wie Achtsamkeit uns stärkt

Seit meinem Abschluss an der New Yorker Universität gehöre ich beiden Welten an, der kontemplativen Welt und der Geschäftswelt – obwohl ich die beiden mittlerweile natürlich als eine Welt betrachte. Einige Jahre nach meinem Abschluss gründete ich einen Verlag, »Brush Dance«, der sich zu einem führenden Anbieter umweltfreundlich hergestellter inspirierender Grußkarten und Kalender entwickelte. (Wir waren eine der ersten Firmen weltweit, die für ihre Produkte Recyclingpapier verwendeten.) Ich betrieb Brush Dance fünfzehn Jahre lang, dann gründete ich »ZBA Associates«, eine Beraterfirma, die Führungskräfte und Angestellte schult, wie sie Achtsamkeit und emotionale Intelligenz praktisch anwenden können. Einer meiner Klienten war Google, was schließlich dazu führte, dass ich an der Entwicklung des Search-Inside-Yourself-Programms beteiligt war.

Ich schätze mich glücklich, dass meine Arbeit darin besteht, Einzelpersonen, Teams und Firmen zu helfen, bewusster und sensibler zu werden und zugleich bei der Arbeit Produktivität, Führungsqualitäten und Wohlbefinden zu kultivieren. In der einen oder anderen Form habe ich das eigentlich fast mein Leben lang gemacht. Und obwohl Achtsamkeit in der Arbeitswelt mittlerweile als Qualifikation akzeptiert wird, werde ich immer wieder gefragt: Warum arbeiten Führungskräfte und Firmen mit Ihnen? Was motiviert sie, sich mit Achtsamkeit zu beschäftigen?

Gewöhnlich beantworte ich diese Frage mit zwei Stichworten: Frust und Potenzial. Es kann frustrierend und schmerzhaft sein, aus einer gewohnten Rolle herauszutreten und die eigene Verwundbarkeit mehr zu spüren, die Sanftheit des eigenen Herzens. Dazu kommt, dass wir normalerweise spüren, wenn unsere Werte, unsere Ziele und unsere Arbeit nicht zusammenpassen oder wenn wir unser Potenzial nicht voll ausschöpfen. Zum Beispiel tut es weh, wenn uns bewusst wird, dass wir Konflikten und Schwierigkeiten aus dem Weg gehen oder in belastenden Situationen überreagieren und dadurch unseren Einfluss und unsere Mitwirkung unterminieren. Auf der anderen Seite erkennen wir auch, dass wir fähig sind, besser, effektiver und kompetenter zu handeln. Wir sehen die Möglichkeiten und sind inspiriert, dieses Potenzial zu verwirklichen.

Einfach nur die Erkenntnis, dass da eine Kluft ist zwischen der Art und Weise, wie man lebt, arbeitet und andere führt, und wie man gerne leben, arbeiten und führen würde – sie kann schon tiefgreifend und transformierend sein. Genauso inspirierend ist der Versuch, diese Kluft mit pragmatischen, effektiven Mitteln zu überbrücken. Und bei beidem hilft uns Achtsamkeit. Sie hilft uns, die Kluft zu erkennen und zu überbrücken. Eigentlich glaube ich sogar, dass schon das Benennen der Diskrepanzen, das Sichtbarwerden der Kluft ein großes Geschenk sein kann, dieses Spüren von Frust und Potenzial: der Frust, der im Moment gerade mit bestimmten Bereichen des Lebens verbunden ist, und die Möglichkeit größerer Bewusstheit, Befriedigung, Leichtigkeit, Effizienz und Zusammengehörigkeit. Das ist für mich die zentrale und wesentliche Praxis der Achtsamkeit wie auch beim achtsamen Führen: zu sehen, wo eine Kluft existiert, Frust und Potenzial zu erkennen, damit zu arbeiten und daraus zu lernen. In meinen Trainings und Seminaren ist das der theoretische und praktische Bezugsrahmen für das Thema Mindful Leadership und er stellt auch den grundlegenden Ansatz dieses Buches dar.

Hört sich gut an. Aber wenn einem der Frust und das Potenzial des eigenen Lebens, das, was tatsächlich passiert, bewusster und deutlicher werden (ob das nun bei der Arbeit ist, in der Gemeinschaft, in der Familie, in Beziehungen, im Spirituellen), dann ist das unbequem und unangenehm! Es kann beängstigend und chaotisch sein. Das ist der Grund, warum Achtsamkeit und Mindful Leadership schwieriger sind, als es auf den ersten Blick aussieht. Und doch liegt darin unsere wahre Kraft – die Kraft, zu lernen, uns zu verändern und zu wachsen. Hier entspringt unsere Fähigkeit, wirksame Antworten zu finden, uns auf tiefe Weise mit anderen zu verbinden, Lösungen zu finden, kreativ zu denken und zu handeln.

Anzeichen für ungenutztes Potenzial und ungenutzte Möglichkeiten sind oft ganz einfach zu erkennen, wenn wir nur mutig hinschauen. Vermeiden Sie es, der Wirklichkeit oder schmerzhaften Angelegenheiten ins Auge zu schauen? Ist Ihr Leben nicht mehr in Übereinstimmung mit Ihren Werten und Zielen? Sabotieren Sie Ihr eigenes Potenzial oder geben Sie Ihre Kraft aus der Hand – soll heißen, die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln, klarer zu sehen und andere dahingehend zu beeinflussen, ebenfalls größeren Durchblick, größere Befriedigung, Verbundenheit und Produktivität zu entwickeln? Wenn ja: wie, auf welche Weise? Ich habe diese Frage – »Wie geben Sie Ihre Kraft aus der Hand?« – schon Hunderten von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten gestellt, und hier sind ein paar der Antworten, die ich bekommen habe. Kommt Ihnen irgendeine bekannt vor?

• Ich sage Ja, obwohl ich Nein meine.

• Ich hetze von einer Sache zur nächsten, um »Wichtiges« zu erledigen, und nehme gar nicht richtig wahr, was ich im Moment mache.

• Ich überdenke andauernd meine Entscheidungen und dann überdenke ich mein Überdenken.

• Angesichts dessen, was heute in der Welt abläuft, fühle ich mich hilf- und hoffnungslos.

• Ich bin bei mir und bei anderen wegen Kleinigkeiten frustriert und ungeduldig.

• Ich unterschätze meine Fähigkeiten.

• Ich äußere nicht klar, was ich erwarte oder wenn ich Hilfe brauche – entweder weil ich das Gefühl habe, ich muss alles selber machen, oder weil ich fürchte, dass andere auf meine Bedürfnisse nicht eingehen.

• Ich vermeide es, starke Emotionen zu äußern, und ignoriere oft mein Bauchgefühl in Bezug auf das, was ich will oder für richtig halte.

• Weil ich Angst vor einem peinlichen Schweigen habe, rede ich, um das Vakuum zu füllen.

• Ich checke sofort E-Mails, soziale Medien oder suche mir andere Ablenkungen, wenn ich nur das kleinste bisschen Besorgnis oder Traurigkeit spüre.

• Ich kritisiere mich für Fehler oder Entscheidungen, die nicht zum erhofften Ergebnis führen.

• Ich sorge nicht konsequent für mich selbst – ich bewege mich nicht genug, schlafe zu wenig oder esse ungesund.

• Ich gehe anspruchsvollen Gesprächen oder Themen, denen ich mich nicht gewachsen fühle, aus dem Weg.

• Ich vergleiche mich in Bezug auf Aussehen, Geld und Sozialstatus mit anderen.

• Ich fühle mich manchmal wie ein Versager, in der Klemme steckend zwischen meinem jetzigen Leben und dem, was mein Herz weiß, was möglich ist.

Das sind für jeden schwierige, problematische Herausforderungen, aber manchmal spüren wir sie dann besonders stark, wenn wir selbst in einer Führungsposition sind – wenn andere von uns abhängig sind und viel von uns erwarten. Und solche Aussagen deuten oft auf tief eingefahrene Muster und Gewohnheiten hin. Schnelle Patentrezepte, mit denen sie sich lösen oder überwinden lassen, gibt es nicht. Aber allein schon der Akt, beim Namen zu nennen, wie Sie Ihre Kraft aus der Hand geben, kann Ihnen unglaubliche Kraft geben! Das ist die Kraft der Bewusstheit, die Kraft der Achtsamkeitspraxis.

Mindful Leadership tut der »ganzen Katastrophe« gut

In diesem Buch spreche ich vor allem über das Geschäfts- und Arbeitsleben, aber die Wahrheit ist: Die sieben Prinzipien von Mindful Leadership können jedem Aspekt unseres Lebens guttun. Natürlich bestimmt jede und jeder von uns sein Leben selbst. Aber oft ist es so, dass eine Kluft, die wir bei der Arbeit bemerken (egal, in welchem Beruf wir arbeiten), oft auch mit einer Kluft zu tun hat, die wir zu Hause, in Beziehungen, als Eltern und so weiter erleben. Die Kluft zwischen Frust und Potenzial, zwischen Anspruch und Wirklichkeit existiert in jedem Bereich und manchmal löst es, wenn wir in einem Bereich eine Kluft erkennen, eine wahre Flut von Einsichten aus, die weit über das ursprüngliche Thema hinausgehen.

Ich fange Achtsamkeitsseminare oft so an, dass ich Zweierteams bilden lasse, die sich dann folgende Fragen stellen: Was lieben Sie an Ihrer Arbeit und was ist Ihr größtes Problem? Danach frage ich die Gruppe, worüber sie gesprochen haben, und neulich stand bei einem Seminar eine Frau in den Vierzigern auf und sagte: »Ich habe gerade die Stelle gewechselt und muss jetzt jeden Tag mehr als zwei Stunden pendeln. Ich spüre bei der Arbeit enormen Druck, Höchstleistung zu bringen und mir neue Kompetenzen anzueignen. Ich arbeite mit globalen Teams und muss ständig bereit sein, mit verschiedenen Zeitzonen und kulturellen Welten klarzukommen. Es wird erwartet, dass ich auf E-Mails und Textnachrichten antworte, egal, wie spät es ist. Ich habe zwei kleine Kinder, die vor Kurzem in die Schule gekommen sind und viel Aufmerksamkeit brauchen, und ich habe einen Mann, der ebenfalls vor Kurzem die Stelle gewechselt hat.«

Durch ihre Verletzlichkeit, durch die Klarheit, mit der sie sprach, und weil die Herausforderungen, vor denen sie stand, allen Anwesenden vertraut waren, hörten sie wie gebannt dieser Frau zu. Wir alle konnten ihren Schmerz fühlen und verstehen. Und doch war sie da und hatte in ihrem – sowieso proppenvollen – Terminkalender zwei Tage untergebracht, um etwas über Achtsamkeit, emotionale Intelligenz und Menschenführung zu lernen. Es war klar, dass sie zu diesem Seminar gekommen war, weil sie die Möglichkeit spürte, anders leben und arbeiten zu können, und alle anderen taten das auch.

Diese Frau beschäftigte sich mit Mindful Leadership unter anderem wegen ihrer Arbeitssituation und den überbordenden Anforderungen, die an sie als Managerin gestellt wurden. Aber es war ganz klar, dass sie Achtsamkeit in allen Bereichen ihres Lebens integrieren wollte. Ihre Beschreibung erinnerte mich an den Originaltitel des Buches von Jon Kabat-Zinn über Achtsamkeit, Full Catastrophe Living. (Die deutsche Ausgabe hat den Titel: Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung). Der Titel stammt aus dem Roman Alexis Sorbas von Nikos Kazantzakis. Ein junger Mann fragt darin den Titelhelden, ob er verheiratet sei, und Sorbas antwortet: »Natürlich habe ich geheiratet. Frau, Haus, Kinder … die ganze Katastrophe.«

Jeder und jede von uns hat auf ganz eigene Art seine oder ihre »ganze Katastrophe«. Unsere Lebens- und Arbeitssituationen sind viel komplexer, als Sorbas sie sich jemals hätte vorstellen können. Nachdem das klar ist, muss man allerdings auch sagen, dass wir oft unsere persönlichen »Katastrophen« gar nicht missen möchten, obwohl wir uns manchmal darin gefangen fühlen. Ich glaube, dass die Frau, die sich in diesem Seminar zu Wort meldete, nicht darauf aus war, irgendeinen Teil ihres Lebens zu ändern. Sie wollte keine dieser anstrengenden und stressigen Aktivitäten aufgeben. Sie wollte stattdessen praktische Instrumente, vielleicht auch eine andere Herangehensweise oder ein anderes Lebensgefühl, um ihr Alltagsleben zu verbessern, damit sie es mehr genießen und weniger darunter leiden würde. Sie wollte den Herausforderungen ihres Lebens souveräner begegnen, ob nun bei der Arbeit, mit ihren Kindern oder mit ihrem Mann. Sie wollte die Kluft schließen, die sie spürte.

Als Erstes nahm ich ihre Herausforderungen und ihre Frustration ausdrücklich zur Kenntnis und dankte ihr für ihre Ehrlichkeit und Verletzlichkeit. Ich ließ sie auch wissen, dass wir zwei Tage lang Strategien lernen und üben würden, uns dem Frust zu stellen und uns unserem Potenzial zu öffnen – der Möglichkeit, sich den Herausforderungen zu stellen, ja, sie manchmal sogar zu genießen, aber auch, sogar inmitten des tobenden Sturms Ruhe und Gelassenheit zu finden. Das ist das Versprechen der Achtsamkeit: Indem wir unsere Bewusstheit und unsere Verhaltensmuster neu ausrichten, können wir lernen, Dinge gelassener zu akzeptieren und manchmal, mitten im Chaos und den Herausforderungen des Lebens, Staunen und Ehrfurcht erleben.

Meditation heißt, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen

Schauen Sie hin! Das ist der Weg, das Auge und noch

viel mehr zu bilden. Schauen Sie hin. Lauschen Sie.

Hören Sie zu. Sterben Sie als Wissender. Sie leben nicht ewig.

WALKER EVANS

Als ich dieses Zitat des Fotografen Walker Evans zum ersten Mal las, wurde mir klar, dass ich, seit ich erwachsen bin, mithilfe der Meditation das Hinschauen geübt hatte. Ich begegnete der Zen-Meditation, als ich zwanzig war und zum ersten Mal das San Francisco Zen Center besuchte, und diese Erfahrung veränderte mein Leben. Seither ist die Meditation eine fundamentale Übung für mich und für Menschen, die achtsam führen wollen, ist sie das Kernstück.

Obwohl Evans anscheinend gar nicht über Meditation spricht, hat er sie perfekt erfasst. Wenn wir meditieren, dann »schauen wir hin, lauschen, hören wir zu«. Wir sind bewusst und achtsam, sowohl nach innen als auch nach außen, um uns zu bilden und etwas Sinnvolles und Nützliches zu lernen. Ja, eigentlich meditieren wir oft, um zu sehen und zu verstehen, was das Wichtigste ist, weil uns mit einem Schlag bewusst wird, dass wir nicht ewig leben.

Die Prämisse dieses Buches ist, dass Mitarbeiterführung ebenfalls diese Art des »Hinschauens« erfordert: mit vollem Bewusstsein bei der Sache zu sein, uns mit Körper, Geist und Herz ganz einzubringen und die eigenen innersten Werte und Ziele mit den innersten Werten und Zielen von anderen in Einklang zu bringen.

Seltsamerweise habe ich festgestellt, dass Meditation und Mitarbeiterführung viel gemeinsam haben. Bei beiden heißt es, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Als praktische Übung klingt Meditation ganz simpel: einfach innehalten, dasitzen, dem Körper, dem Geist, dem Herzen volle Aufmerksamkeit entgegenbringen; Gedanken und Emotionen kommen und gehen lassen; Freundlichkeit und Neugier kultivieren; die Schmerzen und Enttäuschungen des Lebens, seine Freuden und Möglichkeiten berühren; Wertschätzung entwickeln dafür, dass man am Leben ist, und für alles, was lebt, und dazu ein bedingungsloses Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit. Eine andere Art, Meditation zu beschreiben, lautet: Sie üben, wahrhaft und authentisch Sie selbst zu sein, indem Sie alle vorgefassten Ideen und Identifikationen über Ihr »Ich« loslassen.

Meditation hilft uns, mit Wertschätzung für das Großartige und Kostbare unseres Menschseins zu leben. Bei der Meditation (wie bei jeder kontemplativen Praxis) geht es darum, Tiefe und Heiligkeit in unserem alltäglichen Leben zu kultivieren. Und sie ist achtsam, weil wir dank ihrer Praxis sehen, was da ist, jede Kluft, allen Frust und all unser Potenzial, die ganze Katastrophe.

Durch Meditation – indem wir hinschauen, lauschen und zuhören – lernen wir nicht nur zu erkennen, wie wir mit den Dingen fertig werden, sondern wie wir die wichtigsten Dinge mit dem geringsten Maß an Widerwillen oder unnötigem Kraftaufwand fertig bekommen. Wir erkennen, was wir beeinflussen können und was nicht, und handeln deshalb effizienter. Wir gehen tiefer auf andere ein und hören besser zu. Manchmal bedeutet Meditation, dass man erbittert um Veränderungen ringen muss, und manchmal bedeutet sie, dass man bedingungsloses Akzeptieren üben muss. Meditation lehrt Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit, Selbstvertrauen und Bescheidenheit. Und was vielleicht am wichtigsten ist: Sie macht uns das Herz leichter, hilft uns, Zynismus loszulassen, und zeigt uns, dass wir nicht abgeschnitten sind von uns selbst, von anderen Menschen, vom Leben insgesamt – und das sind wichtige Führungsqualitäten und Qualitäten im Leben überhaupt.

Vermeidungsverhalten ist natürlich, schadet uns aber

Manchmal kann Hinschauen und Fokussieren schmerzhaft sein, und was schmerzhaft ist, vermeiden wir gewöhnlich. Das ist eine natürliche Reaktion. Aber dieses Vermeidungsverhalten kann uns daran hindern, unsere Möglichkeiten auszuschöpfen, denn dazu müssen wir das Schmerzhafte benennen und transformieren. Vermeidungsverhalten ist oft ein Haupthindernis für Achtsamkeit, für achtsames Führen und für die Schaffung einer Organisationskultur, die auf gegenseitiger Unterstützung beruht.

Wir müssen uns dafür entscheiden, hinzuschauen, die Augen aufzumachen und wach zu werden. Wenn wir das nicht tun und das Vermeidungsverhalten zur Gewohnheit wird, dann hören wir auf, uns mit ganzem Herzen auf uns selbst und das Leben einzulassen. Wir werden gefühllos, verschlafen das, was ist, und sehen nicht mehr klar. Dieses Thema ist nicht auf Mitarbeiterführung oder den Arbeitsplatz beschränkt. Es ist ein universales menschliches Problem, eines, das in uns als evolutionär entstandenen Wesen praktisch fest eingebaut ist: Wir können nicht alles gleichzeitig sehen, wir wenden uns instinktiv von dem ab, was Schmerz verursacht, und wir mögen Veränderungen nicht. Vermeidungsverhalten fühlt sich manchmal wie Selbsterhaltung an, aber tatsächlich ist es Selbstschädigung. Zu lernen, das direkt anzuschauen, was da ist, so gut es geht, auch dann, wenn wir es nicht so recht wollen, ist eine mächtige Fähigkeit, die uns herausfordert, verändert und unser Leben transformiert.

Ich zum Beispiel halte mich für jemanden, der zu Anfang seines Lebens die meiste Zeit geschlafen hat. Ich wuchs in einer Vorstadt in New Jersey auf und lebte ein für meine Begriffe »normales« Leben. Ich hatte gute Noten, trieb Sport – Bowling, Golf, Football und Baseball. Ich sah stundenlang fern und arbeitete im Sommer als Caddy auf dem Golfplatz, als Lagerarbeiter in einem Holzlager oder in der Wäscherei eines örtlichen Krankenhauses. Was ich aß, war hauptsächlich abgepackt oder kam aus Dosen.

Diese Stumpfheit, dieses Ignorieren, dieses Sich-Abwenden von allem, was unangenehm war, fing mit meiner Geburt an – meine Mutter wurde stark narkotisiert, als ich auf die Welt kam, damit sie möglichst wenig Schmerzen leiden musste – und setzte sich dann in der Schule fort, wo wir regelmäßig Atomalarm üben mussten (in Deckung gehen, sich zusammenkauern und den Kopf einziehen). Es setzte sich fort in meinen Besuchen im »Veterans Administration Hospital«, wo mein Vater wegen einer bipolaren Störung mit Schocks behandelt wurde; heute denke ich, dass er wahrscheinlich eine posttraumatische Belastungsstörung hatte. Mein Vater hatte im Zweiten Weltkrieg in Frankreich und Deutschland an der Front gekämpft, aber so wie meine Gefühle, Ziele und Zweifel fiel das in die Kategorie von Dingen, über die man nicht sprach.

Als ich heranwuchs, wusste ich das noch nicht, aber es fühlte sich an wie zwischen zwei Welten: auf der einen Seite eine Welt des Isoliert-Seins, auf der anderen eine sich öffnende Welt gegenseitiger Verbundenheit; von einem Dasein im Tiefschlaf, bei dem ich mir des eigenen Schmerzes und des Schmerzes um mich herum nicht bewusst war, hin zu einer Welt intensiver Gefühle, der Tränen, der Trauer, der Freude und des Feierns. Von einer Welt, in der ich die Tiefe meiner Herzenswünsche ignorierte und so tat, als sei alles in Butter, hin zu einer Welt der Sehnsucht, des Kämpfens und des Liebens. »Die ganze Katastrophe« dieser verrückten, verworrenen Welt und die Anstrengungen, dem Ganzen einen Sinn abzugewinnen, lieben zu lernen.

Heute spielt sich eine ähnliche Geschichte ab. Wir stehen zwischen zwei Welten, Achtsamkeit und Mindful Leadership sind so nötig wie nie zuvor. Ich denke natürlich, dass das immer schon so war, aber der historische Moment, an dem wir uns befinden, scheint in seiner Intensität und in dem, was auf dem Spiel steht, besonders brisant: Klimawandel, Atomwaffen, soziale Ungleichheit und Terrorismus stehen ganz oben auf der Liste. Große Volkswirtschaften, die Politik, das Gesundheitswesen werden umgekrempelt, Agrar- und Wassersysteme brechen zusammen und entstehen gleichzeitig wieder neu. Katalysator und transformierende Kraft ist dabei genau diese Fähigkeit – die Fähigkeit, den Autopilot-Modus, den Modus der Verdrängung abzuschalten und umzuschalten auf größere Aufmerksamkeit, Bewusstheit, ein waches Bewusstsein; die Fähigkeit, den eigenen Schmerz anzuerkennen, aber auch die Möglichkeit, diesen Schmerz zu transformieren – durch Hinschauen, Lauschen, Sich-nicht-Abwenden.

Wir fangen an, wach zu werden für das, was ist, und für das, was möglich ist. Es ist nicht einfach. Sich bewusst zu sein – der Liebe, der Diskrepanzen, der unaufhaltsam vergehenden Zeit, der Tatsache, dass wir nicht ewig leben –, kann einem das Herz zerreißen. Gleichzeitig beflügelt mich die pure Tatsache, das Leben zu leben, beflügelt mich die Gesamtheit von Frust und Potenzial dieses Menschendaseins. Das ist es, worum es in diesem Buch und in den sieben Meditationsprinzipien geht: dass Sie Ihr Leben einschließlich aller Schmerzen und aller Möglichkeiten schätzen lernen, es voll und ganz sehen, akzeptieren und genießen.

Die sieben Prinzipien von Mindful Leadership

Daniel Golemans revolutionäres Buch Emotionale Intelligenz gab im Jahre 1995 den Anstoß für viele Unternehmen und Manager, sich mit der wichtigen Rolle emotionaler Fähigkeiten und Kompetenzen zu beschäftigen. Golemans Arbeit löste einen Sturm des Interesses an diesem Thema aus, wurde von Unternehmen auf der ganzen Welt schnell übernommen und in der Schulung von Führungskräften angewendet.

Der Grund ist nicht schwer zu verstehen. Obwohl man emotionale Intelligenz nicht quantifizieren oder messen kann, wissen wir, dass sie lebenswichtig ist, und erkennen sie sofort, wenn wir ihr begegnen. Es gibt fünf zentrale Bereiche oder Kompetenzen, aus denen sich emotionale Intelligenz zusammensetzt, und es herrscht weitgehend (teilweise wissenschaftlich untermauerte) Einigkeit darüber, was es bringt, wenn diese Bereiche kultiviert werden:

SELBSTWAHRNEHMUNG: die eigenen innerlichen Befindlichkeiten, Präferenzen, Ressourcen und Intuitionen kennen.

SELBSTMANAGEMENT: Zwänge in Entscheidungen verwandeln; mit Impulsen, Ressourcen und Intuitionen umgehen.

MOTIVATION: wissen, was einem wichtig ist, sich an den eigenen Werten orientieren und wissen, wenn man nicht im Einklang mit den eigenen Werten steht; Widerstandskraft (Resilienz) kultivieren.

EMPATHIE: sich der Gefühle von anderen bewusst sein; Kultivieren von gegenseitiger Verbundenheit und Vertrauen.

SOZIALE KOMPETENZEN: kommunikative Fähigkeiten kultivieren, vor allem Zuhören, geschicktes Umgehen mit Konflikten und mitfühlende Führung.

Hört sich alles hervorragend an. Wir haben das attraktive Porträt einer idealen Führungskraft vor uns. Viele prophezeiten damals, die Schulung in emotionaler Intelligenz werde die Arbeitswelt revolutionieren, weil sie genau die Art von positiver Unternehmenskultur schaffen werde, die wir laut Peter Drucker und anderen Experten und Expertinnen brauchen. Interessant ist nur: Obwohl sich Schulungsprogramme zu emotionaler Intelligenz in den USA und weltweit enorm verbreiteten, ist diese Revolution nie gekommen! Die Rolle von Führungskräften, das Arbeitsumfeld, die Mitarbeiterzufriedenheit: Sie erlebten keine Transformation.

Zehn Jahre nach dem Erscheinen von Emotionale Intelligenz brachte Goleman ein Nachfolgewerk heraus: Working with Emotional Intelligence (»Mit emotionaler Intelligenz arbeiten«). Im Kapitel »Der Milliarden-Dollar-Irrtum« beschreibt er, was schiefgegangen war. Die Firmen hatten nämlich versucht, ihre Führungskräfte in emotionaler Intelligenz so auszubilden, als sei sie ein Fach wie jedes andere, also primär durch Vorträge und Lektüre. Sie vermittelten die Grundbegriffe, aber nur in sehr wenigen der Seminare wurden diese Grundbegriffe konkret geübt und vorgelebt. Die Schulungsprogramme zu emotionaler Intelligenz erklärten sehr viel und taten sehr wenig. Die Menschen übten die grundlegenden Kernkompetenzen gar nicht, die sie hätten lernen müssen, um ihre emotionale Intelligenz tatsächlich zu steuern – zum Beispiel, wie man die Aufmerksamkeit fokussiert; wie man untersucht, wie jede und jeder Einzelne Realität konstruiert; wie man Selbstlosigkeit und Mitgefühl aktiv praktiziert. All diese Dinge sind fundamentale Bestandteile der Achtsamkeitspraxis, aber sie wurden zur damaligen Zeit nicht in die Trainingsprogramme zu emotionaler Intelligenz einbezogen. Und deshalb, ohne die Praxiskomponente, stellte sich die prognostizierte Revolution als Fehlschlag heraus.

Die Kraft des praktischen Übens

Mir hat immer der alberne Witz gefallen, in dem ein Tourist in New York einen Einheimischen fragt: »Wie komme ich in die Carnegie Hall?« Ohne zu zögern antwortet der Einheimische: »Üben, üben, üben!«

Wenn Menschen mich fragen: »Wie kann ich die Kluft zwischen dem, wo ich jetzt stehe, und dem, wo ich hinwill, überbrücken?«, dann bin ich oft versucht, dieselbe Antwort zu geben: »Üben!« Es ist nur ein Witz, aber es stimmt.

Die Wörter »üben« und »Praxis« haben je nach Kontext verschiedene Bedeutungen. Wie der Witz uns sagen will, kann man nirgendwo Erfolg haben, wenn man nicht übt oder die Fähigkeiten, die man braucht, erlernt, indem man sie immer und immer wieder erprobt. Ob es Klavierspielen ist oder Tennis, ob man eine Aufführung vorbereitet oder einen Bericht schreibt – man wird nur durch Wiederholen besser. Durch Tun. In diesem Sinne ist praktisches Üben eine intentionale Aktivität, die darauf abzielt, Lernprozesse, Fähigkeiten und Kompetenzen zu steigern. Im medizinischen oder juristischen Bereich bekommen die, die genug praktisch üben, das Recht, ihre eigene Praxis zu führen, womit ihr Beruf gemeint ist. In diesem Sinne stellt Ihre »Praxis« Ihr Geschäft oder Ihre professionelle Rolle dar (und diese zu meistern, kann lebenslanges Lernen und Arbeiten beinhalten).

In den Jahren, in denen ich im San Francisco Zen Center lebte (und praktizierte), bezeichnete das Wort »Praxis« eine Lebensweise – es bezeichnete die Übung der Meditation genauso, wie es für die eigenen tiefsten und ursprünglichsten Intentionen stand. Das Bestreben war, Meditation und Achtsamkeitspraxis sowie Beziehungen, Arbeit und alltägliche Aktivitäten zusammenzubringen und zu integrieren. In diesem Sinne war die »Praxis« unsere Lebensperspektive. Unsere Praxis strebte danach, all unser Handeln, unsere Werte und unsere Ziele integrativ in Einklang zu bringen.

Ich habe mich entschlossen, die sieben Kompetenzen in diesem Buch »Prinzipien« zu nennen. Eigentlich könnten sie auch »Übungen« oder »Formen der Praxis« heißen. Denn sie sind dazu da, geübt zu werden, damit Fähigkeiten aufgebaut werden und Integration gefördert wird. Und sie beschreiben eine Einstellung, eine Lebensart, sie sind Ausdruck unserer tiefsten Absicht. Durch Übungspraxis in jedem dieser sieben Bereiche können wir Frust in Potenzial umwandeln.

»Übungen« sind Werte und Intentionen, die sich im Handeln ausdrücken. Übungen sind wie Gewohnheiten, weil sie mit der Zeit ein Muskelgedächtnis aufbauen. Aber sie sind mehr als gute Gewohnheiten. Sie sind Ausdruck unserer Absicht, das Leben in Richtung unserer höchsten Bestrebungen zu transformieren, unser volles Potenzial zu realisieren und anderen zu helfen.

Die sieben Prinzipien: Achtsamkeit in Aktion

Achtsamkeit kann auf vielfältige Weise beschrieben werden (was auch geschehen ist). Für den Zweck, achtsame Führungskräfte auszubilden, habe ich jedoch sieben Achtsamkeitsprinzipien herausdestilliert:

• Die Arbeit lieben

• Die Arbeit tun

• Kein Experte sein wollen

• Den eigenen Schmerz berühren

• Den Schmerz der anderen berühren

• Sich auf andere verlassen

• Immer weiter vereinfachen

Das sind jetzt nicht gerade die typischen Achtsamkeitsanweisungen. Aber für mich ist Achtsamkeit so viel tiefer und umfassender – so viel tiefgründiger, chaotischer und mysteriöser –, als es normalerweise dargestellt wird. Für mich liegt der entscheidende Punkt bei der Achtsamkeit nicht darin, Meditation gut zu können oder bestimmte Begriffe zu verstehen, oder dadurch, dass man die geschäftige Welt ausschließt, inneren Frieden zu erzeugen. Der Sinn der Achtsamkeitspraxis ist vielmehr, ein lebendigeres, empfänglicheres, tatkräftigeres und warmherzigeres Lebensgefühl zu kultivieren: in der Welt, die bereits existiert, in dem Leben, das Sie bereits leben.

Der Grund, weshalb Achtsamkeit ein bisschen schwer zu erklären und zu verstehen ist, liegt darin, dass gewisse Paradoxien dazugehören. So sagte zum Beispiel der berühmte Zen-Lehrer Shunryu Suzuki einmal: »So wie ihr seid, seid ihr perfekt, und trotzdem könntet ihr ein paar Verbesserungen gebrauchen.« Das ist so ähnlich wie die etwas paradoxen Ziele der Frau in dem Achtsamkeitsseminar, die ich weiter oben erwähnt habe: Was sie erlebte, sollte anders (oder besser) werden, aber sie wollte nichts in ihrem Leben ändern (oder loslassen).

Damit sieht und umfasst Achtsamkeit zwei Welten gleichzeitig: das Universale und das Relative oder den Großen Geist und den Kleinen Geist. Einerseits ist das Ziel ein bedingungsloses Akzeptieren dessen, was Sie sind und was Sie erleben. Im großen universalen Plan der Dinge sind Sie so, wie Sie sind, perfekt. Und doch ist das noch etwas anderes als die relative Welt, und nur in der brauchen Sie ein paar Verbesserungen. Vom Standpunkt des Absoluten aus gesehen sind Sie tatsächlich vollkommen, einschließlich all Ihrer Kämpfe, Leiden, Sehnsüchte und Abneigungen. Und doch gehört es zum Kern der Achtsamkeitspraxis, vertraut zu werden mit den eigenen individuellen Mustern und Tendenzen, Ängsten und Enttäuschungen und auf sie einzugehen, um die alltäglichen Lebensprobleme transformieren zu können, statt sie zu ignorieren oder zu verdrängen.

Jedes der sieben Kapitel in diesem Buch beinhaltet eine Anzahl von Übungen, Experimenten und Aktivitäten, die Ihnen helfen sollen, die sieben Prinzipien in Ihrem Leben zu verstehen und zu verwirklichen. Diese sieben Prinzipien bauen auch aufeinander auf, und ich habe sie in drei Gruppen gegliedert, die ich »Erforschen«, »Sich verbinden« und »Integrieren« genannt habe. Die ersten vier konzentrieren sich hauptsächlich auf die innere Arbeit der Selbsterforschung und Selbstwahrnehmung. Die nächsten beiden konzentrieren sich vor allem auf Beziehungen: Ihre Beziehungen zu anderen Menschen, zu Ihrer Arbeit und zu der Welt insgesamt. Und das siebte Prinzip konzentriert sich darauf, alles zu integrieren und zu verbinden. Letzten Endes arbeiten alle sieben Prinzipien zusammen, um Ihnen bei der Erkenntnis zu helfen, was jeweils im gegebenen Moment das Wichtigste ist, damit Sie die wirkungsvollste Entscheidung treffen können. Alles in allem stellen sie ein Handbuch oder Arbeitsbuch dar, wie Sie sich als Achtsamkeitsübende und als achtsame Führungspersönlichkeit entwickeln können.

Es folgt nun eine kurze Zusammenfassung, um was es bei den sieben Prinzipien geht.

ERFORSCHEN

DIE ARBEIT LIEBEN: Fangen Sie mit der Inspiration an, mit dem Wesentlichsten. Bestätigen und kultivieren Sie Inspiration – Ihre tiefsten, vom Herzen kommenden Intentionen.

DIE ARBEIT TUN: Pflegen Sie eine regelmäßige Meditations- und Achtsamkeitspraxis. Lernen Sie, bei der Arbeit und in allen Lebensbereichen angemessen zu reagieren.

KEIN EXPERTE SEIN WOLLEN: Lassen Sie den Gedanken los, dass Sie recht haben. Treten Sie ein in ein größeres Staunen, lassen Sie mehr Offenheit und Verletzlichkeit zu.

DEN EIGENEN SCHMERZ BERÜHREN: Gehen Sie dem Schmerz, der zum Menschsein gehört, nicht aus dem Weg. Verwandeln Sie Schmerz in Chancen und Lernprozesse.

SICH VERBINDEN

DEN SCHMERZ DER ANDEREN BERÜHREN: Gehen Sie dem Schmerz der anderen nicht aus dem Weg. Seien Sie die lebendige Verkörperung einer tiefen Verbundenheit mit dem Menschsein und dem Leben.

SICH AUF ANDERE VERLASSEN: Geben Sie das trügerische Gefühl der Unabhängigkeit auf. Ermutigen Sie andere und lassen Sie sich von ihnen ermutigen, damit eine gesunde Gruppendynamik entsteht.

INTEGRIEREN

IMMER WEITER VEREINFACHEN: Lassen Sie jede Armuts- und Mangelmentalität los. Kultivieren Sie Ehrfurcht und Staunen. Integrieren Sie Achtsamkeitspraxis und Ergebnisse.

Der Ursprung der sieben Prinzipien

Ich habe diese sieben Prinzipien nicht alleine entwickelt. Sie sind aus dem achtsamkeitsbasierten Search-Inside-Yourself-Programm zur Ausbildung von Führungskräften hervorgegangen, das ich bei Google entwickeln half. Dieser evolutionäre Prozess ist ganz wesentlich dafür gewesen, was diese Praxisprinzipien darstellen und wie ich sie verstehe, darum denke ich, es ist sinnvoll, diese Geschichte zu erzählen.

2006, in meiner Zeit als Trainer für Führungskräfte, war Google einer meiner Hauptklienten und im Hauptquartier im kalifornischen Mountain View coachte ich mehrere Führungskräfte in regelmäßigen Sitzungen zu Führung und Teambildung. Eines Tages rief mich ein gewisser Chade-Meng Tan an und bat mich um ein Treffen. Ein paar Google-Kollegen hatten über mich als »den Typen mit zehntausend Stunden Meditationspraxis, einem Master of Business Administration und vielen Jahren Führungserfahrung« gesprochen. Meng, wie ihn alle nennen, war ein Google-Ingenieur.

Meng nimmt Achtsamkeit und Meditation leidenschaftlich ernst, und er ist überzeugt, Meditation sei der Weg, um eine friedlichere Welt zu schaffen. Er beschloss, seine 20 Prozent frei gestaltbarer Arbeitszeit (Google ermutigt seine Mitarbeiter, bis zu 20 Prozent ihrer Zeit auch in Projekte außerhalb ihres Kernverantwortungsbereichs zu stecken) zu nutzen, um ein Achtsamkeitsprogramm aufzubauen und innerhalb von Google anzubieten. Zu der Zeit existierte noch nichts dergleichen, und er lud mich ein, in dem Entwicklungsteam für das Programm mitzuarbeiten.

Zu diesem Zeitpunkt war er sich schon einmal über den Namen im Klaren: »Search Inside Yourself«, »Such in dir selbst«, ein Wortspiel mit der Tatsache, dass Googles Hauptgeschäft die Suchmaschinen sind. Außerdem hatte Meng sich mit Daniel Goleman, Jon Kabat-Zinn und anderen beraten und war zu dem Schluss gekommen, dieses Achtsamkeitsprogramm müsse um emotionale Intelligenz zentriert sein und starke wissenschaftliche Elemente haben. Sehr ermutigende und spannende Forschungsergebnisse stellen heute einen Zusammenhang her zwischen der Meditationspraxis und Veränderungen im Gehirn sowie konstruktiverem Reagieren auf Stress und emotionale Herausforderungen.

Als Leiter des ersten Search-Inside-Yourself-Programms im Jahre 2007 lud Meng den Zen-Lehrer und Poeten Norman Fischer ein, dazu Mirabai Bush, der eine Organisation namens »Center for Contemplative Mind in Society« leitete. Ich schaute zu, wie diese beiden das Programm leiteten und bot dann den fünfundzwanzig Teilnehmenden Coaching-Einzelsitzungen an. Die nächsten Wiederholungen des SIY-Programms wurden von Norman und mir gemeinsam geleitet. Im folgenden Jahr leiteten Meng und ich die meisten Schulungen gemeinsam, zusammen mit Philippe Goldin, einem weltweit führenden Wissenschaftler in der Hirnforschung und zu Effekten von Achtsamkeit.

Das Programm kam gut an und wurde bei Google extrem populär. In der Firma wurde die ganze Belegschaft neugierig auf Meditation, und alle spürten sofort, was eine regelmäßige Praxis bewirken kann. Die wissenschaftliche Forschung dazu war neu und überzeugend, und wir nutzten sie als zentrales Element der Achtsamkeitslehre; das war sehr wichtig für die aufgeschlossene, aber trotzdem faktenorientierte Google-Belegschaft. Das Programm traf einen Nerv, weil es die anspruchsvolle, temporeiche Google-Kultur ansprach, indem es Meditation, Achtsamkeit, emotionale Intelligenz, Wissenschaft und Führungsqualifikationen zu einem Ganzen verband. Und was vielleicht am wichtigsten war: Wir schafften es, eine offene und vertrauensvolle Umgebung zu schaffen, die zum Aufbau einer fürsorglicheren, lernbereiten Gemeinschaft führte. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren brennend interessiert, miteinander wirklich ins Gespräch zu kommen und ihre Verletzlichkeit zu zeigen, miteinander ihr Leiden unter Problemen und Herausforderungen genauso zu teilen wie die möglichen Potenziale. Der Ruf des Programms verbreitete sich per Mundpropaganda, weil die Teilnehmenden merkten, dass sie kompetenter führen konnten und ihre Gesamtzufriedenheit spürbar wuchs. Ein paar Jahre später wurden diese Eindrücke durch Vorher-Nachher-Befragungen bestätigt.

2009 war es so weit, dass die Wartelisten anschwollen, und sobald ein Programm angekündigt war, war es binnen Minuten voll. 2011 beschlossen Meng und ich, es sei an der Zeit, das Search-Inside-Yourself-Programm auch außerhalb von Google anzubieten, und im folgenden Jahr gründeten Meng, Philippe und ich ein Leadership-Institut auf gemeinnütziger Basis, das Search Inside Yourself Leadership Institute (SIYLI). Ich war Geschäftsführer, Meng war Vorstandsvorsitzender und Philippe war das dritte Vorstandsmitglied.

Gegen Ende des Jahres 2012 zog die Organisation in die stationären Büros im Presidio1 in San Francisco um. Wir hatten fünf Vollzeitangestellte, testeten das Programm bei verschiedenen Organisationen und hatten es in der Stadtmitte von San Francisco gerade zum ersten Mal öffentlich angeboten. 2013 starteten wir, um der Nachfrage innerhalb von Google besser nachkommen zu können, mit zwölf Google-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern unser erstes Ausbildungsprogramm für Achtsamkeitslehrende.

Ein wichtiger Aspekt des SIY-Programms ist die Vermittlung von Achtsamkeit und Meditation. Wir baten Norman Fischer, an einem der ersten Treffen mit den zwölf Kandidaten und Kandidatinnen dieses Ausbildungsprogramms teilzunehmen. Während Meng zu den Teilnehmenden sprach, saß ich neben Norman, zeigte ihm die Tagesordnung und machte ihm klar, dass er als Nächster dran war! Obwohl er es nicht wusste, war er doch eingeplant für einen Vortrag, worauf es beim Lehren und Vermitteln von Achtsamkeit am meisten ankommt. Ganz ruhig begann er sich auf einem leeren Blatt Papier Notizen zu machen.

Diese Notizen enthielten das, was Norman für die sieben Kernprinzipien bei der Vermittlung von Achtsamkeit hielt, und die er bei seinem anschließenden Vortrag ausführte. Beim Zuhören wurde mir klar, dass diese Prinzipien einen kraftvollen Ansatz und Zugang zur Kunst von Mindful Leadership darstellten und über die Schulung neuer Achtsamkeitslehrender weit hinausgingen. Danach stellte ich auf jeden Schreibtisch bei SIYLI ein Schild mit diesen sieben Übungen. Ich übernahm sie als Leitprinzipien für den Aufbau der Unternehmenskultur, die ich innerhalb der Organisation schaffen wollte: dafür, wie ich Führungsqualitäten vermitteln wollte, dafür, wie ich mich als Führungsperson zeigen wollte, und dafür, wie ich mein Leben führen wollte.

Ich fing an, in die Vorträge, die ich bei Google und auf Konferenzen hielt, diese Prinzipien aufzunehmen. In einer Meditation stellte ich mir sie als Handbuch für Mindful Leadership vor, also etwa so wie dieses Buch. Als diese Vorstellung vor meinem geistigen Auge konkreter wurde, rief ich meinen Freund Norman an und bat ihn um Erlaubnis, seine Anweisungen zum Gegenstand meines nächsten Buches zu machen.

Norman antwortete: »Welche Anweisungen? Ich kann mich nicht erinnern.« Ich las ihm die Liste der sieben Prinzipien vor, und er sagte: »Ach so! Ja, die sind echt gut! Ich freu mich drauf, dein Buch zu lesen.«

1 »Presidio« hießen die alten Militärstützpunkte der Spanier in Nordamerika. Das Presidio von San Francisco ist ein Park und ehemaliger Militärstützpunkt am Nordende der San-Francisco-Halbinsel (Anm. d. Übers.).

Mindful Leadership - die 7 Prinzipien achtsamer Führung

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