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Gejagt

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Pan zitterte vor lauter Angst, während sich die Polizisten ihm näherten.

Renn weg!, befahlen ihm seine Gedanken, das kann ich nicht tun, warnten ihn die Selbigen.

»Aufstehen und umdrehen!«, befahl der Beamte, nahm den Lauf seiner Waffe herunter und holte die elektrischen Fuß- und Handfesseln hervor.

Jetzt oder nie, sagte Pan sich und stieß den Polizisten um, der ihm am nächsten stand. Er benötigte all seine Kraft und beide Hände, doch der Polizist rechnete nicht mit dieser Aktion und stolperte rückwärts. Da der breitgebaute Mann zwar ins Straucheln geriet, jedoch nicht hinfiel, versperrte er seinem Kollegen die Sicht auf Pan. Er stürmte den Flur entlang und durch die offene Tür nach draußen.

»Haltet ihn auf!«, schrie der Ausgespielte wütend.

Vor der Wohnzelle betätigte Pan den Touchscreen. Augenblicklich war die Tür verschlossen. Er rannte nach links den Hausflur entlang. Sein Weg zur Arbeit hatte ihn stets nach rechts geführt. Es hatte für ihn nie einen Grund gegeben, für den er nach links hätte abbiegen müssen. Der Weg zur Arbeit hätte ihn zu einem Fahrstuhl geführt und dieser ihn dann zum Hangar gebracht.

Der Hangar war eine Landeplattform im Zentrum eines Wohnsektors. Deren Bewohner sammelten sich jeden Morgen am Hangar und stiegen in eines der Schiffe, welches sie zum jeweiligen Arbeitssektor brachte.

Pan fragte sich, ob seine Wahl nach links zu gehen, wirklich die Richtige gewesen war. Vielleicht ist das eine Sackgasse? Beiderseits passierte er verschlossene Türen, die zu den zahllosen Wohnzellen auf dieser Etage führten. Wie in einem Bienenstock leben die Arbeiter dicht auf dicht. Vom Erdgeschoss bis in schwindelerregende Höhen von sechshundert Metern.

Pan lebte im Wohnsektor 4 und arbeitete im Arbeitssektor 9. Sektor 4 beinhaltete ausschließlich Wohnhäuser für Arbeiter. Es gab noch andere solcher Areale, doch mehr wusste Pan nicht, über den Ort, an dem er lebte. Arbeitssektor 9 gehörte mit zu den härtesten Umfeldern, und Arbeiter aus diesem Sektor genossen kein hohes Ansehen. Pan musste körperliche Arbeit verrichten und diese Tatsache hatte ihm soeben die Haut gerettet. Nur so hatte er den gepanzerten Polizisten überwältigen und die Flucht ergreifen können.

Vielleicht hatte er mit dieser Entscheidung auch seinen schlimmsten Fehler begangen. Er war seinen Gedanken gefolgt und hatte sich von seinen Gefühlen leiten lassen. In beidem war er mehr als unerfahren. Und genau diese Unerfahrenheit hatte ihn zu unüberlegten Handlungen getrieben. Die Entscheidung nach links zu gehen, hatte er hingegen nicht unüberlegt getroffen. Er vermutete, dass damit gerechnet wurde, dass er rechtsherum fliehen würde. Wohin er gerannt war, hatten die Beamten glücklicherweise nicht mitbekommen können. Allerdings war das seine allererste Flucht und Pan befand sich auf unbekanntem Terrain. Der Flur kam ihm unendlich lang vor. Zwischendurch dachte er sogar daran, wieder umzudrehen, um doch zum Fahrstuhl zu gelangen. Er musste das Wohnhaus umgehend verlassen, wenn er nicht gefasst werden wollte.

Schließlich, vollkommen außer Atem, erreichte er das Ende des Ganges. Erleichtert stellte er fest, dass dieser ebenfalls an einem Fahrstuhl endete. Er konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob es sich sogar um ein und denselben handelte. Im Fahrstuhl war niemand, genau wie auf dem menschenleeren Flur. Alle Bewohner waren bereits auf dem Weg zur Arbeit und von den Polizisten fehlte jede Spur. Der Täuschungsversuch schien geglückt zu sein – die Beamten schienen einen anderen Weg genommen zu haben.

Der Aufzug raste die Stockwerke hinab, bis zum Plateau des Hangars. Alle Hauseingänge öffneten sich zu diesem Platz, um einen kurzen Arbeitsweg zu gewährleisten. Pan wohnte im vorletzten Stockwerk des Hochhauses. In jedem dieser Wohnhäuser fanden mehrere Tausend Bewohner Platz und jeder Wohnsektor bestand aus Hunderten Wolkenkratzern.

Auf dem Plateau herrschte großes Gedränge. Hier eilten, wie jeden Morgen, viele Menschen umher. Pan traf über eine halbe Stunde später als sonst hier ein. Doch was das zu bedeuten hatte, sollte er erst später herausfinden.

Zuvor versuchte er seine Gedanken zu ordnen, und sich einen Plan zurechtzulegen. Hinter dem Zugang zum Fahrstuhl, in einer dunkeln Ecke, ging er in Deckung. Dort wollte er abwarten und herausfinden, ob die Polizisten seine Verfolgung aufgenommen hatten. Erst wenn er sich sicher sein konnte, wollte er sein Versteck wieder verlassen. Er hatte jedoch keine Idee, wohin er fliehen sollte. Er wusste ja noch nicht einmal, genau wovor und warum er eigentlich floh. Etwas in seinem Inneren hatte ihn dazu getrieben loszurennen. Es war wie eine unsichtbare Macht – stark und unscheinbar zu gleich. Leicht hätte er seine Deckung aufgeben und sich stellen können. Immerhin zwang ihn niemand dazu, die Flucht fortzusetzen. Niemand, aber etwas.

Pan hatte begriffen, dass er einen unbedeutenden Teil von etwas zu sehen bekommen hatte, das unfassbar groß und geheimnisvoll war. Davon wollte er noch mehr sehen, und dazu musste er fliehen.

Vom Hangar aus war ihm nur einen Weg bekannt, der ihn von hier wegbringen würde. Und weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist und Pan nun mal ein Mensch war, versuchte er den Wohnortsektor auf dem einzig ihm bekannten Weg zu verlassen.

Nach einigen Minuten kroch er aus seiner Deckung hervor. Das Plateau lag inmitten der eintönigen Skyline aus Hochhäusern, deren Fensterscheiben golden schimmerten.

Ganz gleich, in welche Richtung er sah, das Meer aus Hochhäusern erstreckte sich in alle Himmelrichtungen und so weit, wie sein Blick reichte. Zwischen den Häuserschluchten herrschte ein reger Luftverkehr, genau wie über dem Plateau. An den Terminals tummelten sich startende und landende Schiffe, Passagiere strömten in großen Gruppen von einer Seite des Hangarplateaus zur anderen.

Zielsicher steuerte er auf den Bereich zu, an dem das Sektorschiff anlegte, das zum Arbeitssektor 9 flog. Etwas Besseres war ihm nicht eingefallen. Er hätte zwar in ein anderes Schiff steigen können, doch sich in einem fremden Arbeitssektor blicken zu lassen, das wagte er nicht. Zu leicht würde er auffallen und höchstwahrscheinlich sogar gefangen genommen werden. Sein eigener Arbeitssektor war ihm vertraut und vielleicht gab es eine Möglichkeit, von dort zu entkommen. Er könnte mit einem Lastenschiff die Flucht zu einem anderen Planeten wagen. Das war immerhin ein Plan und augenscheinlich kein sonderlich schlechter. Denn Lastenschiffe wurden längst nicht so schwer bewacht, wie die Sektorschiffe.

Zuerst musste er die Erde verlassen, da war er sich seltsamerweise ganz sicher. Im Wohnsektor fühlte er sich besonders unbehaglich. Nie zuvor war ihm aufgefallen, wie erdrückend die Präsenz der mächtigen Gebäude auf einen wirkte. Er wollte diesen Sektor so schnell wie möglich verlassen.

Angekommen am Terminal, musste er feststellen, dass es kein Sektorschiff gab, das zum Arbeitssektor 9 flog. Das Schiff war bereits abgehoben und hatte die Erde längst verlassen.

Wird noch eins kommen? Das war gut möglich, doch Pan bekam keine Chance mehr, das herauszufinden.

Er spürte, wie sich Unruhe bei den Umstehenden breitmachte. Als er sich umdrehte, sah er, dass mindestens zwanzig Polizisten das Plateau stürmten. Es blieb ihm keine Zeit mehr – nicht mehr lange und man würde ihn entdecken und fassen. Und was dann mit ihm geschehen würde, wollte er nicht herausfinden müssen.

Just in diesem Moment flog ein kleines Schiff ein. Es war keines der großen Sektorschiffe. Ein kleiner Gleiter, mit der Aufschrift: »Fähre«, landete vor Pans Füßen. Was eine Fähre war, wusste er nicht. Dieses Wort hatte er noch nie zuvor gehört oder gelesen und war folglich noch nie mit einer Fähre geflogen. Wenn er nicht geschnappt werden wollte, musste er wagen, herauszufinden, wohin ihn die Fähre bringen würde.

Inzwischen strömte eine Menge Leute aus dem kleinen Gleiter und annähernd so viele drängten sich in das Innere. Pan nutzte die dadurch entstandene Hektik und schloss sich dem Strom der Menschenmasse an. Die Männer und Frauen trugen unterschiedliche Bekleidungen und Kopfbedeckungen, was ungewöhnlich für Pan war. Wenn er mit dem Sektorschiff zur Arbeit flog, hatte jeder an Bord dasselbe an. Jeder trug die robuste Arbeiterkleidung, die unentbehrlich war. Diese schwarze Hose und das graue Hemd trug er auch an diesem Tag, er hatte es jedoch nicht mehr geschafft, sich seine Jacke überzuziehen.

In der überfüllten Fähre stand er Schulter an Schulter mit Leuten, deren Wege er niemals hätte kreuzen sollen. Einige betrachteten ihn argwöhnisch, fast wie einen Aussätzigen. Die Passagiere hatten nicht erwartet, einen Arbeiter anzutreffen. Die negative Aufmerksamkeit missfiel ihm.

Er schaute durch eines der Fenster und sah, wie sich die Polizisten der Fähre näherten. Sie waren nicht mehr weit vom Terminal entfernt und rannten schnurstracks auf die geöffneten Türen zu. Erneut von Angst gepackt, suchte er nach einer Lösung, einem Ausweg oder Schlupfloch. Als die Polizisten nur noch wenige Meter von der Fähre trennten, schlossen sich die Türen mit einem leisen Zischen und schon im nächsten Augenblick raste der Gleiter los.

Pan blickte nach wie vor aus dem Fenster und sah auf den Wohnsektor hinab. Im Glauben entkommen zu sein, atmete er tief durch. Er ging davon aus, dass die Fähre den Planeten verlassen würde, so wie es das Sektorschiff jeden Tag getan hatte.

Wohin genau der Passagiergleiter flog – galt es erst noch herauszufinden.

Die Sektorschiffe flogen zu verschiedenen Monden im Sonnensystem. Arbeiter mussten Rohstoffe abbauen, die entweder auf der Erde selbst oder auf Baustellen im Sonnensystem benötigt wurden. Pan war sein gesamtes Leben auf dem Jupitermond Europa stationiert gewesen und musste Wasser schöpfen sowie Eisen abbauen. Wasser gab es reichlich auf Europa und die meisten Arbeiter aus Pans Wohnsektor bauten ihr gesamtes Leben lang nichts anderes ab. Pan zählte zu den Ausnahmen, er arbeitete auf den Eisenfeldern des Mondes. Nur das, was sie für die Verrichtung ihrer Arbeit zwingend wissen mussten stand den Arbeitern zur Verfügung, und für diese Art von Arbeit waren nur geringe Kenntnisse nötig. Die Werkzeuge zum Abbauen des Eisens waren denkbar einfach und die Steuerungen ihrer Schutzanzüge hätten von einem Kind bedient werden können. Der Schutzanzug war eine Kombination aus Raumanzug und Exoskelett. Nur so war es möglich, auf der Mondoberfläche zu atmen und gleichzeitig die schweren Geräte zu bedienen. Erst auf dem Mond selbst, nach dem Andocken an eine Basis, wurden die Schutzanzüge angezogen. Den Arbeitern war es strikt untersagt, den Arbeitssektor mit einem der Schutzanzüge zu verlassen. Eben dieses Verbot wollte er versuchen zu brechen.

»Nächster Halt, Wohnsektor 5 – Arbeitersektor«, sagte eine elektronische Stimme, die aus einem Lautsprecher drang. Verwundert blickte Pan durch die Fenster der Fähre. Ein Wohnsektor, der sich in nichts von seinem eigenen unterschied, tauchte unter der Fähre auf.

Wir verlassen NICHT die Erde?, fragte er sich erstaunt und sein Herz begann zu rasen. Wie sollte er jetzt an einen der Schutzanzüge kommen, um sich damit an Bord eines Lastenschiffes zu schleichen? Er war nicht geflohen, um in einem weiteren Wohnsektor Unterschlupf zu suchen. Pan wollte weg aus der beklemmenden Kulisse der Erde. Ihn beschlich das Gefühl, rein gar nichts an seinem Schicksal ändern zu können, selbst wenn er es wollte.

Die Fähre setzte zur Landung an und Pan wich von der Tür zurück. Er hoffte, in der Masse der Menschen unterzugehen. Während der Gleiter hielt, rechnete er jeden Moment damit, dass ein Trupp Polizisten die Fähre stürmen würde, um seiner Flucht ein jähes Ende zu setzen.

Nach nur wenigen Sekunden schlossen sich die Türen und der Flug wurde fortgesetzt. Pan fragte sich, wohin die Fähre wohl flog und ob sie jemals den Planeten verlassen würde. Vielleicht wendete sie auch und kehrte zum Wohnsektor 4 zurück, wo die Polizisten ihn in Empfang nehmen würden.

»Nächster Halt, Wohnsektor 6 – Arbeitersektor«, sagte die elektronische Stimme nach kurzer Zeit und die Fähre setzte erneut zur Landung an. Bei jedem Start und jeder Landung ließ er seinen Blick über die Dächer der Stadt gleiten. Eine Grenze konnte er nicht ausmachen. Die Gebäude erstreckten sich in alle Himmelsrichtungen, hin bis zum Horizont.

Ob es überhaupt ein Ende gibt?, fragte er sich, als die Fähre weiterflog.

»Nächster Halt, Wohnsektor 7 – Arbeitersektor«, sagte die Stimme und die Flughöhe wurde geringer. Als sich die Türen öffneten, schwebte eine Drohne herein, noch bevor einer der Passagiere aussteigen konnte. Sie flog über die Köpfe der Stehenden hinweg, die sich nicht dafür zu interessieren schienen. Genau vor Pans Gesicht stoppte sie, begann wild zu blinken und ein Warnsignal auszustoßen. Das Signal machte die anderen Passagiere auf ihn aufmerksam. Noch aufmerksamer als zuvor. Die Mitreisenden wurden unruhig und wichen vor ihm zurück. Diese Fähre schien für ihn den Untergang zu bedeuten. Gefangen in einer aussichtsloseren Situation, als je zuvor, blickte er sich um und suchte nach einer Lösung, einem Ausweg.

25XX: Eine SciFi-Saga (Neve Edition)

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