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Kapitel 1 – Gesetz der Rache

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Montag, 16. September 2013, Universitätsklinikum Frankfurt am Main, 14:38 Uhr Ortszeit. Im großen Saal der Klinik tagte der Kongress für Chirurgie und Genetik. Der Vorsitzende des Kongresses Doktor Alban Kerr betrat das Podium, räusperte sich und richtete das Mikrofon des Rednerpultes:

„Verehrte Kollegen, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich darf bekanntgeben, dass es einem unserer geschätzten Kollegen gelungen ist, einen Meilenstein im Bereich der Genetik zu setzen. Ich möchte jedoch nicht lange vorgreifen und große Reden halten. Begrüßen Sie mit mir unseren lieben und ehrenwerten Doktor Richard Frank Möbius.“

Unter lang anhaltenden Applaus betrat ein Mann, um die vierzig, im schwarzen Smoking die Bühne. Stolz schüttelte Alban Kerr dem Mann die Hände und überließ das Rednerpult seinem Schützling. „Verehrte Kollegen, sehr geehrter Herr Vorsitzender Doktor Alban Kerr.“ Er blickte in die Runde. „Wir alle gehören nachweislich zu den größten Chirurgen und Wissenschaftler dieser Welt. Der menschliche Körper ist ein Baustein, welcher aus guten und schlechten Stoffen besteht. Meinem Bruder Erik und mir ist es gelungen das Polymer für die Bildung von Tumoren sichtbar zu machen und zu bekämpfen. Dazu modifizierten wir die Gene von Laborratten, die bereits mit der Veranlagung zu bösartigen Tumoren auf die Welt kamen, mit unserer entwickelten DNA und innerhalb weniger Tage konnten die schlechten Zellen fast vollständig zerstört werden und durch gesundes Gewebe ersetzt werden.“

Er hielt inne und wartete das Ende des allgemeinen Gemurmels ab. „Meine Herren“, fuhr er fort, „das Verfahren ist noch nicht an Menschen ausgetestet, weswegen ich Sie bitten möchte bis zum endgültigen Abschluss der Forschungen die absolut obere Geheimhaltungsstufe zu bewahren. Sollten unsere Abschlussergebnisse den notwendigen Erfolg zeigen, so könnten wir die Menschheit in Zukunft vor großem Schaden bewahren. Ich danke Ihnen.“

Doktor Richard Frank Möbius genoss den Applaus seiner Kollegen und verließ das Rednerpult. Doktor Alban Kerr hielt ihn kurz an.

„Ein gelungener Vortrag, Richard. Fantastisch. Die Kollegen des Gremiums waren hellauf begeistert.“

„Danke Alban.“

Der Mann mit dem schütteren weißen Haar und dem Vollbart lächelte. „Darf ich dich zur Feier des Tages in mein bescheidenes Haus einladen?“

„Das ist sehr freundlich Alban. Aber du meinst doch nicht mit bescheiden deine Villa am Stadtrand?“

Doktor Alban Kerr lächelte freundlich. „Selbstverständlich. Ich denke mal Maria wird uns ein hervorragendes Essen herrichten. Also sehen wir uns dann später bei mir?“

„Ich werde da sein.“

„Ausgezeichnet.“ Die beiden Herren verabschiedeten sich, während Doktor Richard Möbius in sein Büro im Krankenhaus zurückging und seine Unterlagen sortierte. Ein paar kurze Arbeiten am PC später, saß er in seinem schwarzen Mercedes Benz und war auf dem Weg zu Doktor Alban Kerrs Anwesen am Stadtrand. Sein Handy klingelte und er nahm über die Freisprecheinrichtung ab. Es war die Nummer seiner Frau Diana.

„Hallo mein Schatz“, begrüßte er sie herzlich.

„Hallo Richard. Wie war dein Vortrag?“, fragte sie.

„Er war sehr gelungen.“

„Ich wusste es. Du warst brillant. Der Erfolg eines Ehemanns liegt nun mal in der Liebe und der Zuneigung seiner Familie“, entgegnete sie lachend.

„Da muss etwas Wahres dran sein.“

„Was sagt eigentlich Alban zu euren Forschungsarbeiten?“

„Ich bin gerade auf dem Weg zu ihm“, antwortete Richard. „Er hat mich zum Essen eingeladen und danach bereite ich meinen Vortrag für den Kongressausschuss vor, sodass wir unsere Forschungsgelder bewilligt kriegen.“

„Ich verstehe“, lachte Diana am Telefon, „Maria zaubert für euch in der Küche, dann zieht ihr euch in sein Arbeitszimmer zurück, raucht eine Vegas Robaina Signature Edition und trinkt einen Single Malt Whiskey.“

„Ich hätte damals besser Psychologie studieren sollen“, scherzte Richard.

„Wäre vielleicht besser gewesen“, entgegnete Diana plötzlich mit einem ernsteren Ton in ihrer Stimme. „Aber bist du sicher, dass er nicht einen Hintergedanken mit seiner Einladung hegt?“

„Wie meinst du das?“

„Wenn der Kongressausschuss Erik und dir die Forschungsgelder bewilligt, wird Alban seinen Vorsitz an dich verlieren, Richard.“

„Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Deswegen hätte ich Alban am Liebsten abgesagt.“

„Warum hast du es dann nicht getan?“, fragte Diana verzweifelt.

„Diana“, sagte Richard mit Nachdruck, „er ist der Patenonkel von Kathrin, unserer Tochter. Alban kümmert sich rührend um sie. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Alban den Vorsitz nur ehrenhalber innehat. Die letzten Jahre hat er dadurch sehr gut gelebt, ohne sich weiteren Forschungen zu widmen.“

„Ich weiß“, bestätigte Diana. „Es ist nun mal so, dass ich mir einfach Sorgen mache. Er könnte mit einem Schlag alles verlieren, Richard.“

„Ich werde sehen, was das Gespräch bringt. Morgen um diese Uhrzeit bin ich schon längst wieder bei euch. Gib Kathrin einen Kuss von mir und sag ihr, dass ich sie liebe.“

„Sei vorsichtig, Richard“, verabschiedete sich Diana von ihrem Mann.

Der Herbst war schon sehr weit fortgeschritten. Für die Jahreszeit, Mitte September war es bereits ziemlich kühl, was man an den Bäumen des Anwesens von Doktor Alban Kerr sehen konnte. Das bunte Laub bildete ein schönes Farbenspiel mit der Wasseroberfläche des Brunnens im Zentrum der Auffahrt. Dr. Richard Frank Möbius stellte seinen Mercedes Benz vor der mit Efeu bezogenen Villa ab. Er stieg aus und klopfte an dem mächtigen Löwentürklopfer an der prächtigen Eingangstür. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und ein im Anzug gekleideter Mann mit graumeliertem Haar trat heraus.

„Dr. Möbius. Ich bin sehr erfreut Sie zu sehen.“

„Dankeschön, William“, begrüßte Richard den Butler von Dr. Alban Kerr, „ich hoffe doch, dass ich nicht zu spät bin?“

„Nein, Sir. Sie sind pünktlich auf die Minute. Darf ich Ihnen Ihre Jacke abnehmen, Sir?“, fragte William.

„Sehr gerne.“

Galant half William Doktor Möbius aus der Jacke und hing sie an der Garderobe im Flur auf. William war ein Butler der alten englischen Schule, den Doktor Alban Kerr bei einer Forschungsreise in England kennengelernt und danach ihm in seinem Anwesen in Frankfurt eine Festanstellung besorgt hatte. Der höfliche Butler führte Doktor Möbius in den Salon, wo Doktor Alban Kerr bereits seinen Gast erwartete.

„Hallo Richard“, begrüßte er ihn. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim.“ Er lächelte höflich. „Du darfst jetzt gehen, William.“

Mit einer höflichen Verbeugung verabschiedete sich William aus dem Salon und ließ die beiden Herren allein.

„Dein Vortrag hat den Ausschuss und mich sehr beeindruckt“, sagte Alban zu seinem Kollegen. „Die Entdeckung von Erik und dir ist nobelpreisverdächtig. Ich wäre erstaunt, wenn der Ausschuss euch nicht die Forschungsgelder bewilligen würde.“

„Das wird sich erst noch zeigen“, gab sich Doktor Möbius bescheiden.

„Unsinn, Richard. Eure Forschungen sind für die moderne Medizin unbezahlbar. Ihr habt die menschliche DNA offengelegt und dafür gesorgt, dass sich bösartige Zellen reparieren können. Das ist bis heute unerreicht in der Medizingeschichte.“

„Da magst du sicher Recht haben, Alban. Wir werden es morgen ja sehen.“ Rasch versuchte er das Thema zu wechseln. „Hast du mir nicht ein vorzügliches Essen versprochen?“

„Aber ja“, fiel es Doktor Alban Kerr wie Schuppen von den Augen. Er ging zur Gegensprechanlage an der Tür des Salons und rief William herein.

„Sie haben gerufen, Sir?“, fragte der Butler, als er eintrat.

„Sag bitte Maria Bescheid, dass sie das Essen anrichten kann.“

„Sehr wohl, Sir.“

William verließ mit einer höflichen Verbeugung den Salon und nach fünf Minuten begann er im Esszimmer des Anwesens den Tisch zu decken und das Essen aufzutun. Kurze Zeit später saßen Doktor Alban Kerr und Doktor Richard Möbius am Tisch und genossen ein gut gebratenes Rinderfilet mit Rosmarinkartoffeln, frischem Gemüse und tranken dazu ein Glas von Doktor Alban Kerrs Hauswein. Richard war sehr schnell satt und streckte nach einer Weile das Besteck. Höflich fragte Doktor Alban Kerr seinen Gast, ob er noch einen Nachschlag wolle.

„Nein danke, Alban. Noch ein Bissen und ich platze. Wie macht Maria das bloß?“

„Das bleibt ihr Geheimnis, befürchte ich“, antwortete Doktor Alban Kerr. „Die Küche ist gewisser Weise Sperrgebiet. Selbst William darf sich der Küche bis maximal zur Essensausgabe nähren.“

„Die Küche ist bestimmt vermint“, scherzte Richard. „Und am Eingang muss man unaufgefordert seinen Dienstausweis vorzeigen.“

„Übertreten Sie niemals die rote Linie“, nahm Doktor Alban Kerr den Faden auf. „Jegliche Überschreitung führt zur sofortigen Gefangennahme mit anschließender Exekution.“

Richard lachte. „Hör auf Alban, sonst kann ich wahrscheinlich dieses hervorragende Mahl bei mir behalten.“

„Ist schon gut, Richard.“ Doktor Alban Kerr rief seinen Butler und bat ihn abzuräumen. Die beiden Mediziner zogen sich in das Arbeitszimmer des Vorsitzenden zurück.

„Was hältst du von einem Glas Single Malt Whiskey und einer schönen kubanischen Vegas Robaina Zigarre?“, fragte Alban Kerr seinen Gegenüber.

„Sehr gerne“, erwiderte Doktor Richard Möbius.

Doktor Alban Kerr befüllte zwei Gläser mit dem goldenen Getränk, gab zwei Eiswürfel hinzu und kramte aus seiner Zigarrenkiste zwei der edelsten Zigarren hervor.

„Hier bitte.“

„Danke.“ Die beiden Männer zündeten die Zigarren an und zogen genüsslich daran. Richard nahm einen Schluck des Whiskeys. Er wärmte hervorragend von innen.

„Nun Richard“, begann Doktor Alban Kerr, „ich muss mit dir etwas besprechen.“

„Worum geht es?“, erwiderte Richard.

„Um deine und meine Zukunft. Wenn der Ausschuss dir Morgen die Forschungsgelder bewilligt und das wird er, dafür ist eure Arbeit zu gut, dann werde ich meinen Vorsitz verlieren.“ Er hielt kurz inne und ließ die Bedeutung seiner Worte wirken. „An dich, Richard“, fuhr er fort.

Doktor Richard Möbius tat erstaunt. „An mich? Wie kannst du dir da so sicher sein?“

„Ich weiß es und du weißt es auch. Verkauf mich nicht für dumm. Das Gremium wird dir für deine Forschungen den Vorsitz im Kollegium zusprechen, es sei denn …“

„Es sei denn, was?“

„Du berichtest dem Ausschuss, dass ich an euren Forschungen beteiligt war.“ Doktor Alban Kerr blickte ihn eindringlich an. „Vergiss nicht, wo du herkommst. Ich habe dich aus dem Vorstadtkrankenhaus geholt, wo du als Assistenzarzt tätig warst, denn ich habe dein Potenzial erkannt. Du hast dich nicht nur für die Medizin, sondern auch für die Wissenschaft interessiert. Deswegen habe ich dich auch härter und länger arbeiten lassen, als alle anderen.“

„Ja ich weiß. Nach dem regulären Dienst hast du mir Proben gebracht, die ich analysieren und dir darüber bis zum nächsten Morgen Bericht erstatten sollte.“

„Jeden Morgen“, fuhr Doktor Alban Kerr fort, „lag dein Bericht um sechs Uhr bei mir auf dem Schreibtisch. Deine wissenschaftlichen Erkenntnisse waren überaus präzise und detailgetreu. Ohne meine Hartnäckigkeit wärst du heute nicht da, wo du jetzt bist. Ich verlange von dir, dass du meine Arbeit in euren Forschungen dem Ausschuss gegenüber erwähnst. Ich behalte den Vorsitz und im Gegenzug erhältst du von mir 50%, genauer gesagt 75.000 Euro extra im Jahr. Damit wäre uns beiden geholfen.“

Richard spürte den Blick seines Förderers. „Bei aller Liebe, Alban, das kann ich nicht machen. Es wäre meinem Bruder gegenüber unfair.“

Wütend schnaubte der Arzt auf. „Wen kümmert schon Fairness in unserem Geschäft.“

„Es tut mir leid, Alban, aber ich fürchte du hast dich die letzten Jahre zu sehr gehen lassen und dich auf deinem Posten ausgeruht.“

„Ich bin 56 Jahre alt“, entgegnete Doktor Kerr. „Ich will, was mir zusteht!“

Richard Möbius trank den letzten Schluck aus, stand auf und drückte seine Vegas Robaina aus. „Mein letztes Wort, Alban. Es tut mir leid. Ich werde nun gehen. Überdenke dein Verhalten. Ich möchte nicht, dass es so auseinander geht.“

„Das werde ich Richard“, zischte Alban. „Das werde ich!“

Doktor Richard Möbius hob die Hand zum stummen Abschiedsgruß und verließ das Arbeitszimmer. Er ging zur Garderobe nahm sich seinen Mantel und ging zur Tür. Auf dem Weg dorthin kollidierte er fast mit Butler William.

„Sie wollen schon gehen, Sir?“

„Ja, William. Es gibt noch so viel vorzubereiten für Morgen. Ich breche jetzt auf“, log Doktor Möbius.

„Einen angenehmen Tag, Sir“, antwortete der Butler und öffnete ihm die Tür. Doktor Möbius nickte höflich, ging zu seinem Auto und fuhr vom Anwesen seines Förderers.

Doktor Richard Frank Möbius liebte die Abgeschiedenheit der Natur und so hatte er sich für die Nacht ein Zimmer im „Alten Forsthaus“, einer kleinen Pension in Königstein angemietet. Dort residierte er öfter, wenn wichtige Arbeiten anstanden. Nach einer halben Stunde Autofahrt fuhr er über einen kleinen Waldweg auf den Parkplatz der Unterkunft vor. Er nahm seine Aktentasche und den kleinen Koffer aus dem Kofferraum seines Mercedes Geländewagens und betrat die Pension. Die Eigentümerin Anna Müller begrüßte ihren Stammgast.

„Sie sind aber früh, Doktor Möbius. Ich hatte erst um 20 Uhr mit Ihnen gerechnet.“

„Anna, bitte. Wir kennen uns so lange. Du sollst Richard zu mir sagen“, entgegnete Doktor Richard Möbius mit charmantem Lächeln auf den Lippen.

„Na gut, wenn Sie …“, sie unterbrach sich und musste kurz kichern, „wenn du es willst, Richard.“

Der Doktor nickte. „Ist mein Zimmer schon frei?“

Anna ging zum Schlüsselbrett und reichte ihm den Schlüssel mit der Nummer vier. „Alles ist für dich hergerichtet, Richard. Der Kurier war sehr pünktlich und hat die Unterlagen bei mir abgegeben. Sie liegen auf dem Schreibtisch für dich bereit.“

„Ich danke dir, Anna.“

„Sehr gerne. Wenn Sie …, du noch etwas benötigst, dann …“

Er lächelte müde. „Alles in Ordnung. Ich sehe mir die Unterlagen an und werde zeitig zu Bett gehen. Heute war ein harter Tag und morgen wird nicht minder leichter.“

„Gute Nacht, Richard“, entgegnete sie freundlich. „Morgen um acht Uhr zum Frühstück?“

Der Arzt nickte und ging mit seinem Gepäck zu seinem Zimmer. Der Raum war gemütlich und rustikal eingerichtet. Richard sah den Umschlag auf dem Schreibtisch, riss ihn vorsichtig auf und nahm sich die Unterlagen heraus.

„Gute Arbeit, Erik“, flüsterte er. „Genau das benötige ich noch …“

Sein Selbstgespräch wurde durch das Klingeln seines Handys unterbrochen. Obwohl es für ihn wichtigere Aufgaben zu erledigen gab, als ein Telefonat nahm er das Gespräch an.

„Hallo?“

„Hallo Richard“, begrüßte ihn die bekannte Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Erik! Sag mal kannst du Gedanken lesen. Gerade habe ich deine hervorragende Arbeit, die du mir per Kurier zugesandt hast loben wollen.“

„Du weißt ja“, entgegnete Erik lachend, „dein jüngerer Bruder ist immer auf Zack. Aber deswegen ruf ich nicht an. Wie war dein Gespräch mit Alban?“

„Woher weißt du?“

„Diana hat mir davon erzählt“, antwortete Erik.

„Na ja, nicht sonderlich gut. Er wollte, dass ich ihn in meinem Bericht dem Ausschuss gegenüber lobend erwähne, gegen Schweigegeld. Ich habe abgelehnt“, berichtete Doktor Richard Möbius seinem Bruder.

„Und wenn der Ausschuss uns die Gelder bewilligt, ist er seinen Vorsitz los“, schloss Erik. „Ja, Diana hat mir schon so etwas berichtet. Alban muss einsehen, dass sein Stern am Absinken ist. Du hast ihm lange genug den Rücken freigehalten.“

„Das stimmt“, bestätigte Doktor Möbius. „Obwohl wir in meinem Labor in meinem Haus waren, haben Diana und Kathrin mich kaum zu Gesicht bekommen. Sie zeigten so viel Verständnis für meine Arbeit. Das herzuschenken wäre ihnen gegenüber einfach unfair.“

„Du hast richtig gehandelt“, ermutigte Erik seinen Bruder. „Und lass dir das von einem eingefleischten Junggesellen sagen: Du bist ein wundervoller Ehemann und kannst stolz auf deine Familie sein.“

„Du hast Recht. Entschuldige, wenn ich zweifelnd gewirkt habe. Es war nicht einfach.“

„Alles gut“, beschwichtigte Erik. „Ich will dich nicht weiter aufhalten. Meine Daumen sind für Morgen gedrückt. Du kommst morgen Abend nach Hause?“

„Ja, sobald die Gelder bewilligt wurden, bin ich wieder bei euch.“

„Perfekt. Ich werde morgen unser Labor ein wenig aufräumen. Es ist einiges liegengeblieben. Viel Erfolg und gute Nacht. Wir sehen uns, Bruderherz.“

„Gute Nacht“, erwiderte Richard.

Am nächsten Tag erreichte Doktor Erik Möbius das prächtige Grundstück seines Bruders in Hain-Gründau. Doktor Richard Möbius wohnte am Ortsausgang des beschaulichen hessischen Örtchens in der Nähe von Frankfurt am Main. Erik betrat das Grundstück. Das Frühstück hatte er ausfallen gelassen, denn seine Schwägerin war eine exzellente Köchin und es war ihr immer eine Ehre für ihren Schwager ein kräftiges Essen zuzubereiten.

„Diana! Kathrin! Ich bin es. Ich würde über ein üppiges Mittagessen mich nicht beschweren“, rief er über das Grundstück. Er hielt inne, als er sich der Tür nährte.

„Merkwürdig“, flüsterte er. „Die Tür ist nicht verschlossen.“

„Ihr solltet etwas vorsichtiger sein!“, rief er in den Flur hinein. Dann trat Erik ein und betrat das Haus. Er blickte sich um und ihn traf der Schlag. Auf dem Boden lagen seine Schwägerin und seine Nichte. Sie waren tot. Blut hatte die Oberbekleidung und den Boden rot verfärbt. Der Ohnmacht nahe, lief Erik zum Sekretär, griff zum Telefon und rief seinen Bruder auf seinem Handy an.

„Hallo Erik. Dieses Mal habe ich dich an deiner Handynummer erkannt“, begrüßte er ihn fröhlich über die Freisprechanlage seines Wagens. „Ich habe gute Neuigkeiten. Der Ausschuss hat uns die Forschungsgelder bewilligt und mir den Vorsitz zugesprochen. Mach doch schon mal den Sekt auf, bis ich daheim bin.“

„Richard …, ich muss … dir … was sagen“, antwortete er stockend.

„Was ist denn Erik?“

„Es geht um Diana und Kathrin …“, entgegnete er. „Sie sind …“

„Was Erik? Was?“

„Diana und Kathrin sind. Sie sind…“, es fiel Erik schwer seinem Bruder die traurige Wahrheit zu sagen.

„Verdammt Erik, was ist mit ihnen? Was ist mit meiner Frau und meiner Tochter?“

„Sie sind tot, Richard. Sie lagen blutüberströmt im Hausflur, als ich kam.“

Richard Frank Möbius antwortete nicht mehr. Im Hintergrund vernahm Erik die quietschenden Bremsen des Wagens seines Bruders.


Nach dem Anruf bei seinem Bruder, informierte Erik Möbius die Polizei, die mit Beamten und Spurensicherung den Tatort und das Anwesen von Doktor Richard Frank Möbius unter die Lupe nahmen. Hauptkommissar Matthias Endres trat zu Erik Möbius, der auf einem Stuhl auf der Veranda des Anwesens Platz genommen hatte.

„Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte er höflich und setzte sich auf den Stuhl gegenüber.

„Danke, Herr Endres, es geht schon“, erwiderte Erik. „Es ist nur dieser Anblick … Einfach so schrecklich. Wie ist es überhaupt geschehen? Haben Sie dazu irgendwelche Anhaltspunkte?“

„Was wir nach den ersten Erkenntnissen der Spurensicherung aus dem Tatort lesen können, starben Ihre Schwägerin und Ihre Nichte durch einen gezielten Stich ins Herz. Des Weiteren weist der Hinterkopf von Diana Möbius eine Platzwunde am Hinterkopf auf. Das lässt den Schluss zu, dass sie den Täter nicht reinlassen wollte und dieser sie zurückgestoßen hat, sodass sie mit dem Kopf auf die steinerne Treppe geprallt ist. Es gibt eine Sache, die uns allerdings stutzig macht?“

„Welche, Herr Hauptkommissar?“

Hauptkommissar Endres räusperte sich. „Die Stichwunden an den Leichen weisen keine typische Verletzung auf, wie sie ein Messer verursachen würde.“

„Sondern?“, fragte Erik verwundert.

„Wir gehen davon aus, dass der oder die Täter medizinisches Fachwissen besitzen. Der Stich wurde mit etwas Feinerem durchgeführt. Unsere Spurensicherung ist sich sicher, dass der tödliche Stich durch ein Skalpell verursacht wurde. Selbstverständlich müssen wir noch die Obduktion abwarten.“

„Medizinisches Fachwissen? Skalpell?“ Erik war entsetzt.

„Des Weiteren ist verwunderlich“, fuhr Hauptkommissar Endres ungerührt fort, „dass nichts gestohlen wurde. Die Geldbörse mit 300 Euro im Sekretär des Flures, sowie das Schmuckkästchen im Schlafzimmer im ersten Stock sind komplett unberührt. Allerdings fanden wir in den Praxisräumen ihres Bruders einen Hinweis. Der Aktenschrank wurde sehr sorgfältig durchwühlt.“

„Das heißt?“

„Wir vermuten, dass der oder die Täter für ihn wichtige Unterlagen gesucht haben. Jedoch, scheint er nicht fündig geworden zu sein.“

Nachdenklich blickte Erik Möbius den Hauptkommissar an. „Ich danke Ihnen für die Informationen. Selbstverständlich werde ich meinen Bruder über diese Kenntnisse informieren.“

Aus der Brusttasche seiner Jacke kramte Endres seine Visitenkarte hervor. „Für weitere Informationen kann Ihr Bruder sich direkt an mich wenden. Wir sind soweit hier fertig.“

„Ich danke Ihnen, Herr Endres. Soll ich Sie nach draußen begleiten?“, bot Erik höflich an.

„Vielen Dank, wir werden alles zusammenräumen und finden selbst heraus. Schonen Sie Ihre Kräfte. Sie werden Sie brauchen. Auf Wiedersehen.“

„Wiedersehen und Danke.“

Es war bereits Abend als Doktor Richard Möbius sein Anwesen erreichte. Hastig stieg er aus dem Wagen, eilte zur Eingangstür und stürzte in den Flur, wo ihn sein Bruder empfing. Dieser berichtete ihm von seinen Erlebnissen und seinem Gespräch mit Hauptkommissar Endres.

„Wäre ich doch nur früher gekommen“, verteidigte sich Erik unter Tränen. „Dann könnten Diana und Kathrin noch leben.“

Richard schüttelte den Kopf. „Dich trifft keine Schuld, mein Bruder. Mein Gott. Ich konnte mich noch nicht einmal von ihnen verabschieden.“ Tränen liefen seine Wangen herab und Erik stützte ihn. Sie redeten sich, trösteten sich, arbeiteten die Erkenntnisse der Polizei auf und der Morgen graute, als die Brüder in einen unruhigen Schlaf fielen.


Eine Woche war nach jenem schicksalshaften Tag vergangen und das kleine Dorf Hain-Gründau trug Trauer. Der örtliche Friedhof lag am Ausgang des Ortes und alle Bewohner hatten sich um zwei Gräber versammelt, um zu trauern. Es waren alle da. Auch Doktor Alban Kerr. Sie trauerten um den Verlust von Diana und Kathrin Möbius. Der Pastor sprach in seiner Grabrede das aus, was viele wussten und weswegen die Familie Möbius geschätzt war. Diana und Kathrin waren engagierte Mitglieder in der Gemeinde und halfen ihren Mitmenschen, wo sie nur konnten. „Und so trauern wir um Diana und Kathrin Möbius, die uns mit ihrem Lachen immer erhellt haben und ein wichtiger Fixpunkt unserer kleinen Gemeinde waren. Gott, der Schöpfer wird ihnen einen Platz am großen Mahl im Himmelreich gewähren, wo wir alle uns eines Tages wiedersehen werden.“ Der Pastor hielt kurz inne, ehe er mit einem leisen „Amen“ seine Rede beendete.

„Ich danke ihnen Pastor Fischer“, sprach Doktor Möbius leise und andächtig. „Sie haben geholfen, unser Leid ein wenig zu lindern.“

„Niemand kann sich vor seiner Schuld verstecken, mein Sohn. Sie werden den oder die Täter bald finden und ihrer gerechten Strafe überstellen. Spätestens vor Gott werden sie sich verantworten müssen.“

Dann reichte Pastor Fischer ihm die Hand und verließ den Gottesacker. Doktor Richard Möbius blickte ihm nach. Sein Bruder Erik trat an Richards Seite.

„Was wollte denn Pastor Fischer von dir?“, fragte er.

„Später Erik. Heute ist nicht der Tag.“, antwortete Richard flüchtig, denn Doktor Alban Kerr kam zu ihnen, um Richard sein Beileid auszusprechen.

„Mein Beileid, mein Freund. Als ich deinen Anruf letzte Woche bekommen habe. Ich war entsetzt. Kathrin war doch mein Patenkind. Es ist einfach so schrecklich.“ Der ehemalige Vorsitzende des Kollegiums wirkte sichtlich bestürzt.

„Ich danke dir Alban. Treffen wir uns nachher noch bei mir? Diana und Kathrin hätten es sicherlich so gewollt.“

„In Ordnung, mein Freund. Sagen wir, in einer Stunde?“

„Sehr gerne.“

Die Trauerfeier war zu Ende. Richard und Erik Möbius saßen im großen Haus der Familie Möbius und warteten auf ihren Gast.

„Eins verstehe ich nicht, Richard“, begann Erik skeptisch. „Wieso hast du Alban zu dir eingeladen, obwohl du ihn anfangs für den Täter hieltest.“

„Ich muss sagen, ich tue mir nicht leicht damit, aber die Polizei hat sämtliche Alibis im Kollegium geprüft und keine belastbaren Beweise für einen Täter aus deren Reihen gefunden.“

Es klingelte an der Tür und Erik öffnete. Doktor Alban Kerr wartete auf Einlass. „Hallo Erik“, grüßte er den jungen Bruder seines Nachfolgers. „Ich hoffe, ich bin doch nicht zu spät. Du weißt doch, wie wichtig Pünktlichkeit für Richard ist.“

Mit einer Handbewegung bat Erik Alban herein. „Wenn du mich fragst, dann könnte der Augenblick nicht passender sein“, entgegnete er.

Doktor Alban Kerr trat ein und folgte Erik in den Salon, wo Richard bereits auf ihn wartete.

„Ich hoffe du verzeihst mir die Verspätung, Richard. Ich musste noch ein paar dringende Besorgungen erledigen.“

„Einen Whiskey, Alban?“, fragte Richard ohne auf die Entschuldigung seines Mentors einzugehen.

„Gerne.“

Richard füllte drei Gläser mit der goldbraunen Flüssigkeit und packte jeweils zwei Eiswürfel hinein. Klirrend stießen sie die Gläser zusammen und prosteten sich zu.

„Wie geht es dir, Richard?“, wollte Alban wissen.

„Es geht“, entgegnete Richard mit steinerner Miene. „Es geht mir so gut, wie es einem Mann nur gehen kann, dem an einem Tag seine Frau und seine Tochter genommen wurden. Ich …“

Das Telefon klingelte. „Entschuldigt bitte, da muss ich drangehen“, entschuldigte sich Richard und verschwand in sein Arbeitszimmer.

„Bestimmt ein Patient oder jemand, der sein Beileid aussprechen möchte“, mutmaßte Alban.

In seinem Arbeitszimmer nahm Doktor Richard Möbius den Anruf entgegen. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Stimme.

„Doktor Möbius? Hier ist Thomas Klein von der Tankstelle in Niedergründau. Mein Beileid nochmal zu Ihrem Verlust.“

„Ich danke Ihnen, Herr Klein. Aber Sie werden mich nicht deswegen angerufen haben?“

„Nein, Herr Doktor. Mir ist etwas aufgefallen, was für Sie interessant sein könnte.“

„Erzählen Sie weiter.“

„Nun, selbst in unserer ländlichen Gegend ist man als Tankstellenbesitzer nicht vor Überfällen gefeilt. Süßigkeiten, Alkohol, Tabakwaren, ich könnte Ihnen da einiges aufzählen. Deshalb habe ich vor ein paar Monaten eine Überwachungskamera installieren müssen. Aus versicherungstechnischen Gründen, wie man heutzutage sagt. Auf jeden Fall springt die Kamera an, sobald ein Kunde den Laden betritt und zeichnet auf.“

„Herr Klein, ich bitte Sie. Kommen Sie bitte zum Wesentlichen.“

„Gewiss. Nun auf alle Fälle, tankte heute ein gutaussehender älterer Mann seinen Wagen bei mir auf und tätigte noch ein paar kleine Einkäufe. Zunächst war da nichts ungewöhnliches, doch dann ließ ich die alten Bänder der vergangenen Tage durchlaufen, weil er mir bekannt vorkam. Und wissen Sie was? Er war schon mal hier gewesen. Am 17. September um kurz nach 13 Uhr. Der Tag, an dem Ihre Familie das schreckliche Schicksal erlitten hat, Doktor Möbius.“

„Und Sie sind sich sicher?“

„Sehr wohl.“

„Können Sie ihn beschreiben?“ Doktor Möbius trieb die Neugier aus seinem Sessel.

„Gewiss. Schütteres weißes Haar, Vollbart, groß, gutaussehend und er fährt einen schwarzen Porsche Cayenne.“

„Herr Klein, ich danke Ihnen für den Hinweis. Bitte halten Sie das Band für die Polizei zur Verfügung.“

„Es freut mich, wenn ich Ihnen helfen konnte.“

Doktor Möbius hatte den Hörer bereits aufgelegt. Raschen Schrittes ging er durch die Zwischentür in seine Praxis und stand vor dem Medikamentenschrank. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt und sein rechtes Augenlid zuckte unkontrolliert auf und ab.

„Alles was von nun an geschieht, hast du dir selbst zuzuschreiben“, flüsterte er zu sich selbst. Richard ging an den Medikamentenschrank und nahm ein Fläschchen mit einem Schlafmittel heraus.


Ein paar Minuten später stieß Richard zu seinem Bruder und Dr. Alban Kerr. „Entschuldigt, dass es so lange gedauert hat. Ich musste noch …“

Es kostete ihm Kraft sich nicht zu versprechen, weshalb Dr. Alban Kerr den Satz für ihn beendete. „Du brauchst jetzt erst einmal eine längere Pause, Richard. Sei unbesorgt. Ich werde mich um alles kümmern.“

„Vielleicht hast du Recht, Alban“, entgegnete Richard matt. „Einen Malt zum Abschluss?“

„Sehr gerne“, antwortete Dr. Kerr, während Erik dankend ablehnte. Er merkte das veränderte Verhalten an seinem Bruder.

Richard schenkte sich und Dr. Alban Kerr ein. Sie stießen an und mit einem Schluck war das Glas leer. „Vielen Dank, Richard. Hast du etwas dagegen, wenn ich mich noch ein wenig frisch mache, bevor ich losfahre?“

„Du weißt ja, wo das Badezimmer ist“, entgegnete Doktor Möbius tonlos und der ehemalige Vorsitzende stand vom schwarzledernen Sofa auf und ging ins Badezimmer.

Als er weg war, rückte Erik näher an seinen Bruder. „Was ist los, Richard?“, zischte er.

Aus seiner Hosentasche fischte Richard die Medikamentendose und Erik verstand. „Temazepan? Du hast ihm ein stark wirkendes Schlafmittel gegeben? Aber warum?“

Richard atmete tief durch. „Der Anrufer war Herr Klein, der Besitzer der Tankstelle in Niedergründau. Er hat Alban wiedererkannt.“

„Wiedererkannt? Aber Alban war doch schon öfter bei euch, da ist es doch vollkommen normal, dass er …?“

„Auch am 17. September“, endete Richard den Satz. „Der Tag an dem Diana und Kathrin kaltblütig ermordet wurden.“

„Blödsinn“, entrüstete sich Erik. „Ich werde zu ihm ins Bad gehen und ihn …“

„Das ist sinnlos“, antwortete Doktor Möbius kalt. „Er schläft jetzt tief und fest. Alkohol verstärkt und intensiviert die Wirkung des Schlafmittels.“

„Aber warum?“ Erik sah langsam aber sicher klar. „Natürlich, es geht doch nur um ihn. Er wollte versuchen, dass Diana dich umstimmt. Und als sie sich weigerte …“

„Wurde Alban zum Mörder. Ganz recht, Erik. Und Kathrin starb vermutlich als unbeliebte Zeugin. Ich kann mich also auf deine Hilfe verlassen, Erik?“

„Schon, Richard. Aber müssen wir wegen ihm zum Mörder werden?“

Richard Möbius lächelte kalt. „Ich werde nicht zum Mörder. So leicht, mache ich es ihm nicht. Er bekommt seinen Wunsch erfüllt.“


Das alte Kellergewölbe des Anwesens von Doktor Richard Frank Möbius war zu einem großen Laboratorium ausgebaut worden. Auch ein Operationssaal und Behandlungszimmer waren vorhanden. In einem dieser Zimmer lag ein Mann mit schütteren Haar und grauem Vollbart. Sein Oberkörper, seine Arme und seine Beine waren mit Gurten fixiert. Langsam erwachte Doktor Alban Kerr aus seiner Bewusstlosigkeit.

„Wo … wo bin ich?“, fragte er schwach.

Doktor Richard Möbius und sein Bruder Erik standen um das Bett und hatten auf diesen Moment gewartet.

„Du hattest, sagen wir es mal so, einen Schwächeanfall. Zum Glück haben wir dich gefunden und konnten dich behandeln. Die Fesseln dienen lediglich deiner und unserer Sicherheit“, antwortete Richard kalt.

„Macht mich sofort los!“, schrie Alban.

„Langsam, Alban. Erst einmal haben wir ein paar Dinge zu klären.“

„Welche Dinge?“

„Zum Beispiel, wo du am 17. September warst“, warf Erik ein.

„Am 17. September?“

„Langsam, Erik. Langsam. Nun, Alban. Wie lautet deine Antwort?“

„ICH BIN ES NICHT GEWESEN“, brüllte Dr. Alban Kerr. „IHR HABT KEINE BEWEISE!“

„Da irrst du dich, alter Freund“, antwortete Richard ruhig. „Erik, würdest du bitte?“

Erik Möbius schob einen Schrank auf dem ein TV-Gerät samt Videorekorder stand vor das Bett. Richard stellte das Kopfteil seines ehemaligen Vorgesetzten passend ein. „Herr Klein, der Besitzer der Tankstelle hat uns das gegeben.“

Der Film wurde abgespielt. Als das Band endete, blickte Richard kalt in das Gesicht von Dr. Alban Kerr.

„Ja, ich war an besagtem Tag bei Diana gewesen. Ich wollte mit ihr reden, dass sie dich umstimmt, sodass ich meinen Vorsitz behalten kann. Sie war so kalt, so abweisend. Du wirst niemals so ein brillanter Wissenschaftler wie Richard sein, sagte sie und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich ging zu meinem Wagen und holte aus meinem Notfallkoffer mein Skalpell. Ich ging wieder zur Tür. Diana öffnete mir die Tür einen Spalt. Ich drückte sie auf, sah wie Diana nach hinten stolperte und schließlich mit dem Kopf auf den Stufen auf. Danach ging ich zu ihr. Sie blutete stark aus dem Hinterkopf, doch sie war bei Bewusstsein. Sie drohte alles der Öffentlichkeit preiszugeben. Dann nahm ich mein Skalpell und stach zu. Als ich merkte, dass sie tot war, stand Kathrin hinter mir und schrie fürchterlich.“

„UND DANN MUSSTE SIE EBENFALLS STERBEN! EIN UNSCHULDIGES KIND, DAS ZUSEHEN MUSSTE, WIE DU IHRE MUTTER GETÖTET HAST!“, schrie Dr. Möbius.

„Ich wollte sie doch nicht töten. Sie war doch mein Patenkind“, flehte Dr. Alban Kerr verzweifelt.

„Aber dennoch hast du es getan. Und deinem Butler hast du 1.000 Euro für eine Falschaussage gezahlt. Eine Menge Geld. Als er erfahren hat, dass er damit einen Mörder deckt, hat er uns alles erzählt.“

„Was wollt ihr jetzt tun?“, fragte Alban Kerr. „Wollt ihr mich etwa auch töten?“

„Nein. Ich werde nicht zu einem kaltblütigen Mörder, wie du. Im Gegenteil, wir erfüllen dir deinen Wunsch, den du am Abend bevor Diana und Kathrin sterben mussten, mir gegenüber geäußert hast.“

„Welchen Wunsch?“

Kalt blickte Dr. Möbius seinen ehemaligen Vorgesetzten an. „Du wolltest doch, korrigiere mich bitte, wenn ich mich irre, Teil unseres Forschungsteams werden. Die manipulierte DNA, um das Ausbrechen von Tumorzellen zu verhindern. Du erinnerst dich sicherlich?“

„Ja, ja. Natürlich“, entgegnete Dr. Alban Kerr, dem Böses schwante. „Aber was meint ihr mit Teil eures Forschungsteams?“

„Als du bewusstlos warst, haben wir dein Blut analysiert. Keine Sorge, wir haben keine Malignes dort gefunden.“

„Gott sei Dank.“

„Erik, gibst du mir bitte die Spritze“, befahl Doktor Richard Möbius.

Erik reichte seinem Bruder die Spritze, die Richard mit einer milchigen Flüssigkeit aufsog. Dann setzte er diese an und stach sie Dr. Alban Kerr in die Vene des Oberarms. Der ehemalige Vorsitzende schrie auf. „Was war das?“

„Eine mit bösartigen Tumorzellen manipulierte DNA-Probe deinerseits“, antwortete Richard kalt. „Keine Sorge. Du wirst von uns regelmäßig versorgt, schließlich wollen wir die Veränderungen haargenau dokumentieren.“

Die Gebrüder Möbius verließen das Krankenzimmer und ließen den schreienden Dr. Alban Kerr zurück. Seine verzweifelten Schreie verhallten ungehört in den schalldichten Kellerwänden.

Oben im Salon angekommen ließen sich die Brüder auf dem Sofa nieder. „Wie geht es nun weiter?“, wollte Erik wissen.

„Nun, wir werden Dr. Alban Kerrs Werte analysieren und beobachten und wenn wir ihn nicht mehr …“

Das Klingeln des Telefons ließ ihn abbrechen.

„Möbius?“

„Hallo Herr Doktor Möbius, hier ist Hauptkommissar Endres, der die Ermittlungen im Mordfall Ihre Frau und Tochter betreffend leitet, Sie erinnern sich?“

„Ja“, entgegnete Richard ruhig. „Was gibt es, Herr Endres?“

„Nun, wie es aussieht haben sich neue Beweise gefunden.“

„Neue Beweise?“

„Korrekt“, antwortete der Hauptkommissar. „Wir haben die Lackspuren, die wir an der Mauer Ihrer Hofeinfahrt gefunden haben, untersucht und etwas Interessantes herausgefunden.“

Richard hob die Augenbraue. „Fahren Sie fort.“

„Nun wir haben die Probe ins Labor gegeben und ein Ergebnis erhalten. Jeder Autohersteller hat einen eigenen Farbcode. Die offizielle Bezeichnung der gefundenen Lacksplitter lautet Crystal Black Pearl und gehört zu einem Porsche Cayenne. Wir haben daraufhin sämtliche Wagen im Kollegium geprüft und sind fündig geworden.“

„Tatsächlich?“, Richard spielte diese neue Entwicklung überrascht herunter. Er war schon ein Schritt weiter als die Polizei.

„Ja, es handelt sich hierbei um ihren ehemaligen Vorgesetzten, Dr. Alban Kerr. Wir haben sofort einen Durchsuchungs- und einen Haftbefehl genehmigt bekommen. Die Kollegen sind auf dem Weg zum Anwesen.“ Er hielt inne. Auf einer anderen Leitung seines Telefons kam ein Anruf rein. „Entschuldigen Sie, Doktor Möbius, ich bekomme gerade einen Anruf. Warten Sie kurz.“

„Sehr gerne.“ Eine gemütliche Warteschleifenmelodie, die an die Nussknacker Suite erinnerte ertönte. Geduldig wartete Richard bis sich der Hauptkommissar wieder meldete.

„Entschuldigen Sie Doktor Möbius, dass es so lange gedauert hat. Aber, was ich Ihnen jetzt zu berichten habe, wird Sie sicherlich interessieren.“

„Sehr gerne.“

Hauptkommissar Endres räusperte sich. „Nun, ich habe gerade einen Anruf von meinen Kollegen bekommen, die das Anwesen von Dr. Alban Kerr durchsuchen sollten. Dr. Alban Kerr war doch ebenfalls auf der Beerdigung Ihrer Frau und Ihrer Tochter?“

„Das ist richtig“, antwortete Richard wahrheitsgetreu. „Aber er brach früh auf. Wichtige Termine, sagte er zu mir.“

„Nun, der Butler William berichtete meinen Kollegen, dass Dr. Alban Kerr am Abend zurückgekommen sei und relativ schnell zu Bett ging. Als er ihm am Morgen das Frühstück servieren wollte, habe Dr. Alban Kerr das Haus bereits verlassen. Auch fehlten eine Menge Kleidung, zwei Reisekoffer und der silberne Mercedes Benz von Dr. Kerr. Wir vermuten, dass er sich bereits ins Ausland abgesetzt haben könnte. Eine internationale Fahndung haben wir rausgegeben, doch angesichts des Vorsprungs von Dr. Alban Kerr sind die Chancen ihn zu finden, verschwindend gering.“

„Ich danke Ihnen, Herr Endres“, erwiderte Dr. Möbius ruhig. „Viel Erfolg bei der Fahndung.“

„Wir tun unser Bestes. Angenehmen Tag noch“, verabschiedete sich der Kommissar.

„Das wünsch ich Ihnen auch.“

„Wer war das?“, fragte Erik, als Richard aufgelegt hatte.

„Hauptkommissar Endres. Unser Plan ist voll aufgegangen. William hat ganze Arbeit geleistet.“

„Nun ja, 5.000 Euro sind auch kein schlechter Lohn für ihn“, stimmte Erik ihm zu. „Und bei seinem Freund dem Schrotthändler, steht der Mercedes von Dr. Alban Kerr auch nicht schlecht. Es ist gut so ein großes Netzwerk zu haben.“

„Ganz recht. Und eine Festanstellung in meinem Haus. Der arme Kerl ist doch jetzt arbeitslos.“

„Trotzdem verstehe ich nicht. Was ist unser weiteres Vorgehen?“

„Nun ja, wir werden die Malignen beobachten und analysieren, wie sich in Albans Körper entwickeln. Wenn er uns nicht mehr zu Nutze ist, werden wir ihn entsorgen.“

Doktor Möbius

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