Читать книгу Brüder und Schwerter - Marcel Schmickerath - Страница 3
Prolog
ОглавлениеDas All ist wie die See, wild und ungestüm. Und manchmal auch sanft und ruhig.
Wind und Regen lassen die Oberfläche erbeben. Lassen sie Wellen schlagen. Macht aus der scheinbar harmlosen See eine gewaltige Naturgewalt, der nichts und niemand widerstehen kann.
Während die Oberfläche erbebt und ahnungslose Schiffe in die Tiefe reißt, bleibt die Tiefsee unberührt. Doch auch hier trügt der Schein. Auch in der Tiefe lauern Gefahren, die man nicht immer auf den ersten Blick sehen kann.
Was man von seinem Kutter nicht zu sehen vermag, lungert dort unten in der Dunkelheit und wartet geduldig darauf, dass jemand dorthin hinabsteigt. Überall gibt es Löcher und Höhlen, in denen sich Leben verstecken kann, das auf anderes Leben lauert. Überall gibt es Versteckmöglichkeiten für abstruse Ungeheuer.
Neben Grotten und kargen Landschaften, gibt es auch Oasen des Lebens. Bunte Riffe, voller idyllischem Miteinander.
Es sind Schätze der Natur. Und auch, wenn wir sie nicht alle sehen können, so gibt es sie dennoch. Vielleicht sind sie auch gerade deswegen in völliger Harmonie. Wie man es sehen mag, sie verdienen es, vor den Ungeheuern der Tiefe bewahrt zu werden.
Inmitten der finsteren Tiefe dieses Sees, in dem die Riffe aus Planeten bestehen, erleuchtet von den warmen Quellen einzelner Sterne, gibt es auch eine Luftblase, in der sich etwas regt. In einer Luftblase, tief unten im See des Otymp, wohnen die Götter. Von dort aus bewachen sie die See und ihre Riffe. Von dort, wo die Götter wohnen, kann man ein jedes dieser Riffe sehen. Hier hört man das Rauschen des Meeres am deutlichsten.
Ein solches Riff hatte die Form eines Torus und genoss die seichte Strömung, die es umschloss.
Einfach Tunuss, der große blaue Donut, zog sanft seine Bahn um Sol, die Sonne seines Sonnensystems. Begleitet wurde er von seinem Mond, Luna, welcher ihn in Form einer Acht treu umkreiste.
Weya, Göttin des Weizens, blickte über die Schulter auf den Torus herab. Es war ein Jahr her, als sie den See Otymp, Heimatstätte der Götter, verlassen hatte, um auf dem kleinen blauen Planeten wieder für Ordnung zu sorgen.
Sie drehte einen Weizenhalm in ihrer Hand. Ein Jahr. Was war schon ein Jahr für eine Göttin? Ein Jahr war für eine Göttin nicht viel mehr, als ein amüsanter Lidschlag. Für den Weizen jedoch, war ein Jahr mehr, als sein Leben lang war. Er wurde gesät, spross aus dem Boden und genoss ein oder zwei warme Sonnenstrahlen in seinem Leben. Dann wurde er geerntet und verarbeitet. Es war ihr Geschenk für die Bewohner von Tunuss.
Und was war ein Jahr für die, die sie mit ihrem Weizen segnete? Bedeutete für sie ein Jahr genauso wenig wie ihr? Oder ebenso viel wie ihrem Weizen? Vielleicht sogar mehr? Reichte ihnen ein Jahr, um aus ihren Fehlern zu lernen, ihre Gesellschaft neu zu ordnen? Hatten sie einen Weg gefunden, Vergangenheit und Gegenwart im Glanz einer glorreichen Zukunft zu vereinen? Hatten die Einwohner von Sacre ihren Glauben an ihre Göttin, der Göttin, der sie einst ihre Stadt weihten, zurückerlangt? Hatten sich die von ihrem Sohn, dem Fürst der Finsternis, verfluchten Seelen einfinden können? Hatte die ewige Finsternis oder gar ihr Wandeln auf Tunuss einen wesentlich größeren Schaden hinterlassen, als sie es je in Erwägung gezogen hatte?
Sie drehte sich um und richtete ihr Augenmerk auf ihr Spiel. Das Spiel der Götter. Das Spielfeld sah wie das Bild jenseits der Götterblase im See Otymp aus. Nur nahm Tunuss wesentlich mehr Platz darauf ein und kleine Figuren standen auf seiner Oberfläche. In allen vier Himmelsrichtungen war eine Stadt mit dem Namen Sacre abgebildet.
Die Götter spielten. Sie spielten ihr Lieblingsspiel.
Die Würfel fielen.
„So ein Mist, ausgerechnet eine Elf", sprach Aio, Gott des technischen Fortschritts.
Ein Entenkopf in einer Tunika schnatterte schadenfroh. Nack. Nack. Nack.
„Du brauchst nicht zu lachen, Dyck."
Dyck war der Gott derer, die gerne einen Entenkopf hätten. Er so aus wie ein stattlicher Mann mit kräftigen Muskeln, nur eben mit dem Kopf eines Erpels.
Nack. Nack. Nack.
„Er hat recht, dein kleiner freier Händler landet in Sacre", sprach Weya. „Du weißt, was das für dich bedeutet. Denn mir gehört die Stadt seit rund etlichen Jahrhunderten."
Nack. Nack.
„Dies kostet dich weitere einhundert deiner Gläubigen."
„Wie soll das vonstattengehen? Ich nenne keine hundert Gläubigen mehr mein Eigen."
Oink, Herr über die Schweine und deren Priester, wirkte auf den ersten Blick wie ein einfacher Hirte. Doch er hatte es in sich. „Du hattest noch nie einen richtigen Anhänger, Aio. Du bist viel zu bescheiden, um ein Gott zu sein. Die Sterblichen sind viel zu sehr mit dem Fortschritt selbst beschäftigt, als dass sie dich für jenen preisen würden. Solange niemand zu dir aufschaut, bist du für mich kein wahrer Gott des Otymp."
„Wie kannst du so etwas behaupten? Es geziemt sich nicht. Mir gehörte einst das große Fürstentum Bana. Mit all den erfindungsreichen Elfen und Menschen. Mein Reich und meine Sterblichen waren das Mächtigste, das je auf Tunuss wandelte."
„Doch du hast es verloren. Und deine letzten Anhänger - wobei ich sie nicht einmal so nennen mag - sitzen im Wald von Rockwutt und beten einen harmlosen Pflaumenbaum an. Sieh dir die Schweine an. Wie oft am Tag rufen sie meinen Namen? Selbst Barbaren ehren ihre Gottheiten und verspotten sie nicht. Du solltest dieses Spiel aufgeben, Aio. Du hast bereits zu viel verloren."
„Oink! Tadel ihn nicht!" Die Göttin des Weizens suchte einen Weg die anbahnende Diskussion zu umgehen. Eine Auseinandersetzung zwischen Göttern konnte für einen jeden schwerwiegende Folgen mit sich ziehen. Der dreiunddreißigeindritteljährige Krieg, vor über dreihundert Jahren, war da nur ein Puppenspiel gewesen.
Nack. Nack?
„Es erfüllt mich mit Trauer, Dyck, dass auch du deine Tempel in Sacre verlierst. Aber so sind nun einmal die Spielregeln. Es ist meine Stadt."
Nack?
„Ich werde darüber nachdenken. Es ist möglich, dass ich dir deine große Quietscheente gestatte. Wenn es den Frieden unter uns Göttern bewahrt, so soll es so sein. Dann sollst auch du, Aio, da ich für meine Milde unter den Sterblichen bekannt bin, dieses eine Mal Aussetzen."
„Das ist gegen die Regeln! Die Hexen des Tartaros sollen dich richten, Weya!"
„Es ist amüsant, gerade von dir solche Worte zu vernehmen, Oink. Wo du doch nie Wert auf Regeln legst. Ich erinnere dich nur zu gerne an die Asse in deinem Ärmel während unseres Kartenspiels. Doch auch dir bleiben ein paar der Hirten und all die Schweineställe in deinem Namen erhalten."
Die letzten Worte eröffneten eine offene Debatte unter den Gottheiten. Jeder forderte nun einen Teil seiner Macht in dem kleinen Reich aufrecht erhalten zu dürfen. Denn jeder von ihnen hatte über die Jahrhunderte hinweg mindestens einen ihrer Tempel dort erbauen können. Niemand wollte nun auf eben Diesen verzichten.
So auch Pfosten, Herr der Vorschlaghammer. „Die Schmieden sind mein!" Der graubärtige Gott schlug mit einem immensen Hammer auf den Boden. Die Götterblase erbebte unter der Wucht des Hammers. Blitze zuckten hervor. Der Boden riss in Zwei und mit ihm ein paar der Säulen.
„Also gut", sprach die Göttin. „Ein jeder darf einen Teil seiner Gläubigen bewahren. Doch wisset, dieses Reich ist das Meinige. Nicht das Eure."
Dyck stimmte ihr bei. Immerhin gab es noch weitere Reiche auf Tunuss. Und einige waren wesentlich vielversprechender für einen Erpel, der kurz vor der Mauser stand. Er dachte an den Schnattersee, was für eine traumhafte Landschaft und dieses beruhigende Blau. Er sollte dort noch einmal schwimmen gehen, am besten wartete er, bis Issi dort einkehrte. Eine wunderschöne Gottheit, die jedoch auch eine dunkle Seite hatte. Vor allem dann, wenn sie den Erpel beim Baden erwischte. Leider spielte Issi nicht gerne mit ihnen, sie spielte lieber ihr eigenes Spiel.
„Aber", räumte Weya ein, „die Tempel, die durch die Ereignisse im letzten Jahr so stark beschädigt sind, dass sie einzustürzen drohen, sollen abgerissen werden, um keine Sterblichen zu gefährden." Als niemand ihren Worten widersprach, nahm sie die Würfel zur Hand und ließ sie über das Spielfeld rollen. Als sie gefallen waren, brach ein lautes Stöhnen unter den Göttern aus.
„Eine Sieben?", wunderte sich Aio. „Du kannst doch nicht schon wieder in Sacre landen. Willst du dort etwa noch mehr Tempel errichten lassen? Du könntest ruhig auch mal auf Drako landen…"
Sie setzte die Kapuze auf ihr blondes Haar. „Oink, bitte halte während meiner Abwesenheit meinen Sohn Rüdiger im Auge." Sie wandte sich ab und blickte erneut auf den Planeten jenseits der Götterblase herab.
Ein Jahr. Was hatte sich in einem Jahr dort unten geändert? Konnte sie es wagen noch einmal nach dem Rechten zu sehen?
Weya löste sich in Licht auf. Ein Schwarm goldig glänzender Käfer machte sich auf in Richtung Tunuss. Die Neugierde trieb den funkelnden Schwarm an.
Ein schwaches Kichern war zu hören, als sie an den kleinen Mönch mit dem beinahe kahlen Kopf dachte.