Читать книгу Zahlen der Magie - Marcel Schmickerath - Страница 3
Prolog
ОглавлениеDie meisten Geschichten, die das Leben schreibt, beginnen mit einer Geburt. Nur die Seltensten kommen ohne eine solche aus. Auch diese Geschichte begann mit einer Geburt. Dabei ist bei dieser Geburt fast alles bestens und völlig nach Plan verlaufen, zumindest, wenn man Schwester Britta fragte, die nicht nur Krankenschwester zu dieser Zeit, sondern auch für die Statistik des Krankenhaus zuständig war. Und Statistiken waren sehr wichtig, wenn die Statistik stimmte, dann stimmte alles. Demnach stimmte bei dieser Geburt einfach fast alles.
Das erste Krankenhaus auf Tunuss war das St. Dingens. Das St. Dingens hatte eine ruhige und zentrale Lage innerhalb der Stadt Drako und wurde aufgrund der guten Bewertungen von den Eheleuten Herr und Frau Zartbitter, ein junges Paar voller inniger Zuneigung und Liebe, ausgewählt. Und auch, wenn fast alles nach Plan verlief, verlief manches fast nicht nach Plan.
Dabei begann alles ganz harmlos, als Herr Zartbitter am morgen - er erinnerte sich ganz genau, dass es ein Dienstag war, obwohl es ein Mittwoch war - eine Tasse Kaffee aufbrühte, zu der er jedoch nicht kommen sollte. Denn die Wehen seiner Frau setzten viel früher als erwartet ein. Ausgerechnet war sie für die ersten Tage im Jahr des springenden Lamas. Doch auch Mutternatur konnte sich einmal verrechnen und so geschah es in den letzten Tagen im Jahr des stacheligen Hasen. Herr Zartbitter wusste, es ging um jede Sekunde. Er schüttete den Kaffee, den er beinahe getrunken hatte, aus und packte seine Frau in seine Kutsche. Dann rasten er mit ihr nach Drako, wo man sie im Krankenhaus St. Dingens freudig am Empfang begrüßte. Schwester Britta führte sie, nach einem kurzen Aufenthalt im Wartezimmer, das an diesem Tag überfüllt war und wo jeder leicht schockiert die schreiende Frau Zartbitter ansah, in den Kreißsaal des St. Dingens. Es war ein sehr sauberer Raum, ein steriler Raum ohne Ecken und ohne Kanten. Selbst die Wände waren nach außen gebogen worden. Der kreisförmige Raum wirkte beruhigend auf Frau Zartbitter, die sich auf das Bett in der Mitte des Raumes setzte. Es war wissenschaftlich als erwiesen worden, dass Kreißsäle kreisrund sein sollten. Entsprechende Studien dazu konnte Schwester Britta bei Nachfragen vorzeigen. Sogar fast immer.
„Machen sie sich keine Sorgen“, beruhigte sie Schwester Britta. „Doktor Krumm ist gleich bei ihnen. Keine Sorge, alles wird gut.“ Für Schwester Britta war es wichtig, das zu betonen. Es gehörte einfach dazu. Eine wichtige Regel, damit alles gut werden würde, war es, es oft genug zu sagen.
Wenige Augenblicke später, nach dem der Ein oder Andere das Wartezimmer wieder verlassen hatte, weil er plötzlich doch gesund war, betrat Doktor Krumm den kreisrunden Saal, in dessen Mitte Frau Zartbitter sich krümmte und schrie.
Herr Doktor Krumm war ein ausgezeichneter Arzt und der Beste Chirurg, den das Königreich Dego zu bieten hatte. Allerdings waren seine Kollegen gerade anderweitig beschäftigt. Er erhoffte sich, Frau Zartbitter durch die Anwesenheit eines Facharztes beruhigen zu können.
„Herr Doktor“, flehte Herr Zartbitter. „Bitte helfen sie meiner Frau!“
Doktor Krumm legte ihr eine Hand auf die Stirn, das wirkte in den meisten Fällen beruhigend, dann sah er sich nach Schwester Britta um, die ihm mit einem Nicken zu verstehen gab, dass sich die Amme bereits auf den Weg zu ihnen befand. „Sind sie sicher, dass sie dabei bleiben wollen?“, fragte er Herrn Zartbitter.
„Ich lasse sie nicht allein“, sagte der Mann. „Wir stehen das gemeinsam durch.“
Schwester Britta zweifelte nicht an den Fähigkeiten der Chirurgie, allerdings zog sie es vor, Schwester Ursula hinzuziehen.
Eine junge Elfe in rosa Gewand betrat mit ihr den Kreißsaal und stellte sich zu Frau Zartbitter ans Bett. Frau Zartbitter drückte ihre Hand derart fest zusammen, dass sie Angst hatte, sie würde unter dem Druck zerbrechen. „Wir brauchen Heilkräuter“, sagte sie. „Gegen die Schmerzen.“
Schwester Britta rannte sofort los. Die ungeduldigen Patienten im Wartezimmer blickten ihr hinterher. Kurz darauf kam sie mit einem Floristen zurück in den Saal, der verschiedene Bündel Kräuter zur Auswahl bei sich trug.
Die Elfe nahm gezielt eines davon und griff nach dem Mörser.
„Wir brauchen Musik“, sprach Herr Doktor Krumm, er hatte das Gefühl etwas tun zu müssen.
Schwester Britta brachte einen Schamanen in den Kreißsaal. „Etwas anderes habe ich nicht gefunden“, entschuldigte sie sich.
„Vielen Dank“, bedankte sich Herr Doktor Krumm und wies den Schamanen an, etwas zu singen.
„Aber“, gestand Al Dadda. „Ich wegen Rauschen hier.“ Nach einem fragenden Blick des Arztes fügte er hinzu: „Wenn singen.“ Nach einigem hin und her ließ man den Schamanen tanzen und singen. „Ubba Dubba, Ubba Dubba“, sang Al Dadda, wobei sich ein Rauschen unter seine tiefe Stimme mischte.
Herr Zartbitter sah den Arzt irritiert an. „Es wird reichen“, beruhigte er ihn. „Machen sie sich keine Sorgen.“
Derweil hatte Schwester Ursula die Kräutermischung fertig und gab Frau Zartbitter einen kleinen Schluck davon. Sie wurde etwas ruhiger und Al Dadda konnte etwas leiser singen. So hörte man das Rauschen nicht allzu sehr.
Dann ging alles ganz schnell.
„Die Socken“, rief der Florist und zeigte aufgeregt auf Herrn Zartbitter.
Schwester Ursula verzog entsetzt das Gesicht. „Sie sind auf links gedreht“, entfuhr es ihr. „Schnell, Schwester Britta.“ Sie deutete der Schwester an, dem Mann zu helfen, ehe es zu spät war.
„Es ging alles so schnell heute morgen“, suchte Herr Zartbitter nach einer Rechtfertigung. Die Schwester beruhigte ihn, sie mussten es nur schaffen, die Socken zu korrigieren, ehe das Kind zur Welt kam. „So etwas verursacht ein dunkles Omen“, sagte sie.
Doktor Krumm fiel zu Boden und Schwester Ursula ließ Frau Zartbitter einen kurzen Moment allein. Dann mahnte sie Herrn Zartbitter, sich mit den Socken zu beeilen und sandte Schwester Britta noch einmal hinaus einen Arzt zu holen.
Wieder folgten die Patienten hinter der Scheibe den Schritten der Krankenschwester, bis sie mit einem Zwerg in einem weißen Kittel erneut im Kreißsaal verschwand. Doktor Druff war Spezialist für Narkosen und wusste, wie er Doktor Krumm wieder zu Bewusstsein bringen konnte.
„Die sind wieder falsch herum!“, rief Schwester Ursula und wies Schwester Britta an, dem Mann mit den Socken zu helfen, solange sie noch Zeit hatten.
Es war übertrieben, zu sagen die Erde hätte gebebt, als sich die Amme dem Kreißsaal näherte, aber die kleine stämmige Frau hinterließ Eindruck, als sie an den Patienten im Wartezimmer vorbei stampfte. Es war nichts Ungewöhnliches, denn im St. Dingens glaubte man, bei Hebammen war es eher von Vorteil, wenn sie standfest waren. Je kräftiger sie waren, desto angesehener waren sie. Und Schwester Ruck vermittelte eine Menge Respekt. Mit nur einem Blick durchschaute sie die Lage im Kreißsaal und brüllte Herrn Zartbitter an, sich mit seinen Socken zu beeilen, dann beruhigte sie seine Frau und half ihr.
Kaum zeigte sich der Kopf des Kindes, erlosch das Licht und Al Dadda hörte für einen kurzen Augenblick auf zu singen und zu tanzen.
Schwester Britta rief nach einem Handwerker, der sich um die magischen Lampen im Kreißsaal kümmern sollte. Sie hatte gerade einen Kobold hereingeführt, da sagte Schwester Ursula: „Und einen Klempner, der Wasserhahn ist aus der Wand gesprungen.“
Als Schwester Britta mit dem bärtigen Hausmeister in den Kreißsaal trat, war der kreisrunde Saal voller Leute. Auch einige der Patienten aus dem Wartezimmer waren hinzugekommen und spürten, das etwas Höheres am Werk war.
Schließlich war das Licht wieder in Ordnung, ein neuer Hahn angeschraubt, Herr Doktor Krumm wieder bei Bewusstsein und auch der Florist lächelte, als der Schamane aufhörte zu singen.
„Es ist ein Mädchen“, sagte Schwester Ruck und legte Frau Zartbitter die Kleine in den Arm.
Herr Zartbitter zog seine Socke hoch und näherte sich vorsichtig seiner Frau. „Habe ich es geschafft?“, fragte er mit schwacher Stimme.
„Ich denke schon“, beruhigte ihn Schwester Britta. „Alles ist gut verlaufen.“
„Nur für den Fall“, sprach Schwester Ruck. „Geben sie der Kleinen einen Namen, der das Böse fernhält. Wegen der Socken, sie verstehen sicher.“
Herr Zartbitter nickte euphorisch und gab seiner kleinen Tochter einen Kuss.