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Kapitel 3

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Romeo Tenner blinzelt verschlafen aus dem Fenster seines Wohnwagens. Schönes Wetter! Er beschliesst, den Tag mit einer Runde entlang dem Hafen zu beginnen. Für Andere hat der Tag schon längst begonnen, aber Tenner findet es nutzlos, vor zehn Uhr bei den Kumpanen aufzutauchen, denn erst dann sind alle Neuigkeiten der vorangehenden Nacht bei ihnen angelangt.

Schnell ist er angezogen, kurze Hose, Shirt und Sneakers genügen. Wären seine grauen Haare und sein Bart nicht etwas zerzaust gewesen, hätte man ihn, mit seiner randlosen Brille auf der Nase, gut und gern für einen vorzeitig pensionierten Lehrer halten können.

Die Touristen, die in dem grossen Restaurant am Rande des Hafenviertels im Freien ihren zweiten Morgenkaffee trinken, können ihn nicht recht einordnen. Ist er einer der ihren, oder ein Ortsansässiger? Die kleine Gruppe, die in der Nähe der Bar sitzt und aus ziemlich heruntergekommenen Gestalten besteht, kennt ihn: „Hola Romeo, auch schon aufgestanden?“, rufen sie ihm entgegen.

Die Stimmung scheint an diesem Morgen besonders angeregt zu sein. „Hast du schon gehört?“ – „Wovon?“, antwortet der Angesprochene. „Von dem Leichenfund am cami de muro“, ruft der Anführer der Gruppe. Der Barmann schaut neugierig zu der Gruppe hinüber. Die Touristen verstehen die Sätze nicht, die in schnellem Mallorquinisch gesprochen werden, und fragen sich höchstens, weshalb die Gruppe wohl so aufgeregt redet. „Da werden wohl die Lokalereignisse besprochen“, meint einer der deutschen Touristen zu seinem Nachbarn und trinkt seinen Kaffee aus. „Komm, wir gehen weiter“, meint er, „hier ist es mir zu laut.“

„Die Leiche soll eine Frau gewesen sein“, sagt Pedro, dessen gute Beziehungen zur Polizei den Andern immer etwas unheimlich sind, wichtigtuerisch. „Mit blonden Haaren“, fügt er an. „Du, Romeo, stehst doch auf Blondhaarige, hast du etwa dein Liebchen umgebracht?“. Alle lachen, nur Romeo nicht. „Wie kommst du bloss auf so etwas. Du hast eine schmutzige Fantasie“, murmelt er.

Romeo Tenner, der Strassenmaler, bietet tatsächlich vor allem blonden Touristinnen an, ihr Porträt innerhalb einer halben Stunde auf die Leinwand zu zaubern. Ist es die heimliche Sehnsucht nach der hinter sich gelassenen Schweizer Heimat, wo es diesen zarten, blondlockigen Typ von Frauen gab, der ihm so gefiel, die ihn Blonde bevorzugt ansprechen lässt?

Die Kumpane johlen. „Sogar ihr Bild hast du in deinem Wohnwagen aufgehängt“, ruft einer. „Und wolltest uns nie sagen, wer das ist.“

„Das weiss ich doch auch nicht“, erwidert Tenner. „Meint ihr, ich führe ein Verzeichnis meiner Kunden? Das bringt ja nichts. die lassen sich in den Ferien von mir malen und dann bin ich vergessen“, fügt er an, mit einer gewissen Bitterkeit in der Stimme.

Die Kumpane wenden sich, nach einigem Raten über die Leiche, andern Themen zu. Nur Pedro schaut ihn nachdenklich an. „Ich muss weiter“, sagt Tenner, und steht auf. „Willst du keinen Kaffee?“, ruft ihm der Barmann nach. „Heute nicht“, erwidert er, „ich muss noch Farben kaufen“, sagt er als Begründung für sein frühes Aufbrechen.

Die Wahrheit ist jedoch, dass er allein sein will mit seinen aufkommenden Gedanken zur gefundenen Leiche. Er verschwindet in den dämmrigen Gassen des Hafenviertels und setzt sich dort vor eine kleine Cafeteria, wo ihn niemand kennt, und bestellt einen Kaffee.

Er wird in Verdacht geraten, überlegt er sich, nicht nur wegen seiner Bilder von blonden Frauen, sondern auch, weil er sich manchmal in der Nähe des Tatorts aufgehalten hatte und sehr wohl hätte gesehen werden können.

Er kennt die Hübners und ihre Finca. Er hatte ihre Bekanntschaft gemacht, als er Sabine malen wollte. Sie spazierte mit Martin zusammen am Hafen und kam an dem kleinen Platz vorbei, wo er seine Kunden einfing. Sie lachte freundlich über sein Angebot, sagte, sie male doch selber und wäre auch froh, ihre Bilder zu verkaufen. Sie plauderten über dies und jenes und waren bald gute Bekannte.

Als Tenner einmal kein Geld hatte, bat er Martin, ihm auszuhelfen. Der bot ihm an, die Johannisbaumfrüchte auf der Finca zu ernten und sie auf eigene Kosten zu verkaufen. Die herabfallenden Früchte wurden von den zwei Pferden, die frei herumliefen, gefressen und verursachten ihnen Magenbeschwerden.

Romeo Tenner erklärte sich, zwar ungern, dazu bereit und half in der Folge ab und zu in der Hübner–Finca bei kleinen Arbeiten aus und erhielt eine angemessene Bezahlung.

Gerne machte er solche Einsätze nicht, er hasste körperliche Arbeit, fand sie seiner unwürdig. Er verstand sich als Künstler, hatte ja sogar einmal Kunst studiert. Dass er auf Andere eher wie ein Clochard wirkte, verdrängte er so gut wie möglich.

Die Hübner-Finca lag drei Kilometer vom Städtchen entfernt, die legte er jeweils zu Fuss zurück, denn er war nicht motorisiert. Als Fussgänger auf dem cami de muro, der in der Nähe des Leichenfundorts durchführte, hätte er anderen Passanten auffallen können.

Der eindringliche Blick, mit dem ihn Pedro betrachtet hat, hat ihm nicht gefallen. Wer weiss, was der der Polizei erzählen würde. Tenner beschliesst, proaktiv ( das Wort hat er kürzlich aufgeschnappt ) zu handeln.

Er schlendert langsam zur Polizeistation und bevor er hineingeht, wirft er einige Blicke um sich um zu prüfen, ob ihn auch niemand sieht, der ihn kennt.

In der Polizeistation gehen Polizisten ein und aus und zuerst beachtet ihn niemand. Erst nach einer Viertelstunde bequemt sich einer der Beamten zur Frage: „Was wollen Sie?“

„Ich möchte eine Aussage machen zum Leichenfund von heute Morgen“, sagt er höflich.

Der Beamte schaut ihn erstaunt an. „Woher wissen Sie, dass eine Leiche gefunden wurde?“

„Das weiss doch hier schon Jeder“, erwidert Tenner und bemüht sich, nicht allzu frech zu wirken.

Der Beamte steht auf und verschwindet in einem Zimmer, das mit Comisario Antoni Hernandez angeschrieben ist und aus dem angeregtes Stimmengewirr erschallt. „Kommen Sie“, sagt er kurz angebunden zu Tenner und führt ihn hinein.

Kommissar Hernandez sitzt an einem mit Papieren und Computer-Bildschirmen überladenen Tisch und schaut ihn fragend an.

„Ich möchte eine Aussage machen“, sagt Tenner auf mallorquinisch. Der Kommissar soll nur gleich merken, dass er sich hier auskennt.

„Sprechen Sie spanisch“, erwidert der mürrisch und betrachtet ihn abschätzig.

Ach so, kein Einheimischer, denkt Tenner, dann muss ich etwas weiter ausholen. Zuerst möchte ich aber wissen, wie es so läuft. „Bekomme ich eine Belohnung, wenn meine Aussage zur Aufklärung des Mordes verhilft?“, fragt er.

„Wie kommen Sie darauf, dass es ein Mord war?“, fragt sein Gegenüber misstrauisch, „und bitte halten Sie mich nicht auf, wenn sie nur etwas herausschinden wollen mit unnützen Angaben“.

Ein Ermittler sollte nicht so abweisend sein, denkt Tenner, es könnte ihn sonst einiges entgehen. Er gibt sich einen Ruck. „Wollen Sie jetzt hören, was ich zu sagen habe?“

„Schiessen Sie schon los“, fordert ihn der Kommissar auf, während er auf einen der Bildschirme starrt. Die Polizistin, die an einem der anderen Tische sitzt, weist er an: „Frau Barceló, protokollieren Sie.“

„Also, ich besuche manchmal die Hübners auf ihrer Finca, die am cami de muro liegt. Und da habe ich einmal auf der benachbarten Finca blonde Frauen gesehen“, beginnt Tenner zu erzählen.

„Ach was, blonde Frauen“, sagt Hernandez ironisch, „wann war das denn?“

„Das war im letzten Herbst, etwa im Oktober“, erwidert Tenner. „Und einen Mann habe ich auch gesehen. Es ist mir aufgefallen, dass dieser Herr einmal mit der einen blonden Dame, eine anderes Mal mit der anderen blonden Dame im Hafenviertel herumspazierte.“

„Weshalb haben Sie die Nachbarn der Hübners so genau beobachtet?“, will der Kommissar wissen.

Tenner hört einen leichten Druck bei dieser Frage heraus und erklärt wortreich, dass er halt ein Malerauge hätte und alles im Kopf speichere, was er sähe und ja, er hätte eben eine Schwäche für blonde Frauen, der Kommissar könne das wohl verstehen?

Der weiss nicht recht, ob der Mann, der vor ihm steht, einfach etwas faselt, – aber dass der Maler von zwei verschiedenen blonden Frauen spricht, sollte er wohl nicht ignorieren.

Tenner erinnert sich daran, dass er proaktiv vorgehen will und fährt fort: „Eine der blonden Frauen liess sich von mir malen.“

Hernandez betrachtet ihn mit mehr Aufmerksamkeit als vorher.

„Aber sie holte das Bild nicht ab und deshalb fiel es mir auf, als der Mann eine Woche später mit einer anderen Blondine vorbeispazierte“, sagt Tenner.

„Was haben Sie mit dem Bild gemacht?“, will der Kommissar wissen.

Tenner erklärt ihm, dass es gelegentlich vorkomme, dass bestellte Bilder nicht abgeholt würden. Diese verwende er dann für seine Werbung, er stelle sie auf dem Platz, wo er arbeite, auf.

„Dann kann man das Bild der blonden Frau dort besichtigen?“, fragt der Kommissar.

„Nein, es ist jetzt nicht mehr dort, ich wechsle jeweils die Ausstellung und das Bild der blonden Frau von der Finca ist jetzt in meinem Wohnwagen“, erläutert Tenner weiter und nimmt sich vor, es nach der Heimkehr gleich von dem Platz über seinem Bett abzuhängen, bevor die Polizei bei ihm vorbeikäme. Es soll nicht aussehen, wie wenn ihm das Bild etwas Spezielles bedeuten würde.

„Danke, für heute habe ich genug gehört“, sagt Hernandez, nun etwas freundlicher, „ Frau Barceló wird das Protokoll ausfertigen, Ihre genauen Personalien aufschreiben und Sie müssen unterzeichnen“. Er wendet sich wieder seinem Bildschirm zu.

„Warten Sie im Vorraum“, sagt die Polizistin, während sie ihren Kaugummi hin- und herschiebt und öffnet die Türe.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragt Tenner und bekommt zur Antwort: „Das werden wir sehen.“


Kommissar Hernandez hat das Meeting auf den Abend angesetzt, auch wenn Marta Barceló ihren Computer schon früher demonstrativ heruntergefahren hatte. „Ich muss meine Tochter vom Kindergarten abholen“, hatte sie gesagt.

„Ja, dann machen Sie das und kommen Sie auf neunzehn Uhr zurück “, hatte er ungerührt geantwortet.

Um neunzehn Uhr dreissig trifft sie ein und vervollständigt das Team, das ab neunzehn Uhr langsam eingetrudelt ist. Ausser der Polizistin sind noch die zwei Kriminaltechniker anwesend, die nach dem Leichenfund zum Schauplatz gerufen wurden.

„Wir wollen einen ersten Überblick über den Fall erhalten und aufzeichnen“, erklärt Hernandez und stellt sich neben die Flip-Chart. „Wer könnte alles in den Fall verwickelt gewesen sein?“

Marta Barceló nimmt die Gästelisten der vergangenen sechs Monate zur Hand, die der Kommissar von den Besitzern der Fincas der Umgebung des Fundortes verlangt hat.

„Wie viele Namen?“, fragt der Kommissar. Die Polizistin beginnt zu zählen.

„ Die Leiche lag sicherlich mehr als drei Monate am Fundort“, wirft einer der Kriminaltechniker ein. „Wir könnten uns auf die drei vorangehenden Monate konzentrieren“, schlägt er vor und fügt, als er den gehässigen Blick Barcelós bemerkt, hinzu: „Natürlich wissen wir es erst genauer, wenn die von der Rechtsmedizin in Palma ihre Untersuchungen abgeschlossen haben.“

„In den drei vorangehenden Monaten sind es etwa dreissig Gäste samt Familie oder Begleitung, die dort waren“, sagt die Polizistin. „Alle haben ausländische Wohnadressen.“

„In welchen Ländern?“, fragt Hernandez.

Barceló schiebt ihren Kaugummi auf die andere Seite ihres Mundes und fährt mit zählen fort.

„Nur die Ländernamen“, sagt der Kommissar ungeduldig.

„Sie kamen vornehmlich aus Deutschland und einige aus der Schweiz, aus Österreich und England“, erklärt sie.

Dem Kommissar dämmert es, dass nur schon eine umfangreiche Arbeit auf ihn wartete, bis die Identität der Toten ermittelt sein wird.

Er sagt: „Aufgrund der Fundumstände gehen wir davon aus, dass die Todesursache auf einem Verbrechen beruht.“, sagt er. „Unter den dreissig Feriengästen kann nicht nur das Opfer sondern auch der Täter sein“, fährt er weiter, „dann sind natürlich auch sämtliche Besitzer der Fincas in der Umgebung verdächtig und deren Angestellte.“

Das wird ein grosser Fall, schiesst es ihm durch den Kopf. Man wird auf mich aufmerksam werden. „Wir werden Verstärkung brauchen“, meint er.

„Selbstverständlich muss es auch nicht heissen, dass der Täter aus dem genannten Personenkreis stammt“, fährt er mit seinem Monolog fort, „er könnte auch aus der weiteren Umgebung kommen. Ein Kerl hat sich bereits gestern gemeldet, der den Verdacht von sich abweisen wollte. Wie heisst noch der Mann, Barceló?“

Sie scrollt auf ihrem Bildschirm nach dem gestrigen Protokoll. „Romeo Tenner, ein Strassenmaler aus der Schweiz“, antwortet sie.

„Über den müssen wir auch mehr in Erfahrung bringen“, ergänzt Hernandez und schliesst das Meeting mit der Aufforderung: “Ab morgen wird hart gearbeitet!“


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