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A wie Adipositas
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Adipositas ist krankhaftes Übergewicht. Sie ist genau so eine Krankheit, wie die Sucht nach Alkohol, Zigaretten, Drogen oder Glücksspiel. Aber sie ist schlimmer. Ein Mensch kann problemlos ohne Alkohol, Zigaretten, Drogen oder Spiele leben, doch Essen benötigt man zum Leben. Und ab einem bestimmten Punkt ist es für einen Menschen nicht mehr möglich, ohne Hilfe die richtige Balance zwischen dem zu finden, was man braucht oder was zum normalen Genuss, den sich jeder gerne gönnt, noch vertretbar ist und dem, was ihm schadet, zu finden. Die Gesellschaft sieht das leider anders. Süchtige sind krank, Übergewichtige - oder wie man sie ungestraft nennen darf - Dicke und Fette sind faul, unbeherrscht und allein Schuld an ihrer Situation. Man darf sie beleidigen, beschimpfen, ihnen den Zugang zu Arbeitsplätzen, schöner Kleidung, Freizeitaktivitäten, Liebe und Glück verwehren.
A wie Antragstellung
Die Kostenübernahme für eine bariatrische Operation, so lautet der Fachbegriff, muss von der Krankenkasse genehmigt werden. Der Weg bis zur Antragstellung ist nicht leicht und in der Regel lang. Die Patienten müssen in der Regel ein so genanntes MMK absolvieren, d.h. ein halbes Jahr lang Ernährungsberatung, Psychotherapie und Sport nachweisen. Es werden Ernährungsprotokolle, psychiatrische Gutachten, medizinische Untersuchungen, Arztberichte und ein ausführlicher Lebenslauf über bisherige Abnehmversuche und die Gewichtsentwicklung gefordert.
A wie die Armlehnen von Stühlen
In der Selbsthilfegruppe sagen wir Neuen, dass sie ihr erstes Erfolgserlebnis haben werden, wenn sie zum ersten Mal problemlos auf den Stühlen dort sitzen können. Und es stimmt. Was habe ich diese nutzlosen Teile mein ganzes Leben lang verflucht, die doch nur einen Zweck zu haben scheinen, nämlich den, übergewichtige Menschen zu quälen. Einen wirklichen Sinn habe ich darin immer noch nicht erkannt, auch wenn ich längst jeden Stuhl problemlos nutze.
Als ich aufwache, fällt mein erster Blick auf eine Uhr an der Wand. Sie zeigt neun Uhr an und ich wundere mich. Hat denn die Operation so lange gedauert? Die Vorbereitung begann gegen Mittag und jetzt sind schon neun Stunden vergangen? Erst als sich eine Schwester an meinem Mund zu schaffen macht und langsam etwas daraus heraus gleitet bemerke ich den Schlauch, der da gerade noch steckte. Ich muss ein bisschen husten, aber weht tut nichts und mir ist auch gar nicht schlecht, wie ich es erwartet hatte. Ich wende den Kopf zu der Schwester, die gerade einen Infusionsbeutel wechselt und frage, ob es tatsächlich schon einundzwanzig Uhr ist. "Nein", sagt sie, "die Operation war gestern, es ist schon neun Uhr morgens."
Kurz darauf kommt die Visite und ich erfahre, dass man mich noch über Nacht in Narkose und mit künstlicher Beatmung lassen musste, weil ich Probleme mit der Atmung hatte. Genaueres erfahre ich nicht und ich bin mir bis heute auch gar nicht sicher, ob ich es wirklich wissen will. Aber egal.
Es ist also nicht Freitag der 12. April um 21 Uhr abends, sondern Samstag der 13. April um 9 Uhr morgens. Und mir geht es gut. Wie gesagt, ich habe keine Schmerzen, mir ist nicht schlecht, müde bin ich noch und mir ist langweilig. Wann fangen die wohl mit den Sitz- und Gehübungen an, von denen im Forum geschrieben wurde, dass sie noch am Operationstag statt finden? Hunger habe ich keinen - und auch keinen Durst. Das EKG piepst vor sich hin und ich nicke immer mal wieder kurz ein, um kurz darauf von einer Schwester wieder geweckt zu werden. "Frau Schaafberg, Sie müssen atmen!"
Ja was will sie denn von mir? Atmen kann ich seit meiner Geburt. Damit hatte ich doch nie Probleme. Oder doch? Schnell habe ich heraus, dass der Alarmton, der mich bald abwechselnd mit den Schwestern weckt, anzeigt, dass meine Sauerstoffsättigung mal wieder zu stark gesunken ist. Also beschäftige ich mich damit, die Anzeige der Vitalwerte zu beobachten, ob sie auch sinkt, wenn ich wach bin. Erwähnte ich schon, dass mir langweilig ist? Und zu schlafen traue ich mich schon gar nicht mehr.
So beginnt der erste Tag meines neuen Lebens.