Читать книгу Mami Bestseller 2 – Familienroman - Marianne Schwarz - Страница 3

Оглавление

Dorothee lächelte ihrem Spiegelbild zu. Ihr gefiel, was sie dort sah, und ihre Kleidung, fand sie, war nahezu perfekt. Sie trug ein ganz ausgezeichnet geschnittenes schwarzes Etuikleid, und darüber – ohne Frage ein Hauch von Extravaganz – ein sogenanntes Chasuble, also ein vorn offenes, gerade geschnittenes langes westenähnliches Überkleid mit hohen Seitenschlitzen. Dieses Chasuble aus zartem, transparentem Stoff schimmerte silbern, je nach Lichteinfall mehr oder weniger intensiv, und war mit eingewirkten silberglänzenden Ranken überzogen.

Äußerst effektvoll, fand Dorothee, und sehr gut harmonierend mit ihrem rötlich blonden Haar, das zu einer flotten Kurzfrisur geschnitten war. Dorothee drehte sich noch einmal vor dem hohen Spiegel und betrachtete sich dabei äußerst kritisch. Auch dann war sie noch mit sich zufrieden, und das war ein gutes Gefühl. Dieses Kleid hatte sie eigens für diesen Abend gekauft, und sie hatte wohl gut gewählt. Aus dem Spiegel blickte ihr eine elegante, damenhafte Erscheinung entgegen, relativ groß und schlank. Das zweiteilige Kleid ließ die gute Figur erahnen und umspielte doch das sich bereits rundende Bäuchlein, zu dem Dorothee sich noch nicht bekennen wollte. Jedenfalls nicht so direkt. Sie wollte Rufus erst vorbereiten. Und zwar heute, das hatte sie sich vorgenommen. Nach der Oper. Wenn sie, wie üblich, den Abend in der eleganten Bar ausklingen lassen würden.

Wie üblich – wie das klang! Dorothee verzog etwas selbstironisch den perfekt geschminkten Mund. Geschlagene vier Wochen hatte Rufus Toelken nichts von sich hören lassen. Und diese Einladung zur Oper war dann ziemlich unvermittelt gekommen. Natürlich ohne ein entschuldigendes Wort bezüglich des langen Schweigens. Eigentlich ziemlich kränkend. Aber das war typisch für Rufus Toelken, den gefragten und viel beschäftigen Münchener Staranwalt, und Dorothee hatte sich vorgenommen, nicht gekränkt zu sein. Ein Mann wie Rufus Toelken war eben so.

Und im übrigen – nach diesem Abend würde sich sicherlich einiges ändern.

Dorothee war sich da ganz sicher. Und sie freute sich. So lag auf ihrem aparten Gesicht, ihr unbewußt, ein hübsches Lächeln, als sie den Waschraum der Oper verließ.

Draußen wartete Rufus Toelken. Er war in der Tat eine blendende Erscheinung. Der Smoking saß wie angegossen, und Rufus trug ihn so, als käme eine andere Art der Kleidung für ihn überhaupt nicht in Frage. Ein markantes, dezent gebräuntes Gesicht, kühle graue Augen, perfekt geschnittenes dunkles Haar mit ganz leicht angedeuteten grauen Schläfen – kurz genau das, was man landläufig einen interessanten Mann nennt. Dorothee war ehrlich genug, sich selbst gegenüber einzugestehen, stolz darüber zu sein, daß dieser Mann dort auf sie wartete. Daß er ihr Begleiter an diesem heutigen Opernabend war, und auch sonst…

Rufus Toelken hatte sie jetzt bemerkt. Er kam ihr mit dem Lächeln eines Filmstars entgegen, und Dorothee ertappte sich bei dem leicht ironischen Gedanken, wieviel an diesem prächtigen Gebiß wohl echt war und was die Kunst der Zahnärzte dazu beigetragen haben mochte. Aber immerhin, das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

»Neues Kleid?« fragte Rufus.

»Gefällt es dir?« fragte Dorothee zurück und freute sich, daß Rufus es bemerkt hatte.

»Ja, ja, ganz nett. Aber du hast einen solchen Fummel doch eigentlich nicht nötig. Damit wollen Frauen doch bloß ihre überflüssigen Pfunde verstecken. Und es gefällt mir eigentlich nicht, daß du damit auch nur einen solchen Anschein erweckst. Du weißt, ich liebe nur schlanke Frauen, und deine Figur gefällt mir. Du solltest sie zeigen und nicht so malerisch umhüllen. Wir sind hier doch nicht im Orient.«

Dorothee war verletzt, aber sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen.

»Bemerkenswert, wie du ein Kompliment mit einem Tadel verbinden kannst, mein Lieber«, sagte sie und lächelte unverbindlich. »Aber vielleicht sollte ich dich daran erinnern, daß du kein Schulmädchen vor dir hast.«

»Nicht nötig«, grinste der Mann. »Dessen bin ich mir auch so durchaus bewußt. Für Schulmädchen habe ich nämlich auch nichts übrig, weißt du.«

Er nahm Dorothees Arm und führte sie zu ihren Plätzen. Das zweite Klingelzeichen ertönte gerade.

Dorothee konnte die Oper nicht so richtig genießen. Es war zwar eine ausgezeichnete Aufführung, ein berühmter Gastdirigent leitete das Orchester, und sie hatten wie immer die besten Plätze, aber Dorothee war irgendwie verstimmt. Ihr hatte das Gerede von Rufus nicht gefallen. Dabei war es doch gar nicht so ungewöhnlich für ihn gewesen, so war er nun einmal. Daß sie so empfindlich reagierte, mußte wohl an ihrem Zustand liegen. Ja, sicher, das war wohl die Erklärung. Und darum würde sie sich künftig wohl mehr zusammenreißen müssen. Für Überempfindlichkeiten würde ein Mann wie Rufus Toelken wohl kaum Verständnis haben.

In der Bar war ihr gewohnter Tisch bereits reserviert.

»Was möchtest du trinken?« fragte Rufus und bot ihr aus seinem goldenen Etui eine Zigarette an.

»Nichts Alkoholisches heute«, sagte Dorothee, »und danke, ich rauche nicht mehr.«

Rufus klappte überrascht das Etui zu. »Was sagst du da? Du rauchst nicht mehr? Einfach so?«

»Nun, ganz so einfach nicht. Ich habe schon meinen Grund.«

»Na ja, wird schon so sein. Und unvernünftig ist es ja nicht, mit dem Rauchen aufzuhören. Paß nur auf, daß du jetzt nicht auseinandergehst. Manche Frauen werden schnell dick, wenn sie aufhören zu rauchen.«

»Nicht nur Frauen. Auch Männer, Rufus.«

»Klar. Aber bei einem Mann ist das nicht so gravierend. Passiert wohl auch nicht so schnell. Bei Frauen aber, vor allem wenn sie nicht mehr so jung sind…«

»Du bist wirklich sehr liebenswürdig heute, Rufus.«

»Ach, nun sei doch nicht so empfindlich. Du weißt, wie ich es meine. Du wirst doch wohl nicht wie ein junges Mädchen behandelt werden wollen? Ich mag dich so, wie du bist, damenhaft, elegant, erwachsen… Sonst säße ich ja wohl jetzt nicht hier mit dir. Was hattest du gesagt, was willst du trinken?«

Der Ober war an ihren Tisch getreten und wartete auf die Bestellung.

»Nichts Alkoholisches«, wiederholte Dorothee. »Einen Fruchtcocktail vielleicht.«

Rufus schaute Dorothee verblüfft an, nachdem der Ober sich entfernt hatte.

»Sag mal, was soll das? Du rauchst nicht mehr, du trinkst keinen Alkohol. Bist du krank?«

Dorothee schüttelte den Kopf. »Krank nicht«, sagte sie, und es war ihr gar nicht bewußt, daß das Lächeln, welches sie dem Mann nun schenkte, ein sehr glückliches Lächeln war.

»Nun, was ist es denn?« drängte dieser ungeduldig. »Mach es nicht so geheimnisvoll.«

»Kannst du es dir denn nicht denken?«

»Nein, natürlich nicht. Was soll ich mir denken? Hast du Angst um deinen Teint? Fürchtest du um dein jugendliches Aussehen? Da kann ich dich beruhigen, da kannst du noch sehr zufrieden sein. Außerdem gibt es ja auch gute Kosmetik.«

»Ach, Rufus, ich hatte gehofft, du würdest schneller begreifen.« Dorothees enttäuschte Stimme klang fast traurig.

»Was soll ich begreifen?« Die Ungeduld war nicht zu überhören.

»Daß ich versuche, dir beizubringen, daß ich schwanger bin, Rufus. Ja, es ist wirklich wahr. Ich werde ein Kind haben, Rufus. Unser Kind. Ich habe es erst gar nicht glauben wollen, in meinem Alter. Aber es ist wirklich so, es gibt nicht mehr den geringsten Zweifel. Ist das nicht wunderbar?«

Rufus Toelken sah wirklich nicht intelligent aus in diesem Augenblick. Die Stirn gerunzelt, der Mund halb geöffnet, als sei ihm das, was er gerade hatte sagen wollen, buchstäblich im Hals stecken geblieben. Es schien ihm Mühe zu bereiten, zunächst einmal zu schlucken, und dann zu sagen: »Ich habe dich wohl nicht richtig verstanden, Dorothee? Du kannst doch wohl nicht ernsthaft behaupten wollen, daß du ein Kind bekommst? Und daß ich der Vater sei? Weißt du, für solche Scherze habe ich überhaupt keinen Sinn.«

»Das ist kein Scherz, Rufus. Mit so etwas würde ich niemals scherzen. Es ist die Wahrheit.«

»Aber du… du bist dreiundvierzig Jahre alt.«

»Vierundvierzig, Rufus. Ich hatte inzwischen Geburtstag.«

»Und du hast einen erwachsenen Sohn.«

»Ja, das stimmt. Hanno ist fünfundzwanzig Jahre alt.«

»Aber dann… das ist doch absurd, Dorothee. Einfach absurd.«

»Ich hatte eigentlich gehofft, du würdest dich mit mir freuen, Rufus.«

»Freuen? Ich soll mich freuen? Wie stellst du dir das denn vor? Nie im Leben hätte ich mit einer solchen Möglichkeit gerechnet. Ja, zum Donnerwetter, Dorothee, hättest du mich denn nicht verschonen können damit? Nimmst du denn die Pille nicht? Heutzutage muß doch niemand mehr schwanger werden, wenn man es nicht will. Oder…« Jetzt sah das männlich-schöne Gesicht gar nicht mehr so attraktiv aus. Ein durchaus nicht sympathischer Zug lag da nun völlig offen. »Hast du das etwa gewollt, Dorothee? Hast du gedacht, mich so an dich binden zu können? Hast du das wirklich geglaubt?«

Dorothee saß wie erstarrt. Sie hatte das Gefühl, von innen heraus zu Eis zu gefrieren. Und sie war im Augenblick unfähig, etwas zu erwidern.

Rufus Toelken begriff wohl, daß er zu weit gegangen war, daß er sich im Ton vergriffen hatte. Besänftigend ergriff er Dorothees eiskalte Hand, die auf dem Tisch lag.

»Verzeih, Liebes«, bat er. »Ich hätte das natürlich nicht sagen sollen. Aber weißt du, das kam eben zu überraschend. Nie hätte ich mit einer solchen Möglichkeit gerechnet. Wirklich, niemals.«

»Und ich war so naiv zu glauben, du würdest dich freuen«, sagte Dorothee mühsam.

Rufus Toelken lachte leise. Das klang ziemlich überheblich. »Ja, Liebes, da warst du wohl wirklich naiv. Aber vielleicht gehört das bei Frauen in deinem Zustand dazu. An sich bist du doch eine kluge, sehr vernünftige Person. Und du hast etwas, was mich durchaus fasziniert. Wir hatten… wir haben eine großartige Zeit miteinander. Aber so eine Beziehung soll doch um Himmels willen nicht in Ehe und Familie münden. Daran kannst du doch nicht wirklich ernsthaft gedacht haben.«

Dorothee entzog dem Mann ihre Hand. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie nun und wunderte sich selbst, wie ruhig und kühl, ja fast überlegen ihre Stimme klang. Nichts verriet, wie enttäuscht und verletzt sie war. »Nein, natürlich habe ich nicht an Ehe und Familie gedacht. Ich bin ja verheiratet, wie du dich vielleicht erinnern wirst. Und ich habe meinen Mann nicht verlassen, um mich in ein neues Eheabenteuer zu stürzen. Du kannst also völlig unbesorgt sein. Ich habe keinerlei Forderungen an dich.«

»Ja, aber… Ja, dann ist ja alles in Ordnung, Liebes. Warum reden wir denn überhaupt in einem solchen Ton miteinander? Ich dachte für einen Moment wirklich, du wolltest… Aber gut, das ist ja nun geklärt. Doch was hast du denn nun vor? Es ist doch hoffentlich noch Zeit genug für eine Abtreibung? Wenn ich dich da finanziell irgendwie unterstützten kann… Du kannst natürlich voll auf mich zählen.«

Dorothee behielt ihre kühle, überlegene Haltung. Auf keinen Fall sollte der Mann merken, wie es wirklich in ihr aussah. Wie enttäuscht, verletzt sie war. »Ich werde deine finanzielle Großzügigkeit nicht in Anspruch nehmen, Rufus«, sagte sie sachlich. »Und im übrigen kommt eine Abtreibung für mich nicht in Frage. Ich will dieses Kind. Ich freue mich darauf. Bist du jetzt bitte so nett und läßt mir ein Taxi rufen? Ich fühle mich doch etwas angegriffen, ich möchte nach Hause.«

»Ich werde dich selbstverständlich bringen, Dorothee.«

»Danke, das ist nicht nötig.«

Doch dann saß Dorothee doch neben Rufus Toelken in dessen Wagen. Sie ließ sich von ihm beim Aussteigen helfen, als sie vor ihrer Wohnung angekommen waren. Aber sie bat ihn nicht mit hinein, wie es ja wohl eigentlich beabsichtigt gewesen war.

Rufus Toelken machte auch keinerlei Anstalten, sie weiter als bis zur Haustür zu begleiten.

»Ruhe dich aus«, sagte er nur, und: »Ich rufe dich an.«

Dann stieg er in seinen Wagen zurück und fuhr davon.

Das sah Dorothee aber schon nicht mehr. Sie war bereits im Haus und hatte die Tür hinter sich geschlossen.

*

Dorothee fror, als sie in ihre kleine gemütliche Wohnung kam. Sie machte alle Lampen an und sah sich um, als befände sie sich in einer völlig fremden Wohnung. Bildete sie sich das hier nicht nur ein? War sie nicht in diesem anderen, großen weitläufigen Haus in Südamerika zu Hause? Wo ihr Mann als Manager einer bedeutenden europäischen Firma eine wichtige, einflußreiche Persönlichkeit war? War sie nicht dort die charmante, vielbewunderte und umschwärmte Hausherrin?

Was tat sie denn bloß hier in dieser zwar netten, aber im Vergleich zu ihrem Haus doch winzigen Wohnung?

Das konnte doch eigentlich nur ein ziemlich albernes Hirngespinst sein.

Doch daß sie jetzt fror, das war kein Hirngespinst. Und das andere auch nicht.

Dorothee streifte die hochhackigen Pumps von den Füßen, sie ging in die kleine Küche, um sich Teewasser aufzusetzen, und dann gleich weiter ins Schlafzimmer. Auch dieses war klein, fast wie eine Puppenstube, aber ein Raum richtig zum Wohlfühlen. Und bisher hatte Dorothee sich hier ja auch wohl gefühlt.

Sie zog das Kleid aus, hängte es sorgfältig auf einen Bügel und mußte nun sogar ein bißchen lachen, als sie sich erinnerte, wie Rufus geringschätzig von einem ›Fummel‹ gesprochen hatte. Dabei war das gute Stück sündhaft teuer gewesen, und mit einem orientalischen Gewand doch wirklich nicht zu vergleichen, wie Rufus es getan hatte.

Überhaupt – Rufus!

Dorothee schlüpfte in einen bequemen Hausanzug, ging zurück in die Küche, wo das Wasser inzwischen kochte, sie brühte sich einen Tee auf – Roibosh mit Vanille, im Augenblick ihr Lieblingsgetränk – und ging damit ins Wohnzimmer. Bevor sie sich dort niederließ, schaltete sie die Deckenbeleuchtung aus, ließ nur die Stehlampe in der Ecke brennen und zündete die dicke Bienenwachskerze auf dem niedrigen Tisch an. Dann kuschelte sie sich in die Couchecke, zog die Füße hoch und nahm einen Schluck Tee.

Ah, das tat gut. Das weckte und belebte die Lebensgeister. Jetzt konnte sie in aller Ruhe Ordnung in ihre Gedanken bringen. Jetzt konnte sie Bilanz ziehen. Das war wohl auch nötig. Immerhin war sie jetzt ja nicht mehr nur für sich allein verantwortlich. Sie würde in absehbarer Zeit ein Kind haben, und das war alles andere als eine Illusion. Das war eine Tatsache, mit der sie sich auseinandersetzen mußte. Eine Tatsache aber auch, über die sie sich ehrlich und aus ganzem Herzen freute.

Und diese Freude, dieses Glück, sollte ihr auch ein Mann wie Rufus Toelken nicht verderben können.

Dorothee nahm noch einen Schluck von dem duftenden, zart aromatisierten Tee. Rufus Toelken war der Vater dieses Kindes. Das war natürlich eine unabänderliche Tatsache. Sie hatte wohl auch geglaubt, diesen Mann zu lieben. Sonst wäre es ja nicht so weit gekommen. Und sie sollte jetzt auch nicht abstreiten, daß sie die Gesellschaft dieses eleganten, oft äußerst charmanten Mannes sehr genossen hatte. Doch wie er sich ihr heute gezeigt hatte…

»Geschieht dir ganz recht, Dorothee«, sagte sie jetzt voller Selbstironie zu sich selbst. »Hast dich blenden lassen wie ein verliebtes junges Mädchen. Hast es nicht für nötig befunden, einmal hinter die Fassade zu schauen. Fühltest dich ja richtig geschmeichelt. Gut, daß du endlich wach geworden bist.«

Ja, das war wohl wirklich gut, und das, was Dorothee jetzt fühlte, war weniger Enttäuschung als Erleichterung. Und sie sagte sich ganz nüchtern, daß, wenn hier jemandem ein Vorwurf gemacht werden müßte, sie diesen Vorwurf nur an sich selbst richten könnte. Rufus Toelken war nun einmal so, wie er sich ihr heute gezeigt hatte. Sie hatte es vorher nur nicht bemerkt. Oder… sie hatte es vielleicht gar nicht bemerken wollen.

Also, das Kapitel Rufus Toelken war abgeschlossen. Nun stellte sich aber die Frage, wie es weitergehen sollte. Und das war eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten war. Sie war eine Frau von vierundvierzig Jahren, und sie würde bald ein Kind zur Welt bringen. Das Kind war nicht geplant, natürlich, aber ihre Freude darüber und ihr Glück würden dadurch keinesfalls beeinträchtigt werden.

Allerdings – ein paar Einschränkungen gab es da ja wohl doch. Dorothee blickte sich in ihrer kleinen Wohnung um. Hübsch war es hier und gemütlich. Aber kaum ein idealer Platz, wo man ein Kind aufwachsen lassen sollte. Und dann, vielleicht noch wesentlicher… Dorothee dachte an ihr Alter. Sie hatte bisher zwar noch niemals Probleme damit gehabt, aber sie war doch nicht frei von Eitelkeit.

In ihrem Alter könnte sie gut und gern schon Großmutter sein. Sie brauchte ja nur an ihren erwachsenen Sohn zu denken. Und nun sollte sie als glückliche junge Mutter den Kinderwagen schieben?

Dorothee hielt sich an ihrer Teetasse fest, ließ die braune duftende Flüssigkeit kreisen. Glückliche junge Mutter ja, so würde sie sich gern fühlen, aber sich nach außen hin auch dazu bekennen, das war etwas anderes. Und Dorothee erkannte fast erschrocken, daß ihr das peinlich sein würde.

Kein guter Charakterzug, gab sie sich selbst gegenüber zu, aber es war nun einmal so. Es würde ihr wirklich peinlich sein.

Peinlich auch ihrem Mann, ihrem Sohn gegenüber. Klar, die beiden waren weit fort, in Südamerika, aber sie waren darum doch noch Teil ihres Lebens. Hanno war und blieb ihr Sohn, natürlich, und von ihrem Mann war sie nicht einmal geschieden. Sie hatte ihn lediglich verlassen, war in die Heimat zurückgekehrt, weil sie das Leben als die Gattin des bedeutenden Managers einfach angeödet hatte. Ihr Mann, Alexander Werth, und leider auch ihr Sohn Hanno, hatten nämlich ihre ganz besonderen Ansichten über die Aufgaben einer Frau. Und im Hause Werth bedeutete das, die Hausherrin mußte gut aussehen und vor allem repräsentieren können. Man pflegte ein ausgedehntes gesellschaftliches Leben, was natürlich mehr oder weniger auch berufsbedingt war, und dort hatte man seine Rolle zu spielen. Dorothee hatte diese Rolle perfekt ausgefüllt. Sie bewegte sich sicher auf jedem Parkett und war eine ausgezeichnete und in Santiago de Chile viel gerühmte Gastgeberin, auf die ihr Mann wohl mit Recht stolz war und die auch vom Sohn bewundert wurde. Aber beide Männer konnten und wollten wohl nicht begreifen, daß Dorothee damit auf Dauer nicht zufrieden sein konnte.

Sie wollte nicht mehr bloß das Anhängsel ihres Mannes sein, ein Schmuckstück, das ihm mehr oder weniger gehörte und das er stolz vorzeigte. Sie wollte sie selbst sein, ihre eigenen Interessen haben, vielleicht sogar etwas leisten, was ihr selbst Spaß machte, und nicht mehr nur darauf achten müssen, daß die mehr oder weniger bedeutenden Gäste des Hauses gut unterhalten und angemessen abgefüttert wurden. Das war ihr einfach nicht mehr genug gewesen. Da mußte es doch auch noch etwas anderes geben! Doch das hatten weder ihr Mann Alexander noch ihr Sohn Hanno begriffen. Sie hatten wohl beide geglaubt, solche Launen würden wieder vorübergehen. Konnte Dorothee denn nicht zufrieden sein mit ihrem sorgenfreien Leben?

Ja, und dann hatte Dorothee ihren Koffer gepackt und war nach Europa geflogen. Einfach so. Und sie hatte ihren Mann wissen lassen, daß sie nicht vorhabe, zurückzukehren. Und wenn er die Scheidung wolle, wäre sie selbstverständlich damit einverstanden.

In München hatte sie sich eine kleine Wohnung genommen. Sie hatte begonnen, als Übersetzerin zu arbeiten, denn sie wollte ja etwas leisten… und dann war sie Rufus Toelken über den Weg gelaufen. Einem Mann, der im Grunde ja noch schlimmer war als Alexander.

Dorothee verzog bitter den Mund. Darauf sollte sie sich wahrhaftig nichts einbilden. Und was nun?

Sollte sie nun vielleicht als sitzengelassene Schwangere oder mit unehelichem Kind auf dem Arm zu Mann und Sohn zurückkehren?

Das war ein so verrückter Gedanke, daß Dorothee hellauf lachen mußte. Und dieses Lachen war wie eine Befreiung. Nein, nein, sie würde ganz gewiß nicht Trübsal blasen. Daß sie von Rufus Toelken enttäuscht worden war, geschah ihr ganz recht. Das hätte sie wissen müssen. Und darüber würde sie sich bestimmt keine grauen Haare wachsen lassen. Auf ihr Kind wollte sie sich freuen, und sie würde mit ihm glücklich sein.

Wie sie das aber genau organisieren wollte, wußte sie noch nicht. »Aber das muß ich ja nicht gleich heute entscheiden«, sagte sie laut und trank entschlossen den letzten Schluck Tee. »Wie hat doch Tante Mary immer gesagt? ›Kommen Kirschen, kommen Körbe.‹ Also halte ich mich daran. Wird schon werden.«

Und Dorothee schlief recht gut in dieser Nacht.

*

Ein Besuch beim Frauenarzt stand an. Dorothee nahm es sehr genau damit, sie wollte ihrem Kind von Beginn an alles an Fürsorge angedeihen lassen, was nur möglich war. Es war noch eine Patientin vor ihr, und Dorothee wartete im Vorraum des Sprechzimmers. Schwester Gudrun, die nette blonde Arzthelferin, arbeitete dort am Computer. Dorothee mochte die junge Frau. Bei früheren Besuchen hatten sie schon miteinander geredet, etwas mehr als die im Vorzimmer eines Arztes üblichen Fragen und Antworten. Etwas persönlicher.

So war es auch heute wieder. »Sie müssen sich gutfühlen, Frau Werth«, sagte Schwester Gudrun. »Ich finde, Sie sehen ganz großartig aus.«

»Danke«, lächelte Dorothee erfreut. »So etwas hört man natürlich gern. Und es stimmt auch, ich fühle mich eigentlich recht gut. Obwohl…«

»Wie, gibt es da noch eine Einschränkung?«

»Nun ja, nicht direkt. Es ist nur so… Sie wissen, daß ich nicht mehr jung bin. Nicht mehr jung im Sinne einer werdenden Mutter. Und meine Schwangerschaft war natürlich auch nicht geplant. Bei aller Freude, die ich ehrlich empfinde, gibt es eben doch auch Einschränkungen. In psychischer Hinsicht, wissen Sie? Können Sie das verstehen?«

»Ja, ich glaube schon. Aber ich denke, das wird nur im Augenblick so sein, Frau Werth. Wenn das jetzt noch Neue und Ungewohnte nicht mehr neu und ungewohnt für Sie sein wird, dann bleiben schließlich nur noch Freude und Glück übrig.«

»Glauben Sie?«

»Da bin ich mir sogar ganz sicher. Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie doch auch vieles haben, worauf junge Mütter oft verzichten müssen.«

»Woran denken Sie da, Schwester Gudrun?«

»Nun, Sie können Ihrem Kind gesicherte Verhältnisse, eine Familie, ein Heim bieten. So etwas ist gar nicht so selbstverständlich, Frau Werth. Da spreche ich nämlich aus Erfahrung.«

»Ach, wirklich?« fragte Dorothee rasch. Sie hatte bisher hier in der Praxis noch nichts davon gesagt, daß sie von ihrem Mann getrennt lebte, und daß ihr Kind durchaus nicht in eine intakte Familie hineingeboren werden würde. Sie war auch nicht bereit, jetzt darüber zu sprechen, noch nicht. So bot ihr die Bemerkung der jungen Frau einen willkommenen Anlaß, von ihrem eigenen Problem abzulenken.

»Sie haben da eigene Erfahrungen, Schwester Gudrun?«

»Ja, das kann man wohl sagen. Ich habe nämlich ein Töchterchen, wissen Sie. Annika ist drei Jahre alt, und ich bin unendlich glücklich, daß ich sie habe. Uneingeschränkt, das müssen Sie mir glauben. Aber da sind Probleme, die mir allmählich über den Kopf zu wachsen drohen.«

»Ach, Schwester Gudrun, das tut mir aber leid. Wollen Sie darüber reden? Ich kann gut zuhören.«

»Wirklich? Ich glaube, ich würde tatsächlich gern reden. Manchmal denke ich nämlich schon, ich ersticke.«

»Ja, dann muß man alles herausreden. Dadurch allein wird manchmal schon vieles leichter. Und wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann…«

Schwester Gudrun schüttelte mit einem kleinen leisen Lachen den Kopf. »Nein, nein, Frau Werth, da kann man nicht helfen. Damit muß ich schon allein fertig werden. Wissen Sie, ich bin das, was man heute eine alleinerziehende Mutter nennt. Das bin ich keineswegs ungern, denn mit Annikas Vater… also, ich wollte ihn nicht heiraten, verstehen Sie? Er war ein netter Kerl, aber er war einfach nicht das, was ich mir als Ehemann und als Vater für mein Kind vorstellte. Das habe ich ein bißchen spät gemerkt, das gebe ich zu, aber jedenfalls habe ich es nicht auf eine spätere Scheidung ankommen lassen wollen.«

»Ich finde das sehr vernünftig, Schwester Gudrun. Ob ich als junge Frau diesen Mut gehabt hätte, weiß ich nicht.«

»Ach, das kann man nicht sagen, Frau Werth. Ich halte Sie für eine sehr starke Frau. Sie stehen doch bestimmt auch zu einer Entscheidung, wenn Sie sie einmal getroffen haben.«

»Ja, das ist richtig«, nickte Dorothee und schmunzelte unwillkürlich. Denn sie dachte an ihren Mann und auch an Rufus

Toelken.

»Ja, sehen Sie«, fuhr Schwester Gudrun fort. »Die Entscheidung, die ich getroffen habe, war richtig. Ich stehe auch noch dazu. Aber sie hat auch nicht unerhebliche Opfer gekostet. Ich habe nämlich mein Studium abbrechen müssen. Ja, ich wollte Ärztin werden, Kinderärztin. Das war mein großer Traum. Aber Studium und gleichzeitig für ein Kind sorgen – nein, das ging nicht. Also bin ich jetzt hier in der Praxis Arzthelferin, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Und abends und an den Wochenenden kann ich für mein Kind da sein.«

»Und wo ist Ihre Annika jetzt?«

»Bei meiner Mutter«, sagte die blonde, junge Frau und seufzte wohl unbewußt. »Ja, ich habe das Glück, daß meine Mutter sich bereiterklärt hat. Allerdings – das geht so jetzt auch nicht mehr weiter. Meine Mutter ist in zweiter Ehe mit einem wesentlich älteren Mann verheiratet. Und Annika ist sehr lebhaft und auch anstrengend. Sehen Sie, das ist das große Problem, an dem ich im Augenblick zu knabbern habe. Es kommt für mich überhaupt nicht in Frage, das Kind zu Pflegeeltern oder in ein Heim zu geben. Meiner Mutter kann ich die Doppelbelastung nicht mehr länger zumuten. Also wird es wohl darauf hinauslaufen, daß ich auch diesen Job hier aufgeben werden muß.«

»Aber es gibt doch Mutterschutz und andere soziale Hilfen.«

»Sicher gibt es das, und es ist auch gut so. Aber für mich ist der Gedanke entsetzlich, mich und mein Kind praktisch vom Staat unterhalten lassen zu müssen. Verstehen Sie? Ich weiß, manche Leute werden das albern finden. Man sagt mir ja auch, daß das ein ganz selbstverständlicher, rechtmäßiger Anspruch ist. Aber bisher konnte ich darauf verzichten, und darauf bin ich stolz. Jetzt aber… ich fürchte, es wird mir bald nichts anderes übrig bleiben, als dem Staat eben doch auf der Tasche liegen zu müssen. Als alleinerziehende Mutter darf man eben nicht zu stolz sein.«

Die Stimme der sonst so energisch wirkenden jungen Frau hatte zuletzt leicht zu schwanken begonnen, und mit einer raschen Bewegung wischte sie sich über die Augen, denn sie wollte sich wohl keine Tränen erlauben.

»Sehen Sie, so ist das«, sagte sie dann mit wieder fester Stimme und lächelte Dorothee tapfer zu. »Es hat gutgetan, das alles einmal auszusprechen. Danke, daß Sie mir zugehört haben, Frau Werth. Hoffentlich fühlen Sie sich nicht zu sehr belästigt.«

»Aber nein, Schwester Gudrun, ganz und gar nicht. Ich weiß es zu schätzen, daß Sie mich ins Vertrauen gezogen haben. Und ich wünsche Ihnen wirklich sehr, daß Sie einen Ausweg finden. Aber sehen Sie es doch nicht so tragisch, wenn Sie Hilfe annehmen müssen. Sie tun es doch für Ihr Kind.«

»Ja, natürlich, so versuche ich es auch zu sehen. Wird schon werden. Aber sehen Sie, die Lampe leuchtet auf. Der Doktor erwartet Sie nun, Frau Werth.«

*

Als es am Abend dieses Tages an Dorothees Wohnungstür läutete und Rufus Toelken dort mit einem riesigen, wundervollen Rosenstrauß stand, freute Dorothee sich. Das Gespräch mit der netten

Arzthelferin hatte sie doch nachdenklich gemacht. Sie würde ja auch mit ihrem Kind allein sein. Finanzielle Sorgen würde sie zwar im Augenblick noch nicht haben, sie hatte natürlich einige Rücklagen, und sie hatte ja auch Ansprüche an ihren Mann, der im übrigen recht großzügig war, aber für Dorothee war das unbefriedigend. Hatte sie ihren Mann und den erwachsenen Sohn nicht darum verlassen, weil sie ihr eigenes Leben führen, weil sie etwas leisten wollte, weil sie etwas anderes sein wollte als die elegante, gepflegte Dame des Hauses? Daran, noch einmal ein Kind zu bekommen und es großzuziehen – nein, daran hatte sie allerdings wirklich nicht gedacht.

Aber es war nun einmal passiert, und irgendwie sah sie darin auch ein ganz besonderes Glück. Nun wurde es allmählich aber Zeit, daß sie sich darüber klar wurde, wie sie ihr künftiges Leben mit Kind gestalten wollte. Als alleinerziehende Mutter, die gut und gern auch die Großmutter sein könnte.

Diese Vorstellung schmeckte Dorothee immer noch nicht. Ja, wenn sie dabei einen Mann an ihrer Seite hätte, der sich zu ihr und dem Kind bekennen würde, wie sie es eigentlich ja als selbstverständlich vorausgesetzt hatte… dann hätte sie auch ihr Alter nicht als Problem empfunden, sondern hätte sich vorbehaltlos ihrem jungen Mutterglück hingegeben.

Aber diese Illusion war ja nun geplatzt wie eine Seifenblase. Sie mußte sich wohl oder übel neu orientieren.

Und da stand nun Rufus Toelken vor ihrer Tür. Mit seinem gewohnten strahlenden Lächeln und einem prächtigen Rosenstrauß. Bedeutete das etwa… Tat es ihm leid, wie er sich verhalten hatte?

Gegen alle Vernunft freute Dorothee sich. Aber sie bemühte sich, sich diese Freude nicht anmerken zu lassen.

»Welche Überraschung, Rufus«, sagte sie mit einem unverbindlichen Lächeln.

»Darf ich hereinkommen, oder komme ich ungelegen?«

»Nein, nein, komm nur. Ich habe mir gerade Tee gemacht. Trinkst du eine Tasse mit?«

»Gern, Dorothee.« Er überreichte ihr die Rosen. »Eine kleine Aufmerksamkeit. Hoffentlich gefallen sie dir.«

Dorothee nahm den Strauß, der nun wirklich mehr war als eine kleine Aufmerksamkeit. »Die Rosen sind wunderschön, Rufus. Bitte lege ab und geh dann schon voraus ins Wohnzimmer. Ich komme gleich nach, ich will erst die Blumen versorgen.«

Als sie dann wenig später ins Wohnzimmer kam und die Vase mit den Rosen auf einen niedrigen Ecktisch stellte, saß Rufus Toelken bereits in seinem gewohnten Sessel und sagte anerkennend: »Gemütlich hast du es hier ja, das muß man dir lassen. Diese Wohnung, so klein sie ist, strahlt viel von deiner Persönlichkeit aus. Das hat mir von Anfang an gefallen.«

»Das freut mich.« Dorothees Stimme war immer noch unverbindlich. Sie war schließlich gewarnt. Auf keinen Fall wollte sie zu früh zeigen, daß dieser Besuch irgendwelche Erwartungen in ihr geweckt hatte.

Und wie berechtigt diese Zurückhaltung war, sollte sie rasch erfahren.

Rufus hielt sich nicht mit einer langen Einleitung auf. »Du bist wirklich schwanger?« fragte er. »Es ist kein Irrtum?«

»Das hatte ich dir doch bereits gesagt, Rufus.«

»Nun ja, ich dachte… Es hätte ja sein können…«

»Warum bist du gekommen, Rufus?« fragte Dorothee nun kühl. Sie hatte bereits begriffen, daß es keineswegs ein Sinneswandel war, der Rufus Toelken hergeführt hatte.

»Warum ich gekommen bin, Dorothee? Ja, siehst du, das ist nicht so einfach zu erklären. Und ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch.«

»Ich glaube nicht, daß ich dich noch einmal falsch verstehen kann, Rufus.«

»Tatsächlich nicht? Das klingt ein bißchen bitter, oder? Nun ja, wie dem auch sei, Dorothee, ich will ganz offen sein. Deine Aussage, daß ich der Vater deines Kindes sei, hat mich völlig unvorbereitet getroffen. Ich zweifle diese Tatsache nicht an, keine Frage, denn ich vertraue dir.«

»Sollte ich mich da nun etwa geschmeichelt fühlen?« fragte Dorothee bitter.

»Nein, nein, durchaus nicht. Du darfst mich nicht falsch verstehen. Ich nehme die Tatsache so, wie sie ist. Was mich nun aber in echtes Erstaunen versetzt hat, ist nämlich etwas ganz anderes. Du bist die erste, mit der ich darüber rede, wohl auch die einzige, denn hier geht es ja um meine ganz persönlichen Gefühle, und ich hoffe auf deine Vertraulichkeit und dein Verständnis.«

»Ich höre«, sagte Dorothee knapp und goß ihrem unerwarteten Gast Tee ein.

»Ja, also, es ist so, daß ich mich über diese Vaterschaft freue. Nein, nein, Dorothee, bitte verstehe mich jetzt nicht schon wieder falsch, das hat nichts mit uns beiden zu tun«, fügte er dann rasch hinzu, fast schon ein bißchen hastig. Er hatte wohl wirklich Sorge, einen unerwünschten Eindruck zu erwecken. »Zwischen uns ist ja alles klar«, fuhr er also eilig fort. »Wir haben ja bereits alles besprochen.«

»Du hast gesprochen, Rufus. Das ist richtig.«

»Nun ja, wie dem auch sei. Jedenfalls hat sich an unserer Vereinbarung nichts geändert. Ich aber scheine mich insofern geändert zu haben, als ich jetzt begonnen habe, über Ehe und Familie anders zu denken als bisher.«

Er lächelte selbstgefällig, wartete wohl auf eine Bemerkung Dorothees, die aber ausblieb.

»Kurz gesagt, Dorothee«, fuhr er also fort, »ich habe eingesehen, daß es in meinem Alter an der Zeit ist, eine Familie zu gründen. Und ich möchte Vater werden. Das ist eine überraschende Erkenntnis für mich, aber sie ist mir nicht unangenehm. Nein, durchaus nicht. Warum ich nun zu dir gekommen bin…«

»Das soll doch wohl nicht doch noch ein Heiratsantrag werden?« Dorothees Stimme klang skeptisch, durchaus nicht erfreut.

»Dieses Thema ist doch abgehakt, Dorothee.« Rufus Toelken war ungeduldig, er wollte sich jetzt nicht mehr unterbrechen lassen. »Du bist verheiratet, und du hast mir ja auch erklärt, daß dir an einer Ehe mit mir nichts liegt. Und so kann ich dir ja nun auch ganz offen sagen, daß ich, wenn ich nun eine Familie gründen will, natürlich eine junge Frau an meiner Seite haben möchte. Das bin ich, denke ich, schon meiner gesellschaftlichen Stellung schuldig. Und ich will noch ehrlicher sein, Dorothee«, fügte er schnell hinzu, als fürchtete er eine Antwort Dorothees, »ich weiß auch schon, welche Frau ich heiraten möchte. Sie kommt aus den allerersten Kreisen dieser Stadt und ist eine echte Schönheit. Ich schmeichele mir sagen zu können, daß sie meinen Antrag wohl höchstwahrscheinlich nicht ablehnen wird. Allerdings gibt es da ein einziges Problem, und darum bin ich jetzt hier bei dir. Als Bittsteller sozusagen.«

»Ach, das ist doch nun wirklich eine Rolle, die ganz und gar nicht zu dir paßt, Rufus«, sagte Dorothee mit eiskaltem Spott.

Rufus Toelken reagierte nicht darauf.

»Ich möchte nicht als unehelicher Vater geoutet werden, Dorothee«, sagte er sachlich. »Und das ist meine Bitte an dich. Ich möchte, daß du mich nicht als den Vater deines Kindes nennst. Das ist möglich, eine Mutter kann eine solche Auskunft verweigern. Ich habe dir ja bereits angeboten, daß ich finanziell zu meiner Verantwortung stehen werde. Ich bin bereit, dir eine einmalige großzügig bemessene Abfindung zu leisten, aber ich möchte dafür dein Versprechen, deine Versicherung, meinen Namen unerwähnt zu lassen. Das ist es, warum ich zu dir gekommen bin. Ich weiß, du bist eine kluge, großzügige Person, ich weiß, ich werde auf dich zählen können. Sollte man nicht vielleicht doch einmal über eine Adoption nachdenken?«

»Verlasse bitte meine Wohnung, Rufus«, sagte Dorothee eisig und setzte sich erst gar nicht in den Sessel, in dem sie gerade hatte Platz nehmen wollen. »Sofort. Und nimm deine Blumen mit. Ich hoffe, dir nie wieder zu begegnen. Nie wieder, und das meine ich so, wie ich es sage.«

»Ja, aber…«

»Ich werde deinen Namen verschweigen. Aber nicht etwa, um dich zu schonen, sondern weil ich mich schäme, einen Menschen wie dich so falsch eingeschätzt zu haben. Und vor allem – weil ich meinem Kind einen solchen Vater ersparen will.«

»Aber Dorothee, wir können doch über alles reden.«

»Geh jetzt!« sagte Dorothee. »Zwischen uns gibt es nichts mehr zu reden. Nie mehr.«

*

Dorothees Zorn hielt ein paar Tage an, und im Grunde war er sogar hilfreich. Er hinderte sie daran, schmerzliche Gedanken zu entwickeln. Etwa in der Form, daß sie ihres Alters wegen hinter einer jüngeren Frau zurückstehen müßte. Solche Gedanken wären in ihrer Situation zwar naheliegend gewesen, aber Dorothee blieb glücklicherweise davon verschont. Sie hatte genug Selbstwertgefühl. Sie hatte es nicht nötig, andere Frauen ihrer Jugend wegen zu beneiden. Und konnte sie nicht sogar stolz darauf sein, in ihrem Alter noch einmal schwanger geworden zu sein?

Ja, sie war stolz. Stolz und glücklich.

Wenn es da nicht doch diese winzige Charakterschwäche gäbe, die ihr allmählich tatsächlich zu schaffen machte. Sie fand einfach nicht den Mut, sich nach außen hin zu ihrer Schwangerschaft, zu ihrer späten Mutterschaft zu bekennen. Sie war zwar im allgemeinen eine kluge und vernünftige Frau, und sie empfand diese Schwäche selbst als lächerlich, aber sie konnte sich nicht darüber hinwegsetzen. Bis jetzt jedenfalls noch nicht. Dabei hatte sie ja nicht mehr viel Zeit. Wenn man genau hinsah, konnte man ihr die Schwangerschaft schon ansehen.

Mami Bestseller 2 – Familienroman

Подняться наверх