Читать книгу Mami Bestseller Staffel 5 – Familienroman - Marianne Schwarz - Страница 7

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»Also, dann auf Wiedersehen, Kleines, und ich wünsche dir einen guten Heimflug!« Der hochgewachsene dunkelhaarige Mann nahm das zierliche blonde Mädchen in die Arme und küßte es.

Astrid schloß die Augen und schmiegte sich an seine Brust. Eine unerklärliche Traurigkeit stieg in ihr auf, sie wünschte, dieser Kuß würde nie enden. Doch es half nichts, der Flug war aufgerufen, sie mußte sich beeilen.

»Wirklich auf Wiedersehen?« fragte sie, als Guido Brambeck sie freigab.

»Aber sicher, Dummerle«, lächelte er, und seine weißen Zähne blitzten in dem tiefgebräunten Gesicht. »In zwei Wochen bin ich ja auch wieder in Hamburg, dann rufe ich dich an, okay?«

Sie nickte und griff nach ihrem Handgepäck. »Bis bald also. Und danke für die zauberhaften Tage, Guido.«

»Und ich danke dir dafür«, murmelte er und strich ihr eine Locke aus der Stirn.

Astrid ging, und als sie nach ein paar Schritten umdrehte, hob er die Hand und winkte. Sie winkte zurück und wandte sich dann hastig wieder um. ­Tränen trübten ihren Blick, und das sollte er nicht sehen. Am Ende hielt er sie noch für ein überspanntes Gäns­chen, wo sie sich doch schon sobald wiedersehen würden!

Im Flugzeug bekam sie einen Fensterplatz. Sie schluckte krampfhaft, konnte aber nicht verhindern, daß ihr nun doch ein paar Tränen über die Wangen kullerten.

»Ja, ja, der Abschiedsschmerz«, hörte sie ihre Nachbarin mitfühlend sagen. Eine stark geschminkte Enddreißigerin, ein wenig zu sehr auf jung gemacht. »Vergessen Sie ihn, Kleine. Urlaubsbekanntschaften sind nicht von Dauer, ich spreche aus Erfahrung.« Sie verzog bitter den tiefrot geschminkten Mund.

Astrid trocknete hastig ihre Tränen. »Aber es gibt doch wohl auch Ausnahmen«, erwiderte sie gepreßt.

»Das dachte ich am Anfang auch immer, aber selbst wenn man sich zu Hause noch ein paar Mal wiedergetroffen hat, ist es am Ende doch im Sand verlaufen. Der eine wohnt im Norden, der andere im Süden, und man kann sich nicht so oft sehen oder…«

»Wir wohnen aber beide in Hamburg«, fiel Astrid ihr ins Wort.

»Glauben Sie wirklich dieser blendend aussehende Typ, von dem Sie sich gerade abschiedet haben, wird für den Rest seines Urlaubs allein bleiben?« Ihre Sitznachbarin lächelte spöttisch. »So einer kann doch an jeden Finger eine haben, und auf Ibiza gibt es um diese Zeit hübsche Mädchen wie Sand am Meer, die es so einem Mann doch so leicht machen.«

Astrid warf ihr einen zornigen Blick zu. Wenn diese alte Schachtel selbst schlechte Erfahrungen gemacht hatte, mußte sie anderen mit ihrem Pessimismus nicht auch noch das Herz schwermachen.

»Ich weiß, was Sie denken«, sagte die jetzt, »aber vielleicht werden Sie noch einmal an mich denken, obwohl ich es Ihnen wirklich nicht wünsche.«

Astrid antwortete nicht. Sie zog die Illustrierte aus ihrer Tasche, die Guido ihr auf dem Flughafen noch gekauft hatte, und vertiefte sich darin. Zumindest tat sie so, denn sie betrachtete nur gleichgültig die Bilder darin, während ihre Gedanken zurückwanderten.

Gleich am dritten Urlaubstag hatte sie Guido Brambeck kennengelernt. In einem der kleinen Straßencafés hatte er sich an ihren Tisch gesetzt, sie waren ins Gespräch gekommen und hatten gleich munter geflirtet. Sie war zutiefst beeindruckt, daß dieser gutaussehende Mann, dem alle Frauen nachblickten, sich für sie zu interessieren schien, wo es hier wirklich attraktive Mädchen in Hülle und Fülle gab. Es war nicht so, daß Astrid an Minderwertigkeitskomplexen litt. Daß sie hübsch war, hatten ihr schon andere Männer gesagt, und der Blick in den Spiegel sagte es ihr auch. Das hübscheste in ihrem feingeschnittenen Gesicht mit der kleinen geraden Nase und dem weichgeschwungenen Mund waren ihre mandelförmigen Augen, die so grün wie ein Bergsee und von einem Kranz langer dunkler Wimpern umgeben waren. Über ihrer Erscheinung lag der Schmelz der Jugend, denn sie war gerade neunzehn, und oft schätzte man sie jünger.

Auch Guido hatte sie siebzehn geschätzt und sich gewundert, daß sie ganz allein in Urlaub gefahren war. Er hatte die ältere Dame, die zuerst an ihrem Tisch gesessen hatte, für ihre Mutter gehalten, wie er lachend erklärt hatte. Und das zeigte Astrid, daß er sich keineswegs zufällig an ihren Tisch gesetzt haben konnte, sondern sie offenbar schon eine Weile im Auge gehabt hatte. Das schmeichelte ihr ebenso wie seine bewundernden Blicke und der Charme, mit dem er sich um sie bemühte.

Plötzlich bedauerte sie nicht mehr, daß ihre Freundin Ulla, die sie eigentlich hatte begleiten wollen, wegen einer Blinddarmoperation ins Krankenhaus gemußt hatte. Zunächst hatte sie den Urlaub sogar absagen wollen, aber er war gebucht, und ohne triftige Gründe konnte sie so kurz vorher nicht mehr zurücktreten.

»Du lernst auf Ibiza bestimmt Leute kennen«, hatte Ulla, die bereits einmal dort gewesen war, versichert. »Sollst sehen, vielleicht bist du noch ganz froh, daß ich nicht mitkommen konnte.«

Aber Astrid war ziemlich skeptisch losgeflogen, denn es lag ihr nicht, schnelle Kontakte zu schließen wie Ulla, die damit nie Schwierigkeiten hatte. Im nachhinein schien es ihr, als habe es so sein sollen.

Bis über beide Ohren hatte sie sich in Guido Brambeck verliebt, mit dem sie sich am nächsten Tag am Strand verabredet hatte. Von da waren sie unzertrennlich gewesen. Ohne lange zu überlegen, hatte sie Guidos Einladung angenommen, mit ihm auf seiner Jacht um die Insel zu schippern. Als er ihr erzählt hatte, daß er ein Segelboot besitze, hatte sie sich eine kleine Jolle vorgestellt und war aus allen Wolken gefallen, als sie das elegante Boot mit allem Komfort gesehen hatte. Inzwischen wußte sie, daß Guidos Vater eine Fabrik besaß und die Brambecks zu den oberen Zehntausend von Hamburg gehörten. Guido hatte Jura studiert und erholte sich gerade vom Schreiben seiner Doktorarbeit.

Natürlich war ihr von Anfang an bewußt gewesen, was für eine Kluft zwischen ihnen bestand. Was war denn eine kleine Friseuse gegen den Sohn einer solchen Familie!

Astrid hatte nach der Mittelschule eine Lehre als Friseuse begonnen, um ihrer verwitweten Mutter nicht länger auf der Tasche zu liegen. Später, so hatte sie sich gesagt, könnte sie dann immer noch Maskenbildnerin werden, denn sie wollte unbedingt etwas Kreatives machen, besaß alle Voraussetzungen dafür. Doch vor einem Jahr war die Mutter gestorben, sie war nun ganz auf sich gestellt gewesen. Ihr Chef hatte ihr nach der Gesellenprüfung angeboten, weiter bei ihm zu arbeiten, und sie hatte zugesagt und darauf verzichtet, gleich die Ausbildung zur Maskenbildnerin anzufangen. Immerhin war der Salon einer der besten in Hamburg. Sie arbeitete gern dort und verdiente nun auch recht ordentlich. So hatte sie sich diesen ersten Urlaub geleistet.

Guido war aufgeklärt darüber, was sie war, und er hatte ganz gelassen darauf reagiert. Was jemand mache, so meinte er, sei schließlich egal, wenn es ihm nur Spaß mache, und schließlich könne nicht jeder studieren.

»Wahrscheinlich ist es sogar befriedigender, Leute zu verschönern, als Paragraphen zu reiten«, hatte er grinsend hinzugefügt.

Keiner der jungen Männer, die sie kannte, war wie er, jeder Vergleich mußte zu seinen Gunsten ausfallen. So wünschte Astrid nichts mehr, als daß sich ihre Beziehung in Hamburg fortsetzen würde. Auch Guido wollte sie wiedersehen, wieder und wieder hatte er es ihr gesagt, und sie wollte sich von einer enttäuschten alten Jungfer, wie ihre Nachbarin vermutlich war, nicht irremachen lassen!

*

Drei Wochen waren vergangen. Seit einer Woche mußte Guido nun auch wieder in Hamburg sein, und täglich hatte Astrid auf seinen Anruf gewartet. Sie versuchte, nicht zu enttäuscht zu sein und redete sich ein, daß er sich schon noch melden würde. Wenn man von einer längeren Reise zurückkam, hatte man ja wieder einiges zu tun. Aber nachdem eine weitere Woche ohne eine Nachricht vergangen war, stiegen Zweifel in ihr auf. Hatte sie sich vielleicht verhört, wartete er am Ende darauf, daß sie sich zuerst meldete?

Sie wußte, Guido lebte noch in der Villa seiner Eltern, wo er eine eigene Wohnung in einem Anbau besaß und auch einen eigenen Telefonanschluß. Sie suchte die Nummer heraus, aber dort meldete sich niemand. Auch nicht zu Tageszeiten, da jemand eigentlich zu Hause sein mußte.

War ihm am Ende etwas zugestoßen? Schließlich überwandt sie sich und wählte die Privatnummer seiner Eltern. Irgendein dienstbarer Geist nahm ab, und sie fragte, ob Guido zu sprechen sei.

»Wer ist denn da bitte?« wollte die männliche Stimme wissen.

Astrid stutzte plötzlich. Klang sie nicht wie die von Guido? Sie nannte ihren Namen und bat, Herrn Brambeck junior auszurichten, daß er sie bitte anrufen solle.

»Ich werde es Herrn Brambeck ausrichten«, versprach der Mann am anderen Ende der Leitung und legte auf, noch ehe sie sich bedanken konnte. Auch seine letzten Worte erinnerten Astrid an Guidos Stimme. Das mochte Zufall sein, aber je länger sie darüber nachdachte, um so sicherer wurde sie. Und wenn ihre Vermutung stimmte, bedeutete es nichts anderes, als daß Guido sich verleugnete!

Als wiederum einige Tage vergingen, ohne daß er zurückrief, war sie dessen ganz sicher. Sie war tief enttäuscht. Wie billig, sich auf diese Weise zu verleugnen und nicht einmal den traurigen Mut zu haben, ihr offen zu sagen, daß er kein Interesse mehr habe, sie wiederzusehen!

Sie war für ihn nichts weiter, als ein kleines Urlaubsabenteuer gewesen, und er hatte trotz seiner Liebesschwüre immer gewußt, daß es so war!

Ulla war sehr mitfühlend und triumphierte nicht, weil sie recht gehabt hatte.

»Vergiß ihn«, beschwor sie sie, »so ein Mann ist nun mal nichts für Mädchen wie uns. Außerdem ist er ein Miesling, wenn er dich so abzuwimmeln versucht. Für so einen bist und solltest du dir viel zu schade sein.«

Astrid versuchte, sich das auch immer wieder klarzumachen, aber wenn sie abends im Bett lag und nicht schlafen konnte, mußte sie an die schönen Stunden unter südlicher Sonne, an Guidos Küsse und seine leidenschaftlichen Zärtlichkeiten denken. Er hatte sie erst richtig zur Frau erweckt, ihr Herz wollte einfach nicht glauben, daß nun alles aus und vorbei sein sollte!

Sogar im Dienst, während sie die Köpfe der Kundinnen verschönte, wanderten ihre Gedanken öfter zu ihm.

Die Damen, gewöhnt, daß »Fräulein Astrid«, wie sie hier gerufen wurde, immer so munter mit ihnen plauderte, wunderten sich, daß sie manchmal geistesabwesend war.

Ja, es schlug ihr regelrecht auf den Magen mit der Zeit. Besonders wenn sie mit scharf riechenden Essenzen zu tun hatte, wurde ihr öfter speiübel. Schon zweimal war es in der letzten Woche vorgekommen, daß sie sich bei der Kundin hastig hatte entschuldigen und zur Toilette hatte rennen müssen.

Heute, sie bediente gerade Frau Seidel, eine langjährige gute Kundin, überkam es sie wieder. Ihr Magen hob sich, sie sah im Spiegel, wie blaß sie wurde, und dann mußte sie auch schon wieder hinauseilen. Als sie zurückkam, sah Frau Seidel sie forschend an.

»Na, Fräulein Astrid, haben Sie das öfter?«

»Zumindest in letzter Zeit vertrage ich so starke Gerüche nicht mehr so gut«, erwiderte diese. Ihr war immer noch etwas flau.

»So war es bei mir, als ich in anderen Umständen war.« Frau Seidel lächelte. »Aber bei Ihnen können es natürlich ganz andere Ursachen sein.«

»Das denke ich auch«, nickte Astrid, doch plötzlich wurde ihr ganz weich in den Knien. Warum eigentlich, auch sie konnte ja… Lieber Himmel!

»Ich habe Ihnen doch nicht etwa einen Schreck eingejagt?« fragte Frau Seidel betroffen, als sie im Spiegel sah, wie verstört die junge Friseuse auf einmal dreinschaute.

»Na ja, an diese Möglichkeit habe ich überhaupt nicht gedacht«, murmelte Astrid.

»Aber Kindchen, heutzutage nehmen die jungen Mädchen doch die Pille, was sollte da passieren. Bei uns damals war das noch anders, aber Sie brauchen sich da doch keine Sorgen zu machen, oder?«

»Nein, nein«, sagte Astrid hastig und zwang sich zu einem Lächeln, »aber im ersten Augenblick bekommt man halt doch einen Schreck. Ich glaube, ich gehe mal zum Arzt, vielleicht habe ich es mit dem Magen wie meine Mutter.«

»Ja, so was vererbt sich oft, lassen Sie es nur nicht schleifen, damit nichts Chronisches entsteht.« Die Seidel sprach dann lang und breit über einen Fall in ihrer Verwandtschaft.

Astrid nickte nur manchmal, aber sie hörte gar nicht richtig zu.

Die Vorstellung, sie könne schwanger sein, schwanger von einem Mann, der nichts mehr von ihr wissen wollte, jagte ihr kalte Schauer über den Rücken.

Sie war froh, daß wenig später Feierabend war und sie gehen konnte. Sie traf sich mit Ulla, denn sie mußte mit jemandem darüber reden.

*

Ulla riet ihr, einen Test machen zu lassen, und der bestätigte ihren Verdacht! Astrid war völlig verzweifelt, aber als Ulla andeutete, daß sie dieses Kind ja nicht unbedingt bekommen müsse und es doch Mittel und Wege gäbe, das zu verhindern, wehrte sie entsetzt ab. Das Beispiel ihrer Tante Marlene, die in jungen Jahren zu einem Pfuscher gegangen war, stand ihr vor Augen. Seitdem hatte die Tante kein Kind mehr bekommen können, obwohl sie und der Mann, den sie später geheiratet hatte, es sich so sehnsüchtig gewünscht hatten.

»Tue so etwas nie, Kleines«, hatte sie die Nichte beschworen, als sie ihr in einer stillen Stunde diese Geschichte einmal gestanden hatte. »Wenn ich damals ein uneheliches Kind bekommen hätte, weil ich den Vater des Kindes nicht heiraten wollte, Herbert hätte mich auch mit dem Kind geheiratet, und wir hätten später noch weitere Kinder bekommen können. Nie wieder habe ich in meinem Leben etwas so bitter bereut wie meine damalige Feigheit. Ich dachte, ich schaffte es nicht, ein Kind allein aufzuziehen, weil ich noch so jung war. Aber du weißt ja, man schafft mehr als man oft glaubt.«

Tante Marlene, sie würde sie verstehen! Astrid fuhr sofort nach Pinneberg, wo Tante Marlene, inzwischen verwitwet, ein kleines Wollgeschäft betrieb. Die jüngere Schwester ihrer Mutter hing sehr an ihr, sie war die einzige Verwandte, zu der Astrid noch einen innigen Kontakt hatte. Zunächst war sie auch etwas erschüttert, als Astrid beichtete, wie es um sie stand und ihr von Guido erzählte, aber dann reagierte sie so, wie Astrid erhofft hatte.

»Du wirst das Kind bekommen, ob mit oder ohne Vater«, erklärte sie resolut. Sie redete Astrid zu, Guido zumindest wissen zu lassen, daß sie schwanger wäre. »Habe bloß keinen falschen Stolz, Kindchen, du wirst diesen Kerl doch nicht aus seiner Verantwortung entlassen? Wenn er dich nicht heiraten will, was aus seinem Verhalten fast anzunehmen ist, dann soll er wenigstens für das Kind bezahlen. Ich finde, du bist es auch dem Kind schuldig, den Vater nicht zu verschweigen, und bedenke auch, daß jetzt uneheliche Kinder erbberechtigt sind.«

»Als ob es mir darum ginge, Tante Marlene!« meinte Astrid betroffen.

»Jetzt vielleicht nicht, aber später wirst du noch einmal froh sein. Im übrigen schlage ich vor, daß du dann zu mir ziehst und dir hier eine Stellung suchst. Zusammen schaffen wir es schon, da bin ich ganz sicher. Später, wenn es größer wird, suchen wir uns jemanden, der ins Haus kommt und das Kleine betreuen kann. Weißt du, ich freue mich jetzt eigentlich auf das Kind. Wie schön, daß es mir wenigstens noch vergönnt ist, so ein kleines Wesen aufwachsen zu sehen.« Tante Marlene blickte ganz versonnen drein.

Auch Astrid fühlte sich nach dem Gespräch mit ihr sehr erleichtert und war nun wieder viel zuversichtlicher. Sie beschloß, Guido brieflich mitzuteilen, daß er Vater wurde.

Es fiel ihr nicht leicht, diesen Brief zu schreiben. Die ersten Entwürfe wanderten in den Papierkorb, bis sie schließlich zufrieden war. Sie beschränkte sich darin auf die ganz sachliche Mitteilung, stellte keine Forderung und von Gefühlen war auch nicht die Rede.

»Das hast du gut gemacht«, nickte Tante Marlene anerkennend, als sie ihn gelesen hatte, »damit vergibst du dir nicht das Geringste. Aber schick ihn als Einschreiben, damit er nicht behaupten kann, ihn nie bekommen zu haben.«

Das tat Astrid, aber erst zwei Wochen später, jeden Tag war sie gespannt zum Briefkasten gelaufen, kam eine Antwort. Nicht von Guido selbst, sondern von seinem Anwalt!

Dieser teilte ihr in dürren Worten mit, daß sein Mandant die Anerkennung der Vaterschaft verweigere und es unter Umständen auf einen späteren Prozeß ankommen lassen würde!

Astrid war völlig geschockt über so viel Kaltschnäuzigkeit. In diesem Augenblick erstarben die Gefühle, die sie trotz allem noch für diesen Mann gehabt hatte.

»Dann soll es nur zum Prozeß kommen«, meinte Tante Marlene empört, »du wirst nicht nachgeben, Kind, dafür sorge ich! Die wollen dich doch nur ins Bockshorn jagen, weil sie glauben, daß du nicht den Mut hast, die Sache durchzuboxen. Wenn sie merken, daß du dazu entschlossen bist, werden sie klein beigeben, da bin ich fast sicher.«

»Dazu muß das Kind erst einmal da sein, Tante«, erwiderte Astrid, »und ob ich die Nerven habe, das durchzustehen, weiß ich wirklich noch nicht.«

»Damit die denken, du bist deiner Sache am Ende nicht sicher?«

»Ach, Tante Marlene, was die denken, ist mir herzlich egal.«

»Wir werden ja sehen, wenn es soweit ist«, beendete diese die Debatte, aber ihre entschlossene Miene verriet, daß sie nicht ruhen und rasten würde, bis die Nichte sich zu diesem Schritt entschloß.

Wenige Wochen später zog Astrid zu ihr in das hübsche alte Häuschen, das vor einigen Jahren vollständig renoviert worden war. Platz für zwei und später auch drei war reichlich vorhanden.

Ihr Chef, dem sie alles gestanden hatte, reagierte großartig. Er bat sie, so lange zu bleiben, wie es das Gesetz vorschrieb und beschwor sie, auch später, wenn das Kind geboren war, weiterhin bei ihm zu bleiben, denn auf so eine gute Kraft wolle er auf keinen Fall verzichten, erklärte er. Er bewunderte ihren Mut, das Kind zu bekommen.

»Sollte jemand von den Kolleginnen oder Kunden darüber ein Wort verlieren, bekommen sie es mit mir zu tun!« drohte er.

Aber das erwies sich als unnötig, alle waren sehr nett zu Astrid. Mit der Zeit begann sie, sich auf das Kind zu freuen. Sie schwor sich, ihm Mutter und Vater zugleich zu sein und alles zu tun, damit das kleine Wesen nie etwas entbehren mußte.

*

So vergingen einige Monate. Man sah ihr ihren Zustand bereits an, und natürlich gab es Kundinnen, die arglos wissen wollten, ob sie denn inzwischen verheiratet sei. Offen bekannte Astrid sich dazu, daß sie ihr Kind ohne den Vater bekommen würde, und sie erlebte so gut wie nie, daß man sie deswegen schief ansah. Nur einmal hatte sie ein Erlebnis, das sie eine Zeitlang durcheinander brachte. Eine ihrer Kundinnen, die nur von ihr frisiert werden wollte, war Christina Jansen, die Tochter eines Reeders. Sie mochte zwei, drei Jahre älter sein als sie selbst, war ein gutaussehendes dunkelhaariges Mädchen, das immer sehr nett zu ihr war.

Auch heute war sie wieder sehr zufrieden mit der neuen Frisur, die Astrid ihr vorgeschlagen hatte.

»Toll haben Sie das gemacht, Fräulein Astrid!« lobte sie, als sie ihr den Handspiegel gereicht hatte, damit sie sich von allen Seiten betrachten konnte. Dann wurde sie ein wenig verlegen. »Frau Astrid, sollte man Sie jetzt wohl anreden, nicht?« fügte sie hinzu, während ihr Blick an ihr hinunterging. Die lose Bluse, die Astrid trug, verbarg ihren Zustand nicht mehr.

»Ach, lassen Sie es nur dabei, Fräulein oder Frau, was macht das schon«, lächelte Astrid.

Christina Jansen begab sich zur Kasse, und Astrid brachte ihrem Chef das Zettelchen, auf dem angekreuzt war, was gemacht worden war. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und ein hochgewachsener Mann trat ein.

Astrid stand sekundenlang wie erstarrt und spürte förmlich, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Es war Guido!

Er sah sie nicht gleich, weil er auf Christina Jansen zuging und ihr lächelnd auf die Schulter tippte. Sie fuhr herum.

»Ach, du bist es, Liebling!« rief sie erfreut, und dann küßten sich die beiden ungeniert.

Dann erst entdeckte Guido das Mädchen im Hintergrund, das ihn so fassungslos anstarrte. Das Blut schoß ihm ins Gesicht, hastig wandte er sich ab.

»Können wir gehen?« fragte er Christina, und seine Stimme klang etwas belegt.

»Kein Wort zu meiner neuen Frisur, typisch Mann«, schmollte Christina. »Dabei hat Fräulein Astrid sich heute selbst übertroffen.«

»Aber du schaust doch immer zauberhaft aus«, murmelte er, legte den Arm um ihre Schultern und wollte sie hinausdirigieren.

»Warte, ich muß doch noch die Rechnung bezahlen!« Christina holte ihre Geldbörse heraus.

Astrid drehte sich abrupt um und ging grußlos wieder nach hinten. Etwas betroffen blickte Christina ihr nach, denn sie hatte ihr noch ein Trinkgeld geben wollen. Es fiel immer sehr großzügig aus, und so tat sie es diesmal in die Spardose, die für jede der Friseusen auf einem Regal stand.

»Auf Wiedersehen, Fräulein Jansen!« Brinkmann, Astrids Chef, geleitete die gute Kundin zur Tür und öffnete sie.

Astrid war außerstande, sich gleich der nächsten Kundin zu widmen, die schon in der Kabine wartete. Sie begab sich in den gemütlichen kleinen Aufenthaltsraum und ließ sich dort auf einen Stuhl sinken.

Christina Jansen war also Guidos Freundin, daran gab es keinen Zweifel! Ein Mädchen aus seinen Kreisen, mit dem sie sich natürlich nicht messen konnte. Wie peinlich diese überraschende Begegnung ihm gewesen war, war nicht zu übersehen. Das Mädchen, mit der er eine Liebschaft gehabt hatte, war die Friseuse seiner Freundin, was für eine blöde Situation!

Als sie am Abend der Tante davon erzählte, konnte sie es schon wieder mit einem spöttischen Lächeln tun.

*

Drei Monate später wurde Astrids Kind, ein gesundes kleines Mädchen, geboren. Es war keine leichte, aber eine komplikationslose Geburt, und als Astrid erschöpft ihr Kind im Arm hielt, war sie so glücklich wie jede junge Mutter.

»Was für ein entzückendes Baby«, fanden alle, und Tante Marlene war vom ersten Augenblick verliebt in ihr kleines Großnichtchen, das den Namen Constanze tragen sollte.

Schon am Tag nach der Geburt, als das Kind auf dem Standesamt angemeldet werden sollte, mußte Astrid sich entscheiden, ob sie den Namen des Vaters angeben oder verschweigen wollte. Sie zögerte sekundenlang, als die Kliniksekretärin die entscheidende Frage gestellt hatte.

»Geben Sie ihn an, Frau Hollmann«, sagte diese, der ihr Zögern nicht entging. »Sie tun Ihrem Kind keinen Gefallen, wenn in seinen Akten immer wieder das ›Vater unbekannt‹ steht, glauben Sie mir.«

»Also gut.« Astrid gab sich einen Ruck und nannte Guidos Namen.

»Brambeck? Von der Firma Brambeck und Co.?« fragte die Sekretärin erstaunt, denn die Firma war bekannt in Hamburg.

Astrid nickte nur.

Nun mochten die Dinge, die zweifellos unangenehm sein würden, ihren Lauf nehmen! Das Jugendamt würde Guido von sich aus wegen Unterhaltszahlung anschreiben, wie ihr die Sekretärin erklärte.

»Und wenn Sie dabei bleiben, daß Brambeck der Vater ist, werden Sie notfalls einen Prozeß anstrengen, falls er es bestreiten würde.«

»Ich fürchte, das wird er«, seufzte Astrid.

»Da bin ich nicht so sicher. Solche Herrschaften scheuen öffentliche Skandale«, lächelte Frau Melchior, die damit ihre Erfahrungen hatte.

Und sie sollte Recht behalten! Offenbar war man sich im Hause Brambeck über die Folgen eines solchen Prozesses im klaren und wollte es nicht darauf ankommen lassen. Überraschend erkannte Guido die Vaterschaft an. Das bedeutete, daß er auch Unterhaltszahlungen für die kleine Constanze zu zahlen hatte, die angesichts der Vermögenslage der Familie nicht kleinlich angesetzt wurden.

Im Familienkreis empfand man das Ganze als höchst ärgerlich. Seine vornehmen Eltern waren schockiert, als er sich gezwungen sah, es ihnen zu beichten. Natürlich war ihnen klar, daß die Unterhaltszahlungen für das Kind noch das Geringste waren.

»Das Kind wird eines Tages erbberechtigt sein, so wie deine ehelichen Kinder, die du einmal haben wirst, das weißt du wohl«, brummte Albert Brambeck, Guidos Vater.

»Ich bin schließlich Jurist, Vater. Deshalb dachte ich ja auch daran, die Vaterschaft nicht anzuerkennen.«

»Den Skandal können wir uns nicht leisten. Was würde denn auch Christina sagen, wenn es ihr zu Ohren käme. Nein, nein, es war schon gut, daß du es nicht darauf hast ankommen lassen. Aber sage mal, zweifelst du eigentlich selbst, daß das Kind nicht von dir ist?«

»Nein…, eigentlich nicht«, gestand Guido stockend.

»Und was macht dich so sicher?« fragte seine Mutter, eine noch jugendlich wirkende Anfangfünfzigerin, spitz. »Ein Mädchen, das so schnell mit einem Mann intim wird, kann doch wohl…«

»Ich war der erste Mann in ihrem Leben, Mutter«, fiel Guido ihr ins Wort.

»Wirklich?« Überrascht sah sie ihn an, denn diese Tatsache entsprach so gar nicht dem Bild, das sie sich von diesem Mädchen gemacht hatte. Es wäre ihr lieber gewesen, sie hätte in ihr ein leichtfertiges Frauenzimmer sehen können.

»Wirklich«, nickte er ironisch.

»Nun gut, das mit den Alimenten tut uns nicht weh, aber kann man nicht verhindern, daß das Kind später erbt? Irgendeine Gesetzeslücke müßtest du als Jurist doch ausfindig machen.«

»Wir werden sehen. Vielleicht ändert sich noch etwas, bevor es soweit ist. Zunächst erfreut ihr euch noch bester Gesundheit, und ich hoffe, die Tradition unserer langlebigen Vorfahren auch fortsetzen zu können«, grinste Guido etwas schief. »Notfalls kann man schon zu Lebzeiten durch Schenkungen das Erbe wesentlich reduzieren.«

»Hoffentlich redet das Mädchen nicht überall herum, daß du der Vater ihres Kindes bist. Ich überlege, ob man ihr nicht eine gewisse Summe Geldes anbieten sollte, damit sie den Mund hält«, meinte Albert Brambeck stirnrunzelnd.

»Ich glaube nicht, daß das nötig ist, Vater. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn Astrid Hollmann daraus Kapital zu schlagen versuchte.«

»Du scheinst eine gute Meinung

von ihr zu haben. Ich will doch nicht hoffen, daß du noch Verbindung mit ihr hast?«

»Unsinn! Für mich war das nie mehr, als ein kleines Abenteuer.«

»Und das Mädchen? Hast du ihr das auch von Anfang an klargemacht?«

Eine leichte Röte stieg Guido ins Gesicht. »Mein Gott, Vater, du weißt doch wohl noch aus eigener Erfahrung, was man halt so redet, wenn man ein bisserl verliebt ist. Versprechungen in bezug auf Ehe oder so habe ich jedenfalls keine gemacht. Aber für so ein naives kleines Mädchen ist offenbar schon eine Liebeserklärung so eine Art Heiratsversprechen. Ich hatte ihr versprochen, mich mal zu melden, wenn ich wieder da bin, das war es eigentlich auch.«

»Mich wundert nur, daß sie unter diesen Umständen das Kind überhaupt bekommen wollte. Ich meine, man hätte doch etwas unternehmen können. Das macht mich stutzig. Vielleicht war da doch Berechnung bei.«

»Glaube ich nicht, Vater. Ich sage dir ja, das Mädchen ist ziemlich naiv und romantisch, hätte es wohl als Sünde angesehen, etwas zu unternehmen.«

»So was gibt es heute noch«, bemerkte Hildegard Brambeck kopfschüttelnd. Und erst jetzt wurde ihr bewußt, daß das kleine Mädchen, das da geboren war, ihr Enkelkind war, ob Guido nun mit seiner Mutter verheiratet war oder nicht. Sekundenlang überlegte sie, ob sie nicht einfach ins Krankenhaus gehen und sich das Kind einmal ansehen sollte. In welchem Krankenhaus die Entbindung stattgefunden hatte, mußte schließlich zu erfahren sein, und es gab sicher mehr Besucher, die das Kind zu sehen verlangten. Doch dann fiel ihr ein, daß man heute wieder dazu übergegangen war, die Neugeborenen zu den Müttern ins Zimmer zu geben. Rooming-in nannte man das nun. Also war es gar nicht möglich, das Kind heimlich anzusehen. Und überhaupt, es war wohl auch besser so, sonst wurde man am Ende bloß noch sentimental!

*

»Ich werde das Geld für Conny nie angreifen«, erklärte Astrid, als die erste Zahlung auf einem eigens dafür eingerichteten Konto eingegangen war. Conny, so nannte sie ihr Töchterchen jetzt zärtlich.

»Das brauchst du ja auch nicht«, stimmte Tante Marlene ihr zu, die mit der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden war. »Wenn du das Geld sparst und dann immer gut anlegst, hat unser kleiner Goldschatz eines Tages ein schönes Startkapital für eine solide Berufsausbildung. Vielleicht kann sie sogar einmal studieren.«

Astrid lachte. »Wie weit du schon vorausdenkst, Tantchen!«

Conny entwickelte sich prächtig, war ein lebhaftes, aber kein problematisches Baby. Ein halbes Jahr durfte Astrid sich ihr uneingeschränkt widmen, und sie genoß diese Zeit.

In dieser Zeit las sie in der Zeitung die Heiratsanzeige von Guido Brambeck und Christina Jansen. Sie erschien großformatig, auch im Namen beider Eltern, und auch Guidos frischerworbener Doktortitel wurde nicht verschwiegen. Astrid blieb ganz gelassen, es gab ihr nicht den geringsten Stich, wie sie erleichtert feststellte. Mochte er mit Christina Jansen glücklich werden, sie konnte es ihm jetzt sogar wünschen.

Keine noch so gute Heirat und kein Geld der Welt konnten sie glücklicher machen, als ihr Kind. Klein-Connys erstes Lächeln, ihre zunehmenden Reaktionen auf die Umwelt, empfand sie immer wieder als ein Geschenk.

Es fiel ihr zunächst schwer, wieder arbeiten zu gehen, obwohl sie die Kleine bei der Tante und der Kinderfrau, die zu deren Entlastung noch stundenweise ins Haus kam, in den besten Händen wußte. Doch es mußte nun einmal sein, und schließlich machte ihr ihre Arbeit nach wie vor Freude. Sie wollte sobald wie möglich ihre Meisterprüfung machen und träumte insgeheim davon, sich später einmal selbständig zu machen.

Vier Jahre vergingen, und inzwischen stand Astrid vor der Verwirklichung dieser Pläne. Gerade hatte sie ihre Meisterprüfung mit bestem Erfolg bestanden, auf die sie zielbewußt hingearbeit hatte.

Klein-Conny war nun viereinhalb Jahre alt, ging bereits in den Kindergarten und hatte sich zu einem niedlichen kleinen Mädchen entwickelt. Die Ähnlichkeit mit ihrem Vater war unübersehbar. Sie war dunkel wie er, besaß aber die grünlichen Augen der Mutter, war ein graziles, lebhaftes Geschöpfchen. Ein Sonnenscheinchen, wie Tante Marlene immer liebevoll sagte. Sie verwöhnte Conny manchmal fast ein wenig zu sehr, wie Astrid fand, aber im allgemeinen gab es keine Probleme in Erziehungsfragen zwischen der älteren und der jungen Frau.

Conny hing sehr an ihrer Mami und nicht weniger an Tante Mali, wie sie sie liebevoll nannte. Einen Vater vermißte sie bis jetzt nicht, obwohl sie durch den Kindergarten gemerkt hatte, daß andere Kinder einen besaßen, sie aber nicht.

Einmal hatte sie wissen wollen, warum das so sei. Auf diese Frage hatte sich Astrid vorbereitet, früher oder später hatte sie sie ja erwartet. Behutsam hatte sie der Kleinen erklärt, daß ihr Papa ganz weit fort sei, und damit hatte Conny sich zufriedengegeben. Später, wenn sie in die Schule käme, wollte sie ihr dann wieder ein wenig mehr erklären und so offen wie möglich sein.

Astrid besaß inzwischen ein eigenes Auto, so war sie schneller am Arbeitsplatz und wieder zu Hause, zumal sie ja dann auch noch die Meisterkurse belegt hatte. Dort hatte sie einen netten Kollegen und seine Frau kennengelernt, mit denen sie sich angefreundet hatte. Wie sie, hatten Peter und Silvia Hartmann bereits mehrere Preise im Schaufrisieren gewonnen. Auch sie planten, sich selbständig zu machen. So ergab es sich zwangsläufig, daß sie beschlossen, zusammen diesen Schritt zu wagen, ihre Ersparnisse in einen Topf zu werfen. Auch Tante Marlene bestand darauf, noch einen Zuschuß von ihren Ersparnissen zu geben.

»Du bekommst sowieso, was ich zu vererben habe, warum nicht jetzt schon einen Teil davon, wo du es am dringendsten brauchst«, hatte sie gemeint, als Astrid zunächst protestiert hatte.

Zusammen ging man auf die Suche nach einem geeigneten Laden in der Innenstadt von Hamburg. Man war sich einig, daß es ein kleiner, aber exclusiver Salon werden sollte. Nur mit ein oder zwei Lehrlingen, ohne weiteres Personal, schließlich waren sie zu dritt. Ganz ohne einen Kredit war das nicht möglich, aber sie wollten ihn so schnell wie möglich tilgen.

In diesen Tagen rief Peter Hartmann Astrid an und bat sie, sich mit ihnen einen Laden anzusehen.

»Er ist super, du wirst staunen!« rief er freudig erregt und verriet nur noch, daß er ihn durch den Tip eines Freundes gefunden hatte.

Es war ein Glücksfall, wie Astrid dann später feststellte. Ein kleines Eiscafé war bis dahin darin gewesen, dessen Besitzer sich ein größeres Objekt gesucht hatte. Die Lage war hervorragend in einer belebten Seitenstraße des Fußgängerzentrums, die Miete noch erschwinglich. Sie planten sechs Bedienungsplätze, dazu einen abgeteilten Raum für kosmetische Behandlungen und eine gemütliche Warteecke. Auch für ein Entree mit Verkaufsabteilung blieb noch genug Platz. Ein kleines Hinterzimmer zur persönlichen Benutzung und ein kleines Lager war auch vorhanden.

Bereits am Tag der Eröffnung, den sie festlich begannen und dafür auch Sonderpreise angesetzt hatten, konnten sie über Mangel an Kunden nicht klagen. Zu ihnen gehörte auch Christina Brambeck. Nach wie vor wollte sie von Astrid bedient werden, und als sie hörte, daß diese sich selbständig machen wollte, erklärte sie sofort, daß sie dann weiterhin zu ihr kommen würde. Es war ganz deutlich, daß Guido ihr sein uneheliches Kind verschwiegen hatte. Zumindest hatte er ihr nie gesagt, wer die Mutter war, denn sie gab sich Astrid gegenüber völlig arglos.

Astrid hatte mit Peter und Silvia ausgemacht, daß sie künftig nur an vier Tagen in der Woche arbeiten wollte. Montags war das Geschäft ohnehin geschlossen, und auch dienstags war es in der Regel noch ein wenig ruhiger. So hatte sie drei volle Tage, an denen sie sich ihrem Töchterchen widmen konnte, denn das war ihr wichtiger als alles andere.

Schon nach wenigen Wochen gingen ihre Berechnungen auf. Der Salon lief hervorragend! Sie besaßen einen exclusiven Kundenkreis, darunter auch einige Prominente, wie Schauspielerinnen und Sängerinnen und viele Damen der besten Kreise.

»Ich habe ein wenig die Werbetrommel für Sie gerührt«, verriet Christina Brambeck ihr, als sie das erste Mal kam.

»Das ist sehr nett von Ihnen, Frau Brambeck«, lächelte Astrid erfreut.

»Nun, ich konnte es ja guten Gewissens tun. Schade, daß Sie keinen Herrensalon haben, dann hätte ich Ihnen auch meinen Mann geschickt.«

Der wäre bestimmt nicht gekommen, dachte Astrid, aber sie hob nur bedauernd die Schultern und erklärte, daß sie sich nun einmal auf die Damen spezialisiert hätten.

»Unheimlich schön haben Sie alles gestaltet. Das hat sicher eine Menge Geld gekostet, nicht?«

»Es war nicht ganz billig«, gab Astrid zu, »aber wir hoffen, unsere Schulden so schnell wie möglich abtragen zu können.«

*

Ein gesellschaftliches Ereignis stand bevor, und so war in diesen Tagen Hochbetrieb im »Frisierstübchen«, wie man den Salon in bescheidener Untertreibung genannt hatte.

Auch Christina Brambeck hatte sich angemeldet und ließ sich von Astrid eine elegante Abendfrisur legen. Astrid fand, daß sie etwas müde aussah, sie plauderte auch nicht so lebhaft wie sonst. Ob sie wohl Kummer hatte? Mit ihrem Ehemann womöglich? Über Persönliches sprach Christina nie, und natürlich fragte Astrid auch nicht, sie war ja nur froh darüber.

Astrid hatte ihr gerade die Haare gewaschen, als Conny hereingestürmt kam.

»Mami, Tante Mali hat mir neue Schuhe und ein Kleidchen gekauft!« strahlte Conny und wies auf ihre Einkaufstüte, die sie in der Hand trug. »Soll ich es dir mal zeigen?«

Tante Marlene steckte den Kopf in die Kabine. »Entschuldige, Astrid, sie wollte unbedingt hereinschauen«, sagte sie ein wenig schuldbewußt. Sie wußte ja, heute war viel zu tun.

»Herzelein, ich habe jetzt wirklich keine Zeit. Du zeigst mir alles nachher, wenn ihr mich abholt, ja?« Astrid beugte sich zu ihr hinunter, küßte sie und gab ihr einen liebevollen Klaps. »Und nun lauf wieder, sei so lieb!«

»Das ist also Ihr Töchterchen?« Christina Brambeck wandte sich um und streckte Conny die Hand hin. »Willst du mir nicht guten Tag sagen, du Süße?«

Conny gab ihr wohlerzogen die Hand. »Macht meine Mami dich

hübsch?« fragte sie unbefangen.

»Ja, Kleines, und das macht sie immer ganz toll«, lächelte die junge Frau. »Wie heißt du denn?«

»Constanze, aber du darfst Conny zu mir sagen«, erwiderte Conny zutraulich.

»Wie alt bist du?«

»Bald werde ich schon fünf«, antwortete Conny stolz und reckte sich. »Am 1. Mai habe ich nämlich Geburtstag, weißt du?«

»Nun, dann mußt du aber noch ein bißchen warten«, lächelte Christina amüsiert. »Aber ich werde es mir merken.«

»Schenkst du mir dann was?«

»Ich bitte dich, Schatz, so was sagt man doch nicht«, ermahnte Astrid ihr Töchterchen lächelnd.

Sie fühlte sich etwas beklommen. Wenn Christina Brambeck wüßte, wer der Vater von Conny war, würde sie wohl kaum so freundlich mit ihr sprechen!

»Aber nein, lassen Sie sie doch, sie ist so reizend«, lächelte Christina entzückt und strich Conny über die dunklen Locken. »Was wünscht du dir denn zum Geburtstag, Conny?«

»Ein Fahrrad«, kam es prompt. »Weil ich nämlich schon viel zu groß für ein Dreirad bin«, fügte sie auch gleich erklärend hinzu.

»Ein unbescheidenes Kind, wie Sie sehen!« Astrid lachte.

»Unschreiben, was ist das, Mami?« piepste Conny.

»Unbescheiden heißt es, und das ist man, wenn man sich so große Geschenke wünscht, die viel Geld kosten, Herzchen«, belehrte sie ihre Mami.

Bestürzt blickte Conny sie an. »Dann…«, sie dachte angestrengt nach, »dann wünsche ich mir eben Rollschuhe. Sind die auch teuer?«

»Nein, die sind nicht so teuer«, erwiderte Christina schnell, bevor Astrid etwas sagen konnte. »Und ich glaube, aus meiner Kinderzeit habe ich noch welche auf dem Speicher, die noch wie neu sind. Soll ich mal nachsehen und sie deiner Mami geben, wenn ich sie finde?«

Bevor sie nickte, warf Conny dieser erst einen fragenden Blick zu.

»Au ja, das wäre fein!« strahlte sie, als Astrid gewährend nickte.

»Was für ein reizendes Kind«, wiederholte Christina Brambeck, als die Kleine mit Tante Marlene wieder abgezogen war. »Sie sind zu beneiden, Frau Hollmann.« Ein Schatten flog über ihr Gesicht.

Astrid wußte, daß sie und Guido noch keine Kinder hatten, glaubte aber, sie wünschten sich keine. Nun begann sie zu ahnen, daß dem nicht so war. Christinas folgende Worte bestätigten das denn auch.

»Wir hätten auch so gern ein Kind, wissen Sie« sagte sie leise. »Leider kann ich keine bekommen, wie mir die Ärzte sagten. Und ich war nicht nur bei einer Kapazität.«

»Das tut mir leid für Sie«, murmelte Astrid betroffen und mit ehrlichem Mitgefühl. »Aber die besten Ärzte können irren, man hört doch immer wieder von fällen, in denen Frauen entgegen aller Diagnosen doch noch Kinder bekommen.«

»Sicher, aber ich kann nicht mehr an ein solches Wunder glauben. Auch mein Mann, der zuerst noch optimistisch war, hat die Hoffnung inzwischen aufgegeben.« Sie starrte trübe vor sich hin.

»Hat er das gesagt?« fragte Astrid betroffen, es klang auch ein wenig empört.

»Nicht direkt, aber man spürt es doch. Unsere Ehe…« Sie unterbrach sich, weil sie wohl merkte, daß dieses Geständnis allzu persönlich werden würde. »Nun ja, man muß sich eben damit abfinden.« Sie lächelte gezwungen.

»Vielleicht sollten Sie einfach nicht mehr daran denken und sich nicht selbst unter einen Zwang stellen. Wenn man so unter einem Druck steht, klappt vielleicht gerade deshalb nichts«, sagte Astrid tröstend.

Christina zuckte nur mit den Schultern und sprach dann von etwas anderem. Astrid mußte noch eine Weile über das Gespräch nachdenken. Wenn Guidos Frau wirklich kein Kind bekommen konnte, dann kam einem unwillkürlich der Gedanke, ob das Schicksal sich am Ende auf diese Weise an ihm rächte. Schlimm war nur, daß ihn das nicht allein traf, sondern diese doch nette Frau nicht weniger. Es schien die Ehe zu belasten, das hatte der unbeendete Satz doch beinhaltet. Wie gut konnte sie sich vorstellen, daß Guido nicht der Mann war, solch einen Schicksalsschlag mit seiner Frau zusammen durchzustehen. Ein Egoist war er, das hatte sie ja auch erfahren!

*

»Du kannst froh sein, nicht an einen solchen Mann geraten zu sein«, meinte Tante Marlene, mit der sie am Abend darüber sprach.

»Ja, das denke ich auch«, stimmte Astrid zu.

»Nur meine ich, du bist zu jung, um für immer allein zu bleiben«, fuhr die Tante fort. »Du brauchst gar nicht die Stirn zu runzeln, Kindchen, weil ich schon wieder davon anfange. Wenn ich nur daran denke, daß du doch im Laufe der Jahre schon einige wirklich nette Männer kennengelernt und alle wieder in die Wüste geschickt hast, wie man so sagt.«

»Jemanden nett finden, heißt eben nicht, jemanden zu lieben, Tante Marlene. Ich kann doch keine Hoffnungen erwecken, wenn ich von vornherein weiß, daß ich sie nicht erfüllen kann.«

Wenige Tage später begab sie sich in ein Reisebüro, und als sie dort ihre Wünsche darlegte, zog die junge Frau, die sie bediente, ein bedenkliches Gesicht.

»Wir sind ziemlich ausgebucht diesen Sommer. Bedenken Sie, es sind nur noch vier Wochen bis zu den großen Ferien. An was für ein Land hatten Sie denn speziell gedacht?«

»Ach, das ist mir eigentlich gleich. Wir wollten halt irgendwohin, wo man sich auf das Wetter verlassen kann und wo Strand ist.«

»Mögen Sie es mehr ruhig oder mehr lebhaft?«

»Ach, so in der Mitte halt.«

Doch die Angebote, die die junge Frau ihr unterbreitete, gefielen Astrid nicht so sehr. Einige waren auch einfach zu teuer, und nachdem das Geschäft alle ihre Ersparnisse geschluckt hatte, konnte und wollte sie sich nicht zu sehr verausgaben. Schließlich gab es auf Ibiza noch ein sehr gutes Angebot in einem schönen kleinen Hotel.

»Ich kenne es selbst und kann es nur empfehlen. Es liegt ruhig, ganz im Grünen und doch strandnah, und mit dem Bus ist man schnell im Ort.« Die Angestellte zählte noch weitere positive Punkte auf.

»Ich weiß nicht«, sagte Astrid unschlüssig, »das hört sich zwar alles sehr gut an, aber ich war schon auf Ibiza und wollte eigentlich mal was anderes sehen.«

Aber schließlich entschloß sie sich doch, das Angebot anzunehmen, denn die Vergleiche fielen immer wieder zu seinen Gunsten aus. Und warum, so sagte sie sich, sollte sie nach so vielen Jahren nicht wieder einmal dorthin fahren, wo sie über die Sache mit Guido Brambeck ohnehin längst hinweg war.

Conny freute sich auf den ersten Flug ihres Lebens, und als es soweit war und sie auf dem Flugplatz auf ihren Abflug warteten, war sie ganz aufgeregt.

»Können wir auch bestimmt nicht runterfallen, Mami?« erkundigte sie sich, während sie schon andere Flugzeuge aufsteigen sahen.

»Ach wo«, beruhigte sie Astrid, denn wozu dem Kind Angst machen. »Du wirst sehen, es wird dir gefallen, die Welt einmal von oben zu betrachten.«

»Und zu sehen, wie klein von dort alles ist«, ergänzte ein junger Mann, der neben ihnen saß, lächelnd. Er war allein, und schon die ganze Zeit hatte Astrid seine Blicke gespürt. Er mochte zwei, drei Jahre älter als sie sein, war ein großer blonder Mann, der sehr sympathisch wirkte.

»So klein?« Conny zeigte mit zwei Fingern, wie sie es sich vorstellte.

Er lachte. »Ja, alles sieht aus wie Bausteine aus einer Spielzeugschachtel.«

»Kann man von oben auch runterspucken?« erkundigte sich die Kleine.

Belustigt schüttelte er den Kopf. »Nee, Lütte, das geht leider nicht, sonst hätte ich es auch schon versucht. Aber die Fenster eines Flugzeugs lassen sich nicht öffnen.«

»Schade«, bedauerte Conny, und es klang so drollig, daß die beiden Erwachsenen lachen mußten.

»Wo werden Sie wohnen?« wandte sich der Fremde nun an Astrid, und sie sagte es ihm. »Ach, so ein Zufall, das Hotel habe ich auch gebucht«, meinte er erfreut.

»Kennen Sie es?«

»Ja, ich war schon mal vor zwei Jahren dort. Es ist toll, wirklich. Man ist auch sehr kinderfreundlich, und vor allem ist dort keine Massenabfertigung. Deshalb habe ich es auch wieder gebucht, obwohl ich an die Insel keine so gute Erinnerungen habe. Persönlicher Art, meine ich.« Er verzog den Mund.

»Sie auch?« rutschte es Astrid heraus, obwohl sie es gleich bereute. Was ging es einen Wildfremden an, was so lange vorbei war?

»Sind wir Leidensgenossen?« grinste er verständnisvoll.

»Ach, in meinem Fall ist es schon beinahe nicht mehr wahr. Nichts mehr, was mich noch in irgendeiner Weise bewegen könnte«, erwiderte Astrid schnell.

»Wie schön, dann kann ich ja hoffen, daß ich die traurigen Erinnerungen auch überwinde. Vielleicht will ich sogar hinfahren, um zu sehen, ob die Insel aus der Nähe überhaupt noch so erinnerungsbeladen ist.«

»Aha, eine Art Schocktherapie also«, lächelte Astrid.

Er konnte nicht mehr antworten, denn der Flug wurde aufgerufen, die Wartenden erhoben sich und bewegten sich in Richtung Ausgang.

»Wir sehen uns ja noch, nicht?« rief der junge Mann ihnen noch nach, ehe sie im Gewühl auseinandergerissen wurden.

*

Das Hotel hielt wirklich, was es versprochen hatte. Sie bekamen ein schönes Doppelzimmer mit Balkon und Meerblick. Das Haus lag in einem wunderschönen parkähnlichen Garten, es waren nur wenige Meter bis zum Strand, den sie gleich erst einmal besichtigten.

Ihr Reisebegleiter befand sich beim Abendessen an ihrem Tisch. Ganz zufällig habe man sie zusammengesetzt, behauptete er, aber so ganz traute Astrid dem nicht. Er stellte sich als Michael Schürmann vor, und Astrid war nicht böse, daß er bei ihnen saß. Allerdings hatte sie nicht vor, den ganzen Urlaub in seiner Gesellschaft zu verbringen. Wenn es sein mußte, würde sie ihm das auch in aller Freundlichkeit sagen.

Zu Connys Freude gab es noch einige gleichaltrige Kinder unter den Gästen, mit denen sie sich schon am nächsten Morgen am Strand zusammenfand. Das war angenehm für Astrid, so konnte sie in ihrem Liegestuhl in der Sonne liegen. Wenn sie gelegentlich den Kopf hob, um nach Conny zu schauen, sah sie, daß Michael Schürmann ganz in der Nähe saß. Es kam ihr so vor, als wartete er nur darauf, daß sie ihn einlud, sich zu ihr zu setzen. Doch sie verspürte keinerlei Lust dazu, genoß es, einmal nicht soviel reden zu müssen wie sonst täglich im Geschäft.

Später ging sie mit Conny ins Wasser. Es war herrlich erfrischend, und während Mutter und Tochter herumtobten, gesellte sich Michael Schürmann zu ihnen.

»Ist toll, nicht?« Prustend tauchte er neben Astrid auf.

Und weil er ihr dann doch ein wenig leid tat, warf sie ihm den Ball zu, mit dem Conny und sie spielten. Erfreut tat er mit.

»So, für heute ist es genug, sonst bekommen wir einen Sonnenbrand«, sagte sie, als sie Conny danach abfrottierte.

»Bin ich schon braun, Mami?«

»Nein, aber du fängst an, rot zu werden, mein Schatz, und ein Sonnenbrand kann sehr weh tun.«

»Was halten die Damen davon, wenn wir einen kleinen Bummel machten und irgendwo ein Eis äßen?« schlug Michael Schürmann vor.

»Au ja, das wäre toll!« rief Conny begeistert.

»Da bin ich wohl überstimmt«, lächelte Astrid.

Nachdem sie sich frisch gemacht und umgekleidet hatten, zogen sie los. Aber selbst für einen Bummel durch die schmalen Gäßchen war es zu heiß, so landeten sie bald in einem der vielen kleinen Cafés und labten sich an einem Eis.

Michael Schürmann erzählte, daß er von Beruf Optiker sei und einmal das elterliche Geschäft übernehmen würde. Er lebte in Hannover.

»Arbeiten Sie auch?« erkundigte er sich.

»Natürlich. Sehe ich so aus, als hätte ich das nicht nötig?« lachte Astrid.

»Na ja, es hätte doch sein können, daß Sie zu Hause einen gutverdienenden Ehemann haben«, grinste er.

»Habe ich aber nicht.«

»Tatsächlich?« Sein Blick ging zu Conny, die gerade mit einem Hündchen schäkerte, dessen Frauchen am Nachbartisch saß. Aber er getraute sich offenbar nicht, weiterzufragen.

»Ich habe mit Freunden zusammen einen Friseursalon«, berichtete Astrid nun.

»Da schau her, Sie sind also eine selbständige Frau.«

»Noch nicht lange, aber der Salon läuft gut. Das Glück, ein Geschäft zu erben, hatten wir leider nicht.«

»Ach, ich weiß nicht, ob das immer ein Glück ist. Für meinen alten Herrn bin ich immer noch so eine Art Lehrbub, obwohl ich schon meine Meisterprüfung hinter mir habe. Allerdings will er sich aus dem Geschäft zurückziehen, wenn ich mal verheiratet bin.«

»Dann tun Sie es doch«, scherzte Astrid.

»Woher eine Frau nehmen und nicht stehlen? Seit mir meine Freundin den Laufpaß gegeben hat, habe ich noch nicht wieder die richtige gefunden.«

»Sind Sie so kritisch?«

»Sind Sie es nicht auch? Wenn eine so hübsche Frau wie Sie allein ist, liegt es ja wohl kaum an mangelnden Verehrern.«

»Sie haben recht, man sagt mir auch nach, recht wählerisch zu sein. Aber es stimmt gar nicht, es ist nur so, daß ich jemanden schon sehr gern haben müßte, um mich zu binden. Außerdem soll Conny…«

»Keinen bösen Stiefvater bekommen, ich verstehe«, nickte er.

Obwohl Conny scheinbar ganz vertieft mit dem Hündchen gespielt hatte, blickte sie plötzlich auf.

»Ich habe doch einen Papa, er ist bloß ganz weit weg«, sagte sie.

Astrid wurde ein wenig verlegen.

»Klar, Conny, jeder Mensch hat Vater und Mutter, aber manche Eltern leben eben nicht zusammen, stimmt’s?« lächelte Michael Schürmann.

»Hast du auch Kinder?« forschte sie.

»Nein, noch nicht. Aber so ein nettes kleines Mädchen wie du, das würde mir gefallen, wenn die meine Tochter wäre«, schmunzelte er.

Die kleine Eva strahlte ihn an, doch bevor sie etwas sagen konnte, das sie womöglich wieder in Verlegenheit brächte, lenkte Astrid rasch ab.

*

Die ersten Tage vergingen wie im Flug, obwohl Mutter und Tochter eigentlich wenig unternahmen. Für Conny war es am schönsten, am Strand zu buddeln, zu baden und mit den anderen Kindern zu spielen, und Astrid genoß das Faulenzen nicht weniger. Sie hatte sich reichlich mit Lesestoff versorgt, um nachzuholen, wozu sie alltags meistens zu müde war. Früher hatte sie mehr die Unterhaltungsliteratur bevorzugt, doch jetzt wagte sie sich auch an anspruchsvollere. Sie hatte gelegentlich das Gefühl gehabt, ihre Allgemeinbildung ein wenig vernachlässigt zu haben und versuchte nun, diese Lücken zu schließen. In der letzten Zeit ging sie auch wieder öfter ins Theater und in Konzerte, besuchte manchmal Kunstausstellungen und Museen. Was gerade aktuell war, erfuhr sie, wenn Kundinnen sich unterhielten. Dann hatte sie immer die Ohren gespitzt und sich ein wenig daran orientiert. Auch ihre Sprachkenntnisse, in der Realschule hatte sie Englisch und Französisch gelernt, versuchte sie aufzubessern, denn in diesen Fächern war sie immer gut gewesen.

»Nun hast du gerade die Meisterprüfung hinter dir und hast schon wieder Kurse an der Volkshochschule belegt«, hatte Tante Marlene halb tadelnd, halb bewundernd gemeint.

»Es macht mir eben Spaß, dazuzulernen. Andere gehen tanzen oder auf Parties, ich leiste mir halt diesen Luxus«, hatte Astrid lächelnd erwidert.

»Ganz schön anspruchsvoll, was Sie da lesen«, hatte Michael Schürmann gemeint, als er einmal ein Buch in die Hand genommen hatte, was sie gerade las.

»Ach, Sie meinen zu anspruchsvoll für eine kleine Friseuse?« hatte sie etwas spitz erwidert.

»Unsinn, so war es doch nicht gemeint! Ich dachte nur an mich, der ich mich im Urlaub nie zu so was aufschwingen kann und lieber Krimis lese.«

»Die lese ich auch manchmal«, gestand Astrid. »Schön gruselig müssen sie sein, nicht solche, die nur von Revolverhelden handeln.«

»Und wenn Sie dann abends ins Bett gehen, schauen Sie erst nach, ob sich kein Unhold im Schrank versteckt hat, wie?« spottete er.

»So ähnlich«, lachte sie.

Heute morgen allerdings war der Himmel zum ersten Mal ein wenig bezogen, denn in der Nacht war ein starkes Gewitter niedergegangen. So hatte Astrid einen Ausflug nach Ibizastadt unternommen, um ein paar Mitbringsel zu erstehen. Michael Schürmann wäre gern mitgekommen, doch sie hatte ihn abgewimmelt.

»Bei einem Einkaufsbummel habe ich nicht gern ein Mannsbild bei mir«, hatte sie unverblümt erklärt und sich auch nicht erweichen lassen, als er versichert hatte, sozusagen der ideale Einkaufsbegleiter zu sein.

Ein paar Mitbringsel fanden sich schnell, und dann entdeckte Astrid in einer Boutique ein wunderschönes Kleid für sich. Sie kaufte es, obwohl es nicht gerade billig war.

Conny erhielt ein süßes Blüschen und passende Bermudashorts dazu. Sie durfte beides gleich anziehen und betrachtete sich stolz in den spiegelnden Schaufensterscheiben, an denen sie vorübergingen.

Mancher interessierte Blick folgte Mutter und Tochter. Wegen der Hitze trug Astrid das Haar meistens aufgesteckt, an ihren Ohren baumelten lange silberne Ohrringe. Obwohl sie die zarte Haut der Rotblondinen besaß, bräunte sie schnell. Das weiße lose Seidenhemd mit den lilafarbenen Applikationen hob die frischerworbene Bräune noch hervor. Dazu trug sie eine weite knielange Hose, ebenfalls aus weißer Seide. Dieses Ensemble hatte sie sich noch zu Hause für diesen Urlaub gekauft.

Bis dahin hatte Conny brav durchgehalten, aber nun wurde sie doch ein wenig quengelig, denn die Sonne war wieder durchgekommen.

»Zur Belohnung essen wir noch ein Eis, bevor wir zurückfahren, ja?« schlug Astrid vor, als sie an einem Straßencafé vorüberkamen. Conny war natürlich einverstanden, und so suchten sie sich einen freien Tisch.

Sie hatten gerade bestellt, als Astrids Blick zum Nebentisch hinüberging, an dem ein Herr und eine Dame saßen. Auch die Dame, eine Blondine in leuchtend rotem Kleid, blickte herüber, und dann erkannte man sich im selben Augenblick!

»Hallo, was für eine Überraschung!« Christina Brambeck sprang auf und trat an Astrids Tisch, streckte ihr mit strahlendem Lächeln die Hand hin. »So trifft man sich also fern der Heimat.«

»Ja, das ist allerdings ein Zufall!« Astrid lächelte ein wenig gezwungen, denn nun drehte sich auch Christinas Begleiter um, der ihnen den Rücken zugewandt hatte. Und Guido Brambecks Miene zeigte zunächst Verblüffung, dann Verlegenheit, als er sie erkannte.

»Und da ist ja auch das Töchterchen. Guten Tag, Conny!« Christine tätschelte ihre Wange. »Sind Sie schon lange da?«

»Ein paar Tage erst. Und Sie?«

»Wir sind auch erst eine Woche hier. Sie erlauben doch, daß wir uns zusammensetzen?« Ohne Astrids Antwort abzuwarten, die wohl auch kaum hätte ablehnen können, wandte sie sich zu ihrem Mann um. »Guido, Schatz, komm doch bitte her, laß uns bei Frau Hollmann Platz nehmen!«

Das Zucken um seine Mundwinkel verriet, wie ungern er ihrem Wunsch nachkam, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, wenn Christina nicht stutzig werden sollte.

»Das ist mein Mann, und das ist Frau Hollmann nebst Töchterchen Conny. Du erinnerst dich wohl, Frau Hollmann ist für meine Frisuren zuständig«, stellte diese vor. Wie hätte sie ahnen können, wie gut diese beiden Menschen einander einmal gekannt hatten.

»Guten Tag!« Astrid sagte es höflich-freundlich und scheinbar ganz gelassen, obwohl sie innerlich flatterte. Nicht, weil sie die Begegnung mit Guido so durcheinanderbrachte, sondern weil ihr das Verrückte dieser Situation bewußt war.

Und es war das erste Mal, daß Guido seine Tochter sah!

»Guten Tag, Frau Hollmann, es freut mich, Sie kennenzulernen«, murmelte Guido steif. Wie gut sie aussieht! Das war sein erster Gedanke. Aus dem zwar hübschen, aber etwas biederen Mädchen von damals war eine attraktive, elegante junge Frau geworden, deren Haltung in diesem Augenblick bewundernswert war! In ihrem schicken Ensemble sah sie eleganter aus als Christina, die immer so leuchtende Farben bevorzugte und sich selten nach seinem Geschmack zu kleiden pflegte. Während sie außer den Ohrringen und einem Elfenbeinreif am Arm keinerlei Schmuck trug, hatte Christina sich wieder förmlich damit behängt. Wie immer war sie auch stark geschminkt, während Astrid noch nicht einmal, den Lippenstift benutzt hatte.

Dann sah er das kleine Mädchen an, und es durchzuckte ihn förmlich. Wenn er je auch nur den geringsten Zweifel gehabt hätte, sie könne vielleicht doch nicht seine Tochter sein, in diesem Augenblick hätte er ihn aufgegeben. Sie war eine Brambeck, nicht nur wegen der dunklen Haare, die sie zweifellos von ihm hatte, sondern auch was den ganzen Gesichtsschnitt betraf. Unter dem forschenden Kinderblick wurde Guido ganz sonderbar zumute, als er ihr die Hand hinstreckte.

»Du bist also die Conny?« fragte er, um überhaupt etwas zu sagen.

»Richtig heiße ich Constanze«, erklärte die Kleine.

»Ein schöner Name«, murmelte er und ließ sich nun auch nieder. Ihm wurde jetzt bewußt, was für eine seltsame Situation es war.

»Sie ist goldig, nicht?« lächelte Christina. Ein wehmütiger Zug flog über ihr Gesicht, denn sie dachte, daß das kleine Mädchen eigentlich so aussah, wie sie sich ein Kind von Guido selbst immer vorgestellt hatte. Schon als sie Conny zum ersten Male gesehen hatte, hatte sie das denken müssen, doch beide Male war es ihr ganz ohne Arg durch den Kopf geschossen.

»Bitte nicht«, bat Astrid, »es tut Kindern nicht gut, das zu hören. Wenn ich eines nicht mag, dann sind es Kinder, die schon in dem Alter so eingebildete kleine Fratzen sind.«

»Findet ihr meine neuen Hosen und die Bluse auch schön?« fragte Conny kokett, aber es war offensichtlich, daß sie die Bemerkung mehr auf die neuen Sachen bezog.

»Bildschön, richtig fesch schaust du aus«, nickte Christina.

»Die hat mir meine Mami gerade gekauft«, berichtete Conny wichtig, »und da in der Tasche ist ein Kleid für Mami, soll ich es euch auch mal zeigen?« Sie rutschte von ihrem Stühlchen und machte Anstalten, die Tragetasche zu öffnen.

»Aber Schatz, das interessiert doch niemanden!« Hastig nahm Astrid sie ihr fort und hängte sie an die Lehne ihres Stuhls.

Christina lachte amüsiert. »Also, was Unbefangenheit und Natürlichkeit anbelangt, so brauchen Sie sich wegen ihrer Tochter keine Sorgen zu machen.«

Conny, die neben Guido saß, war stehengeblieben und betrachtete die Armbanduhr, die er trug.

»So eine hat Onkel Michael auch«, stellte sie fest.

»So?« Es klang ein wenig verwundert, denn es war eine ziemlich kostbare Uhr. »Und wer ist Onkel Michael?« konnte er sich nicht enthalten zu fragen.

»Das ist mein neuer Freund«, erklärte Conny wenig aufschlußreich.

»Was, ein kleiner Junge trägt schon solch eine Uhr?« staunte er, wohl

wissend, daß das wohl kaum möglich war.

Conny lachte. Niedliche Grübchen bildeten sich in ihren Wangen.

»Michael ist doch kein Junge, sondern ein großer Mann wie du. Wie Sie«, verbesserte sie sich hastig, denn sie kam in das Alter, da man allmählich begriff, daß man nicht alle Erwachsenen duzen durfte.

»Ach so. Aber du darfst ruhig du zu mir sagen«, lächelte er, und sein Herz schlug plötzlich höher. Was für ein entzückendes Geschöpfchen war dieses kleine Mädchen, und es war sein Kind!

»Wie heißt du denn mit dem Vornamen?« wollte sie nun wissen.

Astrid gefiel ganz und gar nicht, was sich da abspielte. Guidos Miene zeigte unverhohlen, wie sehr ihm sein Töchterchen gefiel. Sein Töchterchen? Nein, es war ihr Kind allein, nachdem er sich in all den Jahren nie für sie interessiert hatte! Wäre sie weniger niedlich, hätte er sich wohl kaum so mit ihr befaßt, sie kannte ihn doch!

»Ich heiße Guido«, sagte dieser nun.

»Ach, das ist aber ein komischer Name.«

»Gefällt er dir nicht?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte sie unschlüssig.

Er lachte kurz auf, hob dann den Kopf und sah Astrid an. Die winzige Falte zwischen ihren Brauen entging ihm nicht. Gefiel es ihr nicht, daß er sich so mit dem Kind befaßte?

»Wo sind Sie eigentlich abgestiegen?« erkundigte sich Christina nun bei ihr und berichtete dann, daß sie hier mit ihrer Segeljacht ankerten.

Astrid konnte nicht verhindern, daß ihr das Blut ins Gesicht schoß, weil sie der Gedanke durchfuhr, ob es wohl noch die war, auf der sie seinerzeit mit Guido geschippert war.

Zum Glück merkte Christina Brambeck ihre Verlegenheit nicht. Aber Guido registrierte ihren Farbwechsel sehr wohl. Daß sie einfach peinlich berührt war, konnte er sich nicht vorstellen. Er glaubte sicher zu sein, daß sie in diesem Augenblick an die Intimität ihres Zusammenseins gedacht hatte. Hatte sie die Tage nie vergessen? War das am Ende der Grund, daß sie nicht geheiratet hatte? Denn so, wie sie aussah, konnte es ihr doch trotz des Kindes kaum an Verehrern gemangelt haben. Es tat seiner männlichen Eitelkeit sehr gut, sich das vorzustellen, zumal er sie jetzt ungeheuer reizvoll fand. Sie war nicht mehr das dumme kleine Mädchen von einst, das war unübersehbar!

»Übrigens, wie wäre es, wenn Sie morgen beide eine Fahrt mit uns machten?« schlug Christina plötzlich vor. »Das wäre doch mal eine hübsche Abwechslung, und ganz sicher auch für uns, nicht wahr, Guido?«

»Das ist sehr freundlich, aber…«, wollte Astrid schon ablehnen, aber Conny fiel ihr ins Wort.

»Bitte, bitte, Mami, laß uns mitfahren!« bettelte sie. »Mit einem Boot wollte ich immer schon mal fahren!«

»Also, dann ist es abgemacht, da können Sie doch gar nicht nein sagen, liebe Frau Hollmann«, entschied Christina. »Wir erwarten sie nachmittags um drei am Hafen und zwar…« Sie beschrieb die genaue Stelle.

Astrid warf Guido einen schnellen Seitenblick zu. Sehr begeistert wirkte er auch nicht gerade. Diese Begegnung heute war unausweichlich gewesen, er hatte das Beste daraus gemacht. Aber daß er sie und Conny nun einen ganzen Nachmittag auf dem Hals haben sollte, schien ihm doch nicht so zu passen. Fürchtete er womöglich, irgend etwas könne herauskommen?

Eigentlich geschähe es ihm recht, dachte Astrid schadenfroh. Dann nickte sie und versprach, mit Conny pünktlich am Treffpunkt zu sein.

*

Astrid hatte richtig vermutet. Guido machte seiner Frau Vorwürfe, als sie außer Hörweite waren.

»Pflegst du deinen gesellschaftlichen Umgang neuerdings unter deinen Friseusen zu suchen?« fragte er mit ätzendem Spott.

»Ich weiß, du warst immer ein Snob«, erwiderte sie gelassen. »Aber ich finde Frau Hollmann und ihre Tochter reizend, mir ist es ganz wurscht, was sie macht. Im übrigen gehört ihr inzwischen einer der ersten Friseursalons in Hamburg.«

»Was für ein enormer Aufstieg« höhnte er.

»O ja, sie ist eine sehr tüchtige Frau. Du solltest mal die vielen Preise sehen, die sie in ihrem Metier schon gewonnen hat.«

»Und die sie natürlich alle sichtbar an die Wand hängt.«

»Natürlich! Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk. Sogar die Firma Brambeck betreibt Reklame. Außerdem habe ich sie eingeladen, weil ich sie gern mag. Sie ist gescheit und nicht ungebildet, und in ihrem Salon wird nicht geklatscht wie anderswo.«

»Immerhin hättest du mich fragen können, mein Kind.«

»Habe ich doch. Du hast nicht widersprochen, also nahm ich an, du wärest einverstanden, zumal du doch sonst nichts gegen die Anwesenheit einer attraktiven Frau zu haben pflegst. Ich muß mich wirklich wundern«, erwiderte Christina bissig.

»Aber in gewissen gesellschaftlichen Grenzen, Kindchen!«

»Hör auf mit deinem blöden Kindchen!« fuhr sie ihn ärgerlich an. »Meinst du, ich wüßte inzwischen nicht, daß du früher weniger wählerisch warst?«

Seine Stirn färbte sich dunkelrot, doch er unterdrückte die heftige Antwort, die ihm auf den Lippen lag. Ein Wort würde das andere geben und sie bekamen den schönsten Krach! Wie leider so oft in letzter Zeit. Dann pflegte Christina längere Zeit zu schmollen, und er wollte auf gar keinen Fall, daß Astrid Hollmann am nächsten Tag etwas davon mitbekam! Er fragte sich, warum sie die Einladung, die sie zunächst doch hatte ablehnen wollen, letztlich angenommen hatte. Und eitel wie er war, kam Guido zu dem Schluß, daß sie offenbar immer noch eine Schwäche für ihn haben mußte. Diese Vorstellung stimmte ihn friedlicher. Vielleicht wäre es ganz amüsant, herauszufinden, wie weit das ginge? Und dann war da noch dieses süße Kind, das er tatsächlich gern wiedersehen würde! Zum ersten Mal seit damals empfand Guido Brambeck so etwas wie Reue, daß er sich nicht zu diesem reizenden Geschöpfchen bekennen durfte.

»Komm, Schatz, laß uns nicht streiten«, sagte er nun friedfertig und hakte sich bei Christina ein. »Wir hatten uns vorgenommen, einen schönen Urlaub zu verbringen, und dabei soll es doch bleiben, nicht?«

*

»Onkel Michael, wir machen morgen eine Bootsfahrt!« berichtete Conny beim Abendessen strahlend.

»O wie schön, ich wollte auch schon vorschlagen, ob wir uns nicht wieder mal einen Kahn mieten wollten. Darf man mit von der Partie sein?« Fragend blickte er Astrid an.

»Tut mir leid, aber wir sind von Bekannten aus Hamburg eingeladen worden, die wir heute zufällig trafen«, bedauerte Astrid. »Sie werden sicher verstehen, daß…«

»Ist doch klar«, fiel er ihr schnell ins Wort, »wenn das so ist.«

»Der Mann heißt Guido, ist das nicht ein putziger Name«, sagte Conny, und sie kicherte.

Der schnelle Blick, den Michael Astrid zuwarf, sagte alles. Sie lächelte.

»Nicht was Sie denken, dieser Guido hat auch eine Frau.«

Er grinste ertappt. »Na, dann werde ich mir für morgen wohl andere Gesellschaft suchen müssen«, sagte er dann zu Conny.

»Wie wäre es mit der hübschen Brünetten dort am Tisch hinter der Säule«, schlug Astrid vor, »die scheint heute erst angekommen zu sein und ist ganz allein, wie es scheint. Mit den beiden älteren Damen an ihrem Tisch scheint sie auch nicht gerade glücklich zu sein.«

Michael wandte sich um. Zufällig schaute das Mädchen herüber und blickte nun verlegen fort.

»Nicht übel«, murmelte er, »aber einfach hingehen und sie ansprechen kann ich doch nicht.«

»Und warum nicht? Uns haben Sie auch angesprochen, soweit ich mich erinnere«, lachte Astrid.

»Das war was anderes, es ergab sich halt so.«

»Ach, Michael, seien Sie doch kein Hasenfuß! Ich bin sicher, Sie werden sich keinen Korb holen«, ermutigte ihn Astrid. »Fragen Sie sie doch einfach, ob sie nicht auch schon mal vor zwei Jahren da war. Sie glaubten, sich an sie zu erinnern.«

»Ist das nicht ein bißchen plump?«

»Ach was, der Zweck heiligt die Mittel. Wenn sie verneint, was wahrscheinlich ist, haben Sie jedenfalls einen Anfang.«

»Sind Sie so sicher? Wahrscheinlich glaubt sie, wir sind ein Ehepaar und wird mich eiskalt ablaufen lassen«, zweifelte Michael.

»Dem kann abgeholfen werden«, versicherte Astrid lächelnd. Als sie gegessen hatten und gehen wollten, bat sie ihn, noch sitzen zu bleiben, und ließ absichtlich ihre Handtasche an ihrer Stuhllehne hängen. Unmittelbar neben dem Tisch des Mädchens blieb sie dann stehen.

»Ach, Schatz«, sagte sie laut und deutlich, »bitte lauf zum Tisch und hol meine Handtasche. Sie hängt an dem Stuhl neben Herrn Schürmann.«

Conny holte die Tasche. Sie war sicher, daß das Mädchen gehört hatte, was sie gesagt hatte. Später, als sie Conny zu Bett gebracht hatte und noch einmal herunterkam, um sich etwas zum Trinken zu holen – absichtlich hatte sie nicht nach dem Etagenkellner geläutet – sah sie ihn neben ihr sitzen und sich lebhaft mit ihr unterhalten. Sie lächelte zufrieden, ihren treuen Begleiter war sie nun wohl los, aber sie wünschte ihm von Herzen, daß er in dem Mädchen eine nette Bekanntschaft gemacht hatte.

*

Strahlend erzählte er ihr am nächsten Morgen beim Frühstück, daß er seine neue Flamme ihrem Rat gemäß angesprochen hatte.

»Natürlich war sie noch nie hier, aber wir sind dann gleich ins Gespräch gekommen.«

»Ich weiß, ich hab’s gesehen, als ich noch mal kurz unten war. Ist sie nett?« lächelte Astrid.

»Sehr nett. Sie ist das erste Mal allein im Urlaub und fühlte sich ziemlich verloren. Und denken Sie, sie wohnt in Celle, also gar nicht so weit von Hannover. Dort arbeitet sie als Sprechstundenhilfe bei einem…, na, raten Sie mal?«

»Bei einem Augenarzt womöglich?«

»Richtig. Und sie hat sich gerade von ihrem Freund getrennt und…«

»Sie gefallen ihr?«

»Es scheint so. Wir haben uns nachher am Strand verabredet, da kann ich Sie ja miteinander bekannt machen.«

»Ach, daß muß ja nicht gleich heute sein«, meinte Astrid taktvoll.

Den ganzen Morgen über sprach Conny von der Bootsfahrt. All ihren neuen Freunden erzählte sie davon, und jedesmal wurde das Boot ein wenig größer und gewaltiger, wie Astrid belustigt feststellte. Sie selbst verspürte immer weniger Lust, zu der Verabredung zu gehen. Es war wohl doch keine gute Idee gewesen, die Einladung anzunehmen, nur um Guido damit eins auszuwischen. Aber nun war es zu spät, sie konnte es nicht gut wieder rückgängig machen, auch Connys wegen nicht.

Vorsichtshalber packte sie auch Badezeug in ihre Strandtasche, und dann, nachdem Conny noch ein wenig geruht hatte, zogen sie zum Hafen. Sie waren gerade am Treffpunkt angekommen, als auch Christina kam. Der Mann an ihrer Seite war allerdings nicht Guido, und Astrid wunderte sich ein wenig.

Christina begrüßte sie erfreut und stellte ihn dann vor.

»Das ist mein Bruder Axel, der diesmal mit uns unterwegs ist«, sagte sie, »und das sind also unsere Gäste, Frau Hollmann und Conny.«

»Hallo, freut mich!« Axel Jansen drückte ihre Hand herzhaft. Er war ein schlanker, drahtig wirkender Mann. Nicht so groß wie Guido, aber das bedeutete nicht, daß er klein war. Obwohl er mehr ein dunkler Typ im Gegensatz zu seiner Schwester war, konnte man doch eine gewisse Ähnlichkeit feststellen. Er besaß die gleiche leicht gebogene Nase wie sie, hatte wie sie ein Grübchen am Kinn und stark ausgeprägte, slawisch wirkende Wangenknochen. Nicht so ein ausgesprochen schöner Mann wie Guido, wirkte aber zweifellos interessant. Er mochte in dessen Alter sein, also Anfang Dreißig.

»Hallo«, sagte Astrid, der sein bewundernder Blick nicht entging.

»Tag, kleines Fräulein!« Er streckte Conny die Hand hin. »Ich bin der Axel. Schön, daß du und deine Mami heute mit uns segeln wollen. Willst du mal raten, wo unser Boot liegt?«

»Ist es das da?« Conny zeigte auf ein kleines Motorboot.

Er lachte. »Nee, lütje Deern, sieh doch, es hat kein Segel und ist auch ein bißchen zu klein.«

»Das daneben?« riet sie.

»Schon viel besser, denn das hat Segel, wie man sieht. Aber zu klein ist es immer noch. Es hat ja nicht mal eine Kombüse.«

»Hach, eine Kombüse, was ist denn das?« Conny glaubte offenbar, er wollte nur einen Scherz machen.

»Na, das zeige ich dir besser.« Axel Jansen nahm ihre Hand und sie ging mit ihm, ohne sich nach ihrer Mutter umzusehen.

»Mein Bruder ist ein Kinderfreund«, lächelte Christina, als sie den beiden nun auf den Steg folgten.

»Man merkt es gleich«, nickte Astrid.

Conny jubelte, als sie vor der schönen großen Segeljacht stehenblieben.

»Au, ist die aber riesig. Siehst du, Mami, ich habe kein bißchen geschwindelt, als ich den anderen Kindern erzählt habe, wie groß das Boot ist«, triumphierte sie.

»Sie hat maßlos angegeben unter ihren Spielgefährten. Zuletzt wurde aus dem Boot schon so eine Art Ozeanriese und alle waren schrecklich beeindruckt.« Astrid lachte. Es war nicht mehr dieselbe Jacht wie damals, sie sah es auf den ersten Blick.

»Die ist neu, nicht?« rutschte es ihr heraus, und danach hätte sie sich am liebsten die Zunge abgebissen.

»Ich sehe, Sie verstehen etwas von Jachten.« Axel Jansen wandte sich um.

»Nicht die Bohne, aber sie sieht halt nagelneu aus«, erwiderte Astrid hastig.

Guido kam aus der Kajüte, als sie an Deck waren. In seinen kurzen weißen Hosen und bloßem Oberkörper sah man erst richtig, was für eine großartige Figur er besaß. Da waren nur Muskeln, nicht ein Gramm Fett zuviel. Sein Schwager, schmaler und nicht so kräftig gebaut, wirkte gegen ihn fast dürftig. Als er sah, daß Axel Conny an der Hand hielt und sie herzlich zu ihm auflachte, weil er gerade einen Scherz gemacht hatte, gab es ihm einen Stich.

Seine Begrüßung fiel etwas steif aus, wenn auch nicht unfreundlich. Christina warf ihm einen dankbaren Blick zu. Er und seine Begleiter waren eine perfekte Crew, wie Astrid feststellte, als sie lossegelten. Sie und Conny saßen auf der bequem gepolsterten Bank. Staunend verfolgte Conny die Mannöver.

»Heute ist ideales Wetter!« rief Axel, und plötzlich tat er so, als würde er von Bord fallen.

Conny schrie auf, doch dann hatte er sich schon wieder hochgehievt und war mit einem kühnen Sprung neben ihnen.

»So, jetzt können wir ganz gemütlich mit dem Wind schippern«, erklärte er. »Kannst du überhaupt schwimmen, Lüttje? Sonst müssen wir dir nämlich eine Schwimmweste anlegen.«

»Ein bißchen, aber im Tiefen habe ich noch Angst«, gestand Conny.

»Macht nix, ich rette dich, wenn wir umkippen.«

»Und wer rettet mich?« scherzte Astrid.

»Sagen Sie bloß, sie können nicht schwimmen?« fragte Christina.

»Sie kann.« Guido setzte sich nun auch zu ihnen. Sie ließen das Boot treiben. Es war ihm herausgerutscht.

»Kann man das jemandem ansehen?« fragte Axel halb belustigt, halb erstaunt.

»Natürlich nicht, aber heutzutage kann doch fast jeder schwimmen, und so unsportlich sieht Frau Hollmann eigentlich nicht aus«, erwiderte Guido schnell.

»Danke für das Kompliment«, lächelte sie ein wenig gezwungen.

»Ach, dachten Sie, das war eins?« Es klang ironisch.

»Eigentlich schon. Unsportlich auszusehen fände ich nicht so gut.« Was rede ich da bloß, dachte Astrid und wurde ein bißchen rot.

Immerhin wurde es dann doch ein sehr netter Nachmittag. Es war hauptsächlich Christina und Axel zu verdanken, die bester Laune waren und mit Conny herumtobten, als sie später in einer einsamen Badebucht geankert hatten. Kein Mensch war hier, denn man konnte sie nur per Boot erreichen, wie die anderen sagten. Nur Guido beteiligte sich kaum. Er wollte das Picknick vorbereiten, wie er erklärte. Aber Astrid merkte, daß er offenbar nicht

bester Stimmung war. Immer wieder folgte sein Blick Conny, die zutraulicher wurde und Axel Jansen offenbar besonders ins Herz geschlossen hatte, der wie ein großes Kind mit ihr herumtollte.

Warum er sich so reserviert zeigte, war Astrid nicht ganz klar. Gestern war er zu Conny noch recht nett gewesen, heute jedoch sprach er kaum mit ihr. Sie vermutete, daß er ziemlich durcheinander war und ihn die Tatsache, daß er ein Kind besaß, zu dem er sich nicht bekannt hatte und seine kinderlose Ehe beschäftigten. Und obwohl sie es zu verbergen suchten, herrschte zwischen ihm und Christina ein gespannter Ton.

*

Gegen Abend segelten sie zum Hafen zurück. Conny hatte sich in Axels Arm gekuschelt. Sie war müde von Sonne, Wasser und Toben, ihre Augen wurden immer kleiner.

»Sie schläft«, sagte Axel nach einer Weile.

»Legen Sie sie doch hin, Sie müssen ja schon einen ganz müden Arm haben«, bat Astrid.

»Das nehme ich gern auf mich, wenn ich so ein reizendes weibliches Wesen halten darf«, grinste er und warf ihr einen tiefen Blick zu. »Darf ich der Mama meinen anderen bieten?«

»Sieh da, mein Herr Schwager spielt den Charmeur«, spottete Guido.

»Du mußt nicht von dir auf andere schließen, mein Lieber. Ich meine immer, was ich sage«, konterte der. »Auf dein Schuldkonto gehen doch mehr geknickte Mädchenherzen, als…«

»Wollt ihr euch wohl nicht streiten!« fuhr Christina dazwischen. »Was haltet ihr übrigens davon, wenn wir heute abend mal wieder richtig schick essen gingen? Sie kommen doch mit uns, Frau Hollmann?«

»Nein, das geht wirklich nicht!« lehnte Astrid ab. »Ich lasse Conny abends nicht gern allein. Als Astrid noch zögerte, wandte Christina sich an Guido. »Nun sag du doch auch mal was, Schatz, sonst meint Frau Hollmann noch, du wärest nicht einverstanden.«

»Warum sollte ich«, murmelte er gleichgültig. Ein wenig übertrieben lässig, wie Astrid fand. »Außerdem kenne ich dich doch, du verstehst es ganz gut, die Leute zu dem zu überreden, was du gern möchtest. Aber vielleicht hat Frau Hollmann ja etwas anderes vor.«

»Nein, das nicht«, sagte Astrid, und so etwas wie Trotz überkam sie. »Also gut, dann bin ich dabei.«

»Das ist ein Wort!« strahlte Axel.

Sie verabredeten, daß sie sich gegen neun Uhr im Restaurant des Hotels treffen wollten. Conny war kaum wachzukriegen, als sie den Hafen erreichten. So erbot sich Axel, sie zum Hotel zu tragen. Ohne Astrids Widerspruch zu beachten, schnappte er sich das schlaftrunkene kleine Persönchen. Den Kopf auf seiner Schulter, schlief Conny auf seinen Armen weiter, bis sie zum Hotel kamen.

»Es bleibt mir nichts weiter übrig, als sie bis in ihr Zimmer zu bringen, scheint mir«, schmunzelte er, nachdem Astrid ihre Tochter ein wenig gerüttelt hatte. »Es wäre doch ein Jammer, sie zu wecken, meinen Sie nicht?«

»Trotzdem, ich kann sie doch nicht schon um sechs Uhr hinlegen«, fand sie.

Nach einem neuen Vorschlag öffnete Conny schließlich doch die Augen.

»Fahren wir morgen wieder mit dem Boot?« murmelte sie, als Axel sie niedersetzte.

»Nein, morgen nicht«, antwortete Astrid statt seiner. »Und nun sag Herrn Jansen gute Nacht, Liebling.«

Sie gab ihm die Hand, und als er sich niederbeugte, reckte sie sich auf Zehenspitzen und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Er war sichtlich gerührt.

»Also, bis später dann. Ich freue mich auf einen schönen Abend. Ich glaube, ich spreche gleich mal mit Ihrem Küchenchef, damit er uns etwas ganz Besonderes kocht.«

»Wenn Sie meinen«, lächelte Astrid, nickte ihm zu und verschwand mit Conny im Lift.

Nachdem die Kleine gebadet und noch ein Omelett verspeist hatte, das Astrid durch den Zimmerkellner hatte bringen lassen, ließ sie sich willig zu Bett bringen.

Wie immer betete Astrid mit ihr und gab ihr dann einen Gutenachtkuß.

»Schlaf schön, Liebling. Ich schaue öfter nach dir, ja?« Sie hatte Conny gesagt, daß sie mit den anderen im Hotel essen würde.

»Weißt du, wen ich am nettesten finde, Mami?« fragte Conny, als sie schon im Hinausgehen war.

»Nun?« Lächelnd wandte diese sich um.

»Den Axel«, verriet die Kleine.

»Ja, er ist sehr nett und lustig. Aber Herr und Frau Brambeck magst du doch auch gern, oder?«

Conny nickte. »Ja, Christina ist auch lieb, bloß Guido guckt mich immer so komisch an. Ich glaube, er mag Kinder nicht leiden.« Unbefangen hatte sie die drei mit dem Vornamen angeredet.

»Er ist wohl Kinder bloß nicht gewohnt, weißt du«, erwiderte Astrid, und sie war erstaunt, daß Conny seine Blicke nicht entgangen waren. Man sollte die kindliche Sensibilität doch niemals unterschätzen! Offen gestand sie sich ein, erleichtert darüber zu sein, daß Conny keine spontane Zuneigung zu ihrem Vater gefaßt zu haben schien. Daß es so etwas wie die »Stimme des Bluts« geben sollte, war wohl doch nur ein Gerücht. Einen Grund, ihren Vater zu mögen, hatte Conny ja auch wahrhaftig nicht!

*

Anschließend nahm sie selbst mit Muße ein Bad, wusch sich die Haare und fönte die Spitzen zu leichten Locken, weil sie sie heute abend offen tragen wollte. Wie gut, daß sie sich das neue grüne Kleid gekauft hatte!

Als sie hineinschlüpfte, und den dünnen, weichen Stoff, auf ihrer Haut fühlte, sang sie beschwingt vor sich hin. Plötzlich freute sie sich doch, nicht abgesagt zu haben. Sie verspürte ein leises Prickeln, als sie sich im Spiegel betrachtete. Man würde sich ihrer nicht schämen müssen!

Das ärmellose Kleid mit dem tiefen spitzen Ausschnitt, der fast ein wenig gewagt war, stand ihr wirklich gut. Der weite zipfelige Rock schwang bei jeder Bewegung um ihre schlanken Beine. Sie trug hochhackige grüne Sandaletten, die sie zusammen, mit einer kleinen grünen Tasche in einem verrückten Anfall gekauft hatte. Zu dem Kleid nun paßten sie ganz toll. Schon immer hatte sie eine Vorliebe für farblich gut aufeinander abgestimmte Accessoires gehabt, denn dadurch wirkten auch einfachere Sachen schicker und teurer, als sie wirklich waren. Die grünen Töne des Kleides hoben ihre goldbraun gewordene Haut hervor.

Eine große Auswahl an Schmuck besaß sie nicht. Aber die goldene Kette, aus schuppenartig übereinandergesetzten Gliedern, die den Hals eng umschloß, und das gleichartige Armband machten sich gut. Genau wie der modern gestaltete Ring mit dem kleinen Smaragd.

Ein paar Tropfen des teuren Parfüms, das sie im Salon verkauften, und sie war fertig.

Es war zwei Minuten nach halb neun, und so ging sie gleich in das hübsche Restaurant hinunter. Hier konnten die Hotelgäste, die sonst in einem Speiseraum zu essen pflegten, a la carte und in besonders gepflegter Atmosphäre speisen. Es war in altspanischem Stil eingerichtet, mit teils echt antikem Dekor.

Die Brambecks und Axel Jansen schienen gerade gekommen zu sein, als Astrid eintrat. Sie verhandelten mit dem Oberkellner wegen eines Tisches. Ein reichliches Trinkgeld half nach, daß sie den bekamen, den sie sich ausgesucht hatten.

»Hallo und guten Abend!« sagte Astrid lächelnd, denn sie hatten sie nicht bemerkt.

»Hallo, eine Frau, die pünktlich ist, sieh an!« lächelte Axel.

Drei überraschte Augenpaare musterten sie.

»Was für ein hübsches Kleid!« rief Christina, und ihre Bewunderung klang aufrichtig. Sie selbst trug schwarze Hosen mit einem gleichfarbenen schulterfreien Oberteil. Zu ihren blonden Haaren stand ihr das sehr gut, nur trug sie wie meistens zuviel Schmuck. An ihrem Arm klirrten Goldreifen, als sie Astrid die Hand hinstreckte. An ihren Fingern blitzten Diamanten.

Man setzte sich, Guido bestellte zunächst einige Aperitifs, bevor man sich der Speisekarte widmete.

»Der Küchenchef hat mir versichert, daß alles, was angeboten wird, excellent sei. So habe ich auf Sonderwünsche verzichtet«, erklärte Axel.

»Die Küche ist hier wirklich gut, auch für die Hausgäste«, bestätigte Astrid. Axel Jansen saß neben ihr, Guido neben Christina und ihr direkt gegenüber. Beide Herren trugen weiße Smokingjacken, und Guido war zweifellos der bestaussehendste Mann im Lokal. Und er war sich dessen bewußt, registrierte die interessierten oder bewundernden Blicke der Weiblichkeit durchaus. Astrid fragte sich, wie sie damals so blind hatte sein können, nicht zu merken, was für ein eitler Mann er doch war.

Wie natürlich und ungezwungen gab sich da doch sein Schwager, der ihr freimütig eingestand, daß er sich im Smoking eigentlich gar nicht wohl fühlte.

Während sie auf das Essen warteten, plauderten sie über alles mögliche. Astrid merkte nicht gleich, daß Guido es darauf anlegte, sie zu blamieren, indem er das Gespräch geschickt auf Dinge brachte, von denen er offenbar annahm, daß sie darüber nicht mitreden konnte. Unter anderem verbreitete er sich über das Buch eines in Mode gekommenen jungen Literaten, das er stark kritisierte und dabei viele Fremdwörter gebrauchte. Dabei übersah er sie, richtete seine Worte ausschließlich an seine Frau und Axel.

»Da bin ich aber anderer Meinung«, sagte sie, als er geendet hatte und Axel gerade gefragt hatte, wie er darüber denke.

Verblüfft starrte er sie an. »Kennen Sie das Buch denn auch?«

»Ich habe es auch gerade gelesen, im Urlaub hat man ja Zeit, ein gutes Buch zu lesen«, nickte sie und gab dann ihre Ansicht darüber zum besten.

»Ja, ganz genauso ist es, da stimme ich Ihnen bei«, nickte Axel, während Guido sie ungläubig ansah. Er schien zu glauben, sie habe gar nicht ihre eigene Meinung kundgetan. Doch als er nachhakte und sie begründet haben wollte, blieb sie ihm keine Antwort schuldig.

Später, beim Essen, kam die Rede auf eine Kunstausstellung über Maler des Jugendstils. Es kam zu einem Streit zwischen ihm und Axel über einen bestimmten Maler. Guido beharrte eigensinnig auf seiner Ansicht und wandte sich schließlich herablassend an Astrid.

»Und wie sehen Sie das, Frau Hollmann?« fragte er mit süffisantem Lächeln, nachdem Christina erklärt hatte, sie könne keinem von beiden beipflichten, weil sie davon nicht genug verstünde.

»Mein Gott, Guido, nicht jeder interessiert sich für diesen Stil«, warf sie nun ein, weil auch sie nun begriff, daß er Astrid herausfordern wollte.

»Ich finde, Sie haben recht, Herr Jansen«, wandte diese sich nun an Axel.

»Ach, und wieso?« grinste Guido spöttisch.

Sie erklärte es mit einfachen Worten, aber so zutreffend, daß alle sie staunend ansahen.

»Großartig, Frau Hollmann«, rief Axel begeistert. »Sie haben es so ausgedrückt, wie ich es nicht konnte! Ich fürchte, du mußt dich geschlagen geben, lieber Guido.«

»Woher wissen Sie das bloß so genau?« staunte Christina.

»Weil es mich interessiert«, lächelte Astrid. »Ich wollte einmal Maskenbildnerin werden, und da muß man über die Mode der verschiedenen Stile Bescheid wissen, kommt damit auch zur Kunst der verschiedenen Epochen. Ich weiß, es gibt Leute, die glauben, Wissen und Bildung für sich allein gepachtet zu haben, bloß weil sie studiert haben, aber auch wenn man eine sogenannte höhere Bildung nicht vorweisen kann, muß man nicht zwangsläufig unwissend bleiben«, fügte sie mit deutlicher Anspielung hinzu.

»Und das, mein Lieber, kannst du dir hinter den Spiegel stecken«, schmunzelte Axel schadenfroh, und auch Christina nickte belustigt.

»Nun ja, Ausnahmen bestätigen gelegentlich die Regel«, erwiderte Guido süßsauer, aber von da ab war er nicht mehr so von oben herab. Im Innern fragte er sich selbst, warum er es eigentlich so darauf angelegt hatte, Astrid zu blamieren. Vielleicht, weil es ihn ärgerte, wie angetan sein Schwager von ihr zu sein schien? Er wußte es selbst nicht.

An diesem Abend hatte Guido immer wieder Gelegenheit festzustellen, daß aus dem unbedarften Mädchen von damals eine Frau mit Format geworden war. Er fragte sich, wie sie wohl über ihn dachte. Warum hatte sie die Einladung wirklich angenommen? Er war inzwischen nicht mehr so sicher, daß es mit noch vorhandenen Gefühlen für ihn zusammenhing. Wenn es so war, verstand sie jedenfalls meisterhaft, das zu verbergen. Sie lachte und scherzte mit Axel, der immer unverhohlener mit ihr flirtete. Wollte sie ihn, Guido, vielleicht eifersüchtig machen? Wer kannte sich schon bei Frauen aus!

Während ihm solche Gedanken im Kopf herumgingen, wurde er mit der Zeit stiller. Die drei anderen dagegen wurden immer munterer, amüsierten sich offenbar blendend. Vermutlich trug dazu auch ein wenig der schwere spanische Rotwein bei, den sie tranken.

Als Axel vorschlug, in die Bar zu gehen und noch ein bißchen zu tanzen, waren Christina und Astrid sofort dabei. Die Hotelbar war nur klein, alle Tische waren besetzt, aber an der hufeisenförmigen Theke fanden sie noch freie Plätze. Die Dreimannband spielte ganz gut.

»Darf ich bitten, gnädige Frau?« Axel streckte Astrid die Hand hin.

»Gern.« Sie rutschte von ihrem Hocker, und sie begaben sich auf die Tanzfläche. Man spielte gerade etwas Langsames, und Axel nahm sie in die Arme, zog sie fest an sich und blickte ihr tief in die Augen.

»Mir scheint, da tut sich was«, lächelte Christina, die ihnen nachsah. »Und wie ist es mit uns, tanzen wir alten Eheleute auch mal wieder?«

»Du tust, als wären wir Partymuffel. Erst vor unserem Urlaub haben wir eine ganze Nacht durchtanzt, mein Schatz.«

»Ja, aber du hauptsächlich mit anderen Frauen, mein Lieber.« Es klang ein wenig bitter, obwohl sie lächelte.

Während sie nun auch tanzten, mußte Guido immer wieder zu den beiden anderen hinsehen. Sie tanzten jetzt Wange an Wange, und ihn überkam so etwas wie Ärger.

Als Axel wenig später mit seiner Schwester tanzte, war es schon ein Gebot der Höflichkeit, daß Guido Astrid auffordern mußte. Wieder spielte man gerade etwas Langsames.

Ein seltsames Gefühl durchrann Astrid, als er den Arm um sie legte und sie einander plötzlich wieder so nahe waren. Sie roch den Duft eines guten Rasierwassers, es war noch dieselbe Marke, die er damals schon benutzt hatte. Der Griff seiner Hand war fest, und sie spürte, daß er zu ihr herunterblickte. Guido war immer schon ein ausgezeichneter Tänzer gewesen, und auch Astrid tanzte gern und sehr gut.

Würde er jetzt etwas sagen? Astrid wartete, doch er schwieg. Da hob sie den Kopf.

»Ist Ihnen dieses Zusammentreffen sehr unangenehm?« fragte sie ruhig.

»Es gibt eben Situationen, denen man nicht ausweichen kann«, entgegnete er diplomatisch.

»Ich konnte nicht gut ablehnen, als Ihre Frau mich so bedrängte, sonst wäre das wohl unhöflich oder gar verdächtig gewesen. Außerdem, wir sind erwachsene Menschen, was war, ist lange her und fast vergessen, nicht?«

»Eben, Sie sagen es. Sie konnten sich wohl denken, daß meine Frau von alledem keine Ahnung hat?«

»Sonst hätte sie Conny und mich wohl kaum eingeladen. Im übrigen können Sie ganz beruhigt sein, von mir wird sie bestimmt nichts erfahren, falls Sie das befürchten.«

»Anfangs war ich mir dessen nicht so sicher, aber…«

»Dachten Sie, ich könne mich auf diese Weise rächen wollen?« fiel sie ihm kühl ins Wort. »Und das an einer Frau, die ich sehr nett und sympathisch finde? Das wäre doch wohl Rache am falschen Objekt, und außerdem bin ich nicht rachsüchtig.«

»Sehr beruhigend. Es wäre für meine Frau tatsächlich…« Er konnte nicht weitersprechen, denn Bruder und Schwester tanzten nun direkt neben ihnen. Axel warf ihnen einen forschenden Blick zu, als wüßte er gern, was sie redeten. »Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen«, fuhr Guido fort, als sie sich wieder voneinander entfernt hatten, »auch wenn es eine etwas prekäre Situation ist, haben wir sie bisher ja recht gut gemeistert. Und wie Sie sagen, wir sind ja vernünftige, erwachsene Leute. Meine Frau, wie ich sie kenne, wird Sie sicher auch weiterhin vereinnahmen, aber was mich betrifft, so stört mich das nicht.«

Wie großmütig, lag es Astrid auf der Zunge, doch sie unterdrückte es. Eigenartigerweise glaubte sie ihm sogar seine Versicherung.

Bis kurz nach Mitternacht verbrachten sie dann noch einen recht netten Abend. Als sie sich trennten, war es Axel, der Astrid fragte, was sie für den nächsten Tag vorhabe.

»Nichts Besonderes«, lächelte sie, »ein wenig faulenzen und in der Sonne liegen wie immer.«

»Hätten Sie nicht Lust, uns nach Formentera zu begleiten? Wir wollten

morgen hinübersegeln, denn dort findet man noch hübsche, stille Plätzchen«, warf Christina ein, und als sie zögerte, setzte sie ihre ganze Überredungskunst ein, bis sie schließlich zustimmte.

»Ich freue mich«, sagte Axel leise, als sie sich zuletzt von ihm verabschiedete, und führte ihre Hand an seine Lippen.

*

Es war, als hätten die klärenden Worte zwischen ihnen bewirkt, daß auch Guido seine Zurückhaltung nun aufgab. Das zeigte sich gleich am nächsten Tag. Er wirkte gutgelaunt, und Christina blühte förmlich auf.

Conny fand es toll, daß sie schon wieder zu einer Bootsfahrt eingeladen worden waren. Da der Wind nicht so günstig stand, benutzte man streckenweise den Motor. Sie jubelte, als das offene Meer etwas unruhiger wurde.

»Daß sie nicht seekrank wird«, wunderte sich Christina, denn Astrid war plötzlich ein wenig blaß geworden. Sie hatten sie in die Kajüte gebracht, wo sie sich ein wenig niedergelegt hatte.

»Wenn ich groß bin, werde ich Seemann!« erklärte die Kleine mit strahlenden Augen, da Sie ihre Worte gehört hatte.

»Eine Seefrau meinst du wohl«, scherzte Axel.

Conny kicherte. »Sind wir bald da?« wollte sie dann wissen.

»Ich glaube, es ist besser, wir drehen und kehren um«, meinte Guido mit einem besorgten Blick zu einigen Wölkchen hin, die plötzlich aufgekommen waren.

»Aber sie sind doch ganz harmlos, und der Wetterbericht war gut«, meinte Christina.

»Hundertprozentig sollte man sich darauf nicht verlassen. Die Wölkchen mögen noch so harmlos aussehen, aber sie gefallen mir nicht.«

»Du meinst, es könnte ein Unwetter geben?« fragte Axel besorgt. Er war weniger segel- und wettererfahren als Guido.

»Ja. Dumm ist nur, daß wir gerade die Hälfte der Strecke hinter uns haben. Ich frage mich, ist es besser, umzukehren oder weiterzusegeln«, erwiderte Guido mit gerunzelter Stirn.

»Hast du Angst?« erkundigte sich Conny, die das Schaukeln wunderbar fand.

»Nein, aber man muß vorsichtig sein, das Meer kann gefährlich werden, wenn es einen richtigen Sturm gibt.«

»Meinst du, wir könnten dann umkippen?« Nun schaute die Kleine doch ein wenig betroffen drein.

»Nun mach dem Kind doch keine Angst«, zischte Christina Guido etwas ärgerlich an. »Kehren wir doch um, wenn du meinst, daß es besser ist, bevor wir womöglich auf Formentera festsitzen.«

»Gut, wenden wir«, entschied Guido.

»Ich schaue nach Frau Hollmann.«

Axel verschwand in der Kajüte.

Astrid fühlte sich hundeelend. »Ich fürchte, ich bin richtig seekrank!« stöhnte sie. Ihr Gesicht war jetzt leicht grünlich.

»Wir drehen«, erklärte Axel und nahm ihre Hand. »Bald bekommen Sie wieder festen Boden unter den Füßen, Astrid, und dann werden alle Beschwerden wie weggewischt sein.«

»Meinetwegen brechen sie die Tour nun ab?« murmelte sie schuldbewußt.

»Nein, das Wetter sieht nicht so

gut aus wie der Wetterbericht es versprochen hatte.« Er öffnete das Bullauge über ihrer Liege. »Atmen Sie tief durch und versuchen Sie daran zu denken, daß Sie es bald überstanden haben.«

»Conny geht es noch gut?« ächzte sie, da wieder eine Welle von Übelkeit in ihr aufstieg.

»Keine Sorgen, die ist putzmunter. Außerdem haben wir sie nun angeseilt, damit sie uns bei dem Seegang nicht über Bord fällt.« Er strich ihr über die Stirn. »Und nun muß ich wieder hinaus, man könnte mich brauchen.«

An Deck bat er Christina, sich um Astrid zu kümmern. »Es geht ihr gar nicht gut, die Seekrankheit hat sie ordentlich erwischt.«

»Ich will auch zu Mami!« Conny wollte ihr folgen, doch Guido hielt sie zurück.

»Bleib lieber hier oben an der Luft, Kleines, sonst wirst du am Ende auch noch seekrank. Komm, du darfst mir helfen zu steuern.« Er zog sie neben sich.

»Muß man sterben, wenn man seekrank ist?« fragte sie nach einer Weile dünn.

»Aber woher denn! Man fühlt sich nur schlecht durch das Schaukeln, weißt du. An Land ist alles wie weggeblasen, dann ist deine Mami wieder quietschvergnügt, glaub mir«, beruhigte er sie und legte den Arm um sie. Ein Gefühl von Rührung überkam ihn, als sie sich bei dem Wendemanöver an ihn klammerte.

Die Wölkchen wurden zu Wolken, aus der frischen Brise wurde ein stürmischer Wind, weiße Schaumkronen bildeten sich auf den höher schlagenden Wellen.

»Mir ist kalt«, piepste Conny.

Guido zog seinen Pullover aus, hängte ihn ihr um und verknotete die Ärmel auf ihrer Brust.

»Besser so?«

»Ja, er ist noch ganz warm von dir. Aber nun frierst du bestimmt.«

»Ach wo, kein bißchen«, beruhigte er sie.

Wenig später brauchte er sein ganzes seemännisches Können, um das Boot nicht zum Spielball der Wellen werden zu lassen. Axel brachte Conny nun auch in die Kajüte.

»Meinst du, wir schaffen es?« fragte er beunruhigt, als er zurückkam.

Guido preßte die Lippen zusammen.

»Menschenskind, wir müssen es schaffen!« stieß er nach einer Weile hervor, und daran merkte Axel, daß er sich selbst Sorgen machte.

Die Segel waren längst eingeholt, mit dem Motor kämpften sie sich vorwärts. Drinnen in der Kajüte kümmerte Christina sich um Mutter und Tochter. Astrid befand sich in einem Zustand, da ihr so ziemlich alles egal war. Manchmal stöhnte sie leise vor sich hin.

»Muß Mami sterben?« fragte Conny ängstlich.

»Bewahre, mein Kleines, an der Seekrankheit ist noch nie einer gestorben«, beruhigte Christina, die sie auf dem Schoß hielt, damit sie nicht herumgeschleudert wurde und sich womöglich verletzte. »Man fühlt sich nur miserabel, aber wenn man an Land ist, geht es einem sofort wieder gut.«

»Sind wir bald an Land?«

»Es wird nicht mehr lange dauern«, nickte Christina mit gespielter Zuversicht, obwohl sie nun auch Angst bekommen hatte. Nach all den Jahren, in denen sie mit Guido gesegelt war, vermochte sie abzuschätzen, in welcher gefährlichen Lage sie sich befanden. »Soll ich dir eine Geschichte erzählen?« fragte sie, denn es war besser, das Kind abzulenken.

»Au ja, wenn du eine schöne weißt?« Conny kuschelte sich in ihre Arme.

Christina begann zu fabulieren, und Conny hörte ihr andächtig zu.

Selbsterdachte Geschichten liebte sie ganz besonders.

*

Eine halbe Stunde später erreichten sie den rettenden Hafen, und nachträglich empfanden sie es alle wie ein Wunder, denn während der letzten zehn Minuten, war ein wahrer Orkan losgebrochen.

»Wir haben es geschafft!« Klatschnaß kam Guido in die Kajüte. Man sah ihm an, wie erschöpft er war.

»Gottlob!« Christina atmete auf.

»Kommen Sie, Astrid, wir bringen Sie an Land!« Guido streckte ihr die Hand hin.

Sie richtete sich auf. Das Boot schaukelte noch wie wild, obwohl sie es bereits festgemacht hatten. Sie glaubte, keinen Schritt tun zu können, aber sie biß die Zähne zusammen. Doch als Guido sie aufgezogen hatte, wurde ihr schwarz vor Augen, sie schwankte.

Gerade noch konnte er sie auffangen, bevor sie umkippte. Er nahm sie auf die Arme und trug sie hinaus.

»Mami!« schrie Conny angstvoll.

»Keine Angst, Kindchen, deine Mami ist bloß ein bißchen schwach«, beruhigte sie Christina und übergab sie Axel, der sie auf den Steg hob.

»Es… geht wieder«, murmelte Astrid, als Guido sie vorsichtig auf die Füße stellte.

»Hängen Sie sich bei uns ein!« gebot Axel.

»Was bin ich bloß für ein Schlappschwanz«, murmelte sie.

»Aber nein, das ist doch ganz normal, wenn man sich so mies fühlt«, lächelte Guido.

Mit einem Taxi brachten sie sie zum Hotel, und Astrid widersprach nicht, als sie darauf bestanden, daß sie sich noch für eine Weile niederlegte.

»Um Conny kümmern wir uns schon«, versicherte Christina. Sie hatten einen Bungalow gemietet für den Fall, daß sie einmal eine Segelpause machen wollten. »Wir nehmen sie mit zu uns, und wenn Sie sich besserfühlen, kommen Sie und holen sie ab. Einverstanden?«

»Aber Sie sind doch selbst kaputt und ruhebedürftig«, wandte Astrid ein, doch das ließen sie nicht gelten.

Sie schlief mehrere Stunden, und als sie aufwachte, fühlte sie sich wie neugeboren. Da ihr Magen ganz hohl war, ließ sie sich noch eine leichte Speise bringen, bevor sie aufbrach, um Conny zu holen.

Das Unwetter war vorbei, die Sonne kam bereits wieder hinter den sich auflösenden Wolken hervor, und das Meer hatte sich beruhigt. Vor dem Bungalow fand sie Guido, der mit Conny auf der Terrasse an einem Tisch saß und ein Spiel spielte, ihr geliebtes Mensch-ärgere-dich-nicht.

Sie hatten sie nicht kommen gehört, so vertieft waren sie »Ätsch, ich habe dich rausgeschmissen!« rief Conny triumphierend.

»Verflixt, du bist ja ein ganz gewitztes Persönchen!« Guido tat so, als ob er sich ärgerte.

»Du mußt besser aufpassen. Nun mußt du wieder ganz von vorn anfangen.«

»Na warte, nächstes Mal werde ich dich aber besiegen«, drohte er.

Ein seltsames Gefühl überlief Astrid, als sie Vater und Tochter so einträchtig beieinander sitzen sah. Die Vorstellung, wie schön es für Conny wäre, auch einen Vater zu haben, hatte sie immer verdrängt, doch nun wurde ihr blitzartig klar, daß einer allein einem Kind nie ein Elternpaar ersetzen konnte.

»Hallo«, meldete sie sich ein wenig beklommen und trat näher.

»Mami!« Conny sprang so heftig auf, daß die Kegel auf dem Brett durcheinander purzelten. »Bist du wieder gesund?«

»Ja, es geht mir wieder erstaunlich gut«, lächelte sie, beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen Kuß. »Sie opfern sich, wie ich sehe«, sagte sie dann an Guido gewandt.

»Von opfern kann keine Rede sein, wir amüsieren uns großartig, nicht wahr, Conny? Die beiden anderen haben sich hingelegt, aber ich konnte ohnehin nicht schlafen.« Guido war aufgestanden und schob ihr einen Sessel zurecht. »Bitte, setzen Sie sich doch. Mögen Sie etwas trinken?«

»Danke, ich habe gerade eine Kleinigkeit gegessen und getrunken, nachdem ich wunderbar geschlafen habe«, erklärte Astrid.

»Man sieht es, jetzt haben Sie wieder Farbe. Es tut mir leid, daß Sie unseretwegen in diese Verfassung gekommen sind.«

»Ich bitte Sie, wer hätte das ahnen können. Jedenfalls war es sehr freundlich von Ihnen, Conny in Ihre Obhut zu nehmen, vielen Dank. Wir werden jetzt gehen, und Sie können auch ruhen. Bitte grüßen Sie Ihre Frau und Ihren Schwager einstweilen. Und du, mein Liebling, bedank dich auch.«

»Unsinn, das braucht sie nicht!« sagte Guido fast schroff, dann strich er Conny über das Haar. »Morgen sehen wir uns wieder, gelt, Kleines? Ich meine, falls es deiner Mami recht ist.«

»Machen wir dann wieder eine Segelpartie?«

Er lachte. »Nein, ich glaube, uns allen ist vorerst ein wenig die Lust dazu vergangen. Aber es wird uns schon etwas anderes einfallen.«

Astrid spürte, daß er ihnen nachsah, als sie gingen. Er hatte also von sich aus vorgeschlagen, daß man sich wiedersah. Bedeutete das etwa, daß er begann, für seine Tochter Gefühle zu entwickeln? Astrid wußte nicht, ob sie sich darüber freuen sollte…

*

Am nächsten Morgen begaben sich Mutter und Tochter schon früh an den Strand. Dort trafen sie Michael Schürmann, der gleich auf sie zukam.

»Nanu, allein heute?« fragte Astrid verwundert, nachdem er in den letzten Tagen ständig mit seiner neuen Flamme zusammen gewesen war.

»Sie hat Sonnenbrand«, seufzte er.

»Ach, die Ärmste.«

»Onkel Michael, gestern sind wir mit dem Boot gefahren und beinahe wären wir ertrunken!« berichtete Conny strahlend.

»Was?« Erschrocken blickte er Astrid an. »Waren Sie am Ende bei dem Sturm draußen?«

»Es hat uns erwischt, als wir nach Formentera hinübersegeln wollten, aber Sie sehen ja, wir leben noch.«

»Wie leichtfertig, bei dem Wetter eine solche Fahrt zu unternehmen«, tadelte er.

»Aber der Wetterbericht war doch gut. Und Conny übertreibt maßlos, so schlimm war es gar nicht, wir kehrten rechtzeitig um.«

»Trotzdem, ich schlage vor, Sie verbringen den Tag mal wieder in meiner Gesellschaft, da sind Sie weniger gefährdet«, schlug Michael grinsend vor.

»Eigentlich wollte ich mich heute mal von allem erholen«, lächelte Astrid. »Ich war nämlich zu allem Übel auch noch seekrank und fühle mich noch etwas abgeschlafft.«

»Dann kann ich mich ja als Krankenpfleger bewähren.«

»Und warum tun Sie das nicht bei Ihrer neuen Freundin? Sie leidet doch

sicher auch, und bei ihr könnten Sie Händchen halten.«

Sein Gesicht verfinsterte sich. »Ehrlich gesagt, ich bin nicht so sicher, ob das nicht nur ein Vorwand war, mich mal loszuwerden. Bei meinem sprichwörtlichen ›Glück bei Frauen‹ scheint es mir eher so zu sein.«

»Aber wie kommen Sie denn darauf? Gibt es Gründe dafür? Ich dachte, Sie sind beide schon im siebten Himmel?« wunderte sich Astrid.

»Das dachte ich auch.« Er seufzte abgrundtief. »Aber ich habe die Sache wohl gleich zu ernst genommen, und nun seilt sich die junge Dame ab, weil ihr das offenbar nicht gefallen hat.

Ich bin eben ein Pechvogel und bleibe es.«

»Sie Armer! Also wenn Sie so trostbedürftig sind, werde ich mich Ihrer wohl doch ein wenig annehmen müssen«, lächelte sie.

»Ich wußte ja, Sie sind die einzig verständnisvolle Seele hier«, strahlte er.

Doch sein Strahlen verging augenblicklich, als er einen schlanken Mann sich nähern sah. Es war Axel, der suchend am Strand entlanggegangen war und Astrid entdeckt hatte.

»Hier sind Sie also. Wollen Sie mit uns etwa nichts mehr zu tun haben?« scherzte er, als sie sich nun umwandte.

»Woher denn, ich brauchte nur einen ruhigen Tag und…«

»… jemanden, der keine riskanten Segeltouren mit ihr macht«, warf Michael Schürmann bissig ein.

Axel ignorierte seine Bemerkung und ließ sich zu Astrids rechter Seite nieder.

»Wie geht es Ihnen heute?«

»Ach, wieder ganz gut, nur ein bißchen matt noch.«

»Und wo steckt unsere junge Dame?«

»Dort am Wasser mit ihren Spielgefährten. Haben Sie Schwester und Schwager heute alleingelassen?«

»Nun ja, man mag ja nicht immer der störende Dritte sein«, lächelte Axel.

»Wie wahr!« murmelte Michael anzüglich, doch wieder überhörte er es.

So saß Astrid an diesem Vormittag mit zwei Kavalieren am Strand, die mehr oder weniger offen um ihre Gunst wetteiferten. Es war ziemlich anstrengend, beiden einigermaßen gerecht zu werden, fand sie. Andererseits freute sie, daß Axel nicht aufgab, so daß schließlich Michael sich erhob und erklärte, er wolle einmal nach der Dame mit dem Sonnenbrand schauen.

»Was war das denn für ein aufdringlicher Bursche?« Axel blickte ihm mißmutig nach, als er durch den Sand davonstapfte.

»Aufdringlich? Ach nein, er ist recht nett, aber mit chronischem Liebeskummer, falls Sie überhaupt wissen, was das ist«, erwiderte Astrid belustigt.

»Allerdings, auch wenn ich damit nicht hausieren gehe, wie andere Leute. Oder was meinen Sie, wieso ich meinen Urlaub mit Verwandten verbringe?« Seine Augen blieben ernst, obwohl er es in spöttischem Ton sagte.

»Wahrhaftig, Sie haben auch Liebeskummer?« staunte Astrid.

»Sagen wir, ich hatte, als ich mich entschloß, Christinas Angebot anzunehmen. Die Frau, die ich heiraten wollte, hat plötzlich nicht mehr gewollt.«

Nun lächelte sie nicht mehr. »Und warum? Oder bin ich zu indiskret?«

»Keineswegs. Für mich war immer selbstverständlich, daß ich in einer Ehe auch Kinder wollte. Es war so natürlich daß ich mir nicht vorstellen konnte, eine Frau, noch dazu die, die ich liebte, könnte das nicht auch wünschen. Aber so war es leider, und als das dann einmal zu einer langen Debatte führte, stellte sich heraus, daß wir uns nicht einigen konnten. Das führte zur Trennung. Anfangs war das nicht leicht für mich, weil ich einfach nicht begreifen konnte, daß ich mich so in Marion getäuscht haben sollte.«

»Das verstehe ich«, nickte Astrid mitfühlend. »Vielleicht wäre es leichter für Sie gewesen, wenn Sie Streit gehabt oder sich nicht mehr geliebt hätten, nicht?«

»Ja, mag sein. Obwohl ich inzwischen bezweifle, ob Marion überhaupt die richtige Frau für mich gewesen wäre. Im nachhinein habe ich manches gesehen, was ich vorher einfach nicht habe sehen wollen. Wenn man verliebt ist, stellt man sich ja gern blind und taub, nicht?«

»So ist es, und manchmal stürzt man ziemlich jäh aus seinen Illusionen.«

»Sie sprechen auch aus eigener Erfahrung, nehme ich an?«

»Sicher, irgendwann macht jeder sie wohl einmal. Aber bei mir ist es lange her.«

»Sie sprechen von Connys Vater?« fragte Axel, und als sie nur nickte, fuhr er fort: »Es ist mir unbegreiflich, daß ein Mann eine Frau wie Sie und so ein entzückendes Kind…, ich meine, ich weiß nicht, wie die Dinge zusammenhängen, aber…« Wieder stockte er verlegen.

»Sprechen Sie es ruhig aus, Sie wollen doch sagen, daß er mich mit dem Kind sitzenließ, nicht wahr?« sagte Astrid gelassen. »Ja, so war es. Er versuchte zunächst sogar, seine Vaterschaft abzuleugnen. Nur die Angst vor einem Skandal war es wohl letztlich, die ihn vor einem Vaterschaftsprozeß zurückschrecken ließ. Bis vor kurzer Zeit kannte er sein Kind nicht einmal.«

»Was für ein Schuft!« empörte Axel sich. »Sie müssen ihn ja hassen.«

»Das glaubte ich eine Zeitlang, aber inzwischen…«

»Wollen Sie sagen, Sie haben sich einander wieder genähert? Eine späte Reue seinerseits womöglich?«

»Es könnte sein, daß er einiges bereut, aber mit Bestimmtheit wage ich das nicht zu behaupten, im Übrigen ist das kein sehr erfreuliches Thema, finden Sie nicht?«

»Verzeihung, ich wollte keine bitteren Erinnerungen in Ihnen aufwühlen, meine Frage ergab sich mehr aus dem Gespräch heraus, wie Sie zugeben müssen.«

»Sicher, und ich habe sie offen beantwortet. Aber wir wollen uns doch nicht gegenseitig bemitleiden, oder?« lächelte Astrid.

»Oh, nein, für Sie liegt die Geschichte ohnehin lange zurück, und Sie haben bewiesen, daß Sie ihr Kind auch ohne Vater zu einem so goldigen kleinen Menschlein erzogen haben. Und was mich betrifft, so fühle ich mich im Augenblick keineswegs bemitleidenswert, ganz im Gegenteil.«

Axel sah sie warm an. »Ich hoffe nur, unsere Bekanntschaft bleibt nicht auf diese wenigen Urlaubstage beschränkt«, fügte er hinzu und legte seine Hand auf ihren Arm.

Er ist ein feiner Kerl, er hätte sicher niemals so gehandelt wie Guido, dachte Astrid. Aber es änderte nichts daran, daß auch er zu jenen Kreisen gehörte, zu denen für eine Frau wie sie eine unüberbrückbare Kluft bestand. Und noch dazu war er Guidos Schwager, und dieser würde sicher alles daransetzen, daß zu Hause wieder jeder in seiner Welt blieb.

So lächelte sie nur vage. »Da wir in derselben Stadt wohnen, ist es durchaus möglich, daß man sich irgendwann wieder einmal über den Weg läuft.«

Betroffen sah er sie an und zog seine Hand zurück. Hatte sie nicht verstanden oder wollte sie nicht verstehen, daß ihm soviel daran lag, sie wiederzusehen?

*

Auch während der letzten Urlaubstage fand Axel das nicht mehr heraus. Er spürte nur, daß sie sich zurückzog und wußte auch nicht so recht, was er davon halten sollte. Hatten Christina oder Guido sie möglicherweise unabsichtlich gekränkt? Christina bestritt es lebhaft.

»Ich bestimmt nicht, aber vielleicht du, Guido?«

»Ich wüßte nicht, wodurch und womit. Vielleicht hat sie einfach Angst vor dem Segeln bekommen?«

»Aber das könnte sie doch zugeben«, meinte Axel mit gerunzelter Stirn.

»Meine Güte, was macht ihr für ein Theater daraus? In ein paar Tagen ist ihr Urlaub sowieso vorbei, und man wird sich kaum wiedersehen, es sei denn durch ihre Tätigkeit, Christina. Oder beabsichtigt ihr etwa, auch zu Hause den gesellschaftlichen Verkehr zu deiner Friseuse fortzusetzen?«

»Fängst du schon wieder an? Ich dachte, du hättest deine Vorbehalte inzwischen aufgegeben«, murrte Christina.

»Wie arrogant du bist«, meinte Axel ärgerlich.

»Ich bin nur realistisch, mein Lieber. Auch wenn du jetzt im Urlaub ein bißchen mit der Frau geflirtet hast, wirst du ja wohl nicht die Absicht haben, diesen Flirt zu Hause fortzusetzen, oder?«

»Darüber, lieber Guido, brauchst du dir keine Gedanken zu machen«, erwiderte Axel gelassen.

Sie sprachen nicht weiter davon, aber jeder von ihnen machte sich seine eigenen Gedanken. Axel dachte, daß er nicht schlau aus dem Schwager wurde. Ihm war aufgefallen, daß er Astrid Hollmann und ihr Töchterchen oft so seltsam angesehen hatte, mit einem Ausdruck, der schwer zu deuten war. Jedenfalls hatte er sie doch keinesfalls verächtlich angesehen, ja, manchmal fast wehmütig oder so ähnlich. Störte ihn vielleicht gar nicht das, was Astrid war, sondern daß sie ein Kind, noch dazu so ein überaus reizendes, besaß? Ein Wunsch, den Guido nicht erfüllt bekommen hatte, und es mochte ja sein, daß er durch die kleine Conny wieder intensiv daran erinnert worden war. So konnte es schon sein, und das erklärte möglicherweise sein wechselndes Verhalten!

Auch Christina fragte sich, warum Guido plötzlich wieder den Snob hervorkehrte, nachdem er zuletzt doch so nett zu Astrid und Conny Hollmann gewesen war. Und je länger sie darüber nachgrübelte, um so mehr kam sie zu einem ähnlichen Ergebnis wie ihr Bruder. Es gab ja Augenblicke, in denen es ihr selbst ähnlich ging. Dann beneidete sie Astrid um dieses Kind, aber das Gefühl war frei von Mißgunst. Vielmehr hoffte sie, Guido eines Tages bewegen zu können, ein Kind zu adoptieren, obwohl er auf erste vorsichtige Anfragen sehr schroff und abweisend reagiert hatte. Die kleine Conny mochte er, und vielleicht konnte er sich nun doch vorstellen, auch ein fremdes zu akzeptieren?

Guidos Gedanken dagegen bewegten sich in einer ganz anderen Richtung. Die Vorstellung, ein so süßes Kind zu haben und sich, nach allem, was geschehen war, nicht dazu bekennen zu dürfen, machte ihn fast krank. Dazu kam, daß Astrid ihm mehr und mehr imponierte, daß er sie bewunderte und begonnen hatte, sie mit Christina zu vergleichen. Obwohl er sich dagegen wehrte, kamen immer öfter Gefühle von Reue in ihm auf. Hatte er nicht damals einen großen Fehler gemacht? Und dazu kam noch, daß er eine leise Eifersucht auf Axel verspürte. Sollte der am Ende noch bekommen, was ihm verwehrt blieb? Das war es, was ihn dazu gebracht hatte, so herabsetzend über Astrid zu sprechen! Jegliche Urlaubsfreude vergällte ihm das, und er wünschte, man würde sich nicht wiedersehen, damit er endlich wieder zur Ruhe kam!

*

Am letzten Nachmittag ihres Urlaubs traf man sich noch einmal zum Kaffee. Diese Einladung hatte Astrid nicht ausgeschlagen, um nicht unhöflich zu erscheinen. Obwohl keiner der Erwachsenen sich anmerken ließ, was ihm durch den Kopf ging, war die Stimmung doch ein wenig gezwungen. Einzig Conny war so unbefangen, wie ein Kind es nur sein konnte.

»Freust du dich wieder ein bißchen auf zu Hause?« erkundigte sich Axel.

»Ja, auf Tante Marlene und meine Freunde im Kindergarten«, nickte sie zögernd, »aber hier war es auch toll, ich wäre gern noch ein bißchen hiergeblieben.«

»Das wünscht man sich am Ende des Urlaubs immer«, lächelte er. »Aber wenn wir dann auch wieder da sind, besuchst du uns mal, gelt?«

»Ich weiß doch gar nicht, wo ihr wohnt.«

»Nun, ich schreibe dir meine Telefonnummer auf, dann kannst du mich mal anrufen und wir verabreden uns dann, wie wäre das?«

»Au ja!« stimmte sie freudig zu. »Ich kann nämlich schon telefonieren.«

»Klar, ich weiß doch, daß du schon ein großes Mädchen bist«, schmunzelte er. In diesem Augenblick fing er einen finsteren Blick seines Schwagers auf, aber er tat, als merke er nichts.

»Wir sehen uns ja bald wieder«, erklärte Christina, als sie sich später verabschiedeten, und wies lachend auf ihr Haar. »Sie sehen ja, wie Wind und Wasser meine Frisur lädiert haben.«

»Stets zu Ihren Diensten, meine Dame«, scherzte Astrid.

»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug«, sagte Guido steif, als sie einander die Hand gaben.

»Danke, ich Ihnen noch schöne Tage.«

»Gibst du mir ein Küßchen?« fragte Axel, der sich gerade zu Conny hinunterbeugte.

Sie nickte, stellte sich auf Zehenspitzen und gab ihm einen schallenden Kuß auf die Wange.

Wieder gab es Guido einen Stich, denn von ihm hatte sie sich nur mit einem artigen Händedruck verabschiedet.

Astrid hatte seinen mißmutigen Blick aufgefangen. Er ist eifersüchtig, schoß es ihr durch den Kopf. Sie empfand eine leise Schadenfreude, denn Christina gab Conny sogar unaufgefordert ein Küßchen.

Daran mußte sie noch einmal denken, als sie am nächsten Tag im Flugzeug saßen und die schöne Insel tief unter ihnen lag. Für sie war sie eine Art Schicksalsinsel geworden.

Tante Marlene, die schon am Abend zuvor zurückgekommen war, empfing sie voller Freude.

»Wie gut ihr zwei ausschaut, braun wie die Neger!« staunte sie.

»Aber du siehst auch prächtig aus, Tantchen«, stellte Astrid fest.

Conny hatte ihr so viel zu erzählen, das kleine Plappermäulchen stand keine Minute still. Natürlich berichtete sie auch von all den netten Leuten, die sie kennengelernt hatten.

»Da war die Christina, ich brauchte gar nicht Tante zu sagen, bloß Christina, dabei ist sie eine Frau wie Mami«, plapperte sie. »Und ihr Bruder heißt Axel, den kann ich auch mächtig gut leiden. Und Guido ist ihr Mann, und dann war da noch der Onkel Michael, aber der hat sich nachher eine andere Freundin gesucht und…«

»Guido und Christina?« Verdutzt blickte Tante Marlene Astrid an.

Diese nickte. »Richtig, Tantchen, die Brambecks. Wir liefen uns in der Stadt einmal zufällig über den Weg und dann…« Sie berichtete, wie es gewesen war.

Leider mußte die gute Tante jeglichen Kommentar unterdrücken, solange Conny dabei war. Erst später kam sie darauf zurück.

»Eine verrückte Geschichte«, meinte sie kopfschüttelnd. »Soll man das noch Zufall nennen? Ich wundere mich, daß du die Einladungen angenommen hast, Kindchen. Ich hätte mich nicht so beherrschen können, wenn ich mit diesem Kerl die ganze Zeit zusammen gewesen wäre.«

»Sicher, manchmal war es mir auch komisch, aber andererseits habe ich doch festgestellt, daß mich Guidos Nähe nicht im geringsten aus dem Gleichgewicht gebracht hat.«

»Das wäre ja auch noch schöner, nachdem, wie er sich dir gegenüber verhalten hat«, ereiferte sich Tante Marlene. »Allerdings tut mir seine Frau leid. Wenn sie die Wahrheit gewußt hätte, wäre es sicherlich nicht zu den Einladungen gekommen.«

»Nein, das glaube ich auch nicht. Schließlich liebt sie ihren Mann, und so großzügig kann man wohl kaum sein, wenn einem jemand so viel bedeutet. Aber sie wird es nie erfahren, denn das Intermezzo ist vorbei, eine Fortsetzung gibt es nicht.«

Doch da irrte Astrid, denn schon eine Woche später, die Brambecks und Axel waren gerade auch wieder zurückgekommen, erhielt sie im Geschäft einen Anruf. Nicht etwa von Axel, wie eher zu erwarten gewesen wäre, sondern von Guido!

Er bat sie dringend um ein Treffen, ohne jedoch den Grund dafür zu nennen.

»Aber ich wüßte wirklich nicht, was wir zu besprechen hätten«, erwiderte Astrid verwirrt. »Schauen Sie, der Urlaub ist vorbei, und mir war von Anfang an klar, daß damit auch alles andere enden würde. Mir ist durchaus bewußt, was für eine Kluft zwischen uns besteht«, fügte sie zuletzt noch etwas ironisch hinzu.

»Am Telefon kann ich darüber nicht sprechen, bitte, verstehen Sie.«

»Nun, dann schreiben Sie es eben. Was Ihre Zahlungen für Conny betrifft…«

»Darum geht es nicht«, fiel er ihr hastig ins Wort. »Bitte, hätten Sie heute abend nicht ein Stündchen Zeit?«

»Weiß Ihre Frau, daß Sie mit mir reden wollen?«

»Nein. Aber sie wird es erfahren.«

»Also gut«, sagte sie zögernd, »heute paßt es mir aber nicht. Wie wäre es am Mittwochabend?«

»Einverstanden. Darf ich Sie zum Abendessen einladen?«

»Nein, danke. Ich denke, wir sollten es kurz machen.«

Sie vereinbarten einen Zeitpunkt. Guido bedankte sich, und sie legte auf. Was er bloß mit ihr bereden wollte? Diese Frage stellte sich Astrid während der nächsten beiden Tage wieder und wieder. Auch Tante Marlene, der sie es sagte, fand das alles ziemlich rätselhaft, und sie hatte ein ungutes Gefühl.

»Sei nur auf der Hut«, mahnte sie am Mittwochabend, bevor Astrid aus dem Haus ging. Sie hatten sich in einem kleinen Lokal hier in der Nähe verabredet. »Wer weiß, womit der Mann herausrückt.«

»Keine Sorge, Tantchen«, beruhigte Astrid sie, »ich bin nicht das dumme Ding von damals.«

*

Guido erwartete sie schon in dem Lokal. Höflich erhob er sich, als sie an den Tisch trat.

»Ich fürchtete schon, sie hätten es sich überlegt«, sagte er, denn sie hatte sich ein Viertelstündchen verspätet.

»Wenn es so gewesen wäre, würde ich abgesagt haben, wie sich das für halbwegs guterzogene Menschen gehört«, erwiderte sie und setzte sich auf den Stuhl, den er ihr zurechtrückte.

Die Anspielung auf sein damaliges Verhalten war unüberhörbar. Sie sah ihm an, daß er sie verstanden hatte.

»Was trinken Sie?« wollte er wissen. »Diesen Wein hier kann ich empfehlen, der ist sehr gut.«

»Ich nehme lieber einen Fruchtsaft. Wenn ich fahre, trinke ich nie Alkoholisches.«

»Eine Frau mit Prinzipien«, versuchte er zu scherzen.

»Kommen wir zur Sache«, bat sie ruhig und sah ihn fragend an.

Er drehte den Stiel seines Glases, wirkte sichtlich nervös.

»Mit wenigen Worten ist das schlecht zu sagen«, begann er schließlich, und da Astrid schwieg, fuhr er fort: »Sie können sich wahrscheinlich denken, daß die Begegnung mit Ihnen und Conny nicht ganz spurlos an mir vorübergegangen ist? Und warum soll ich es leugnen, ich schäme mich jetzt meines damaligen Verhaltens.«

»Späte Reue«, warf Astrid ein.

»Ja, ich weiß, aber vielleicht noch nicht zu spät?«

»Wie soll ich das verstehen?« Betroffen sah sie ihn an.

»Durch das Zusammensein ist mir klargeworden, was ich dem Kind angetan habe, von Ihnen gar nicht zu reden. Aber Conny braucht nicht nur die Mutter, sondern auch den Vater.

Kurz und gut, ich beabsichtige, mich scheiden zu lassen. Wie Sie wissen, wird meine Ehe kinderlos bleiben, eine Trennung war ohnehin schon einige Male im Gespräch. Und dann kann ich mich offiziell zu dem Kind bekennen und ihm meinen Namen geben, meine Vaterrolle übernehmen und…«

»Das ist ja unglaublich!« fiel ihm Astrid ins Wort und blickte ihn fassungslos an.

Eine tiefe Röte stieg ihm über Stirn und Wangen. »Ich weiß, das kommt überraschend für Sie, Astrid, aber ich habe den festen Willen alles gutzumachen und…«

»… und Ihre Frau soll den Preis bezahlen, indem sie einfach abgeschoben wird? Obwohl sie unter Ihrer Kinderlosigkeit nicht weniger leidet als Sie selbst? Wie egoistisch Sie sind! Nicht, daß mir das neu wäre, aber zeitweise dachte ich, Sie hätten sich geändert. Jetzt auf einmal wollen Sie bei Conny die Vaterrolle übernehmen? Hätten Sie in Ihrer Ehe Kinder, wäre Ihnen das nicht im Traum eingefallen! Aber meine Antwort lautet nein, verstehen Sie, endgültig und für immer. Auf einen solchen Vater kann mein Kind wahrhaftig verzichten!« sagte sie empört.

»Aber, Astrid, Sie verkennen mich, ich wollte nicht gleich von Gefühlen reden, begreifen Sie doch! Sie tun, als wären das nüchterne Erwägungen, aber in diesen wenigen Tagen habe ich erkannt, daß Conny mir viel bedeutet und Sie…«

»Mich lieben Sie auch noch oder wieder?« Angewidert sah sie ihn an. »Und Sie glaubten, ich wäre glücklich, daß ein Guido Brambeck sich entschlossen hat, zu mir zurückzukommen? Aber dem ist nicht so, um es noch einmal zu sagen. Wenn Sie sich scheiden lassen wollen, ist das Ihre Sache, obwohl es mir um Ihre Frau leid täte, die Sie liebt und noch nicht gemerkt hat, was für einen Egoisten sie geheiratet hat. Ich habe damit jedoch nichts zu tun, für mich spielt es keine Rolle. Und nun sehe ich unsere Unterhaltung für beendet an.« Sie griff nach ihrer Handtasche und stand auf.

»Aber bitte, können wir nicht…«, murmelte Guido, verstummte aber, als sie ihm den Rücken wandte und mit schnellen Schritten das Lokal verließ.

*

»Mami, Mami, guck mal, wer gekommen ist!« empfing sie Conny strahlend, als sie am nächsten Tag nach Hause kam.

Es war Axel, der einträchtig mit Tante Marlene im Wohnzimmer saß, sich nun erhob und die Eintretende etwas schuldbewußt ansah.

»Guten Abend, Frau Hollmann. Ich hoffe, Sie grollen mir nicht, daß ich einfach hier aufgekreuzt bin? Ich hatte mit Connylein telefoniert, und sie wollte unbedingt, daß ich gleich einen Besuch bei Ihnen abstatte.«

»Das ist allerdings eine Überraschung!« Sehr erfreut klang es allerdings nicht. Nach der unerfreulichen Begegnung mit Guido hatte sie sich geschworen, jeden Versuch eines Kontakts im Keim zu ersticken. Nun hatte Conny ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht, und sie konnte Axel wohl nicht gut gleich wieder an die Luft setzen! Tante Marlene hob auf ihren etwas vorwurfsvollen Blick hin nur die Schultern.

»Ihre Frau Tante habe ich sozusagen überrumpelt, sie ist unschuldig«, erklärte er, da er ihren Blick gesehen hatte.

»Axel hat gesagt, er will mit uns am Sonntag auf den Rummelplatz gehen, Mami. Wir gehen doch mit? Bitte, bitte!« Schmeichelnd blickte Conny zu ihrer Mutter auf.

»Wir werden sehen«, erwiderte Astrid kurz. »Hatten Sie noch ein paar schöne Tage?« wandte sie sich dann an Axel und setzte sich in einen Sessel.

»Ich muß nach dem Essen sehen«, murmelte Tante Marlene und ging rasch hinaus.

»Ach, es ging. Wir haben noch kleinere Touren unternommen, aber ohne Sie beide war es ziemlich langweilig. Astrid, hätten Sie Lust, mit mir essen zu gehen?«

»Ich habe Lust!« trompetete Conny.

»Nein, mein Herz, du gehst wie immer brav zu Bett. Und was mich betrifft, so…« Sie zögerte.

»Ich verstehe schon, Sie möchten nicht.« Sein Gesicht verdunkelte sich.

»Jetzt ist er traurig, Mami!« tadelte Conny und legte die Hand tröstend auf seinen Arm. »Axel kann doch mit uns Abendbrot essen, Tante Marlene hat sowieso ganz viel gekocht. Magst du gern Gemüse, Axel? Gemüse ist furchtbar gesund, du kannst meine Portion essen, wenn du mir dafür was von deiner roten Grütze gibst«, schlug sie mit unschuldiger Raffinesse vor.

Die beiden Erwachsenen blickten sich an. Auch Astrid konnte nicht anders, sie mußte in Axels Lachen einfallen.

»Ich gebe mich geschlagen, Sie auch?« fragte sie dann belustigt.

»Nur zu gern«, strahlte er und versprach Conny großzügig den Nachtisch.

Es wurde ein sehr heiteres Mahl. Astrid, die etwas abgespannt gewesen war, taute nun doch auf. Sie merkte, daß Axel bei der Tante gut ankam, weil er so reizend zu Conny war.

Conny bestand nach dem Essen darauf, daß er ihr beim abendlichen Bad Gesellschaft leistete.

»Du kannst auch mit in die Wanne kommen«, schlug sie vor, aber darauf verzichtete er denn doch und begnügte sich damit, Papierschiffchen zu falten und ihr den Rücken zu waschen.

»So, und jetzt muß ich ein ernstes Wort mit Ihnen reden«, erklärte Astrid, als die Kleine schließlich im Bett lag.

»Muß das sein?«

»Ja.« Sie bat ihn in ihr eigenes Wohnzimmer »Sie wollen mir sagen, daß ich mich zum Teufel scheren soll, nicht wahr?«

»So kraß hätte ich es nicht ausgedrückt, aber die unbeschwerten Urlaubstage sind vorbei, und jeder von uns lebt nun wieder in seinem Milieu. Meines ist nicht das Ihre, und deshalb…«

»Aber, Astrid, das ist doch ein alter Zopf!«

»Für Sie vielleicht, aber Ihre Familie dürfte kaum erfreut sein, wenn Sie mit einer Frau wie mir verkehrten. Nein, nein, denken Sie nicht, ich hätte Minderwertigkeitskomplexe, aber mein Verstand sagt mir…«

»Ihr Verstand ist ein schlechter Ratgeber. Warum lassen Sie nicht einfach Ihr Gefühl sprechen, Astrid? Ich hatte nicht den Eindruck, Ihnen so widerwärtig zu sein. Diese Gründe kann ich einfach nicht akzeptieren. Wollen Sie mir nicht sagen, was wirklich dahintersteckt?«

»Was sollte das sein«, sagte Astrid ausweichend.

»Zum Beispiel die Tatsache, daß Sie sich gestern mit meinem Schwager getroffen haben?«.

Verblüfft sah sie ihn an. »Woher wissen Sie denn das? Hat er es Ihnen gesagt?«

»Nein. So ein vertrauliches Verhältnis hatten wir nie. Ich sah Sie beide zufällig in einem kleinen Lokal. Ich besuche es sonst nie, kam wirklich rein zufällig vorbei, um dort eine Kleinigkeit zu essen. Als ich Sie zu meiner Überraschung dort sitzen sah, bin ich allerdings gleich wieder umgekehrt.«

Sie mußte es ihm wohl sagen, wenn er nicht etwas völlig Abwegiges denken sollte!

»Ihr Schwager hatte mich um dieses Treffen dringend gebeten, ohne mir zu sagen, was er wollte. Als er damit herausrückte, bin ich allerdings sofort gegangen«, begann sie zögernd.

»Und was wollte er?«

»Mir sagen, daß er seine Vatergefühle für Conny entdeckt hat.«

»Wie?« Verdutzt starrte er sie an. »Hat Guido Ihnen am Ende den Vorschlag gemacht, Conny adoptieren zu wollen?«

»Ihr Schwager ist der Vater von Conny, Axel.« Nun war es heraus.

»Guido?« Axel holte erst einmal tief Luft.

Und nun berichtete sie ihm die ganze Geschichte von Anfang an. Dann versuchte sie, ihm zu erklären, warum sie Christinas Einladung trotzdem angenommen hatte. Nämlich einzig deshalb, damit diese nicht stutzig geworden wäre.

»Lieber Himmel, was für eine verrückte Geschichte! Aber nun ist mir manches klar, was mir manchmal zu denken gegeben hat. Guidos eigenartiges Verhalten zum Beispiel, und wie er Sie und Conny oft angesehen hat, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Wenn ich Sie recht verstehe, will er also weiterhin Kontakt mit Conny halten?«

Durfte sie ihm wirklich die ganze Wahrheit sagen? Wieder zögerte sie… Und dadurch dämmerte Axel langsam etwas. Er beugte sich vor.

»Er will sich von meiner Schwester scheiden lassen, um Sie zu heiraten, stimmt’s?«

»Er sprach von Scheidung und davon, sich offiziell zu seiner Tochter bekennen und ihr seinen Namen geben zu dürfen.«

»Was letztlich auf dasselbe hinausläuft.« Axel preßte die Lippen zusammen.

»Warum fragen Sie mich nicht, was ich geantwortet habe?«

»Ich denke, Sie waren empört. So empört wie ich es jetzt bin.«

»Richtig. Ich nannte ihn einen Egoisten.«

»Arme Christina«, murmelte Axel, »sie liebt ihn, und wenn sie das wüßte…«

»Sie darf es nie und nimmer erfahren!« beschwor sie ihn erregt. »Guido…, Ihr Schwager hat hoffentlich begriffen, daß ich mich auf so ein schändliches Spiel niemals einlassen würde. Ich kann nur hoffen und wünschen, daß er eines Tages auch einsieht, was er seiner Frau damit angetan hätte und daß er zur Vernunft kommt.«

»Ich hätte nie geglaubt, daß mein Herr Schwager so ein Schuft ist!« Axel sprang auf und lief im Zimmer hin und her. »Damals hat er sich Ihnen gegenüber so mies benommen, jetzt will er meine Schwester einfach loswerden. Was denkt sich dieser Kerl eigentlich? Daß er die Menschen wie Schachfiguren herumschieben kann? Verdammt, ich verspüre die größte Lust, ihn zu verprügeln!«

»Ich glaube nicht, daß das etwas ändern würde.« Astrid lächelte schwach. »Aber verstehen Sie nun, warum ich daraufhin nur den Wunsch hatte, nichts mehr von Ihnen allen zu hören und zu sehen?«

»Irgendwie schon, aber Sie müssen zugeben, das wäre ungerecht gewesen, was mich betrifft. Vielleicht ist es nicht der richtige Augenblick, über Gefühle zu reden, Astrid, aber Sie müssen doch bemerkt haben, daß Sie und Conny mir viel bedeuten. Ich habe nie zuvor eine Frau getroffen, die mich so beeindruckt hat, und das soll kein billiges Kompliment sein. Und ich bin nicht Guido Brambeck, für mich ist eine Frau kein Spielzeug. Wenn Sie mich auch ein bißchen mögen, Astrid, und das hoffe ich sehr, dann geben Sie mir eine Chance, damit wir uns besser kennenlernen. Oder vielmehr Sie mich, denn ich bin meiner Sache sicher.«

Hätte er in diesem Augenblick von Liebe gesprochen und große Worte gebraucht, hätte Astrid sich wahrscheinlich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen. Aber so, wie er sich ihr offenbart hatte, konnte und wollte sie nicht nein sagen. Sie hatte sich verboten, Gefühle für ihn zu entwickeln, aber jetzt erkannte sie, daß sie es dennoch getan hatte. Seinem Herzen war eben nicht immer zu gebieten.

»Gut, Axel«, erwiderte sie aufatmend, »diese Chance will ich uns gern geben. Es ist kein Versprechen für die Zukunft, weder für Sie, noch für mich. Wir sind beide ganz frei in unseren Entschlüssen, einverstanden? Was daraus werden könnte oder nicht, wollen wir ganz der Zeit überlassen, ja?«

»Einverstanden«, nickte er froh, griff nach ihrer Hand und führte sie an seine Lippen. »Aber eine Bedingung habe ich.«

»Und die wäre?«

»Daß wir unsere…, nun, nennen wir es erst einmal Freundschaft, nicht verstecken, weder vor unseren Angehörigen noch vor Fremden. Ich habe meinen Eltern bereits Andeutungen gemacht und möchte Sie ihnen in absehbarer Zeit auch vorstellen dürfen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin ein erwachsener Mensch und werde tun, was ich will, aber ich habe ein gutes Verhältnis mit meinen alten Herrschaften, mir liegt daran, daß sie Sie kennenlernen und umgekehrt.«

»Es würde mich freuen«, erwiderte Astrid schlicht. Sie war nicht sicher, ob seine Eltern es auch so sehen würden, aber das würde sich ja bald herausstellen.

»Übrigens, mein Schwesterherz ahnt, wie es um mich bestellt ist«, sagte er lächelnd, »und daß sie Sie mag, hat sie ja bewiesen.«

Auch als mögliche künftige Schwägerin? Es lag Astrid auf den Lippen, doch sie unterdrückte diese Frage, denn dafür war es zu früh, so lange sie es selbst noch nicht wußten. Die Zukunft würde beweisen, ob aus ein paar schönen Urlaubstagen und herzlicher Sympathie mehr werden konnte!

»Und Guido?« wandte sie nur noch ein.

»Ihm bin ich keine Rechenschaft schuldig, aber er wird es bald erfahren«, entgegnete Axel ruhig. »Ich hoffe, auch das bringt ihn zur Vernunft.«

*

Doch zunächst sah es nicht so aus. Wenige Tage später kam Christina in Tränen aufgelöst zu ihm. Seit einigen Jahren schon wohnte Axel nicht mehr in der Villa seiner Eltern. Er hatte sich am Stadtrand eine schöne Penthauswohnung gekauft.

»Was ist denn los, Schwesterle?« fragte er besorgt, doch schon voller böser Ahnungen.

»Guido will sich scheiden lassen«, schluchzte sie und ließ sich in einen Sessel sinken.

»Jetzt beruhig dich, Tinchen. Komm, trink erst mal einen Beruhigungsschluck, und dann berichte.« Er strich ihr über die nasse Wange und schenkte ihnen einen Cognac ein.

Sie stürzte ihn in einem Zug hinunter und tupfte sich die Tränen von den Wangen.

»Du weißt ja«, begann sie dann etwas gefaßter, »daß wir schon einige Krisen hinter uns haben, aber so deutlich hat er bisher nie von Scheidung gesprochen…«

»Und warum diesmal?« fragte Axel beklommen.

»Das ist es ja, diesmal ist es bitterernst, denn er hat mir gestanden, daß…«, ihre Stimme kam ins Schwanken, »daß er seit fünf Jahren ein uneheliches Kind besitzt, dessen Mutter er nun heiraten wolle. Er hat mir zwar geschworen, die ganze Zeit keinerlei Verbindungen zu ihr oder dem Kind gehabt zu haben, aber nun habe er sie per Zufall wiedergesehen. Der Wunsch, dem Kind nun auch Vater zu sein, sei übermächtig in ihm, und da bei uns ja leider keine Aussicht auf ein Kind bestünde…« Christina stockte und begann wieder zu weinen.

»Unglaublich«, murmelte Axel bestürzt. Wie konnte Guido glauben, Astrid könne ihre Entscheidung noch ändern! Es zeigte wieder einmal, wie überzeugt er von sich sein mußte!

»Ja, ich dachte auch, der Himmel stürzte ein, als ich es hörte«, murmelte Christina. »Gut, das war vor unserer Ehe, er hat es mir nie gesagt, was ich sogar verstehe. Aber daß er mich deswegen jetzt verlassen will, demütigt mich tief. Kannst du dir vorstellen, wie es in einem aussieht, wenn man sich wie einen Gegenstand, der sich als unbrauchbar erwiesen hat, abgeschoben fühlt?«

»O ja, das kann ich, zumal diese Frau überhaupt nicht die Absicht hat, deinen Mann zu heiraten.« Erst als er es gesagt hatte, wurde Axel erschrocken bewußt, was für einen unbedachten Fehler er damit gemacht hatte.

Christina hob den Kopf und starrte ihn an. »Was sagst du da?« flüsterte sie tonlos. »Was weißt du, Axel?«

Er biß sich auf die Lippen und senkte den Kopf. Ohrfeigen hätte er sich mögen!

»Mein Gott, wie dumm von mir«, murmelte er reuevoll. »Ich hatte fest versprochen, den Mund zu halten, und nun ist es mir in meinem Zorn herausgerutscht.«

»Wem hast du Schweigen versprochen, und wieso hast du mir, deiner einzigen Schwester, nichts gesagt?« Ihr Gesicht war ein einziger Vorwurf.

»Um dich zu schonen, verdammt noch mal!« rief er. »Und weil ich hoffte, dein Mann würde zur Vernunft kommen!«

»Aber jetzt kannst du nicht länger schweigen, das siehst du doch wohl ein?«

»Ja.« Axel starrte vor sich hin. »Und vielleicht ist es auch besser so, denn es betrifft letztlich auch mich.«

»Dich?« Sie schüttelte den Kopf. »Gewiß, du bist mein Bruder, aber auch wenn dich als solcher das Verhalten deines Schwagers kränken mag, so…«

»Es ist nicht nur das, Christina. Die Frau, die Guido damals nicht heiraten wollte, die er schmählich hat sitzenlassen, bedeutet mir viel«, gestand er leise.

»Aber…, wer…, wer ist sie denn? So red doch schon!« rief sie erregt.

»Du kennst sie auch, Christina. Mehr noch, du magst sie gern und ihr Töchterchen…« Er stockte, denn er sah in ihrem Blick ein erstes Begreifen aufflackern.

»Sprichst du etwa von…, von Astrid Hollmann?« flüsterte sie.

»Ja. Und sie hat mir, als ich sie vor wenigen Tagen unangemeldet besuchte, schließlich gestanden, warum sie mit uns allen keinen Kontakt mehr wollte. Und sie hat mir von der Unterredung erzählt, die sie mit Guido nach unserer Rückkehr hatte. Dabei hat sie ihm klipp und klar gesagt, daß sie nicht daran denkt, auf seine Vorschläge einzugehen.«

»So ist das also.« Christina preßte die Lippen zusammen. »Wie konnte sie meine Einladung auf Ibiza unter diesen Umständen nur annehmen, Axel?«

»Erinner dich, wie du sie bedrängt hast, Kindchen. Sie dachte, es würde eher deinen Argwohn erregen, wenn sie strikt ablehnte. Außerdem war ihr dein Mann in all den Jahren völlig gleichgültig geworden. Sie war ihrer selbst ganz und gar sicher, und da Guido sich zunächst eher verärgert über deine spontane Einladung zeigte, kam sie gar nicht auf die Idee, daran könnte sich etwas ändern. Sie gestand mir offen, daß sie nicht frei von Schadenfreude war, weil ihm diese Situation so unangenehm war. Das ist wohl verständlich, wenn man weiß, wie schmählich er sie seinerzeit hat sitzenlassen.«

Nachdenklich nickte Christina. Ja, wenn sie ehrlich war, konnte sie Astrid Hollmanns Gefühle durchaus nachempfinden.

»Und wie war das damals?«

»Das hat dir dein Mann natürlich nicht erzählt.« Axel verzog den Mund. »Na ja, kein Wunder.« Er erzählte, was er von Astrid wußte.

»Grund genug, so einen Mann aus tiefstem Herzen zu hassen«, murmelte Christina.

»Zeitweise war es wohl auch so, bis er ihr dann ganz und gar gleichgültig wurde.«

»Ich hätte es sehen müssen«, sagte Christina eine Weile später, »Conny gleicht ihrem Vater so sehr. Ich mußte gelegentlich denken, daß unser Kind, wenn wir eins bekommen hätten, vielleicht ähnlich hätte aussehen können. Aber wie sollte ich die Wahrheit ahnen?«

»Mir ging es auch so. Wenn ich Vater und Tochter beisammen sah, fiel mir auch eine gewisse Ähnlichkeit auf, aber natürlich hielt ich das für reinen Zufall.«

»Du hast Astrid Hollmann besucht, weil du sie wiedersehen und den Kontakt nicht einschlafen lassen wolltest, nicht wahr? Ist es dir denn ernst, Axel?«

»Sehr ernst. Und das meinte ich damit, als ich sagte, es ginge mich auch etwas an.«

»Und wie steht sie zu dir?«

»Sie mag mich, so was spürt man doch, auch wenn sie versuchte, keine tieferen Gefühle aufkommen zu lassen. Aber ich habe sie gebeten, mir eine Chance zu geben und werde sie demnächst auch unseren Eltern vorstellen.«

»Mit anderen Worten, du willst sie heiraten, auch wenn sie ein Kind von deinem Schwager hat?«

»Richtig. Wer Connys Vater ist, spielt überhaupt keine Rolle, denn ich finde das kleine Ding reizend und würde ihm bestimmt ein guter Vater werden.«

»Sehr zur Freude deines Schwagers«, bemerkte Christina ironisch. Sie hatte sich jetzt wieder in der Gewalt, und Axel bewunderte, wie gut sie die Wahrheit aufgenommen hatte. Vielleicht, weil sie nun trotz allem wieder ein wenig Hoffnung hatte, ihre Ehe zu retten? Oder weil es ihr nun leichterfiel, sich von Guido zu trennen, den sie nun in ganz anderem Licht sehen mußte? Axel wagte nicht, das zu entscheiden.

»Ich möchte mit Astrid sprechen«, sagte sie schließlich aufatmend.

»Dann tu es«, stimmte er sofort zu. »Soll ich es ihr sagen?«

»Nein, ich bin ohnehin im Salon angemeldet und werde sie selbst darum bitten.«

»Und wie wirst du dich entscheiden, was Guido betrifft?«

»Wenn er auf Trennung besteht, kann ich ihn wohl kaum halten.«

»Nein, und dann solltest du es auch nicht tun.«

Christina wandte den Kopf zur Seite, damit er die Tränen nicht sah, die ihr wieder in die Augen stiegen.

*

Es war ein gutes befreiendes Gespräch, das die beiden Frauen miteinander führten. Astrid hatte Christina zu sich gebeten, damit sie ganz ungestört waren. Axel hatte sie bereits vorbereitet und ihr seinen Lapsus gestanden. Sie war ihm nicht böse gewesen. Vielleicht, so sagte sie sich, war es besser so.

Sie hatte auch gewußt, daß Christina nicht als Feindin oder Anklägerin zu ihr kommen würde, aber als sie einander dann gegenüberstanden, hatte sie zunächst doch kein Wort hervorbringen können.

»Ich müßte meinen Mann wohl verachten und seinen Vorschlag zur Trennung annehmen«, sagte sie, nachdem Astrid ihr alles noch einmal erzählt hatte.

»Aber Sie lieben ihn«, erwiderte Astrid leise.

»Ja. Vielleicht verstehen Sie das nicht, aber unsere ersten Ehejahre waren so wundervoll, ich war so glücklich, und ich glaube, er war es auch. Nur als sich unser Kinderwunsch nicht erfüllte, kamen Mißstimmungen auf, weil Guido strikt gegen eine Adoption war, die ich vorgeschlagen hatte. Auch ich war oft verzweifelt und nicht immer nett mit ihm, ich gebe es zu. Ich versuchte, mich zu betäuben, jagte von einer Party zur anderen, wollte immer Leute um mich haben. Das gab dann auch Meinungsverschiedenheiten. Natürlich bin ich tief betroffen, wie er sich Ihnen gegenüber verhalten hat, aber trotzdem ist er kein schlechter Mensch. Vieles lag auch an seiner Erziehung, wissen Sie. Seine Eltern sind sehr standesbewußt und haben ihm immer eingehämmert, daß nur eine Frau aus unseren Kreisen für ihn in Frage käme. Und er selbst ist ja auch ehrgeizig und genießt es, in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen. Bei uns zu Haus ist das anders. Mein Großvater war ein einfacher Mann, und mein Vater hat als Kind noch erlebt, wie hart er gearbeitet hat, um voranzukommen. »Vergeßt nie, woher ihr kommt«, hat er seinen Kindern immer vorgehalten, und mein Vater hat es nicht vergessen. Für ihn zählt der Mensch und nicht seine Herkunft.« Christina lächelte ein wenig. »Und das sage ich. Ihnen nicht grundlos, Astrid. Wenn Axel Sie zu meinen Eltern bringt, müssen Sie keine Angst haben, Sie könnten von ihnen nicht akzeptiert werden.«

Astrid errötete. Axel hatte seiner Schwester also nichts verschwiegen.

»Ich würde mich freuen, wenn Sie und Axel zusammenfänden«, fuhr Christina nun herzlich fort.

Astrid war so bewegt, daß ihr die Tränen in die Augen schossen. Und dann, keine hätte sagen können, wie es gekommen war, hielten sie einander in den Armen und weinten beide ein wenig.

»Was wirst du nun tun?« fragte Astrid schließlich und merkte gar nicht, daß sie das schwesterliche Du gebraucht hatte.

»Nichts, ich werde seine Entscheidung abwarten.«

Sie hoffte immer noch! Astrid wünschte ihretwegen von ganzem Herzen, daß die Eheleute wieder zueinander finden würden. Bevor Christina ging, bat sie, noch einen Blick auf Conny werfen zu dürfen.

Astrid führte sie ins Kinderzimmer. Wie ein kleiner Igel lag die Kleine in ihrem Bettchen zusammengerollt, ihr Lieblingsstofftier im Arm. Sie schlief tief und fest.

»Guidos Kind«, murmelte Christina und streckte die Hand aus, um die rosige Kinderwange zu streicheln. In letzter Sekunde zog sie sie jedoch zurück, um die kleine Schläferin nicht zu wecken. »Wie süß sie ist«, flüsterte sie, dann richtete sie sich auf und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer.

Astrid konnte gut nachempfinden, was in ihr vorging.

»Ich wünsche so sehr, daß noch alles gut wird«, sagte sie warm, als sie unten an der Tür standen und einander die Hände reichten.

»Danke, Astrid. Ich bin froh, daß wir miteinander gesprochen haben.«

Astrid sah ihr nach. Was war Guido doch für ein Dummkopf, daß er diese großartige Frau aufgeben wollte!

*

Es wunderte Guido immer noch, daß Christina ihm bei ihrer Unterredung keine Szene gemacht hatte und ungewöhnlich ruhig geblieben war. Früher, bei ähnlichen Gesprächen, war sie immer gleich sehr erregt und laut geworden.

Auch jetzt, in den Tagen danach unternahm sie keinen Versuch mehr, ihn noch umzustimmen, wie er eigentlich erwartet hatte. Hin und wieder sah sie ihn nur so seltsam, fast wissend an, und manchmal war ihr anzumerken, daß sie heimlich geweint hatte, auch wenn sie sich noch so sehr bemüht hatte, die Tränenspuren zu überdecken.

Daß er trotz Astrids Ablehnung mit Christina über die Scheidung gesprochen hatte, war aus der Überzeugung erfolgt, daß Astrid ihm vermutlich nicht geglaubt haben könne, wie ernst es ihm war. Wenn er die Scheidung betrieb und sie vollzogen war, würde sie es wissen und dann vielleicht anders denken, so hoffte er.

Doch inzwischen waren ihm erste Zweifel gekommen. Seine Selbstsicherheit kam ins Wanken, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Es konnte gut möglich sein, daß er eines Tages mit leeren Händen dastehen würde. Christina, davon war er überzeugt, würde nicht alleinbleiben. Wenn sie wieder frei wäre, könnte sie an jedem Finger einen haben!

Dieser Gedanke mißfiel ihm plötzlich. Er dachte an die ersten so glücklichen Jahre ihrer Ehe. Christina war eine Frau, die zu repräsentieren verstand und trotzdem mit ihrer Spontanität schnell Sympathien errang. Daß sie manchmal ein wenig exaltiert war, hatte ihn eher belustigt. In der Art, wie sie ihr Leben führten, stimmten sie überein.

Wenn sie doch bloß ein Kind hätten haben können! Ein Kind wie Conny vielleicht! Je länger der Mann grübelte, um so klarer wurde ihm schließlich, daß er es am liebsten hätte, wenn alles so bliebe wie bisher, wenn er nur das Kind hätte! Gewiß, es hatte ihn auch gereizt, Astrid zurückzuerobern, die sich zu einer Persönlichkeit entwickelt hatte und schöner war denn je. Aber waren sie nicht viel zu verschieden, um zusammen leben zu können? Und wollte er wirklich den Skandal, den seine Trennung von Christina und eine Wiederheirat mit Astrid hervorrufen würde? Was seine Eltern sagen würden, wußte er ohnehin.

Christina spürte, daß in ihm etwas vorging, aber sie fragte und sagte nichts, bis sie ihm eine Woche später erklärte, daß sie ein paar Tage zu ihrer Freundin Kerstin fahren wolle, die mit einem Arzt im Ostfriesischen verheiratet war. Er nahm es zur Kenntnis, doch als sie dann dort war, erschien ihm das schöne neue Haus, das sie seit ihrer Heirat bewohnten, furchtbar leer.

Dann, kurz danach an einem Sonntag, als ihm die Decke besonders auf den Kopf fiel, rief er Axel an, um ihn zu fragen, ob man nicht zusammen Tennis spielen wolle. Einfach in den Club zu gehen und zu sehen, ob sich ein Spielpartner fand, verspürte er keine Lust.

»Tut mir leid, Guido, aber ich habe Besuch«, erklärte Axel auf seine Frage.

»Ach so. Na dann…« Guido stockte, denn er hörte im Hintergrund ein helles Kinderlachen. »Hast du einen Kindergarten zu Besuch?« fragte er scherzend.

»Nur ein Kind und seine Mama«, erwiderte Axel.

»Soso.« Guido wartete, daß er ihm sagte, wer die Besucher waren, doch es kam nichts. »Also, dann vielleicht ein andermal, entschuldige die Störung«, sagte er schließlich.

»Schon gut, macht ja nichts«, erwiderte Axel. »Also, tschüß denn.«

»Ja, tschüß«, murmelte Guido, und dann kurz bevor der andere auflegte, hörte er eine Frauenstimme einen Namen rufen. Conny so hörte es sich an!

Er hielt den Hörer noch ans Ohr gepreßt, als es schon längst geklickt hatte. Hatte er sich getäuscht? Nein, er war ganz sicher, und das bedeutete, daß Astrid und Conny bei Axel zu Besuch sein mußten! Es traf ihn wie ein Schlag, und es ärgerte ihn, daß Axel es ihm nicht gesagt hatte. Die beiden hatten also noch Kontakt miteinander und ziemlich persönlichen dazu. Er fühlte sich regelrecht hintergangen. Sicher, er und Axel hatten sich nach ihrer Rückkehr kaum gesehen, und Rechenschaft war er ihm natürlich nicht schuldig.

Hatte sich zwischen ihm und Astrid womöglich etwas Ernstes angesponnen? War sie deshalb ihm gegenüber so abweisend gewesen? Hatte sie mit Axel angebandelt, um ihn, Guido, damit zu ärgern? Viele Fragen, auf die er keine Antwort wußte.

Wenn zwei Menschen sich näherkamen, dann erzählte man einander in der Regel einiges aus seiner Vergangenheit. Hatte Astrid Axel womöglich verraten, daß er Connys Vater war? Wenn aber er es wußte, dann vielleicht auch Christina? Hatte sie deshalb die Flucht ergriffen, weil ihr nun alles hoffnungslos schien?

Noch zwei Tage und Nächte sinnierte und grübelte Guido, dann faßte er einen Entschluß. Er zögerte nicht, ihn sofort in die Tat umzusetzen.

*

Die beiden Freundinnen saßen auf der Terrasse des Doktorhauses, als es schellte.

»O weh, wahrscheinlich wieder ein dringender Fall«, seufzte Kerstin, die vielgeplagte Arztfrau. Gerade war ihr Mann zu einem Krankenbesuch weggefahren.

Sie lief zur Tür, um zu öffnen. Kurz darauf hörte Christina ihren überraschten Ausruf, doch sie dachte sich nichts dabei und blätterte in der Zeitschrift, die sie gerade genommen hatte.

»Schau her, wer da gekommen ist!« rief Kerstin fröhlich, als sie wieder auf die Terrasse trat.

Christina blickte auf und sah hinter ihr Guido in der Tür erscheinen »Du?« rief sie überrascht. Ihr Herz tat einen freudigen Schlag, doch ihr Verstand sagte ihr, daß sein unerwartetes Erscheinen kaum etwas Gutes zu bedeuten haben konnte. Ihr Gesicht verdunkelte sich.

»Keine Woche hält er es ohne seine Frau aus, und das, obwohl die Flitterwochen längst vorbei sind, alle Achtung!« Kerstin lachte, Sie wußte von nichts, denn obwohl sie vorgehabt hatte, sich bei ihr auszusprechen, hatte Christina bis dahin geschwiegen. Es hatte ihr so gutgetan, einmal von ihren Problemen abgelenkt zu werden und nicht darüber sprechen zu müssen! Wahrscheinlich hatte Kerstin gemerkt, daß sie nicht allzu guter Stimmung war, aber sie hatte sie nicht bedrängt.

»Meinst du?« Nun lächelte sie etwas gezwungen, und es entging Kerstin nicht, daß sie den Kopf zur Seite wandte, als Guido sie zur Begrüßung küssen wollte Kerstin bereitete Kaffee, und eine Weile unterhielten sie sich zu dritt. Dann schützte Kerstin dringende Schreibarbeiten für die Praxis vor und zog sich zurück.

»Warum bist du wirklich gekommen?« fragte Christina, als sie ins Haus gegangen war.

»Ich muß mit dir reden.« Er blickte zur Tür, die offenstand. »Können wir vielleicht einen Spaziergang machen?«

»Ja, gehen wir ein Stück«, nickte sie.

Sie verließen das Doktorhaus, nachdem sie Kerstin Bescheid gesagt hatte.

»Du hast die Scheidung eingereicht?« fragte sie schließlich mit erzwungener Ruhe.

»Nein. Ich bin gekommen, um dich zurückzuholen, Christina.«

»Ach, du hast es dir überlegt? Vielleicht, weil die Mutter deines Kindes dich gar nicht heiraten will?«

»Das ist richtig«, gab er zu ihrem Erstaunen ehrlich zu. »Aber das ist nicht der wahre Grund?«

»Und der wäre?«

»Ich habe lange nachgedacht und erkannt, daß mein Entschluß nicht richtig durchdacht war. Es ging mir um das Kind, ich hatte mir in den Kopf gesetzt, ihm von jetzt an Vater zu sein und dachte, seine Mutter müsse froh darüber sein. Wie du erraten hast, war sie es nicht, doch zunächst glaubte ich noch, sie traue mir nicht, und ich müsse erst unsere Trennung vollzogen haben. Ich wollte so schnell wie möglich alles hinter mich bringen, stellte dann aber fest, daß ich wie gelähmt war. Als du fort warst merkte ich erst, wie sehr du mir fehltest, Liebling. Ich erinnerte mich an die Jahre, in denen wir so glücklich waren und begann mich zu fragen, ob ich mit der Mutter meines Kindes überhaupt leben wollte und könnte.«

»Hättest du diese Überlegungen auch angestellt, wenn sie sofort eingewilligt hätte, dich nach unserer Scheidung zu heiraten?« fragte Christina ungläubig.

»Deine Frage ist berechtigt, aber jetzt bin ich sicher. Schau, ich hätte dir ja gar nicht zu sagen brauchen, daß sie nicht wollte und so tun können, als sei es allein mein Entschluß gewesen. Aber ich wollte dir nichts vormachen und…«

»Ich wußte es ohnehin«, fiel sie ihm ins Wort, »und ich weiß nun auch, wer das Kind und seine Mutter sind.«

»Axel hat es dir gesagt, nicht?«

»Ja. Und wie kommst du darauf?«

»Es lag nahe«, erwiderte er ausweichend.

»Wie dem auch sei, Guido, aber ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß du mich gar nicht mehr liebst. Wie hättest du mir das sonst antun können, mich wegwerfen zu wollen wie einen alten Hut«, meinte sie bitter.

»Versteh doch, ich war durcheinander, Liebling. Es war verrückt und reine Theorie, als ich dachte, ich könne alles andere vergessen, um endlich Vater sein zu dürfen. Ein Trugschluß, wie ich nun erkannt habe. Ich will dich nicht verlieren, Christina, und ich möchte es dir beweisen.«

»Und wie?« fragte sie leise.

»Indem ich einverstanden bin, daß wir ein Kind adoptieren. Sieh mal, ich hätte mich scheiden lassen können, und wenn nicht Astrid Hollmann, so eine andere Frau heiraten können, die mir ein Kind hätte schenken können. Aber ich will dich, und da wir uns beide ein Kind wünschen, werden wir eben eines adoptieren.« Er nahm ihre Hand. »Ich weiß, ich war ein Egoist. Ich dachte, ich könne nur ein Kind von eigenem Fleisch und Blut akzeptieren. Aber es gibt so viele arme Würmchen, die keine Eltern mehr haben. Wir könnten versuchen, ein Baby zu bekommen, das von Anfang an bei uns ist.«

Seine Worte blieben nicht ohne Wirkung auf Christina, doch immer noch war sie mißtrauisch.

»Aber Conny existiert nun mal. Würde dich das nicht hindern, ein fremdes Kind zu lieben?«

»Nein, ich glaube nicht. Wir könnten ein Kind doch sowieso nur adoptieren, wenn wir es beide spontan mögen würden, nicht?«

»Du meinst, wenn es so niedlich wäre wie Conny.«

»Lieber Himmel, wer kann sich davon freimachen! Sicher spielt auch das Äußere mit, ob einem ein Kind gefällt, aber ganz sicher nicht nur. Tina, ich meine es ernst, verdammt noch mal! Wenn du willst, können wir gleich morgen die ersten Schritte dazu unternehmen!« Er blieb stehen und legte die Arme um sie. »Du liebst mich doch noch, das weiß ich. Kannst du mir denn nicht auch verzeihen, Liebling?«

»Ich möchte es so gern, aber ich habe Angst, es könne wieder nur so eine Idee von dir sein, die du augenblicklich ja ernst meinen magst, aber wenn erst eine Zeit vergangen ist, wer weiß, wie du dann darüber denkst.«

»Nein, ich schwöre es, es bleibt dabei. Sieh mal, ich habe doch alles eingesehen, und ich wiederhole, gleich morgen leiten wir alles ein, wenn du willst. Ich liebe dich, Tina, viel mehr, als ich selbst gewußt habe. Und wenn wir ein Kind gefunden haben, dann können wir zu dritt so glücklich sein.«

»Ach, Liebster!« Aufatmend legte sie die Arme um seinen Hals. »Dann will ich dir vertrauen, ich komme mit dir!«

Stürmisch küßte er sie. »Danke, Liebling, ich bin so glücklich, und ich verspreche dir, ich werde dir nie mehr Kummer machen!«

»Auch nicht, wenn ich dir noch eine Neuigkeit sagen muß, die dich vielleicht nicht so freut?«

Überlegend sah er sie an. »Könnte es sein, daß du mir sagen willst, daß dein Bruder und Astrid…«

»Du weißt es?« fragte sie etwas überrascht.

»Ich bin ja nicht blind, Tina. Schon auf Ibiza merkte man schließlich, daß Axel Feuer gefangen hatte, und daß sie noch Verbindung haben, wurde mir klar, als ich neulich bei Axel anrief. Es ist also eine feste Sache?«

»Jedenfalls sieht es ganz so aus. Axel denkt an Heirat, das weiß ich, und wenn es dazu käme, wärest du der Onkel deiner Tochter und Astrid deine Schwägerin.«

»Na und? Es gibt oft noch viel verworrenere Familienverhältnisse. Immerhin wäre ich bei Axel sicher, daß er Conny ein guter Vater sein würde, und ich könnte meine Tochter zumindest immer ganz unverfänglich sehen. Du siehst, auch für mich wäre es keine schlechte Lösung. Störte es dich denn, mit Mutter und Tochter verwandt zu werden?«

»Nein.« Christina lächelte. »Als meine Nachfolgerin hätte ich Astrid nicht gern gesehen, aber als Schwägerin schon sehr. Im Gegensatz zu dir, bin ich ja auch nicht so versnobt, was die Herkunft oder gesellschaftliche Stellung eines Menschen anbetrifft.«

»Ich war ein Idiot«, gestand Guido, »aber ich werde mich bessern, ich verspreche es dir. Und nicht nur in diesem Punkt.« Zärtlich drückte er sie an sich, dann gingen sie Arm in Arm zurück.

*

Einige Monate waren vergangen, und Astrid und Axel waren einander in dieser Zeit sehr nahe gekommen. Als Astrid von Christinas und Guidos Versöhnung gehört hatte, hatte sich in ihr eine Art Sperre gelöst. Sie hatte ihre Bedenken und Vorbehalte über Bord geworfen und nur noch auf ihr Herz gehört, das sich diesem Mann, der so um sie warb, mehr und mehr zuneigte.

Nicht wie die meisten Männer war er auf eine stürmische Eroberung aus. Vielmehr bemühte er sich, ihr zu zeigen, daß das, was er für sie empfand, tiefer ging. Und es ging ihm nicht nur um das Gefühl, sondern auch um Verstehen. Er vermittelte ihr den Eindruck, daß man sich in allen Lebenstagen auf ihn verlassen konnte.

So verbrachten sie bald den größten Teil ihrer Freizeit miteinander, und immer war Conny bei ihnen. Für Axel gehörte das Kind mit einer Selbstverständlichkeit dazu, die Astrid immer wieder beglückte. Vor allem, weil sie spürte, daß seine Zuneigung für Conny nicht gespielt und nicht Mittel zum Zweck war, um das Herz der Mutter zu erobern.

Ein wenig beklommen war sie gewesen, als er sie das erste Mal mit zu seinen Eltern genommen hatte. Doch ihre Ängste erwiesen sich als ganz und gar grundlos. Viktor und Elisabeth Jansen waren sympathische Menschen, die sie unvoreingenommen und sehr freundlich empfingen. Conny eroberte ihre Herzen im Sturm. Seitdem waren sie schon öfter bei ihnen gewesen, und Astrid hatte den Eindruck, daß sie sie bereits im Familienkreis aufgenommen hatten.

An diesem Wochenende sollte in dem Landhaus, das die Jansens in einem idyllischen Heidedörfchen besaßen, ein Familientreffen stattfinden, denn Axels Mutter feierte ihren Geburtstag. Sie hatten Astrid und Conny auch eingeladen. Obwohl Astrid sich darüber gefreut hatte, war sie auch ein wenig zwiespältig, denn auch die Eltern von Guido würden kommen.

»Wie werden sie reagieren?« fragte sie Axel besorgt, als er ihr das erst am Abend zuvor mitteilte. »Sie wissen ja, daß Conny ihr Enkelkind ist, und womöglich empfinden sie unsere Anwesenheit als Brüskierung?«

»Wenn es so wäre, würden sie gar nicht erst kommen. Außerdem ist mit Sicherheit auch bis zu ihnen vorgedrungen, daß sie sich mit den Tatsachen abzufinden haben«, lächelte er.

»Mit der Tatsache, daß wir befreundet sind, meinst du?«

»Damit, daß wir heiraten«, erwiderte er und zog sie in seine Arme. »Ich liebe dich, Astrid, das weißt du, und am liebsten hätte ich dir schon vor Monaten einen Heiratsantrag gemacht. Aber erst jetzt, glaube ich, habe ich dich überzeugen können, daß es mir ernst ist, nicht?«

»Nein, ganz so ist es nicht«, korrigierte sie ihn sanft. »Ich habe immer deine Ernsthaftigkeit gespürt, aber ich habe mich dagegen noch gesperrt, und du weißt warum.«

»Und nun?«

»Ich liebe dich«, flüsterte sie und legte die Arme um seinen Hals, »und ich möchte deine Frau werden, Liebster.«

Er umfaßte ihr Gesicht mit beiden Händen und küßte sie zärtlich.

»Ich bin so glücklich, ich kann es gar nicht in Worte fassen, aber ich gestehe, ich war meiner Sache sicher. Und so habe ich bereits vorgesorgt.« Er zog ein Kästchen aus der Tasche und öffnete es. »Sieh her, mein Liebling!«

In dem Kästchen befanden sich Verlobungsringe. Ein Triset mit einem wunderschönen Brillantring für die Braut. Axel nahm ihre Hand und streifte ihr erst den einen, dann den anderen Ring über. Sie paßten wie angemessen!

»So, die wirst du morgen tragen, damit für niemanden Zweifel bestehen, daß du nun zur Familie gehörst. Gefallen dir die Ringe? Mutter fand sie sehr schön«, schmunzelte er.

»Ein Komplott also!« Sie runzelte die Stirn, aber ihre Augen strahlten. »Ich dachte, wir feiern Geburtstag und nicht Verlobung?«

»Was sollte ich machen, es war der größte Wunsch des Geburtstagskindes, diesen Tag in doppelter Hinsicht zu feiern.«

»Ja, wenn das so ist!« Astrid streckte die Hand aus. »Sie sind wunderschön, du Heimlicher. Aber nun mußt du deinen auch aufsetzen.«

»Und wann heiraten wir?« fragte er, als es geschehen war.

In gespieltem Schreck sah sie ihn an. »Wir haben Conny noch gar nicht gefragt, ob sie einverstanden ist!«

Er lachte. »Dann fragen wir sie doch. Ich meine, das wäre ein Grund, sie nochmals aufzuwecken.«

»Du scheinst sehr sicher zu sein, daß sie dir meine Hand nicht verweigern wird.«

Er grinste nur und zog sie ins Kinderzimmer. Conny schlief keineswegs. Sie saß aufrecht in ihrem Bettchen und strahlte ihnen entgegen, als sie eintraten.

»Nanu?« wunderte sich Astrid. »Vorhin hast du doch schon ganz fest geschlafen?«

»Ich habe bloß so getan, Mami.« Die Kleine lächelte verschmitzt.

»Noch ein Komplott?«

»Hast du Mami jetzt die schönen Ringe geschenkt, Axel?« Connys Frage war bereits die Antwort!

»Ja, und sie passen ganz genau, sieh her!« Er nahm Astrids Hand und hielt sie ihr hin. »Und nun möchte deine Mami gern wissen, ob du mit mir als dein Papi einverstanden bist.«

»Na klar, das habe ich dir doch schon gesagt«, nickte Conny.

»Ich sehe, ihr zwei habt das ganz unter euch ausgemacht.« Astrid lachte. »Und wenn ich nun nein gesagt hätte, was hättet ihr dann gesagt, ihr Verschwörer?«

»Ach, mein Liebling, darüber möchte ich gar nicht nachdenken«, schmunzelte Axel.

»Du hast Axel auch so lieb wie ich, und darum wolltest du gar nicht nein sagen«, erklärte Conny altklug.

»Bist doch ein gescheites Kind!« Astrid gab ihr einen Kuß.

»Und wann feiern wir nun Hochzeit?« wollte Conny dann wissen.

»Ganz bald, Herzchen«, versicherte der glückliche Bräutigam.

»Au fein! Kriege ich dann auch ein weißes Kleid?«

Die beiden Erwachsenen lachten. »Du darfst dich ganz fein machen«, versprach Astrid. »Aber nun mußt du wirklich schlafen, Schatz. Gib deinem zukünftigen Papa noch einen Kuß!«

»Gute Nacht, Papa Axel«, flüsterte die Kleine diesem verschmitzt ins Ohr, bevor sie sich brav niederlegte und die Augen schloß.

*

Der Geburtstag von Elisabeth Jansen wurde in mehrfacher Hinsicht ein bedeutsamer Tag, und das nicht nur wegen der Verlobung von Axel und Astrid.

Zunächst hatte es sogar so ausgesehen, als würden Guidos Eltern gar nicht kommen. Erst wenige Tage vor ihrem Geburtstag hatte Elisabeth ihnen mitgeteilt, daß Axel mit seiner künftigen Frau und deren Tochter kommen würde. Weder Guido noch Christina hatten ihnen bisher erzählt, wer diese Frau war, und so blieb es ihr überlassen, sie darüber aufzuklären.

»Axel will also heiraten, wie schön!« sagte Hildegard Brambeck überrascht. »Wieso haben uns weder Guido noch Christina verraten, daß er eine feste Freundin hat?«

»Das hat ganz bestimmte Gründe, Hilde, denn seine künftige Frau ist euch nicht ganz unbekannt.«

»Nun, das überrascht mich nicht, denn wir nehmen ja nicht an, daß euer Sohn ein x-beliebiges Mädchen zu heiraten gedenkt«, lächelte Hildegard.

»Nein, das ist sie nicht, aber in anderem Sinne, als du jetzt meinst, Hilde. Sie stammt nicht aus unseren Kreisen, weißt du.« Elisabeth sagte es mit leiser Ironie.

»Nein? Aber wenn wir sie doch kennen? Es wird ja wohl nicht gerade euer hübsches Dienstmädchen sein, oder?« scherzte Hildegard.

Wieder fiel Elisabeth auf, wie hochmütig diese Frau doch war. Natürlich glaubte sie nicht im Ernst an das, was sie sagte.

»Nein, aber sie ist Friseuse, Friseurmeisterin, um genau zu sein.«

»Großer Gott, Elisabeth, wie leid mir das tut!« rief Hildegard Brambeck entsetzt. »Das muß ja ein schwerer Schlag für euch gewesen sein. Wie kommt er denn bloß an so eine? Obwohl…«, sie zögerte, »… auch Guido vor Jahren einmal so eine ärgerliche Liebschaft mit einem Mädchen dieser Berufsgruppe hatte und…«

»Ich weiß«, fiel Elisabeth ihr ins Wort, »und ihr habt kräftig auf ihn eingewirkt, daß er dieses Mädchen mit einem Kind hat sitzenlassen!«

»So, dann wißt ihr es also? Ich dachte immer, Guido hätte es Christina nie erzählt.«

»Es blieb ihm nichts weiter übrig, denn das Schicksal geht manchmal sonderbare Wege, meine liebe Hildegard.« Elisabeth lächelte fein und erzählte ihr dann, wie alles gewesen war.

Hildegard bekam ein verkniffenes Gesicht. »Lieber Himmel, wie peinlich! Wie konnte Christina ihre Friseuse auf die Jacht einladen! Manchmal zeigt sie genauso soziale Ambitionen wie ihr Vater. Dein Mann neigte schon immer dazu, sich mit Leuten auf eine Stufe zu stellen, die…«

»Zum Glück ist er so, ich wollte ihn nicht anders!« fiel Elisabeth ihr ärgerlich ins Wort. »Und was nun die Mutter eures Enkelkindes betrifft, so ist sie es, die Axel heiraten wird. Mit anderen Worten, obwohl ihr seinerzeit alles getan habt, das zu verhindern, gehört sie demnächst mit zur Familie.«

»Nein!« entfuhr es Hildegard Brambeck entsetzt.

»Doch, so ist es, und Astrid und die Kleine werden auch auf meiner Geburtstagsfeier anwesend sein.«

»Das…, das ist ja der reinste Affront, Elisabeth! Wie kannst du uns das antun wollen! Ja, glaubst du denn, wir würden überhaupt kommen wollen, wenn das so ist?«

»Ja, denn obwohl ich mir denken konnte, wie ihr reagiert, habe ich euch soviel Format zugetraut. Christina, die das alles viel mehr betrifft, hat sich fabelhaft verhalten, wolltet ihr euch denn von ihr beschämen lassen? Und möchtet ihr euer Enkelkind nicht auch einmal kennenlernen? Es ist so ein goldiges Kind, seine Mutter so eine feine Person, ich bin sicher, ihr werdet eure Meinung ändern, wenn ihr sie kennengelernt habt.«

»Das…, das muß ich erst mit Albert besprechen«, wich Hildegard aus.

»Tu das«, nickte Elisabeth gelassen.

Wie stürmisch die Auseinandersetzung der Eheleute verlief, konnte sie nur vermuten. Nicht einmal Guido erfuhr es, aber irgendwie war es Albert Brambeck offenbar doch gelungen, sie zum Kommen zu bewegen. Einige Tage später teilte sie es ihr telefonisch mit.

*

Astrid war ziemlich nervös, als sie zum Landhaus fuhren. Axels Mutter hatte vorsichtig durchblicken lassen, wie schockiert Hildegard Brambeck über die Neuigkeiten gewesen war.

»Reg dich nicht auf, Liebling, zum Eklat werden sie es bestimmt nicht kommen lassen, dazu sind sie viel zu sehr auf Form bedacht«, meinte Axel.

Als sie ankamen, waren die Brambecks jedenfalls schon dort, wie sie an dem Wagen erkannten. Wie immer begrüßte Elisabeth Astrid und Conny

überaus herzlich und blinzelte Astrid aufmunternd zu, als sie sie dann den beiden anderen vorstellte.

Sie waren überrascht. Was für eine attraktive Frau! Und sie mußten auch anerkennen, daß sie die ungewöhnliche Situation selbstbewußt meisterte. Man merkte Astrid nicht an, wie nervös sie war unter den prüfenden Blicken. Man wechselte ein paar höfliche Worte, dann wandten Hildegard und Albert Brambeck sich dem kleinen Mädchen zu.

Mein Gott, wie sie Guido gleicht, schoß es der Frau durch den Kopf. Was für ein reizendes Geschöpfchen! Ein seltsam wehmütiges Gefühl durchrann sie, als sie sich hinunterbeugte.

»Du bist also Constanze?«

»Ja, aber alle sagen Conny zu mir. Bist du Guidos Mama?« fragte das kleine Mädchen unbefangen.

»Das bin ich. Kennst du mich denn?« Hildegard Brambecks Stimme klang ein wenig belegt.

»Wir haben ihr natürlich gesagt, wer heute alles kommen würde«, warf Axel ein und schob sie Albert Brambeck zu. »Und das ist Guidos Vater, Connylein.«

»Guten Tag!« Sie streckte ihm die Hand hin und wunderte sich, daß der Mann mit den silbergrauen Haaren sie so sonderbar anschaute. Genauso sonderbar, wie seine Frau zuvor. Wie seltsam die Erwachsenen doch manchmal waren!

Doch dann vergaß sie es, denn ihre Mami erinnerte sie an das Geschenk, das sie dem Geburtstagskind mitgebracht hatte.

»Geburtstagskind?« Die Kleine lachte hellauf. »Aber Tante Jansen ist doch kein Kind mehr, Mami!«

»Da hast du leider recht, Mäuschen«, schmunzelte diese, »aber so sagt man halt, wenn einer Geburtstag hat, selbst wenn er schon uralt ist. Verrückt, nicht?«

»Ach, nein, uralt bist du ja gar nicht«, tröstete Conny sie hastig, »bloß ein kleines bißchen.«

»Na, Lisbeth, wenn das kein Kompliment ist!« Viktor Jansen lachte dröhnend.

Connys Geschenk war ein selbstgemaltes Bildchen, das ihre Mami hübsch gerahmt hatte. Es war wunderhübsch geworden, denn Conny malte nicht nur für ihr Leben gern, sie besaß auch zeichnerische Talente.

»Es bekommt einen Ehrenplatz«, versprach die Beschenkte gerührt.

»Mami und Axel haben auch ein Geschenk, über das du dich mächtig freuen wirst«, verriet die Kleine dann mit geheimnisvoller Miene.

»Ach, wirklich, bekomme ich noch etwas von ihnen, obwohl sie doch schon so herrliche Blumen und die wunderschöne Brosche mitgebracht haben?«

»Nun sag es schon, bevor es dir das Herz abdrückt, du kleine Plaudertasche«, forderte Axel sie lachend auf.

»Axel und meine Mami heiraten ganz bald. Guckt mal, was sie für schöne Ringe haben!« berichtete Conny strahlend.

»Ihr habt euch verlobt?« tat Elisabeth überrascht.

»So ist es, liebe Mama«, lächelte Axel.

»Wie ich mich freue!« Sie umarmte beide zugleich.

Vater Albert schmunzelte. »Du tust, als sei es eine Riesenüberraschung, meine Liebe, dabei hast du es doch erwartet.« Er küßte seine künftige Schwiegertochter herzhaft. »Ich freue mich, mein Kind!«

Natürlich beglückwünschten sie nun auch die Brambecks, und sie taten es immerhin mit Würde, ohne sich anmerken zu lassen, wie ihnen dabei zumute sein mochte.

Der Hausherr hatte gerade Sekt aus dem Keller geholt, damit man auf das Ereignis anstoßen konnte, als draußen ein Wagen vorfuhr.

»Das werden Christina und Guido sein. Warte noch mit dem Einschenken, Schatz«, bat Elisabeth.

Schon als sie eintraten, fiel Astrid auf, wie sie strahlten. Nach Begrüßung und Glückwünschen für das Geburtstagskind wollte der Hausherr nun, endlich einschenken, doch Christina bat ihn lächelnd, noch ein wenig zu warten.

»Wir haben nämlich eine Neuigkeit, auf die wir dann gleich auch noch anstoßen können«, erklärte sie.

»Noch eine Neuigkeit? Das scheint ja ein bedeutsamer Tag zu werden.« Elisabeth sah ihre Tochter fragend an.

»Wieso, gab es denn vorher schon eine?«

»Allerdings!« Elisabeth wies auf das Brautpaar. »Astrid und Axel haben sich verlobt.«

»Na, endlich!« Christina lachte. »Herzlichen Glückwunsch, ihr zwei!« Sie fiel erst Astrid, dann ihrem Bruder um den Hals.

»Ich schließe mich an«, lächelte Guido. »Willkommen im Kreis der Familie, Astrid. Ich hoffe, du trägst es dem einen Teil nicht mehr nach, daß…« Er stockte, wußte nicht so recht, wie er es ausdrücken sollte, was ihn bewegte. Sein Blick ging zu seinen Eltern. Wie hatten sie diese Neuigkeit wohl aufgenommen?

»Ach, weißt du, ich bin viel zu glücklich, um irgend jemandem irgend etwas nachzutragen«, lächelte Astrid.

»Gilt das auch für uns?« schaltete sich Albert Brambeck unerwartet ein und blickte sie bittend an.

»Ganz gewiß«, nickte Astrid aufatmend, denn seine Frage enthielt doch einen Versöhnungsversuch.

So verstand es auch Hildegard, die ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.

»Das freut mich, freut mich sehr«, erwiderte er sichtlich bewegt. »Und das darf ich doch auch in deinem Sinne sagen, nicht wahr, meine Liebe?« wandte er sich an seine Frau.

Die schluckte, kämpfte sichtlich mit sich und ihrem Dünkel, immerhin nickte sie schließlich, auch wenn sie kein Wort hervorbrachte.

»Und nun würde ich gern unsere Neuigkeit loswerden«, erklärte Christina ungeduldig.

»Schieß los, Schwesterherz«, schmunzelte Axel, »ich hoffe, es ist eine gute Nachricht?«

»O ja, wir…, wir haben nämlich ein Kind!« platzte sie ohne Umschweife heraus, und ihr Gesicht strahlte vor Glück.

»Ja, es stimmt«, nickte Guido aufatmend, als alle erst einmal verblüfft dreinschauten und keiner ein Wort sagte. »Wir wollen nun ein Kind adoptieren und haben uns wie das so üblich ist, erst einmal um eine Pflegschaft bemüht. In verschiedenen Heimen durften wir uns einige Kinder ansehen, und ich gestehe, es war keine leichte Entscheidung. Wir hatten schließlich die Wahl zwischen einem Neugeborenen, was wir uns eigentlich auch wünschten, und einem dreijährigen Jungen, dessen Eltern erst vor wenigen Monaten tödlich verunglückt sind. Und dann passierte es, wir verliebten uns beide auf den ersten Blick in den kleinen Lars, entschieden uns für ihn und dürfen ihn am nächsten Wochenende zum ersten Mal zu uns holen.«

»Nein, wie mich das freut!« rief Elisabeth, und auch Astrid und alle anderen fanden es großartig.

»Aber, aus was für Verhältnissen kommt das Kind denn?« fragte Hildegard Brambeck, die als einzige wenig erfreut wirkte.

»Aus ordentlichen, liebe Mama«, erwiderte Gudio, und es klang ein wenig Ironie mit. Er hatte nicht erwartet, daß sie sich freute, denn sie war immer dagegen gewesen, ein Kind zu adoptieren. »Seine Eltern waren weder asozial noch kriminell, falls dich das beruhigt.«

»Oft genug haben Adoptiveltern schon Überraschungen erlebt«, meinte sie skeptisch.

»Kaum weniger, als richtige Eltern mit ihren leiblichen Kindern, meine Liebe«, sagte Elisabeth vorwurfsvoll. »Mußt du den Kindern denn gleich die Freude vergällen?«

»Keine Sorge, Schwiegermama, das gelingt ihr nicht«, lächelte Guido.

»Was ist eigentlich ein Ab… Abtotiv­kind?« meldete sich Conny, die bis dahin mit großen Augen zugehört hatte.

»Es ist ein Kind wie du und jedes andere, Herzel«, erklärte Astrid.

»Aber warum heißt es dann so komisch?«

»Das erkläre ich dir später, ja?«

»Warum nicht jetzt?« Guido sah sein Töchterchen an. »Dieser kleine Lars, den wir uns holen werden, hat seine Eltern verloren, weißt du. Und wir wollen nun gern seine neuen Eltern werden. Das nennt man adoptieren.«

Man sah förmlich, wie es hinter der runden Kinderstirn arbeitete.

»Der arme kleine Junge, sicher ist er froh, daß er dann wieder Eltern bekommt, nicht?« sagte sie schließlich.

»O ja, das hoffen wir, denn wir werden ihn genauso liebhaben, wie deine Mami und Axel dich«, nickte Christina gerührt.

»Wird Axel auch mein Adop…«, das Wort bereitete ihr nach wie vor Schwierigkeiten, »bist du auch so ein Vater für mich, wenn du Mami heiratest?« wandte sie sich nun an diesen. »Weil ich doch auch keinen Papi habe.« Ihr Gesichtchen verdunkelte sich.

Sekundenlang verschlug es den Erwachsenen die Sprache. Unwillkürlich blickten alle zu Guido hin, der sich auf die Lippen biß.

»Aber natürlich hast du einen Vater, das habe ich dir doch erklärt«, sagte Astrid dann, die sich als erste faßte. Erst vor kurzem hatte sie Conny zumindest die halbe Wahrheit gesagt, nämlich, daß sie und ihr Vater sich nicht lieb genug gehabt hätten, um zu heiraten. Daß dieser Mann weit fort wäre und sie ihn vielleicht später, wenn sie erwachsen sei, einmal sehen könne, wenn sie wolle. Damals hatte Conny es ganz gut aufgenommen, aber nun zeigte sich, daß sie sich von diesem unbekannten Vater offenbar doch abgelehnt fühlte.

Axel zog sie auf seine Knie. »Du bist ein kluges kleines Mädchen, Conny, denn du hast recht, ich werde dich genauso adoptieren, wie Christina und Guido den kleinen Lars. Und dann hat er wieder Eltern und du hast einen Papi, der dich ganz doll lieb hat.«

Sie schmiegte sich in seine Arme. »Ja, und ich dich auch, und den anderen Papa, den will ich überhaupt nicht sehen, auch wenn ich groß bin nicht!« flüsterte sie.

Das war ein dunkler Augenblick für Guido. Man sah ihm an, wie tief beschämt er sich fühlte!

»Wenn man erwachsen ist, versteht man vieles, was man noch nicht verstehen kann, wenn man noch so klein ist wie du, Herzchen«, sagte Astrid ruhig. »Jetzt haben wir alle jedenfalls Grund, uns zu freuen, nicht wahr? Ist es nicht toll, daß Guido und Christina bald auch ein Kind haben werden und daß du dann immer mit dem kleinen Lars spielen kannst?«

Conny nickte. Kinder waren ja zum Glück leicht abzulenken.

»Ich könnte ihm meinen Hasen schenken«, überlegte sie, und das wollte etwas heißen, denn der Stoffhase war ihr Lieblingskuscheltier.

»Ich freue mich so für euch«, sagte Astrid, als sie und Christina später einen Augenblick allein beisammensaßen. Die beiden jungen Frauen waren beim Du geblieben, und auch Astrid und Guido waren wieder dazu übergegangen. »Es tut mir leid, daß Guido durch Connys Bemerkungen so einen Dämpfer bekam.«

»Man kann vor dem, was man einmal angerichtet hat, eben nicht davonlaufen. Im übrigen hat er sich geändert, glaube mir. Ich erlebe es ja jetzt Tag für Tag. Weißt du, manchmal braucht der Mensch wohl ein tiefgehendes Erlebnis, um zu sich selbst zu finden und in sich zu gehen. Unsere Ehe ist jetzt besser denn je, und wir freuen uns so sehr auf unseren kleinen Jungen. Es war wirklich so, wir sahen ihn, wechselten einen Blick und wußten beide sofort, daß wir ihn wollten. Und was Conny betrifft, so hoffe ich nur, daß sie ihren Vater nicht verachtet, wenn sie einmal die Wahrheit erfahren sollte.«

»Ich denke, es kommt darauf an, wie man es ihr sagt. Also liegt es ja bei uns«, lächelte Astrid.

»Ich hoffe, du hast recht. Aber was mich noch bekümmert, ist die Reaktion meiner Schwiegermutter, obwohl sie ganz typisch für sie war«, seufzte Christina.

»Ach, mach dir nichts draus, wir müssen sie halt nehmen wie sie ist«, meinte Astrid tröstend.

Es wurde immerhin noch eine sehr schöne Geburtstagsfeier, auch wenn Albert und Hildegard Brambeck dann doch nicht übers Wochenende blieben, sondern noch am Abend nach Hamburg zurückfuhren. Offenbar mußten sie erst einmal verarbeiten, was an diesem Tag auf sie eingestürmt war.

*

Vier Wochen später heirateten Astrid und Axel. Sie feierten nur im engsten Familienkreis, wollten anschließend eine kurze Reise antreten. Nach der Hochzeit, so hatten sie beschlossen, würde Astrid ihre Arbeit im Salon aufgeben und sich nur noch Mann und Kind widmen. Sie hatten fürs erste ein Haus gemietet, aber Axel wollte sobald wie möglich ein eigenes Haus bauen, da er ein schönes Grundstück geerbt hatte.

Tante Marlene freute sich sehr über die Heirat, denn Axel hatte ja vom ersten Tag an ihre volle Sympathie gewonnen.

»Einen besseren Mann für dich und Vater für Conny konntest du nicht finden!« meinte sie befriedigt, auch wenn sie ein wenig traurig war, künftig wieder allein wohnen zu müssen. Aber dann erklärte sich ihre alte Freundin bereit, zu ihr zu ziehen. Eine gute Lösung, wie alle fanden.

An der Hochzeitsfeier nahm auch der kleine Lars teil, den Christina und Guido nun jedes Wochenende aus dem Heim holen durften, damit er sich an sie gewöhnte, bevor sie ihn ganz zu sich nahmen.

Ein wirklich reizendes Kerlchen, wie alle fanden. Sogar Hildegard Brambeck hatte ihre Vorbehalte weitgehend aufgegeben, nachdem sie ihn das erste Mal kennengelernt hatte. Das freute Christina besonders, wie sie Astrid gestand.

»Er war gleich so zutraulich, und als er sie anlächelte, spürte man förmlich, wie sie zerschmolz«, sagte sie lächelnd. »Als er sie dann fragte, ob sie denn nun bald seine Omi werden würde, nickte sie, und stell dir vor, sie bot ihm an, schon jetzt Omi zu ihr zu sagen.«

»Der kleine Mann hat Charme«, stimmte Astrid ihr zu. »Hatte er denn keine Großeltern oder andere Verwandte, die ihn zu sich nehmen wollten?«

»Nein, es gibt nur noch einen Bruder des Vaters, der aber im Ausland lebt und unverheiratet ist.«

»Und wer waren seine Eltern? Oder möchtet ihr nicht darüber sprechen?«

»Sie waren Künstler, alle beide. Der Vater war ein Maler, der gerade erste Erfolge zu verzeichnen hatte, die Mutter arbeitete als Töpferin. Lars war ihr erstes Kind, beide waren noch recht jung, als sie, von einer Ausstellung kommend, mit dem Auto tödlich verunglückten. Zum Glück war Lars, den sie sonst immer mitnahmen, an diesem Tag nicht bei ihnen. Er fieberte etwas, eine Nachbarin betreute ihn. Schrecklich traurig im Grunde, daß wir dem Unglück nun unser künftiges Kind verdanken, nicht?«

»Sicher, aber denk daran, wie froh die Eltern wären, wenn sie wüßten, daß Lars nicht im Heim leben muß und so liebe Eltern bekommt«, sagte Astrid tröstend.

»Ja, und wir lieben ihn schon jetzt wie unser eigenes Kind. Guido ist regelrecht vernarrt in ihn, kann es gar nicht abwarten, bis wir ihn endgültig zu uns holen dürfen. Versteh mich nicht falsch, Astrid, er liebt auch Conny, aber…« Sie stockte, wußte nicht, wie sie ausdrücken konnte, was sie meinte.

»Ich verstehe schon«, sagte Astrid schnell, »Conny darf er es nicht zeigen, während er bei Lars nun wirklich Vater sein kann und darf, nicht?«

»Genau, so ist es«, nickte Christina aufatmend.

*

Zwei Jahre später bekam Conny, die nun den Namen Jansen trug und von Axel adoptiert worden war, ein Brüderchen, genau wie sie es sich gewünscht hatte.

»Gefällt er dir?« fragte der glückliche Vater, als sie die Mutter in der Klinik besuchen durfte und er den kleinen Christian behutsam in die Arme der Siebenjährigen legte.

»Ist der süß«, flüsterte sie hingerissen.

Astrid und Axel wechselten einen gerührten Blick. Sie hatten die Geburt des Kindes gemeinsam durchgestanden. Sie war diesmal nicht ganz leicht gewesen, aber seine Anwesenheit und sein liebevoller Zuspruch hatten ihr sehr geholfen und das Band zwischen ihnen noch vertieft.

Tags darauf kamen auch Christina und Guido, um die Mutter und den neuen Erdenbürger zu besuchen. Nachdem Christina Astrid gratuliert hatte, ergriff auch Guido ihre Hand beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen Kuß auf die Wange.

»Großartig hast du das gemacht, Schwägerin, herzlichen Glückwunsch zu dem Prachtkerlchen!« sagte er herzlich, und wieder empfand Astrid dankbar, wie unbefangen verwandtschaftlich sie jetzt miteinander umgehen konnten.

»Danke!« Sie lächelte. »Aber warum habt ihr Lars nicht mitgebracht. Wollte er das Baby nicht sehen?«

»Natürlich, aber er ist so ein Quirl, wie du weißt, wir wollten nicht, daß er die sicher noch ruhebedürftige Mama aufregt. Er ist bei Omi Brambeck ja gut aufgehoben.« Guido schmunzelte, denn seine Mutter liebte den Kleinen inzwischen fast abgöttisch.

»Und außerdem wollten wir dir noch etwas sagen, was bisher noch keiner weiß«, fügte Christina mit glänzenden Augen hinzu.

»Ach ja? Da bin ich aber neugierig«, sagte Astrid und blickte von einem zum anderen. Sie war gänzlich ahnungslos.

»Willst du es sagen?« Christina sah Guido fragend an.

»Nein, nein, sag du es nur, Liebling.«

»Nun macht es doch nicht so geheimnisvoll«, drängte Astrid nun ganz gespannt.

»Wenn alles gutgeht, werde ich in sieben Monaten hier auch mein Baby bekommen«, sagte Christina feierlich.

»Was?« Mit weit aufgerissenen Augen starrte Astrid sie an.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Axel trat ein. Ohne ihm Zeit zu lassen, sie zu begrüßen, rief sie: »Christina, sag noch einmal, was du mir eben gesagt hast, damit es dein Bruder auch aus deinem Mund hört!«

Sie tat es, und Axel schaute nicht minder fassungslos drein.

»Ist das wirklich wahr, Schwesterherz?«

»Es ist wahr! Auch uns erschien es wie ein Wunder, glaubt mir. Als ich wegen einiger kleiner Beschwerden zum Arzt ging, dachte ich nicht im entferntesten daran, was der Grund sein könnte, weil wir ja alle Hoffnungen aufgegeben hatten. Wir konnten es kaum glauben, aber es besteht nicht der geringste Zweifel. Ich bin schwanger!«

»Der Arzt meinte, so etwas käme immer wieder mal vor«, fügte Guido hinzu, »besonders dann, wenn man es gar nicht mehr erwartet.« Er legte den Arm um Christinas Schultern und blickte sie zärtlich an, der die Tränen in den Augen standen.

»Menschenskind, was für eine überwältigende Neuigkeit!« Guido bekam einen kräftigen Schulterschlag.

»Und was wünscht ihr euch, einen Jungen oder ein Mädchen?« wollte Astrid wissen, nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte.

»Das ist uns völlig gleich«, erklärte Guido lachend. »Einen Sohn haben wir, also könnte es gern ein Mädchen sein, nicht, Schatz?«

»Warten wir es ab«, lächelte sie.

»Wie freue ich mich«, sagte Astrid, als Christina und Guido wieder gegangen waren.

»Die Familie vergrößert sich«, schmunzelte Axel und trat an das Bettchen seines Sohnes, aus dem jetzt ein kräftiges Stimmchen ertönte und kundtat, daß der neue Erdenbürger hungrig war.

Mami Bestseller Staffel 5 – Familienroman

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