Читать книгу Dr. Daniel Classic 50 – Arztroman - Marie-Francoise - Страница 3

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Das Wartezimmer von Dr. Ro-bert Daniel war wieder einmal brechend voll. Es sah aus, als hätten sich sämtliche Frauen aus Steinhausen in seiner Praxis verabredet; und natürlich durften auch die beiden berüchtigtsten Klatschtanten des Ortes nicht fehlen.

»Haben Sie schon gesehen? Dr. Daniel und Frau Dr. Carisi haben das Aufgebot bestellt«, flüsterte Waltraud Schütz, die Gattin des Steinhausener Bürgermeisters der neben ihr sitzenden Besitzerin des Gemischtwarenladens Amelie Hauser zu.

Diese nickte eifrig. »Natürlich habe ich das gesehen, Frau Bürgermeister.«

Waltraud reckte sich ein wenig in die Höhe. Obwohl sie mit dem Amt ihres Mannes nicht das geringste zu schaffen hatte, genoß sie es immer sehr, von Amelie Hauser mit »Frau Bürgermeister« angesprochen zu werden. Das ließ sie für einen Augenblick sogar die drückenden Schmerzen in ihrem Bauch vergessen.

»Irgendwie hatte ich ja damit gerechnet, daß die Beziehung der beiden doch noch auseinandergehen würde«, meinte Waltraud Schütz jetzt. »Zwei vielbeschäftigte Ärzte… ich weiß nicht. Das kann doch auf Dauer gar nicht gutgehen.«

»Das kommt darauf an«, raunte Amelie Hauser zurück. »Womöglich wird die Ehe der beiden auf unsere Kosten glücklich.«

Überrascht sah Waltraud sie an. »Wie meinen Sie das, Frau Hauser?«

Amelie zuckte die Schultern. »Es könnte doch sein, daß sich Dr. Daniel von jetzt an für seine Patientinnen nicht mehr so viel Zeit nimmt wie vorher.«

Waltraud, die normalerweise gleich dabei war, wenn es galt, über jemanden schlimme Ge-rüchte zu verbreiten, zögerte diesmal.

»Ich weiß nicht, Frau Hauser, dazu ist Dr. Daniel doch eigentlich nicht der Typ«, wandte sie ein. »Ich glaube, er nimmt seinen Beruf viel zu ernst, als daß er seine Patientinnen vernachlässigen würde.«

Amelie seufzte abgrundtief. »Abwarten, Frau Bürgermeister, abwarten.«

Zu einer Erwiderung kam Waltraud Schütz nicht mehr, denn jetzt schaute die Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau ins Wartezimmer.

»Frau Schütz, bitte!« rief sie mit einem freundlichen Lächeln.

Waltraud beeilte sich, der Sprechstundenhilfe zu folgen. Der Ausgang des Gesprächs hatte ihr jetzt gar nicht behagt.

Sie betrat das Ordinationszimmer von Dr. Daniel und reichte dem ausgesprochen attraktiven Arzt, der ihr mit einem herzlichen Lächeln entgegenkam, die Hand.

»Guten Tag, Frau Schütz. Bitte, nehmen Sie Platz«, bot Dr. Daniel höflich an, dann setzte auch er sich wieder. »Ich nehme an, Sie kommen zur Routineuntersuchung, oder haben Sie Beschwerden?«

Waltraud zögerte einen Moment, dachte an die diffusen Unterbauchschmerzen, die sie seit kurzem hatte, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, Herr Doktor, Beschwerden habe ich keine. Ich möchte nur die übliche Krebsvorsorge durchführen lassen.«

Ein wenig nervös drehte sie den Riemen ihrer Umhängetasche zwischen den Fingern, was Dr. Daniel sofort auffiel.

»Was haben Sie denn noch auf dem Herzen, Frau Schütz?« fragte er behutsam.

Waltraud seufzte tief auf. »Ich hatte im Wartezimmer gerade ein Gespräch…« Sie zögerte. »Wissen Sie, damals, als dieser Arzt sich an Ihnen rächen wollte und die bösen Gerüchte über Sie in Umlauf gebracht hat, da war ich eine der ersten, die darauf hereingefallen ist und Ihnen mißtraut hat. Diesen Fehler möchte ich nicht noch einmal begehen.«

Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Aber, Frau Schütz, das alles ist doch längst Vergangenheit, und Sie waren ja auch nicht die einzige, die diesen bösen Gerüchten Glauben geschenkt hat. Ich war damals zwar etwas enttäuscht, weil mir viele meiner Patientinnen plötzlich mißtrauten, aber ich glaube nicht, daß ich das jemanden habe spüren lassen.«

Heftig schüttelte Waltraud den Kopf. »Nein, Herr Doktor, so habe ich das auch nicht gemeint. Es geht mir nicht um den Fall von damals, sondern vielmehr… um Ihre Hochzeit mit Frau Dr. Carisi.« Errötend senkte sie den Blick. »Ich weiß schon, das geht keinen von uns etwas an, aber…« Sie sah Dr. Daniel wieder an. »Werden Sie sich in Zukunft wirklich weniger Zeit für uns nehmen?«

»Wer erzählt denn einen solchen Unsinn?« entgegnete Dr. Daniel, war dabei aber eher amüsiert als ärgerlich. »Frau Schütz, ich kann Ihnen versichern, daß sich durch meine Hochzeit nichts am Ablauf in der Praxis ändern wird. Ich werde mich um meine Patientinnen genauso kümmern wie in all den Jahren zuvor.« Er lächelte. »Aber Sie werden doch hoffentlich einsehen, daß auch ein Arzt eine Frau braucht, nicht wahr?«

»Natürlich, Herr Doktor«, beeilte sich Waltraud zu versichern. »Und wir alle gönnen Ihnen und Frau Dr. Carisi dieses Glück, das müssen Sie mir glauben.«

»Das weiß ich schon, Frau Schütz«, meinte Dr. Daniel, dann stand er auf. »Können wir jetzt die Untersuchung vornehmen?«

Auch Waltraud erhob sich und folgte Dr. Daniel ins Nebenzimmer, dann machte sie sich hinter dem dezent gemusterten Wandschirm frei und stieg auf den Untersuchungsstuhl.

»So, Frau Schütz«, erklärte Dr. Daniel, während er mit seinem fahrbaren Stuhl näher rückte. »Ich werde jetzt erst mal den Abstrich nehmen. Das kennen Sie ja schon.«

Doch als Dr. Daniel mit der Untersuchung begann, zuckte Waltraud sofort zusammen. Erstaunt sah der Arzt sie an.

»Tut Ihnen das weh?«

»Ja, ein bißchen«, gab Waltraud zu. »Das heißt… eigentlich sogar sehr.«

Forschend betrachtete Dr. Daniel sie. »Und Sie hatten vorher wirklich keine Beschwerden?«

Waltraud errötete. »Doch, Herr Doktor. Seit einiger Zeit habe ich immer wieder leichte Unterleibsschmerzen.«

»Warum haben Sie mir das denn nicht gesagt?« fragte Dr. Daniel und konnte den leichten Vorwurf in seiner Stimme dabei nicht ganz unterdrücken.

»Na ja, ich… ich hatte Angst«, gestand Waltraud. »Wenn es nun etwas Schlimmes sein sollte…«

»Eben deswegen hätten Sie ja gleich mit mir darüber sprechen sollen«, erklärte Dr. Daniel eindringlich, dann ging er daran, die Untersuchung fortzusetzen. »Keine Sorge, Frau Schütz, ich werde ganz vorsichtig sein.«

Die Untersuchung gab dann allerdings keinen endgültigen Aufschluß über Waltrauds Erkrankung.

»Ich fürchte, Sie haben eine sogenannte Endometritis… eine Gebärmutterentzündung, möglicherweise sogar eine Pyometra. Das bedeutet, daß sich in Ihrer Gebärmutter aller Wahrscheinlichkeit nach ein Abszeß gebildet hat.«

Waltraud erschrak. »Ist das gefährlich?«

»Sagen wir mal so: Ich muß Sie zur weiteren Untersuchung und Behandlung umgehend in die Waldsee-Klinik überweisen.« Er stand auf. »Sie können sich wieder ankleiden, Frau Schütz.«

Waltraud kam Dr. Daniels Aufforderung nach, doch ihre Hände bebten, als sie sich anzog.

»Muß ich denn jetzt gleich ins Krankenhaus?« fragte sie, als sie Dr. Daniel wieder gegenübersaß.

»Auf jeden Fall«, meinte Dr. Daniel. »Das Wichtigste ist jetzt strikte Bettruhe, vor allem, wenn sich herausstellen sollte, daß Sie erhöhte Temperatur haben. Das ist bei Unterleibsentzündungen nicht selten der Fall.«

Waltraud schluckte schwer.

»Ich habe Angst, Herr Doktor«, gestand sie leise.

»Müssen Sie nicht haben, Frau Schütz«, entgegnete Dr. Daniel beruhigend. »Ich lasse Sie jetzt mit dem Krankenwagen in die Klinik bringen, und dort wird man erst einmal feststellen, ob Sie Fieber haben. Auch eine Blutuntersuchung wird von der dortigen Gynäkologin Frau Dr. Reintaler durchgeführt werden. Nach der Vormittagssprechstunde komme ich dann wieder zu Ihnen und werde Sie gründlich untersuchen. Sollte sich mein Verdacht bestätigen, werde ich sofort eine Antibiotika-Behandlung einleiten.« Er schwieg einen Moment. »Falls sich in der Gebärmutter allerdings tatsächlich Eiter angesammelt hat, wird eine weitergehende Behandlung nötig sein, aber darüber müssen Sie sich jetzt noch keine Gedanken machen.«

Waltraud nickte ein wenig halbherzig. »Diese ganze Behandlung… werden Sie die vornehmen? Ich meine… nichts gegen Frau Dr. Reintaler, aber… zu Ihnen habe ich halt doch das größere Vertrauen.«

Dr. Daniel lächelte. »Das freut mich, Frau Schütz, und ich kann Ihnen auch versichern, daß ich Ihre Behandlung übernehmen werde.« Er begleitete seine Patientin hinaus und wandte sich dann an die junge Sprechstundenhilfe. »Frau Schütz muß umgehend in die Waldsee-Klinik. Ich werde gleich den Krankenwagen bestellen. Vielleicht findet sich in der Zwischenzeit ein ruhiges Plätzchen, wo sich die Patientin ein bißchen hinlegen kann.«

Fürsorglich nahm Sarina von Gehrau Waltraud beim Arm. »Kommen Sie, Frau Schütz, da hinten sind Sie ungestört, und der Wehenschreiber, der da steht, muß Sie gar nicht kümmern.« Sie half Waltraud auf die Untersuchungsliege und breitete noch eine Decke über sie. »Wenn Sie etwas brauchen, dann rufen Sie mich, ja? Ich bin immer hier in der Nähe.«

»Danke«, flüsterte Waltraud, dann sah sie sich unwillkürlich um, doch da trat Dr. Daniel schon zu ihr und drückte einen Augenblick lang ihre Hand. »Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Schütz. Wir kriegen das schon wieder hin.«

Dabei verschwieg er, daß Waltrauds Symptome möglicherweise die Begleiterscheinungen einer weitaus gefährlicheren Krankheit waren…

*

Dr. Manon Daniel, Ärztin für Allgemeinmedizin, stand auf dem großen Messingschild, und darunter waren die Sprechzeiten verzeichnet.

Mit einem fast liebevollen Lächeln betrachtete Manon das Schild, das in Kürze draußen an der Praxis angebracht werden würde – direkt unter dem Schild von Robert.

Die Gemeinschaftspraxis von Manon Carisi und Dr. Daniel bestand ja schon seit geraumer

Zeit. Ursprünglich hatten sie damit vorwiegend medizinische Zwecke im Auge gehabt. Natürlich hatten sie sich da bereits ausgezeichnet verstanden, aber der Hauptgrund war eine umfassendere Behandlung ihrer oftmals auch gemeinsamen Patienten gewesen. Doch dann war die attraktive Ärztin plötzlich schwer erkrankt, und Dr. Daniel hatte erkannt, wieviel ihm Manon tatsächlich bedeutete. In den Wochen zwischen Bangen und Hoffen war zwischen ihr und Dr. Daniel eine tiefe Liebe gewachsen, die dann auch nach ihrer Genesung Bestand gehabt hatte.

»Manon, du bist ja noch hier.«

Dr. Daniels Stimme riß sie aus ihren Gedanken. Mit einem zärtlichen Lächeln sah sie ihn an, dann drehte sie das Schild um.

»Schau mal, Robert, das wurde heute geliefert«, erklärte sie.

»Dr. Manon Daniel«, las er, dann ging er zu seiner Verlobten und küßte sie. »Das klingt wunderbar.«

Manon nickte. »Finde ich auch.« Sie legte das Schild zur Seite und schlang ihre Arme um Dr. Daniels Nacken. »Ich wünschte, es wäre schon soweit.« Sie seufzte glücklich. »Manchmal kann ich unseren Hochzeitstag gar nicht mehr abwarten.«

»Nur manchmal?« entgegnete Dr. Daniel schmunzelnd, dann streichelte er liebevoll durch Manons dichtes, kastanienbraunes Haar und gestand: »Ich kann es auch nicht mehr erwarten, bis du endlich meine Frau sein wirst.« Er mußte lachen. »Stell dir vor, heute wurden schon die ersten Bedenken gegen unsere Ehe geäußert.«

»Wie bitte?«

»Gewisse Damen aus dem Ort befürchten, daß ich meine Patientinnen vernachlässigen könnte, wenn ich erst mal mit dir verheiratet bin«, erzählte Dr. Daniel amüsiert.

»Soso, gewisse Damen befürchten das.« Manon grinste schelmisch. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wer das sein könnte.« Dabei bewies die leise Ironie in ihrer Stimme nur zu deutlich, daß sie sehr genau wußte, welche Damen Dr. Daniel wohl gemeint hatte.

Es klopfte an der Tür, Sarina von Gehrau schaute herein.

»Entschuldigen Sie die Störung, aber Frau Hansen hat über die Hausleitung in die Praxis heruntergerufen und gefragt, ob Sie heute noch zum Essen kommen oder nicht«, erklärte sie.

»Wir sind schon unterwegs«, behauptete Dr. Daniel, dann legte er einen Arm um Manons Schultern. »Komm, Liebling, beeilen wir uns besser, bevor mein geliebtes Schwesterlein grantig wird.«

»Robert!« entgegnete Manon tadelnd. »So solltest du über Irene wirklich nicht sprechen. Immerhin führt sie dir schon seit Jahren den Haushalt und verwöhnt dich dabei nach Strich und Faden.«

»So? Verwöhnen nennst du das?« scherzte Dr. Daniel. »Die meiste Zeit werde ich von ihr doch wie ein kleiner Schuljunge ausgeschimpft… weil ich nicht pünktlich bin, weil ich nicht genügend esse, weil…«

»Meine Güte, geht’s dir aber schlecht«, fiel Manon ihm lächelnd ins Wort. »Wenn ich mal Zeit habe, werde ich dich gebührend bemitleiden.«

»Danke. Und jetzt komm lieber, bevor Irene noch wirklich sauer wird.«

Das war inzwischen auch schon passiert. Als Manon und Dr. Daniel die Wohnung im ersten Stockwerk betraten, stand seine ältere, verwitwete Schwester Irene Hansen mißmutig in der Küche und würdigte die beiden keines Blickes.

»Irenchen«, sprach Dr. Daniel sie vorsichtig und besonders liebevoll an. »Es tut mir leid, daß wir so spät kommen, aber in der Praxis war wirklich die Hölle los.«

»Ach, immer dasselbe«, grummelte Irene ärgerlich zurück, dann knallte sie einen Topf mit Gemüse auf den Tisch im Eßzimmer. »Etwas anderes gibt’s heute nicht.« Und schon war sie wieder draußen, wobei sie die Tür sehr nachdrücklich hinter sich schloß.

»Heute ist sie aber wirklich wütend«, stellte Manon fest. »So habe ich sie ja noch nie erlebt.« Sie stand auf. »Vielleicht sollte ich mit ihr reden.«

Doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, Manon, das ist wohl eher meine Aufgabe. Irene war ja schon manchmal ärgerlich, wenn ich recht spät aus der Praxis gekommen bin, aber ich schätze, da steckt diesmal noch was anderes dahinter.« Er berührte für einen Moment Manons Hand. »Du entschuldigst mich bitte einen Augenblick.«

Er verließ das Eßzimmer und ging in die Küche hinüber, wo Irene voller Elan das Geschirr abspülte, und es war ein Wunder, daß dabei nichts zu Bruch ging.

»Was ist denn los, Irene?« wollte Dr. Daniel wissen.

Sie hielt es nicht einmal für nötig, sich umzudrehen.

»Nichts«, knurrte sie. »Jetzt mach, daß du wieder hinüberkommst, sonst wird das Essen kalt.«

»Hör mal, Irene, ich habe gesagt, daß es mir leid tut, daß wir so spät gekommen sind«, erklärte er. »Die Sprechstunde hat fast bis eins gedauert.«

»Und jetzt ist es halb zwei!« hielt Irene ihm vor, dann winkte sie ärgerlich ab. »Was rede ich überhaupt! Dir ist es doch völlig egal, ob ich stundenlang in der Küche stehe und mein Essen dann wegwerfen kann, nur weil ihr…«

Dr. Daniel nahm seine Schwester bei den Schultern und drehte sie sachte zu sich herum. Obwohl sie rasch den Kopf senkte, bemerkte er die Tränen in ihren Augen.

»Das sind doch alles nur Ausreden, Irenchen«, entgegnete er sanft. »Um das Essen geht es überhaupt nicht, habe ich recht?«

»Unsinn«, widersprach Irene wenig glaubhaft. »Natürlich geht es ums Essen.«

»Du konntest noch nie lügen«, stellte Dr. Daniel fest, dann drückte er Irene mit sanfter Gewalt auf den Stuhl in der kleinen Eßecke und setzte sich ihr gegenüber. »Was ist wirklich los? Haben Stefan oder Karina dich vielleicht geärgert?«

Heftig schüttelte Irene den Kopf. »Deine Kinder sind anständiger zu mir als du.«

Dr. Daniel zog die Augenbrauen hoch. »Wenn du so weitermachst, dann kriege ich noch richtig Angst vor dir.«

»Schön wär’s«, grummelte Irene. »Ein bißchen Angst könnte dir nicht schaden.«

Dr. Daniel seufzte. »Irenchen, wenn du schon so böse auf mich bist, dann sag mir wenigstens, was ich eigentlich verbrochen habe.«

Irene schwieg eine Weile, dann platzte sie heraus: »Ich gehe nach Kiel zurück.«

Dr. Daniel war jetzt völlig perplex. Das war nun wirklich das letzte, womit er gerechnet hatte.

»Wieso willst du plötzlich nach Kiel zurück? Ich dachte, du würdest dich hier in Bayern wohl fühlen.«

Irene zuckte die Schultern. »Was soll ich hier noch? Du legst auf meine Anwesenheit offensichtlich nicht mehr viel Wert, sonst würdest du dich anders verhalten. Und wenn du erst mit Manon verheiratet bist, dann ist ja ohnehin wieder eine Frau im Haus.«

In diesem Moment fiel bei Dr. Daniel der Groschen. Seine bevorstehende Hochzeit mit Manon war der Grund für Irenes eigenartiges Verhalten.

Spontan ergriff Dr. Daniel die Hände seiner Schwester und hielt sie fest. »Irenchen, was redest du da nur für einen Unsinn? Wir brauchen dich doch. Wie sollte Manon ganz allein Praxis und Haushalt bewältigen? Ohne dich läuft hier überhaupt nichts.«

Hoffnungsvoll sah Irene ihn an. »Ist das wirklich wahr?«

»Natürlich!« bekräftigte Dr. Daniel. »Du bist doch unser Goldstück. Ohne dich würden wir uns ja nur noch von belegten Broten und Tiefkühlkost ernäh-ren.«

»Du übertreibst schamlos«, brummte Irene. »Manon ist eine ausgezeichnete Köchin.«

»Ja, wenn sie Zeit hat, aber die fehlt ihr doch fast immer. Irene, du kannst nicht einfach nach Kiel gehen und uns hier im Stich lassen.«

Irene wollte nicht zeigen, wie glücklich sie über diese Worte ihres Bruders war. Mit gesenktem Kopf zuckte sie die Schultern.

»Na ja, wenn du meinst, dann werde ich eben doch hierbleiben«, stimmte sie zu und tat dabei, als würde es sie ziemlich große Überwindung kosten, ihre Rückreise nach Kiel nicht anzutreten.

Dr. Daniel küßte sie auf die Wange. »Danke, Irenchen. Damit rettest du uns das Leben.«

Da gab Irene ihm einen sanften Stoß. »Ach, du. Übertreib nicht wieder so schamlos. Und jetzt geh hinüber, sonst wird der Eintopf wirklich noch kalt.« Sie schwieg kurz, dann fügte sie drohend hinzu: »Ich wärme ihn dir nicht auf! Das ist die Strafe fürs Zuspätkommen.«

Dr. Daniel schmunzelte. »Strafe angenommen.« Dann legte er einen Arm um Irenes Schultern. »Aber dein Eintopf schmeckt notfalls sogar kalt.«

»Hinaus mit dir«, befahl Irene und versuchte vergeblich, sich ihre Freude nicht anmerken zu lassen.

Dr. Daniel kehrte ins Eßzimmer zurück.

»Und? Was war nun?« wollte Manon wissen.

»Ich fürchte, unsere Heirat wirft überall Probleme auf«, antwortete Dr. Daniel leise. »Irene hatte Angst, hier überflüssig zu werden. Das hat sie zwar nicht offen zugegeben, aber ich kenne meine Schwester gut genug, um zu wissen, was sie meint, auch wenn sie etwas anderes sagt.«

»Du konntest ihr diesen Unsinn doch hoffentlich ausreden.«

Dr. Daniel nickte. »Glücklicherweise.« Er schmunzelte. »Als sie eingewilligt hat, doch nicht nach Kiel zu gehen, hat es sich angehört, als würde sie mir damit einen Gefallen tun, dabei war sie in Wirklichkeit heilfroh, daß sie hier noch gebraucht wird.«

Manon schüttelte den Kopf. »Wie kommt sie überhaupt auf einen solchen Gedanken? Es ist ja nicht so, daß wir völlig überstürzt heiraten würden. Immerhin sind wir schon seit einer ganzen Weile zusammen, und auch bei der Verlobung gab es in dieser Hinsicht keine Probleme. Unsere Hochzeit ist jetzt eigentlich nur noch eine Formsache.«

»Mit weiblicher Logik müßtest du dich eigentlich besser auskennen«, meinte Dr. Daniel lächelnd. »Von mir kannst du da keine Antwort erwarten.«

Manon runzelte die Stirn. »Vielleicht haben wir Irene irgendwie zu verstehen gegeben, daß sie künftig überflüssig wäre – natürlich ohne es zu wollen.« Sie überlegte einen Moment. »Ich werde bei Gelegenheit mit ihr sprechen.« Dann warf sie einen Blick auf die Uhr. »Jetzt muß ich aber wirklich los. Meine Sprechstundenhilfe hat mir eine ganze Liste mit Hausbesuchen aufgeschrieben.« Sie beugte sich zu Dr. Daniel und küßte ihn. »Wir sehen uns zur Nachmittagssprechstunde oder spätestens heute abend.«

Dr. Daniel erhob sich ebenfalls. »Ich muß auch los. In der Waldsee-Klinik wird man schon auf mich warten.«

*

Niedergeschlagen saß Elke Bremer bei ihrer Freundin Barbara Falk.

»Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll«, erklärte Elke traurig. »Seit Monaten renne ich von Arzt zu Arzt, aber keiner kann mir helfen.«

Mit ehrlichem Mitleid sah Barbara ihre Freundin an.

»Deine ständigen Unterleibsschmerzen müssen aber doch einen Grund haben«, meinte sie.

Elke nickte deprimiert. »Manchmal denke ich, daß es doch Krebs ist. Die wollen es mir wahrscheinlich nur nicht sagen.« Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht ist es ja bereits aussichtslos.«

»Das ist doch Unsinn, Elke!« widersprach Barbara energisch. »An so etwas solltest du nicht einmal denken.«

Mit einem tiefen Seufzer strich Elke ihr langes blondes Haar zurück. »Lange halte ich diese Ungewißheit nicht mehr aus.« Sie schwieg einen Moment. »Weißt du, was das Schlimmste an allem ist?« Sie gab die Antwort gleich selbst. »Meine Ehe geht allmählich in die Brüche. Seit Martin die neue Arbeitsstelle hat, ist er ohnehin nur noch selten daheim, und wenn… seit Wochen ist bei uns absolute Funkstille, weil ich ständig diese seltsamen Schmerzen habe. Anfangs zeigte Martin dafür Verständnis, aber inzwischen hält er das alles nur noch für eine Ausrede.«

»Ist es denn eine?« hakte Barbara vorsichtig nach.

»Nein! Natürlich nicht!« entgegnete Elke energisch. »Ich habe wirklich Schmerzen.« Wieder seufzte sie tief auf. »Aber allmählich weiß ich nicht mehr, zu wem ich noch gehen könnte. Der letzte Arzt, bei dem ich war, hat mich sogar ins Krankenhaus überwiesen. Ich wurde von Kopf bis Fuß durchgecheckt, aber die haben auch nichts gefunden. Angeblich bin ich völlig gesund.«

»Wie wär’s, wenn du mal zu Dr. Daniel gehen würdest?« schlug Barbara vor.

Elke mußte lächeln. »Ist das dein Wunderdoktor?«

»Unsinn«, wehrte Barbara

energisch ab. »Dr. Daniel ist ein erstklassiger Arzt, der sich vor allem anderen auch noch Zeit für seine Patientinnen nimmt.«

Doch Elke winkte ab. »Ich war schon bei lauter erstklassigen Ärzten. Trotzdem hat keiner was gefunden.«

»Dann schadet es aber nicht, wenn du es bei Dr. Daniel ebenfalls versuchst«, meinte Barbara. »Aber ich weiß schon – was dich davon abhält, ist der weite Anfahrtsweg.«

»Na ja, das mußt du doch verstehen. Seit Martin und ich in Ulm wohnen…«

»Natürlich ist es nicht gerade ein Katzensprung«, fiel Barbara ihr ins Wort. »Aber jetzt bist du doch sowieso schon in München. Da hättest du die Möglichkeit…«

Elke schüttelte den Kopf. »Ich muß heute noch wieder nach Ulm zurück. Martin kommt abends nach Hause. Eigentlich hätte ich nicht einmal zu dir fahren können, aber ich mußte einfach mal wieder mit jemandem sprechen.«

»Hör zu, Elke, ich mache dir einen Vorschlag. Wenn du mich das nächste Mal besuchen willst, rufst du vorher an, und ich vereinbare dann gleich einen Termin bei Dr. Daniel.« Ihre Stimme wurde jetzt sehr eindringlich. »Ein Versuch schadet doch nichts, und du wirst sehen – er ist ein wundervoller Mensch.«

Elke zögerte noch immer, dann nickte sie. »Also schön, ich bin einverstanden.« Sie zuckte die Schultern. »Insofern hast du ja recht – einen Versuch ist es tatsächlich wert… wenn ich auch nicht allzuviel Hoffnung habe.«

*

Als Elke die kleine Mansardenwohnung am Stadtrand von Ulm erreichte, war Martin bereits zu Hause.

»Liebling, du bist schon hier?« fragte Elke erstaunt. »Ich dachte…«

»Komme ich dir vielleicht ungelegen?« wollte Martin wissen, und in seiner Stimme schwang ein aggressiver Unterton mit.

»Nein, überhaupt nicht«, entgegnete Elke. »Aber wenn ich das gewußt hätte, wäre ich früher von Babs zurückgefahren.«

»So, so, von Babs«, wiederholte Martin anzüglich, dann schüttelte er verärgert den Kopf. »Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß ich dir das abnehme! Glaubst du, ich merke nicht, daß du einen anderen hast?«

Entsetzt starrte sie ihn an. »Ich soll… was?«

»Du brauchst es gar nicht abzustreiten«, meinte Martin, dann wurde sein Ton auf einmal sehr bitter. »Irgendwann mußte es ja so kommen. Ich bin in meinem Beruf einfach zuviel unterwegs.«

»Martin, du siehst doch Gespenster«, erklärte Elke eindringlich. »Ich war wirklich nur bei Babs, und wenn du mir nicht glaubst, dann ruf sie halt an.«

Aber Martin winkte ab. »Sie ist deine Freundin. Die würde dich doch niemals bloßstellen. Außerdem merke ich schon lange, daß es zwischen uns nicht mehr so ist, wie es einmal war. Ständig erzählst du mir irgend etwas von Unterleibsschmerzen… gib doch zu, daß du von mir nichts mehr wissen willst.« Traurig senkte er den Kopf. »Ich hatte allerdings einmal gedacht, unsere Liebe wäre stärker.«

Niedergeschlagen ließ sich Elke auf das Sofa fallen. »Du begreifst überhaupt nichts, Martin. An meiner Liebe zu dir hat sich wirklich nichts geändert, und die Unterleibsschmerzen… die sind einfach schrecklich. Seit Wochen laufe ich von Arzt zu Arzt, aber keiner kann die Ursache dafür finden.« Bekümmert sah sie ihn an. »Und nun mißtraust du mir auch noch.«

Martin wurde plötzlich unsicher. Was Elke da sagte, hörte sich nicht so an, als wäre es erfunden. Sollte er ihr tatsächlich unrecht tun? Andererseits… in der Ehe seines Bruders hatte es damals genauso angefangen. Erst am vergangenen Wochenende hatten er und Raimund darüber gesprochen. Raimunds Frau hatte auch ständig über Schmerzen geklagt und war angeblich von Arzt zu Arzt geeilt, doch in Wirklichkeit hatte sie sich während dieser Zeit immer mit einem Arbeitskollegen getroffen. Jetzt standen Raimund und Ina direkt vor der Scheidung, und Martin hatte das untrügliche Gefühl, daß es mit ihm und Elke auch bald so enden könnte.

*

Blaß und mit ängstlichem Blick lag Waltraud Schütz in der Waldsee-Klinik in ihrem Bett. Jetzt wurde die Tür aufgerissen, und ihr Mann Eberhard, der Bürgermeister Steinhausens, stürzte ins Zimmer.

»Ja, Traudl, was machst du denn für Sachen!« stieß er aufgeregt hervor. »Ich dachte, mich trifft der Schlag, als ich vom Landratsamt zurückgekommen bin und die Nachricht vorgefunden habe, die Dr. Daniel bei meiner Sekretärin hinterlassen hat. Hattest du etwa einen Unfall?«

Waltraud schüttelte den Kopf und kämpfte schon wieder gegen die aufsteigenden Tränen.

»Ich habe eine Entzündung, sagte Dr. Daniel. Und wahrscheinlich Eiter in der Gebärmutter.« Hilfesuchend tastete sie nach der Hand ihres Mannes. »Eberhard, ich habe schreckliche Angst.«

»Dr. Daniel ist der beste Arzt, den es gibt«, erklärte Bürgermeister Schütz eindringlich und versuchte damit nicht nur seine Frau, sondern in erster Linie auch sich selbst zu beruhigen. »Der kriegt das schon wieder hin.«

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Dr. Daniel trat herein.

»Guten Tag, Herr Bürgermeister«, grüßte er, doch zu sehr viel mehr kam er überhaupt nicht, denn Bürgermeister Schütz überfiel ihn regelrecht mit Fragen.

»Meine Frau wird doch wieder gesund, oder? Ich meine, das mit dieser Entzündung und dem Eiter… das kann doch nichts Bösartiges sein.«

Dr. Daniel umging die direkte Antwort auf diese Frage, weil ein Gebärmutterhalskrebs nicht völlig auszuschließen war.

»Ihre Frau bekommt Antibiotika gegen die Entzündung, und morgen früh werde ich einen Drain legen, damit der Eiter ablaufen kann«, erklärte er. »Zumindest im Moment besteht noch kein Grund zur Besorgnis.«

Bürgermeister Schütz war sichtlich erleichtert, und auch bei Waltraud zeigten Dr. Daniels ruhig gesprochene Worte ihre Wirkung. Sie begann sich zu entspannen.

»Wie vertragen Sie die Tabletten, die Sie heute mittag und jetzt am Abend bekommen haben?« wollte Dr. Daniel von seiner Patientin wissen.

»Nicht sehr gut«, antwortete Waltraud. »Mir ist schrecklich übel, und zweimal mußte ich mich schon übergeben. Das letzte Mal unmittelbar nachdem ich die Tablette geschluckt hatte.«

Dr. Daniel machte eine kurze Notiz in der Krankenakte, die er mitgebracht hatte.

»Ich lege Ihnen eine Infusion«, entschloß er sich nach kurzem Überlegen. »Damit wird die Übelkeit zwar nicht verschwinden, aber der Wirkstoff, der für den Genesungsprozeß sehr wichtig ist, gelangt auf diese Weise sofort ins Blut und wird nicht gleich wieder erbrochen.« Er lächelte. »Das ist schließlich nicht Sinn der Sache.« Dann wandte er sich Bürgermeister Schütz zu. »Ich muß Sie bitten, in der Zwischenzeit draußen zu warten.«

Der Bürgermeister kam dieser Aufforderung sofort nach, und auch Dr. Daniel verließ den Raum, um das Infusionsbesteck zu holen.

»Seien Sie ehrlich, Herr Doktor«, bat Bürgermeister Schütz, als sie auf dem Flur standen. »Ist die Krankheit meiner Frau wirklich so harmlos?«

»Harmlos ist eine Entzündung nie, vor allem, wenn sie mit einem Eiterherd einhergeht«, entgegnete Dr. Daniel, zögerte kurz und entschloß sich dann für die Wahrheit. »Ich kann bei Ihrer Frau eine Krebserkrankung leider nicht ausschließen, wenn ich sie auch eher für unwahrscheinlich halte.«

Bürgermeister Schütz erschrak zutiefst. »Ist das… ihr Todesurteil?«

»Um Himmels willen, nein, Herr Bürgermeister«, wehrte Dr. Daniel energisch ab. »Ich sagte doch, daß ich es für unwahrscheinlich halte, aber Tatsache ist leider auch, daß die Abstrichuntersuchung einen zweifelhaften Befund ergeben hat, doch das könnte von der Entzündung kommen. Letzte Sicherheit wird allerdings erst der morgige Eingriff geben.«

»Helfen Sie meiner Frau«, bat Bürgermeister Schütz in eindringlichem Ton.

Dr. Daniel nickte. »Das habe ich vor.« Dann legte er eine Hand auf den Arm des Bürgermeisters. »Selbst wenn sich morgen ein ungünstiger Befund ergeben sollte, ist noch längst nicht alles verloren. Wenn sich der Krebs noch im Frühstadium befindet, gibt es durchaus Heilungschancen.«

*

»So, Frau Schütz, jetzt werden wir ein bißchen schlafen«, erklärte die Anästhesistin Dr. Erika Metzler, die Ehefrau des Klinik-Chefarztes, mit einem freundlichen Lächeln. Da sie Mutter eines zweijährigen Sohnes war, arbeitete sie nur stundenweise in der Waldsee-Klinik, ging aber auf in ihrem Beruf. »Sie müssen auch gar keine Angst haben. Ich werde Ihnen nicht weh tun.«

»Werde ich wieder aufwachen?« fragte Waltraud Schütz leise.

»Aber natürlich, Frau Schütz«, antwortete Erika beruhigend. »Sie bekommen für diesen Eingriff keine starke Narkose, und ich werde die ganze Zeit bei Ihnen sein und aufpassen, daß Ihnen nichts passiert, aber das haben wir doch gestern schon ausführlich besprochen.«

»Ich habe trotzdem Angst«, flüsterte Waltraud. »Ich bekomme doch zum ersten Mal überhaupt eine Narkose.«

»Ich weiß schon, Frau Schütz, aber Sie werden sehen, eine Narkose ist gar nicht so schlimm, wie Sie jetzt vielleicht denken. Es ist ganz ähnlich wie schlafen, und davor haben Sie ja auch keine Angst, nicht wahr?«

Waltraud nickte nur, doch als sie die Spritze in Erikas Hand sah, wäre sie am liebsten davongelaufen. Aber dann ging alles ganz schnell. Ehe Waltraud sich versah, hatte Erika den Inhalt der Spritze direkt in die Infusionskanüle gedrückt, und im nächsten Moment war die Patientin auch schon eingeschlafen.

»Sind Sie soweit, Erika?« wollte Dr. Daniel wissen, der jetzt an den OP-Tisch trat.

»Ich muß die Patientin noch intubieren«, entgegnete Erika. »Es waren noch ein paar beruhigende Worte nötig, bevor ich sie schlafen schicken konnte.«

Dr. Daniel nickte. »Ich weiß schon. Sie hat schreckliche Angst vor diesem Eingriff.«

In der Zwischenzeit hatte die OP-Schwester Waltrauds Beine in die hochgestellten Bügel gelegt und den Körper der Patientin mit sterilen grünen Tüchern abgedeckt, dann legte sie mit geübten Griffen einen Katheter.

»Tubus ist drin«, meldete sich nun auch Erika. »Sie können anfangen, Robert.«

Vorsichtig begann Dr. Daniel mit Dehnungsstiften die Zervix zu weiten, entnahm eine Gewebeprobe und führte schließlich den Drain ein. Auch von dem abfließenden Eiter entnahm er eine Probe und gab beides der OP-Schwester.

»Der Oberarzt soll das bitte untersuchen«, erklärte er, dann befestigte er den Drain mit einer Seidennaht an einer Seite des Gebärmutterhalses, nahm die Dehnungsstifte wieder heraus und wartete, bis der Eiter abgelaufen war, bevor er durch den Drain noch eine vorsichtige Spülung vornahm.

»So, das war’s fürs erste«, meinte er, während er aufstand. »Bringen Sie Frau Schütz bitte in den Aufwachraum, Erika. Ich kümmere mich dann gleich um sie.«

Dr. Daniel ging nach nebenan, wusch sich die Hände und kam gerade rechtzeitig, als Waltraud zum ersten Mal wieder die Augen öffnete.

»Ist es… vorbei?« flüsterte sie mit heiserer Stimme.

»Ja, den ersten Teil der Prozedur haben Sie überstanden«, erklärte Dr. Daniel.

In Waltrauds Gesicht zuckte es ein wenig. »Da… da drückt etwas ganz schrecklich.«

Tröstend ergriff Dr. Daniel ihre Hand. »Ich weiß schon, Frau Schütz, der Drain ist nicht ganz angenehm, aber daran kann ich im Moment leider nichts ändern. Bevor ich die Ausschabung machen kann, muß die Entzündung abgeklungen und der ganze Eiter draußen sein.«

Waltraud nickte schwach, dann schloß sie die Augen wieder, doch Dr. Daniel erkannte sofort, daß sie nicht schlief. Kurzerhand bereitete er eine Injektion vor.

»Ich gebe Ihnen etwas in die Infusion, damit die unangenehmen Reize etwas erträglicher werden«, erklärte er. »Versuchen Sie zu schlafen, Frau Schütz. In ein paar Tagen haben Sie die lästige Prozedur überstanden.«

»Ein schwacher Trost«, murmelte Waltraud, dann begann das Medikament zu wirken, und sie schlief wieder ein.

Dr. Daniel gab Anweisung, die Patientin auf die Station zu bringen, und machte sich auf den Weg zum Labor. Unterwegs traf er mit dem Oberarzt Dr. Gerrit Scheibler zusammen.

»Der Befund ist negativ«, erklärte Gerrit, bevor Dr. Daniel etwas fragen konnte.

»Gott sei Dank«, meinte er. »Dann werde ich gleich Bürgermeister Schütz anrufen.«

Die Verbindung war rasch hergestellt.

»Herr Doktor, was ist?« wollte der Bürgermeister wissen, und Dr. Daniel hörte, wie seine Stimme vibrierte.

»Gute Nachrichten, Herr Bürgermeister«, erklärte der Arzt. »Die entnommenen Gewebeproben haben einen negativen Befund ergeben.«

»Negativ?« stieß Bürgermeister Schütz entsetzt hervor. »Und das nennen Sie gute Nachrichten?«

Dr. Daniel Classic 50 – Arztroman

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