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1. Drei Monde am Himmel
ОглавлениеWährend am Horizont langsam die orange Sonne untergeht, um den drei riesigen Monden ihren Platz am Himmel zu überlassen, füllt sich die Luft mit dem Gebrüll der gerade erwachenden Tiere. Bald werden sie zur Jagd aufbrechen und ihre Beute vom Angesicht dieser Welt tilgen. Mir graut es schon bei dem Gedanken an ihr Aussehen. Ihre deformierten Köpfe, die fast nur aus spitzen Zähnen bestehen. Wenn ich mir vorstelle, wie sie sich langsam in meinen Körper bohren. Nein, ich denke lieber nicht daran. Wer weiß wie lange ich mich hier oben noch vor ihnen verstecken kann. Es wird Zeit, es wird wirklich Zeit, eine neue Pfütze zu finden. Eine Pfütze, die mich weit weg bringt von diesem Ort der zähnefletschenden, bluthungrigen Bestien. Für die nächsten Stunden jedoch werde ich meinen Platz nicht mehr verlassen. Es ist zu gefährlich bei Nacht durch diese Welt zu wandern, wie ich schmerzhaft erfahren musste. Als ich hier ankam, war es stockfinstere Nacht. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, von den drei Monden war ebenso wenig zu sehen wie von den Sternen. Selbst meine Hände konnte ich nicht erkennen, egal wie nah ich sie mir vor das Gesicht hielt. Ich stolperte blind durch die Gegend und zog natürlich sofort die Aufmerksamkeit dieser Tiere auf mich. Ich konnte hören wie sie langsam näher kamen. Ein gurgelndes Geräusch, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ein Schnauben und Schniefen wie bei einem Allergiker zur Hochsaison des Pollenfluges. Sie hatten meine Witterung aufgenommen.
Ich versuchte vor diesem Geräusch zu fliehen, rannte blindlinks durch die mir unbekannte Welt, stolperte über am Boden liegende Dinge, die ich für Steine und Baumwurzeln hielt und hatte das bedrückende Gefühl doch nicht entkommen zu können. Nach einem besonders heftigen Sturz spürte ich plötzlich am ganzen Körper ein Brennen. Zähne und Krallen bohrten sich in meine Arme und Beine und etwas spitzes zerkratzte mein Gesicht. Wild strampelnd versuchte ich mich zu befreien und schaffte es doch nur, die fremden Zähne tiefer in mein Fleisch zu treiben. Mit einem Mal waren auch die Geräusche direkt neben mir. Mein Körper versteifte sich schlagartig und für einen Moment setzte ganz sicher auch mein Herzschlag aus. Ich dachte mein letztes Stündlein hätte geschlagen und erinnerte mich zurück an die Schatten, die einst meine Familie waren. Dann bewegte sich plötzlich etwas unter mir. Die Zähne und Krallen ließen von mir ab und was auch immer für ein Tier mit mir gekämpft hatte, packte mich am Knöchel und ließ mich in einem kleinen Bogen durch die Luft fliegen. Die Landung war weniger schmerzhaft als überraschend gekommen, denn der Boden war weich wie Moos. Vorsichtig meine Umgebung abtastend, rutschte ich langsam auf Knien vorwärts, immer weg von dem seltsam keifenden und schmatzenden Geräusch. Da riss über mir die Wolkendecke auf und ich erkannte nur wenige Meter vor mir einen Baum, der zumindest für den Moment Schutz zu versprechen schien. Alle Vorsicht vergessend, rannte ich los und erklomm den Baum mit mehr Geschick als ich es mir selbst zugetraut hätte. Erst als ich weit oben, sicher in einer breiten Astgabel saß, drehte ich mich um.
In manchen Nächten wünsche ich mir, ich hätte es nicht getan. Zu genau sind jetzt die Bilder in meinem Kopf zu den nächtlichen Geräuschen dieser Welt. Verglichen mit der Welt, die einst meine gewesen war, kämpfte dort eine Art Igel gegen einen Brombeerstrauch – nur zehnmal größer. Die Stacheln des Igels waren in diesem Fall aber spitze Zähne in einem gewaltigen Maul, die sich auch noch bewegten. Der Rest des Körpers erschien mir nur als eine struppige, unförmige Masse. Der Igel hatte seine Zähne in die Äste des Brombeerstrauches geschlagen, die sich unter ihm und um ihn herum wanden und ihre langen schwarzen Dornen gekonnt als Waffen einsetzten. Fasziniert schaute ich diesem grausigen Kampf zu, unfähig wegzuschauen, bis sich die Wolkendecke wieder schloss und ich zurückblieb mit den Bildern in meinem Kopf und den schaurigen Geräuschen, zu denen sich bald auch ein widerlicher Gestank gesellte.
Die Geräusche verstummten erst, als es langsam hell wurde und meine Augen vor Müdigkeit längst mehr als einmal zugefallen waren. An Schlaf war jedoch die ganze Nacht nicht zu denken gewesen. Zu groß war meine Angst diese beiden Wesen würden sich an mich erinnern, voneinander ablassen und erneut nach mir jagen. Obwohl diese Angst sich als unbegründet erwies, war ich am Morgen so erschöpft, dass ich mich kaum noch auf dem Baum halten konnte. Trotzdem traute ich mich zunächst nicht hinunter. Von dem Igelwesen war nichts mehr zu sehen, auch das riesige Brombeergestrüpp regte sich nicht mehr, aber ich traute der ganzen Sache noch nicht. Mit steifen Fingern kramte ich in meinem Rucksack nach etwas, das ich auf den Boden werfen konnte. Tatsächlich fand ich eine alte verschrumpelte, apfelähnliche Frucht, die ich auf einer anderen Welt gefunden, aber nie gegessen hatte. Ich warf sie mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte und traf sogar einen Arm des Dornengestrüpps. Ein Treffer, der nicht beabsichtigt war. Ich zuckte erschrocken zusammen, die Pflanze rührte sich aber nicht. Also stieg ich nach einer Weile mit steifen Beinen vom Baum herunter. Nach der langen Zeit in einer ungemütlichen Haltung, gestaltete sich der Abstieg jedoch wesentlich schwieriger als der behände Aufstieg. Um es kurz zu sagen, ich rutschte den Baum mehr hinunter, als dass ich ihn kontrolliert hinunter kletterte. Am Boden angekommen, verharrte ich eine Weile still auf den Knien, ehe ich mich aufrichtete, Arme und Beine streckte und mich vorsichtig dem Brombeerstrauch näherte. Es bewegte sich auch nicht, als ich nur noch zwei Schritte davon entfernt war. Näher wagte ich mich nicht heran.
Zu meiner Überraschung sah das Gestrüpp bei Tag und aus der Nähe betrachtet sehr schön und friedlich aus. Es war bedeckt von zahlreichen kleinen lila Blüten, die einen würzigen Duft verströmten, der von etwas fauligem überlagert wurde. Sofort fiel mein Blick auf einen Haufen fast verfaulten Fleisches, aus dem noch Zähne und Stacheln hervorschauten. Der Igel hatte den Kampf der letzten Nacht eindeutig verloren.
Ich ließ den Kampfschauplatz hinter mir und kletterte mit einigen Schwierigkeiten zurück auf den Baum. Dort fühlte ich mich sicher genug, um in Ruhe meine Gedanken zu ordnen und mich um meine Verletzungen zu kümmern, die sich nun bemerkbar machten. Einen Spiegel hatte ich nicht dabei, wie mein Gesicht aussah, konnte ich also nicht sagen. Wenn es aber nur annähernd so in Mitleidenschaft gezogen war wie mein Beine und zum Teil auch meine Arme, war es wohl besser so. Mein rechtes Hosenbein hing ab dem Knie nur noch in Fetzen am Rest der Hose. Mein Körper war übersät mit kleinen und tiefen Kratzern, die zu meinem Erschrecken mit grünem Schleim überzogen waren. In einigen Wunden konnte ich noch Reste von Dornen erkennen, aber sie lösten sich langsam auf und verwandelten sich in den grünen Schleim, der meine Haut brennen ließ. Für einen Moment dachte ich darüber nach, ob dieser grüne Schleim für die schnelle Verwesung des Igelungeheuers gesorgt hatte. Als die Erkenntnis mich traf, was das für mich bedeuten würde, verwarf ich den Gedanken sehr schnell. Es dauerte eine ganze Weile, das Licht hatte sich von Orange zu einem grünlichen Ton geändert, dann war der Schleim getrocknet und das Brennen hörte auf. Ich verband meine Hände mit Stoffstreifen eines Hemdes, das noch in meinem Rucksack versteckt gewesen war und riss die losen fetzen von meiner Hose ab. Ob das veränderte Licht eine baldige Nacht andeutete, konnte ich beim besten Willen nicht einschätzen, also beschloss ich so lange auf dem Baum auszuharren, bis auch die nächste Nacht vorüber war. Dann nahm ich mir endlich die Zeit, die Welt in meinem Umkreis genauer in Augenschein zu nehmen.
Aber ich greife vor. Diese Welt steht erst am Ende meiner bisherigen Geschichte und ich wollte doch am Anfang beginnen. Der Baum auf dem ich jetzt sitze, ist längst nicht mehr der Baum dieser ersten Nächte. Aber er bietet mir eben so viel Schutz und etwas mehr Platz. Und in dieser Nacht werde ich meinen Baum nicht mehr verlassen. Die drei Monde am Himmel geben genug Licht zum Schreiben. Das hilft mir meine Nerven zu beruhigen und die grausigen Geräusche der Nacht auszublenden. Außerdem habe ich das Gefühl die Zeit vergeht schneller, wenn ich beschäftigt bin. Auch wenn ich gar nicht weiß, in welcher Zeit ich mich befinde oder an welchem Ort, eines weiß ich doch genau: Ich halte mich schon viel zu lange in dieser unwirtlichen Welt auf. Noch eine Nacht, dann werde ich sie hoffentlich verlassen. Aber bis dahin versuche ich meine Erinnerungen zu ordnen.