Читать книгу Guten Tag, ich bin das Hausgespenst - Marie Louise Fischer - Страница 5

Große Erwartungen

Оглавление

Tatsächlich sah es dann wochenlang so aus, als würde der Traum von dem Haus auf dem Lande sich doch nicht erfüllen. Es war viel schwerer, ein passendes Objekt zu finden, als die Schmidts es sich vorgestellt hatten.

Das Haus mußte nämlich so nahe an der Stadt liegen, daß der Vater ohne Schwierigkeiten täglich zu der Firma kommen konnte, bei der er arbeitete. Liane und Peter, die beide ein neusprachliches Gymnasium besuchten, konnten nicht in eine Gegend ziehen, wo es keine höheren Schulen gab. Auch sie mußten täglich in die Stadt hinein. Während Herr Schmidt immerhin mit seinem Auto fahren konnte, waren sie auf eine Bus- oder Bahnverbindung angewiesen; der Vater brauchte erst eine Stunde später im Betrieb zu sein als sie in ihrem Gymnasium.

Ihnen selber war dieses Problem anfangs winzig erschienen, aber als sie dann ernsthaft auf Häusersuche gingen, schien es geradezu unüberwindlich zu werden. Wenn sie ein Haus in „günstiger Verkehrslage“, wie es im Angebot hieß, fanden, dann war die Miete regelmäßig unerschwinglich. Im besten Fall handelte es sich auch um eine alte Schaluppe, die kaum noch bewohnbar war. Dann fuhren sie alle zusammen zur Besichtigung und überlegten, was mit Pinsel und Säge getan werden konnte, bis sie enttäuscht einsehen mußten, daß es ein Faß ohne Boden sein würde.

Zuerst war Herr Schmidt noch jeden Samstag zu einem Makler oder einer Hausbesichtigung gefahren, aber allmählich legte sich sein Eifer.

Jedesmal wieder enttäuscht zu werden war entmutigend. Es kam hinzu, daß die Zahl der Angebote, die in Frage kamen, immer geringer wurde, nachdem er sie ein paarmal gründlich durchgesiebt hatte.

Auch die anderen waren nahe daran zu resignieren. Nur Monika war nicht bereit aufzugeben. Ihr ganzes Herz hing an der Vorstellung von einem eigenen Garten, vor allem aber von einem eigenen Pferd. So ließ sie es sich nicht nehmen, den Immobilienmarkt noch einmal zu durchforsten, wenn der Vater die Zeitung schon aus der Hand gelegt hatte.

Eines Samstagnachmittags spielten Herr und Frau Schmidt, Liane und Peter zusammen Rommé. Monika hatte nicht mitspielen wollen, denn es schien ihr wichtiger, die Inserate durchzusehen. Sie hatte sich zu diesem Zweck bäuchlings auf den Teppichboden gelegt.

„Ich werd verrückt!“ schrie sie plötzlich.

„Das brauchst du doch gar nicht erst zu werden“, brummte ihr Bruder, der schlecht gelaunt war, weil seine Karten nicht zusammenpaßten.

Moni beachtete seinen Einwurf gar nicht. „Wirklich und wahrhaftig, Vati, du hast das Schönste übersehen!“ Sie schwang sich in den Schneidersitz und tippte auf ein bestimmtes Inserat. „Da! Ich werd’s euch übersetzen!“ Mittlerweile hatte sie nämlich gelernt, die manchmal schwer verständlichen Abkürzungen zu entziffern und wußte auch, wozu sie benutzt wurden: um für ein Inserat so wenig wie möglich zahlen zu müssen. „Schönes altes Haus, acht Zimmer, im besten Zustand, an idyllischem Teich gelegen, beste Verbindungen zur Innenstadt …“ Moni unterbrach sich. „Warum hast du das nicht angekreuzt, Vati? Hast du es übersehen?“

„Bestimmt viel zu teuer!“ behauptete ihr Vater und, um zu zeigen, wie wenig ihn Monikas Entdeckung interessierte, wandte er sich an die Mitspieler: „Ihr seid so verdächtig schweigsam, ich komme jetzt lieber raus!“ Er legte einen Teil seiner Karten auf den Tisch.

„Aber das ist nicht wahr!“ rief Monika. „Es heißt doch ausdrücklich: ,preisgünstig zu vermieten‘.“

„Was die schon unter preisgünstig verstehen!“ sagte Peter, und zu den anderen: „Ich kann noch gar nicht ablegen!“

„Dein Pech.“ Auch Liane legte ab.

„Aber wir können doch wenigstens fragen!“ bettelte Monika. „Bitte, bitte, ruf den Makler an!“

„Immer mit der Ruhe“, mahnte die Mutter, „erstens sind wir gerade mitten im Spiel, und zweitens muß ich dich enttäuschen … dieses Haus mit dem Teich hat vor sechs Wochen schon mal dringestanden.“

„Na und? Hat Vati es sich etwa schon angesehen?“

„Nein.“

„Dann ist es doch ganz egal …“

„Moni, nun nimm doch mal Vernunft an! Wenn ein so verlockendes Angebot nicht weggeht wie ein frisch gebackener Kuchen, dann muß doch etwas damit nicht in Ordnung sein. Das merkt doch jeder.“

„Ganz richtig! Da ist der Wurm drin!“ Peter legt alle seine Karten auf den Tisch. „Endlich … und damit bin ich fertig!“

„Und ich bin reingefallen“, beklagte sich die Mutter, „ich wollte,Hand‘ machen, es fehlte mir nur noch eine Karte! Ich habe bestimmt über hundert Minuspunkte!“

Die anderen lachten mitleidlos. „Pech gehabt!“

Monika ließ nicht locker. „Jetzt könntest du doch eigentlich anrufen, Vati!“

Herr Schmidt, der sah, wieviel seiner Tochter an dieser Sache gelegen war, gab nach. „Zwanzig Punkte!“ sagte er, warf seine Karten zu den anderen und stand auf. „Also dann … weil du es bist, Moni!“

„Sollen wir die nächste Runde ohne dich spielen?“ fragte Liane.

„Ach wo. Ehe du gemischt und ausgegeben hast, sitze ich schon wieder an meinem Platz.“ Der Vater trat zum Telefon, das auf einem kleinen Tisch neben der Bücherwand stand. „Dann sag mir mal die Nummer!“

„Der Mann heißt Graunke und die Nummer ist … fünfneunfünf … dreisiebeneins …“

Herr Schmidt wählte, während Monika sprach. Sie trat nahe heran, um mitzuhören.

„Graunke“, meldete sich eine männliche Stimme.

„Wie schön, daß Sie am Samstagnachmittag im Büro sind, Herr Graunke, ich hatte schon gefürchtet …“, begann Herr Schmidt.

„Na, eigentlich bin ich jetzt zu Hause, aber ein Mann in meinem Beruf muß jederzeit greifbar sein. Was kann ich denn für Sie tun, Herr …“

„Schmidt, Max Schmidt! In der Ausgabe der heutigen,Süddeutschen‘ steht ein Inserat von Ihnen …“

„Schnönes altes Haus mit acht zimmern an einem Teich“, flüsterte Monika ihm zu.

Der Vater wiederholte ihre Worte laut.

„Ach das!“ sagte der Makler. „Ich weiß schon Bescheid. Das ist eine sehr günstige Gelegenheit …“

„Wieviel?“

„Zweihundertfünfzig im Monat!“

„Nur?“ rief Herr Schmidt erstaunt.

Herr Graunke lachte, aber es klang nicht sehr behaglich. „Sie sind der erste Kunde, der sich beklagt, weil ihm der Preis zu niedrig ist.“

„Bei einem so großen Haus! Na, erlauben Sie mal! Da muß man doch den Eindruck gewinnen, daß irgendwo ein Haken ist.“

„Ist auch, wenn Sie es so nennen wollen. Der Besitzer möchte, daß der Mieter die anfallenden Reparaturen selber übernimmt.“

„Also ist es ein alter Rappelkasten!“

„Keinesfalls. Es ist ein sehr schönes altes Haus und in bestem Zustand. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: schauen Sie es sich doch mal an!“

„Bitte! Bitte! Bitte!“ flüsterte Monika.

Zu ihrer Erleichterung sagte der Vater: „Einverstanden! Wann?“

„Morgen früh … oder von mir aus auch schon heute.“

„Heute. Damit ich es hinter mir habe.“

„Geben Sie mir, bitte, Ihre Adresse. In einer halben Stunde hole ich Sie ab!“

„Oh, Vati, Vati!“ Monika gab ihrem Vater, als er aufgelegt hatte, einen dicken Kuß. „Ich darf doch mit, ja? Ich bin so froh … so riesig froh!“

„Hoffentlich wird’s nicht wieder eine Enttäuschung!“ meinte die Mutter.

„Diesmal nicht!“ jubelte Monika. „Ich spür es … diesmal nicht!“

Herr Schmidt ging an den großen Tisch zurück. „Noch eine Runde … dann müßt ihr allein weiterspielen.“

„Wäre es unverschämt, wenn ich Herrn Graunke bitte, mich auch mitzunehmen?“ fragte seine Frau.

„Im Gegenteil, gerade du als Hausfrau hast den richtigen Blick und ein Recht, dir das Haus zuerst anzusehen.“

„Ich habe zwar sicher nichts von beidem“, bekannte Liane, „aber ich möchte auch mit.“

„Mal sehen, wie groß Graunkes Auto ist!“ Herr Schmidt legte seinen beiden Töchtern die Hände auf die Schultern. „Hoffentlich können wir uns hinten zusammenquetschen.“

Nur Peter wollte nicht mit. Er hatte eine Verabredung, und die anderen waren froh darüber, denn sonst hätte es doch recht eng werden können. Aus dem weiteren Romméspiel wurde nichts, denn Liane und die Mutter standen auf, um sich fertig zu machen.

Monika nahm die Gelegenheit wahr, ihre Gummibänder aus dem roten Haar zu nehmen, damit es sich zu einer hübschen Innenrolle legte.

„Jetzt kann’s losgehen!“ rief sie ungeduldig. „Seid ihr immer noch nicht soweit!?“

Obwohl sie sich ausrechnen mußte, daß sie dadurch keine Minute früher fortkam, konnte sie es nicht lassen, schon die Treppen hinunterzustürmen, um auf der Straße auf Herrn Graunke zu warten.

So kam es, daß sie ganz allein vor der Haustür auf und ab hüpfte, als ein großes grünes amerikanisches Auto vorfuhr, ein „Pontiac“, wie sie entzifferte. Heraus stieg ein kleiner dicker Herr, der sich das spärliche Haar über dem Ohr gescheitelt und in einer Strähne quer über die hohe Stirn gelegt hatte. Er blickte auf die Hausnummer und zum Haus hinauf und begann dann, die Namen auf den Türschildern zu studieren.

Monika beschloß, ihm zu helfen. „Sind Sie der Makler?“ fragte sie.

„Stimmt!“ Herr Graunke lächelte. „Und du gehörst sicher zur Familie Schmidt!“

Als er lächelte, war er Monika sofort sympathischer geworden. „Stimmt auch“, bestätigte sie und reichte ihm die Hand, „und ich heiße Monika … Die anderen kommen gleich runter.“

„Du kannst es wohl gar nicht abwarten, aufs Land zu ziehen?“

„Ich möchte so schrecklich gern ein Pferd haben, wissen Sie.“

„Ein Pferd, ja, das könntest du dort halten, wenn … na ja …“ Herr Graunke sprach den Satz nicht zu Ende und vergewisserte sich mit einer Handbewegung, ob die kunstvolle Drapierung seiner Glatze noch hielt. „Jedenfalls … es gibt dort einen großen Stall.“

„Einen Stall!?“ Monika machte einen regelrechten Luftsprung. „Das ist ja spitze!“

„Und Weideland auch.“

„Herr Graunke, das Haus ist schon gemietet!“

Der Makler lachte. „Wir würden gleich ins Geschäft kommen, wie? Schade, daß da noch ein paar andere Herrschaften mitzureden haben!“

„Ich bin jedenfalls dafür!“ versicherte Monika. „Auch wenn es eine Bruchbude ersten Ranges sein sollte! Hauptsache ein Stall ist dran.“

„Eine Bruchbude ist es ganz und gar nicht.“

„Um so besser. Dann kriegen wir das schon hin, Herr Graunke.“

Die Haustür öffnete sich, und nacheinander kamen Herr Schmidt, Frau Schmidt und Liane heraus. Herr Schmidt entschuldigte sich, daß er den Makler hatte warten lassen.

„Macht gar nichts“, wehrte Herr Graunke ab, „ich hatte mich ja verfrüht, aber das war ganz angenehm. Ich konnte schon in Vorverhandlungen mit Ihrem Fräulein Tochter steigen.“

Alle lachten.

Aber Monika nahm das gar nicht krumm. „Stellt euch nur vor, was ich erfahren habe!“ rief sie. „Bei dem Haus ist ein Stall, und Weideland gehört auch dazu!“

„Himmlisch!“ jubelte Liane.

„Klingt umwerfend“, sagte der Vater ein bißchen ironisch.

„Und was ist mit dem Teich?“ fragte die Mutter.

„Gehört auch dazu“, versicherte Herr Graunke und machte ein zufriedenes Gesicht.

Sie legte ihre Hand auf den Arm ihres Mannes. „Ich kann mir nicht helfen, das alles klingt viel zu schön, um wahr zu sein! Was meinst du, Max?“

„Laßt es uns ansehen, danach wissen wir mehr!“

Guten Tag, ich bin das Hausgespenst

Подняться наверх