Читать книгу Ulrike das schwarz Schaf im Internat - Marie Louise Fischer - Страница 5
Falsche Hoffnungen
ОглавлениеAber dann kam doch alles ganz anders.
Ulrike hatte sich zwei bei Fräulein Faust für den Anfängerkurs angemeldet, weil sie es um keinen Preis mit Traudel verderben wollte. Aber noch am gleichen Tag hatte sie während der nachmittäglichen Arbeitsstunden einen Brief an Tante Sonja und Tante Emmy, ihre besten Freundinnen, losgelassen, ihnen ihre Situation klargemacht und darum gebeten, sie in irgendeiner Form von der unfreiwillig übernommenen Verpflichtung loszueisen.
Doch zum erstenmal standen die beiden Tanten nicht auf ihrer Seite. Sie schrieben einen langen und liebevollen Brief voller Ermunterungen. Erst zu spät merkte Ulrike, daß sie sich mit ihrem Hilfeschrei an die falsche Adresse gewandt hatte: Beide Tanten schwärmten vom Wintersport – wenn sie das nur geahnt hätte! Tante Emmy kündigte an, daß sie ihre eigenen, leider seit Jahren unbenutzten Schier und Schistiefel schon abgeschickt hätte.
Aber damit nicht genug. Beide Tanten hatte zusammengelegt, um Ulrike eine neue Schihose und einen zünftigen Anorak zu kaufen.
Ulrike war wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte das beklemmende Gefühl, daß alles sich gegen sie verschworen hatte. Eine Woche lang lief sie mit tragischer Miene herum, und ihr Gesicht hellte sich keineswegs auf, als die Namen der Schülerinnen am Schwarzen Brett angeschlagen wurden, die ins Allgäu fahren durften.
„Jubel, Jubel!“ schrie Gaby Reitmann begeistert. „Uli, Menschenskind, hast du Worte? Wir beide sind dabei! Ist das nicht knallig?!“
„Spar dir deinen Atem“, gab Ulrike kühl zurück, „du wirst ihn noch nützlicher verwenden können!“
Gabys Begeisterung war nicht zu dämpfen. „Ich bin einfach platt!“ rief sie. „Daß der alte ,Eisenbart’ mich mitfahren läßt … also, ganz ehrlich, ich hatte es kaum zu hoffen gewagt!“ Ulrike zuckte die Achseln. „Na, wenn schon“, sagte sie verdrossen.
Sie hatten den Anschlag gelesen, als sie, wie stets in der letzten Minute, zum Speisesaal in das Hauptgebäude hinüber rasten. So blieb ihnen keine Zeit mehr, das Thema ausgiebig zu erörtern, sondern sie mußten sich beeilen, daß sie nicht zu spät kamen. Gerade noch rechtzeitig konnten sie auf ihre Plätze an der langen Tafel schlüpfen.
Erst als die Suppe aufgetragen worden war – Ulrike hatte inzwischen gelernt, sie zu essen, wenn sie es auch immer noch, wie am Anfang, mit deutlich zur Schau gestelltem Widerwillen tat –, brachte Gaby das Gespräch wieder in Gang. Sie saßen sich gegenüber, so daß sie sich trotz des Stimmengewirrs ringsum ganz gut miteinander unterhalten konnten.
„Warum hast du mir gar nichts davon gesagt, daß du dich gemeldet hast?“ fragte sie. „Und warum hast du es überhaupt getan, wenn es dich jetzt nicht freut?“
„Höhere Gewalt“, erwiderte Ulrike kurz angebunden.
Gaby vergaß vor Staunen den Löffel voll Suppe, den sie schon in Brusthöhe balancierte, zum Munde zu führen. „Das versteh’ ich nicht!“
„Warum auch?“ sagte Ulrike kühl. „Es wird nicht das einzige sein, was du nicht begreifst!“
„Da kannst du recht haben“, sagte Gaby, mußte lachen und verschluckte sich fürchterlich.
Fräulein Faust warf mahnende Blicke zum Ende der Tafel, Gabys Nachbarin schlug ihr kräftig mit der flachen Hand auf den Rücken, aber es dauerte dennoch eine ganze Weile, bis sie ihren Anfall überwunden hatte. Zurück blieben ein hochroter Kopf und tränende Augen.
„Ich nehme in meiner Eigenschaft als Reporterin teil“, erklärte Ulrike herablassend.
„Na, so etwas!“ Gaby staunte. „Aber mir soll’s recht sein. Hauptsache, du machst überhaupt mit.“
Am Spätnachmittag nach der Arbeitsstunde wurde Ulrike zu Fräulein Faust gerufen. Ein dickes Paket war für sie angekommen, und es mußte, wie alle größeren Sendungen, die ins Internat geschickt wurden, in Anwesenheit der Hausvorsteherin geöffnet werden, damit niemand auf diesem Wege unkontrollierte Süßigkeiten und Eßwaren einschmuggeln konnte.
Ulrike machte sich nichts mehr daraus. Ihre Tanten wußten Bescheid, und sie war sicher, daß sie höchstens ein paar Äpfel und eine Tafel Schokolade zugepackt hatten, nicht mehr, als Ulrike sowieso behalten durfte.
So war es auch heute. Aber zum erstenmal interessierten Ulrike die sonst so begehrten Süßigkeiten gar nicht. Mit einem hellen Schrei der Begeisterung betrachtete sie den eleganten schneeweißen Anorak, den ihr die Tanten geschickt hatten.
Dann wühlte sie weiter, fand eine zartrosa Schihose, hielt sie sich vor und rief: „Ist sie nicht zauberhaft?!”
Fräulein Faust hatte Ulrike, ohne eine Miene zu verziehen, bei ihrem Tun beobachtet. „Ja, wirklich, sehr hübsche Sachen“, bemerkte sie jetzt, „aber leider nicht gerade praktisch!“
„Das ist doch egal“, erklärte Ulrike unbekümmert.
„Nun, für einen Aufenthalt in einem mondänen Wintersportort mögen sie geeignet sein, aber fürs Schullager …“ Fräulein Faust wendete den zarten Anorak kritisch hin und her. „Findest du nicht selber, Ulrike, daß sie ein wenig zu anspruchsvoll sind?“
Erst jetzt wurde Ulrike klar, daß Fräulein Faust nicht bereit war, ihre Freude zu teilen, und sie setzte sofort die wohlbekannte blasierte Miene auf, die die Hausvorsteherin ganz und gar nicht leiden konnte. „Nun“, sagte sie von oben herab, „das kommt ganz darauf an, wie man es gewöhnt ist!“
Fräulein Fausts Nase begann nervös zu zucken, wie immer, wenn sie sich ärgerte. Ulrike beobachtete es voll Genugtuung. Sie hob den leeren Karton hoch in die Luft, drehte und wendete ihn. „Überzeugen Sie sich selber“, sagte sie, „keine Geheimverstecke, kein doppelter Boden … darf ich also wieder einpacken?“
Fräulein Faust wollte sich weiteren Ärger ersparen. So sagte sie nur sehr ruhig: „Ich bitte darum!“
„Oh, vielen Dank!“ erwiderte Ulrike mit übertriebener Betonung. „Zu liebenswürdig!“ Da sie fühlte, daß Fräulein Faust von ihrer Anwesenheit genug hatte, ließ sie sich Zeit beim Zusammenlegen der neuen Kleidungsstücke, obwohl sie selber darauf brannte, den neuen Glanz ihren Zimmerkameradinnen so bald wie möglich vorzuführen.
„Deine Schier sind übrigens auch gekommen“, sagte Fräulein Faust.
Ulrike hätte auch auf diese harmlose Bemerkung eine freche Antwort gewußt. Aber gerade da kamen ein paar andere Schülerinnen, die ebenfalls Päckchen von zu Hause bekommen hatten, ins Zimmer, und sie zog es wohlweislich vor, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben. Ihr war, wenn auch reichlich spät, wieder eingefallen, daß sie bald vierzehn Tage lang von früh bis abends auf Fräulein Fausts Gewogenheit angewiesen sein würde. Es war also ein Fehler gewesen, sie wieder einmal so zu ärgern.
„Fein“, sagte sie darum versöhnlich und fügte, ihren vollgepackten Karton schon unter dem Arm, hinzu: „Übrigens brauchen Sie sich wegen der schicken Sachen wirklich nicht zu beunruhigen. Zum Schifahren sind meine alten Klamotten vielleicht wirklich besser geeignet. Ich werde die neue Kombination, wenn Sie es wünschen, dann eben nur zum Après-Ski tragen.“
„Zum … was!?“ fragte Fräulein Faust entgeistert.
Zum Après-Ski“, erklärte Ulrike seelenruhig. „Wenn man sich nah dem Sport fürs Hotel schick maht.“
„Dazu“, sagte Fräulein Faust mit zuckender Nase, aber anerkennenswerter Selbstbeherrschung, „wirst du wohl kaum Gelegenheit haben.“
Aber es gelang ihr nicht, Ulrikes Freude an den Geschenken der Tanten zu dämpfen. Auf ihrem Zimmer angekommen, zog sie sich sofort um, und sie erntete damit den bewundernden Beifall von Gaby wie auch Gerti Moll.
Selbst Katja sagte, wenn auch mit einem seltsamen Unterton: „Sieht wirklich gut aus, Ulrike! Man möchte fast glauben, daß du Schi laufen könntest!“
„Wahrhaftig!“ rief Gaby. „Du wirkst geradezu olympiareif!“
Ulrike betrachtete sich lange und mit tiefer Genugtuung im Spiegel, obwohl das ein ziemlich schwieriges Unternehmen war. Die Spiegel in den Zimmern waren so klein, daß man sich wirklich nur mit den größten Schwierigkeiten von oben bis unten darin sehen konnte, und auch dann nie im Ganzen, sondern sozusagen nur ratenweise.
Aber Ulrike betrachtete sich mit ihrem inneren Auge. Sie sah sich in eleganter Haltung und mit wunderbaren Schwüngen eine Piste hinabsausen, so daß der Pulverschnee hinter ihr aufstob. Sie trug ihre zartrosa Schihose, dazu eine Mütze und Handschuhe, die genau im Ton paßten, und natürlich den schneeweißen Anorak. Die anderen Schifahrer bremsten ihre Abfahrt, um ihr nachzustaunen, und unten blieben die Leute stehen, um sie anzustarren.
Im Tal angekommen, löste sie lässig die Bindungen, legte die Schier über die Schulter und wandelte die Hauptstraße des Ortes entlang, auf ihr Hotel zu, wieder gefolgt von faszinierenden Blicken, während alle anderen Mädchen einen gebührenden Abstand zu ihr einhielten.
Ulrike mußte die Augen zukneifen und sie dann wieder aufreißen, um in die Gegenwart zurückzufinden. Aber auch, als sie zum Abendessen wieder in ihre Schulkleidung schlüpfte, blieb die Vorfreude in ihrem Herzen. Der Ärger darüber, daß man sie gezwungen hatte, mitzumachen, war verflogen. Jetzt war sie Traudel Simson fast dankbar dafür, daß sie ihr dazu verholfen hatte. Wie die anderen Auserwählten, begann sie die Tage und Stunden zu zählen, bis es endlich losging.
Aber es wurde alles anders, ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte.
Die Fahrt ins Allgäu war herrlich. Unter den zwanzig Schi-Anfängerinnen, die teilnehmen durften, herrschte eine erwartungsfrohe, übermütige Stimmung, die selbst Fräulein Faust ansteckte.
Ulrike saß neben Gaby, der sie großzügig den Fensterplatz überlassen hatte. Aber bald darauf begann es ihr schon etwas leid zu tun, denn die Landschaft draußen wurde von Kilometer zu Kilometer reizvoller. Je weiter der Bodensee zurückblieb, desto dicker wurde die Schneedecke. Der Omnibus schob sich langsam in eine winterliche Berglandschaft hinauf. Personenwagen mit aufgeschnallten Schiern überholten ihn. Die Mädchen winkten vergnügt hinunter. Es wurde gesungen, gelacht und gealbert, und selbst Ulrike, die sonst immer so sehr auf ihre Würde bedacht war, machte vergnügt mit.
Nach einer Weile wurden alle ruhiger. Die Gespräche verstummten allmählich, und nur eine Gruppe Unentwegter ganz vorn im Wagen sang weiter. Ulrike holte sich ein Buch aus ihrem Rucksack und versuchte, trotz des Schaukelns zu lesen; Gaby begann zu futtern.
Sie waren etwa vier Stunden gefahren, als Fräulein Faust weithin vernehmbar verkündete: „Jetzt kommt Immdorf … der Ort, zu dem unsere Schihütte gehört!“
Alle Nasen preßten sich gegen die Fensterscheiben, und auch Ulrike ließ ihr Buch sinken, richtete sich auf, um über Gaby hinweg nach draußen zu sehen.
Ein kleines Dorf lag inmitten der tief verschneiten Winterlandschaft.
Ulrike war im ersten Augenblick enttäuscht. Aber als der Omnibus in die Hauptstraße einbog, besserte sich ihre Stimmung wieder. Fast war alles so, wie sie es sich erträumt hatte. Es gab Hotels und Cafés, Läden mit modischen Artikeln und Andenken.
„Toll, wie?“ sagte Gaby, ehrlich begeistert.
„Ganz passabel“, gab Ulrike zu.
„Ihr werdet nicht oft Gelegenheit haben, hier herunterzukommen“, erklärte Fräulein Faust, „die Schihütte liegt weiter oben … und ganz einsam.“
Mit einem Plumps ließ Ulrike sich auf ihren Sitz zurückfallen. „So habe ich mir das vorgestellt“, stöhnte sie.
Aber dieser Stoßseufzer ging in dem allgemeinen Stimmengewirr unter, das durch Fräulein Fausts Erklärungen ausgelöst worden war.
Der Omnibus schraubte sich höher und höher. Dann, ganz plötzlich, endete die Straße auf einer Art Plattform. Der Omnibus hielt mit einem Ruck. Diejenigen, die neugierig aufgestanden waren, mußten sich krampfhaft festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Manche landeten auf dem Schoß ihrer Nachbarin.
„Fertigmachen zum Aussteigen!“ rief Fräulein Faust überflüssigerweise. Denn die meisten Mädchen hatten schon Rucksäcke und Taschen zusammengerafft. Jede wollte so rasch wie möglich nach draußen.
Gaby und Ulrike gelang es, mit den Allerersten ins Freie zu kommen. Sie rannten sofort an den Rand der Plattform und stellten mit Begeisterungsrufen fest, daß man von hier aus eine wunderbare Aussicht über verschneite Täler, ferne Kirchturmspitzen und prachtvolle Berge hatte.
Ulrike war die erste, die auf den Gedanken kam, sich nach der anderen Seite umzusehen. „Wo ist denn die Hütte?“ fragte sie verblüfft.
„Weiter oben“, erklärte Fräulein Faust, „es führt ein Weg hinauf, aber der ist für den Omnibus zu schmal.“
„Auch das noch“, ließ Ulrike sich vernehmen.
„Wenn es dir nicht paßt, Ulrike“, sagte Fräulein Faust ärgerlich, „hättest du in Hartenstein bleiben sollen.“
Ulrike zuckte die Achseln. „Eine Reporterin muß eben Strapazen auf sich nehmen.“
„Müssen wir unser Gepäck hinaufschleppen?“ fragte jetzt auch Eva Klostermann, ein Mädchen mit langen Zöpfen, das in einem anderen Hause wohnte, aber mit Ulrike und Gaby in die gleiche Klasse ging.
„Das Handgepäck ja“, sagte Fräulein Faust, „die Schier und alles andere wird hinaufgebracht. Also los, Mädel, wir wollen doch vor Dunkelheit unter Dach sein!“
Sie wandte sich ab und begann den schmalen, halb verwehten Pfad hinaufzustapfen. Die Mädchen folgten ihr, je nach Temperament langsam oder schneller.
Ulrike, Gaby und Eva blieben zusammen. Aber sie mußten oft stehenbleiben, um sich zu verschnaufen. Ulrike tat sich verhältnismäßig leicht, weil Traudel Simson ihr einen Rucksack geliehen hatte.
Sie hatte ihn gar nicht so gern genommen, weil sie ihn „kindisch“ gefunden hatte. Jetzt, nachträglich, war sie Traudel dankbar dafür. Gaby und Eva, die ihre Habseligkeiten in Taschen verpackt hatten, mußten sich bei diesem steilen Aufstieg sehr plagen.
„Gut, daß Gerti nicht mit ist“, sagte Gaby, als sie wieder einmal stehenbleiben mußte, „die hätte bestimmt schon zu weinen angefangen!“
„Und wir hätten ihr Gepäck mitschleppen müssen“, stimmte Ulrike zu.
Gerti Moll hatte keine Erlaubnis von ihrem Vater bekommen, und auch Katja war nicht mitgekommen; sie würde später mit den Fortgeschrittenen fahren.
Alle, selbst die sportlichsten unter den Mädchen, atmeten auf, als die Hütte endlich in Sicht kam. Fräulein Faust stand schon vor dem Eingang und winkte ihnen zu.
„Beeilt euch! Was ist das für ein Schneckentempo!“
„,Gretchen’ hat gut reden“, murrte Gaby, „die hat längere Beine als wir!“
„Aber schick sieht sie aus, was?“ sagte Eva.
Tatsächlich kam Fräulein Fausts durchtrainierte sportliche Figur im Schianzug ausgezeichnet zur Geltung. Ihr frisches junges Gesicht war vom raschen Aufstieg erhitzt, ihr kurzgeschnittenes blondes Haar, jetzt ein wenig zerzaust, ließ sie weicher und weiblicher erscheinen als sonst.
„Sprüht nur so vor Energie“, murmelte Ulrike, „paßt auf, die wird uns noch was aufzulösen geben!“
Und damit hatte sie recht. Fräulein Faust gab den Mädchen weder Zeit noch Gelegenheit, sich zu verschnaufen, denn sie wußte, daß es dann schwer sein würde, sie wieder in Trab zu setzen. Kaum, daß die ersten Mädchen die Hütte betreten hatten, wurden sie schon losgeschickt, ihre Schlafsäcke nach oben zu bringen, und als Ulrike, Gaby und Eva, die sich beeilt hatten, wieder herunter kamen, mußten sie Wasser schleppen und Holz hereinholen.
Eva und Gaby lachten und schimpften. Für sie war alles neu und aufregend. Sie merkten gar nicht, wie Ulrike stiller und stiller wurde. Tatsächlich war Ulrike so maßlos enttäuscht, daß sie am liebsten losgeheult hätte, wenn das nicht gegen ihre Ehre gegangen wäre.
Sie fühlte sich furchtbar hereingelegt. Zwar war auf der Burg Hartenstein immer nur von einer Schihütte gesprochen worden, aber wie anders hatte sie sich alles vorgestellt! Nie hatte sie sich träumen lassen, daß sie in einer wirklichen Hütte untergebracht werden würden.
Es gab auf dem Almkogel weder elektrisches Licht noch fließendes Wasser, keinen Eisschrank und nur einen Kohlenherd. Es war ein richtiges hölzernes Blockhaus, sehr romantisch, wenn man nicht darin zu leben brauchte.
Ulrike begriff gar nicht, wieso die anderen das noch spaßig finden konnten. Aber tatsächlich schienen alle, außer ihr, hell begeistert.
Die Hütte hatte unten einen großen Aufenthaltsraum mit einem riesigen Kachelofen, daneben eine kleine Küche. Eine schmale Leiter – sage und schreibe eine Leiter! – führte in den Schlafraum im ersten Stock. Dort lagen zwanzig Strohsäcke auf dem Fußboden, und da die Wände schräg waren, konnte man nur in der Mitte aufrecht stehen. Nur Fräulein Faust hatte nebenan ein kleines Zimmer für sich. Es gab überhaupt keine Schränke, sondern die Mädchen mußten ihre Sachen in den langen Bänken im Aufenthaltsraum unterbringen, die wie Truhen gearbeitet waren. Gaby, Ulrike und Eva hatten noch Glück, daß sie sich wenigstens Fächer in der Ofenbank hatten reservieren können, auf der es schön warm war.
Erst als das große Gepäck angekommen und verstaut war, die Schier draußen an der windgeschützten Wand lehnten, ein lustiges Feuer im großen Ofen prasselte und in der Küche Suppe in einem riesigen Topf brodelte, gab sich Fräulein Faust zufrieden.
„Jetzt schaut euch erst mal um, bis das Essen soweit ist“, sagte sie.
Sie brauchte das nicht zweimal zu sagen. Die große Stube leerte sich, als wenn ein Windstoß hineingefahren wäre. Nur Ulrike blieb zurück. Sie hatte nicht die geringste Lust, noch einmal in die kalte Winterluft hinauszugehen. Sie zog die Füße hoch, kauerte auf der Ofenbank und versuchte in ihrem Buch zu lesen.
Aber viel wurde nicht daraus, denn es dauerte nicht lange, dann sagte Fräulein Faust: „Gut, daß du noch hier bist, Ulrike! Du kannst mir gleich helfen, den Tisch zu decken!“
Und Ulrike blieb nichts anderes übrig, als sich an die Arbeit zu machen.
Dann kamen die anderen zurück, mit geröteten Wangen und blitzenden Augen. Sie brachten einen Schwall eisiger Luft mit herein.
„Mensch, Ulrike!“ schrie Gaby. „Warum bist du nicht mitgekommen?! Wir haben eine zünftige Schneeballschlacht veranstaltet! Es war einfach fabelhaft!“
„Laß sie doch!“ sagte Eva. „Merkst du denn nicht, daß sie wieder einmal schlechte Laune hat?“
„Wirklich?“ fragte Gaby verblüfft. „Warum denn?“
„Wahrscheinlich, weil es hier zu primitiv ist“, erklärte Eva.
„Stimmt haargenau“, gab Ulrike zu. „Ich halte das Ganze für eine ausgesprochene Zumutung!“
„Kann doch nicht wahr sein!“ Gaby staunte ehrlich. „Sag mal, bist du sicher, daß du nicht krank bist?“
„Wahrscheinlich bin ich gesünder als du. Jedenfalls habe ich mir ein klares Urteil bewahrt.“
Beinahe hätte Ulrike sich an diesem ersten Abend sogar mit Gaby verzankt. Aber zum Glück für sie beendete Fräulein Faust mit dem Ruf zum Abendessen die Auseinandersetzung.
Später wurde der sogenannte Zeitplan aufgestellt. Für jeden Tag wurden vier Mädchen eingeteilt, die früh, mittags und abends den Ofen versorgen, Wasser schleppen, Holz hereinholen, die Stube auskehren und kochen sollten. Ihre Schuhe einfetten, die Schier wachsen, ihre Kleidung in Ordnung halten, mußte jede für sich selber.
Ulrike konnte sich wieder einmal eine freche Bemerkung nicht verkneifen. „Hoffentlich kommen wir dann überhaupt noch zum Schifahren“, sagte sie, zwar nur halblaut, aber Fräulein Faust hatte sie doch verstanden.
„Nur keine Sorge, Ulrike“, sagte sie mit freundlichem Lächeln, „Schi laufen werden wir … wahrscheinlich mehr, als dir lieb sein wird. Aber ich freue mich über deine neuerwachte Sportbegeisterung.“
Ulrike wurde rot, als die anderen lachten.
Sie begriff nicht, daß sie es selber war, die sich dumm benommen hatte, sondern sie war wütend auf die anderen und besonders auf Fräulein Faust.
Denen werde ich es allen noch zeigen, dachte sie, und mit diesem Wunsch schlief sie später auch ein. Aber wie sie das anfangen sollte, das wußte sie nicht, und es fiel ihr auch im Traume nicht.