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Umzug und Start zur Schule

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Aber so rasch, wie Klaudia es sich erträumt hatte, verging die Zeit bis zum Umzug dann doch nicht. Und das war gut so, denn die Umstellung war gewaltig, und der Abschied fiel allen schwer. So sehr Klaudia sich auch auf ihre jungen Verehrer freute, so spürte sie doch, daß sie eine so gute Freundin wie ihre Klassenkameradin Gerda nicht so leicht wieder finden würde. Sie mußte sich mächtig zusammenreißen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie traurig sie war.

Sylvie ging es nicht anders. Auch sie verließ gute Freundinnen, die sie für unersetzlich hielt.

Die Arzttöchter versprachen zu schreiben, und die Zurückbleibenden schworen, regelmäßig zu antworten. Ellenlange Briefe sollten gewechselt werden. Trotzdem spürten die Mädchen schon jetzt, daß beschriebenes Papier nie die lebendige Gegenwart ersetzen kann.

Auch die Mutter ließ Freundinnen in der Großstadt zurück, der Vater Kollegen, gute Bekannte, mit denen sie oft beisammen gewesen waren, und auch sie waren nicht sicher, ob sie in Rosenberg den gleichen netten Anschluß finden würden. Aber das mußte eben abgewartet werden.

Und dann war es soweit, daß die Teppiche eingerollt wurden. Klaudia und Sylvie mußten helfen, jedes einzelne Geschirrstück, Vasen, Lampen und Aschenbecher, in Papier zu wickeln und in große Kisten zu verpacken. Ein vertrauter Gegenstand nach dem anderen verschwand. Die Gardinen und Vorhänge wurden abgenommen, und die Fenster wirkten plötzlich kahl und kalt. Dr. May nahm die Bilder von den Wänden, auf denen ihre Umrisse zurückblieben.

Jetzt hallte schon jeder Schritt und jedes Worten zwischen den leeren Wänden.

Dann kamen die Packer, nagelten die vollen Kisten zu und trugen sie hinunter, sämtliche Möbel hinterher, Kissen, Matratzen, Federbetten und Decken.

Frau May bekam nasse Augen und legte die Arme um die Schultern ihrer beiden Töchter. „Hier sind wir nun so viele Jahre glücklich gewesen“, sagte sie wehmütig.

Der Vater räusperte sich. „Komm, komm, Mariechen! Nur nicht sentimental werden. Das Glück hängt ja nicht von der Wohnung ab, sondern es gehört zu uns.“

„Wirklich, Vati?“ rief Klaudia. „Dann werden wir es ganz einfach mitnehmen! Komm, pack an, Sylvie!“

Und die beiden taten so, als ob sie einen schweren, unsichtbaren Gegenstand hochwuchteten. Sie stemmten ihn scheinbar aus der Wohnung und schleppten ihn die Treppe hinunter.

Die Eltern lachten, und das hatten die beiden ja erreichen wollen. Sie begriffen, daß die Eltern traurig waren, und versuchten mit vereinten Kräften, sie aufzuheitern.

„Moment mal!“ rief Klaudia unten auf der Straße den Möbelpackern zu. „Lassen Sie offen! Wir haben noch was!“ Und mit „hau ruck“ schoben sie die nicht vorhandene Last in den Möbelwagen.

Die beiden Packer starrten sie ganz verdutzt an. Der eine kratzte sich die Nase, der andere tippte sich vielsagend an die Stirn.

Aber das reizte Klaudia nur noch mehr zum Lachen.

„Fahren Sie nur ja vorsichtig!“ rief Sylvie.

Klaudia fügte hinzu: „Sie wissen ja … Glück und Glas, wie leicht bricht das!“

Die Männer würdigten sie keines Blickes mehr. Der eine schlug die beiden hinteren Türen zu und verriegelte sie, der andere war schon nach vorne gegangen, kletterte auf den Fahrersitz und ließ den Motor an.

Klaudia und Sylvie schüttelten sich vor Lachen. Aber so ganz echt war ihre Heiterkeit doch nicht.

„Rasch!“ rief Dr. May. „Fahren wir los, bevor wir noch mehr Abschied nehmen müssen.“

„Kann ich denn nicht mal mehr Gerda auf Wiedersehen sagen?“ rief Klaudia.

„Du hast doch die letzten Wochen nichts anderes getan. Steigt ein, alle beide!“

Frau May saß schon im Volkswagen. Der Vater schob die beiden Mädchen auf die Hintersitze, ehe er selber einstieg. Bevor Klaudia und Sylvie recht wußten, wie ihnen geschah, brausten sie schon davon.

Eine Weile waren alle still und hingen ihren Gedanken nach.

Klaudia war die erste, die die Sprache wiederfand. Sie tippte ihrer Mutter auf die Schulter: „Du, Mutti, wo hast du unsere Sachen zum Umziehen?“

Frau May putzte sich die Nase. „Im kleinen braunen Koffer ist alles Notwendige.“

„Und wo ist der?“

„Beim Gepäck. Wir werden ihn in Rosenberg beim Auspacken schon finden.“

„Wie stellst du dir das vor?“ rief Klaudia entsetzt. „Ich kann doch nicht so in Rosenberg ankommen … in Blue jeans und Strohschuhen und meinem ältesten Baumwollpulli!“

„Spielt keine Rolle“, behauptete Dr. May, „wenn wir ankommen, ist es sowieso schon dunkel.“

„Du bildest dir doch wohl nicht ein, sämtliche Jungen von Rosenberg stehen Spalier für dich?“ tuschelte Sylvie.

Sie erntete dafür einen gewaltigen Rippenstoß von ihrer Schwester.

Klaudia quengelte noch eine Weile herum, erreichte aber nichts damit und fühlte sich wieder einmal, wie so oft, völlig unverstanden.

Später stellte sich dann heraus, daß der Vater recht behielt. Der Einzug der Familie May in Rosenberg vollzog sich gänzlich unbemerkt. Es war inzwischen nämlich nicht nur dunkel geworden, sondern es hatte sogar angefangen zu regnen. Die Straßen waren leer.

Ein Glück, daß die Packer es vorzogen, Feierabend zu machen, und daß sie nicht darauf bestanden, die Möbel jetzt noch auszuräumen. Am nächsten Morgen regnete es zwar immer noch, aber wenigstens konnte man etwas sehen, und von großen Planen bedeckt wurden die Möbel umständlich ins Haus transportiert.

Inzwischen hatte die Familie May eine etwas ungemütliche Nacht hinter sich gebracht. Sie hatten auf einem improvisierten Matratzenlager geschlafen. Ziemlich zerschlagen standen sie auf, und während die Mutter Brote bestrich, machten sich die beiden Mädchen und Dr. May zur Besichtigung ihres neuen Heims auf.

Der Anblick, der sie erwartete, war ziemlich trostlos. Zwar gab es genügend Räume, und sie waren hell und gut geschnitten; aber in welchem Zustand waren sie! Offensichtlich hatte der alte Doktor, von dem sie Haus und Praxis übernahmen, seit Jahren nichts mehr richten lassen. Die Tapeten waren verschossen und an manchen Stellen sogar abgerissen, die Decken zeigten große dunkle Flecken, und auch die Fußböden mußten erneuert werden.

Dr. May putzte sich die Brille und setzte sie wieder auf. Der Anblick blieb der gleiche. „Ja, wenn ich das gewußt hätte“, sagte er.

„Aber du hast doch das Haus besichtigt!“ rief Sylvie. „Du und Mutter, ihr wart doch hier?“

„Ja, schon. Aber da habe ich die Schäden nicht so gesehen. Da waren die Zimmer hübsch und gemütlich eingerichtet.“

Klaudia klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter. „Halb so schlimm, Vati, mach dir bloß keine Gedanken, das kriegen wir schon hin. Wir haben ja die ganzen Ferien vor uns. Oder mußt du schon gleich deine Praxis aufmachen?“

„Das geht ja nun beim besten Willen nicht. Ich werde den alten Doktor bitten, daß er sich weiter um die Patienten kümmert, bis wir das Haus instand gesetzt haben.“

Klaudia sah an ihren verschossenen Jeans hinunter und sagte seufzend: „Mir schwant, daß ich die nächste Zeit nicht aus diesen ollen Klamotten herauskommen werde.“

Damit behielt sie recht.

In den nächsten Wochen wurde in der Kastanienallee zwölf von früh bis spät geschrubbt, gekleistert, geklebt, gestrichen und gezimmert, und Klaudia fand beim besten Willen keine Gelegenheit, ihre Schönheit zu pflegen. Dafür wuchs ihr und der Schwester das neue Heim in dieser Zeit mehr und mehr ans Herz, und beide waren stolz und glücklich, als sie endlich ihre beiden eigenen Zimmer hoch unter dem Dach beziehen konnten.

Aber wenn sie geglaubt hatten, jetzt sei es geschafft, dann war das ein Irrtum. Denn nun kam der Garten an die Reihe. Es mußte Unkraut gezupft, der Rasen gemäht, und allzu üppig aufgeschossene Büsche mußten beschnitten werden. Das Gartenhäuschen war zu streichen und zu lackieren. Dann wurden Johannisbeeren gepflückt – ganze Berge von Johannisbeeren – und eingekocht.

So verging der Sommer, ehe die Mädchen es sich versahen, und in der ganzen Zeit hatten sie keinen Rosenberger Schüler zu Gesicht bekommen.

Das lag aber auch daran, daß die Rosenberger in den heißen Monaten, wenn es irgend möglich war, ans Meer, in die Berge oder in die Waldgebiete flüchteten. Die meisten Rosenberger waren also verreist, und die Kinder, die zu Hause geblieben waren, hielten sich im Schwimmbad auf oder machten Ausflüge. Dazu aber fanden Klaudia und Sylvie keine Zeit.

So kam es, daß sie dem ersten Schultag nach den großen Ferien mit Spannung entgegensahen.

Sylvie erschien als erste am Frühstückstisch, gerade als die Mutter den Tee aufgegossen hatte. Dr. May war schon zu einem Patienten geholt worden.

„Wo bleibt denn Klaudia?“ fragte die Mutter und warf einen Blick auf die Uhr.

„Keine Ahnung.“ Sylvie bestrich ein Brötchen. „Macht sich wahrscheinlich noch schön.“

„Hoffentlich bummelt sie nicht zu lange. Wäre doch nicht recht, wenn sie gleich am ersten Tag zu spät in die Schule käme.“

„Keine Bange“, sagte Sylvie gleichmütig und biß in ihr Brötchen.

Auch die Mutter setzte sich jetzt an den Frühstückstisch, und während sie aßen, unterhielten sie sich über allerlei.

Aber Frau May war unruhig. „Ob ich nicht doch mal nach Klaudia schauen soll?“ fragte sie endlich.

„Ach, woher denn!“ Sylvie wischte sich den Mund ab und faltete ihre Serviette zusammen. „Klaudia ist doch kein Baby mehr.“

„Das nicht, aber.. “ Frau May unterbrach sich, denn in diesem Augenblick waren Schritte auf der Treppe zu hören. „Klaudia, bist du es? Na endlich! Komm rein, dein Tee wird schon kalt!“

Aber Klaudia erschien nicht auf der Bildfläche. „Tut mir wahnsinnig leid“, rief sie aus der Diele herüber, „ich habe mich ein bißchen verspätet, Mutti! Tschüs, bis später!“

Frau May fuhr hoch. „Du willst ohne Frühstück fort? „Das kommt ja gar nicht in Frage!“

„Ausnahmsweise, Mutti!“

Aber Frau May war nicht bereit, sich Klaudias Ausflüchte anzuhören. Sie sauste in die Diele und erwischte ihre Älteste gerade noch, als sie zur Haustür hinaus wollte. „Hiergeblieben!“ rief sie. „Ohne Frühstück in die Schule! Was sind denn das für neue Sitten?“ Und sie zog Klaudia in die Diele.

Sylvie war aufgestanden und starrte die Schwester mit offenem Mund an.

Klaudia bot tatsächlich einen bemerkenswerten Anblick.

Sie hatte sich die hellen Augenbrauen dunkel nachgestrichen und die Wimpern schwarz getuscht. Damit nicht genug, hatte sie blauen und silbernen Lidschatten aufgelegt und sich die Lippen hellrot angemalt.

„Wie siehst denn du aus?“ rief Frau May entsetzt. „Du bist wohl in den Tuschkasten gefallen?!“

„Nicht die Bohne“, gab Klaudia unerschüttert zurück, „ich habe nichts weiter getan, als meiner natürlichen Schönheit ein bißchen nachzuhelfen!“

Sylvie konnte nicht länger an sich halten, sie platzte laut heraus.

„Du mußt wahnsinnig geworden sein“, sagte die Mutter fassungslos.

„Wieso“, gab Klaudia zurück, „wie kommst du denn darauf? Gefalle ich dir etwa nicht?“

„Ja, weißt du denn nicht, wie du aussiehst?“

„Doch. Ich hab’ ja in den Spiegel geguckt.“ Klaudia packte ihre Schultasche fester und wollte sich möglichst unauffällig zurückziehen.

„Halt, hiergeblieben!“ rief Frau May.

„Aber ich muß doch in die Schule! Es ist höchste Eisenbahn!“

„Stimmt wahrhaftig“, rief Sylvie dazwischen, „also dann … bis heute mittag!“ Und sie wirbelte hinaus.

Klaudia wollte ihr nach.

Frau May hielt sie fest. „Du gehst nicht, ehe du dein Gesicht abgewaschen hast!“

„Aber, Mutti … dann komme ich doch zu spät!“

„Das ist mir in diesem Fall ganz und gar gleichgültig!“

„Und was soll ich sagen?“

„Am besten die Wahrheit! Nein, blieb hier! Da du so uneinsichtig bist, ist es wohl besser, ich bringe dein Gesicht in Ordnung!“

Frau May zerrte Klaudia ins Bad, drehte den Hahn auf und feuchtete den Zipfel eines Handtuches an. Dann machte sie sich daran, die Bemalung abzuwaschen.

Klaudia sträubte sich heftig. „Aua!“ schrie sie. „Wie kannst du nur! Mein Haar wird ganz naß … ich kriege ja Wimperntusche in die Augen … so eine Gemeinheit!“

Aber es nutzte alles nichts, Frau May gab sie nicht eher frei, als bis auch der letzte Rest Farbe verschwunden war.

„Jetzt guck mal in den Spiegel und sag mir, ob du dir nicht selber so besser gefällst!“

„Kann mir schon vorstellen, wie ich aussehe“, schimpfte Klaudia, „wie ein blankgescheuerter Kinderpopo!“

„Klaudia! Was für ein Vergleich!“

„Wenn’s doch wahr ist. Darf ich jetzt endlich gehen?“

„Willst du denn nicht frühstücken?“

„Als wenn dafür noch Zeit wäre!“ brummte Klaudia und ließ sich gerade noch herab, das fertige Pausenbrot in der Schultasche verschwinden zu lassen. „Also dann … bis nachher!“

Die Mutter sah ihr kopfschüttelnd nach.

Klaudia die Flirtkanone

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