Читать книгу Bleib doch, liebes Hausgespenst - Marie Louise Fischer - Страница 5
Amadeus ahnt nichts Gutes
ОглавлениеMonika erzählte zu Hause von ihrem Erlebnis im Regen. Andere Leute hätten es vielleicht unheimlich gefunden, aber die Schmidts – Hilde, die Mutter, Liane und Peter, Monikas ältere Geschwister – waren so an die Streiche des Hausgespenstes gewöhnt, daß sie darüber lachen konnten.
Amadeus ließ zum Zeichen, daß er anwesend war, die Teller auf dem gedeckten Tisch in der Wohndiele, dem Mittelpunkt des Hauses, tanzen. Monika bedankte sich freundlich bei ihm. Dann aber, als er die Suppenschüssel hochhob und durch den ganzen Raum fliegen ließ, entschloß sie sich, ein Machtwort zu sprechen.
„Genug für heute, Amadeus!“ rief sie. „Gib Ruhe! Wir wollen jetzt endlich essen, verstanden! Wenn du nicht sofort mit dem Unsinn aufhörst, passiert was!“
Sie hatte zwar selber keine Ahnung, was sie hätte unternehmen können, wenn Amadeus sich nicht hätte einschüchtern lassen. Aber zum Glück ließ er es nicht darauf ankommen, sondem verzichtete darauf, sich weiter bemerkbar zu machen und stellte die Suppenschüssel unversehrt wieder auf den Tisch zurück.
Alle atmeten auf.
„Der raubt mir noch den letzten Nerv!“ seufzte Liane, während sie ihren Löffel in die Suppe senkte. Liane war vor wenigen Tagen sechzehn geworden. Sie hatte eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Monika, aber sie wirkte hübscher. Ihre großen grünen Augen, die Monikas glichen, pflegte sie durch Tuschen der Wimpern und Nachziehen der ausgezupften Augenbrauen eindrucksvoller zu machen. Ihr Haar war hellblond und nicht rot wie Monikas, und sie war nicht spindeldürr wie die kleine Schwester, sondern ihre Formen hatten schon begonnen, sich reizvoll zu runden.
„Mich kann der schon lange!“ behauptete Bruder Peter, ein zwölfjähriger Junge mit struppigem blonden Haar, das, wie immer, in alle Richtungen auseinanderstrebte.
„Ihr solltet nicht so häßlich von Amadeus sprechen!“ schrie Monika und mußte schon wieder gegen Tränen kämpfen, die in ihr aufsteigen wollten.
„Du mit deinem Amadeus!“ erwiderte Liane abfällig.
Das Ölgemälde im Erker, der eine Stufe höher lag als der übrige Raum, begann zu wackeln. Dann löste es sich vom Haken und begann, quer durch den Raum zu fliegen. Es stammte aus dem 18. Jahrhundert und stellte einen Jungen mit weit auseinanderstehenden blauen Augen und einer weißen Perücke dar, sehr adrett gekleidet in einen blauen Seidenanzug, mit unter den Knien gebundenen Hosen, weißen Zwirnstrümpfen und schwarzen Schuhen mit silbernen Schnallen. Das Bild glich dem Hausgespenst, wenn es sich sichtbar machte, bis aufs I-Tüpfelchen, und Amadeus pflegte zu behaupten, eben dieser Junge zu sein.
„Schämt euch! Jetzt habt ihr ihn gekränkt!“ klagte Monika.
Die Mutter kam ihr zur Hilfe. „Ich finde auch, ihr solltet das lassen! Schließlich hat er euch nichts getan.“
„Im Gegenteil!“ rief Monika. „Ohne ihn hätten wir in diesem schönen Haus nicht mal zur Miete wohnen können … aber er hat alle anderen Leute vergrault! Und wenn er uns nicht den Schatz gezeigt hätte, hätten wir es niemals kaufen können.“
Liane ließ sich nicht beschwichtigen. „Ich pfeife auf das schöne Haus! Was hat man schon von einem Haus, in das man keine Leute einladen darf?!“
„Ach sei doch nicht so! Sicher kannst du das mal! Wenn du einen festen Termin angibst und ich vorher mit Amadeus spreche …“
Das Ölgemälde hatte eine Ehrenrunde durch den ganzen Raum hinter sich gebracht, um sich dann, so sanft, wie es sich gelöst hatte, wieder an den Haken zu hängen.
„Das wäre äußerst gnädig von deinem reizenden Gespenst“, sagte Liane in beißendem Ton.
„Es ist nicht mein Gespenst! Ich habe es nicht erfunden, das weißt du genau! Es war schon im Haus, als wir einzogen!“
„Das wissen wir doch alle“, sagte Frau Schmidt einlenkend, „laß dich nicht immer von den anderen provozieren, Monika. Sie wissen genau, daß sie allen Grund haben, dir und Amadeus dankbar zu sein.“
Monika schluckte ihre Tränen und lächelte der Mutter zu. „Danke, Mutti.“
„Und nun hört auf zu streiten und eßt die Nudelsuppe! Ich habe sie mit viel Liebe gekocht.“
„So schmeckt sie auch“, lobte Monika.
„Wenn ich glauben könnte, daß Sophia Loren ihre schlanke Linie wirklich den Spaghetti verdankt, würde ich sogar noch eine zweite Portion nehmen!“ erklärte Liane.
Alle lachten, und der Friede war wiederhergestellt.
Nach dem Essen machte Monika ihr Mittagsschläfchen. Sie hatte sich schon so dran gewöhnt, daß ihr, gleichgültig ob ihre Nachtruhe gestört worden war oder nicht, schon nach wenigen Minuten die Augen zufielen. Nach einer knappen Stunde erwachte sie von selber, dehnte und reckte sich, gähnte gründlich, fühlte sich erfrischt und stand auf. Danach kamen die Schularbeiten an die Reihe, und dann Kaspar, der große, bernhardinerartige Hund, der in einer gut ausgepolsterten Hundehütte wohnte. Er gehörte eigentlich Monikas Bruder, aber Peter nahm ihn auf seine Streifzüge in die Umgebung mit, bemühte sich auch gelegentlich, ihm Apportieren und andere Kunststückchen beizubringen. Doch er war zu bequem und zu vergeßlich, um Kaspar die tägliche Pflege angedeihen zu lassen, die ein Hund braucht, um sich wohl zu fühlen. So war es Monika, die für Kaspars Fütterung sorgte, und Monika, die ihn bürstete, ihm die Schlappohren saubermachte und die Nase eincremte.
In Begleitung von Kaspar, der freudig um sie herumsprang, lief sie dann in den Stall, um Bodo, den schweren Hannoveraner, aufzuzäumen. Bodo wieherte vergnügt, denn während der kalten Jahreszeit, wo er nicht draußen weiden konnte, war er immer besonders begierig auf einen Ausritt. Der sanfte Frühlingsregen störte weder ihn noch Monika oder Kaspar. Fast eine Stunde waren sie unterwegs, dann kamen sie durchnäßt, aber glücklich zurück. Monika rieb Bodo gründlich trocken, während Kaspar sich schüttelte, daß die Regentropfen nur so flogen. Sie nahm Kaspar mit ins Haus, weil er dort schneller trocken werden würde – in der Hoffnung, Amadeus würde sich zurückhalten. Denn wenn ein Tier die Nähe des Hausgespenstes spürte, sträubten sich ihm die Haare, und es wurde von Entsetzen gepackt.
„Laß dich bloß nicht blicken, Amadeus!“ rief sie mit geballter Faust ins Nichts hinein. „Sieh dir an, wie pudelnaß Kaspar ist! Du willst doch nicht, daß er sich erkältet? Also laß ihn gefälligst in Ruhe!“
„Mit wem sprichst du denn?“ fragte Frau Schmidt, die aus der Küche kam. Aber sofort überschaute sie die Situation. „Ach so. Ich verstehe. Nimm ein warmes Bad, Moni, und zieh frische Sachen an!“
Monika tat, wie ihr geraten war. Vergnügt aalte sie sich im warmen Wasser – bis ihr einfiel, daß sie etwas vorhatte. Sie gönnte sich noch eine kalte Dusche, sprang dann rasch aus der Wanne und zog sich an. Dann schlüpfte sie in ihre gelben Gummistiefel, lieh sich ohne viel zu fragen Lianes Regenmantel aus und bat die Mutter, ihr ihren Regenhut zu leihen.
„Was hast du vor?“ fragte Frau Schmidt.
„Ich will Vati entgegengehen.“
„Gibt’s was zu besprechen?“
„Ja.“ Monika, die keineswegs die Geheimnisvolle spielen wollte, holte den Block aus der Schublade, auf dem Frau Schmidt ihre Einkaufsnotizen zu machen pflegte. „Wegen Amadeus!“ schrieb sie auf den Zettel.
Frau Schmidt las die Mitteilung und riß sie dann rasch in kleine Fetzen – ganz sicher konnte man nicht sein, ob Amadeus am Ende auch noch lesen konnte. „Schon gut, mein Liebes“, sagte sie, „aber dann mußt du dich beeilen.“
Monika pfiff Kaspar. Aber der erhob sich nur sehr zögernd. Er war froh, daß er ein warmes Plätzchen im Haus gefunden hatte und hatte offensichtlich genug vom Regenwetter.
„Pfui, wie unsportlich, Kaspar!“ tadelte Monika ihn. „Aber von mir aus. Bleib, wo du bist. Beklage dich nicht, wenn Amadeus dich vergrault. Das hast du dir dann selber zuzuschreiben.“
Rasch gab sie der Mutter einen Abschiedskuß und lief ins Freie. Immer noch strömte das Wasser vom Himmel. Es war einer jener Landregen, die tagelang anhalten können. Monika machte er nichts aus. Mit weit ausholenden Schritten wanderte sie zielbewußt die schmale asphaltierte Straße entlang, die nach Heidholzen führte. Sie durchquerte einen kleinen Wald und pfiff dabei vor sich hin. Obwohl sie wußte, daß hier weit und breit keine Gefahr lauerte, war es ihr doch immer wieder ein wenig unheimlich, so ganz allein, ohne Kaspar und ohne Bodo, in freier Natur zu sein.
Als sie sich plötzlich gepackt fühlte, erschrak sie fast zu Tode. Kein Geräusch und kein Schritt hatte sie vor diesem Überfall gewarnt.
„Hilfe!“ schrie sie. „Lassen Sie mich los. Was fällt Ihnen ein!“
Sie trat nach hinten aus – aber da war kein Widerstand –, sie kämpfte mit aller Macht, um sich loszureißen. Starke Arme hielten sie unerbittlich umschlungen.
Nach wenigen Minuten – vielleicht waren es aber auch nur Sekunden – legte sich ihre Panik, und sie konnte wieder klar denken. Sie gab allen Widerstand auf, machte sich ganz schlapp und fragte: „Was wollen Sie eigentlich von mir?“
Darauf bekam sie keine Antwort, aber sie fühlte, wie sie zurückgezerrt wurde – nicht in den Wald, wie sie gefürchtet hatte, sondern in Richtung auf das Haus am Seerosenteich.
Monika versuchte, ganz ruhig zu atmen. Sie sah an sich herab. Deutlich fühlte sie die Arme, die sie umschlangen. Aber zu sehen war nichts von ihnen.
Plötzlich ging ihr ein Licht auf. „Amadeus! Du bist es!“ schrie sie. „Was soll der Unfug! Loslassen! Aber sofort!“
Auf der Stelle war sie frei.
Aufatmend rieb sie sich die Oberarme. „Amadeus, du solltest dich schämen!“ sagte sie streng. „Einem hilflosen jungen Mädchen im Freien aufzulauern! Das ist nun gar nicht mehr witzig. In Zukunft werde ich nie mehr ohne Kaspar Spazierengehen. Dann merke ich wenigstens rechtzeitig, wenn du in der Nähe bist.“ Entschlossen setzte sie ihren Weg fort.
Genau am Ende des Wäldchens stieß sie gegen eine unsichtbare Mauer. Sie versuchte, nach rechts, sie versuchte, nach links auszuweichen. Aber die Wand vor ihr wollte nicht weichen. Sie war nicht hart, nicht so hart, daß sie sich an ihr hätte stoßen können. Aber sie war einfach da, und sie war unüberwindlich.
„Ich weiß, daß du es bist, Amadeus!“ rief Monika. „Wahrscheinlich meinst du es gar nicht böse, es soll wohl ein Spiel sein … aber ich habe die Nase voll davon. Hör auf damit!“
Doch die unsichtbare Mauer blieb vor ihr stehen.
Monika versuchte es mit einer List. „Ah, jetzt verstehe ich, Amadeus. Hier ist die Grenze deines Reiches, wie? Über dieses Wäldchen kommst du nicht hinaus. Gib’s schon zu! Sonst würdest du dir nicht soviel Mühe geben, mich zurückzuhalten. Wahrscheinlich willst du nicht, daß ich allein mit Vati rede. Warum kommst du nicht einfach mit, wenn du kannst? Aber der springende Punkt ist … du kannst nicht!“
Von einer Sekunde zur anderen löste die unsichtbare Wand sich auf, und vor Monika war nichts mehr als der sanft strömende Regen, durch den sie ungehindert hindurchschritt.
Sie begann zu laufen, denn durch die Kämpfe mit Amadeus hatte sie Zeit verloren. Dabei überlegte sie. Es war natürlich möglich, daß Amadeus sie begleitete. Aber sie war sich ziemlich sicher, daß er es nicht tat. Ihr gegenüber pflegte er zwar vorzugeben, gänzlich frei zu sein. Aber sie hatte immer schon den Eindruck gehabt, daß er an das Haus am Seerosenteich und das Gebiet, das es umgab, gebannt war. Sein Reich hörte jenseits der großen Wiese an der Kreuzung auf, an der sie und Ingrid sich auf dem Schulweg morgens trafen und mittags wieder trennten, und auf der anderen Seite hinter der Schloßruine, die das Haus auf einem Hügel hinter dem Teich überragte. Jetzt hatte sie also noch einen dritten Grenzstrich gefunden: den Waldrand, von dem man schon den Weiler Heidholzen sehen konnte, fünf weiß gekalkte Bauernhäuser mit entsprechenden sogenannten „Beihäusern“, in denen die älteren Leute lebten und die auch an Sommergäste vermietet wurden.
Von hier aus lief die Straße durch Wiesen und Wälder geradewegs auf Heidholzen zu. In fünf Minuten hatte Monika den Ort erreicht, wanderte vorbei an dem natürlichen Brunnen, dessen Wasser auch im Frühlingsregen in den ausgehöhlten Baumstamm plätscherte. Flüchtig dachte sie an Ingrid, als sie am letzten Haus vorbeikam, in dem die Freundin mit ihren Eltern lebte.
Am Ortsausgang stellte sie sich auf. Sie hatte das Gefühl, reichlich Zeit verloren zu haben, aber gleichzeitig wußte sie, daß es dumm war, sich deswegen Sorgen zu machen. Es gab für ein Auto nur diese einzige Straße zum Haus am Seerosenteich, auf der sie gekommen war. Also konnte sie ihren Vater nicht verpaßt haben.
Erst wenige Minuten stand sie am Straßenrand, als ein kleiner roter Flitzer ein paar Meter vor ihr hielt.
Ein junger Mann streckte den Kopf aus dem heruntergekurbelten Wagenfenster und fragte: „Kann ich dich ein Stück mitnehmen?“ Er lächelte freundlich.
„Nein, danke“, erwiderte Monika mit Würde.
„Du willst nicht mitgenommen werden!? Warum stehst du denn dann im Regen herum?“
„Das geht Sie nichts an! Aber wenn Sie einen Rat von mir haben wollen …“
„Einen Rat!? Das wird ja immer schöner!“
„Sie sollten sich hüten, so ohne weiteres junge Leute von der Straße aufzulesen! Ich könnte ja eine Ausreißerin sein.“
Der junge Mann war erst verblüfft, dann lachte er noch breiter. „Vielleicht sollte ich dich bei der Polizei abgeben!“
„Danke. Das können Sie sich sparen.“
„Na dann. Wenn es dir Spaß macht, bis auf die Haut naß zu werden …“
Monika hielt es nicht der Mühe wert, darauf noch einmal zu reagieren. Der junge Mann kurbelte das Fenster wieder hoch und fuhr davon. Eigentlich war er ganz nett, dachte sie. Trotzdem mochte sie es nicht, von einem wildfremden Menschen aufgelesen zu werden. Nie im Leben würde sie zu einem Unbekannten ins Auto steigen. Was der sich nur eingebildet hatte!
Dann tauchte das wohlbekannte Auto ihres Vaters aus dem Regen auf.
Monika trat einen Schritt vor und winkte heftig. Das Auto hielt, Monika lief hinterher, Herr Schmidt öffnete die Tür von innen, und sie stieg ein.
„Hallo, Kleines!“ begrüßte er sie.
„Abend, Vati!“ Sie gab ihm einen Kuß auf die Wange.
„Herrje, bist du naß!“
„Nur äußerlich, Vati! Ich hab mir Lianes Mantel gemopst, wie du siehst. Im Anorak werden die Knie immer so naß.“
„Soll das heißen, daß du dir einen Regenmantel wünschst?“
„Nicht so wichtig. Wann regnet es denn schon mal so wie jetzt!“ Behaglich kuschelte sich Monika in den Sitz; den Regen von einem gesicherten Platz aus zu beobachten, war doch wesentlich angenehmer, als in ihm herumzustapfen.
Herr Schmidt schaltete einen anderen Gang ein und gab Gas. „Warst du bei Ingrid?“
„Nein. Ich habe nur auf dich gewartet. Vati, könntest du nach Gerretsried fahren statt gleich nach Hause? Du weißt, Amadeus
„Mutti wird sich Sorgen machen, wenn ich mich verspäte.“
„Nein, nein, ich habe ihr gesagt, daß ich dir auflauern will. Außerdem können wir zu Hause anrufen.“
„Und was soll ich in Gerretsried?“
„Nichts Besonderes. Wir brauchen gar nicht auszusteigen … außer zum Telefonieren! Ich möchte bloß was mit dir besprechen, und wenn du einfach geradeaus fährst, reicht die Zeit nicht.“
„Einverstanden!“ sagte der Vater. „Dann schieß los!“
Monika ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie erzählte ihrem Vater offen von den Sorgen, die sie sich um das Hausgespenst machte.
Sie erzählte auch von Norberts Vater, der ein Schriftsteller war und sich mit wissenschaftlich unerklärbaren Erscheinungen befaßt hatte. Wie Norbert sagte, interessierte er sich brennend für solche Dinge.
„Wenn Amadeus nun doch eine arme Seele ist, dann könnte er uns vielleicht helfen, sie zu erlösen … und wenn nicht, müßten wir überlegen, ob wir ihn bannen wollen oder nicht.“
„Ich dachte, Amadeus wäre dein Freund?“
„Ist er auch, ich hab ihn lieb. Ich werde auch nie vergessen, was er für uns getan hat. Aber es ist doch recht anstrengend, mit ihm zu leben, findest du nicht auch? Auf die Dauer kann ich doch nicht wie ein Baby jeden Mittag schlafen gehen, und wenn ich erst aufs Gymnasium gehe …“
„Du willst also doch? Ich dachte, du wüßtest das noch gar nicht?“
„Inzwischen ja. Ich hatte nur keine Gelegenheit, mit dir darüber zu reden. Es ist nicht nur wegen Ingrid und Norbert, die werden beide aufs Gymnasium gehen, sondern … ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll …“
„Leg einfach los.“
„Weißt du, Vati, ich habe die ersten Tests bestanden, und ich glaube, daß ich die zweiten auch schaffen werde. Natürlich ist Gymnasium nicht wichtig. Ich meine, es gibt alle möglichen Lebenswege, auf denen man es zu was bringen kann. Aber ich finde, es ist schlecht, wenn man weniger lernt, als man lernen könnte … nur so aus Bequemlichkeit …“
„Da stimme ich dir voll und ganz zu, Moni!“ sagte der Vater. „Wir haben ja schon darüber gesprochen. Du weißt, es hätte mir nichts ausgemacht, wenn du den Eintritt in die höhere Schule nicht geschafft hättest. Wir brauchen ja schließlich keine Akademikerfamilie zu werden. Mutti und ich hätten dich genauso lieb gehabt. Aber da es ja nun so aussieht, als wärst du begabt genug … da wäre es schon eine Schande, auf eine bessere Ausbildung zu verzichten.“
„Wirklich?“ Monika strahlte ihn an.
„Wirklich.“
„Auch wenn es dann länger dauert, bis ich was verdiene?“
„Mach dir darüber keine Gedanken. Eine gute Ausbildung ist wichtiger als schöne Kleider, Urlaubsreisen oder ein neues Auto.“
„Verreisen brauchen wir ja auch überhaupt nicht mehr, wo wir das schöne Haus auf dem Land haben!“
„Vielleicht würde uns ein bißchen Luftveränderung doch mal ganz guttun. Aber egal, das steht ja jetzt hier nicht zur Debatte. Du hattest etwas anderes sagen wollen. Was hat Amadeus mit dem Gymnasium zu tun?“
„Das ist so … ich fürchte, ich muß meinen ganzen Grips und meine ganze Kraft zusammennehmen, wenn ich mich da behaupten will. Dazu muß ich aber ausgeschlafen sein. Und wenn Amadeus mich Nacht für Nacht weckt … ich habe ja nichts gegen ihn, aber manchmal fühle ich mich morgens wie zerschlagen.“
„Das ist schlimm.“
„Ja, sehr. Alle die dummen Streiche, die er tagsüber ausheckt, die kann ich ja noch verkraften. Stell dir vor: Er wollte mich vorhin davon abhalten, mich mit dir zu treffen!“ Sie erzählte von ihrem Abenteuer im Walde.
„Das nenne ich stark“, sagte Herr Schmidt.
„Ja, zuerst habe ich mich regelrecht gefürchtet … bis ich merkte, daß es nur Amadeus war.“
Sie hatten Gerretsried erreicht.
Herr Schmidt warf einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. „Sehr spät ist es noch nicht, und wenn du sagst, daß Mutti weiß
„Daß ich mit dir sprechen wollte, ja!“
„Dann können wir uns das Telefonieren sparen! Oder hast du mir noch mehr zu berichten?“
„Norberts Vater, wenn wir ihm alles erklärten, wird bestimmt nichts verraten. Norbert sagt, er ist nicht so. Es wäre sehr nett, wenn du ihn einladen würdest.“
„Einverstanden. Sag mal, hat Norbert nicht auch eine Mutter?“
Monika wickelte eine Strähne ihres glatten roten Haares um den Zeigefinger und dachte nach. „Doch. Sicher.“
„Wie wäre es dann, wenn wir beide einladen würden? Vater und Mutter?“
„Ich weiß nicht, ob sie auch etwas von …“, Monika sprach das schwierige Wort sehr vorsichtig aus, „… Pa-rapsychologie versteht.“
Herr Schmidt lachte. „Braucht sie ja auch nicht. Trotzdem wäre es besser, wenn sie mitkäme, als Tarnung sozusagen.“
„Tarnung? Wozu?“
„Wie, meinst du, daß Amadeus reagieren würde, wenn er merkt, daß wir jemanden eingeladen haben, der etwas von Gespenstern versteht?“
„Darüber habe ich gar nicht nachgedacht.“ Monika biß sich auf die Unterlippe. „Also … entweder wird er einen tollen Klamauk anstellen … oder aber er verhält sich mucksmäuschenstill.“
„Ganz richtig. Entweder, oder. Aber ich meine, es wäre besser, wenn er sich bei dieser Gelegenheit natürlich verhalten würde! Dagegen könnte man einwenden, daß ein Gespenst nie natürlich“ ist …“
„,Wie gewöhnlich‘, meinst du“, warf Monika ein, „Amadeus Soll sich ganz wie gewöhnlich benehmen.“
„Ja, das wäre das beste. Findest du nicht auch?“
„Unbedingt! Und du hast recht … wenn wir ein Ehepaar einladen, wird sich Amadeus nicht so leicht etwas dabei denken. Mißtrauisch ist er leider sowieso. Sonst hätte er mich ja nicht aufzuhalten versucht. Er ahnt, daß ich etwas mit dir besprechen will, das ihn angeht, und das er nicht wissen soll.“
„Also abgemacht. Laden wir Norberts Eltern ein. Wie heißen sie eigentlich?“
„Stein.“
„Laden wir die Steins also ein. Zum Sonntagsnachmittagskaffee?“
„O ja.“
Herr Schmidt hatte gewendet, sie fuhren schon wieder durch Heidholzen und hätten das Wäldchen, in dem das Reich des Gespenstes endete, sehen können, wenn nicht ein dichter Regenschleier es verborgen hätte.
„Wenn ich nur wüßte, wie ich es Mutti beibringen soll!“ überlegte Herr Schmidt. „Telefonieren? Ihr einen Brief schreiben?“
„Gar nicht nötig!“ meinte Monika. „Sag es ihr … so ganz obenhin. Sie weiß ja, daß Norberts Vater sich mit Pa-ra-psychologie beschäftigt. Sie wird’s sofort kapieren.“
„Du hast eine große Meinung von deiner Mutter, wie?“
„Ja, sicher! Und von dir auch, Vati!“ Monika gab ihm einen raschen Kuß auf die Wange. „Nicht alle Eltern sind so wie ihr, weißt du. Das habe ich schon herausbekommen. Es gibt große Unterschiede. Solche wie euch kann man lange suchen.“ Sie schmiegte sich an seine Schulter. „Aber jetzt … pst!“ Sie legte den Finger auf die Lippen. „Da vorn im Wäldchen ist es nicht mehr geheuer … du weißt schon! Feind hört mit!“