Читать книгу Gitta, der kleine Star - Abenteuer beim Film - Marie Louise Fischer - Страница 5

Das Abenteuer beginnt

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Montag nachmittag gingen Gitta, Susy und Regine, nachdem sie zu Mittag gegessen und die Schularbeiten gemacht hatten, auf die Straße. Der Vater mußte eine Besorgung machen.

Die Mutter hängte Gitta die Haustür- und Wohnungsschlüssel an einer Kordel um den Hals.

Als Gitta am Kino vorbeikam, rief Herr Reitmeier von weitem: »Hallo, Gitta!« Gitta lief zu ihm hin. Manchmal durfte sie Briefe für ihn zur Post tragen.

Aber heute hatte Herr Reitmeier etwas ganz anderes im Sinn. Er zog eine zusammengefaltete Zeitung aus der Tasehe: »Hier … Gitta … lies das!« Er deutete auf einen kleinen Artikel, den er rot angestrichen hatte.

»Über dreihundert Vorschläge sind für die Besetzung der weiblichen Kinderrolle in dem Film ›Der schwarze Christian« bei der corona Film GmbH eingegangen. Die Fotografien wurden sorgfältig geprüft. Zwanzig der kleinen Anwärterinnen sind zu Probeaufnahmen in das Filmatelier bestellt worden.«

»Das wäre was für dich gewesen!« schmunzelte Herr Reitmeier.

»Darf ich das noch einmal lesen?« bat Gitta ganz aufgeregt. Sie las die Notiz ein zweites und schließlich ein drittes Mal von vorne bis hinten. »Was für ein Kind wird denn gesucht?« fragte Gitta mit brennendem Interesse.

»Ein blondes Mädchen von ungefähr zehn Jahren.«

»Zehn Jahre bin ich!« überlegte Gitta laut, »und blond bin ich auch!«

»Ja!« Herr Reitmeier überließ Gitta die Zeitung. »Das wäre etwas für dich gewesen!«

»Ist es schon zu spät?«

»Leider. Da steht es ja schwarz auf weiß: ›Die Vorschläge sind geprüft – und zwanzig kleine Mädchen für die Probeaufnahmen sind ausgesucht worden!««

»Wer hat denn die Vorschläge und Fotografien eingeschickt?«

»Die Eltern sicher – oder auch die Lehrer. Das weiß ich auch nicht so genau!«

»Vielleicht auch die kleinen Mädchen selber?«

»Das glaube ich kaum! Die Aufforderung hat ja nur in einer Fachzeitschrift gestanden. Und diese Zeitung lesen nur Leute, die mit dem Film zu tun haben!«

»Das ist aber doch nicht richtig«, protestierte Gitta, »so etwas gehört doch in eine Kinderzeitung!«

»Haha! Was glaubst du, wieviel kleine Mädchen sich dann gemeldet hätten?«

Gitta dachte einen Augenblick nach. Dann lachte sie: »Wahrscheinlich alle!«

»Na, siehst du! Und alle sind zuviel!«

»Schade!« Gitta trat vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen. »Aber … hätten Sie mich nicht vorschlagen können, Herr Reitmeier?«

»Doch, das hätte ich«, gab Herr Reitmeier zu, »aber ich wußte damals noch nicht, daß du Filmschauspielerin werden willst. Und man muß ja auch die Fotografien einschicken!«

»Oh! Fotografien habe ich viele!« rief Gitta. »Vati fotografiert ja sehr viel. Fotografien habe ich genug!«

»Gut, Gitta!« Herr Reitmeier betrachtete seine kleine Freundin. »Das nächste Mal, wenn so was in der Zeitung steht – werde ich bestimmt an dich denken.«

Gitta hatte die Zeitung noch immer in der Hand. »Wo ist denn das Filmatelier?«

»Vor der Stadt … In der Gasteige … Weißt du das nicht?«

»Wie kommt man nach der Gasteige?«

»Mit der Straßenbahn … Die Linie sechsundzwanzig fährt direkt bis zum Eingang.«

»Hm!« Gitta überlegte und drehte sich auf dem Schuhabsatz: »Was soll ich tun?«

»Du willst doch nicht etwa aufs Geratewohl nach der Gasteige fahren? Das hat keinen Sinn, Gitta. Du würdest überhaupt nicht hineingelassen werden.«

Gitta seufzte enttäuscht. »Schade.«

»Aber Gitta, du darfst nicht traurig sein! Hörst du? Ich habe dir das nur gezeigt, damit du siehst, daß du eines Tages auch vielleicht mal Glück haben kannst!«

Gitta lächelte tiefsinnig: »Ja … ja … ohne Glück soll man halt nicht auf der Welt sein! Auf Wiedersehen, Herr Reitmeier! Und: Danke schön!«

Gitta trabte nach Hause. Als sie vor der Haustür stand, war ihr Entschluß gefaßt.

Gitta öffnete im Schlafzimmer den Kleiderschrank. Sie nahm den neuen Jeansrock vom Bügel, der so gut zu ihrem roten Pullover paßte.

Schnell lief sie ins Badezimmer, wusch sich Gesicht und Hände – auch Hals und Ohren, obwohl sie ganz sauber waren. Aber sicher ist sicher. Dann warf sie einen Blick in den Spiegel. Sie war mit ihrem Aussehen sehr zufrieden. Dann suchte sie ihr Geldtäschchen, das sie im hintersten Winkel ihrer Spielecke versteckt hatte, damit sie selber nicht daranging. Es enthielt ihr erspartes Geld. Den ganzen Inhalt schüttete Gitta vor sich auf den Tisch. Es waren genau zwanzig Mark. Sie tat noch die Schlüssel mit der Kordel hinein.

Gitta ließ die Wohnungstür hinter sich ins Schloß fallen. An der Haustür blieb sie stehen und schaute nach allen Seiten, doch weder Susy noch Regine waren zu erblicken. Das war gut so. Gitta wollte nicht gefragt und auch nicht aufgehalten werden. Sie hatte es sehr eilig.

So schnell sie konnte, lief Gitta zum Laubplatz, dort blieb sie vor einem großen eleganten Friseurladen stehen. »Damen- und Herren-Frisier-Salon – Parfümerie«, war da zu lesen. Entschlossen öffnete Gitta die Glastür. – Es klingelte. Gitta wollte schon wieder zurück. Aber eine Stimme sagte: »Guten Tag, gnädige Frau.«

Oh, wie fein war alles hier! Schöne, weiche Teppiche lagen auf dem Boden. Und wie gut es roch!

Hinter einem Ladentisch – er war ganz aus Glas – stand eine schöne Dame. Gitta faßte sich ein Herz und ging auf die Dame zu. »Bitte … könnte ich wohl … Ich möchte meine Haare schneiden lassen.«

»Bitte!« Die Dame kam hinter dem Ladentisch hervor und schob Gitta durch einen seidenen Vorhang. »Herr Leimer!« Aus einer Kabine, vor der auch ein seidener Vorhang hing, kam ein junger Mann in weißem Mantel.

»Bitte sehr – womit kann ich dienen?«

»Bitte, wollen Sie diesem kleinen Fräulein die Haare schneiden?«

Herr Leimer machte eine einladende Handbewegung: »Bitte sehr … Hier ist eine freie Kabine, mein Fräulein.«

Gitta trat in die Kabine und setzte sich in einen Sessel. Sie versank in dem Sessel und kam sich sehr klein vor. In einem riesengroßen Spiegel konnte sie alles sehen – sich selber, den Herrn Leimer, der ihr langes Haar kämmte, bis es locker: war.

»Wie kurz möchte das Fräulein das Haar tragen?« fragte der Friseur. Herr Leimer hielt eine gewaltige, blitzende Schere in der Hand. Er drückte die Schere an das Haar. »So … vielleicht? So …?« machte er und schnitt mit der Schere schnipp-schnapp in die Luft hinein. Gitta bekam einen furchtbaren Schreck und Wurde ganz blaß.

Voll Entsetzen rief sie: »Nein! Nein!« rutschte vom Sessel herunter und – rannte durch den Vorhang und durch den Laden – hinaus auf die Straße. Herr Leimer schaute ihr verblüfft nach. Noch auf der Straße lief Gitta im Galopp weiter. Sie fürchtete, Herr Leimer wäre mit der Schere hinter ihr her. Sie lief und lief, bis sie außer Atem stehenblieb und verschnaufte.

Warum war sie weggelaufen? Sie hatte es doch nicht über sich gebracht, das schöne lange Haar, auf das ihr Vater so stolz war, abschneiden zu lassen. Vati wäre bestimmt sehr traurig gewesen.

Gitta kämmte sich mit den Fingern die Haare und band sie im Nacken zusammen. Bald sah sie genauso aus wie vor ihrem Besuch beim Friseur.

Wo war sie eigentlich? Gitta sah sich um und merkte plötzlich: von hier aus waren es nur ein paar Schritte bis zur Straßenbahnhaltestelle der Linie sechsundzwanzig.

Unternehmungslustig stieg das Mädel in die nächste Bahn ein. Viele Menschen standen. Es war nicht leicht, sich bis zur Mitte durchzuschlängeln. Gitta stand ganz eingezwängt und bekam kaum Luft. Die Straßenbahn fuhr und hielt immer wieder an. Wenn die Bahn bloß nicht in eine falsche Richtung fuhr?

Sie zupfte einen Herrn, der neben ihr stand, am Ärmel. Er merkte es nicht. Gitta mußte stärker zupfen. Er schaute zu ihr hinunter: »Bitte?«

»Entschuldigen Sie, bitte, fährt die Bahn zum Filmatelier?«

»Ja!«

»Danke schön!« Die Bahn hielt wieder an. Gitta versuchte sich festzuhalten. Dabei trat sie einem Fahrgast auf den Fuß. »Au! – Paß doch auf!«

An jeder Station stiegen Menschen ein und aus. – Gitta bekam einen Sitzplatz. Sie saß dem Herrn gegenüber, der ihr vorhin die Auskunft gegeben hatte. Neben diesem Herrn saß eine ältere Dame mit einer Einkaufstasche.

Der Schaffner, der sich bisher nicht hatte durchdrängen können, kam kassieren. Der Herr und die ältere Dame hatten Dauerkarten. Gitta verlangte: »Bitte, einmal bis zum Filmatelier!«

»Achtzig Pfennig!« Der Schaffner hielt ihr den Fahrschein vor die Nase.

Gitta wollte bezahlen. Aber – o Schreck – sie fand das Geldtäschchen nicht.

»Mein Geldtäschchen ist weg!« rief sie entsetzt.

Der Herr gegenüber beugte sich zu Gitta: »Du hast es sicher zu Hause liegen lassen.«

»Nein. Ganz bestimmt nicht. Ich hatte das Geldtäschchen vorhin noch. Zwanzig Mark waren drin und außerdem die Schlüssel!«

»Vielleicht hast du es hier im Wagen verloren?« Der Schaffner suchte den Fußboden ab.

»Ich weiß! Ich weiß!« Gitta stand auf. »Beim Friseur! Beim Friseur habe ich das Täschchen liegen lassen! O Gott, hoffentlich kriege ich es wieder!«

Der Schaffner überlegte: »Ja – was machen wir mit dir?«

»Ich werde an der nächsten Haltestelle aussteigen, Herr Schaffner.«

»Alles ganz schön und gut«, meinte der Schaffner und hielt Gitta zurück. »Wir sind schon weit draußen. Du kannst doch nicht den langen Weg zu Fuß zurückgehen?«

»Ich will auch nicht zurück. Ich will in das Filmatelier Gasteige –«

»Was willst du im Filmatelier?«

»Filmschauspielerin will ich werden!«

Der Schaffner lachte. »Sonst weiter nichts?«

»Sonst nichts.« Der Herr, der Gitta gegenübersaß, lachte auch.

»Warum lachen Sie? Das ist nicht zum Lachen!« Gitta standen die Tränen in den Augen.

»Wissen deine Eltern von deinem Plan?« fragte eine ältere Dame, die Einkaufstasche auf den Knien.

»Nein! Es – es soll doch eine Überraschung werden!« jammerte Gitta.

»Eine schöne Überraschung«, empörte sich die Dame. »Weine nicht! – Ich zahle dir den Fahrschein und gebe dir auch das Geld für die Rückfahrt, aber – du mußt mir versprechen, bei der nächsten Haltestelle auszusteigen und dann sofort nach Hause zu fahren!«

»Danke.« Gitta trocknete sich die Augen. »Ich will aber in das Filmatelier! Vielen Dank!«

Die alte Dame wurde ärgerlich: »Diese Kinder! Da kann man wirklich nur seinem Schöpfer danken, daß man keine hat!«

Gitta guckte verwundert: »Mein Vati und meine Mutti haben aber Kinder sehr gern.«

Der Schaffner beugte sich zu Gitta: »Hör mal, kleines Fräulein, ich mache dir einen anderen Vorschlag! Ich schenke dir den Fahrschein und bezahle ihn selbst … und du gibst mir dann, wenn du erst Filmschauspielerin geworden bist, für deinen Film eine Freikarte. Einverstanden?«

»O ja!« lachte Gitta vergnügt. »Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Schaffner!«

»So eine Unvernunft!« seufzte die Dame mit der Einkaufstasche. »Wie kann ein erwachsener Mann nur so unvernünftig sein!«

Der Schaffner war schon weitergegangen. Gitta sah zum Fenster hinaus. Sie war froh, daß sie ihren Fahrschein hatte. Der Herr, der ihr die Auskunft gegeben hatte, fragte sie plötzlich: »Wer hat dich ins Filmatelier bestellt?«

Gitta antwortete nicht. Der Herr tippte Gitta auf die Schulter: »He, du! Ich rede mit dir!«

Gitta sah ihn hochmütig an: »Ich darf mich nicht mit fremden Herren unterhalten. Das hat meine Mutti gesagt!«

»Die Kleine hat ganz recht«, mischte sich die ältere Dame ein. »Das sollten Sie auch wissen!«

»Ich wollte ihr nur sagen, daß sie in das Atelier nicht hineinkommt, wenn sie nicht bestellt ist!«

»Das hat Herr Reitmeier auch gesagt!« bestätigte Gitta. »Stimmt das wirklich?«

»Wer ist Herr Reitmeier?«

»Herrn Reitmeier gehört das Kino bei uns an der Ecke!«

»Herr Reitmeier hat dir also gesagt, daß du nicht so ohne weiteres in das Atelier hineinkommst. Ja, da hat er recht gehabt! Warum bist du trotzdem gefahren?«

»Weil ich Filmschauspielerin werden will!«

Die ältere Dame nahm ihre Einkaufstasche unter den Arm und stand auf: »Sie sehen doch, daß es keinen Zweck hat, diesem Kind im guten zuzureden. Es ist ein Skandal!«

Die Straßenbahn hielt. Die ältere Dame stieg aus.

»Gut, daß diese Tante weg ist!«

»Sie hat es mit dir nur gut gemeint.«

»Aber wenn ich doch Filmschauspielerin werden will! Alle sagen immer, das geht nicht, und da wird nichts draus! Aber es gibt doch Kinder, die Filmschauspieler sind, und was die können, kann ich auch!«

»Wollen wir’s hoffen. Nun erzähl mir aber mal … wie bist du auf die Idee gekommen, zum Filmatelier zu fahren?«

»Herr Reitmeier hat mir eine Zeitung gezeigt, da stand drin, daß ein Mädchen für eine Filmrolle gesucht wird. Blond soll es sein und zehn Jahre alt! Und ich bin blond und gerade zehn Jahre alt!«

»Ach so. Du meinst die Hauptrolle in dem großen Kinderfilm: ›Der schwarze Christian.«

»Ja! So heißt der Film!«

»Warum hast du nicht an die Filmgesellschaft geschrieben und eine schöne Fotografie von dir eingeschickt?«

»Dazu war es schon zu spät! In der Zeitung stand doch, die Kinder für die Probeaufnahmen wären ausgesucht!«

»Stimmt! Heute werden die Probeaufnahmen gemacht!«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil ich dabei bin!«

»Sind Sie ein Schauspieler?«

»Nein.«

»Sind Sie ein Regisseur?«

»Nein! Ich bin Standfotograf!«

»Was ist das, ein Standfotograf?«

»Ein Standfotograf macht die Aufnahmen, die in den Kinoschaukästen hängen!«

»Werden die nicht aus dem Film genommen?«

»Nein! Die Fotos müssen extra geknipst werden!«

»Ach so!« Gitta war nachdenklich geworden. Sie spielte mit ihrem Fahrschein.

»Na? Hast du dir’s überlegt? Willst du nicht doch lieber heimfahren?«

»Nein! Mir ist etwas eingefallen!«

»So! Was denn?«

»Sie können doch in das Atelier hinein?«

»Natürlich! Ich muß sogar hinein!«

»Bitte, bitte, bitte …!« Gitta sah den Herrn flehend an. »Bitte, nehmen Sie mich mit.«

»Das könnte ich schon. Aber ich fürchte – es nützt dir nicht viel. Der alte Knurrhahn wirft dich bestimmt gleich hinaus!«

»Wer ist der alte Knurrhahn?«

»Der Regisseur!«

»Zu dem will ich ja! – Bitte, nehmen Sie mich mit hinein!«

»Na schön. Wie heißt du denn?«

»Gitta.«

»Und ich heiße Peter Paul!«

»Peter und Paul?«

»Mit dem Nachnamen Paul und mit dem Vornamen Peter!«

»Das ist aber drollig!«

Die Straßenbahn hielt. »So! Hier müssen wir aussteigen.« Herr Peter Paul stand auf.

Gitta lief wie ein kleines Hündchen hinter ihm her.

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