Читать книгу Daniela und der Klassenschreck - Marie Louise Fischer - Страница 6

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Daniela Wilde wohnte mit ihren Eltern und ihrem Bruder Manfred, der schon achtzehn Jahre alt und fast ein junger Herr war, in einem schönen Einfamilienhaus. Es lag in einem großen, gepflegten Garten und galt in diesem Teil der Stadt, wo es sonst nur Geschäftsstraßen mit Miethäusern, Läden, Büros und Werkstätten gab, beinahe als Sehenswürdigkeit.

Herr Wilde hatte sein Haus hier bauen lassen, weil er möglichst nahe bei seinem Werk und, sooft es ging, mit seiner Familie zusammen sein wollte. Eine kleine Tür führte vom Garten in das Fabrikgelände hinüber, wo in großen hellen Räumen Zeltplanen, Regenmäntel, Faltboote und dergleichen hergestellt wurden.

Daniela war oft in der Fabrik, denn alles, was sich sehen und betasten ließ, interessierte sie weit mehr als das Wissen, das man aus Büchern schöpfen kann. Sie war mit jedem einzelnen der Fabrikationsgänge vertraut, sie kannte jeden der Arbeiter, Arbeiterinnen, Meister, Künstler, Angestellten und Ingenieure. Für sie war die Fabrik eine Art zweites Zuhause.

Auch an diesem Nachmittag trieb sie sich eine ganze Weile dort herum. Sie konnte es sich nicht nehmen lassen, einen neuen Zelttyp zu begutachten, das sogenannte Winterzelt, das zur Übernachtung für Skifahrer gedacht war. Sie diskutierte mit dem Werkmeister und ein paar Arbeitern heftig über die Vor- und Nachteile einer solchen Übernachtungsmöglichkeit. Erst als die anderen wieder an die Arbeit gingen, fiel ihr ein, daß ja sie selber noch Schulaufgaben zu machen hatte.

Sie trollte sich nach Hause, kam aber nicht weit, weil im Garten Herr Hüter, der als Gärtner und Chauffeur bei Wildes arbeitete, damit beschäftigt war, die abgeblühten Sträucher zu beschneiden und zu versetzen.

„Kann ich helfen, Hütchen?“ fragte sie eifrig, und Herr Hüter, der gern Gesellschaft hatte, sagte ja.

Danielas Hilfe bestand zwar mehr aus Schwatzen als aus Arbeiten, aber jedenfalls verging den beiden die Zeit wie im Fluge. Daniela war ganz überrascht, als die Kirchturmuhr vier schlug.

„O verflixt, Hütchen“, sagte sie, „tut mir leid, Sie müssen allein fertig werden. Ich hab noch keine Schulaufgaben gemacht.“

„Na, dann wird’s aber Zeit!“

„Kann man wohl sagen!“ Daniela warf dem Gärtner-Chauffeur noch einen strahlenden Blick zu, dann rannte sie zum Haus.

Sie hatte es noch nicht erreicht, als sie Irene und Carola vor der Gartentür stehen sah. Sofort änderte sie ihren Plan und lief zu ihnen hin. „Menschenskinder! Na endlich!“ rief sie schon von weitem. „Wenn ihr früher gekommen wärt, hätten wir noch draußen spielen können!“ Sie riß die Gartentür auf. Die beiden Freundinnen traten ein. „Ging nicht früher“, sagte Irene, „ich bin erst jetzt mit Französisch fertig geworden.“

„Ich auch!“ sagte Carola. „Richtige Gemeinheit, einem so viel am ersten Tag aufzugeben.“

„Hast du’s schon?“ fragte Irene.

„Ich?“ Daniela runzelte die Stirn. „Nö. Keine Zeit gehabt.“

„Aber Dany!“ sagte Carola mahnend. „Wo du grade noch eben eine Vier bekommen hast! Ich schwör’s dir, Fräulein Lautenschlaeger macht Ernst. Wenn du dich dieses Jahr nicht auf die Hinterbeine setzt, dann läßt sie dich fallen.“

„Da kannst du Gift darauf nehmen!“ bestätigte Carola.

„Ich denke gar nicht daran. Ich bin doch nicht lebensmüde!“ Daniela lachte ausgelassen.

„Du machst dir’s leicht, das muß ich schon sagen“, tadelte Irene.

„Na und? Warum nicht? Warum soll ich’s mir schwer machen?“ Daniela faßte ihre beiden Freundinnen links und rechts unter den Arm, setzte sich in Richtung auf die Haustür in Bewegung. „Macht mir jetzt bloß nicht auch noch die Hölle heiß, das besorgen die Erwachsenen in vollem Maße.“

„Wir meinen’s ja nur gut mit dir, Dany!“ sagte Carola.

„Wenn du sitzenbleibst, das wäre eine Katastrophe für die ganze Klasse!“ erklärte Irene.

„Himmel, Kinder! Jetzt fangt ihr aber an, mir auf die Nerven zu gehen! Das Schuljahr hat ja erst angefangen.“

„Aber du hast versprochen, dich zu bessern!“

„Ab morgen!“ sagte Daniela ungerührt. „Jetzt spielen wir erst mal ’ne zünftige Partie Tischtennis, ja? Wenn ihr früher gekommen wäret, hätten wir das Krocket aufbauen können, aber jetzt wird’s schon bald dunkel.“

„Dany“, sagte Carola eindringlich, „wäre es nicht wirklich besser, du würdest erst deine Schulaufgaben machen?“

„Erst? Dann bleibt uns ja keine Zeit zum Spielen.“

„Aber wenn du morgen ohne Französisch in die Schule kommst …“, begann Irene.

„Werd ich schon nicht“, unterbrach Daniela sie vergnügt. „Macht doch bloß nicht so lausige Gesichter. Statt mich zu beschimpfen, wäre es gescheiter gewesen, mir euer Französisch gleich mitzubringen. Ihr habt’s ja, da brauch ich’s bloß noch abzuschreiben.“

„Na, weißt du“, sagte Carola nicht sehr erfreut, „du hast vielleicht Begriffe! Wir müssen uns mit dem Quatsch rumquälen, und du?“

„Wenn ihr nicht wollt, laßt es bleiben!“ sagte Dany. „Ich dachte, es läge euch so viel daran, daß ich mich in Französisch bessere.“

„Ja, daß du lernst, aber nicht, daß du einfach abschreibst!“

Daniela riß die großen blauen Augen auf. „Ich verstehe euch gar nicht“, sagte sie, „was habt ihr heute? Was ist los mit euch? Es ist doch ganz wurscht, ob man lernt oder abschreibt. Hauptsache ist doch, man bleibt nicht hängen, oder?“

„Gib es auf, Carola“, sagte Irene, „du siehst ja, es hat keinen Zweck. Außerdem, was geht es uns an! Solange Dany nicht sitzenbleibt, ist ja wirklich alles in Ordnung.“

„Na endlich! Gut, daß ihr’s einseht! Können wir jetzt spielen?“

Die drei Freundinnen verbrachten ein paar sehr vergnügte Stunden miteinander. Dann war es für Carola und Irene Zeit, heimzugehen. Frau Baum, die Haushälterin, rief Daniela zum Abendessen.

Daniela wusch sich die Hände, bürstete sich die blonden Locken und erschien strahlend im Eßzimmer. Sie hatte ihre Eltern seit dem Frühstück nicht mehr gesehen. Frau Wilde war beim Friseur gewesen und bei der Schneiderin, hatte Einkäufe gemacht und in der Stadt zu Mittag gegessen, sich am Nachmittag mit ein paar Freundinnen getroffen. Herr Wilde war den ganzen Tag in der Fabrik gewesen.

Daniela lief zu ihm hin, drückte ihr Gesicht an seine Wange, küßte ihn zärtlich: „’n Abend, Papi! Du … also eines muß ich dir sagen, euer neues Schmeezelt ist eine Wucht!“

„Ja, gefällt es dir, mein Wirbelwind?“

„Und ob! Du, Papi, das möchte ich glatt mal ausprobieren! Am besten wär’s … ich meine, wenn es erst richtig kalt ist …“

„Also bitte, möchtest du nicht auch mir guten Abend sagen?“ unterbrach Frau Wilde sie mit freundlichem Tadel.

„Oh, entschuldige, Mam! Nimm’s nicht persönlich!“ Vergnügt lief Daniela zu ihrer Mutter, küßte sie mit der gleichen Innigkeit. „Es ist bloß … dieses Winterzelt ist wirklich eine tolle Sache! Es läßt sich heizen, du, stell dir vor. So was war noch nicht da!“

Manfred, der große Bruder, grinste. „Du wirst mal später eine gute Vertreterin abgeben, Dany“, sagte er. „Wenn auch sonst nicht viel mit dir los ist, reden kannst du!“

„Manfred!“ schrie Daniela empört. „Wie kannst du das behaupten?“

„Na hör mal … Daß du wie ein Wasserfall redest, muß dir doch schon selber aufgefallen sein!“

„Daß sonst nichts mit mir los ist, hast du gesagt.“

Er lachte. „Setz dich schon, Dany, mir gefällst du so, wie du bist. Ich könnte mir eine üblere Schwester denken.“

„Danke“, sagte Daniela. Sie setzte eine gekränkte Miene auf und hüllte sich die nächsten Minuten in Schweigen, obwohl es sie eine ungeheure Anstrengung kostete. Aber niemand schien ihre Zurückhaltung zu bemerken.

„Na, Dany“, sagte der Vater endlich, „was gibt’s Neues? Heute war der erste Schultag, wenn ich mich nicht irre, nicht wahr?“

„Danke, gut.“

„Na, sag mal, was ist das für eine Antwort! Glaubst du, daß man sich darunter etwas vorstellen kann?“

„Ich dachte, ich rede zuviel!“ platzte Daniela heraus. „Deshalb wollte ich …“

Alle lachten.

„Euch kann man es eben nicht recht machen!“ sagte Daniela. Aber es war ihr nicht möglich, ihre ernste Miene beizubehalten. Sie lachte mit.

„Nun, wie ist es?“ sagte Frau Wilde. „Vater hat dich etwas gefragt! Wie war es in der Schule? Hat es Veränderungen gegeben, andere Lehrer?“

„Nö“, sagte Daniela, „überhaupt nichts.“ Dann erst fiel ihr die neue Mitschülerin wieder ein. „Oder doch“, sagte sie rasch, „wir haben eine Neue in die Klasse bekommen. Sabine Kern heißt sie. Also das ist eine, sag ich euch! So was habt ihr noch nicht erlebt! So eine mit Brille,’ne richtige Streberin!“

Und sie zog dazu ein Gesicht.

„Findest du nicht selber, daß du ein bißchen voreilig urteilst?“ sagte die Mutter. „Wenn jemand eine Brille tragen muß, so hat das etwas mit den Augen zu tun, aber doch nicht mit dem Charakter.“

„Bei der schon!“ sagte Daniela mit vollem Munde. „Ihr habt ja keine Ahnung! Wie die sich aufgeführt hat … Nicht zu schildern! Sie ist eine Angeberin allererster Güte. Alles weiß sie, alles kann sie, alles versteht sie besser. Einfach widerlich!“

„Na, mir scheint, du könntest dir von diesem Mädchen was abpausen, Dany“, sagte Herr Wilde, „ich wäre gar nicht traurig, wenn du endlich anfingst, ein bißchen gescheiter zu werden.“

„Aber das tu ich doch, Paps, bitte, sei nicht ungerecht! Schließlich bin ich noch nie sitzengeblieben! Nicht ein einziges Mal! Das ist der Beweis dafür, daß ich lerne und daß ich immerzu gescheiter werde. Aber so eine wie die, die würde ich dir bestimmt nicht als Tochter wünschen. Oder doch. Mal zur Abwechslung, für vierzehn Tage. Dann wüßtest du erst mal, was du an mir hast!“

„Na, na, na!“ sagte Herr Wilde. „Nicht so vorlaut, Dany.“ — Es war ihm anzusehen, daß er nicht ernsthaft ärgerlich war.

„Ein gräßliches Wesen“, sagte Daniela und schüttelte sich. „Und so was nennt sich Sabine!“ Plötzlich hatte sie einen Einfall, und ihr Gesicht hellte sich auf. „Ich weiß, wie sie heißen müßte. Nicht Sabine, sondern Mistbiene. Das wäre der passende Name für sie! Ihr könnt’s mir glauben, sie ist eine richtige Mistbiene!“

„Deine Kenntnisse in Zoologie sind erstaunlich“, sagte Manfred belustigt. „Willst du mir vielleicht mal erklären, was das für ein Insekt sein soll?“

„Hör auf damit!“ mahnte die Mutter. „Ich möchte jetzt nichts mehr darüber hören. Ich bin sicher, du tust diesem neuen Mädchen unrecht, Dany.“

„Ganz bestimmt nicht!“

„Auf jeden Fall, ob sie nun nett oder weniger nett ist, sie geht von nun an in eure Klasse, du mußt dich mit ihrer Gegenwart abfinden. Zum Geburtstag wirst du sie natürlich auch einladen.“

„Ich denke nicht daran!“

„Dany, nun hör mal“, sagte der Vater. „Du willst doch, wie jedes Jahr, die ganze Klasse einladen, wie? Siehst du denn nicht ein, daß es unmöglich ist, eine einzige auszuschließen?“

„Ich mag diese Mistbiene nicht“, sagte Dany mit ungewohnter Heftigkeit. „Ich mag sie nicht. Wirklich nicht.“

„Nun gut“, sagte Frau Wilde, „wir wollen dich natürlich zu nichts zwingen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß du sehr viel Freude an deinem Geburtstag haben wirst, wenn du weißt, daß ein Mädchen deinetwegen unglücklich ist. Oder ist dir das etwa gleichgültig?“

„Nein“, sagte Dany zögernd, „das natürlich nicht!“ Sie biß sich auf die volle Unterlippe, dann strahlte ihr Gesicht wieder auf. „Schließlich ist es ja ganz egal“, sagte sie vergnügt. „Wenn ihr meint, lade ich sie mit ein. Vielleicht benimmt sie sich ganz menschlich!“

Daniela und der Klassenschreck

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