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Was wird aus Ulrikes Theaterstück?

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Fünf Tage später waren Ulrike und Katja fast gleichzeitig mit ihren Aufgaben fertig. Sie verließen nebeneinander den großen Arbeitssaal, in dem die anderen Mädchen der jüngeren Jahrgänge noch unter Aufsicht von Dr. Schütz rechneten, schrieben, lasen und auswendig lernten.

„Hast du was Besonderes vor?“ fragte Katja.

„Nö. Warum?“ gab Ulrike zurück.

„Ich hätte gern mal mit dir über das Theaterstück gesprochen.“

„Na, endlich!“

„Ich hatte es schon vor zwei Tagen ausgelesen“, erklärte Katja, „aber ich wollte noch warten …“

„Auf was?“

„Wirst du alles noch erfahren. Gehen wir in den Park hinüber. Dort sind wir ungestört.“

Es war ein sonniger, klarer Herbsttag, und die Büsche und Bäume des weitläufigen Parks standen in flammender Pracht. In den Beeten blühten Astern, Dahlien und vereinzelt sogar noch sommerliche Rosen.

Ulrike war Katja gefolgt, ohne viel zu überlegen.

Plötzlich blieb sie stehen. „Wir haben das Manuskript ja gar nicht dabei“, sagte sie, „soll ich es holen?“

„Nicht nötig“, wehrte Katja ab.

„Aber …“

Katja hatte sich auf einer Bank niedergelassen. „Komm, setz dich“, sagte sie freundlich, „wir wollen doch alles in Ruhe und Freundshaft besprehen …oder?“

Ulrike runzelte die Stirn. „Soll das heißen, daß es dir jetzt nicht mehr gefällt? Ich habe doch alles genau so geschrieben, wie wir es besprohen hatten. Du warst ganz einverstanden damit, sonst hätte ich mir die blödsinnige Arbeit ja gar nicht gemacht!“

„Setz dich“, wiederholte Katja statt jeder Erklärung und zog Ulrike an der Hand neben sich auf die Bank.

„Sage mir jetzt bitte endlich …“

„Ich bin ja dabei. Merkst du das denn nicht? Nur hast du mich bisher nicht zu Wort kommen lassen.“

Ulrike schlug die Beine übereinander, lehnte sich zurüde und setzte ihr hochnäsigstes Gesicht auf. „Na bitte“, sagte sie, „ich kann auch schweigen.“

„Ausgezeichnet“, sagte Katja. „Also paß mal auf …“

Sie machte eine kleine Pause, weil es ihr schwerfiel, die richtigen Worte zu finden. Doch diesmal dachte Ulrike nicht daran, sie zu unterbrechen.

„Dein Stück ist prima“, fuhr Katja fort. „Es ist alles drin, was man sich nur wünschen kann …Spannung. Rührung, Humor …, jede einzelne Rolle ist gut durchgearbeitet …“

„Aber?“ fragte Ulrike, die es doch nicht mehr aushielt. „Nun red shon. Mach’s nicht so spannend.“

„Glaub mir, die Enttäuschung ist für mich genauso groß wie für dich. Aber wir können das Stüch nicht auf die Beine stellen.“

Ulrike fuhr hoch. „Wieso denn nicht? Wir brauchen keine Kostüme, die Dekorationen sind denkbar einfach …“

„Darum geht es nicht, Ulrike. Wir haben nicht genug Personen für die Rollen.“

„Das ist ja lachhaft!“ Ulrike schnaubte durch die Nase. „Ich habe jedem Mitglied des Theaterclubs seine Rolle geradezu auf den Leib geschrieben, mehr konnte ich wirklich nicht tun, und jetzt behauptest du …“

„Ich behaupte gar nichts, Ulrike. Ich bemühe mich nur, dir Tatsachen klarzumachen, und zwar so schonend wie möglich, weil ich von Anfang an mit deiner Überempfindlichkeit und mangelnden Einsicht gerechnet habe.“

Ulrike hob verachtungsvoll die hellen Augenbrauen. „Wird’s dir leichter, wenn du mich beschimpfst?“

„Entschuldige schon“, sagte Katja, „das lag nicht in meiner Absicht.“

„O bitte!“

„Tatsache ist, und damit müssen wir uns wohl oder übel abfinden …, es haben sich nach den großen Ferien nicht mehr als zehn Mädchen für den Theaterclub gemeldet.“

Ulrike starrte die andere an. „Was!?“

„Genau das, was ich sage. In den vergangenen Jahren waren wir nie weniger als fünfzig. Ich habe absichtlich dieses Gespräch hinausgeschoben, weil ich immer noch hoffte, daß sich die eine oder andere Nachzüglerin bei mir melden würde. Aber nichts von alledem. Ich bin genauso bestürzt wie du, Ulrike.“

„Das verstehe ich nicht“, sagte Ulrike, „wie ist denn so etwas möglich?“

Katja zeigte sich entschieden gelassener. „Dafür gibt es verschiedene Gründe. Erstens hat Eisenbart den Theaterclub im Sommer aufgelöst …du erinnerst dich wohl, daß du selber daran nicht ganz unschuldig warst. Auf diese Weise sind die Mitglieder auseinandergelaufen und haben sich anderen Arbeitsgemeinschsften angeschlossen. Zweitens hast du bestimmt einige durch deinen scharfen Verriß der letzten Schulaufführung im ,Boten’ verprellt …“

„Aha“, sagte Ulrike, „das hätte ich mir ja denken können! Schuld an allem bin wieder mal ich! Du machst es dir wirklich sehr einfach, meine liebe Katja! Warum erwähnst du nicht zur Abwechslung, daß deine Schäfchen dich schon abgesetzt hatten, noch bevor Eisenbart den Club auflöste? Vielleicht gibt es auch einige, die keinen Spaß mehr haben, sich unter deine Fittiche zu begeben …die fürchten, daß alles wieder so werden wird wie in dem alten lahmen Verein!“

Katja errötete bis in die Haarwurzeln hinein. „Du hast recht, Ulrike“, bekannte sie, „meine Vorwürfe waren nicht fair.“

„Diese edle Selbsterkenntnis ist wirklich überwältigend“, sagte Ulrike spöttisch. „Soll ich dir mal sagen, woran es liegt, daß der Theaterclub an Schwindsucht leidet? An der Reitschule. Die meisten sind einfach mit fliegenden Fahnen zu Prinz Philipp übergegangen.“

„Ja, vielleicht liegt es daran“, sagte Katja, ganz verwundert darüber, daß sie selber nicht schon darauf gekommen war.

„Wetten, daß? Ich habe noch nie so ein Gerenne erlebt wie um diese blöden Reitstunden.“

Eine ganze Weile saßen die beiden Mädchen schweigend in der milden Herbstsonne. Aus einer anderen Stelle des Parkes klang Gelächter zu ihnen herüber. Vom Tennisplatz her war das Aufprallen der Bälle zu hören.

„Selbst wenn das stimmt“, sagte Katja schließlich, „hilft uns das auch nicht weiter.“

„Doch!“ behauptete Ulrike. „Das ist nämlich eine Art Fahnenflucht. Wir können uns an Eisenbart wenden und ihn bitten …“ Sie stockte mitten im Satz, weil ihr klar wurde, daß dieser Rat schlecht war.

„Was?“ sagte Katja sofort. „Daß er die Abtrünnigen zurückpfeift? Das ist unmöglich. Jede Teilnahme an einem der Clubs oder an einer Arbeitsgemeinschaft auf Burg Hartenstein ist freiwillig. Das ist eines der Grundgesetze des Internats.“

„Habe ich schon selber kapiert“, sagte Ulrike böse. „Das brauchst du mir nicht auch noch unter die Nase zu reiben. Mach lieber einen besseren Vorschlag.“

„Wir können dein Stück, so wie es ist, im nächsten Jahr spielen. Dann hat die Reitschule den Reiz der Neuheit verloren, und die meisten Mädchen werden reumütig zu der weniger anstrengenden Theaterarbeit zurückkehren.“

„Daran zweifle ich gar nicht. Aber was nützt uns das?“

„Es sollte nur ein Trost sein.“

„Ein feiner Trost, das muß ich schon sagen! Und was machen wir in diesem Jahr? In spätestens vierzehn Tagen müssen wir mit den Proben beginnen. In dieser kurzen Zeit können wir unmöglich ein neues Stück auf die Beine bringen.“

„Dann nehmen wir eben ein altes“, meinte Katja.

„Ohne mich!“ Ulrike sprang auf. Ihre sonst so kühlen grauen Augen funkelten förmlich vor Empörung. „Wenn ihr wieder euren alten Käse aufwärmen wollt, dann macht das gefälligst allein!“

„Ulrike“, mahnte Katja, „Direktor Heilmann hat dich ausdrücklich beauftragt …“

„Ja, aber damals waren die Voraussetzungen andere! Ich habe mein Bestes getan! Ich kann nichts dafür, daß wir nicht genügend Schauspieler haben! Mich geht das alles gar nichts mehr an!“

Katja erhob sich ebenfalls. „Na schön, wenn du meinst“, sagte sie seufzend. „Ich hatte allerdings gehofft …“

„Ach, laß mich doch zufrieden“, sagte Ulrike schroff.

Mit langen Schritten stürmte sie davon. Sie wollte nichts mehr hören und nichts mehr sehen.

Sie war maßlos enttäuscht. Katjas Eröffnung hatte sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Die letzten Wochen vor Schulschluß und die großen Ferien hindurch hatte sie unentwegt an dem Stück gearbeitet. Auf den Rat ihrer Tanten hin hatte sie das Ganze noch einmal völlig auseinandergenommen und neu aufgebaut. Sie war so stolz darauf gewesen, so sicher, daß es ein großer Erfolg werden würde – und nun sollte es nicht einmal aufgeführt werden!

Ulrike konnte nicht anders. An einer einsamen Stelle des Parks warf sie sich der Länge nach auf den grünen Rasen, verbarg ihren Kopf in den Armen und weinte bitterlich.

Die Tränen taten gut. Eine halbe Stunde später fühlte sie sich besser. Der erste Schmerz war überwunden, obwohl die Enttäuschung immer noch tief in ihrem Herzen bohrte. Sie wischte sich die Tränen ab, putzte sich die Nase und schlenderte mit hocherhobenem Kopf zur Burg zurück.

Die sollen mich nicht kleinkriegen, dachte sie, die nicht!

Aber sie wußte selbst nicht genau, wen sie damit meinte. Ihre Verbohrtheit ging immerhin nicht so weit, sich einzureden, daß die anderen sich nicht wieder zum Theaterclub meldeten, um sie zu ärgern – bestimmt ahnte nicht eine von ihnen, was für eine Katastrophe sie mit ihrem Massenaustritt heraufbeschworen hatten. Und doch bohrte aller Vernunft zum Trotz in Ulrike das Gefühl, als wenn alles und alle sich gegen sie verschworen hätten.

Am Ausgang des Parks traf Ulrike auf Gaby, die mit einer Gruppe Mädchen vom Tennisplatz zurückkehrte. Schon von weitem schwenkte Gaby fröhlich grüßend ihren Schläger. Dann erst sah sie Ulrikes Gesicht und trennte sich sofort von ihren Begleiterinnen. Sie lief auf die Freundin zu.

„Mensch, Ulrike, alte Bohnenstange“, sagte sie besorgt, „was ist los? Hat es dir die Petersilie verhagelt?“

Ulrike wandte den Kopf zur Seite, damit Gaby die Tränen, die ihr wieder in die Augen stiegen, nicht sehen sollte. „So ungefähr“, sagte sie schwach.

„Red schon! Vielleicht kann ich dir helfen!“

„Bestimmt nicht!“

„Erzähl’s trotzdem! Oder ist es ein Staatsgeheimnis?“

„Das nicht. Wer es morgen noch nicht weiß, erfährt es spätestens bei der Weihnachtsaufführung. Falls überhaupt eine stattfindet.“

„Gefällt Katja dein Stück nicht?“ fragte Gaby verblüfft.

„Doch. Wenigstens tut sie so.“

„Dann versteh’ ich gar nichts mehr …“

Ulrike konnte ihre Enttäuschung nicht länger für sich behalten. „Stell dir vor“, sprudelte sie heraus, „der ganze Theaterclub hat dieses Jahr nur noch zehn Mitglieder. Und in meinem Stück gibt es zweiunddreißig Rollen.“

Gaby schnappte einen Augenblick nach Luft. Dann sagte sie ehrlich bestürzt. „Nun schlägt’s dreizehn!“

„Verstehst du jetzt, wie verzweifelt ich bin?“ rief Ulrike.

„Und ob! Das ist wahrhaftig die größte Pleite des Jahrhunderts!“

„Und an allem“, sagte Ulrike und konnte ein Schluchzen nicht länger unterdrücken, „ist nur diese blöde Reitschule schuld!“

„Stimmt“, erklärte Gaby. „Was sich da für Typen gemeldet haben. Es ist direkt zum Lachen. Keine Ahnung von Sport, steif wie die Eckpfähle, aber ganz versessen aufs Reiten! Die bilden sich ein, sie brauchen bloß oben drauf zu sitzen; laufen müssen ja die Pferde. Der arme Prinz Philipp, der sich mit denen abplagen muß, kann einem mindestens so leid tun wie du mir.“

„Davon“, murmelte Ulrike und schnaubte in ihr feuchtes, zerdrücktes Taschentuch, „habe ich auch nichts.“

Gaby schob ihren Arm unter den der Freundin. „Du, ich glaube, ich hab’ eine Idee! Wie wäre es, wenn ich mir diese Lieblinge mal vorknöpfte? Ich lasse mir von Katja eine Liste der alten Mitglieder geben und bearbeite jede einzeln. Wem mit Vernunft nicht beizukommen ist, dem heize ich eben ein. Ich werde ihnen klarmachen, daß sie sich beim Reiten das Genick brechen können und …“

„Nein, Gaby, das geht nicht. Selbst wenn ein paar sich widerwillig zurückmeldeten, würde uns das gar nichts nützen. Sie müssen mit Freude bei der Sache sein, sonst geht es bestimmt schief.“

„Hm.“ Gaby rieb sich die Nase. „Schade!“

„Es hilft nichts“, sagte Ulrike resigniert. „ich kann mir mein Stück an den Hut stecken.“

Gaby blieb stehen. „Laß mich mal nachdenken“, sagte sie. „Du weißt, das dauert bei mir immer ein bißhen länger. Spazierengehen und Denken auf einmal ist für mich zuviel!“ Sie ließ sich auf eine der steinernen Bänke an der Mauer des Burghofes plumpsen.

Ulrike blieb vor ihr stehen. „Gedacht habe ich selber schon“, sagte sie, „aber es ist nichts dabei herausgekommen! Die Bank ist bestimmt ziemlich kühl, paß auf, daß du dich nicht erkältest!“

„Ruhe“, gebot Gaby mit erhobener Hand, „ich glaub’, ich habe sie!“

„Wen?“

„Die Lösung natürlich.“

„Da bin ich aber mal gespannt.“

Gaby hatte den Tennisschläger zwischen ihre Beine gestellt, beide Hände über dem Griff gekreuzt und ihr Kinn darauf gelegt. „Wenn ich mich recht erinnere“, sagte sie, „so hast du diese dreißig Rollen …“

„Zweiunddreißig!“ verbesserte Ulrike.

„Also gut, du hast diese zweiunddreißig Rollen doch nur geschrieben, damit so viele wie möglich mitmachen konnten, nicht wahr? Weil im Theaterclub bisher immer ein solches Gedränge um die Rollen war?“

„Richtig. Ich hab’s allen recht machen wollen. Und jetzt siehst du, was ich mir dabei eingehandelt habe!“

„Ich bin zwar kein Fachmann“, sagte Gaby, „aber soviel ich weiß, gibt es doch in jedem Stück Haupt- und Nebenrollen …“

„Natürlich.“

„Jetzt meine letzte Frage: Wie viele Hauptrollen hat dein Stück!“

„Fünf“, erwiderte Ulrike wie aus der Pistole geschossen.

„Heißa und Hurra geschrien! Dann streichst du die siebenundzwanzig Nebenrollen einfach heraus, und fertig ist das Stück?“

„Dann bleibt ja nur noch das Gerippe“, sagte Ulrike unglücklich – doch sie wußte schon in diesem Augenblick, daß Gaby, unbekümmert und unvoreingenommen wie sie war, tatsächlich die Lösung des Problems gefunden hatte.

„Du meinst, es geht nicht?“ fragte Gaby enttäuscht.

„Vielleicht“, sagte Ulrike zögernd. „Ich weiß nicht genau … Ich muß es mir erst daraufhin noch einmal ansehen!“

„Dann mal los“, meinte Gaby.

Sie tat so, als wenn sie aufstehen wollte, aber es nicht fertigbrächte.

„Was hast du?“ fragte Ulrike.

„Festgefroren“, erklärte Gaby und zog eine Grimasse.

Ulrike mußte lachen.

Mit einem Ruck war Gaby auf den Beinen. „Na, endlich erhellt ein Lächeln deine strengen Züge“, sagte sie vergnügt. „Aber ohne Spaß: Mein Hinterteil ist fast zu einem Eisklumpen geworden.“

Schön war's im Internat Ulrike

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