Читать книгу Olga, Star der Parkschule - Marie Louise Fischer - Страница 5
Ein Mann mit Bart tritt auf
ОглавлениеKatrin, Silvy und Ruth saßen inzwischen im Kino, futterten Eiskonfekt und unterhielten sich lebhaft und vergnügt, während oben auf der Leinwand die Reklame vorüberzog.
„Stellt euch vor“, berichtete Silvy, „ich fahre dieses Jahr mit meinen Eltern nach Norderney, ist das nicht dufte?“
„Was ist das schon?“ behauptete Katrin kühl. „Meine Mutter und ich fliegen nach Kanada. Wir mieten uns eine Blockhütte am Michigansee und jagen Bären!“
„Toll!“ rief die kleine Ruth tief beeindruckt, „ich wußte ja gar nicht, daß du schießen kannst!“
Katrin riß ihren großen Mund auf und lachte so sehr, daß es aussah, als wollte sie jemanden verschlingen. „Angeschmiert!“ freute sie sich. „Wie könnt ihr aber auch bloß so was glauben!“
„Hab ich ja gar nicht“, erklärte Silvy blasiert, „für wie dumm hältst du mich?“
„Aber warum erzählst du uns dann so was?“ fragte Ruth verwundert.
„Ich wollte nur mal ausprobieren, ob ich noch schwindeln kann.“
„Ach was. Du warst nur darauf aus, mich auszustechen!“ behauptete Silvy.
„Pah, als wenn ich das nötig hätte!“
„Wohin fahrt ihr denn wirklich?“
„Nirgendwohin“, bekannte Katrin, „wir haben kein Geld. Wir müssen noch die Raten für die Möbel abstottern.“
„Du Ärmste“, erklärte Silvy mit leiser Schadenfreude und rümpfte ihre spitze Nase.
Der Herr, der vor ihnen saß, drehte sich um. „Das mag ja alles sehr interessant sein“, meinte er, „aber vielleicht seid ihr doch so liebenswürdig, eure Unterhaltung bis später aufzuschieben!“ Er wandte sich wieder ab.
„Aber warum denn?“ gab Silvy frech zurück. „Der Film läuft doch noch gar nicht!“
„Bitte, seid still!“ flüsterte Ruth erschrocken.
„Bangbüchs!“ Katrin gab ihr einen ermunternden Knuff in die Seite. „Der Kerl kann uns gar nichts wollen!“
„Aber er hat doch so böse geguckt!“
„Das ist dir nur so vorgekommen, weil er ’nen Serviettenschoner um hat!“
Tatsächlich trug der Herr einen schönen schwarzen Vollbart, das hatten die Mädchen trotz des Halbdämmerns im Kinosaal sehen können. Daß seine Stimme streng geklungen hatte, war aber auch nicht zu überhören gewesen.
Trotzdem fragte Silvy so munter wie zuvor, wenn auch ein bißchen gedämpfter: „Was hast du denn in den Ferien vor, Ruthchen?“
„Oh, ich …“ Ruth guckte nervös auf den Rücken des bärtigen Herrn.
„Ja, du!“ stieß Katrin nach.
»Ich kann auch nicht verreisen“, flüsterte Ruth, „meine Eltern können das Geschäft nicht allein lassen. Sie wollen mich in ein Zeltlager stecken.“
„Das ist doch dufte!“ rief Katrin und vergaß schon wieder ganz, daß sie nicht allein auf der Welt war.
Der Herr mit dem Bart drehte sich abermals um und warf Katrin einen so drohenden Blick zu, daß sie mitten im Satz verstummte. Aber als er sich wieder nach vorn wandte, streckte sie ihm, so weit sie konnte, die Zunge heraus, und Silvy und Ruth mußten kichern.
Zum Glück war die Reklame jetzt zu Ende, und ein Vorspann flimmerte über die Leinwand.
„Jetzt fängt’s an“, flüsterte Ruth hoffnungsvoll.
„Immer noch nicht“, raunzte Katrin, „das ist bloß erst ein Kulturfilm!“
Wieder drehte der Herr sich um, aber sein Drohblick tat keine Wirkung mehr.
„Gucken Sie lieber nach vorn“, riet Katrin ihm freundlich, „sonst verpassen Sie noch das Beste!“
„Unverschämtheit“, knurrte der Bärtige, aber diese Bemerkung ging im Gekicher der Mädchen unter.
Der Kulturfilm war so interessant, daß die Mädchen das Schwätzen vergaßen. In Naturaufnahmen und vielen Trickbildern wurde gezeigt, wie die Gezeiten, der Wechsel zwischen Ebbe und Flut der Weltmeere, durch die Anziehungskraft von Sonne und Mond zustande kommt. Die Freundinnen schauten und lauschten mit gebannter Aufmerksamkeit.
Es wurde hell und wieder dunkel, und der Hauptfilm begann. Zuerst war er ein bißchen langweilig. Der Held ritt über die Prärie, und sonst geschah nichts. Er traf auf eine Wagenburg und half einem Mädchen, ein störrisches Pferd einzufangen. Der Freund des Mädchens kam dazu und wurde sehr ungemütlich. Er zog den Revolver.
„Na endlich!“ rief Katrin. „Gleich knallt’s!“
Aber es knallte nicht; die beiden Männer trennten sich ohne Schußwechsel.
Unten im Parkett aber drehte der bärtige Herr sich wieder um und drohte: „Noch ein Wort, und ich werde euch hinauswerfen lassen!“
Katrin war der Satz nur so rausgerutscht. Sie hatte wirklich niemanden ärgern wollen. Aber sie dachte nicht daran, sich zu entschuldigen, sondern gab zurück: „Das könnte Ihnen so passen. Ich habe mein Eintrittsgeld genauso bezahlt wie Sie!“
Silvy stimmte ihr zu. „Und wir haben es wahrscheinlich mühsamer zusammengekratzt als Sie!“
„So eine Frechheit habe ich noch nie …“, schimpfte der Herr los, aber er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.
Im Hintergrund wurden andere Stimmen laut: „Ruhe da vorn!“ – „Man kann ja kein Wort verstehen!“ – „Pssst!“
Wohl oder übel mußte der Bärtige schweigen.
Die drei Freundinnen waren durchaus nicht eingeschüchtert, aber immerhin wohlerzogen genug, von nun an den Mund zu halten, während einige Kinder weiter hinten mit der Nachahmung von Geräuschen und mit Zwischenbemerkungen nicht sparten.
Endlich nahm der Held sein Mädchen in die Arme, worauf jemand im Publikum sehr echt und geräuschvoll einen langen, saftigen Schmatz imitierte, ein Geräusch, das vom jugendlichen Publikum begeistert belacht und bepfiffen wurde.
Der Bärtige drehte sich um und sagte empört: „Das geht denn nun doch zu weit!“
„Warum gucken Sie uns dabei an?“ erwiderte Katrin. „Wir waren das nicht!“
„Und wenn Sie so empfindlich sind, sollten Sie eben nicht in eine Nachmittagsvorstellung gehen“, fügte Ruth hinzu.
Der Bärtige schien sich geschlagen zu geben, jedenfalls wandte er sich wieder nach vorn.
„Bravo!“ Katrin klopfte Ruth gönnerhaft auf die Schulter. „So kenne ich dich ja gar nicht, Kleine!“
Dann war der Film zu Ende, und die Zuschauer drängten sich ins Foyer. Draußen hatte es inzwischen zu regnen begonnen, und nur langsam löste sich die Schar der Besucher auf und verlief sich auf der Straße.
Silvy stieß Katrin an. „Du, da vorn steht der Blödmann noch!“
Tatsächlich war der Bärtige unter dem Vordach stehengeblieben und zündete sich jetzt eine Zigarette an.
„Ja, wahrhaftig“, sagte Katrin, „ist er nicht süß? Mit all diesem Sauerkraut ums Kinn … direkt zum Verlieben.“
„Ja, es fällt mir scheußlich schwer, mich von ihm zu trennen“, spöttelte Ruth, „ob wir ihn nicht noch länger an uns fesseln können?“
„Das wär ’ne Idee“, erklärte Katrin, „aber wie?“
„Wir könnten ihn fragen, wie spät es ist.“
„Wer? Du etwa?“
„Nein, Silvy?“
„Wenn ihr denkt, daß ich mich das nicht traue“, sagte Silvy, „habt ihr euch schwer geschnitten. Wollen wir wetten … ich tu’s.“
„Ich wette aus moralischen Gründen nicht“, erklärte Katrin hochtrabend und warf ihre schwarze Mähne zurück, „und außerdem bin ich überzeugt, daß du’s tust.“
„Na, dann wollen wir mal.“ Silvy schlüpfte in ihren roten Lackmantel, den sie über dem Arm getragen hatte, straffte die schmalen Schultern und marschierte los.
„Nein! Nicht!“ schrie Ruth entsetzt. „Es war doch nur Spaß!“
„Nun bibbere man nicht, Kleene“, sagte Katrin beruhigend, „mach dich lieber startbereit. Gleich müssen wir spurten.“ Sie zog den Reißverschluß ihres Anoraks zu und stülpte sich die Kapuze über den Kopf.
Ruth band sich ein Tuch um ihr schönes blondes Haar und spannte einen schicken Regenschirm auf.
Inzwischen hatte Silvy den Bärtigen erreicht, blieb vor ihm stehen und fragte mit einem überaus wohlerzogenen kleinen Knicks: „Können Sie mir bitte sagen, wieviel Uhr es ist?“
Der Bärtige musterte sie mißtrauisch. „Wozu willst du das denn wissen?“
„Weil ich meiner Mutti versprochen habe, rechtzeitig zu Hause zu sein“, erklärte Silvy und setzte ihre schönste Unschuldsmiene auf.
Der Herr schob die Manschette zurück und warf einen Blick auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr. „Fünf Minuten nach sechs.“
„Schon?“ Silvy hob die blassen Augenbrauen. „Dann ist es aber höchste Zeit, daß Sie sich bessern!“ Mit einem Riesensatz schoß sie in den Regen hinaus.
Ruth und Katrin waren gleichzeitig davongestürzt. Nebeneinander jagten sie die Straße entlang, daß die Pfützen nur so unter ihnen aufspritzten. Erst einen ganzen Block weiter stoppten sie und suchten in einer Toreinfahrt Schutz.
„Oh, oh, oh, ich kann nicht mehr“, stöhnte Katrin, „ich muß so lachen … und dabei noch zu rennen, das ist wirklich zuviel.“
Ruth blickte ängstlich um die Ecke. „Hoffentlich kommt der uns nicht nach!“
„Wo denkst du hin!“ sagte Silvy. „So ein alter Knacker kann nicht mehr rennen wie wir!“
„Du, alt war der gar nicht.“ Katrin hielt sich die Seiten. „Nicht uralt, meine ich. So um die Dreißig.“
„Schon möglich“, räumte Silvy ein, „innerlich jedenfalls total vergreist.“
„Ich bin nur froh, daß uns niemand beobachtet hat“, sagte Ruth, „bei Licht besehen haben wir uns ziemlich unmöglich benommen.“
„Ach, Unsinn“, widersprach Katrin, „er hat doch angefangen, oder?“
„Finde ich auch“, stimmte Silvy ihr zu, „der hatte ’ne kleine Lektion durchaus verdient.“
Ruth war es immer noch nicht wohl in ihrer Haut. „Wenn ich das meiner Mutti erzählen würde …“
„Brauchst du ja nicht.“ Katrin legte beschützend den Arm um ihre Schulter. „Hör auf, dir Gedanken zu machen. Der Rübezahl hat uns längst vergessen. Und wenn nicht, ist es auch egal. Wir werden ihn nie im Leben wiedersehen.“
Aber mit dieser Bemerkung hatte sie schwer danebengetippt – wie sehr, das sollte sich schon am nächsten Schultag, dem Montag, herausstellen.
Für die erste Stunde war Deutschunterricht bei Frau Dr. Mohrmann, der Klassenleiterin, angesetzt. Das war eine beliebte Stunde, denn die Lehrerin war jung und aufgeschlossen und verstand es, die Mädchen zu fesseln. Noch plauderten die Schülerinnen von ihren Wochenenderlebnissen, wobei es niemandem besonders auffiel, daß Olga kein Wort sprach, sondern mit fest zusammengepreßten Lippen dasaß und so tat, als ginge alles, was ringsum geschah, sie gar nichts an.
Als die Tür aufging und die Klassenleiterin eintrat, verstummten die Gespräche sofort, und die Mädchen erhoben sich von ihren Plätzen.
„Guten Morgen!“ grüßte Frau Dr. Mohrmann.
„Guten Morgen, Frau Mohrmann!“ grüßte die Klasse munter zurück.
Dann erst sahen sie, daß die Lehrerin nicht allein war, sondern einen Herrn im Schlepptau mitbrachte – einen schlanken Herrn mit dunklen Augen und einem gepflegten schwarzen Vollbart.
„Ich werd verrückt“, hauchte Katrin, „das darf doch nicht wahr sein!“
„Der Rauschebart“, flüsterte Silvy, „gleich fall ich um.“
„Ich hab’s ja gewußt, ich hab’s gewußt, das wird nicht gut ausgehen“, piepste Ruthchen.
Die drei Übeltäterinnen waren fest davon überzeugt, daß der Bärtige sie aufgestöbert hatte, um sich bei ihrer Klassenlehrerin über sie zu beklagen. Es war nicht ihr Gewissen, das schlug, denn so schlimm konnten sie ihren Streich nach wie vor nicht finden, es war die nackte Angst, die ihnen im Nakken saß. Mußte man denn nicht einen Mann fürchten, dem es innerhalb eines einzigen Tages gelungen war, sie unter den Tausenden gleichaltriger Mädchen in der Stadt herauszupikken? Obwohl er nicht einmal ihre Namen gewußt hatte noch in welche Schule sie gingen?
Silvy hatte tatsächlich das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, und Katrin ging es nicht viel besser.
„Setzen“, sagte Frau Dr. Mohrmann.
Die Mädchen ließen sich auf ihre Stühle plumpsen.
Silvy zog ihr hochnäsigstes Gesicht und sah starr geradeaus. Die kleine Ruth bückte sich und machte sich am Fach ihres Schultisches zu schaffen, um so der Entdeckung vielleicht doch noch zu entgehen.
Katrin dachte fieberhaft nach, um einen Ausweg aus dieser vertrackten Situation zu finden. Sie schrieb ein paar Worte auf ein Zettelchen, faltete es zusammen und warf es Silvy über den Gang weg zu. Dann beugte sie sich zu ihrer Tischnachbarin herunter und flüsterte Ruth zu: „Alles leugnen. Wir waren am Samstag nachmittag bei mir.“
„Das ist also die sechste Klasse, Herr Alte“, sagte Frau Dr. Mohrmann vorn am Lehrertisch, „sehen Sie sie sich gut an!“
Der Herr mit dem Bart, der also Herr Alte hieß, ließ seinen Blick über die Schülerinnen gleiten und – zuckte deutlich zusammen, als er Silvy und Katrin erkannte. Ja, sein bärtiges Gesicht zeigte sogar eine leise Röte – war es Zorn, Genugtuung oder Verlegenheit?
Silvy hielt seinem Blick mit völlig ausdruckslosem Gesicht stand, während es Katrin sogar gelang, ein harmloses und nichtssagendes Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.
„Guten Morgen, meine Damen“, sagte Herr Alte.
„Guten Morgen“, grüßte die Klasse zurück, und einige Mädchen begannen zu kichern.
„Was will denn der komische Vogel hier?“ flüsterte Leonore erstaunt.
Sie brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten.
„Sicher haben einige von euch sich Gedanken darüber gemacht, daß ich in letzter Zeit ziemlich rundlich geworden bin“, begann Frau Dr. Mohrmann. „Und da ihr schon große Mädchen seid, werdet ihr euch gedacht haben, woher das kommt! Na, wer will es mir sagen?“
Niemand meldete sich. Aber Frau Dr. Mohrmann sah, daß Olga errötete.
„Ich wette, du weißt es, Olga“, sagte sie ermunternd.
Olga stand auf und zögerte.
„Nur heraus mit der Sprache! Niemand beißt dich!“
„Vielleicht“, druckste Olga unsicher herum, „vielleicht … kriegen Sie ein Baby!“
Die Klasse brach in schallendes Gelächter aus.
Olga wurde noch röter. „Was habe ich denn Dummes gesagt?“ rief sie empört. „Hättet ihr euch doch gemeldet, wenn ihr es besser wißt!“
„Nun reg dich bloß nicht auf, Olga“, sagte Frau Dr. Mohrmann, „und ihr anderen seid gefälligst still. Olga hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich weiß wirklich nicht, was es da zu lachen gibt.“ Sie wartete, bis es wieder still wurde, und fuhr dann fort: „Ja, ich erwarte wirklich ein Baby. Ich hatte gehofft, noch ein paar Monate arbeiten und mein Kind in den Sommerferien zur Welt bringen zu können, wie sich das für eine gute Lehrerin gehört. Aber nun hat mir mein Arzt geraten, jetzt schon aufzuhören, und deshalb muß ich mich heute von euch verabschieden.“
Die Schülerinnen ließen bedauernde „Ooochs“ hören.
„Herr Alte ist so liebenswürdig, meine Stunden und auch meine Ämter zu übernehmen“, fuhr Frau Dr. Mohrmann fort. „Er ist also ab heute euer neuer Klassenlehrer.“
Katrin, Silvy und Ruth nahmen diese Eröffnung erleichtert und doch auch wieder mit Beklemmung zur Kenntnis. Herr Alte hatte sie also nicht verfolgt und aufgestöbert. Aber es würde ein zweifelhaftes Vergnügen sein, unter einem Lehrer zu arbeiten, bei dem sie sich so schlecht eingeführt hatten.
Von diesen Gedanken ahnte Frau Dr. Mohrmann natürlich nichts.
„Herr Alte kommt von einer Jungenschule“, sagte sie, „und ich hoffe sehr, er wird es nie bereuen, zu uns übergewechselt zu sein. Also ärgert ihn nicht und seid fleißig!“
Leonore meldete sich. „Aber Sie kommen doch wieder?“ fragte sie.
„Ich hoffe doch“, antwortete Frau Dr. Mohrmann, „aber nicht so bald.“
„Wann?“ wollte Katrin wissen, denn sie hoffte, daß Herr Alte vielleicht nur ein kurzes Zwischenspiel geben würde.
„Das kann ich beim besten Willen nicht sagen“, antwortete Frau Dr. Mohrmann. „Ich hoffe, daß meine Mutter das Kindchen versorgen kann. Wenn das nicht geht, werde ich mich beurlauben lassen müssen.“
„Das wäre aber schade“, erklärte Leonore aufrichtig.
„Finde ich nicht“, widersprach Olga hitzig. „Ich finde, daß eine Mutter immer zu ihrem Kind gehört, daß Beruf und alles dann gar nicht wichtig ist. Mütter gehören zu ihren Kindern.“
Frau Dr. Mohrmann lächelte. „Es tut mir geradezu leid, daß ich euch heute verlassen muß. Da hätten wir gleich wieder ein interessantes Thema für einen deutschen Aufsatz, über das ihr bestimmt alle viel zu schreiben wüßtet.“
„O nein!“ – „Nein!“ – „Bitte nicht!“ – „Nicht schon wieder!“ protestierten einige der Schülerinnen.
„Nur keine Angst, ich bin ja nicht mehr eure Lehrerin, und es steht mir nicht mehr zu, euch Aufgaben zu stellen. Ich bin heute nur noch erschienen, um Herrn Alte einzuführen.“ Sie wandte sich an den neuen Lehrer. „Ich möchte Ihnen jetzt die Klassensprecherin vorstellen.“
Silvy erhob sich, noch bevor Frau Dr. Mohrmann sie aufrief. „Ich möchte mein Amt niederlegen“, erklärte sie mit steifen Lippen.
„Ach was! Wieso denn so plötzlich?“ fragte Frau Dr. Mohrmann überrascht.
„Ich habe persönliche Gründe.“
„Aber ich bitte dich, du wirst doch wenigstens noch bis Ende des Schuljahres …“
„Nein.“
Frau Dr. Mohrmann wollte etwas entgegnen, aber dann zuckte sie die Achseln und sagte: „Nun, das ist jetzt nicht mehr meine Sache. Wenn Herr Alte einverstanden ist, muß eben eine neue Sprecherin gewählt werden.“ Sie sah Herrn Alte an, als erwarte sie, daß er Einspruch erheben würde.
Aber der neue Klassenlehrer schwieg.
„Ja, dann“, sagte Frau Dr. Mohrmann, „kann ich euch nur alles Gute wünschen … und Ihnen auch, Herr Kollege. Ich bin sicher, daß Sie an Ihrer neuen Klasse Freude haben werden. Es sind nette Mädchen.“
Herr Alte widersprach nicht, aber er sah auch nicht so aus, als ob er sich in naher Zukunft etwas Gutes erwartete.