Читать книгу Das Haus mit der Ecke - Marie Miro - Страница 4

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Als das Haus an diesem Morgen erwacht, regnet es. Es liebt den Regen über alles, denn Regen, müsst ihr wissen, fühlt sich für ein Haus an, als wenn tausend Kinderhände einen kitzeln. Und so lacht das Haus erst einmal einige Minuten leise ganz für sich, bevor es richtig wach wird. Es schüttelt sich ein wenig und Holzbalken knarzen sanft vor sich hin. Es ist mucksmäuschenstill. Ach, was sage ich, auch Barbara schläft noch, es ist also mucksrattenstill. Das Haus hört in sich hinein. Versuche du das einmal, das ist gar nicht so einfach. Es hört das sanfte Schnarchen von Barbara und das krächzende Ausatmen von Max. Aber, wo ist Anna? Im Schlafzimmer ist es still. Es riecht seine Bewohnerin auch gar nicht mehr. Alte Menschen riechen nämlich wie alte Häuser. Nicht unbedingt schlecht, aber eben alt. Wer viele Jahre lebt, trägt viel Erlebtes mit sich und viel Zeit, die manchmal staubig ist und nach Vergangenem duftet. Ganz so, wie wenn eure Mutter einen Kuchen backt und die Küche noch Tage später nach dem Teig duftet, obwohl der Kuchen längst verputzt ist. Das Haus mit der Ecke wundert sich. Es ist so, als wäre Oma Anna einfach verschwunden. Doch dann erinnert es sich, dass es sowas schon einmal erlebt hat, als der Mann von Oma Anna, Heinrich, gestorben war. Das Haus erschrickt. Dann rüttelt und schüttelt es sich etwas fester, lässt den kalten Westwind durch die Ritzen flitzen, knarzt mit den Balken an der Decke und lässt das Schlafzimmerfenster aufspringen, damit etwas frische Luft in den Raum strömt. Doch das Haus mit der Ecke reißt damit nur Max und Barbara aus dem Schlaf, die wenig erfreut sind über das abrupte Wecken.

„Hey, Ecke, spinnst du? Kannst du nicht etwas feinfühliger sein? Ich habe gerade von einem Berg von Regenwürmern geträumt!“, krächzt noch halb verschlafen Max hervor und schüttelt erst einmal sein dunkles Gefieder.

„Ja, genau, mach doch nicht am frühen Morgen so einen Radau. Wir Ratten sind feinfühlige Wesen. Meine Haare an der Schnauze zittern noch vor Schreck“, piepst Barbara hervor, die erst einmal die Morgentoilette erledigt.

„Aber, so hört doch. Irgendwas stimmt mit Anna nicht. Ich spüre sie nicht mehr!“, antwortet das Haus mit einer brummigen, leicht heiseren Stimme, die ein wenig so klingt, als habe man gerade einen kräftigen Husten. Das Haus mit der Ecke spricht allerdings immer so.

Mit ihren flinken Füßchen rennt Barbara direkt durch das kleine Loch in der Decke und landet mit einem Sprung auf dem weißen Bettbezug. Daneben auf dem Boden liegt Anna. Barbara hüpft auf die Hüfte von Anna und tippelt dann zu ihrem Gesicht hinauf. Sie schnuppert noch zwei, drei Mal mit ihrer feinen Nase auf und ab, dann ist ihr sofort klar, was passiert ist. Barbara ist nicht mehr die jüngste Ratte und als solche hat man schon fast alles gesehen, gerochen und gekostet.

„Max, Ecke. Oma Anna ist gestorben. Ich spüre es ganz deutlich. Aber Anna macht irgendwie einen richtig friedlichen Eindruck, ein Lächeln liegt auf ihrem Gesicht. Ich glaube, sie steht jetzt für immer auf einer Bühne und bekommt Applaus. Es sieht so aus, als wenn sie ganz sanft zu Boden geglitten ist, leicht wie eine Feder im Wind.“

Häuser, müsst ihr wissen, können nicht weinen. Wenn sie traurig sind, dann knarzen sie etwas häufiger als sonst. In gewisser Weise sind sie wie alte Großväter, die manchmal halblaut vor sich hin grummeln, ohne dass man es wirklich versteht. Das Haus mit der Ecke brummt ganz schön in den nächsten Tagen, während Max und Barbara versuchen, es immer wieder aufzuheitern. Erst nach und nach gelingt es ihnen. Max flattert dafür solange mit seinen Flügeln im Speicher herum, bis einzelne Blätter wild herum fliegen und das Haus kitzeln. Dabei wird dem Haus manchmal richtig schummrig, als wenn es zu viel gelacht hätte und in solchen Momenten ist es sehr froh, dass es fest am Boden steht. Was würde das sonst für einen Eindruck auf die anderen Häuser machen, wenn es vor Lachen einfach seitlich umkippen würde? Barbara erzählt ihm dagegen immer wieder Geschichten von ihren vielen Abenteuern, die sie als junge Ratte so erlebt hat und wie sie mehr als einmal dem Gevatter Tod noch gerade so von der Schippe gesprungen ist. Und so beruhigt sich das Haus nach und nach wieder und freut sich sogar, wenn sich nachts streunende Hunde an der schwarzen Ecke reiben und ihnen Katzen dabei missmutig vom Zaun herab zuschauen.

Das Haus mit der Ecke

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