Читать книгу Jetzt sag ich's - Marina C. Watteck - Страница 23
ОглавлениеDie Wachau lag, wie erwähnt, in der von den Russen besetzten Zone. Wir wussten natürlich, dass man uns beobachtete, obwohl nichts davon offensichtlich zu bemerken war. Wie genau uns die Russen observierten, sollten wir bald erfahren. Heute kann man sich das kaum mehr vorstellen, aber es war stets nötig, darauf zu achten, was wir sagten. Es gab überall Spione, und vor Übergriffen mussten sich vor allem die weiblichen Mitglieder des Teams in Acht nehmen. All das wurde uns nach einem Erlebnis auf erschreckende Weise klar.
Wir wohnten gemeinsam im Hotel »Richard Löwenherz« in Dürnstein. Eines Abends saßen wir nach Drehschluss auf der romantischen Terrasse des Hotels, das an der Donau lag, und feierten ein wenig. Die Stimmung war ausgelassen, entspannt, und Paul Hörbiger, der ganz gern ein paar Gläser trank, begann zu singen. Die letzte Zeile des Liedes, das er gesungen hat, lautete: »Der Krampus und der Nikolo san nach Russland gaunga und san bis heit no net do!« Wir lachten sehr darüber und applaudierten.
Viel später, als wir schon alle zu Bett gegangen waren, klopfte plötzlich jemand laut und energisch an die Tür des Schlafzimmers, das sich meine Filmmutter Maria Andergast mit mir aus Sicherheitsgründen teilte. Wir wurden jäh aus dem Schlaf gerissen und »Mirli« beschwerte sich über den Lärm, indem sie rief: »Das ist ja eine Schweinerei, uns mitten in der Nacht aufzuwecken!«
Vor der Tür standen ein österreichischer Polizist und eine Gruppe Russen, die nur das Wort »Schwein« verstanden hatten und jetzt erst recht rabiat waren. Nicht nur war ein Spottlied auf die Russen gesungen worden, nein, jetzt hatte man sie sogar beschimpft! Das war die Höhe. Maria Andergast öffnete kreidebleich die Tür. Vorher übergab sie mir noch schnell ihre zwei Dackel, Powidl und Tatschkerl, denn eine Verhaftung durch die Russen in dieser Zeit war eine ernst zu nehmende Sache mit ungewissem Ausgang.
Ich war verzweifelt, als ich sah, wie die »Mirli« abgeführt wurde. Blitzschnell lief ich zum Zimmer von Paul Hörbiger, doch als Antwort auf mein Klopfen und Rufen kamen nur ebenmäßige Schnarchtöne. Dann lief ich weiter zum Zimmer von Hans Moser, der die Tür nur einen Spalt öffnete. Er sagte: »Ui, die Russen!« – und schloss die Tür schnell wieder. Ich war allein auf mich gestellt.
In der Zwischenzeit stand Maria Andergast im Hotelhof, umgeben von brüllenden Soldaten, im grellen Licht einer Stablampe. Sie wollten von ihr unbedingt das Geständnis, dass sie die Russen als »Schweine« bezeichnet hatte. Standhaft weigerte Maria sich und versuchte zu erklären, was sie wirklich gemeint hatte. Die Zeit drängte, bald würde man sie abführen, und ich hätte sie wahrscheinlich nie mehr wiedergesehen.
Da fiel mir Gott sei Dank ein, dass Willi Forsts Schwager, unser Produktionsleiter Carlheinz Langbein, ein Schreiben der russischen Kommandatura in Wien hatte, das uns vor genau solchen Übergriffen schützen sollte. Nur wohnte Carlheinz in einem anderen, doch nahe gelegenen Hotel. Ich lief also bei stockfinsterer Nacht, immer noch im Nachthemd, hinaus und schlug ordentlich Krawall.
In letzter Sekunde kam er mit dem Schreiben in der Hand in den Hof des »Richard Löwenherz«, wo die Russen Maria Andergast bereits in einen Jeep verfrachtet hatten, um sie abzutransportieren. Er übergab das Schreiben, und »Mirli« wurde wieder freigelassen. Den Rest der Drehzeit waren wir ziemlich vorsichtig mit unseren Äußerungen. Mich schaudert heute noch, wenn ich daran denke, wie das hätte ausgehen können.
Einige der Innenaufnahmen für den »Hofrat Geiger« wurden in den Schönbrunner Studios gedreht. Die Reporterin Marielies Füringk bekam die Erlaubnis, dabei zu sein, und schrieb in der Zeitschrift »Mein Film« (Heft 37/1947) Folgendes über mich: »[Regisseur Hans Wolff sagt:] ›… sie hat die denkbar besten Anlagen, muß aber natürlich noch geführt werden. Sie steht ja auch das erste Mal im Atelier und kann noch kein volles Gefühl für die Technik des Films haben. Sie empfindet restlos, was sie spielt, und vergißt darüber manchmal Kamera und Mikrophon. Aber sie stellt sich langsam auf die für sie noch neue Technik ein.‹
In der Garderobe bestätigt die Haas die Ansicht ihres Regisseurs. ›Angst vor Kamera und Mikrophon habe ich gar keine, nur sind sie mir noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. In den Szenen, wo das Herz meines Mariandls zu Worte kommt, vergeße ich einfach, auf ihr Vorhandensein Rücksicht zu nehmen. Diese Szenen mußten meinetwegen etliche Male wiederholt werden, bis man mit mir zufrieden war. Aber man hat mir deswegen keine Vorwürfe gemacht. Überhaupt kam mir während der Dreharbeiten zum ›Hofrat Geiger‹ erst so recht zum Bewußtsein, was ich alles noch lernen muß, um eine wirklich gute Schauspielerin zu werden.‹
›Ich glaube bei der Premiere des ›Hofrat Geiger‹ werde ich vor Lampenfieber und Neugierde krank werden. Ich durfte bis jetzt noch keiner Teilaufführung des Films beiwohnen und weiß nicht, wie ich ausschaue und wie meine Stimme klingt.‹ Waltraut Haas macht eine kleine Pause und sieht etwas ängstlich drein: ›Hoffentlich gefalle ich dem Publikum.‹«
Die Premiere des Films »Der Hofrat Geiger« fand am 19. Dezember 1947 im Apollo Kino statt, und ich war unglaublich aufgeregt. Zum ersten Mal sah ich den ganzen Film und nicht nur Ausschnitte. Aufgeregt saß ich zwischen Hans Moser und seiner Frau und hielt den Atem an. Ich war selig, als am Ende des Films tosender Applaus einsetzte. Alle anwesenden Schauspieler mussten auf die Bühne, und das Verbeugen nahm kein Ende.
Trotz des großen Erfolgs des Films blieb ich noch ein Jahr in Linz und übernahm weiterhin alle Rollen, die ich bekommen konnte. 1948 kehrte ich nach Wien zurück, um am Renaissancetheater in der Neubaugasse zu spielen.
Das Theater befindet sich in einem Wohnhaus und wurde 1912 vom Verein Wiener Freie Bühne gegründet. Heute beheimatet es dort das Theater der Jugend. Hier begegnete ich zum ersten Mal meinem späteren Ehemann und Herzenspartner Erwin Strahl. Wir spielten mit Oskar Karlweis in dem Singspiel »Der König mit dem Regenschirm« von Ralph Benatzky. Ich war Oskars Bühnenliebe, wie man im Schauspielerjargon sagt.
Ich glaube, der charmante Oskar hätte sich gern etwas mehr erwartet, aber er hat mich nicht interessiert. Obwohl er nicht nur ein großartiger Schauspieler, sondern auch ein ebenso begnadeter Komiker war. Friedrich Torberg, mit dem er gemeinsam im Exil war, hat einmal über ihn gesagt: »Einen Abend privat mit ihm zu verbringen, wog, wenn er in Form war, zehn Kabarettbesuche auf. Wenn er nicht in Form war, dann allerdings nur neun. Ich weiß nicht, wie ich über diese trost- und hoffnungslose Zeit hinweggekommen wäre ohne den tröstlichen und hoffnungsfrohen Humor, den Oskar Karlweis ausstrahlte.«
Berühmt wurde er durch den Film »Die Drei von der Tankstelle« (1930). Nachdem er vor den Nazis geflohen war, kam er über Paris in die USA und musste dort erst einmal Englisch lernen. Dann trat er gemeinsam mit dem Sänger und Komponisten Hermann Leopoldi in Lokalen für deutschsprachige Emigranten auf und feierte schlussendlich sogar am Broadway Erfolge. Relativ bald nach dem Krieg kehrte er nach Wien zurück, wo er sofort nahtlos an seine Erfolge anschließen konnte.
Hans Thimig, einer der Prüfer, die mich am Reinhardt Seminar nicht genommen hatten, führte Regie. Einmal sagte er zu mir: »Sie kommen mir so bekannt vor.« Da erzählte ich ihm von der Aufnahmeprüfung – er erinnerte sich sehr gut an mein Vorsprechen und daran, dass Vera Balser-Eberle der Ansicht gewesen war, bei mir könne die Schauspielkunst nicht sehr tief sitzen, wenn es mir möglich sei, kurz nach einer komischen Rolle in der nächsten in Tränen auszubrechen. »Das zeugt von Oberflächlichkeit«, meinte die strenge Prüferin damals. Hans Thimig zeigte wahre Größe, indem er mir nun sagte: »Oft sind wir Lehrer eigentlich die Durchgefallenen – das sehe ich ja an Ihnen.« Mir war das damals nicht nur eine Genugtuung für die erlittene Ungerechtigkeit, es versöhnte mich wieder mit dem Reinhardt Seminar.
Während des Stücks flirteten Erwin Strahl und ich ein wenig, sehr zum Missfallen von Oskar Karlweis. Es blieb aber nur bei einem harmlosen Flirt, denn ich sagte mir damals: »Der schaut viel zu gut aus, der bleibt mir nicht.« Außerdem hatte ich schon damals gemerkt, was für ein unstetes Volk diese Schauspieler waren. Ich war mir sicher, niemals einen zu heiraten.
Mein Mann hat später immer gern erzählt, dass er mich damals zu einem Rendezvous eingeladen hatte, das ich schlicht vergessen hatte. Er hat immer gesagt: »Das nehme ich dir heute noch übel.«
An eine Begebenheit aus dieser Zeit erinnere ich mich besonders gern. Es war kurz nach dem Krieg, es gab noch bei Weitem nicht genug zu essen, wir waren allerdings, da wir ja das Gasthaus hatten, ein wenig bessergestellt. Ich spielte in einem Stück, von dem ich nicht mehr genau weiß, wie es geheißen hat, ich glaube »Räubergeschichte«. Fast das ganze Ensemble der Josefstadt hat mitgespielt, aufgeführt wurde es in den Kammerspielen. Auf jeden Fall waren Franz Messner und der blutjunge Karlheinz Böhm mit dabei. Die beiden waren dicke Freunde, hatten eine winzige Gage und waren immer hungrig.
Ich dachte mir, ich könnte ihnen vielleicht eine Freude machen. Also sagte ich eines Abends: »Nach der Vorstellung nehm ich euch mit. Meine Mutter führt das Gasthaus ›Stöckl‹, und da schauen wir, was es zum Essen gibt.«
Als wir beim »Stöckl« ankamen, war alles finster. Es war schon abgesperrt, also schlich ich von hinten, über die Küche, hinein, meine Kollegen im Schlepptau. Wir gingen in die Speisekammer, wo wir einen riesigen Kessel mit richtigem Rindsgulasch und daneben gekochte Erdäpfel fanden, die am nächsten Tag in der Früh zu Erdäpfelknödel verarbeitet werden sollten.
Die beiden Burschen waren so ausgehungert, dass sie mit der Hand das Gulasch rausgehoben und in die Erdäpfel hineingebissen haben. Ich hab noch gesagt: »Wartet’s doch, ich geb euch Teller«, aber das war ihnen egal. Der Hunger war größer. Endlich konnten sie sich einmal satt essen.
Danach schmuggelte ich sie wieder über die hintere Küchentür hinaus. Ich war heilfroh, dass keiner aufgewacht war und niemand etwas bemerkt hatte. So gut es ging, versuchte ich, die Spuren des Gelages zu verwischen, aber am nächsten Tag runzelte meine Mutter die Stirn: »Wir haben schon wieder Mäuse gehabt.« Ich darauf ganz unschuldig: »Wieso denn?« »Na, das sieht man doch, alles angebissen.« Ich erwiderte natürlich nichts.