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Weißenhorner Barchent und überseeische Märkte
ОглавлениеIm Gegensatz zu den Welsern spielte der Vertrieb von Textilien bei den Fuggern im frühen 16. Jahrhundert eine untergeordnete Rolle. Im Rahmen ihrer Beziehungen zum Innsbrucker Hof Maximilians I. belieferten sie diesen bisweilen auch mit italienischen Stoffen. Als Maximilian 1493 seine zweite Ehe mit Bianca Maria Sforza, der Nichte des mailändischen Herrschers Lodovico il Moro, einging, bestellte er bei der venezianischen Fuggerfaktorei 160 Ellen schwarzen, mit Gold bestickten Samt für die Ausstattung von Wagen und Pferden seiner zukünftigen Gemahlin.45 Ein Darlehen über 10.000 Gulden, das die Fugger dem Habsburgerkaiser 1511 gewährten, umfasste auch englisches Tuch im Wert von 2000 Gulden sowie Samt, Seide und Kamelot für 1000 Gulden. Anfang 1518 gewährte die Fuggerfirma dem Herrscher einen Kredit über 15.000 Gulden und übernahm die Lieferung von Woll-, Seiden-, Damast-, Atlas- und Brokatstoffen im Wert von 8000 Gulden.46 Eine von Matthäus Schwarz auf der Grundlage der venezianischen Faktoreirechnung von 1516 erstellte Musterbuchhaltung zeigt, dass die Fuggerfirma damals am Rialto kostbare Stoffe wie Samt, Damast, Atlas und Kamelot einkaufte.47
Dass die Fugger sich seit den 1530er-Jahren wieder verstärkt für die Produktion und den Absatz von Barchent interessierten, hing indessen mit dem Aufbau eines ländlichen Güter- und Herrschaftskomplexes zusammen. Im Jahre 1507 hatte Jakob Fugger der Reiche von König Maximilian pfandweise die zwischen Augsburg und Ulm gelegene Grafschaft Kirchberg mit der Herrschaft Weißenhorn erworben. Diese Pfandschaft bildete nicht nur die Grundlage für den Aufstieg der Fugger in den schwäbischen Adel,48 sondern eröffnete auch neue Optionen in der Textilproduktion. Jakob Fugger lieferte Baumwolle an die Weber der Grafschaft Kirchberg und unterstützte die Einrichtung einer Barchentschau in der kleinen Stadt Weißenhorn, die neben der Qualitätskontrolle auch dazu dienen sollte, die Abhängigkeit der dortigen Weber von der Textilschau der Reichsstadt Ulm zu verringern.49
Da Jakob Fuggers Neffe und Nachfolger Anton Fugger mit der religiösen und politischen Entwicklung in Augsburg als Katholik nicht einverstanden war, hielt er sich in den 1530er-Jahren längere Zeit in der Herrschaft Weißenhorn auf.50 In dieser Zeit förderte er das Textilgewerbe durch die Anschaffung zweier Flachsbleichen. Auch die Baumwolleinkäufe der Gesellschaft in Venedig nahmen nun deutlich zu. Um 1535 hatten die Fugger bereits rund 30.000 Gulden in das Weißenhorner Textilgewerbe investiert. Ende der 1530er-Jahre verzeichneten sie Ausgaben in Höhe von 63.741 Gulden für den Barchenthandel. Weißenhorner Barchent wurde vor allem in die Niederlande, nach England und nach Spanien exportiert: In der Faktorei Antwerpen lagerten 1539/40 nicht weniger als 11.125 Barchenttuche. Im Jahre 1552 arbeiteten fast 300 Weber in Weißenhorn und Umgebung im Verlagssystem für die Fugger. Diese Konjunktur provozierte jedoch den Widerstand der Reichsstadt Ulm, die die Textilherstellung in der Fuggerherrschaft als missliebige Konkurrenz betrachtete. Die Fugger bemühten sich angesichts dieses Gegenwinds um die Unterstützung König Ferdinands, der als Statthalter seines Bruders Karl V. im Reich fungierte und zu den wichtigsten Kunden und Schuldnern des Handelshauses gehörte. Im Jahre 1538 erneuerte Ferdinand das Privileg für die Weißenhorner Barchentschau. Militärische Konflikte in den folgenden Jahren – der Schmalkaldische Krieg Karls V. gegen ein Bündnis evangelischer Fürsten und Städte 1546/47 sowie der von Kurfürst Moritz von Sachsen angeführte Fürstenaufstand von 1552 – führten jedoch zu einem Einbruch der Tuchproduktion. Der ständigen Auseinandersetzungen mit Ulm müde, stimmte Anton Fugger 1555 schließlich einem Abnahmemonopol Ulmer Kaufleute für Weißenhorner Barchent zu und überließ der Reichsstadt für 11.000 Gulden die Lagerbestände an Baumwolle.51
Aus der Perspektive der frühen Globalisierung ist der Vertrieb Weißenhorner Barchents in Spanien und der Neuen Welt von besonderem Interesse. Hanf und Flachs gedeihen auf den kargen Böden der Iberischen Halbinsel nur schlecht, sodass für das Mischgewebe aus mediterraner Baumwolle und mitteleuropäischem Leinengarn dort gute Absatzchancen bestanden. Mit seinem Antwerpener Faktor Veit Hörl korrespondierte Anton Fugger 1544 über die Frage, welche Farben und Muster für den spanischen Markt besonders geeignet waren. In den kastilischen Messestädten Medina del Campo, Villalón und Medina de Rioseco fanden sich sowohl Adelige, königliche Beamte und internationale Kaufleute als auch kleinere Händler und Handwerker unter den Abnehmern. Zum Jahresende 1547 rechnete der spanische Fuggerfaktor Jobst Walther über den Empfang und Verkauf von 11.755 Stück Barchent ab. Zu den größten Kunden des Handelshauses gehörte eine Gruppe um den Admiral von Kastilien, Antonio de Medina, und den aus einer Florentiner Familie stammenden, in Valladolid lebenden Kaufmannsbankier Rinaldo Strozzi, die den Fuggern 1546 fast 2800 Stück Barchent auf Kredit abgekauft hatte. Großabnehmer war außerdem eine Gruppe um den in Geislingen geborenen Alberto Cuon sowie um Raimundo de Taxis und mehrere französische Kaufleute, die dem Handelshaus im selben Jahr den Kaufpreis für 1500 Stück Barchent schuldeten. Ein Schuldner namens Alonso de la Peña hatte sich nach seinem Bankrott nach Amerika abgesetzt, sodass der Fuggervertreter in Sevilla, Christoph Raiser, eine Vollmacht zur Eintreibung der Forderung in die Neue Welt schicken musste. In Sevilla verkaufte Raiser in den 1540er- und frühen 1550er-Jahren schwäbischen Barchent und niederländische Tuche an Kaufleute, die im Amerikahandel aktiv waren.52
Zumindest für ein Jahrzehnt avancierte Barchent somit zu einem globalen Handelsgut: Zwischen ca. 1545 und 1555 gelang es den Fuggern, den Einkaufsort Venedig, die Produktionsstandorte in Schwaben, den Transitort Antwerpen und den spanischen Absatzmarkt so miteinander zu verknüpfen, dass eine Handelskette entstand, die von der Levante bis in die Neue Welt reichte. Dass diese interkontinentale Handelsverbindung in der Folgezeit wieder abriss, lag vordergründig an dem bereits erwähnten Umstand, dass Anton Fugger sich aus diesem Geschäftszweig zurückzog, um den Konflikt mit der Reichsstadt Ulm zu entschärfen.
Dahinter verbirgt sich jedoch ein tief greifender Strukturwandel: Um die Mitte des 16. Jahrhunderts gingen Fugger wie Welser dazu über, ihre Unternehmungen durch die Aufgabe wenig rentabler Geschäftszweige und die Schließung von Standorten zu konsolidieren. Nach 1560 verzichteten beide Handelshäuser auf feste Niederlassungen am einst so wichtigen Standort Venedig und ließen ihre Interessen dort von Kommissionären wahrnehmen, die formal selbstständige Kaufleute waren und für ihre Dienste Provisionen erhielten.53 Zwar führten die Welser weiterhin Augsburger und Ulmer Barchent in ihrem Sortiment, und Ende der 1550er-Jahre sind größere Lieferungen nach Antwerpen dokumentiert.54 Die große Zeit ihres Handels mit schwäbischen Textilien war um diese Zeit allerdings vorbei. Sehr beträchtlich war in den 1550er-Jahren hingegen noch der Handel der Christoph-Welser-Gesellschaft mit italienischen Samt- und Seidenstoffen sowie mit englischen und niederländischen Tuchen.55
Die Lücken, die die großen Gesellschaften auf den Textilmärkten hinterließen, wurden durch mittlere und kleinere Handelsfirmen geschlossen, die sich weitgehend auf Baumwoll- und Barchenthandel spezialisierten. Ein gut dokumentiertes Beispiel ist die in Konstanz und Memmingen ansässige Gesellschaft Felix und Jakob Grimmels, deren Vater und Onkel um 1500 für die Welser-Vöhlin gearbeitet hatten. Da die Standorte ihrer Firma inmitten eines Textilreviers lagen, konzentrierten sich die Grimmel auf den Handel mit schwäbischer Leinwand und Barchent. Sie kauften in den Reichsstädten Memmingen, Kempten, Kaufbeuren, Augsburg, Biberach und Leutkirch, aber auch in Landstädten und Marktorten Textilien auf und setzten sie in Venedig, Antwerpen und auf den Messen im schweizerischen Zurzach ab. In Memmingen, Kaufbeuren und Biberach praktizierten die Grimmel den Barchentverlag, indem sie Webern Baumwolle als Vorschuss gaben und ihnen die fertige Ware abnahmen. Geld- und Wechselgeschäfte wurden über ein verwandtes Augsburger Handelshaus abgewickelt. Für eine mittelgroße Handelsgesellschaft mit einer begrenzten Kapitaldecke war die Beschränkung auf den Textilsektor eine sinnvolle Strategie.56
In Augsburg selbst stieg die Barchentproduktion bis ins frühe 17. Jahrhundert zwar weiter an und erreichte am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs mit einer Jahresmenge von rund 430.000 Tuchen sogar einen Höchststand.57 Zugleich zeigten sich jedoch deutliche Anzeichen einer Überproduktion: Das Hauptprodukt der Augsburger Weber war zunehmend schwieriger abzusetzen, und der Rat der Reichsstadt musste Kontroll- und Stützungsmaßnahmen wie die Begrenzung der Schuldenhöhe, die ein Weber bei einem Kaufmann eingehen konnte, und die Einrichtung eines Pfandgewölbes für Tuche einführen.58 Das Textilgewerbe bildete noch immer das Rückgrat der Augsburger Wirtschaft – doch die Familien Fugger und Welser, die einst mit ihm groß geworden waren, hatten längst andere Wege eingeschlagen.