Читать книгу Peter Grant - Ein Leben für Led Zeppelin - Mark Blake - Страница 9
ОглавлениеIm Frühling 1958 war das neu eröffnete Londoner Planetarium die jüngste Touristenattraktion der britischen Hauptstadt. Innerhalb des Kuppelbaus in der Marylebone Road starrten Besucher auf eine bunte Auswahl von Galaxien und Sternen, die sich über ihren Köpfen auftat.
Zuhause auf der guten alten Erde trafen sich die Männer, die mit der Aufgabe betraut wurden, Amerikas Rock’n’Roll-Stars zu chauffieren, in der Fahrerkantine auf dem Allsop Place. Peter Grant ging dort oft ein und aus. Hier trank er Tee und tauschte sich mit seinen Kollegen aus, bevor er seine Acts einsammelte und sie in seinem Bus Platz nahmen.
Da gab es die amerikanischen Headliner-Bands, die in der Kälte bibberten und sich größte Mühe geben mussten, um dem britischen Zungenschlag folgen zu können. Daneben die Vorgruppen: Teenager mit beachtlichen Haartollen und übergroßen Gitarren. Und dann waren da noch die Varieté-Künstler – Entertainer, die sich mit besagten Musikern den Agenten teilten und darauf hofften, dass der Rock’n’Roll-Glanz ein wenig auf sie abfärben würde.
Ein paar Jahre lang fuhr Grant sie alle: von Gene Vincent über Little Richard bis hin zu Cliff Richard und den Shadows. Die Komiker-Geschwister Mike und Bernie Winters genauso wie den jodelnden Schnulzenbarden Frank Ifield. Sein Job war es, sie zu ihren Gigs zu befördern, auf die Bühne zu scheuchen und anschließend dafür zu sorgen, dass sie auch bezahlt wurden.
In Grants Reisepass war als Beruf „Theatermanager“ angegeben. Das roch ein wenig nach Wunschdenken. Im Frühling 1960 verbrachte er vier Monate mit Wee Willie Harris in Italien. Die britische Pop-TV-Show Six-Five Special hatte Willies theatralische Bühnenshow in die Wohnzimmer der Nation übertragen. Harris fehlte die einstudierte Coolness eines Elvis’ oder Gene Vincents. Mit seinen orangegefärbten Haaren und seiner an einen Höhlenmenschen erinnernden Leopardenfell-Tunika ähnelte er einer zum Leben erwachten Comicfigur.
Zu Harris’ Begleitmusikern während seines Italien-Gastspiels gehörte auch der Gitarrist Derek Berman, der das Pseudonym Derek Burns benutzte. „Wir reisten in einem Alfa Romeo Superlight Sprint und Peter Grant fuhr uns mit der Ausrüstung im Van hinterher“, erinnert er sich. „Wir spielten jeden Abend und ich glaube nicht, dass irgendjemand Schlaf fand. Es waren 16 Wochen in der Hölle.“
Die Band, gekleidet als urbane britische Gentlemen im Nadelstreif und mit Melone auf dem Kopf, gab vor, schockiert zu sein, wenn Harris auf der Bühne erschien. Seine dürren weißen Beinchen schlotterten unter dem mit einem Tierfellmuster bedruckten Lendenschurz. Die Wirkung blieb niemals aus. Willie war unglaublich populär in Italien, wo er in jenem Jahr auch in zwei Filmen mitwirkte: im Roadmovie/Reisebericht Mondo di Notte und in der Brachial-Komödie Tototruffa ’62.
In Großbritannien echauffierte sich ein Regierungskomitee jedoch darüber, dass er „jugendliche Dekadenz“ verherrlichen würde. Grant erzählte der Presse später, dass der Papst persönlich interveniert hätte, um einen Auftritt von Harris’ im italienischen Fernsehen zu verhindern. Ob das nun stimmte, war egal. Es trug zum Mythos bei.
Derek erinnert sich an Grant als zuverlässigen und unermüdlich komischen Burschen. „Ich weiß nicht, was es mit diesem anderen Peter Grant auf sich hatte. Bezüglich der ganzen Geschichten, die ich später hörte, kann ich nur annehmen, dass das mit den Drogen und den Leuten, mit denen er sich abgab, zu tun hatte. Auch weiß ich noch, dass er sich abmühte, um über die Runden zu kommen. Er hatte rein gar nichts. Niemand verdiente auch nur irgendetwas.“
Drei spezifische Ereignisse versinnbildlichen Grants Arbeitsleben in diesen Tagen ganz gut. In den späten Fünfzigerjahren spielte der Teenager Phil Carson für Cal Danger, der sich selbst frech als „britischen Gene Vincent“ vermarktete, Bassgitarre. Danger überzeugte einen Veranstalter davon, dass er sogar der echte Gene Vincent wäre, was wiederum Don Arden erzürnte, der das Original vertrat. Arden kümmerte sich darum, dass diesem Scharlatan bei seinem nächsten Auftritt das Handwerk gelegt wurde.
Carson erinnert sich, wie er im Van, einem Austin Somerset, saß, als das Gefährt auf dem Weg zur Show plötzlich anhielt: „Die Fahrertür wurde geöffnet und Cal nach draußen gezerrt. Der Drummer und ich saßen hinten und hörten die Klopperei. Wir waren Teenager und hatten die Hosen gestrichen voll. Dann ging die Beifahrertür auf und ein großer Kopf erschien. ‚Wer zum Geier seid ihr denn?‘, fragte dieser. ‚Wir sind Cal Dangers Band‘, flüsterten wir kleinlaut. ‚Das war einmal. Raus mit euch.‘ Das war meine erste Begegnung mit Peter Grant.“
Hätte Phil Carson am 6. Dezember 1960 ferngesehen, dann hätte er denselben Mann in einer Comedy-Serie der BBC namens Citizen James bestaunen können. In dieser Folge, die den Titel „The Money“ trug, veranstaltete der Schauspieler Sid James in der Rolle eines Aufschneiders aus Soho eine Lotterie, bei der es 250 Pfund zu gewinnen gab. Grant war darin in einer Rolle ohne Text als einer der Losbesitzer zu sehen. Keine schlechte Besetzung! Schließlich war Grant abseits des Bildschirms ein Mann, der 250 Pfund bitter nötig gehabt hätte. Außerdem war er ständig auf der Suche nach Wegen, an Geld zu kommen.
Im selben Jahr löste der amerikanische Sänger Chubby Checker mit Hits wie „The Twist“ und „Letʼs Twist Again“ einen neuen Tanztrend aus. Der 15-jährige Jeff Dexter, der später als Club-DJ und Festival-Conferencier von sich reden machen sollte, wurde aus dem Londoner Lyceum geworfen, weil er den von Checker besungenen Twist getanzt hatte. „Angeblich war das obszön“, sagt er heute. Allerdings brachte ihm diese Publicity einen Job beim Cyril Stapleton Orchestra ein und einen Besuch von Peter Grant. „Ich kannte Peter als diesen Typen aus dem 2iʼs“, erklärt Dexter. „Ich sah ihn in Soho. Nachdem ich einen meiner Auftritte mit Cyril absolviert hatte, kam er im Lyceum hinter die Bühne, um mich zu sprechen.“ An diesem Tag befand sich Grant in Begleitung des zukünftigen DJs und Fernsehmoderators Jimmy Savile. Nach dessen Tod im Jahr 2011 kam ans Licht, dass dieser ein notorischer Triebtäter war. „Damals wusste aber niemand, dass er ein solcher Perversling war“, versichert Dexter.
In jenen Tagen betrieb Savile einen Tanzschuppen und kämpfte zeitweise als Wrestler. Die beiden Männer machten Dexter einen Vorschlag: „Peter, Gott schütze ihn, meinte, dass ich viel mehr Geld verdienen könnte, wenn ich als twistender Wrestler mein Glück versuchen würde – gleichzeitig kämpfen und tanzen. In so einem Badeanzug.“ Dexter winkte ab und so verlief ein weiterer Plan, ans große Geld zu gelangen, im Sand.
Ende 1961 arbeitete Grant nun auch ab und an als Fahrer und Bühnenmanager für die Noel Gay Agency im Londoner West End. Rock’n’Roll war nun endgültig angekommen, aber noch nicht überall so richtig durchgestartet. Noel Gay vermittelte neben Gesangs- und Tanznummern auch Trampolin-Akrobaten und Zauberer, die in Ferienlagern, Arbeiterheimen und den nunmehr glanzlosen Embassy-Ballsälen englischer Küstenstädte auftraten.
Einer dieser Acts waren die Jeanettes, drei junge singende Schwestern namens Jean, Sue und Gloria Cutting, die aus Hull in Yorkshire stammten. Peter traf das Trio bei ihren Proben in der Denmark Street, wo sie sich für eine bevorstehende Tour durch den Norden und Süden von Wales in Form brachten. Gesponsert wurde die Konzertreise von Gallaher Cigarettes. „Meiner Mum fielen zuallererst die Augen meines Dads auf“, erzählt Grants Tochter Helen.
Wenig später waren Peter und Gloria bereits ein Paar. Das Branchenblatt der Unterhaltungsindustrie, The Stage, berichtete über die Tour: „Die Reisegesellschaft umfasst den Conferencier Larry Burns, die Jeanettes, den jungen ungarischen Magier Kovari, Jimmy Rodgers aus Preston, der sich als Klavierspieler verdingt, sowie den Bühnenmanager und Fahrer Peter Grant, der schon in vielen Filmen und Fernsehproduktionen mitgespielt hat und bekannt ist für seine Rollen als zäher Bursche – immerhin ist er einen Meter achtundachtzig groß und 115 Kilo schwer!“
Die Tour umfasste insgesamt 162 Auftritte in 14 Wochen und erstreckte sich bis Ostern 1962. Grant fuhr die Acts von Stadt zu Stadt, übernachtete in denselben Pensionen und schloss sich ihnen sogar auf der Bühne an, um mit ihnen beim großen Finale, wenn auch falsch, mitzusingen. Grant bot sich den singenden Schwestern als Manager an. Sie lachten, da er schließlich noch niemanden gemanagt hatte. Als die Tour schließlich vorüber war, waren Peter und Gloria verlobt.
Grants letzter Film, Die Kanonen von Navarone, erwies sich als Kassenschlager, doch das hatte leider keine positiven finanziellen Auswirkungen auf einfache Stunts und Doubles. Später erzählte er einem Journalisten, dass Gloria und er in ihrem ersten gemeinsamen Jahr so arm gewesen wären, dass sie sich als Weihnachtsessen eine Dosensuppe geteilt hätten.
Im Juni begleitete Grant die Jeanettes zu ein paar Auftritten in einer britischen Militärbasis in Tripolis. Das Paar heiratete in diesem Sommer in Hull und zog zu Dorothy in die Norhyrst Avenue. Die frisch Verheirateten hatten es nicht einfach. Dorothy mochte zwar einen unehelichen Sohn zur Welt gebracht haben, dennoch war sie eher viktorianisch eingestellt. „Meine Großmutter war sehr prüde“, sagt Helen. „Sie mochte meine Mum nicht wirklich. Sie kamen nicht immer miteinander aus.“
Gloria war gerade mal 24 Jahre alt, hatte aber schon seitdem sie ein Teenager war am Theater gearbeitet. „Mum war zwar winzig, aber ziemlich temperamentvoll und ließ sich nichts bieten.“
Kurze Zeit darauf entdeckte Gloria, dass sie schwanger war. Das Paar zog in ein Mini-Apartment am Dorrington Court, oben auf dem South Norwood Hill. Später verdiente Grant genug Geld, dass sie in die Cromwell Road nahe Shepherds Bush ziehen konnten.
„Fürs Erste musste Dad zwei oder drei Jobs gleichzeitig annehmen“, erzählt Helen. „Er chauffierte nach wie vor Bands. Außerdem arbeitete er noch als Taxifahrer. Sie hatten nichts. Wenn er seine Schuhe ausgelatscht hatte, stopfte er sie mit Pappe aus. Er klaute die Milchflaschen, die vor den Haustüren der Leute standen.“
Als die Lage zu prekär wurde, fing Grant an, Vollzeit bei Don Arden zu arbeiten. Arden, der 2007 starb, ging in seiner Autobiografie Mr. Big schonungslos mit Grant ins Gericht. Er beschuldigte ihn, ein Dieb zu sein, stellte in Abrede, dass er jemals ein Wrestler gewesen wäre, und beschrieb ihn als „300-Pfund-Sack Scheiße“.
Ein Teil von Ardens Problem war sicher, dass der Lehrjunge sich irgendwann aufschwang, den Meister abzulösen. Trotz ihrer späteren Animositäten räumte Grant stets ein, dass er von Arden eine Menge gelernt hätte. Don war ein alter Vaudeville-Star, der seinen Ruf als sogenannter „Pate des Rock’n’Roll“ genoss. Als sein Leben sich dem Ende zuneigte, war Arden hauptsächlich als Sharon Osbournes Dad bekannt.
Arden war als Harry Levy in einer jüdischen Familie zur Welt gekommen, die nach der Revolution aus Russland geflohen war und sich in Manchester niedergelassen hatte. Später berichtete er davon, dass seine Kindheit von Antisemitismus und Gewalt überschattet war, behauptete aber auch, seine Peiniger in ihre Schranken gewiesen zu haben, indem er Ratten umbrachte und ihre Kadaver zur Schau stellte: „Sie fragten sich, zu was ich alles imstande wäre.“
Schon als Teenager begann er, sich „Don Arden“ zu nennen. Er imitierte populäre Sänger und ahmte harte Raubeine aus Hollywood wie Edward G. Robinson und James Cagney in Varieté-Nummern nach. 1956 ermutigte ihn ein Zwischenrufer im Palace in Blackpool, doch mal mit seiner eigenen Stimme zu singen. Wenig später hörte Arden zum ersten Mal Elvis und spürte, dass seine Zeit vorüber war. „Es machte keinen Sinn, weiterzumachen und zu versuchen, lauter zu singen als diese Kids“, argumentierte er.
Stattdessen erfand sich Arden als Veranstalter und Agent neu. Er war auf amerikanischen Militärstützpunkten in Großbritannien aufgetreten und hatte realisiert, dass kaum Acts gebucht wurden, die die Truppen tatsächlich gerne gesehen hätten: „Die Soldaten fragten nach Elvis und bekamen dann Fritz, den örtlichen Jodelmeister, und seinen tanzenden Bären.“
Zunächst fiel es Arden schwer, das Monopol der britischen Showbiz-Agenturen zu knacken, aber er schaffte schließlich den Durchbruch, als ihn einer seiner erfahrenen Kontakte fragte, ob er von der jungen amerikanischen Gesangssensation Gene Vincent gehört hätte. „Du wirst ihn lieben“, wurde ihm erklärt. „Er ist umwerfend.“
Arden überzeugte die New Yorker William Morris Agency davon, Vincent in Großbritannien veranstalten zu dürfen. Obwohl junge heimische Rocker wie Cliff Richard und Marty Wilde Hits produzierten, sehnte sich das britische Publikum nach dem Original aus Amerika. Arden schickte Vincent auf eine Tour durch die Konzertsäle, plante aber auch ein paar lukrative Auftritte auf amerikanischen Militärbasen ein.
Um seine transatlantischen Kontakte noch zu intensivieren, gründete Arden die Agentur Anglo-American Artists, die ihr Büro in der Curzon Street 35 im Londoner Bezirk Mayfair hatte. Die Adresse nutzte bald schon ein stets wachsendes Netzwerk von Agenten, Veranstaltern und geneigten Opportunisten, von denen viele Arden mit ihren eigenen geschäftlichen Bestrebungen auch als Konkurrenten in die Quere kommen sollten.
Die Hausnummer 35 beherbergte auch den Showbiz-Agenten Colin Berlin und den zukünftigen Manager von Van Morrison, Phil Solomon. Beide griffen auf Grants Dienste zurück. Das traf auch auf den ehemaligen Bandleader und nunmehrigen Agenten Vic Lewis zu, der seine Management-Agentur dem Beatles-Manager Brian Epstein verkaufte. Epsteins Firma N.E.M.S. wollte Ardens Klienten, die Rockgruppe Black Sabbath aus den Midlands, abwerben.
Arden avancierte auch zu einem Partner des Star Clubs, jener Location im Hamburger Rotlichtmilieu, in der die Beatles ihr Handwerk erlernten. Don erkannte jedenfalls eine Marktlücke und begann sie zu füllen – so wie das Grant später mit Led Zeppelin tun sollte. Er lotste Gene Vincent fort von anderen Veranstaltern und leitete schon bald auch Touren für andere amerikanische Acts wie Johnny Preston und Brenda Lee in die Wege. Bei ihnen handelte es sich nicht ausschließlich um Rock’n’Roll-Interpreten, aber das war egal: Hauptsache, sie waren Amerikaner.
Don und seine Frau, eine ehemalige Tänzerin mit dem Spitznamen „Paddles“, wohnten in Brixton im Süden Londons mit ihrem Sohn David und ihrer Tochter Sharon. In ihrem Haus in der Angell Road befand sich auch Ardens Büro, das seine Laufburschen beherbergte, wenn einer mal ein Bett für eine Nacht brauchte. Zu seinen Geschäftskontakten zählten die ehemaligen Wrestler und jetzigen Pop-Manager Les Bristow und Paul Lincoln. Henry Henroid, ebenfalls ein aus dem 2iʼs bekanntes Gesicht, sollte schon bald als Fahrer und Leibwächter von Gene Vincent auf der Gehaltsliste auftauchen.
Es ging bei diesem Business um Geld und sobald der Geldfluss erst einmal in Schwung gekommen war, wuchs auch Dons Entourage aus Filmkomparsen, Stunt-Doubles und Männern, die schlicht so aussahen, als könnten sie sich benehmen. „Sie waren alle in den Randbereichen des Showgeschäfts beheimatet und wurden angestellt, weil sie jemanden kannten, der auch wieder wen kannte“, sagt Sharon Osbourne.
Zu diesen Leuten zählten auch Stan Simmonds, der ebenfalls bei Cleopatra und Citizen James als Statist mitgewirkt hatte, sowie das zukünftige Black-Sabbath-Managerteam Patrick Meehan Sr. und Wilf Pine, die den Kray-Zwillingen und dem New Yorker Verbrecherboss Joe Pagano verkehrten.
Arden traf Peter Grant zum ersten Mal, als er eine Show auf einem amerikanischen Militärstützpunkt ansagte. Grant chauffierte damals den traditionellen Jazz-Act Dick Charlesworth and His City Gents. „Peter war einfach ein Junge in seinen Zwanzigern“, erinnerte sich Arden. „Aber er besaß einen VW-Bus.“
Ehe man sich versah, schloss sich Grant Ardens Gang an und verdiente fünfzig Pfund in der Woche. Von diesem Sold musste er aber selbst den Sprit berappen.
„Peter gehörte zu den Handlangern meines Dads“, sagte Sharon Osbourne „Ich erinnere mich an ihn, weil er uns zur Schule brachte und später wieder abholte.“
Allerdings machte sich Arden schon bald Peters Größe und Auftreten zunutze. Im Oktober 1962 holte Don Gene Vincent, den Soul-Star Sam Cooke und den „Tutti Frutti“-Sänger Little Richard nach Großbritannien. Henry Henroid betrieb mittlerweile den Star Club in Hamburg, weshalb Arden Grant damit beauftragte, sich als Fahrer und Bühnenmanager um Vincents Belange zu kümmern.
Die Liste von Grants Verpflichtungen wurde immer länger. Er war da, um zu tun, was auch immer Don Arden von ihm wünschte. Don hatte Chris Hutchins vom New Musical Express als seinen Pressesprecher angeheuert. Umso wütender war Arden, als der seine Entscheidung schließlich revidierte und in seinen alten Job zurückkehrte.
Little Richards Begleitband war die britische Gruppe Sounds Incorporated, die von Arden gemanagt wurde. Nach einer Show in London gesellte sich Hutchins auf einen Drink zu ihnen in ihr Hotel in Kensington. Um 2 Uhr morgens alarmierte der Portier Hutchins, dass er dringend ein Telefonat entgegennehmen müsste. So begab er sich an die Rezeption, wo er von Peter Grant empfangen und in ein Auto geschubst wurde. Grant fuhr den Journalisten nach Brixton, wo er von Arden stundenlang angeschrien, beschimpft und verhört wurde, weil der davon überzeugt war, Hutchins wolle ihm Sound Incorporated abspenstig machen, um sie selbst zu managen.
„Ich weiß nicht mehr genau, was er mir drohte“, schrieb Hutchins 2005 in seinen Memoiren Mr. Confidential. Aber ich kann mich noch an die feindselige Stimmung erinnern. Ich war mir jedenfalls nicht sicher, ob ich den Raum in einem Stück verlassen würde.“
Als schließlich die Dämmerung über dem Süden Londons hereinbrach, akzeptierte Arden Hutchins’ Unschuld und wies Grant an, ihn nachhause zu bringen. Die beiden Männer begaben sich daraufhin auf eine unangenehme Fahrt zu Hutchins’ Wohnung in Chelsea.
Abgesehen von der Geiselnahme an sich, empfand es Hutchins als besonders verstörend, dass er sich noch wenige Wochen zuvor im selben Raum ganz normal mit der Familie Arden unterhalten hatte. Über Nacht war er für nichts und wieder nichts vom Freund zum Feind mutiert.
Das spätabendliche Kreuzverhör war kein außergewöhnliches Szenario im Hause Arden. „Es spielte sich ständig irgendein Drama ab“, räumte Sharon Osbourne ein. „Irgendjemand hatte meinem Vater eins ausgewischt und schon drohte er damit, die Mistkerle umzulegen. Solange ich mich erinnern kann, hatten die Leute Angst vor ihm.“
Grant und Simmonds waren auch in jener Nacht zugegen, als Don einen Journalisten attackierte, nachdem der ihn vor seinem Sohn David beleidigt hatte. Rückblickend lassen sich Parallelen zu Grants Verhalten gegenüber einem Ordner ziehen, der seinen Sohn Warren in einem amerikanischen Backstage-Bereich niedergestoßen hatte. „Ich verhaute ihn ordentlich und sah, wie sich seine Füße vom Boden in die Luft hoben“, prahlte Arden. „Er landete schließlich auf meinem Wagen.“
„Ich hörte niemals auf, ein Performer zu sein“, erklärte Don. „Aber statt auf der Bühne zu stehen, performte ich nun im echten Leben.“
Erzählungen von Ardens Drohgebärden und Gewaltausbrüchen, ob nun real oder erdichtet, zirkulierten vielerorts: in der Redaktion des Melody Maker, unter den Musikverlegern in der Denmark Street sowie im De Hems, dem Ship und all den anderen Bars im West End, wo sich Schreiber, Musiker und ihre Betreuer über den Weg liefen. Die Anekdoten wurden bei jeder Neuauflage ein wenig weiter ausgeschmückt. „Die Musikindustrie besteht aus zwei Gruppen – den Drama-Queens und den Möchtegern-Gangstern“, erklärte Arden. „Und natürlich tratschen sie alle miteinander.“ So wie Arden die Dinge sah, paradierte er nach wie vor durch die Straßen von Manchester und schwenkte ein paar tote Ratten an ihren Schwänzen durch die Luft. Nur zog er diese Show nun eben im Londoner Musikbusiness ab. Es ging alles um die „Macht der Angst“ – ein Trick, den Grant später zu seinem Vorteil nützen würde.
1962 existierten die Berufsbezeichnungen „Roadie“ und „Tourmanager“ noch nicht. „Don oder Colin Berlin steckten mir eine Reiseroute zu“, erzählte Grant. „Ich holte dann den Act am Flughafen ab, buchte das Hotel, brachte sie dazu, ihren Kram aufzubauen, kutschierte sie zu ihren Gigs und achtete darauf, dass sie bezahlt wurden.“
Grant musste sich jedoch auch um die Probleme kümmern, wenn etwa ein Clubbetreiber die tatsächliche Anzahl der verkauften Eintrittskarten manipulierte, wenn ein Sänger zu besoffen war, um aufzutreten, oder ein liebestrunkener weiblicher Fan mit dem Hauptact geschlafen hatte und nicht wahrhaben wollte, dass der betreffende Star nicht beabsichtigte, sie zu ehelichen. Außerdem gab es skrupellose Veranstalter, die Gruppen zunächst an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden buchten. Sie zahlten pünktlich und lullten deren Agenten mit einem falschen Gefühl der Sicherheit ein. Anschließend buchten sie denselben Act in einem riesigen Konzertsaal, verkauften mehr Eintrittskarten als je zuvor und versprachen die Gage per Scheck auszuzahlen. Der Scheck kam jedoch nie an und der Veranstalter tauchte ab. Diejenigen, die ihre Schuld leugneten, fanden in Don Arden einen zähen Kontrahenten. Wie Peter Rachman war auch Arden dafür bekannt, Geldeintreiber zu beschäftigen, die eine hundertprozentige Erfolgsquote aufwiesen.
Manchmal uferten Streitereien wegen Geldes und Rivalitäten zwischen Veranstaltern auch in Handgreiflichkeiten aus. Eines Abends trafen Grant und Mickie Most in einem Club in Hitchin ein, wo gerade eine Gang den Rausschmeißern mit Macheten drohte – ein Racheakt für irgendein Fehlverhalten des dortigen Veranstalters.
Mitunter waren die Auseinandersetzungen aber eher komischer als bedrohlicher Natur. Als sich Arden und Rik Gunnell verkrachten, entsandten die beiden Promoter jeweils einen Schlägertrupp in das Büro des anderen. Grant erinnerte sich, wie sich die beiden Gangs in der Curzon Street 35 begegneten: Ardens Männer kamen gerade die Treppe herunter, als Gunnells Vollstrecker hinaufstiegen. Als sie realisierten, dass sie alle schon im Voraus bezahlt worden waren, machten sie sich zusammen auf den Weg ins nächste Pub, um sich dort volllaufen zu lassen.
Für die Unterhaltungskünstler selbst unterschied sich die neu entstehende Welt der Popmusik nicht besonders stark von der sterbenden Welt des Varietés. Alle jagten nach wie vor dem Geld, dem Sex und der Aufmerksamkeit hinterher – und alle versuchten, der Eintönigkeit der Fahrten zwischen den einzelnen Gigs entgegenzuwirken. „Es war die gleiche Art Irrsinn, derselbe Blödsinn eben“, plauderte Grant aus dem Nähkästchen. Grant hatte einmal zugesehen, als ein gelangweilter Tubby Hayes, ein umjubelter Jazz-Saxofonist, seine Fürze in einer Garderobe in Brand steckte.
Später, als Amerikas neuester Pop-Teenieschwarm Brian Hyland durch Großbritannien tourte, musste Grant ihn aus dem Odeon in Guildford schmuggeln, nachdem sich ein paar Mädchen gewaltsam Zutritt zu seiner Garderobe verschafft und ihn dabei mit Glasscherben übersät hatten.
Mit jeder Woche, die verging, wurde Grant Zeuge von schwindligen Aktionen oder Betrügereien. Bei einer seiner letzten Ausfahrten chauffierte er 1962 B. Bumble and the Stingers auf einer einmonatigen Tour durch die Provinz. Die amerikanische Gruppe hatte gerade mit einer aufgepimpten Version von Tschaikowskis „Marsch der Zinnsoldaten“ mit dem Titel „Nut Rocker“ einen Hit gefeiert. Als Grant sie vom Flughafen abholen sollte, fand er eine Gruppe unglamouröser Session-Musiker vor und keine Popstars. „Nut Rocker“ war offenbar das Werk eines Produzenten und einiger angeheuerter Helfer. Als die Platte zum Hit avancierte, stellte das Label eine Mogelpackung zusammen, die die Nummer als Band promoten sollte. Vier Jahre später lieferte Grant selbst eine ähnliche Aktion mit der New Vaudeville Band und ihrem Hit „Winchester Cathedral“.
B. Bumble and the Stingers mochten zwar nicht ganz authentisch gewesen sein, doch von Gene Vincent konnte man das nicht behaupten. Und weder Tubby Hayes’ Flatulenzen noch Brian Hylands wilde weibliche Fanbase konnten Grant auf das Leben mit Vincent einstimmen.
1955 hatte sich der als Eugene Vincent Craddock in Norfolk, Virginia, geborene Sänger gerade freiwillig zur Navy gemeldet. Dann passierte jener Motorradunfall, der seinem linken Bein einen dauerhaften Schaden zufügte und seine Militärlaufbahn jäh beendete. Ein Jahr später hatte Craddock seinen Namen in Gene Vincent geändert und einen Plattenvertrag in der Tasche. Die erste Single von Gene Vincent and His Blue Caps, „Be-Bop-A-Lula“, mitsamt ihrem stotternden, gedehnten Gesang war eine ihrer großartigen Rock’n’Roll-Nummern und verkaufte sich innerhalb eines Jahres ganze zwei Millionen Mal.
Es sollten noch weitere Hits folgen. Vincents Auftritt in der britischen Musikshow Boy Meets Girl sowie seine darauffolgende Tour im Dezember 1959 verhalfen ihm zu einem Karrierehoch in Großbritannien, als er sich in seiner Heimat Amerika gerade im Sinkflug befand. Der üblicherweise in Schwarz gekleidete und über seinen Mikroständer gebeugte Vincent war der Prototyp für jeden mürrischen, in Leder gehüllten Rockstar, der nach ihm kommen sollte. Doch sein Verhalten abseits der Bühne war in der Regel noch düsterer.
Gene hatte sich den Empfehlungen seiner Ärzte widersetzt, sein arg ramponiertes Bein amputieren zu lassen und litt nun unter chronischen Schmerzen. Auch hatte er sich mit Osteomyelitis angesteckt, einer infektiösen Knochenmarkentzündung, was zur Folge hatte, dass das Bein verfaulte. Er kombinierte daraufhin Schmerzmittel mit Alkohol. Eine riskante Mischung. Nur wenige, die ihn im Tooting Granada sahen, wussten, dass er den Mikroständer benötigte, um sich abzustützen. Wenn das Adrenalin und die Pillen nicht länger wirkten, benutzte er Krücken zum Gehen.
1963 hatte Vincent seinen Lebensmittelpunkt bereits nach Großbritannien verlegt und wurde von Don Arden gemanagt. Er war regelmäßig zu Gast in der Angell Road und brachte Sharon Osbourne später sogar das Schwimmen bei. „Sein seltsames, deformiertes Bein trieb im Wasser“, erinnert sie sich. In England befand sich der Sänger außerhalb der Reichweite seiner beiden Exfrauen und des amerikanischen Finanzamts. Dort lernte er auch seine nächste Ehefrau kennen, eine englische Tänzerin und früheres Showgirl im Murrayʼs namens Margie Russell. Binnen kurzer Zeit waren Arden und Peter Grant für jeden beruflichen und privaten Aspekt im Leben des Sängers verantwortlich.
Als Peter das Ruder übernahm, gab ihm Don eine simple Anweisung mit auf den Weg: „Pass auf, dass der Scheißer in einem Stück zu den Konzerten kommt und sich vom Whisky fernhält.“ Grant war bereits zuvor Zeuge von Vincents explosivem Verhalten geworden. Im Mai 1962 war Gene zusammen mit dem karibischen Sänger Emile Ford getourt und hatte seine Garderobentüre mit Ku-Klux-Klan-Symbolen versehen.
Die meisten Tage begannen mit einer kleinen Stärkung in Form eines Shots Scotch oder Wodka. Das ging dann so weiter, bis ihm der Schnaps ausging oder Grant ihn konfiszierte. Sobald er aus seiner Wohnung oder seinem Hotelzimmer gescheucht worden war, ließ er sich ungelenk auf dem Beifahrersitz neben Peter nieder. Irgendwo am Körper hatte er immer ein alkoholisches Getränk bei sich. Wenn ihm Peter nicht schnell genug fuhr, dann half er nach, indem er mit einer Krücke das Gaspedal durchtrat.
„Eines Tages, so sagte mir Peter, hatte er sämtlichen Alkohol entsorgt, aber Gene ließ sich immer noch volllaufen“, erinnert sich Barrie Keefe. „Peter hatte keine Ahnung, woher der Alk kam. Dann schnappte er sich Genes Krücken und ihm fiel auf, dass die eine leicht und die andere schwer war. Die schwerere Krücke war gefüllt mit Mini-Flaschen Martini.“
Der Musikjournalist Keith Altham wurde Zeuge einer weiteren großartigen Peter-Grant-Anekdote, als er zwei von Vincents Konzerten in einem Saal in Aylesbury verfolgte. Während Grant nach der ersten Show die Gage kassierte, kam es im Bus zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Gene und Margie. „Gene zog seine Frau an den Haaren und schlug ihren Kopf gegen das Fenster“, berichtet Altham. „Peter sprang in den Bus und trennte die beiden. Er war fuchsteufelswild und schrie: ‚Ich versuche hier die verdammte Kohle einzutreiben.‘“ Als er wieder ausgestiegen war, ging der eheliche Disput in die nächste Runde. „Nur dieses Mal donnerte seine Ehefrau Genes Schädel gegen die Scheibe.“ Grant ging erneut dazwischen.
In der Stunde bis zum nächsten Auftritt konsumierte Vincent den Großteil einer Flasche Wodka, kippte um und verkeilte sein gutes Bein zwischen seinem Sitz und einer senkrechten Stange. Grant musste eingreifen und die Stange verbiegen, um das angeschwollene Bein zu befreien.
Da Arden sich Genes Benehmens bewusst war, inkludierte er eine Klausel in dessen Vertrag, dass er nur auf der Bühne erscheinen müsse, um bezahlt zu werden. Grant stellte den Star auf seine Beine und obwohl dieser nun gleich zwei schadhafte Beine hatte, manövrierte er ihn rechtzeitig, als der Vorhang sich hob, auf die Bühne. Grant hatte eine kuriose Methode gefunden, um ihn aufrecht zu halten. „Er stopfte den Mikroständer hinten durch Genes Jacke“, erzählt Keeffe. „Das reichte gerade so aus, um ihn zu stabilisieren.“ Offenbar krächzte Vincent nur ein paar Zeilen der ersten Nummer, bevor er das Bewusstsein verlor. Grant sammelte ihn ein, trug ihn von der Bühne „wie ein Schwein am Spieß“ und holte dann die Gage ab.
Während einer von Vincents frühen Tourneen durch Großbritannien kursierte das Gerücht, dass in Schottland statt ihm ein Imitator auftreten würde. Aufgebrachte Teddyboys stürmten die Garderobe der Hawick Drill Hall, wo ihnen der echte Gene Vincent mit einer geladenen Schusswaffe entgegentrat. Gene war auf makabre Weise von Waffen fasziniert. So trug er oft einen Revolver, ein Messer und später auch mal eine Peitsche bei sich, die er ohne Rücksicht auf alle, die sich in seiner Schlagdistanz aufhielten, knallen ließ. An seinem ersten Weihnachten in London präsentierte er sich besonders schießwütig. So wie Don Arden die Geschichte erzählte, rief ihn Genes neue Frau Margie in Panik an und behauptete, dass ihr Mann sie mit einer Knarre bedrohe. Gene war gerade von einer Tour heimgekehrt und beschuldigte sie der Untreue.
Arden und Grant eilten zur Wohnung des Paares. Gene war inzwischen zur Erkenntnis gekommen, dass seine Frau eine Affäre mit dem Nachbarn hätte, und war losgezogen, um diesen damit zu konfrontieren. „Gene schob den Lauf der Waffe durch den Briefschlitz und feuerte munter drauflos“, berichtete Arden. „Er gab drei oder vier Schüsse ab, bis Peter ihn zu Boden gerungen hatte.“
Angeblich verschaffte sich Grant gewaltsam Zutritt zur Wohnung, um nachzusehen, ob Vincent jemanden getroffen hatte. Zum Glück war der Mieter über Weihnachten verreist. Als er zurückkehrte, kam Arden für den Schaden auf.
Offenbar musste Peter Gene Vincent noch öfter entwaffnen. Im Büro von Swan Song Records wurde erzählt, dass Grant Vincent eine Startpistole abnahm, nachdem dieser in einem Hotel in Brighton damit auf Leute geschossen hatte. Die Polizei versuchte, ihn zur Aufgabe zu ermuntern. „Peter drängte an den Bullen vorbei und rief ‚Gene, du dämliche Fotze!‘ und konfiszierte das Schießeisen“, berichtet jemand, dem die Geschichte erzählt worden war.
Auch kam es vor, dass sich Vincent gegen seinen Aufpasser wandte – und vice versa. Eines Nachts steuerte Gene Peters Wagen über einen Kinoparkplatz und versuchte, ihn zu überfahren. In Italien, so behauptete Don Arden, seien die beiden aneinandergeraten, woraufhin Peter versehentlich auf Genes Bein landete, was sein bereits versehrtes Bein weiter in Mitleidenschaft zog. „Das hätte Gene fast das Leben gekostet“, so Arden. „Er wurde bis zur Hüfte eingegipst und musste nach London zurückgeflogen werden.“
Für Grant gehörten all diese Vorfälle zu einer lebenswichtigen Erfahrung. „Wenn ich nicht mit Gene Vincent und den anderen auf Tour gewesen wäre, hätte ich wohl nicht gewusst, wie ich mit den Ereignissen der letzten vier oder fünf Jahre hätte umgehen sollen“, erzählte er dem Melody Maker, als Led Zeppelin in voller Blüte standen.
Grant verdankte Vincent auch sein erstes demoliertes Hotelzimmer. Dieses befand sich im Cumberland am Londoner Denkmal Marble Arch und war noch nicht einmal Vincents eigenes Zimmer, sondern das seines Co-Stars Eddie Cochran. Nach einem Anruf des besorgten Hotelmanagers traf Grant ein und fand die ausgehängte Zimmertür im Flur. Nachdem sich Eddie geweigert hatte, Gene Vincent einzulassen, hatte der die Tür aus den Angeln gerissen. „In meinen Augen waren das verdammte Irre“, sagte Grant. „Ich begab mich also zum Manager und handelte eine Lösung mit ihm aus. Später erklärte ich den beiden, dass wir uns in England nicht so aufführten. Es ging bei der Sache um ein Mädchen.“
Die Arbeit mit Vincent offenbarte Grant außerdem Ardens heißgeliebtes Konzept rund um die „Macht der Angst“. „Peter gab vor, eine Pistole bei sich tragen“, erzählt Ed Bicknell. „Gene Vincent und all diese Acts hatten das Problem, dass sich die Jungs im Publikum darüber ärgerten, welchen Effekt sie auf ihre Freundinnen hatten. Peter erzählte, dass sie mitunter von Typen angemacht wurden, also versuchte er sie einzuschüchtern, indem er auf seine Jackentasche klopfte und vortäuschte, bewaffnet zu sein. Das funktionierte jedes Mal.“
Grant behauptete hingegen, tatsächlich gelegentlich eine Pistole getragen zu haben, da Vincent darauf bestanden hätte. Vor einem Gig in Rotherham Baths fand sich Grant in seinem 57er Chevy von „einer Gruppe ortsansässiger Rabauken“ umzingelt, die den Popstar in die Mangel nehmen wollten. „Ich sagte ihnen, dass sie mir scheißegal wären, öffnete meine Jacke und zeigte ihnen das Holster. Da suchten sie schnell das Weite.“
So manchem, der sich an Grant aus diesen Tagen erinnert, fällt es schwer, diesen Mann von damals mit dem furchteinflößenden Manager von Led Zeppelin in Einklang zu bringen. Der spätere „Peter Grant“ befand sich noch in Arbeit.
Im Sommer 1963 tourte die britische Instrumental-Gruppe The Outlaws als Begleitband von Gene Vincent und Jerry Lee Lewis durch Großbritannien und Deutschland. Grant war als Tourmanager mit an Bord. Die Outlaws bestanden aus Chas Hodges (später beim Pub-Rock-Duo Chas ’n’ Dave), dem zukünftigen Deep-Purple-Gitarristen Ritchie Blackmore sowie dem Drummer Mick Underwood, der später auch mit Ian Gillan von Deep Purple spielen sollte. Grant schlüpfte umgehend in die Rolle als Boss, älterer Bruder und Mitverschwörer.
„Peter war zum Schießen“, sagt Mick Underwood heute. „Man wusste, dass man ihn besser nicht verarschte, aber manchmal machte ihm der ganze Irrsinn ebenso viel Spaß wie uns.“ Die Band fand rasch heraus, dass Grant die meisten Leute mit Spitznamen bedachte. „Peter nannte Gene Vincent ‚Finger‘, aber ich habe keine Ahnung weshalb“, so Underwood. Auch gehörten Cockney-Reime zu seiner Spezialität. Als einer aus der Reisegesellschaft sich in ihrem Hamburger Hotel mit einem Mädchen unterhalten wollte, warf ihm Grant einen fragenden Blick zu: „Aber hoffentlich nicht die mit den haarigen Schotten?“ Die Schotten leiteten sich von „scotch eggs“ – schottischen Eiern – ab, die im Cockney-Reim-Slang für „legs“, also Beine, standen.
„Ich wurde Zeuge, wie Peter schon mal ausfällig wurde“, räumt Underwood ein. „Aber das spielte sich auf rein verbaler Ebene ab. Er mochte Gene Vincent, behandelte ihn aber so, wie er das tun musste. Man konnte Gene seine Faxen nicht durchgehen lassen. Das war gefährlich. Aber Peter war achtsam, was Don Arden betraf. Eine seiner Redensarten lautete: ‚Don wird die verdammte Wand hochgehen.‘ Das bekamen wir oft zu hören, wenn etwas nicht nach Plan lief.“
Allerdings kam es auch schon mal vor, dass Grant selbst der Schalk im Nacken saß. Bei einem Auftritt in einem tristen Gemeindesaal entdeckten die Outlaws, dass nach ihnen die kugelrunde Pub-Pianistin Mrs. Mills auftrat. Als Grant die Gage eintreiben wollte, passierte er ihre leere Garderobe und erspähte im Vorbeigehen ein Outfit auf einem Kleiderbügel. Wenige Minuten später erschien er wieder in der Garderobe der Outlaws – in Mills’ Kleid gehüllt! Über seinem großen Hinterteil und an den Armen spannte der feine Zwirn ein wenig. Die Gruppe brach in schallendes Gelächter aus, während Grant sie mit ernster Miene ansprach: „Was haltet ihr davon, Jungs?“
Im Juli 1963 brachte Gloria ihre Tochter Helen zur Welt. „Ich weiß nicht, ob ich geplant war oder nicht“, sagt sie. „Mum wollte Sängerin sein und sich im Musikbusiness bewegen – und ich setzte diesen Plänen ein Ende. Mum war sehr ambitioniert und ich glaube, dass sie sich ziemlich dagegen gesträubt hat, alles aufzugeben.“
Peters Reisepass von 1963 dokumentiert seine zahllosen Trips kreuz und quer über das europäische Festland. „Meine Mum war noch jung und wollte ihre Freunde und ihre Familie im Norden in Hull besuchen. Also verbrachte ich viel Zeit mit meiner Großmutter in der Norhyrst Avenue. In einem ihrer Tagebücher las ich: ‚Die arme kleine Helen ist bei mir geblieben … Gloria ist wieder einmal fort.‘ So sah ihr Leben aus.“
Grant erzählte Malcolm McLaren, dass er glaubte, Gloria hätte ihm seinen Erfolg geneidet. Später besorgte er seiner Frau einen Job als Background-Sängerin von Duane Eddy bei Auftritten in Großbritannien. Als Arden ihn einmal zum Glasgower Flughafen entsandte, um die amerikanische Gesangsgruppe The Shirelles abzuholen, „weil sie keine Arbeitsgenehmigung hatten“, gerieten Gloria und er in Streit. „Sie machte einen Aufstand, als ich aufbrach“, erzählte er McLaren. „Sie konnte nicht damit umgehen. Dass die Shirelles drei umwerfend aussehende Mädels waren, half dabei nicht wirklich weiter.“
„Mum ließ sich keinen Bullshit gefallen und war außerdem eine ziemlich eifersüchtige Person“, erklärt Helen. „Zurecht bei dem Geschäft. Da wäre ich vermutlich nicht anders.“
Mick Underwood erinnert sich, dass sich Peter kurz nach der Geburt seiner Tochter von der Tour verabschiedete. Grant bat ihn, sich in seiner Abwesenheit um Gene zu kümmern. Die Outlaws waren zwar Fans, doch ihre Zeit als Begleitband von Vincent stellte ihre Bewunderung ernsthaft auf die Probe. „Gene war schon ziemlich anstrengend, das erfuhr ich am eigenen Leib“, sagt Underwood. „Als Peter mich um Hilfe bat, fragte ich mich, warum er nicht jemand anderen damit beauftragen konnte. Ich war schließlich der Jüngste, weshalb Granty sich vermutlich dachte, dass er mir nichts zusätzlich zu zahlen bräuchte.“
Vincent und die Band sollten am Wochenende in Belfast auftreten. Grant vertraute Underwood das Reiseticket des Stars an und wies ihn strikt an, ihm das bloß nicht auszuhändigen. Als sie in Nordirland eintrafen, zeigte sich Gene von seiner übelgelaunten Seite. Er hatte sich gerade erst im Krankenhaus untersuchen lassen und die Sache war nicht wirklich gut verlaufen. „Keiner von uns wusste, was mit seinem Bein los war“, gesteht Underwood. „Er trug einen Gips, an dem am unteren Ende ein Lederblock angebracht war, in der Art eines Schuhs mit zusätzlichem Absatz.“ Dieses Lederteil war aber zu groß und verstärkte Genes Hinken noch. „Er sagte immer wieder, dass es zu hoch wäre, und fragte, ob man nicht etwas davon abschneiden könnte“, berichtet Underwood. „Das erwies sich als Schwerarbeit.“
Es waren bereits einige Minuten vergangen und Underwood war noch nicht einmal halb durch den Absatz, als ein anderer für diesen Abend engagierter Act, der Sänger und Komiker Kenny Lynch, in die Garderobe spazierte: „Ich fragte ihn, ob er uns nicht mal schnell helfen könnte. Und Kenny, Gott schütze ihn, nahm von hieran die Sache in die Hand.“
Nach der Show humpelte Vincent auf Underwood zu und forderte, wovor sich dieser schon gefürchtet hatte: „Er sagte, dass er sein Ticket haben wolle.“ Am nächsten Abend stand ihnen eigentlich noch ein Gig bevor, doch Gene hatte entschieden, dass er abreisen wollte. Underwood versuchte, ihm ins Gewissen zu reden, doch letztlich konnte er sich ihm nicht widersetzen. „Er war ja schließlich ein Held von mir. Was hätte ich da tun sollen? Also gab ich ihm letzten Endes doch sein Ticket.“
Underwood lag am Sonntagmorgen bei seinen Eltern zuhause in seinem Bett, als das Telefon läutete. Es war Grant. „Er fuhr mich an: ‚Was hast du bloß getan?‘ Er war total außer sich, fluchte und belegte mich mit jedem erdenklichen Schimpfnamen. Ich sagte ihm, dass ich ihn auf keinen Fall aufhalten konnte … Er wollte nun einmal sein Ticket.“ Plötzlich verrauchte Grants Ärger und er begann zu lachen. „So war Peter eben. Er konnte schon mal wütend auf dich sein, aber dann musste er lachen. Er sagte: ‚Mick, du wirst es nicht fassen, wenn du heimkommst. Der Finger sitzt im Knast!‘“
Nach seiner Rückkehr nach London hatte Vincent Margie erneut vorgeworfen, untreu zu sein, und ihr eine geladene deutsche Luger an den Kopf gehalten. Nur wandte sich Margie dieses Mal nicht an Don Arden, sondern an die Polizei. „Der Finger“ wurde festgenommen, zu einer Geldstrafe von 20 Pfund für unerlaubten Besitz einer Feuerwaffe verdonnert und mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr entlassen.
Don Arden hielt Vincent die Stange und veranstaltete auch weiterhin seine Tourneen, obwohl die Einnahmen stetig abnahmen. Vincent unternahm noch etliche Comeback-Versuche, erreichte jedoch nie mehr seine alte Popularität. Jedes Jahr gab es eine neue Begleitband und neue Versionen seiner alten Geschichten. So erzählte Vincent Musikern, dass sein so stark lädiertes Bein das Resultat einer militärischen Geheimoperation während des Koreakriegs wäre. Er starb schließlich im Oktober 1971. Todesursache war ein geplatztes Magengeschwür. Zu diesem Zeitpunkt war sein vormaliger Betreuer und Fahrer bereits Manager der größten Rockband des Planeten.
Die Outlaws bestanden noch bis 1965. In den späten Siebzigerjahren schloss sich Mick Underwood Ian Gillans Band an und trommelte auf zahlreichen Hit-Singles und -Alben.
Doch bevor es dazu kam, sollten er und Peter Grant sich noch auf Tour wiedersehen. 1968 lief sich das Duo in einem Londoner Club über den Weg, wo Mick ein Konzert spielte. „Peter sagte: ‚Es mag sich zwar komisch anhören, aber ich mache gerade etwas mit Jimmy Page. Er stellt die Yardbirds neu zusammen und wir haben schon ein paar Auftritte in Skandinavien gebucht. Wir haben aber noch keinen festen Drummer. Bist du interessiert?‘“
Underwood sagte zwar zu, wurde aber am nächsten Tag gefragt, ob er sich einer anderen Gruppe anschließen wollte. Er rief Grant an, um ihm mitzuteilen, dass er seine Meinung geändert hätte. „Peter nahm das ganz gelassen. Ich sagte aber nicht Led Zeppelin ab“, formuliert er es vorsichtig. „Schließlich existierten die ja noch gar nicht. Außerdem hätte das nie funktioniert, da John Bonham der perfekte Schlagzeuger für sie war.“
Mickie Most, der singende Kellner aus dem 2iʼs, kehrte 1963 in Peters Leben zurück. Mickie hatte England Weihnachten 1958 den Rücken gekehrt. Im Sommer zuvor hatte er seine zukünftige Frau Christina kennengelernt, die in London Urlaub machte. Nach einer turbulenten Romanze zog er zu ihr und ihrer Familie nach Südafrika, wo sie den Großteil der nächsten vier Jahre verbrachten.
Die Most Brothers hatten einen Plattenvertrag bei Polydor unterschrieben. „Wir tourten anderthalb Jahre lang und machten ein paar schauerliche Platten“, so Mickie selbst. Doch in Südafrika lechzte man nach Rock’n’Roll. So formierte Mickie die Gruppe Mickie Most and His Playboys und feierte gleich elf Nummer-eins-Hits, in der Regel mit Coverversionen amerikanischer Songs. Als er realisierte, dass südafrikanische Studiotechniker noch nie Rock’n’Roll-Platten aufgenommen hatten, fing er an, sie selbst zu produzieren.
Mickie und seine Band traten vor Gene Vincent auf, als der 1961 in Südafrika auf Tournee ging. Im Rahmen dieser Tour trafen sie auch auf Don Arden. „Don war ein sympathischer Halunke“, erinnert sich Mickies Witwe, Chris Hayes. Zwei Jahre später – Mickie war es leid, in den immer gleichen Tanzsälen aufzutreten – zogen sie zurück nach England.
„Mickie rief mich an, weil er arbeitslos war“, sagte Grant. „Also engagierte ich ihn als Vorgruppe und gelegentlichen Ansager für unsere Tourneen, als ich noch für Don arbeitete.“
Eine Existenz als Popstar blieb Most zuhause in London jedoch verwehrt. Ihm gelangen zwar ein paar bescheidene Hits, doch seine Karriere erlitt endgültig Schiffbruch, als seine Version von Frankie Fords „Sea Cruise“ von der BBC indiziert wurde, nachdem der griechische Luxus-Kreuzer Lakonia vor der Küste von Madeira gesunken war und dabei 128 Passagiere und Crewmitglieder das Leben verloren hatten.
Egal, wie abfällig Don Arden später über Peter Grant sprechen sollte, im Frühling 1963 engagierte er ihn als Agenten und beorderte ihn in die Curzon Street. Grant und der Co-Agent Mark Wildey hatten einen Deal mit Arden, der ihnen zehn Prozent Provision für jeden Act garantierte, den sie an Land zögen, was sie dann unter sich aufteilen würden: „Allerdings bezahlte uns Don nur selten.“ Ungefähr zu dieser Zeit fing Grant an, die Instrumental-Gruppe Flintstones zu managen, deren Gitarrist Terry Slater später einmal die Achtzigerjahre-Popgruppe A-ha betreuen sollte. Zwischenzeitlich begann Chris Hayes, sich als Veranstalterin zu betätigen. „Don hatte eine Menge Bands und verwies mich an Peter“, sagt sie. „Ich hörte Radio und suchte nach Songs mit Hit-Potenzial. Dann buchte ich die betreffenden Gruppen für sehr wenig Geld. Man musste sich beeilen, weil ihr Preis stieg, sobald sie die Charts enterten.“
Grant hatte sich viel bei Arden abgeschaut. „Er versuchte mich ein paar Mal übers Ohr zu hauen“, lacht Chris. „Er sagte, eine Band wäre bereits in den Charts, weshalb er den Preis anheben müsste. Ich glaubte ihm aber nicht.“
Veränderungen standen bevor. Die Beatles – eine englische Gruppe, inspiriert von Elvis und Gene Vincent – hatten einen neuen Sound und ein frisches Image etabliert und schickten sich nun an, die USA zu erobern. Don Arden hatte die Beatles ursprünglich nicht ernst genommen, was ihm nun teuer zu stehen kam. „Sie töteten einfach alles“, sagte er später. „Leute, die ihr ganzes Leben lang Stars gewesen waren, mussten nun auf Milchmann umsatteln.“
Arden hatte bereits vergeblich versucht, Elvis nach Großbritannien zu lotsen. Doch hatte er noch ein Ass im Ärmel. Chuck Berry war der einzig wahre Gitarrengott des Rock’n’Roll und hatte den britischen Nachkriegskindern einen verführerischen Einblick in die amerikanische Kultur ermöglicht. „Er sang von Hamburgern, die Tag und Nacht brutzelten“, sagte etwa Jimmy Page. „Wir hatten aber keine Hamburger in England und wussten nicht einmal, was das war.“
Arden machte sich nun daran, Chuck Berry nach Großbritannien zu holen. Die Sache hatte nur einen Haken: Berry saß gerade im Gefängnis, weil er eine minderjährige amerikanische Ureinwohnerin über die Grenze eines Bundesstaats transportiert hatte. Allerdings blieb Ardens Angebot einer UK-Tour so lange bestehen, bis Berry auf freien Fuß gesetzt wurde. Laut Grant war er es, der in Chucks Heimatstadt St. Louis, Missouri, und anschließend nach Chicago, Illinois, flog, um den Deal zu besiegeln. „Don sagte: ‚Ich will, dass du den Deal unter Dach und Fach bringst.‘ Er gab mir dafür noch einen Briefumschlag mit Geld“, enthüllte er, bevor er mithilfe einer Anekdote die Rassentrennung in Amerika in jenen Tagen sowie die komplizierte Beziehung zwischen Manager und Künstler illustrierte.
Grant war jedenfalls schockiert, als Berry ihn persönlich am Flughafen abholte und ins Hotel brachte. Als Peter ihm einen Drink ausgeben wollte, schlug Chuck das Angebot aus. „Das war mein erster Besuch in Amerika. Ich realisierte zunächst nicht, dass das daran lag, dass er schwarz war.“
Am folgenden Tag fuhren sie zu Berrys Plattenfirma Chess Records, um sich mit dem Chef des Labels, Leonard Chess, zu treffen. „Der Schuppen ähnelte einer Flüsterkneipe“, sagte Grant. „Leonard trug Hosenträger, rauchte Zigarre und sagte: ‚Ach, du bist sicher der Engländer.‘“
Grant schloss den Deal mit Chess und Berrys Anwalt ab und überreichte Ardens Umschlag mit dem Bargeld. Berrys Beteiligung war minimal. „Chuck sagte: ‚Das Einzige, was du für mich tun musst, ist, mir einen richtig guten Klavierspieler zu besorgen.“
Anschließend forderte Leonard Chess Berry zu Grants neuerlichem Erstaunen dazu auf, ihn wieder zum Flughafen zu bringen. „Wir verließen Chess Records durch den Hintereingang. Dort sah es aus wie auf dem Stellplatz eines Gebrauchtwagenverkäufers. Alles voll mit Cadillacs“, sagte Grant. „Chuck suchte sich einen aus und wir fuhren los.“ Unterwegs erklärte Berry ihm, dass der Cadillac zu viel Benzin schluckte und er ihn nicht ganz bis ans Ziel chauffieren könnte. Stattdessen ließ er ihn beim innerstädtischen Busbahnhof aussteigen.
Auf dem Weg zum Flughafen hatte Grant eine Menge zu grübeln. Er hatte Berry gefragt, wie viele Platten er insgesamt verkauft hätte. Chuck konnte das nicht beantworten. Sein Manager hatte ihn ja nie eingeweiht: „Ich fand das schrecklich.“
Die Chuck-Berry-Tour war gebucht, obwohl sie erst im nächsten Jahr stattfinden sollte. Inzwischen holte Arden die singenden Geschwister von den Everly Brothers sowie den R&B-Gitarristen Bo Diddley aus Mississippi nach Großbritannien, um auf diese Weise den Beatles vielleicht doch noch das Wasser abzugraben. Diddley konnte es sich nicht leisten, eine ganze Band mitzubringen und tauchte nur in Begleitung seiner in einen Overall aus Lamé gehüllten Gitarristin Norma-Jean Wofford alias The Duchess sowie seines Maracas-Spielers Jerome Green auf. Mit Green freundete sich Peter sofort an. „Jerome trug immer ein Radio bei sich, das aber nicht zu funktionieren schien“, sagte Grant. „Eines Tages fragte ich ihn, was es damit auf sich hatte. Er nahm die rückseitige Abdeckung ab. Darin befand sich nichts außer einer halb ausgetrunkenen Flasche Scotch. Er flüsterte: ‚Sag bloß nichts zu Bo.‘“
Jahrzehnte später sollten die Everly Brothers Loblieder auf Peter Grant anstimmen und ihn als „besten Roadmanager, den wir jemals hatten“ bezeichnen. 1963 hatten die Everlys für die ersten paar Konzerte so wenige Tickets absetzen können, dass Arden Little Richard anbetteln musste, als Co-Headliner einzuspringen.
Weiter unten in der Hierarchie, quasi ein Abbild der alten und der neuen Garde, standen in der einen Ecke Mickie Most und in der anderen die Rivalen der Beatles, die Rolling Stones. Grant liebte den schmutzigen britischen Ansatz zu amerikanischem R&B, den die Stones repräsentierten. Als die BBC Bo Diddley einlud, um eine Session für die Radio-Show Saturday Club aufzuzeichnen, schlug Grant vor, den Bassisten und Schlagzeuger der Stones, Bill Wyman und Charlie Watts, auszuborgen. Diddley war einverstanden, doch die BBC sträubte sich. „Sie hatten die Stones schon mal vorspielen lassen, sie aber für nicht gut genug befunden“, erinnerte sich Grant. „Ich erhielt einen Anruf vom Produzenten, der meinte, dass mein Vorschlag nicht so gut ankäme. Ich antwortete: ‚Keine Stones, kein Diddley.‘ Daraufhin bekamen sie den Job.“
Grant hatte geholfen, den ersten Auftritt der Stones bei der BBC einzufädeln. Innerhalb nur eines Jahres sollte die Gruppe vier eigene BBC-Sessions aufnehmen. „Ich habe überhaupt keine musikalischen Kenntnisse“, meinte Grant. „Es geht nur ums Gespür.“ Mit seinem Bauchgefühl lag er aber richtig.
Im Anschluss an eine Show im Newcastle Odeon im Oktober besuchten Grant, Mickie Most und Jerome Green den Club AʼGogo, wo sie die Alan Price Rhythm & Blues Combo sahen. „Ich war so beeindruckt, dass ich sie unter Vertrag nahm“, sagte Grant. „Ich wurde ihr Booking-Agent und Co-Manager, woraufhin sie ihren Namen in Animals änderten.“ Grant sagte, die Animals hätten bei Ardens Agentur unterschrieben, als Don ihnen einen Platz auf der Chuck-Berry-Tour versprach. Es war der Heilige Gral für jede aufstrebende britische Blues-Band: „Das war der Anreiz – Mark Wildey und ich sollten zehn Prozent von Dons Anteil bekommen.“
Derek Berman erinnert sich jedoch daran, dass Grant die Fakten ausschmückte. Berman spielte mittlerweile in der Ostlondoner Gruppe The Echoes, die an diesem Abend nach den Animals als Headliner auftrat. „Peter stellte sich den Animals als unser Manager vor“, sagt er. „Er war nie der Manager der Echoes, aber ich glaube, es half ihm, sie von seiner Glaubwürdigkeit zu überzeugen.“
Zurück in London erzählte Grant Don Arden von seiner neuesten Entdeckung. Er holte die Animals nach London, wo sie im Scene Club in Piccadilly auftreten sollten. Anschließend drängten Grant, Arden und Mickie Most in die Garderobe. Die Gruppe hatte bereits einen Manager, Mike Jeffery, einen Club-Besitzer aus Newcastle, der später als Jimi Hendrix‘ Co-Manager fungieren und bei einem Flugzeugabsturz in Frankreich ums Leben kommen sollte. „Er war ein schlechter Manager“, sagte Grant. „Wir kümmerten uns mehr ums Management als er.“
Als Don Arden ankündigte, dass Peter Grant sich um die täglichen Belange der Animals kümmern und Mickie Most ihre Platten produzieren würde, gab es seitens der Band und Jefferys keinerlei Widerspruch. Als die Band zur Vertragsunterzeichnung in Ardens Büro erschien, wandte sich ihr Leadsänger Eric Burdon an Peter. „Er sagte, dass wir uns schon mal getroffen hätten, ich mich aber wohl nicht mehr erinnern würde“, berichtete Grant. „Eric meinte, dass ich ihn mal einen Korridor entlang geschubst hätte.“ Ein Jahr zuvor hatte sich Burdon, ein begeisterter Fan, ungebeten Zutritt zu Gene Vincents Garderobe verschafft, woraufhin Grant ihn wieder an die frische Luft gesetzt hatte.
Der Tag, an dem die Animals bei Don Arden unterschrieben, war auch der Tag, an dem Don die Kontrolle über Peter Grant verlor. Er bevollmächtigte seinen Lehrling, sich um die zukünftige Hit-Gruppe zu kümmern. David Arden, der schon bald ins Familiengeschäft einsteigen sollte, erinnerte sich, wie Grant und Mickie Most seinem Vater vorschlugen, eine Plattenfirma zu gründen und das Geld durch drei zu teilen. Das sollte nie passieren. Ein Jahr später, nachdem die Animals einen Hit gelandet hatten, hieß es: „‚Wo ist die Plattenfirma?‘ Und Mickie verabschiedete sich daraufhin. Aus und vorbei.“
Es sollten jedoch noch Monate vergehen, bevor Grant und Most auf eigene Faust loszogen. Doch zuvor kam im Mai 1964 noch Chuck Berry nach Großbritannien. Als spezieller Gast war ein weiterer Held der Beatles angeheuert worden, Carl Perkins, der berühmte Gitarrist aus Tennessee, der noch vor Elvis mit „Blue Suede Shoes“ einen Hit gelandet hatte. Berrys Begleitband waren die britischen Newcomer King Size Taylor & the Dominoes und seine Vorgruppen die Animals und die Nashville Teens, die ebenfalls von Grant und Mickie Most betreut wurden. Der Nashville Teen John Hawken avancierte zum „richtig guten Klavierspieler“, um den Berry gebeten hatte.
Auf Tour passten sich die Animals rasch an. Als Burdon einmal zu spät zu einer Show erschien, schleuderte Grant ihn quer durch den Raum. „Ich verspätete mich nie wieder“, erzählte Burdon. „Peter war das, was ich brauchte. Er war, was wir brauchten.“ Grants kompromisslose Haltung gegenüber Acts, die in der Hierarchie weiter unten standen, ermöglichte ihm, sich auf den Headliner konzentrieren zu können.
1964 war Chuck Berry bereits mit der ausbeuterischen Natur der Musikindustrie vertraut. Auch hatte er schon so einige Gefängniszellen von innen gesehen. Das Showgeschäft und seine Zeit hinter schwedischen Gardinen hatten ihn zu einem verbitterten und misstrauischen Mann gemacht. So spielte Chuck nicht eine einzige Note, bevor ihm nicht der letzte Shilling oder Cent seiner Gage ausgezahlt worden war. Zeugen berichteten, dass Grant und Arden einmal sogar auf Knien vor Berrys Garderobe bettelten und Pfund-Scheine unter dem Türschlitz hindurchschoben. Als einmal noch drei Shillinge der Gage ausstanden, versprach Grant, dass er den Rest später bekäme, doch Berry weigerte sich, die Gitarre umzuhängen, bevor die Rechnung nicht beglichen wäre. Als Peter es nicht schaffte, ausreichend Kleingeld zusammenzukratzen, suchte er sich einen nahegelegenen Zigarettenautomaten, versetzte ihm den Schlag eines Wrestlers und sammelte die Münzen ein. Chuck musste spielen, was immer dafür getan werden musste.
Hier handelte es sich um Lektionen, die zwar auf die harte Tour absolviert werden mussten, aber später auch bei Led Zeppelin zur Anwendung kamen. Sobald Chuck Berry sein Geld hatte, schien es, dass jemand einen Schalter umgelegt hatte. Als er im Mai 1964 von der Seite der Bühne zusah, studierte Grant, wie Berry das Publikum bearbeitete. Er präsentierte die Gitarre, schob das Kinn vor und führte unter großem Jubel seinen berühmten „Duck Walk“ vor. Auch fand Grant eine Methode, wie er Chucks Erscheinen auf der Bühne dramatischer gestalten konnte. „Ich überredete den Conferencier, eine ausführliche Einleitung vom Stapel zu lassen“, sagte er. „Man konnte John Hawken am Piano und Chuck spielen hören.“ Wichtig dabei war, dass die Leute ihn nicht sehen konnten. „Dann tauchte er auf, machte den Duck Walk und das Publikum explodierte förmlich.“ Laut Grant verfolgte ein junger Jimmy Page gebannt, wie Berry am ersten Abend der Tour auf diese Weise die Bühne des Londoner Finsbury Park Astoria betrat.
Berry war nicht der Einzige, der in die Trickkiste griff, um sein Publikum zu überzeugen. Jeden Abend beendeten die Gruppen ihren Auftritt mit einer schnellen Nummer, doch was Rock’n’Roll anlangte, konnte niemand von ihnen Chuck Berry das Wasser reichen. So einigten sich die Animals darauf, ihren Gig mit einer nachdenklichen Version eines alten Folk-Songs zu beenden, „The House of the Rising Sun“. Die Nummer war langsam und dramatisch und hinterließ einen bleibenden Eindruck.
Die Animals nahmen den Track mit Mickie Most als Produzent in den Londoner Kingsway Studios auf. „Sie kamen um 7 Uhr morgens rein und spielten den Song in einem Take ein“, erinnerte sich Grant. Im Juni erreichte „House of the Rising Sun“ die Spitzenposition in den UK-Charts. Ein Kunststück, das sie zwei Monate später in den USA wiederholen sollten. Es war Grants erste Hit-Single.
Im April 1970 spielten Led Zeppelin in der Miami Beach Convention Hall in Florida. Nach der Show nahm Grant sie mit zu einem Auftritt von Little Richard in einem nahegelegenen Ressort. Peter hatte vorab angerufen und einen Tisch reserviert, doch sie verspäteten sich und trafen inmitten eines Songs ein. „Richard sah das und stutzte“, sagte Grant. „Er hörte auf zu spielen.“
Das ältliche Publikum drehte sich zu ihnen um und blinzelte den bärtigen Riesen und seine langhaarigen Gefährten an, während die sich ihren Weg durch die Menge bahnten. „Seht ihr den Mann da drüben“, rief ein begeisterter Little Richard und zeigte auf Grant. „Das ist Mister Peter … Er hat mir in Paris einmal das Leben gerettet.“
Im Juni 1964 verbrachte „Mister Peter“ zwei Wochen mit Little Richard auf Tour durch Europa. In den späten Fünfzigerjahren hatte dieser plötzlich zu Gott gefunden und dem Rock’n’Roll zugunsten des Gospels entsagt. Als Don Arden mit einem großen Scheck vor seiner Nase wedelte, wandte er sich erneut der Teufelsmusik zu und begeisterte sein Publikum auf einer Tour durch Großbritannien. Little Richard rockte wieder, doch war es oft ein Problem, ihn auf die Bühne zu bekommen.
Im Hauptquartier von Swan Song Records und in Hotelsuiten rund um den Erdball unterhielt Grant seine Hörer mit Little-Richard-Anekdoten. So verkündete Richard einmal, dass er an diesem Abend nicht im Lewisham Odeon auftreten würde, und weigerte sich, sein Hotelbett zu verlassen. Grant wickelte den Sänger in ein Laken, warf ihn sich über die Schulter und schleppte ihn in den bereits wartenden Wagen.
Richard lieferte noch eine weitere Episode von dieser Europa-Tour. Obwohl er bereits mit dem Flugzeug angereist war, behauptete er, unter Flugangst zu leiden. Richard sollte mit einem Verbindungsflug von Düsseldorf aus nach Paris weiterreisen, weigerte sich aber partout, ein Flugzeug zu besteigen. Dieses Mal war kein Laken zur Hand, in das man ihn schnell hätte einwickeln können. „Ich musste einen Taxifahrer überreden, uns den ganzen Weg von Düsseldorf nach Paris zu transportieren“, erzählte Grant. „Aber so ist das nun mal. Du musst deinen Act am Zielort abliefern, was auch immer es kosten mag.“
Nach ihrer Ankunft in der französischen Hauptstadt, verweigerte der Veranstalter Richard die volle Gage. Es kam zum Streit und die Polizei wurde gerufen. Die Fäuste flogen und Grant intervenierte: „Die Polizisten wurden ein wenig zu grob und ich warf zwei von ihnen zu Boden.“
In Miami erzählte Little Richard die ganze Geschichte. Es ergab sich ein eindrucksvolles Bild des schillernden Entertainers und seines bulligen Betreuers, wie sie in Paris zu entkommen versuchten, während die benommenen Polizisten auf dem Rücken lagen.
1992 trat Richard in der Londoner Wembley Arena auf und traf auch Grant zum ersten Mal seit Miami wieder. „Mister Peter! Mister Peter“, schrie er aufgeregt. „Fühl mal meinen Knöchel!“ Richard tastete das in einer Anzughose steckende Bein ab und berührte schließlich vorsichtig die Socke des Sängers. Darin befanden sich eine Kreditkarte und ein aufgerolltes Bündel Bargeld. Grant hatte Richard gewarnt, niemals seine Wertsachen in einer Garderobe zurückzulassen – und drei Jahrzehnte später nahm sich dieser die Warnung immer noch zu Herzen.
Wie schon bei Don Arden vor ihm, verbreiteten sich die Geschichten, die Grants Hingabe an seine Mission belegten, innerhalb der Branche. 2012 insistierte David Arden, dass Don trotz seines schlechten Rufs immer fest an Talent geglaubt hatte: „Er blieb stets davon überzeugt, dass man mit Talent alles erreichen könnte. Wenn es aber an Talent mangelte, hieß es bei ihm: ‚Verpiss dich, oder ich trete dich die Treppe hinunter.‘“
So hätte er auch Peter Grant zusammenfassen können. Nachdem er bereits Ardens „Macht der Angst“ zu schätzen gelernt hatte, entdeckte Grant auch noch die Macht der Suggestion. Ob er nun vorgab, eine Waffe zu tragen, oder den Animals einredete, er würde eine Band managen, auch wenn das nicht stimmte: Die Leute kauften es ihm ab. Don Arden bestätigte: „Peter Grant lernte von mir, dass man alles schaffen konnte, wenn die Tarnung stimmte.“
Grant wendete diese Taktik auch bei den Nashville Teens an. Peter hatte die Popgruppe aus Surrey entdeckt, sie für die Agentur unter Vertrag genommen und für die Chuck-Berry-Tour gebucht. Inzwischen hatte Mickie Most sie bei Decca Records untergebracht und wurde ihr Produzent. Die erste Single der Teens, „Tobacco Road“ – ein Song aus der Feder des Country-Songwriters John D. Loudermilk, der vom Aufwachsen in North Carolina handelte – wurde über den Atlantik transferiert und avancierte zum größten Hit der Combo.
Grant betreute die Band, während sie auf Tour ging, um die Single zu bewerben. „Peter war ein großer, lieber Bär“; erinnert sich ihr Leadsänger Ramon Phillips. „Er seufzte oft ‚Kommt schon, Jungs‘. Er veränderte sich dramatisch, als er mit Led Zeppelin so mächtig wurde. In Don Arden hatte er einen guten Lehrmeister.“
Eine Sache beunruhigte Grant jedoch bezüglich der Nashville Teens: Sie waren nämlich gar keine Teenager. „Peter kam vor einem Gig zu mir und sagte: ‚Rasier dir die Schnurrhaare ab‘“, erzählt der frühere Sänger Arthur Sharp. „Ich hatte mich zwar rasiert, aber ein paar Haare übersehen. Für Peter war das nicht gut genug. ‚So siehst du nicht aus wie ein Scheiß-Achtzehnjähriger.‘ Ich war 24, was ein Problem war.“
Während sich „Tobacco Road“ langsam die Charts emporarbeitete, wandte Grant die Macht der Suggestion erneut an. Ramon Phillips hatte bei einer Show in Hastings einen verzückten Fan kennengelernt. Susan Penry-Davey war die 17-jährige Tochter eines prominenten ortsansässigen Juristen und folgte der Band zu ihrem nächsten Auftritt nach Welwyn Garden City. Grant ging dabei ein Licht auf. „Nach der Show saßen wir bei mir in der Wohnung, als Peter anrief. Wir sollten uns mit ihm treffen und das Mädchen mitbringen“, sagt Phillips. Am nächsten Tag brachte der Daily Mirror eine Story mit der Schlagzeile „Polizei stoppt Beat-Romanze“. Darin wurde behauptet, dass Penry-Daveys Vater die Polizei verständigt hätte, nachdem seine Tochter mit dem Leadsänger der Nashville Teens durchgebrannt war. „Peter roch das Geld und die Möglichkeit, mehr Platten zu verkaufen. Susan machte bereitwillig mit und wir wurden fotografiert, wie wir in einem Polizeiwagen vorfuhren“, erzählt Phillips. Nur gehörte die Karre auf dem Foto gar nicht der Polizei und der angebliche Zivil-Bulle, der die jungen Liebenden abführte, war kein Geringerer als Peter Grant höchst persönlich. Niemand hinterfragte die Geschichte und „Tobacco Road“ stürmte in die britischen Top-10 und amerikanischen Top-20.
Eine Story nahm Don Arden aber mit ins Grab. Dasselbe galt für Peter Grant. Ab 1965 fungierte Arden als Manager der Small Faces, einer Gruppe von winzig anmutenden Ostlondoner Teenagern, deren Leadsänger der ehemalige Kinderstar Steve Marriott war. Arden bezahlte nicht nur ihr gemeinsames Haus, sondern auch ihre Einkäufe in Londons Modeboutiquen. Außerdem behielt er sämtliche Einnahmen, die ihre Hits abwarfen. The Small Faces waren de facto mittellos.
Als ihn die Eltern der Jungs zur Rede stellten, erklärte ihnen Arden, die Jungs hätten ihre Moneten für Drogen verschwendet. Der anschließende Rechtsstreit und die erbitterten Wortgefechte zwischen Arden und den Small Faces zogen sich noch Jahrzehnte hin, lange nachdem die Band sich aufgelöst hatte.
Grants Behandlung der Small Faces etablierte ihn für immer in der Rolle des Showbiz-Erzschurken. Egal, welche Ähnlichkeiten zwischen den Männern auch bestanden haben mochten: „Don war die Art Manager, die Peter – so verriet er mir – nicht sein wollte“, sagt Barrie Keeffe. „Peter verabscheute die Art, wie Don seine Künstler behandelte.“
Dennoch, so gestand er Keeffe und Ed Bicknell, war er auch Komplize bei Dons verwerflichstem Coup. Der Manager Robert Stigwood betreute später die Karrieren von Eric Clapton und den Bee Gees, bevor sie an großen Filmhits wie Saturday Night Fever mitwirkten. In den frühen Sechzigerjahren hatte Stigwood versucht, die Small Faces von Don Arden fort zu locken. Dons Vergeltung war so unmittelbar wie schockierend. So wie die meisten Storys mit Don Ardens und Peter Grants Beteiligung änderte sich auch diese mit jeder Neuauflage. Jedoch bestritt Stigwood, der 2016 verstarb, niemals ihren Wahrheitsgehalt.
Angesichts der Vorstellung, eine seiner Gruppen an einen Rivalen zu verlieren, trommelte Arden ein paar harte Jungs zusammen. Ihre Anzahl variiert zwischen 5 und 20 – je nachdem, wer davon erzählt. Arden erklärte ihnen jedenfalls, was sie zu tun hätten, als würde er Schauspielern Regieanweisungen geben.
Arden und sein Trupp trafen daraufhin unangemeldet in Stigwoods Büro im vierten Stock eines Gebäudes am Cavendish Square ein. Sie ignorierten Stigwoods Begrüßung, griffen sich einen schweren Glasaschenbecher und donnerten diesen mit solcher Wucht gegen seinen Schreibtisch, dass der glatt splitterte.
Arden schleifte daraufhin den verängstigten Manager hinaus auf den Balkon. Don bestand stets darauf, dass er Stigwood bloß die Straße unter ihnen zeigen und ihn warnen wollte, dass er irgendwann „dort unten“ enden würde, wenn er weiterhin versuchte, ihm Acts abspenstig zu machen.
Doch anscheinend preschten Ardens Jungs vor und forderten, dass Stigwood über die Klinge springen müsste. Sie hoben ihn hoch und ließen ihn kopfüber vom Balkongeländer baumeln. Laut Arden trug Stigwood noble Chelsea-Boots und seine Spießgesellen mussten sich ganz schön ins Zeug legen, damit ihnen ihr Opfer nicht aus den Fingern rutschte und ins Verderben stürzte.
Abhängig davon, wer die Geschichte erzählt, fiel Stigwood entweder in Ohnmacht oder entleerte seinen Darm in seine Hosen – oder sogar beides –, bevor die Angreifer ihn wieder hochziehen und auf dem Büroteppich entsorgen konnten.
Grant gestand Barrie Keeffe, dass er einer von jenen Kerlen gewesen war, die Stigwood an jenem Tag vom Balkon baumeln ließen. „Er hatte ganz eklige dürre Fußgelenke“, vertraute er ihm an. Als Ed Bicknell ihn auf diesen Vorfall ansprach, gab sich Peter zurückhaltend: „Ich wollte ihm doch bloß die Aussicht zeigen.“
Doch war das tatsächlich der Fall? Stigwood wurde mit Sicherheit von Don Ardens Leuten bedroht und vermutlich auch über den Balkon gehalten. Allerdings hat niemand bestätigt, dass Peter Grant mit von der Partie war. Die kombinierte Macht von Angst und Suggestion reichte aus, und die Geschichte von Robert Stigwood und seinem Balkon zählt schon seit Jahrzehnten zu den Evergreens unter den Rock-Anekdoten.
1965 begann es in Don Ardens Imperium jedoch zu kriseln. Robert Stigwood veranstaltete im selben Jahr die zweite UK-Tour von Chuck Berry und ging aufgrund der schwachen Kartenverkäufe fast pleite. Die Beatles, die Stones und andere britischen Gruppen hatten sich fleißig bei Berrys und Little Richards Musik bedient, sie einer Generalüberholung unterzogen und einer jüngeren Generation verkauft.
Don Arden sollte in den folgenden Jahren aber neue Acts finden und neue Fehden ausfechten. So wie auch sein Lehrling.