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SIE SCHAUTEN GOTT UND ASSEN UND TRANKEN

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„Ziehe zu der Stätte, die der Herr, dein Gott, auswählt, kaufe dort für das Silber alles, worauf du Appetit hast – Rinder, Schafe, Ziegen, Wein und Bier, alles, wonach es deinen Gaumen verlangt –, und dann sollst du vor dem Herrn, deinem Gott, Mahl halten und fröhlich sein, du und deine Familie.“ (Deuteronomium 14,25–26)

Wann haben Sie dieses Gebot Gottes das letzte Mal erfüllt? Zugegeben, es ist heute nicht mehr so einfach und inwieweit das alles gesund und allergenfrei ist, müsste auch noch abgeklärt werden. Nicht, dass man dann zwei Wochen fasten muss, nur weil man einmal den Willen Gottes getan hat. Fasten in der biblischen Logik ist eine Bußübung, wenn man gesündigt hat, oder es dient der gezielten Vorbereitung auf ein besonderes Ereignis; auch Hildegard von Bingen kannte übrigens keine andere Art des Fastens. Wenn man aber wirklich Gott ehren und preisen wollte, dann tat man es durch gemeinsames Essen und Trinken und durch die Freude, die man daran hatte.

Nach der Heimkehr der Juden aus dem Babylonischen Exil versammelte sich das Volk in Jerusalem und bei dieser Gelegenheit wurden sie noch einmal in den Gesetzen Gottes unterwiesen. Offensichtlich wussten die Leute, nachdem sie das alles gehört hatten, nicht so recht, was nun zu tun sei. Doch der Priester und Schriftgelehrte Esra stellte klar: „Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ (Nehemia 8,10) Gott wird geehrt nicht durch fasten, sondern durch ein festliches Mahl und einen besonderen Wein. Die Frage ist also nicht der Wein selbst, sondern nur, dass man schauen muss, dass alle etwas davon bekommen. Nachdem auch die Priester die Aufforderung Esras bekräftigten, gehorchte das Volk: „Da gingen alle Leute nach Hause, um zu essen und zu trinken und auch andern davon zu geben und um ein großes Freudenfest zu begehen; denn sie hatten die Worte verstanden, die man ihnen verkündet hatte.“ (Nehemia 8,12)

Der Apostel Paulus gilt als Begründer der christlichen Gemeinde von Korinth, mit der er brieflich in Verbindung blieb. Im ersten Korintherbrief versucht er einige Missstände in der Gemeinde zu klären und offensichtlich gab es auch solche, die die Auferstehung Christi leugneten. Paulus dagegen bezeugt nochmals die Auferstehung und fragt, was das alles sonst für einen Sinn hätte. Seine Argumentation mündet in die Pointe: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot.“ (1 Korinther 15,32) Wahrscheinlich müsste man das besser übersetzen mit: Lasst uns fressen und saufen, denn morgen sind wir tot! Doch was macht den Unterschied?

Der legendäre Skandalfilm „Das große Fressen“ (1973) von Marco Ferreri brachte es auf den Punkt. Vier Männer, Freunde, treffen sich in einem abgeschiedenen Landhaus, um sich an einem Wochenende buchstäblich zu Tode zu fressen; „durch übermäßiges Essen feierlich kollektiven Suizid zu begehen“, heißt es etwas höflicher in Wikipedia. Doch der Film ist alles andere als höflich, denn er besteht großteils aus detaillierten Fress-Szenen, überdeutlich hörbaren Verdauungsgeräuschen und Blähungen der Protagonisten. Wie zu erwarten werden noch drei Prostituierte dazu geladen, was den Film zusätzlich mit ein paar derben Sex-Szenen garniert. Der Skandalfilm war jedoch nur jenen ein Skandal, die ihn nicht verstanden hatten. Bei aller Zuspitzung und Übertreibung war der Film die pointierte Kritik an einer rein hedonistischen Einstellung zum Leben: „Maximiere die Lust!“ – und der Film zeigt, was dabei herauskommt. Wenn alles, was Lust verschaffen kann, ja sogar die Lust als solche zum Selbstzweck wird, ist es vorbei mit dem Genuss, führt sich der Hedonismus selbst ad absurdum. Die vier Herren treiben ihr Spiel auch nicht aus Lust am Leben, sondern aus einem Todestrieb heraus; sie wollen schließlich sterben dabei. Wenn die Lust als Lust zum alleinigen Ziel wird, bleiben das Leben auf der Strecke und der Genuss ebenso. Vermutlich ist es das, was die alten Lasterkataloge mit Völlerei meinten.

Von Paulus könnte das Drehbuch zum Film „Das große Fressen“ stammen: Wenn Christus nicht auferstanden ist, wenn mit dem Tod alles aus ist, dann lasst uns fressen und saufen, denn morgen sind wir tot. Wenn das Leben wirklich die letzte Gelegenheit ist, dann muss alles und von allem so viel wie möglich hineingepackt werden. Dann werden wir zu Getriebenen, die das Ende von hinten verfolgt. Das Leben wird dann atemlos. Jeder Genuss hat mit Stress zu tun, weil wir nie wissen, wann Schluss ist. In dieser Dynamik wird der Genuss zum Konsum und letztlich zur Sucht als Konsequenz eines Lebens, das gleichzeitig sucht und auf der Flucht ist. Mit wahrem Genießen, mit Lebenslust und Freude am Leben hat das nichts mehr zu tun. Paulus, der Asket, würde jetzt vielleicht erschrecken, aber vermutlich kann man seine Pointe auch umdrehen: Wirklich genießen können wir erst, wenn wir glauben, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, wenn wir getragen sind von der Zuversicht, dass das Leben weitergeht. Dann wird das Leben durchlässig. Miteinander essen und trinken ist erst ein wahrer Genuss, wenn es gleichzeitig ein Vorgeschmack ist auf das, was noch folgen wird.

Dem Genuss kann man nicht nachjagen. Im selben Moment verflüchtigt er sich und wird zum Konsum. Wahrer Genuss ist letztlich ein Geschenk und trägt so zum Glück des Menschen bei. Man beschenkt sich selbst, beschenkt andere und wird gleichzeitig von Gott beschenkt. Vermutlich ist genau das die Ebene, auf der der Segen Gottes in unserem alltäglichen Miteinander liegt. Wenn Gott mitten im Alltag erscheint, damit sein Segen dabei ist, dann zeigt sich das unter anderem genau dort, wo Menschen miteinander essen und trinken und es genießen. In diesem Sinn ist Essen und Trinken mehr als die nötige Nahrungsaufnahme, sondern erhält eine zusätzliche soziale und emotionale Dimension. Miteinander essen und trinken wird tatsächlich zu einer gemeinsamen Feier des Lebens, aber ohne dass man dafür eigens ein Halleluja anstimmen müsste. Pointiert könnte man sagen: Die Frömmigkeit beginnt dort, wo aus „Fressen und Saufen“ ein „miteinander Essen und Trinken“ wird. Dort verbindet sich Natur mit Kultur, erhalten die triebhaften Notwendigkeiten eine zutiefst menschliche Form. Erich Fromm hat das Begriffspaar vom Haben und Sein sehr schön beschrieben. „Fressen und Saufen“ ist reines Haben, eine natürliche Notwendigkeit vielleicht, aber auch nicht mehr. „Miteinander essen und trinken“ ist darüber hinaus eine Form des Seins: Beim miteinander Genießen verändert sich tatsächlich die Zeitstruktur.

Es ist sicher kein Zufall, dass Jesus bei seinen Gleichnissen vom Himmel immer wieder das Gastmahl verwendet hat als Inbegriff des miteinander Essens und Trinkens und damit als Grundvollzug der von Gott gemeinten Menschlichkeit. Zum „Großen Fressen“ gibt es kein schöneres Gegenbild als die grandiose Vision des Propheten Jesaja, in der er das künftige Leben aller beschreibt als ein großes Festmahl auf dem Berg Zion: „Der Herr der Heere wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den besten und feinsten Speisen, mit besten, erlesenen Weinen. Er zerreißt auf diesem Berg die Hülle, die alle Nationen verhüllt, und die Decke, die alle Völker bedeckt. Er beseitigt den Tod für immer. Gott, der Herr, wischt die Tränen ab von jedem Gesicht. Auf der ganzen Erde nimmt er von seinem Volk die Schande hinweg. Ja, der Herr hat gesprochen.“ (Jesaja 25,6–8)

Johann Wolfgang von Goethe hat Genuss einmal so definiert: „Genießen heißt, sich und anderen in Fröhlichkeit anzugehören.“ Nimmt man noch den Herrgott hinzu, wäre das eigentlich eine wunderbare Beschreibung des Himmels: Gott, sich und den anderen in Fröhlichkeit anzugehören. Das klingt vielleicht etwas prosaischer als beim Propheten Jesaja. Das Bild vom einander in Fröhlichkeit Angehören macht aber noch deutlicher, dass das, was wir hier in unserem alltäglichen Leben miteinander genießen, nichts anderes ist als ein Vorgeschmack auf den Himmel.

Miteinander essen und trinken – biblisch kommen wir mit der Frage, was ein frommes Tun ist, nicht daran vorbei. Letztlich ist auch das Abendmahl, die Eucharistiefeier, nichts anderes als eine ritualisierte Form des miteinander Essens und Trinkens und damit ein Urvollzug der christlichen Kirchen. Kein anderes Bild entwirft auch die Apostelgeschichte von der ersten Gemeinde in Jerusalem (Apostelgeschichte 2,44–47). Zuerst wird diese Form des „Urkommunismus“ beschrieben, in dem alle alles gemeinsam hatten und jeder davon so viel bekam, wie er nötig hatte. Und wie schaute der Alltag aus? „Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude mit lauteren Herzen. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt.“ Etwas lapidarer könnte man sagen: Sie gingen in die Kirche, feierten Eucharistie, aßen und tranken genüsslich miteinander und lobten den Herrn. Ist das nicht ein schönes Bild für fromm und lebenslustig? Der Schlusssatz verwundert dann gar nicht mehr: Sie waren beim ganzen Volk beliebt.

Glauben und das Leben genießen

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