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Kapitel 1 Herr Fuchs

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„Deine Mama schafft das nicht mehr:“

Zuerst glaubte Lina, nicht richtig verstanden zu haben, was der Mann meinte, der gesagt hatte, er sei der Herr Fuchs vom Jugendamt.

Jetzt saß Lina hier im Büro der Schulleiterin Frau Theiss, zusammen mit ihrer Klassenlehrerin Frau Dorner und eben dem Herrn Fuchs vom Jugendamt.

„Frau Eberhard, du weißt wer Frau Eberhard ist?“ Lina nickte. Frau Eberhardt war die nette Nachbarin, die in der Wohnung unter ihnen wohnte. „Also, Frau Eberhard hat heute Morgen die Polizei angerufen, weil sie fürchterlichen Lärm aus eurer Wohnung gehört hat: Splitterndes Glas und Porzellan und als sie bei euch geklingelt hat, hat niemand geöffnet, nur lautes Weinen hat sie gehört.“

Als Lina heute Morgen das Haus verlassen hatte, war Mama wirklich schon sehr traurig gewesen, so wie eigentlich immer in den letzten Wochen.

Deshalb war Lina auch heute mal wieder zu spät zur Schule gekommen.

Zuerst hatte sie Jonas sein Frühstück zubereitet, dann hatte sie ihn in den Kindergarten bringen müssen.

Nachdem sie Jonas in die Gruppe gebracht hatte –der Erzieherin hatte sie gesagt, dass Mama immer noch erkältet sei- war sie noch einmal nach Hause gegangen, hatte sich in die Wohnung geschlichen und nach Mama geschaut. Die hatte da im Sessel im Wohnzimmer gesessen und hatte ausgesehen, als ob sie ganz weit in die Ferne sähe. Lina hatte sie gar nicht bemerkt aber geweint hatte sie da jedenfalls nicht mehr.

„Geweint hat sie gar nicht“, sagte Lina mehr zu sich selbst und jetzt kamen ihr selber die Tränen.

Frau Dorner legte den Arm um sie und drückte sie leicht an sich.

„Deiner Mama ging es nicht gut, als die Polizei kam“, erklärte Herr Fuchs, „ deshalb haben die Beamten zur Sicherheit einen Krankenwagen gerufen.

„Mama ist doch nicht krank, nur traurig“, sagte Lina so leise, dass nur Frau Dorner es hören konnte.

„Manchmal ist es wie krank sein, wenn jemand so traurig ist“, sagte sie ruhig zu Lina. „Dann hat man auf nichts Lust , ist schlapp und fühlt sich so elend, wie wenn man eine Grippe hat“.

Als Lina zuletzt die Grippe gehabt hatte, hatte sie auch zu nichts Lust gehabt, sie hatte ein paar Tage nur schlapp im Bett gelegen und zu Anfang nicht einmal Fernsehen wollen, obwohl sie schon morgens gedurft hätte. So also fühlte sich Mama, wenn sie traurig war.

„Deine Mama muss sich jetzt erst mal erholen und eine Zeit lang im Krankenhaus bleiben“, sagte Herr Fuchs, „deshalb hat sie zugestimmt, dass du vorerst in einem Kinderheim wohnen sollst, in dem sich Erzieherinnen und vielleicht auch Erzieher um dich kümmern können: Natürlich nur, solange deine Mama nicht fit ist. Das Heim ist nicht weit weg von hier und wenn es deiner Mama wieder besser geht, werden wir dort besprechen, wie es weiter geht.“

Jetzt liefen Lina die Tränen wie ein Wasserfall die Wangen herunter. Von Kinderheimen hatte sie gehört und auch schon Filme gesehen. Die Erzieher waren streng und man wurde eingesperrt, außerdem kamen dort Kinder hin, die klauten und sich prügelten, die ihre Eltern anlogen oder die überhaupt keine Eltern mehr hatten.

Lina klaute und log nicht, auch geprügelt hatte sie sich noch nie, höchstens mal gezankt.

Und Eltern hatte sie schließlich auch, auch wenn Mama zu Papa manchmal „Erzeuger“ sagte, und zwar auf die Weise, wie Lina „Linsensuppe“ sagte oder Jonas „Mädchenkram“.

Aber es stimmte schon, auf ihren Papa konnte sie nicht zählen. Früher hatte sie regelmäßig Wochenenden bei ihm verbracht. Aber das war, bevor er eine neue Frau, neue Kinder und eine neue Stadt gefunden hatte.

Die Besuche waren zunächst unregelmäßiger und kürzer geworden, schließlich hatten sie ganz aufgehört.

Zu ihrem achten Geburtstag hatte sie noch eine Karte mit einem süßen Glücksschwein bekommen, aber das war nun auch schon bald zwei Jahre her.

„Ich hab‘ nichts angestellt“, flüsterte Lina. Herr Fuchs schaute verwirrt drein.

„Natürlich nicht“, beeilte sich Frau Dorner, die etwas schneller begriffen hatte, was Lina meinte, zu sagen.

„Es ist nicht deine Schuld, und auch deine Mama kann nichts dafür, manchmal passieren solche Dinge.“

„Im Sankt Georg gibt es eine Gruppe, die darauf spezialisiert ist, Kinder aufzunehmen, bei denen nicht klar ist, wie es weitergeht“, beeilte sich nun auch Herr Fuchs, Lina zu beruhigen. „ Die Mitarbeiter klären zusammen mit den Eltern und dem Jugendamt aber natürlich auch mit den Kindern, ob die Kinder nach einer Weile wieder nach Hause kommen, oder ob eine längerfristige Lösung gefunden werden muss. Dort habe ich angefragt, es gibt einen Platz und du kannst sofort dort einziehen.“

Lina hatte die Worte gehört, ohne sie zu verstehen, sie hatte nur verstanden, dass Herr Fuchs sie beruhigen wollte.

Was ihr jedoch im Kopf geblieben war, war die Aussage „es gibt einen Platz“.

„Jonas und ich teilen uns den Platz“, sagte sie, es klang aber mehr wie eine Frage.

Herr Fuchs schaute, als ob er Zahnschmerzen habe.

„Jonas ist bei einer netten Familie, wir nennen sie „Bereitschaftspflegefamilie“, dort haben sie schon viele Kinder wie Jonas aufgenommen, wir sind sehr dankbar, dass sie so schnell bereit waren zu handeln und wir wissen, dass Familie Heinen ihre Arbeit sehr gut macht.

Für die Klärungsgruppe im Sankt Georg ist Jonas einfach noch zu klein.“

Jetzt weinte Lina hemmungslos.

Die Drachen von Sankt Georg

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